Issalas Wunsch von Anubis

Blau. Blau? Blauer Himmel. Einige durchsichtige, vereinzelte Wolkenfetzen. Sie hörte ihren eigenen, rauhen Atmen. Sie blinzelte. Der Himmel ging nicht weg. Sie drehte ihren Kopf etwas nach links und eine strahlend helle Sonne blendete sie. Es war wunderbar warm. Langsam richtete sie sich auf. Vor ihr erstreckte sich ein wundervoller, weißer Strandsand und am Horizont schienen das türkisblaue Wasser den Himmel zu berühren. Verwirrt kniff sie die Augen zu Schlitzen zusammen.
Vorsichtig stand sie auf. Ihre nackten Füße gruben sich in den herrlich feinen, warmen Sand. Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre trockenen, aufgesprungenen Lippen und sie schmeckte Salz.
War das ein Traum? Unsicher atmete sie die frische Luft ein. Eine sanfte Brise zerzauste ihr die Haare. Verdammt, das war ein ziemlich echter Traum! Sie stolperte durch den Sand, ihr schwerer, langer Rock behinderte sie nur. Ihre Füße berührten das klare Wasser. Sie zuckte zurück. Die Nässe und die Wärme fühlten sich erstaunlich real an. Als sie sich umdrehte, sah sie die hohen, riesigen Palmen, die den Strand säumten, und das frische, grüne Gras darunter. Unwillkürlich biss sie sich auf die Zunge.
Sie schmeckte Blut.

 
Sie schmeckte Blut. Sie presste ihre Hand vergeblich auf ihren Bauch, aus dem ihr heißes Blut floß. Schwach stützte sie sich auf ihr Schwert und wankte wie im Sturm. Das passierte, wenn man sich mit Göttern einließ. Göttern?! Wahrscheinlich eher mit dem Teufel! Ihre Kraft reichte nicht mehr aus und sie fiel um. Die Schmerzen ließen sie fast bewusstlos werden. Warum starb sie nicht endlich? Sie hätte niemals gedacht, dass ein Mensch soviel Blut haben könnte und diesmal war es ihres, nicht das ihrer Feinde. Panik überkam sie. Sie wollte nicht sterben! Hilflos lag sie am Boden und beobachtete bewegungsunfähig, wie ein rotes Rinnsal über die Pflastersteine floß und sich mit der Blutlache ihres toten Feindes vermischte. Ironie des Schicksals!, dachte sie sarkastisch und biss gepeinigt die Zähne aufeinander.

Plötzlich kühlte ein angenehmer Luftzug ihre heißen Wangen. Etwas packte ihre Schultern und wälzte sie herum. Auf dem Rücken liegend starrte sie zur Decke. Würde es also doch jemand eigenhändig erledigen. Doch kein Singen eines Schwertes ertönte. Ein blasses Gesicht schob sich vor ihr Blickfeld. Ein wunderschönes...
"Issala?" hauchte ein Echo. Ein Echo? Der Mund des Gesichtes bewegte zu den Worten die Lippen. Alles erschien so dunkel....  "Issala!"
Sie schreckte wieder hoch. Blut rann aus ihrem Mundwinkel. "Issala, hör zu! Wach auf!" Ein schwaches Seufzen kam über ihre Lippen. "Mädchen, du weißt, was du getan hast. Du hast gesiegt. Die Welt ist gerettet, du bist eine Heldin!" Mit laschen Bewegungen versuchte sie, das Gesicht fortzuschieben, aber ihre Arme waren einfach zu schwer. Sie wollte nichts mehr davon hören. "Gott ist dir dankbar. Du hast dein Leben für seins geopfert. Auch wenn man meint, ein Gott könne nicht sterben!" Seine Stimme klang so schön.... und sie wurde immer leiser... Jemand schüttelte sie brutal.
Warum durfte sie nicht einschlafen? Sie war so müde...
Ihre Sicht wurde wieder etwas klarer. Die Gestalt beugte sich tief hinunter zu ihr, sodass seine Lippen fast ihr Ohr berührten. "Issala, du wirst nun von allen bewundert und gefeiert werden! Anerkennung! Das, was du dir immer gewünscht hast! Deine Herkunft spielt keine Rolle mehr. Ich werde dich heilen und mein Gott gewährt dir einen Wunsch. Stirb nicht, Issala! Du wirst erst mit dem Aussprechen des Wunsches geheilt!" Ihre Gedanken bewegten sich zäh wie Sirup. "Issala!" flüsterten die Lippen eindringlich. "Wünsch dir, was immer du willst! Dein sehnlichster Wunsch! Reichtum! Oder die Liebe Gendalathas, wie du es immer wolltest!" Der Schatten eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. Sie konnte nicht mehr sprechen, aber ihr Wunsch formte sich in ihren Gedanken wie von selbst.
Das Gesicht blickte sie verblüfft an. Dann sagte es, wie aus weiter Ferne: "So sei es.
Es wurde dunkel.

Issala starrte auf die Palmen. Dann drehte sie sich um und sah das Meer an. Plötzlich schrie sie laut und glücklich auf, packte ihr Rockende und zerriss den dicken Stoff, sodass er ihr nur noch bis zu den Knien ging. Dann rannte sie ungehindert ins Wasser hinein und genoss jede einzelne Welle, die ihr entgegenschwappte und sie fast umzuwerfen drohte.
Der Engel hatte ihren Wunsch erfüllt! Sie war frei! Keine Verpflichtungen mehr, nicht der Kriegergilde, nicht Gendalathas, nicht dem Volk und nicht mehr Gott gegenüber. Sie schuldete niemandem etwas. Sie war weit weg von all den Leuten, die sie kannte, die sie je gesehen hatten und war an dem friedlichsten Ort, den es gab; dem Ort, den Gott ursprünglich als Paradies erschaffen hatte.
Das war Issalas Wunsch.
 

© Anubis
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