Rache
oder: Warum auch Besiegte siegen können von Arihpas |
Seit drei Tagen schon schwebte Lalec im siebten Himmel. Er hatte schon immer davon geträumt, sich jedoch niemals die Hoffnung gemacht, dass Saradra seine Partnerin wird. Innerlich grinsend dachte er an die ziemlich verblüfften Gesichter der anderen Jungdrachen, als sie ihn und Saradra schmusend auf dem Plateau sahen, auf dem sich gewöhnlich sehr viele Drachen aufhielten. Auch jetzt war er wieder auf den Weg dorthin. Er und Saradra hatten sich für die Jagd getrennt. Er verstand immer noch nicht, wieso sie niemals etwas fressen wollte, das er gejagt hatte. "Ich kann doch nicht einfach deine Beute fressen. Jeder Drache jagt für sich selbst, so ist es immer schon gewesen...", sagte sie dann fast immer. Sie hatten vereinbart, sich nach der Jagd auf dem Plateau zu treffen. Als Lalec dort ankam, sah er, dass dort wieder viele Drachen unterwegs waren. Einige lagen rum, einige trugen Schaukämpfe aus, andere lieferten sich Wettkämpfe aller Art. Besonders das Wettfliegen schien grade in Mode gekommen zu sein. Allerdings beschwerten sich viele der älteren und "behäbigeren" Drachen über diesen "jugendlichen Übermut", besonders seitdem es einen Zusammenstoß gegeben hatte; ein junger Drache wollte einem Weibchen imponieren und ist immer wieder um das Plateau geflogen. Hierbei tauchte er immer wieder hinter dem Rand hinab, sodass er zeitweise nicht zu sehen war. Das wurde ihm zum Verhängnis, als ein ziemlich großer Drache vom Plateau sprang, um auf die Jagd zu gehen. Nach einem kurzen Brüllen saß der ziemlich schwere Drache auf dem kleinen blassgoldenen Wicht... Auch eine Gruppe Jungdrachen war auf dem Plateau. Es waren die ehemaligen Freunde Drancors. Dieser wurde seit seiner Niederlage durch Lalec nur selten gesehen und auch seine "Freunde" schienen sich nicht mehr für den früher so starken Drachen zu interessieren. Eigentlich hatte Lalec gedacht, dass besonders sie ihm nun respektvoller entgegentreten müssten, hatte er doch ihren "Anführer" besiegt. Seitdem kam er sich vor, als wäre er von Tag zu Tag stärker geworden. Mit dem Sieg über Drancor war auch Lalecs Angst vor der Niederlage gewichen. Seit diesem, fast schon schicksalsträchtigen Tag hatte er sich verändert: Er war zwar körperlich immer noch derselbe Drache, aber in seinem Inneren war er anders geworden. Saradra meinte immer "älter und reifer". Vielleicht war es tatsächlich so, aber eine Tatsache war, dass Lalec schon fast jeden Drachen im Zweikampf besiegt hatte. Oder zumindest die, die geglaubt hatten, ihm gewachsen zu sein. Doch mit jedem Sieg, den Lalec errungen hatte, fühlte er sich sicherer und schließlich gab es keinen Jungdrachen mehr, der Lalecs kämpferisches Talent anzweifelte. Jedoch schienen diese wenigen Jungdrachen ihm gegenüber von Tag zu Tag gehässiger zu werden, vielleicht sogar wegen seiner Entwicklung. Vielleicht war es Neid, vielleicht Angst um ihre Stellung, vielleicht auch etwas ganz anderes. Aber das interessierte Lalec nicht sonderlich, ebenso wenig wie das, was er sich häufig von ihnen anhören musste. Lalec war nicht einer dieser Drachen, die immer wegen jeder Kleinigkeit in die Luft gingen (sonst wären die Jungdrachen wohl kaum noch bei so guter Gesundheit...). Er hatte diesbezüglich schon Girdrar um Rat gefragt, einen alten, weisen Drachen. Dieser meinte, die anderen seien lediglich eifersüchtig, denn schließlich habe Lalec ja eines der schönsten Drachenweibchen in der ganzen Gegend erwischt. So verwunderte es ihn nicht, dass sie ihm, als er landete, grinsende Blicke zuwarfen. Irgendetwas war im Gange, das spürte er. Seine Ahnung bestätigte sich, als die fünf Drachen auf ihn zugetrottet kamen. "Und, was läuft so zwischen dir und Saradra?" meinte Blark, der definitiv größte von ihnen. Lalec war verwirrt. Es war kein Geheimnis, dass er und Saradra zusammen lebten. Der schwarze Drache grinste noch breiter. "Du hast sie nicht schon etwa... gestillt?" Einige der Drachen hinter ihm brachen in eine Art Kichern aus. Lalec hätte so etwas ahnen sollen, diese Frage war ihm schon von den verschiedensten Drachen auf unterschiedlichste Weise gestellt worden. Wieso schien das immer jeder von ihm zu erwarten? "Wir sind der Meinung, dass man sich mit so was ruhig Zeit lassen kann", erwiderte er. "Ist das eure Meinung oder hast du bloß Angst, dass sie dich nach einer erbärmlichen Leistung wieder verlässt?" Lalec blickte finster drein. Fast jeder Drache würde auch nur eine Anspielung auf seine Potenz als eine offene Herausforderung ansehen. Auch Lalec wollte grade Blark anbrüllen, als er hinter sich eine vertraute Stimme hörte. "Streitet ihr euch? Wie wäre es mit einem kleinen Kämpfchen? Ihr fünf gegen uns zwei? Hört sich fair an..." Lalec brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass auch Saradra von der Jagd zurückgekommen war. Einige der Drachen wichen zurück. Kaum ein Drache würde gegen ein Weibchen kämpfen, das möglicherweise später seine Partnerin werden könnte. Schon gar nicht, wenn die kämpferischen Fähigkeiten dieses Weibchens weithin bekannt waren. Und absolut nicht, wenn auch noch dessen Partner dabei war. Alle gegen Lalec hätten sie wohl eine Chance gehabt, aber auch noch gegen Saradra? Da würde es Verletzte geben und das nicht unbedingt auf deren Seite... "Wieso Streit? Wir haben uns nur über unsere Jagderfolge unterhalten, nichts weiter. Da fällt mir ein, ich muss meinen ja auch noch ein bisschen ausbauen." Mit diesen Worten verschwand Blark so schnell es ihm seine Flügel erlaubten. Auch die anderen vier Drachen verkrümelten sich unter irgendwelchen halblaut gemurmelten Vorwänden. "Und? Worum ging es diesmal?" fragte Saradra mit ihrer gewohnt fröhlich-sanften Stimme. "Nichts wirklich Wichtiges, das Übliche eben...", meinte Lalec, bemüht seinen immer noch angestauten Zorn nicht hochkochen zu lassen. Saradra sah ich schräg an, beließ es jedoch bei der einen Frage. Als die beiden Drachen zu Lalecs Höhle flogen, an dessen Ausbau dieser hart arbeitete, und sie fern von allen möglichen Mithörern waren, fragte Saradra jedoch noch mal: "Jetzt sag schon, worum ging es?" Lalec war klar, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen würde, ehe sie nicht eine Antwort hätte. "Hmmm... Na gut. Sie haben sich darüber lustig gemacht, dass wir uns noch nicht..." "...gepaart haben?" meinte Saradra. Sie klang belustigt. "Du weißt, dass wir das schon x-mal durchgesprochen haben..." "Du hast ja Recht, ich hätt mich nicht so aufregen dürfen. Ich hätte die Kerle zerfleischt, wärst du nicht gekommen." Nun grinste sie. "Daran zweifel ich nicht..." Während sie so dahinflogen, konnte Lalec wieder einmal nicht umhin, Saradras Fähigkeiten zu bewundern. Abgesehen von ihrer Schönheit, war sie im Kampf eigentlich genauso stark wie er, auch wenn man es ihr nicht ansah. Dazu war sie eine erstklassige Fliegerin. `Und dann ihr Charakter...` Lalec verfiel in seine übliche Schwärmerei, und hätte Saradra ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre er ohne weiteres an seiner Höhle vorbeigeflogen. Wie immer, wenn ihn etwas beunruhigte, fand Lalec nur schwer Schlaf. Er dachte immer noch an das, was Blark gesagt hatte: "...oder hast du bloß Angst, dass sie dich nach einer erbärmlichen Leistung wieder verlässt?" Er wollte nicht, dass sie ihn verließ, das würde er nicht überleben. Und wie immer, wenn er mit sorgenvollen Gedanken einschlief, plagten Lalec auch dieses Mal schlimmste Albträume. Und sie schienen immer damit zu enden, dass sich Saradra von ihm abwandte und zu Blark hinüberging, der Lalec auslachte... Auch am nächsten Tag trennten sich beide auf dem Weg zur Jagd. Ihm war nicht wohl dabei, es war ihm niemals wohl dabei, Saradra davonfliegen zu sehen. Was wäre, wenn ihr etwas passierte, was wäre, wenn sie von irgendeinem Tier oder einem Monster oder einem anderen Drachen angegriffen werden würde. `Ach, sie kann schon auf sich selbst aufpassen!` sagte er sich dann immer und gewöhnlich vertrieb das seine Sorgen soweit, dass er sich auf die Jagd konzentrieren konnte. Doch heute war er unkonzentriert und so war es nicht verwunderlich, dass er mit leerem Magen auf dem Plateau ankam. Er war ziemlich lange auf der Jagd gewesen und so wunderte es ihn, dass Saradra noch nicht hier war. Er fragte einige der anderen Drachen, ob Saradra schon hier gewesen wäre, doch sie verneinten stets. `Sie ist eine exzellente Jägern, sie würde niemals so lange brauchen...` dachte Lalec. Panik kam in ihm auf. Was wäre, wenn ihr tatsächlich etwas zugestoßen ist? So schnell es ihm seine Beine erlaubten, rannte Lalec zum Rand des Plateau, sprang hinunter, glitt nur knapp an zwei wettfliegenden Drachen vorbei und schoss in Richtung Wald. Er wusste, wo Saradra für gewöhnlich jagte. Fast jeder Drache wusste, wo sein Jagdrevier endete und das eines anderen begann. Und wer das nicht wusste, dem wurde es meist schnell klargemacht. Es dauerte ein paar Minuten, bis Lalec an seinem Ziel ankam. Suchend streiften seine Augen über das Grün. Moment! Da war etwas Blaues aufgeblitzt. Pfeilschnell schoss Lalec zur nächstgelegenen Lichtung hinab. Er orientierte sich kurz und stürmte zu der Stelle, wo er das Glitzern gesehen hatte. Es war eine weitere Lichtung, jedoch nicht groß genug, als dass ein Drache darauf landen könnte. Er blickte umher, doch er fand nichts. Plötzlich spürte er in seinen beiden Flügeln einen beißenden Schmerz: Als er sich umsah, sah er zwei Drachenköpfe, die seine Flügel festhielten und straff zogen. Da Drachenflügel meist deutlich länger sind als ihre Hälse, hieß das für Lalec, dass er nun, wollte er sich seine Flügel nicht kaputtreißen, mehr oder minder gefangen war. Er versuchte den einen Drachen in die Schnauze zu beißen, er versuchte den anderen mit seinem Schwanz zu treffen, doch es gelang ihm nicht. Als er sich die beiden genauer ansah, erkannte er, mit wem er es zu tun hatte: Es waren ein dunkelvioletter und ein hellbrauner Drache, zwei von Blarks Freunden. Doch wenn die beiden hier waren und so was wagten... Man hörte ein lautes Knacken, Äste fielen zu Boden. Etwas oder jemand kam aus dem gegenüberliegenden Waldrand hinaus. Zuerst war nur eine schwarze Schlange zu sehen, nein das war ein Schwanz. Ihm folgten Körper und Flügel. Es war Blark. Er schien etwas zu ziehen oder zumindest war sein ganzer Körper gespannt. Dann sah Lalec, mit was er sich abmühte: es war etwas Blaues... Lalec jaulte kurz auf, er hatte sich vor Schreck auf die Zunge gebissen: es war Saradra, die Blark auf die Lichtung zog. Jetzt erkannte er auch, wieso sie das mit sich machen ließ: Blark hing an ihrer Gurgel, die beiden letzten Drachen hingen, wie bei Lalec, auch an Saradras Flügeln. Sie sah verängstigt aus. Allein bei ihrem Anblick begann das Blut in Lalec hochzukochen. Ihm war egal, wenn es ihm sie Flügel abriss, niemand durfte sie so behandeln. Brüllend und den nun folgenden, schneidenden Schmerz ignorierend riss er sich los und wollte auf Blark zustürmen, als er einen weiteren Biss spürte; in seinem Schwanz. Er wirbelte herum, dass er dabei ein paar Bäume fällte, war ihm egal. Es war Drancor. Bevor er reagieren konnte, waren die beiden Drachen wieder heran und packten ihn abermals. Diesmal jedoch nicht an den Enden, sondern an den Ansätzen seiner Flügel. Wieder war er gefangen. Sein Hals war weiterhin zu kurz und sein Schwanz hatte nicht den Freiraum, den er zum Ausholen brauchte. Drancor schritt majestätisch um ihn herum. Lalec folgte seinen Schritten und seltsamerweise ließen es seine "Bewacher" zu, dass er sich wieder zur Lichtung hin umdrehte. "Lange nicht gesehen, Drachchen!" sagte Drancor spöttisch und fegte Lalec seinen Schwanz ins Gesicht. Hätte dieser nicht rechtzeitig sein Maul geschlossen, wäre die Zunge wohl ganz ab gewesen. Trotzdem tat es genug weh einen Schlag mit voller Wucht auf die Schnauze zu bekommen. "Das war für die Demütigung!" Während sich Lalec die Schnauze leckte ging Drancor auf die Lichtung zu. "Aber glaub bloß nicht, das wäre schon alles gewesen, ich hab mir für dich etwas ganz besonderes ausgedacht..." Lalec sah zu Saradra. Sie blickte nun noch verängstigter und versuchte nur noch halbherzig, sich zu befreien. Sie blickte Lalec flehend an. `Wieso schaut sie mich so an? Weiß sie, was Drancor meint?` Blark zog Saradra weiter zur Lichtung hinaus und Drancor näherte sich ihr. "Wenn du ihr auch nur eine Schuppe krümmst, dann..." "...dann was? Willst du mich weiter anbrüllen? Ich werde ihr nicht wehtun, außer es ist notwendig..." Lalec verstand nicht, was Drancor meinte, doch da die anderen Drachen, soweit es trotz der Flügel in ihren Mäulern möglich war, grinsten, schienen es alle außer ihm bereits zu wissen. Drancor baute sich hinter Saradra auf und als er sich aufrichtete und seine beiden Vorderpranken auf Saradras Rücken setzte verstand Lalec, was Drancor vorhatte. Brüllend und tobend riss er sich hin und her. Und wenn es ihm seine Flügel kosten würde, niemand durfte so etwas mit auch nur irgendeinem Drachenweibchen machen und erst recht nicht mit Saradra. Selbst Drancor schien für einen Moment verblüfft und als er sah, dass die beiden Drachen zu Lalecs Seite Probleme hatten, diesen zu halten, bedeutete er den Drachen, die an Saradras Flügeln hingen, zu Lalec zu gehen. Die beiden Drachen an Lalec ließen ebenfalls los und schon sah sich Lalec von vier Drachen umringt. Mit zwei oder vielleicht drei Drachen hätte er es aufnehmen können, aber vier? Das waren zu viele. `Und wenn schon`, dachte Lalec, `wenn ich schon sterben muss, dann für Saradra. Ich könnte sonst nicht mehr mit mir leben...` Mit einem Brüllen schoss er auf den ersten Drachen zu. Es verwunderte ihn nicht, dass er mehrere Bisse in seinen Flanken spürte, doch das war ihm egal. Der Drache, auf den er zukam, versuchte zur Seite auszuweichen, doch Lalec schnappte in seinen Flügel und zog ihn zurück. Dann sprang er, alle Klauen so weit wie möglich ausgestreckt auf den Unhold - "Ich hätte die Kerle zerfleischt, wärst du nicht gekommen". Innerlich grinste Lalec grimmig. War es also doch soweit gekommen... Der Drache brüllte laut auf, als er 16 scharfe Klauen und einen sehr starken Biss in seiner Seite spürte. Lalec stand über, besser gesagt auf ihm und wollte grade in seinen Hals beißen, als ihn etwas am Schwanz zurückzog. Schon gingen zwei Drachen, einer auf jeder Seite, auf Lalec los. Lalec zuckte kurz zusammen, als er ihre Vorderpranken spürte. Er erhaschte einen Blick auf Saradra. Sie sah ihn immer noch so flehend, verängstigt an. Allein das schien ihm schon neue Kraft zu geben. Auch Drancor sah er. Er schien jetzt durch den Kampf abgelenkt, als hätte er sein ursprüngliches Vorhaben völlig vergessen. Lalec wirbelte herum und biss in den nächsten Hals, den er kriegen konnte. Jedoch erwischte er nur einen Schwanz und er sah noch kurz das weit geöffnete Maul des Besitzers, bevor es sich ihm in seinen Hals grub. Die drei Drachen ließen ab und entfernten sich etwas. Lalec stand leicht schwankend in ihrer Mitte. Sein Hals blutete, sogar für drachische Verhältnisse, sehr stark. Einer der Drachen ging zu seinem liegenden Kameraden. Auch dieser war schwer, wenn auch nicht lebensgefährlich verletzt. Lalec wusste, wenn sie ihn tatsächlich töten wollten, dann würde es sein letzter Kampf sein. Vielleicht würde er es ja wenigstens schaffen, sie so zu verletzen, dass sie nicht mehr stark genug wären, um Saradra festzuhalten. Er wollte grade wieder losstürmen, als ihn ein starker Biss zurückzog: Drancor hielt ihn an seinen Schwanz fest. Lalec wirbelte herum. Wenn er grade irgendeinem Drachen etwas antun wollte, dann ihm. Mit Wutgebrüll stürmte er auf Drancor zu, innerlich wohl wissend, dass er keine Chance haben würde. Drancor war nur knapp schwächer, wenn nicht sogar genauso stark wie Lalec. Allerdings war er momentan vollkommen ausgeruht, während Lalec Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten... Als Lalec ihn angriff, wich Drancor immer wieder problemlos aus, bis er die Initiative ergriff und immer stärker nach Lalecs Hals schnappte. Schließlich war Lalec zu sehr aufs Ausweichen fixiert, verhedderte sich mit einer Pranke im Gestrüpp und fiel zu Boden. Genauso wie er einst über Drancor gestanden hatte, stand nun dieser über ihm. Auch er lächelte kühl herab und setze seine Kiefer an Lalecs Hals an. Doch Lalec war sich sicher, dass Drancor ihn töten würde. `Was für eine Ironie`, dachte Lalec. `Ich hätte ihn töten können und weil ich es nicht getan habe, wird er nun mich töten...` Aber wenigstens würde er dem Tod ins Auge blicken. Er würde nicht um Gnade wimmern oder was andere sonst noch in so einer Situation tun würden... "Meinetwegen töte mich", röchelte Lalec, "doch dann lass wenigstens Saradra in Ruhe. Sie hat dir nichts getan. Jetzt hast du doch deine Rache an mir." Drancor löste sein Maul von Lalecs Hals und blickte ihn an. "Meinst du, ich würde dich einfach töten? Du Narr! Du... Drachchen! Weißt du noch? So hast du mich genannt. Sogar nach meiner Niederlage hast du mich weiter gedemütigt. War es denn nicht genug, mich vor allen Drachen bloßgestellt zu haben? Wolltest du mich noch mehr fertigmachen?" "Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre das kein Grund, Saradra so etwas anzutun. Und das weißt du auch." Drancor verstummte. Lalec sah doch noch einen Hoffnungsschimmer. "Hast du ihr in die Augen gesehen? Siehst du nicht, welche Qual sie durch dich erleidet? Nicht nur, dass du ihr denjenigen wegnehmen willst, der ihr am nächsten ist, du willst sie auch noch entehren, sie beschmutzen, sie..." Lalec hob seinen Kopf soweit es ihm gelang. "Willst du so etwas tatsächlich einem Lebewesen antun?" Langsam, kaum bemerkbar, drehte Drancor den Kopf zu Saradra. Sie wimmerte immer noch. Plötzlich stieß Drancor ein wehleidiges Brüllen aus: "Wie konnte ich nur daran denken! Wie kam mir nur so etwas... Abscheuliches in den Sinn!" Bevor er seine Flügel ausfaltete und losflog, wobei er einiges an Baumkronen mit sich riss, meinte Lalec noch eine Träne in Drancors Augen erkennen zu können. "Was hast du mit ihm gemacht?" fuhr ihn eine Stimme an. Es war Blark. Schlagartig wurde Lalec klar, dass er so leise gewesen war, dass nur Drancor ihn gehört hatte. "Egal, was es war. Wenn er nicht den Mumm hat, dich zu töten, dann werde ich es halt tun." Er blickte zu Saradra. "Und danach werde ich mal herausfinden wie es ist... dieses Stillen..." Lalec brüllte abermals oder zumindest versuchte er es, doch seine geschundene Kehle gab nichts weiteres als ein leises Fauchen preis. Er versuchte sich aufzurichten und tatsächlich gelang es ihm, halbwegs wieder auf die Beine zu kommen. "Oh, hast du immer noch nicht genug? Ich muss zugeben, du bist zumindest nicht so schwach, als dass du einfach aufgeben würdest. Dafür könnte ich dich sogar fast schon bewundern." Er hatte sich einige Meter entfernt. "Ich werde dir einen schnellen Tod gönnen. Dass er schmerzlos sein wird, kann ich aber nicht versprechen..." Und mit diesen Worten wirbelte er herum und stürmte auf Lalec zu. Dieser stand immer noch offen da. Er machte nicht einmal den Versuch etwas zu unternehmen, es wäre ohnehin vergeblich gewesen. Plötzlich fiel Lalecs Blick auf die Lichtung: Saradra war verschwunden. Lalec wollte sich wieder zu Blark wenden, da fiel ihm etwas auf: `Wenn er auf mich zugestürmt kam, wieso hat er mich noch nicht erreicht?` Blark lag der Länge nach auf dem Boden. Saradra stand grinsend über ihm und ließ etwas aus dem Maul fallen, was sich als Blarks Schwanz erwies. Anscheinend hatte sie ihn festgehalten und dieser war daraufhin gestürzt. Hätte nicht Lalecs gesamter Körper geschmerzt, so hätte er wohl gelacht. Wieso mussten alle Drachen, die ihn töten wollten, immer stürzen? Ein kurzes Fauchen Saradras ließ ihn realisieren, dass sie ja trotzdem nicht alleine waren. Er schleppte sich an ihre Seite, während sie weiterhin wütend an ihm vorbeifauchte. Als er neben ihr stand und sich umdrehte, sah er, dass sich auch Blark wieder aufgerappelt hatte und nun mit den anderen drei Drachen im Halbkreis um sie herumstanden. "Fünf gegen zwei, auf beiden Seiten ein Drache verwundet. Hört sich auch fair an", sagte Saradra mit einer todernsten Stimme. Blark blinzelte. Das konnte sie doch nicht ernst meinen. Sie und ein Halbtoter gegen ihn und seine Freunde? Doch da fiel ihm Lalecs Haltung auf: Er wankte nicht mehr. Bis auf das Blut, das weiterhin seinen Hals hinunterlief, schien er völlig unversehrt zu sein. Grimmig sah er zu ihnen herüber. Blark hörte ein Knarren hinter sich. Dann ein Knacksen und noch eins und noch eins. Das Geräusch entfernte sich. Saradra grinste. "Hey, kommt zurück! Ich gegen diesen Schlappschwanz? Der hat doch keine Chance!" Sie schüttelte den Kopf. "Typisch Drache! Da will man kämpfen und hat sogar ein paar gleichwertige Gegner gefunden und da rennen sie alle weg..." Erst jetzt begriff Blark, dass die Geräusche seine fliehenden Kameraden gewesen waren. Aber trotzdem: angesichts Lalecs schwächlicher Verfassung, würde er ja wohl noch mit einem Weibchen fertig werden... "Ich mach dir ein Angebot, Weibchen: Du verweigerst dich nicht und ich lasse Lalec dafür unbeschadet gehen." "Oh, ja, natürlich. Natürlich würdest du ihn gehen lassen. Und natürlich werde ich mich dir unterwerfen, oh mächtiger Drache..." Die Ironie war ebenso wenig zu überhören, wie zu übersehen war, dass Saradra kurz davor war einen Lachanfall zu bekommen. "Wie du willst, aber sag nicht, ich hätte dich nicht...", doch weiter kam Blark nicht, denn er lag bereits auf dem Boden; Saradra hatte ihn einfach umgerannt. "Was wolltest du grade sagen?" Blark versuchte grad immer noch seine Gedanken zu ordnen. Sie hatte ihn einfach überwältigt. Ohne, dass er das mitbekommen hatte? "Vielleicht sollte ich dich mal stillen oder besser gesagt, dafür sorgen, dass du dein Maul nie mehr bewegen kannst, damit du mal aufhörst, immer so groß rumzuschwätzen..." Sie setzte ihre Vordertatze auf Blarks Kiefer. "Was meinst du, wie laut wird das knacken?" fragte Saradra mit einem fiesen Grinsen. Allmählich gefiel ihm die Situation gar nicht mehr. Als Drancor ihnen von seinem Racheplan erzählte, war er ziemlich begeistert gewesen. Doch dann brachte Lalec einen seiner Kumpel fast um, Drancor flog auf einmal weg und nun stand oder besser: lag er ganz alleine unter der Pranke eines irrsinnig lächelnden Drachenweibchens. Lalec wollte sich nicht noch einen Todfeind schaffen. Drancor würde ihm sicherlich noch genug Probleme bereiten. "Lass ihn, Saradra, ich glaube, er hat seine Lektion gelernt." Saradra sah beleidigt aus. "Immerhin wollte er mich... Ach egal, dann eben nicht." Zu Blark gewandt fügte sie hinzu: "Hast du ein Glück, dass Lalec immer so nachsichtig ist, sonst hätte ich dich schon zerfleischt..." Als sie sich umdrehen wollte, rutschte sie aus Versehen ab und es knackte ziemlich laut. Blark sprang auf und stieß ein schmerzvolles Jaulen aus: Sein Unterkiefer hing lose herab. "Ups, tut mir jetzt aber Leid. Ist aber auch irgendwie deine Schuld: Du solltest dich vielleicht nicht ganz so oft unter die Pranken von anderen Drachen legen..." Sie grinste. "Jammerschade, dass bei uns Drachen solche Verletzung innerhalb weniger Wochen heilen. Du siehst ziemlich lustig aus..." So schnell er konnte huschte Blark davon, immer wieder zusammenzuckend, wenn ein Ast sein Maul streifte. Bloß schnell weg von dieser Drachin, bevor sie sich noch an anderen Körperteilen vergreift... Lalec lächelte schwach. "War das wirklich nötig?" Saradra sah empört aus. "Lalec, was denkst du von mir. Du hast doch gesehen, ich bin abgerutscht. Ich würde so was doch niemals tun." Sie musste wieder grinsen. Auch Lalec versuchte es, doch zuckte er dabei zusammen und verzog sein Gesicht schmererfüllt. Auch Saradra sah nun nicht mehr so fröhlich aus. "Ist es schlimm? Wie viel Blut hast du denn schon verloren? Hier sind ja überall rote Pfützen. Lalec? Lalec!" Lalec war zusammengebrochen, immer noch ein schwaches Grinsen auf seinem Gesicht. Saradra hörte ein Rauschen. Sie blickte nach oben. Dort kreiste Girdrar. Sie zog Lalec zur Seite, damit der große Drache landen konnte. Als er gelandet war (Saradra sah sich übersäht mit Ästen und Blättern) und seine Flügel angelegt hatte, sprach er: "Was ist denn hier passiert? Ein brauner Jungdrache kam zu mir und meinte, hier würde einer seiner Freunde verletzt liegen." Er schaute sich um. Als er Lalec sah, zuckte er zusammen. "Lalec! Was hast du den nun schon wieder angestellt? Kannst du noch etwas bei ihm bleiben? Ich hole Irdrun, ich bin zu schwach, als dass ich Lalec alleine wegtragen könnte. Gibt es sonst noch Verletzte oder habt ihr sogar jemanden umgebracht bei dem vielen Blut?" Saradras Augen huschten für einen Moment zu dem Drachen, der, vor Girdrar verborgen, hinter einem Busch lag. "Nein, niemand wichtiges ist noch verletzt..." "Na gut, ich fliege dann wieder los. Versuch inzwischen herauszufinden, wie tief die Wunde ist..." Schon hob der mächtige Drache wieder ab. Saradra lächelte. Wie schaffte es Lalec bloß immer, sich in solche Situationen zu bringen? Immer verhielt er sich wie ein kleines Drachchen... Sie leckte ihm zärtlich über die Schnauze. Aber war das nicht der Grund, weshalb sie ihn so sehr mochte? Sie legte sich neben ihn. Er würde überleben, darum machte sie sich keine Sorgen. Doch was würde wohl mit Drancor passieren? `Eigentlich`, dachte sie, `müsste ich ja sauer auf ihn sein, aber irgendwie empfinde ich nur Mitleid. Naja, vielleicht werden wir uns ja irgendwann irgendwo wieder begegnen...` © Arihpas
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