Unheimliches Geflüster von Ayashi

 Inzwischen war ich 23 Jahre alt und meine Lehrzeit war beendet. Nun war ich endlich vollwertiges Mitglied in der Gilde und besaß nunmehr bei weitem mehr Rechte und konnte endlich Aufträge ausführen. Mein erster sollte auch nicht zu lange auf sich warten lassen.

 Es war Winter, doch seit Jahren hatte Winterfall keinen so schlimmen Winter mehr erlebt. Es stürmte und der Wind war eiskalt, dass fast niemand sich mehr auf die Straße traute. Schon einigen sturen Händlern, die trotz der Kälte reisen wollten, um ihre Waren an den Mann zu bringen, waren Pferde unterwegs erfroren.
 Soveliss, mein Mentor, hatte mich zu sich rufen lassen und aufgeregt war ich zu ihm geeilt - dies konnte nur eines bedeuten: mein erster Auftrag erwartete mich!
 Mit ernstem Gesicht blickte Soveliss mich an, als ich zu ihm in seinen Arbeitsraum trat. Langsam setzte ich mich auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch und erwartete seine Befehle.
 "Nun, Seraphina. Deine Ausbildung ist ja inzwischen beendet und wir sind sehr froh über deine Entwicklung. Nun, da du ein vollwertiges Mitglied der Gilde bist und auch deinen Eid auf unseren Kodex geschworen hast, kann ich dir ja jetzt einen Auftrag zuteilen."
 Gespannt verfolgte ich seine Befehle und Erklärungen.
 "Also, vor kurzem ist hier in der Stadt ein Dieb aufgetaucht, der keiner Gilde anzugehören scheint. Er nannte sich Keller und benahm sich in den ersten Tagen wenig auffällig. Doch vor drei Nächten ist er in das Haus einer wohlhabenden Familie eingebrochen und hat einen äußerst wertvollen Familienring gestohlen. Die Familie hat uns daraufhin kontaktiert und uns gebeten diesen Ring wieder zu finden. Die Mittel und Wege sind ihnen egal, das was für sie zählt, ist, dass sie den Ring so schnell wie möglich wieder ihr Eigen nennen können. Wir vermuten, dass der Dieb inzwischen über alle Berge ist, denn hier in der Stadt haben unsere Informanten ihn nicht ausfindig machen können. Heute morgen hat sich eine Gruppe Jäger in den Timberway-Wald, der sich südlich von dieser Stadt befindet, aufgemacht. Dieser Wald liegt ungefähr fünf Tagesreisen zu Pferde von hier entfernt, doch der Wald ist seltsam und ohne einen Führer würde ich dir nicht raten, dorthin aufzubrechen. So, das wäre eigentlich alles, was wir wissen. Wenn du noch eine Frage hast?"
 "Ja, kennt Ihr keinen Führer für den Wald?"
 "Nein, tut mir leid. Aber ich habe gehört, dass sich hier in der Stadt eine Druidin aufhalten soll. Vielleicht ist sie bereit, sich dir anzuschließen."
 "Danke. Ich werde Euch nicht enttäuschen." Mit diesen Worten stand ich auf, verbeugte mich vor ihm und verließ sein Zimmer.
 Ich beschloss zuerst mehr Informationen zu besorgen und mich dann erst nach der Druidin zu erkundigen.

 Es war leicht, meine alten Freunde zu finden, sie hielten sich noch immer an der gleichen Stelle auf, wo wir uns früher immer trafen um die Beute zu teilen und zu schlafen.
Sie konnten mir auch nicht viel weiterhelfen. Fredrik wusste nur zu berichten, dass Keller sich womöglich unter den fünf Jägern befand, die in den Timberway-Wald aufgebrochen waren um die legendären Timberway Löwen zu jagen. Zur Druidin konnten sie mir aber mehr berichten. Sie war vor ein paar Tagen hier in die Stadt in Begleitung eines Paladins gekommen, der jedoch sich entschlossen hatte eine Händlerkarawane über den Pass zu begleiten.
 Ich bedankte mich bei ihnen und gab ihnen zwei Silbermünzen und versprach bald mit mehr Geld wiederzukommen, damit sie die jüngeren über die Runden bringen könnten.
 Heute war Dienstag und folglich fand ein Markt statt. Ich vermutete, dass die Druidin sich auch wohl dort aufhalten würde, denn die meisten Menschen waren zu dieser Zeit auf dem Markt.
 Auf dem Markt war viel los, obwohl es eiskalt draußen war. In dicke Pelze und wärmende Wollkleidung gehüllt standen die Händler hinter den Ständen und versuchten ihre Ware zu verkaufen. Dichtes Gedränge herrschte zwischen den Ständen, doch trotz der vielen Leute konnte ich sofort die Druidin entdecken: Vor einem Stand mit Decken und Pelzen stand ein hoch gewachsenes Pferd hinter einer Halbelfe.
 Zielstrebig steuerte ich auf sie zu und am Stand tat ich so, als wollte auch ich ein paar Decken ersteigern, so wie die Druidin. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich sie, wie sie gerade mit dem Händler um eine Decke feilschte. Dieser wollte sie für ein Goldstück an die junge Frau verkaufen, doch stellte ich mit einem Blick fest, dass es doch etwas überteuert war und unterbrach sie.
 "Entschuldigt, junge Frau, dass ich mich einmische. Aber sagtet ihr gerade, dass ihr diese Decke für ein Goldstück kaufen möchtet?"
 "Ja, das habe ich." Verwundert blickte sie mich an.
 "Nun, ich muss sagen, dass diese Decke aber nicht so viel Wert ist. Schaut mal, hier an dieser Stelle ist sie schlecht verarbeitet und dort fehlen ein paar Büschel Haare..."
 "Nun, die Halblingsfrau hat Recht. Vermutlich war der Preis etwas zu hoch. Sagen wir, acht Silberstücke? Ist das in Ordnung?" Der Händler war erbleicht und bemühte sich den Preis nicht zu sehr senken zu lassen.
 Fragend blickte mich die Druidin an und ich nickte zustimmend. Acht Silbermünzen schienen mir schon angemessener. Der Händler schien erleichtert, dass ich den Preis nicht noch senken wollte und war mit seinem Handel zufrieden.
 Ich kaufte mir auch einen warmen Umhang, um mich vor der Kälte während dieser Reise zu schützen und der Händler machte mir auch einen sehr guten Preis, er war wohl nicht mehr darauf erpicht mich übers Ohr zu hauen.
 "Danke, dass Ihr mir geholfen habt." Die Druidin lächelte zu mir hinunter.
 "Es ist nicht der Rede wert, werte ...?"
 "Ach, wie dumm von mir. Entschuldigung. Man nennt mich Vadania und ich bin eine Hüterin der Natur."
 "Sehr erfreut, Vadania. Ich bin Seraphina. Dürfte ich Euch wohl eine Frage stellen?"
 "Gewiss!"
 "Was habt ihr mit dieser Decke und dem Umhang vor? Wollt ihr etwa von hier weiterreisen? Verzeiht, wenn das etwas belehrend wirken sollte, doch müsst ihr doch wissen, dass es heutzutage sehr gefährlich ist allein zu reisen. Die Kälte sowie die ausgehungerten Tiere stellen eine große Gefahr dar."
 "Da habt ihr Recht, aber ich MUSS einfach reisen." Ihre Stirn umwölkte sich und ihr eigentlich schönes Gesicht drückte Wut aus. "Da hinten, auf dem Markt, steht ein Händler und wagt es die Pelze der Timberway Löwen zu verkaufen. Obwohl diese Rasse sehr gefährdet ist und seit Jahren kein Mensch mehr einen lebendigen gesehen hat. Ich muss diesem Treiben ein Ende bereiten. Deshalb werde ich so schnell wie möglich in den Wald reisen und die Jäger suchen, die diesen Handel ermöglichen!!!"
 Was für ein Zufall! Die Druidin schickte sich an, an den gleichen Ort zu reisen wie ich. Zudem ließen sich unsere Motive gut miteinander kombinieren. Folglich zögerte ich nicht lange.
 "So? Nun, dies ist nicht gerade ein ungefährliches Unterfangen, doch wenn ihr wollt, kann ich euch begleiten. Zwei Paar Augen sehen mehr, als nur eines, und besser geschützt würden wir dann auch reisen. Außerdem wollte ich auch in diese Richtung reisen. Ich wollte einen 'Freund', der zum Wald gereist ist, besuchen, denn ich habe ihn um ein paar Tage verpasst."
 "Ja, das wäre eine ausgezeichnete Idee! Wann wollt ihr aufbrechen?"
 "Nun, so schnell wie möglich. Sein Vorsprung beträgt schon ein paar Tage und diese Wetterbedingungen tragen nicht gerade dazu bei, dass ich ihn schnell werde einholen können."
 "Gut."
 "Wir sollten uns dann auch mit der richtigen Ausrüstung und Verpflegung versorgen, bevor wir aufbrechen. In dieser Jahreszeit wird es schwer sein, entlang der Straßen viel Essbares aufzutreiben.", meinte ich.
 Gesagt, getan. Gemeinsam schlenderten wir noch über den Markt, um das Nötige einzukaufen: eine Öllampe samt Fläschchen mit Öl zum Nachfüllen, haltbares Fleisch, Wasserflaschen, einen kleinen Kessel um den Schnee zu schmelzen...

 Am frühen Nachmittag ging es dann los. Vadania besaß eine schneeweiße Stute, die stark genug war, eine Elfenfrau sowie einen Halbling gleichzeitig auf dem Rücken tragen zu können. Zudem hatten wir eine Decke über sie gebreitet, um auch sie vor der Kälte zu schützen.
 Die ersten paar Tage vergingen ereignislos und wir begegneten keiner Menschenseele unterwegs. Wie ich vermutet hatte, wagten sich nur die Verrücktesten und Tollkühnsten jetzt noch auf Reisen.
 Am Abend des dritten Tages schlugen wir unser Lager am Rande eines in Schnee gehüllten Waldes auf. Der Mondschein ließ den Schnee glitzern und eine wohltuende Stille umgab uns.
 Es war an mir die Wache zu schieben und zitternd saß ich in meine Decke gehüllt nahe bei unserem kleinen Lagerfeuer. Plötzlich vernahm ich ein leises Geräusch und angestrengt spähte ich in den Wald und um unser Lager. Da! Ich konnte gerade noch einen großen Schatten ausmachen, der sich uns näherte. Gemächlich stand ich auf, öffnete die Zeltklappe und weckte Vadania: "Da draußen lauert irgendetwas. Komm lieber mal hervor!"
 Schnell hatte sie sich ihre Waffen geschnappt und stand wenig später neben mir am Feuer und beobachtete aufmerksam die Umgebung.
 Wie aus dem Nichts tauchte auf einmal ein riesiger weißer Winterwolf auf und fletschte hungrig die Zähne. Er war gänzlich abgemagert und man konnte schon seine Rippen zählen.
 Der Winterwolf stieß seinen Eishauch aus und durch die eisige Kälte erlosch unser Feuer und Vadania wurde getroffen. Eistropfen bildeten sich auf ihrer Kleidung, doch konnte ich mit einem Satz dem Hauch geschickt ausweichen.
 Wir kämpften hart und versuchten den Wolf aufzuhalten. Vadania war sogar bereit unsere Essensvorräte mit diesem abgrundtief bösen Tier zu teilen, doch er wehrte alle Versuche ab, mit uns zu kommunizieren.
 So entschloss ich mich, ihn anzugreifen und mich nicht nur zu verteidigen. Mit einem gezielten Hieb meines Kurzschwertes konnte ich dieses in seine Seite stoßen und der Winterwolf jaulte auf.
 Eingeschüchtert trat er die Flucht an. Vadania wollte ihm hinterher eilen um ihn zu heilen, doch konnte ich sie von diesem Vorhaben abbringen: "Wenn du das tust, wird er dich wahrscheinlich zu seinem Rudel führen und dann kannst du ja wieder versuchen sie zu überreden dich nicht anzugreifen!"
 Resigniert gab sie ihre Idee auf und legte sich wieder schlafen.

 Am nächsten Tag kamen wir in eine kleine Ansammlung von Hütten, das letzte besiedelte Fleckchen Erde, das wir womöglich finden würden, bevor wir in den Wald eindringen würden, der nur noch einen Tagesritt entfernt war.
 Die Bewohner begrüßten uns freundlich, boten uns etwas zu trinken im Austausch von Neuigkeiten an. Dankbar nahmen wir an und man führte uns in eine kleine Schenke.
 Alle Bewohner drängten sich um unseren Tisch um unseren Geschichten zu lauschen. Man schenkte uns großzügig Ale aus.
 Einer der Bewohner konnte uns mit nützlichen Informationen über die Jäger versorgen: "Ja, vor fünf Tagen kam eine Gruppe Jäger in unserem Dorf vorbei. Sie wollten in den Timberway-Wald, um dort die legendären Löwen zu jagen. Außerdem wollten sie dem Waldläufer Aeron und seinen Leuten einen Besuch abstatten", antwortete er mir, als ich mich nach Keller und den Jägern erkundete.
 "Aeron?", fragend schaute Vadania ihn an.
 "Ja, Aeron. Er ist ein Waldläufer, der sich vor Jahren im Wald selbst niedergelassen hat. Er wohnt in der Blausteinhütte, mitten im Wald. Er und seine Gefolgschaft wollten reich werden, indem sie die Pelze der Timberway Löwen an Händler verkaufen wollten. Doch seit langem haben wir niemanden mehr von ihnen gesehen."
 "Wo liegt denn diese Blausteinhütte?" Interessiert lauschte ich seinen Ausführungen.
 "Nun, die Hütte liegt ungefähr 70 Meilen vom Waldrand entfernt. Es gibt ein paar Pfade, die dorthin führen, doch nur ein erfahrener Waldläufer wird diesen Pfaden folgen können."
 Abends wurden wir in einer Hütte untergebracht und am nächsten Tag wollten wir uns noch mit frischen Nahrungsmitteln und Proviant eindecken, bevor wir uns in den Wald begaben.

 Wir erreichten problemlos den Wald und rasteten am Rande, bevor wir am nächsten Tag in ihn eindringen wollten.
 Wir beschlossen, dass Vadania als Führerin vorgehen sollte und uns an den Pfaden entlang zur Blausteinhütte bringen sollte. Während des Marsches sollte sie zudem noch nach essbaren Knollen, Pflanzen, Wurzeln... Ausschau halten, damit wir unsere Vorräte nicht zu schnell aufbrauchen müssten.
 Die ersten beiden Tage verliefen ereignislos. Niemand begegnete uns im Wald und wir hatten, Yondalla sei Dank, auch die Pfade gefunden und konnten ihnen mühelos folgen. Es war ein ziemlich dicht bewachsener Wald und Laubbäume wechselten sich in gleichmäßigen Abständen mit Tannen, Fichten und Kiefern. Gestrüpp, Hecken und hohe Gräser und Farne erschwerten zusätzlich das Weiterkommen. Doch wir ließen uns durch nichts beirren und ich folgte Vadania.
 Am dritten Tage, an dem wir uns im Wald aufhielten, geschah es. Vadania benahm sich plötzlich seltsam. Immerzu fasste sie sich an den Kopf, schüttelte sich und blickte gehetzt um sich herum. Langsam bildete sich Schweiß auf ihrer Stirn trotz der wahnsinnigen Kälte und verwundert betrachtete ich diese Veränderung.
 "Ich habe Angst. Da ist etwas. Es verfolgt mich. Es erschreckt mich. Ich will hier weg! Es ist etwas Böses hier im Wald. Ich will RAUS!" schrie Vadania nach ein paar Stunden urplötzlich.
 Erschrocken starrte ich sie an. Sie zitterte am ganzen Körper und ihre Augen hatten einen wirren Eindruck. Schweiß lief in kleinen Rinnsälen an ihr herunter und ihre Bewegungen waren ganz und gar nicht mehr kontrolliert.
 Besorgt nahm ich sie in den Arm und schlug vor umzukehren. Vielleicht würde es besser werden, wenn wir nicht mehr weiter vordringen würden.
 Doch es kam, wie es kommen musste. Vadania war so durcheinander und unzurechnungsfähig durch ihre Paranoia geworden, dass es nicht lange dauerte und sie den Weg verloren hatte, der uns in den Wald hinein geführt hatte.
 Unsicher schlug ich vor, eine Rast einzulegen, damit sie sich ausruhen könne. Was sollte ich nur tun? Meine Fähigkeiten lagen beim Anschleichen, Beobachten... doch hier im Wald, konnte ich nur wenig tun.
 Während ich nach einer Lösung suchte, bemerkte ich, dass Vadania von ihrem Lager aufgesprungen war und Anstalten machte wegzulaufen. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten. Schweißnass hielt ich sie in den Händen und sie stöhnte nur noch: "Ich will hier weg! Sofort! Etwas ist da, es wartet auf mich!"
 Schnell packten wir wieder unsere Sachen und versuchten einen Weg aus dem Wald zu finden. Ich schlug vor weiterzugehen und sobald es schlimmer wurde, einfach eine andere Richtung einzuschlagen. Doch egal in welche Richtung wir marschierten, besser wurde es nicht.
 Auf einmal bemerkte ich, dass ihr Atem sich langsam beruhigte und auch ihr Blick wurde wieder klarer.
 "Es ist vorbei!" Erleichtert grinste sie mich schief an und ich schloss sie in die Arme und drückte sie fest.
 "Das freut mich zu hören. Dann kannst du ja jetzt versuchen den Weg zurück zu den Pfaden zu finden."
 Während wir versuchten unseren Weg zurück zu verfolgen, hörte Vadania plötzlich ein Hecheln, das sich uns näherte. Beunruhigt warnte sie mich und auf alles Mögliche gefasst ließen wir unsere Blicke um uns herum schweifen.
 Vor uns bemerkte ich Schatten, die sich uns sehr schnell näherten, während das Hecheln immer lauter wurde.
 Plötzlich durchbrachen zwei Goblins, die auf Worgs ritten, das Dickicht und standen vor uns. Ohne zu zögern stürzten sie sich auf uns. Vadanias weiße Stute half uns und versuchte mit ihrem Gewicht einen Goblin und sein Reittier umzuwerfen. Vadania bekämpfte inzwischen mit ihrem Krummsäbel den anderen Goblin. Derweil schoss ich aus sicherer Entfernung Steine aus meiner Schleuder ab.
 Der Kampf dauerte nicht lange. Wenig später lagen ein toter Goblin sowie zwei tote Worgs vor uns. Der andere Goblin hatte klugerweise bemerkt, dass er unterlegen war und hatte schnellstmöglich das Weite gesucht.
 Während Vadania sich um die Verletzungen kümmerte und mit ihren Zaubersprüchen uns heilte, durchsuchte ich die drei Leichen. Außer ihrer Ausrüstung fand ich noch etwas Gold und einen Sack mit Nüssen.
 Nach diesem Kampf beschlossen wir eine Rast einzulegen, damit wir unsere Kräfte wieder sammeln könnten. Da Vadania den ganzen Tag über so unter Spannung und Angst stand, nahm ich die erste Wache auf mich, damit sie sich ausruhen könnte.
 Doch es dauerte nicht lange, da überkam mich diese seltsame Angst. Stets hatte ich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde und jemand sich an mich heranschleicht um mich mit einem 'Buh!' zu erschrecken. Gehetzt warf ich den Kopf hin und her um den Wald um mich beobachten zu können. Ein Zittern erfasste meinen Körper und ich war nicht mehr imstande länger an diesem Platz zu verweilen.
 Diese Angst, die meinen Körper beherrschte, bereitete mir nur noch mehr Angst und mit unsicherer Stimme weckte ich Vadania. Mit noch verschlafenen Augen blickte sie mich an, doch sofort bemerkte sie meinen Zustand. Erschrocken sprang sie auf.
 "Wir reisen sofort weiter!"
 Schnell packten wir wieder unsere Sachen ein und hundemüde machten wir uns wieder auf den Weg, in den Wald hinein. Wir vermuteten, dass wir nur dort etwas gegen diese Panikanfälle unternehmen könnten.
 
 Später, mitten in der Nacht erblickten wir mitten im Wald einen humanoid-ähnlichen  Schatten, der an einen Baum gelehnt saß.
 Vorsichtig näherten wir uns dieser Person, doch stellten wir fest, dass diese inzwischen komplett erfroren war. Zudem trug sie an der rechten Schulter eine tiefe hässliche Wunde, welche verbunden worden war, doch jemand hatte versucht mit aller Kraft diesen Verband abzunehmen. Bei näherem Hinsehen konnten wir entdecken, dass er es selbst getan haben musste, denn an seinen Händen war getrocknetes Blut sowie Fetzen des Verbandes.
 Ich musste mich zusammenreißen, damit ich diese Leiche durchsuchen konnte. Vielleicht konnten wir einen Hinweis finden, was diese Angst verursacht?
 Und wirklich! Ich konnte in einer seiner Taschen ein kleines in Leder gebundenes Buch entdecken. Vorsichtig nahm ich es in meine Hände und untersuchte es. Es war noch in einem anständigen Zustand und man konnte teilweise noch lesen, was darin stand.
 Es war sein Tagebuch und ich blätterte durch es, bis ich auf Einträge stieß, die uns interessierten. Das Datum betrug die letzten paar Tage.
 Endlich sind wir in diesem Wald angekommen. Es ist eiskalt und ich bin froh, wenn wir diese Blausteinhütte finden, damit ich mich am Feuer wieder aufwärmen kann...
 Es scheint als sei dieser Wald verflucht. Immer derjenige, der uns anführt wird von einer unnatürlichen Angst befallen, so dass er nicht mehr imstande ist, uns zu führen. Doch auch das Wechseln des Anführers bringt nichts, denn dann wird diese neue Person paranoid...
 Heute wurden wir von einem riesigen, schrecklichen Monster angegriffen. Es hatte lange Klauen und jagte uns fürchterliche Angst ein. Doch obwohl wir ihm unterlegen waren, verschwand es schnell wieder...
 Wir haben die Blausteinhütte gefunden, doch sie scheint unbewohnt. Es riecht muffig hier und Staub liegt überall. Vor der Hütte griff uns dieses Monster wieder an und diesmal wurde Keller verwundet. Ich frage mich sowieso, was er hier mit uns machen will. Mir scheint es nicht so, als wäre er sehr an den Fellen der Wölfe interessiert...
 Wir beschlossen in der Hütte unser Lager aufzuschlagen. Kellers Wunde ist hässlich und wir verbanden sie sofort. Viel Blut trat aus und wir fragen uns, ob er dies überleben wird...
 Irgendwas passiert mit Keller. Ein seltsam tierischer Ausdruck tritt ab und zu in sein Gesicht. Außerdem benimmt er sich immer seltsamer...
 Das war der letzte Eintrag ins Tagebuch. Mit leiser Stimme hatte ich Vadania dies vorgelesen und nun stand sie nachdenklich da.
 "Ich weiß es jetzt! Ich weiß jetzt was diese Angst verursacht! Ein Vendigo! Dies ist die dunkle böse Seite der Natur. Meistens wird sie in einem Tier erwacht, das wie in einem solchen Winter extremen Hunger leidet. Mit einem Biss überträg es den Fluch und man verwandelt sich selbst in einen Vendigo."
 "Wie finden wir ihn denn?"
 "Nun, ich denke, das wird nicht nötig sein, denn er wird uns finden! Am besten suchen auch wir weiter nach der Blausteinhütte."
 Zuversichtlicher und mutiger setzten wir unseren Weg fort. Das Glück war uns hold, denn wir wurden von weiteren solchen Panikattacken verschont. Es dauerte auch nicht mehr lange und endlich erreichten wir die Blausteinhütte.
 Die Hütte stand auf einer Lichtung, umgeben von einer Felswand, die blau schimmerte. Eine Blutspur im Schnee führte zur Hütte und dort durch die offen stehende Tür hinein. Alle Fenster waren verbarrikadiert und aus dem Kamin stieg kein Rauch auf.
 "Das riecht aber verdächtig nach einer Falle!", bemerkte ich. "Wir sollten wohl besser, bevor wir hinein gehen, einmal ums Haus herum schleichen, und versuchen herauszufinden, ob sich jemand dort aufhält."
 Zustimmend nickte Vadania und so setzten wir unseren Plan in die Tat um. Vadania stellte ihr Pferd in den Schatten der Bäume und dann schlichen wir zur Hütte. Sie versuchte rechts herum zu schleichen, doch es wollte ihr nicht gelingen, denn ich hörte auf der linken Seite, wie von ihrer Seite her Äste zertreten wurde. Ärgerlich runzelte ich die Stirn. Den Überraschungsmoment konnten wir wohl jetzt abschreiben, doch da hörte ich, wie sich etwas in der Hütte regte.
 Schnell beendete ich meinen Rundgang und traf hinter dem Haus auf Vadania, die mich schuldbewusst anblickte.
 "Nun, irgendjemand hat sich darin gerührt, als du auf die Äste getreten bist. Ich denke, uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als in die Hütte zu gehen."
 "Wie du meinst."
 Schnell huschten wir zur offen stehenden Eingangstür und traten in den Raum ein. Im Raum standen fünf Betten, die jedoch total durchwühlt waren. Überall an den Mauern, an den Einrichtungsgegenständen klebten Blutspritzer. Zwei Komposit-Langbögen lagen umher, sowie zerbrochene Pfeile und ein Köcher, der noch einige davon beinhaltet. Erst als ich den Raum genauer in Augenschein nahm und nach Hinweisen suchte, die mir verraten könnten, was hier geschehen ist, bemerkte ich, dass ungefähr drei Leichen in diesem Chaos verborgen waren. Wir hatten sie nicht zuvor entdeckt, da man schwerlich von Leichen sprechen konnte, sondern die Bezeichnung Leichenfetzen wohl zutreffender war. Die Gliedmaßen waren vom Rumpf ausgerissen, teilweise zerschmettert und angefressen worden.
 In einer Kiste, welche in einer Ecke stand und nur wenig mitgenommen worden war, fanden wir drei Pelze der Timberway-Löwen. Sofort nahm Vadania sie an sich und weinte ein paar lautlose Tränen.
 An der linken Mauer befand sich eine Holztür. Auf Zehenspitzen schlich ich dorthin und lauschte an der Tür, konnte jedoch nichts Verdächtiges hören. Ich untersuchte diese noch nach einer Falle, aber da ich keine finden konnte, winkte ich Vadania zu mir.
 Sie zögerte auch nicht lange, sondern stürmte an mir vorbei, riss die Tür auf und stürmte in den Raum.
 Kein Licht erhellte den Raum und erst nach ein paar Augenblicken vermochte Vadania eine humanoide Gestalt auszumachen. Sie hockte auf einer Kiste und blickte mit einem wirren Blick um sich. Die Person war gänzlich abgemagert und schon wollte Vadania auf ihn zu eilen, um ihm Trost und Schutz zu spenden, als sie die langen, spitzen Fangzähne bemerkte. Noch rechtzeitig konnte sie ihren Impuls unterdrücken und die Person griff uns ohne ein Wort von sich zu geben an.
 Der Zustand des Angreifers war so schlecht, dass er keine wirkliche Gefahr für uns darstellte und mit ein paar Hieben hatten wir ihn auch schon getötet.
 Als er tot zu Boden sank, eilte ich auch schon zu ihm um ihn zu untersuchen. Wir entdeckten eine riesige Bisswunde an seiner Schulter, so dass wir annahmen, es sei Keller. Den Ring, den ich wenig später bei ihm fand, bestätigte unsere Vermutung und zufrieden steckte ich ihn ein. Der Auftrag war erfüllt!
 Zudem machten wir noch eine grausige Entdeckung. Einige Fleischreste lagen im Raum, in dem Keller sich versteckt hatte, sowie kleine Reste waren an seiner Kleidung und Fingern festgefroren, so dass wir daraus schließen mussten, dass er seine drei restlichen Begleiter gefressen hatte.
 Da es nichts mehr hier zu finden gab, beschlossen wir uns auf den Rückweg zu machen. Vadania hatte die Jäger zwar nicht aufhalten können, doch da sie tot waren, stellten sie wohl keine Gefahr mehr dar und ich hatte den gesuchten Ring gefunden.
 
 Wir hatten uns noch nicht allzu weit von der Hütte entfernt, als wir beide von dieser unheimlichen Angst überfallen wurden, da wir beschlossen hatten, nebeneinander zu gehen.
Schnell wurde die Angst immer ausgeprägter und machte uns so unsicher und paranoid, dass wir die Orientierung verloren. Es gelang uns jedoch, den Norden ausfindig zu machen und so versuchten wir unser Glück, indem wir einfach westlich marschierten, da wir wussten, dass dort das kleine Dorf, in dem wir gerastet hatten, bevor wir uns in den Wald hineingewagt hatten.
 Urplötzlich, völlig überraschend wurde ich von einem Pfeil getroffen, den jemand abgeschossen haben musste, der sich über mir befand. Ich schrie vor Schreck auf und beide blickten wir nach oben.
 Ein seltsames Monster flog dort und knurrte uns an. Es war eine Mischung zwischen Mensch und Löwe. Wir konnten seine dunkle, böse Aura sehr gut verspüren. Seine Augen waren so durchdringend, dass man das Gefühl hatte, man würde aufgezehrt werden, wenn man sie lange genug anblickte. Er hatte feenartige, dunkle Flügel und einen Langbogen in einer Hand.
 Im Sturzflug griff er uns an und landete dann neben Vadania. Zähnefletschend griff er uns an und ein heftiger Kampf entfachte. Vadanias Pferd gelang es, diesen Vendigo umzuwerfen und ihn am Boden zu halten, so dass wir problemlos auf ihn einschlagen konnten, doch unsere Treffer richteten nur wenig Schaden an. Meistens schlossen sich die Wunden schon nach ein paar Sekunden wieder.
 Es kam, wie es kommen musste. Vadanias Pferd wurde vom Vendigo umgeworfen und gebissen. Es fiel um, und das Blut strömte nur so aus der Wunde, doch noch lebte es. Verzweifelt versuchten wir dem Vendigo den entscheidenden Schlag zu geben, doch immer mehr drängte er uns in die Defensive.
 Schließlich biss er auch noch mich und erstaunlicherweise verschwand er wenig später.
 Aufatmend heilte Vadania unsere Wunden, so gut sie es noch vermochte und verbrauchte ihre letzten Zauber dafür.
 Wir beschlossen so schnell wie möglich den Wald zu verlassen und nur, wenn wir nicht mehr weiterkönnten, eine Rast einzulegen.

 So vergingen ein paar Tage. Immer wieder griff der Vendigo uns an, doch schien er nicht darauf aus zu sein, uns zu töten. Außerdem griff er nicht wieder Vadanias Pferd und mich an, sondern konzentrierte seine Angriffe auf Vadania. Aber es gelang uns jedes Mal, den Vendigo in die Flucht zu schlagen.
 Unterwegs jedoch bemerkten wir eine Veränderung bei der Stute und mir. Wir wurden immer hungriger, waren kaum mehr zu sättigen und immer öfters trat ein wilder und wirrer Blick in unser Gesicht.
 Vadania, ahnend was mit uns geschah, drängte uns immer schneller weiterzugehen, um im Dorf Hilfe für uns zu erbitten. Ein Priester oder Kleriker, das war unsere einzige Chance, nicht selbst zu einem Vendigo zu werden.
 
 Wir hatten unheimliches Glück. Wir gelangten rechtzeitig ins Dorf und ein Kleriker auf der Durchreise heilte uns auch von unserem Fluch. So konnten wir unsere Reise fortsetzen um zurück nach Winterfall zu gelangen.
 
 Einige Tage später erreichten wir erschöpft, aber lebendig und bei vollem Bewusstsein die Stadttore. Müde eilte ich sofort zu meinem Meister Soveliss um ihm vom glücklichen Ende meiner Mission zu berichten und stolz nahm ich meine 500 Goldstücke in Empfang. Ganz zufrieden lachte mich mein Mentor an und sagte, er habe zwar darauf vertraut, dass ich seine Erwartungen erfüllen würde, doch dass ich so schnell zurück kehren würde, damit hatte er nicht gerechnet.
 Zufrieden machte ich mich auf zu meiner Bande um Neuigkeiten der Stadt zu erfahren. Wie schon so oft, gab ich Tarun 25 Goldstücke, damit er diese nutzte, um Nahrung, Decken und sonstige nützliche Dinge zu kaufen. Alle waren froh mich zu sehen und versprachen mir, mich weiterhin mit Gerüchten und Informationen zu versorgen.
 Danach machte ich mich auf den Weg zu Vadania. Wir hatten noch einiges an Gegenständen, die wir gefunden hatten, zu verkaufen. Ich führte sie zu ehrlichen Händlern und so konnten wir wenig später mit prall gefüllten Geldbeuteln die Händler verlassen. Wir hatten alles zu viel Geld gemacht. Nur einen magischen Wurfdolch behielt ich für mich.
 

© Ayashi
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