Das Geheimnis des Ettin von Ayashi

 Wir schlenderten gerade über den Markt, um unser schwer verdientes Geld auszugeben, als ein hoch gewachsener Mann auf uns zukam.
 "Seid gegrüßt, Vadania!" rief er uns schon von weitem zu.
 "Seid gegrüßt, Sir Garyan!" antwortete sie.
 Mit ein paar Schritten war er auch schon bei uns und verbeugte sich vor mir: "Seid gegrüßt, Mylady. Ich bin der ehrenwerte Sir Garyan, ein Paladin des Heironeous. Dürfte ich wohl Euren Namen erfahren?"
 "Man nennt mich Seraphina. Erfreut euch kennen zu lernen."
 "Ich habe Euch gesucht. Hättet ihr wohl etwas Zeit um mir zuzuhören?" wandte er sich wieder an Vadania. "Ich hätte eine Aufgabe für euch."
 "Gewiss."
 "Dann schlage ich vor in eine Taverne zu gehen. So können wir uns ungestört unterhalten und ist auch sicher angenehmer als hier draußen im Stehen."
 Zustimmend nickten wir beide und daraufhin führte Sir Garyan uns in eine nahe gelegene ruhige Taverne. Wir setzten uns an einen Tisch und bestellten einen Krug Wein.
 "Nun", Sir Garyan räusperte sich, "vor ungefähr zwei Jahren brach ein bekannter Kleriker aus dieser Gegend namens Kyrnyn auf um einen mächtigen Magier im Süden des Landes zu besiegen. Begleitet wurde er von einer Gruppe tapferer Abenteurer, die ihn unterstützen wollten. Dieser Magier hatte Jahre zuvor begonnen ein Dorf zu tyrannisieren und inzwischen war sein Einfluss auf die ganze Umgebung ausgedehnt worden. Keiner der Gruppe kehrte zurück und inzwischen beginnen wir uns ernsthafte Sorgen zu machen. Wir haben keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte, denn der Kontakt brach zu ihm ab, kurz bevor er zum entscheidenden Kampf gegen den Magier auszog. Die Kirche Heironeous bietet jeder Person 500 Goldstücke, die uns näheres zu Kyrnyns Verbleib berichten kann. Wäret ihr bereit, diese Aufgabe auf euch zu nehmen?"
 Vadania und ich blickten uns an und schließlich antwortete ich: "Natürlich. Wir helfen euch gerne."
 "Es erfreut mich dies zu hören. Der Magier hieß Stondylus und das Dorf, das besonders unter ihm gelitten hat, ist 'Old Keep'. Damals war es ein einfaches Dorf mit ungefähr 400 Bewohnern, die allesamt Heironeous anbeteten."
 "Dies scheint mir aber eine weite und riskante Reise zu sein. 500 Gold ist da aber knapp bemessen, allein die Reisekosten werden ziemlich hoch sein? Old Keep liegt ja ungefähr 200 Meilen südlicher. Es wird wohl ein paar Wochen dauern dort anzukommen", warf ich ein.
 Sir Garyan seufzte: "Es scheint, ich habe es hier mit einer berechnenden Person zu tun. Ich denke, es ließe sich etwas herausschlagen. Wenn ihr uns besonders wichtige Informationen liefert, werde ich eure Belohnung angemessen erhöhen."
 "Einverstanden."
 "Da jetzt alles geklärt ist, werde ich euch verlassen um meinen Vorgesetzten von euch zu berichten. Wenn ihr wiederkehrt werdet ihr mich in der hiesigen Kirche finden." Sir Garyan verbeugte sich galant vor uns und verließ die Taverne, jedoch bezahlte er vorher noch unseren Wein.
 "Ich denke, wir brechen dann morgen auf und können heute noch Vorkehrungen treffen? Reicht das, Vadania?"
 "Ich denke schon."
 "Gut, dann treffen wir uns morgen früh vor deiner Schenke. Ich habe jetzt noch einiges zu erledigen und kümmere mich dann auch gleichzeitig um unseren Reiseproviant. Bis morgen dann."
 "Ja, bis morgen."
 Mit raschen Schritten durchquerte ich den kleinen Schankraum und trat hinaus ins Freie. Zuerst ging ich wieder zu Soveliss um ihn von meiner längeren Abwesenheit zu unterrichten. Er hatte Gott sei Dank keine Einwände und so konnte ich guten Gewissens mich meiner nächsten Aufgabe zuwenden: alles für unsere Reise vorzubereiten.
 Auf dem Markt erstand ich ein günstiges Pony zum Reisen, das ich gleich auf den Namen Blitz taufte. Ich erstand gleichzeitig beim Händler einen Sattel sowie Zaumzeug und Futter für zwei Pferde für unsere Reise. Zudem erstand ich auf dem Markt Proviant für Vadania und mich sowie einen Sack süßer Äpfel und ein paar Nüsse zum Naschen. Alles schleppte ich zu meiner Unterkunft und vergaß auch nicht mich von meinen Freunden zu verabschieden.
 
 Früh am nächsten Morgen stand ich auf und nahm ein simples Frühstück zu mir bevor ich Blitz mit unserem Gepäck belud und zu Vadanias Unterkunft aufbrach. Als ich dort ankam erwartete sie mich bereits.
 "Na, bereit für unsere Reise?", begrüßte sie mich munter.
 "Sicher. Doch zuerst müssen wir noch das Gepäck aufteilen." Dabei deutete ich mit einem verschmitzten Lächeln auf mein Pony.
 "Wie süß! Du hast dir ein Pony beschafft. Wie heißt es?”
 "Blitz!"
 Vadania begutachtete mein Pony, was eine Weile dauerte. Schließlich war sie zufrieden und lächelte.
 "Du hast einen guten Fang da gemacht. Es ist ein junges Pony und gesund. Wenn du es gut pflegst wird es dir ein treuer Begleiter sein."
 "Das freut mich zu hören. Können wir jetzt?"
 Gemeinsam verstauten wir gleichmäßig das Gepäck auf unsere beiden Tiere und nach einem kurzen Check, ob wirklich alles verstaut war, machten wir uns auf die lange Reise in den Süden.

 Unsere Reise führte uns durch verschneite Ebenen, begleitet von kahlen Bäumen, deren Äste unter der Schneelast schwer nach unten hingen. Die Sonnenstrahlen wärmten uns und bescherten uns eine angenehme Reise. Je südlicher wir ritten umso milder wurde auch das Klima und nach und nach bemerkten wir verstreut Gras-Büschel, die sich durch die Schneedecke streckten.
 Wir hatten Glück und unsere Reise verlief ereignislos bis auf ein paar Erlebnisse mit wilden streunenden Tieren, die jedoch keine größere Gefahr darstellten.
 Eines abends lief uns ein verirrter Höllenhund vor die Nase, der uns ob seines Hungers und seiner Verzweiflung angriff. Mit seinem dämonischen Flammenhauch versuchte er uns einzuschüchtern und verbrannte eines unserer Zelte doch nach ein paar Schwerthieben von Vadania und einigen gezielten Steinen meiner Schleuder suchte er schleunigst das Weite.
 Kurz vor unserer Ankunft, es war wohl um die zweite Woche, da umflog uns ein großer Vogel in einem gewissen Abstand. Er hatte den Kopf eines Hahns und war so groß wie ein Truthahn. Er besaß die Flügel einer Fledermaus  und den Schwanz einer Echse. Schließlich griff er uns im Sturzflug an. Er krächzte angsterregend und seine Krallen bohrten sich tief in mein Fleisch. Ich spürte wie sich etwas in meinem Körper verbreitete und betete, dass das Gift nicht zu schnell wirken würde. Vadania und ich griffen nach unseren Fernkampfwaffen und zielten auf den Vogel. Dieser flüchtete nach ein paar Treffern. Wir verfolgten ihn und wenig später erspähte ich oben in einem Baumwipfel das Nest dieses Ungetüms. Vadania versuchte mit ihm zu kommunizieren, indem sie seine seltsamen Geräusche nachahmte. Zweifelnd beobachtete ich sie, doch zu meiner Verblüffung kam er runter geflogen und hockte sich vor sie ins Gras. Dieses Gespräch dauerte noch etwas und dann verschwand der Vogel wieder. Vadania drehte sich erleichtert zu mir.
 "Er hat ein paar Jungen dort oben im Nest und suchte verzweifelt nach Nahrung. Ich habe ihm geraten sich in Zukunft von Menschen fernzuhalten, sonst würde er noch getötet werden. Ich habe ihm auch Fleisch von unseren Rationen versprochen."
 "Das hat ER dir gesagt????" Ich konnte nicht glauben, was ich eben beobachtet hatte.
 "Doch das hat er. Geben wir ihm etwas Fleisch bevor wir unsere Reise fortsetzen."
 Ich konnte ihr nur zustimmend zunicken und so eilten wir zurück zu unseren Pferden und suchten ein paar Fleischreste heraus. Diese brachten wir dann auch unter den Baum des Vogels der auch sofort runter geflogen kam, das Fleisch in den Mund nahm und wieder hinauf flog.
 Ungestört setzten wir nun unsere Reise fort, froh über unsere gute Tat.

 Ein paar Tage später ritten wir durch Felder und Wiesen. Es war ein ausgesprochen schöner und milder Tag, denn hier im Süden lag kein Schnee mehr und  man spürte das Herannahen des Frühlings.
 Von weitem konnten wir eine kleine Siedlung ausmachen und beschlossen dort unsere Nacht zu verbringen. Es konnte nicht mehr weit sein, doch wollten wir von dieser Gelegenheit profitieren, um eine angenehmere Nacht in einem weichen Bett zu verbringen als sonst in unseren Schlafsäcken auf der Straße.
 Hinter der Siedlung wand sich ein reißender Fluss durch die Landschaft, über den eine einfache Holzbrücke führte. Dahinter befand sich ein großer Wald, der sich sehr weit erstreckte.
 Plötzlich durchbrach aufgeregtes Rufen die Stille und man konnte ein dumpfes Stampfen vernehmen. Ein Riese mit zwei Köpfen tauchte aus dem Wald hinter der Brücke auf und brüllte ohrenbetäubend.
 "Ein Ettin!" Vadania war entsetzt. "Was tut so ein Monster hier?"
 Der Ettin riss einen Baum aus und zerstörte mit einem Schlag die Brücke, dann griff er sich eine Kuh von einer Weide und verschwand wieder im Wald.
 "Beeilung!" Ich gab meinem Pony die Sporen und eilte ins Dorf, gefolgt von Vadania.
 Dort liefen die Menschen hin und her, die einen flüchteten in entgegengesetzter Richtung von der Brücke, die anderen jedoch geradewegs dorthin. Keiner schenkte uns Aufmerksamkeit.
 Als wir uns der Brücke näherten, bot sich uns ein entsetzliches Schauspiel. Ein paar zerschmetterte Leichen lagen jenseits der Überreste der Brücke, dazu war überall Blut gespritzt. Ein kleiner Trupp gepanzerter Männer stand dort und kümmerte sich um die Verletzten. Einer von diesen Männern saß auf einem Felsen inmitten der Wiese. Ein Priester, der auf seiner Brust eine Faust mit drei Blitzen trug, stand neben ihm und beide schienen in eine Diskussion vertieft.
 Eine alte Frau stand bei der zerstörten Brücke und ließ ihren Kopf traurig hängen. Sie wandte sich um und erblickte uns. Zielstrebig kam sie auf uns zugeschlurft.
 "Seid gegrüßt, Fremde. Ich bin Aranda, die Dorfälteste. Ihr habt euch einen schlechten Zeitpunkt für eure Ankunft ausgesucht."
 "Seid gegrüßt! Was ist denn hier passiert?" fragte Vadania.
 "Nun, der Ettin hat schon öfters hier angegriffen." Aranda deutete auf Trümmer, die hier überall verstreut umherlagen und wir vorhin wegen unsere Eile nicht bemerkt hatten.
 "Doch heute hat er die Brücke zerstört und niemand kann weiter. Er tötet unser Vieh, zerstört unsere Häuser. Inzwischen sind alle demoralisiert und viele wollen wegziehen."
 "Können wir euch unsere Hilfe anbieten?"
 Erstaunt blickt uns die Frau an. "Ihr wollt uns helfen? Wieso?"
 "Einfach so." meinte ich.
 "Wir nehmen dankend eure Hilfe an, doch kommt mit in unsere Festung, dort lässt sich alles einfacher besprechen."
 "Sicher."
 Wir stiegen von unseren Tieren und Aranda führte uns zu einer steinernen Konstruktion, die irgendwie unvollendet aussah.
 Wir traten in einen großen Raum, vollgestopft mit den unterschiedlichsten Dingen. In der Mitte stand ein riesiger Tisch neben einer Kochstelle.
 Wir ließen uns am Tisch nieder und eine Magd brachte uns ein paar Becher frisches Wasser.
 "Nun, es ist eine kurze und traurige Geschichte. Vor ungefähr fünf Wochen kam ein Jäger in unser Dorf. Er behauptete, er hätte einen Riesen im Norden der Weizenfelder gesehen. Niemand glaubte ihm, doch sicherheitshalber ließ ich anordnen, dass man Wachen aufstellen sollte. Tagelang geschah nichts, doch eines Tages wurde der Riese von Dorfbewohnern und Wachen gesehen, kurz bevor die Sonne unterging. Malvicks Vater schoss einen Pfeil auf ihn. Doch das war ein Fehler." Aranda seufzte. "Dadurch beschworen wir nur seine Wut. Er tötete den Angreifer sowie die vier anderen Wachen, die Dienst hatten. Danach flüchtete er in den Wald. Seitdem kommt er jeden Tag. Manchmal tobt er und zerstört ein paar unsere Gebäude. Er frisst unser Vieh und tötet wahllos unsere Wachen. Doch wenn er in der Nacht kommt, dann schleicht er umher und läuft weg, sobald jemand ihn bemerkt. Aber es ist der gleiche Riese, denn er hat abends die gleichen Wunden wie am Tag."
 "Das ist schon seltsam. Ist sonst nichts wissenswertes hier passiert?"
 "Nun, eigentlich nicht. Das einzige, was unser Dorf sonst erlebt hat, ist schon zwei Jahre her. Damals kam eine Abenteuergruppe in unser altes Dorf und wollte einen Magier töten, doch haben wir keinen dieser Gruppe wiedergesehen."
 "Euer altes Dorf?" fragte ich erstaunt.
 "Ja, damals lag unser Dorf noch auf der anderen Seite der Brücke im Wald und hieß Old Keep. Doch wir mussten es verlassen und haben hier New Keep errichtet."
 "Old Keep?" fragten Vadania und ich wie aus einem Munde.
 "Habt ihr davon gehört?"
 "Gehört nicht, doch sind wir auf der Suche nach dem Kleriker, der diese Gruppe begleitete." antwortete Vadania.
 "Nun, ihr müsst wohl zuerst das Problem mit dem Ettin lösen, bevor ihr euch auf seine Suche machen könnt, denn der Turm des Magiers liegt mitten im Wald, wo der Ettin lebt. Aber ich denke, unser Priester des Heironeous kann euch besser weiter helfen als ich. Ich werde euch zu ihm führen."
 Aranda stand auf und wir taten es ihr gleich. Zusammen verließen wir diese halbfertige Festung und suchten den Priester. Es war nicht schwer zu finden, denn er betete an seinem Schrein.
 "Priester Restik!" Aranda rief ihn und dieser wandte uns den Kopf zu. Als er uns erblickte stand er auf.
 "Seid gegrüßt!" Lächelnd blickte er uns an. "Wie kann ich euch helfen?"
 "Diese Fremden haben uns ihre Hilfe angeboten und wollen nun alles über den Ettin erfahren."
 Der Priester nickte. "Nun, ich denke, das meiste hat euch Aranda wohl berichtet. Aber heute morgen habe ich hier am Schrein etwas seltsames entdeckt. Folgt mir."
 Alle drei folgten wir ihm hinter den Schrein und staunten nicht schlecht. Irgendjemand hatte Wörter hinten drauf geschrieben. Womit war unklar, doch konnte man klar und deutlich die Wörter lesen. Die Wörter lauteten:

Zwei Köpfe haben wir, geboren mit einem.
Wir rächten, heilten und beschützten.
Unser Herr war Unbesiegbar.
Doch bestraften wir alle,
die anders dachten.
Hörten wir auf den sechsarmigen König.
So wurden wir verstoßen von unserem Gott.
Dies ist unser Fluch:
Ein Kopf, in zwei geteilt.

 "Nun einiges davon ist klar. Unbesiegbar ist der Titel unseres Gottes Heironeous und der sechsarmige König ist sein ewiger Gegner Hextor. Ich denke, das bezieht sich auf den Ettin, denn der hat zwei Köpfe, doch kann ich keine Lösung dieses Rätsels finden." Der Priester schien nachdenklich.
 "Das ist wirklich eine erstaunliche Entdeckung. Vielleicht hilft dieses Rätsel uns das Problem mit dem Ettin zu lösen." Ich runzelte die Stirn.
 "Es gibt nur eine Lösung: sein Tod!" bemerkte eine tiefe Stimme. Ich blickte zum Sprecher und sah einen jungen Mann, groß mit dunklem Haar und spitzen Ohren. Doch war er nicht so feingliedrig wie die meisten Elfen. Daraus schloss ich, dass er ein Halbelf war. Sein Gesicht drückte Entschlossenheit und Hass aus.
 "Wer seid Ihr?" fragte ich.
 "Ich bin Grism, Malvicks Sohn. Und ich werde den Tod meines Vaters rächen!" Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen drehte er sich um und marschierte zurück in die Dorfmitte.
 "So, ich lasse euch nun allein. Wenn ihr mich braucht, ihr findet mich in der Festung." Aranda verabschiedete sich von uns und dem Priester und watschelte zurück.
 Da der Priester auch sonst nichts Neues zu berichten wusste, machten wir uns auf in die Taverne um ein Nachtmahl zu uns zu nehmen und unsere Vorgehensweise zu besprechen. Es gab nur eine in der Siedlung nämlich die des Zwerges Gerol Flintwhisker. Es war eine einfache Schenke mit ein paar Tischen und einem wärmenden Feuer in der Mitte. Einige Bauern hatten sich bereits zum Mahl eingefunden und saßen schmatzend an den Tischen und schlürften einen Krug Bier. Wir suchten uns einen leeren Tisch, bestellten zwei Teller Eintopf und Wasser und ließen es uns schmecken.
 "So, was denkst du sollten wir jetzt machen?" Vadania legte den Löffel beiseite und schaute mich fragend an.
 "Ich denke, wir sollten versuchen mit dem Ettin zu reden. Denn wenn das Rätsel zu ihm gehört, gibt es vielleicht eine friedliche Lösung, oder?" Nachdenklich wiegte ich den Kopf hin und her.
 "Wir könnten uns ja heute Abend auf die Lauer legen und abwarten, ob der Ettin heute herumschleicht. Dann können wir versuchen mit ihm zu reden?"
 "Sicher. Ich denke der geeignetste Platz zum Warten wäre nahe der Brücke."
 Meine Gefährtin stimmte mir zu und schweigend beendeten wir unsere Mahl.
 Wir mieteten noch ein Zimmer für uns und zwei Boxen für unsere Pferde bevor wir uns unserer Aufgabe widmeten.
 Inzwischen war die Sonne untergegangen und nur der Mond beleuchtete die Umgebung. Nahe der Brücke fanden wir ein Gestrüpp unter dem wir uns gut verstecken konnten. Wir krochen drunter und warteten. Es dauerte und langsam begannen wir die Kälte zu spüren. Unsere Hände und Füße wurden eiskalt und starr vor Kälte. Wir hockten Stunden dort und warteten. Schließlich wurde unsere Geduld belohnt.
 Aus dem Wald kam eine riesige gebückte Gestalt geschlichen. Der rechte Kopf hing zur Seite, er schien zu schlafen. Der linke jedoch spähte vorsichtig hin und her und langsam näherte sich die Gestalt unserem Versteck. Leise glitt sie ins Wasser und watete ängstlich weiter.
 Stetig um sich herum schauend erklomm er unsere Uferseite. Mittlerweile stand er nur noch ein paar Schritte von unserem Versteck entfernt und Vadania beschloss die Gelegenheit zu ergreifen.
 Sie richtete sich auf und grüßte den Riesen auf Giant (die Sprache der Riesen).
 Erschrocken fuhr er zusammen und flüchtete sofort wieder ins Wasser. Blieb jedoch in der Mitte stehen und flüsterte: "Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet!"
 Ich kroch auch aus dem Versteck hervor und entgegenete ihm: "Wir wollen dir nichts tun. Wir wollen mit dir reden."
 "Leise, weckt den anderen nicht auf!" Ängstlich blickte der Ettin auf den schlafenden Kopf.
 "Wer seid ihr?" Vadania näherte sich dem Ufer um besser mit dem Ettin zu reden können.
 "Ich bin Kynlyn, ein ehrenwerter Kleriker des Heironeous. Helft mir! Kommt nach Old Keep." Er warf noch einen Blick auf den anderen Kopf, der begonnen hatte, sich zu bewegen. Panisch verließ er uns fluchtartig und rannte zurück in Richtung Wald.
 Unschlüssig standen wir herum und sahen dem flüchtenden Ettin nach. Das war nun etwas, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Kynlyn war der Ettin??? Was war da vor sich gegangen?
 "Sollten wir nicht mit Aranda darüber reden?" meinte ich.
 "Doch, ich denke schon. Aber erst morgen früh. Sie schläft bestimmt schon."
 Zustimmend nickte ich und zusammen gingen wir zu unseren Unterkünften und legten uns schlafen.

 Am nächsten Morgen, nachdem wir unser Frühstück zu uns genommen hatten, suchten wir Aranda auf und berichteten ihr von unserem Erlebnis.
 Ungläubig blickte sie uns an. "Das kann nicht wahr sein! Dieser Ettin soll der ehrenwerte Kleriker sein? Seid ihr sicher?"
 Einstimmig nickten wir mit unseren Köpfen.
 "Was wollt ihr denn jetzt tun?" erkundigte sie sich.
 "Nun, wir brechen jetzt nach Old Keep auf. Dann sehen wir weiter, ob der Ettin uns nicht angelogen hat. Wenn er die Wahrheit sagt, wollen wir ihm helfen in seine ursprüngliche Form zu kommen, andernfalls werden wir ihn verjagen oder töten", antwortete ich entschlossen.
 "Wie ihr meint. Doch sind die Leute aufgebracht und wollen noch heute den Ettin lynchen. Ich werde versuchen, was ich kann, um sie aufzuhalten, doch kann ich euch nichts versprechen."
 Wir bedankten uns bei der Dorfältesten und brachen auf, um den Ettin zu treffen.

 Wir waren eine knappe Stunde im Wald unterwegs als ich plötzlich hinter uns die hastigen Schritte einer Person vernahm, die uns folgte. Wir blieben erwartungsvoll stehen, die Waffen jedoch bereit, falls es Räuber waren. Doch es war der Priester, der dort gelaufen kam. Wir entspannten uns und steckten unsere Waffen weg.
 Restik hielt vor uns an und keuchte vor Anstrengung. Er war komplett außer Atem.
 "Was wollt ihr?" fragte ich.
 "Aranda ... schickt mich. Ich soll euch sagen ... dass es ihr nicht gelungen ist ... die Dorfbewohner aufzuhalten. Grism ... hat sie aufgehetzt und bald ... werden sie wohl aufbrechen um den Ettin zu ... töten. Er lässt nicht mit sich reden... Handelt schnell wenn ihr dem Ettin ...helfen wollt! Ich muss ... jetzt zurück." Er drehte sich um und joggte nun zurück zum Dorf.
 Vadania und ich blickten uns stumm an und gaben unseren Pferde die Sporen. Im Galopp flog die Straße nur so an uns vorbei.
 Urplötzlich stehen wie aus dem Nichts zwei Orks am anderen Ende der Straße. Wir hielten unsere Pferde an und einer der Orks sprach zu uns in gebrochenem Common: "Halt. Wir nicht töten wollen. Ihr mit uns reden?"
 Vadania nickte.
 "Gut, ihr sein hier um Ettin töten?"
 "Nein", entgegnete ich. "Wir wollen ihn retten!"
 Daraufhin griffen die beiden Orks zu ihren Waffen und griffen uns an gefolgt von zwei weiteren Orks, die sich hinter den Bäumen versteckt hatten.
 Es entbrannte ein heftiger Kampf, denn die Orks waren in der Überzahl und zudem saßen wir noch auf unseren Pferden. Eilig stiegen wir von ihnen ab und stellten uns den Gegnern. Vadania erschlug zwei mit ihrem Schwert, während unsere Pferde den anderen zu Tode trampelten. Der letzte griff mein Pony an, doch das sollte dieser bereuen. Ich schlich mich von hinten an ihn heran und mit einem gezielten Schlag zerschmetterte ich seinen Schädel.
 Eilig durchsuchten wir die Leichen und fanden 400 Goldstücke, eine stattliche Summe Gold, und galoppierten dann wieder auf unseren Pferden nach Old Keep.
 Es dauerte nicht mehr lange und wir konnten auf einem Hügel die Überreste einer alten Festung ausmachen. Beim Näherkommen bemerkten wir, dass die Tür weit aufstand. Drinnen war es sehr dunkel. Wir stiegen von unseren Pferden ab und sahen uns aufmerksam um. Auf einer Mauer hatte jemand mit Holzkohle Wörter geschrieben, doch eine Hand hatte versucht sie zu verwischen, so dass das meiste davon unleserlich war.
 Vorsichtig und auf leisen Sohlen näherten wir uns dem Turm. Im Innern konnten wir den Ettin sitzen sehen, dessen rechter Kopf wieder oder noch immer schlief.
 "Psssst! Leise sein!" Der Ettin blickte uns traurig an.
 Wir setzten uns neben den Ettin und blickten ihn fragend an.
 "Rettet mich oder tötet mich. Ich bitte euch."
 "Wir wollen dich retten."
 "Nun, dann erzähle ich euch meine Geschichte.
 Vor zwei Jahren wurde ich hierher geschickt, um einen bösen Magier zur Strecke zu bringen. Begleitet wurde ich von zwei Kämpfern, einem Dieb und einem Magier. Wir stellten den Gegner hier bei diesem Turm. Es war ein harter und schwieriger Kampf. Denn die Kräfte waren ausgeglichen. Dann jedoch wagte der Magier einen Zauber, der das Gleichgewicht zu seinen Gunsten veränderte. Er wandte den Polymorph-Zauber an und verwandelte mich in einen Ettin unter seiner Kontrolle. Daraufhin tötete ich meine Gefährten außer dem Dieb, der Heironeous sei Dank den Magier von hinten erdolchte. Doch mein Schicksal war besiegelt. Ich war gefangen im Körper eines Ettins. Der Dieb, Hartmund war sein Name, versprach Hilfe zu holen, doch habe ich ihn nie wieder gesehen.
 Schließlich trieb mich der Hunger aus meinem Versteck und ich jagte die Tiere des Waldes. Irgendwann tauchte eine Bande Orks auf und wollte meine Hilfe um Streifzüge in Städte zu unternehmen. Ich weigerte mich natürlich ihnen zu helfen und fraß alle Orks.
 Es war ungefähr zu dieser Zeit als ich meine Kraft bemerkte, dass der rechte Kopf begann sich selbstständig zu machen. Anfangs dachte ich, es wäre nur ein Anhängsel, doch ich irrte! Immer öfters wachte er auf und übernahm die Kontrolle über diesen Körper. Muck, so nannte er sich, war brutal und gewalttätig. Er wurde immer stärker während ich schwächer wurde. Inzwischen habe ich nur noch Kontrolle über meinen Körper wenn er schläft.
 Ich betete jeden Tag zu meinem Gott und bat ihn um Erlösung, doch vergebens. Ich weiss welcher Zauber mich erlöst: Dispel Magic. Doch egal wie oft ich meinen Herrn anflehe mir diesen Zauber zu gestatten, er tut es nicht. Das Einzige was er mir schenkt ist diese Vision von dem Rätsel, das ich auch auf den Schrein in New Keep geschrieben habe. Ich hoffte, dass jemand aus der Stadt das Rätsel lösen und mich dadurch befreien könne.
 Könnt ihr mir helfen?" hoffnungsvoll blickte er uns an.
 "Wie es scheint liegt die Lösung deines Problems im Rätsel, das Euer Gott uns aufgegeben hat. Könnt ihr es bitte wiederholen?" bat ich.
 "Sicher:
Zwei Köpfe haben wir, geboren mit einem.
Wir rächten, heilten und beschützten.
Unser Herr war Unbesiegbar.
Doch bestraften wir alle,
die anders dachten.
Hörten wir auf den sechsarmigen König.
So wurden wir verstoßen von unserem Gott.
Dies ist unser Fluch:
Ein Kopf, in zwei geteilt.
 Ich denke, einen Teil kann ich mir zusammen reimen.
Die ersten beiden Teile beziehen sich auf mich. Denn ich als Kleriker räche, heile und beschütze, das ist meine Mission. Zudem bin ich mit einem Kopf geboren doch nun als Ettin besitze ich deren zwei. Unser Herr war Unbesiegbar ist natürlich eine Anspielung auf meinen Gott, Heironeous. Einer seiner Titel lautet der Unbesiegbare. Doch aus dem Schluss kann ich mir keinen Reim machen."
 "Nun, wie steht es denn mit der Bestrafung der anderen? Ist das auch eine eurer Pflichten?" fragte Vadania.
 "Nein, ich denke nicht."
 "Für mich hört es sich an als hättet Ihr falsch gehandelt. Beeinflusst durch Heironeous' Gegner Hextor?" meinte ich.
 "Ja, es könnte doch sein, dass ihr Euren Herrn enttäuscht habt." Vadania war voller Eifer dabei.
 "Aber wieso verstößt er mich?" fragte der Ettin traurig.
 "Nun, ich denke nicht, dass er Euch verstößt. Ich glaube, Ihr müsst erst Euren Fehler einsehen, bevor er Euch verzeihen kann", antwortete ich nachdenklich.
 "Ja! Ihr habt sicher Recht." Aufgeregt blickte der Ettin uns an. Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder traurig. "Aber ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe."
 Plötzlich hoben wir alle drei den Kopf wie auf einen Befehl. Wir konnten die Geräusche einer sich nähernden, erregten und wütenden Menschenmenge vernehmen. Sie waren noch weit entfernt, doch es konnte nicht mehr lange dauern, ehe sie uns erreicht hätten.
 "Die Dorfbewohner!" rief ich.
 "Beeilung!"
 "Die Lösung muss in Eurer Geschichte stecken. Was könnt Ihr getan haben, um Euren Herrn zu enttäuschen?" Nachdenklich ging ich auf und ab.
 "Vielleicht weil ihr die Siedlung angegriffen habt?" meinte Vadania.
 "Nein, denn das war ich nicht selbst, sondern Muck!"
 "Hm... dann muss es wohl vor Mucks erwachen sein... Ihr sagtet, Ihr hättet die Orks, die mit euch geredet hätten, einfach so gefressen?" erkundigte ich mich.
 Der Ettin nickte zustimmend.
 "Dann war das die Tat, die Euren Gott erzürnt hat. Denn obwohl Orks böse sind hättet ihr sie nicht einfach blindlings töten sollen, sondern ihnen eine Chance geben sich zu bessern und sie vom besseren Weg überzeugen sollen. Erst wenn alle anderen Mittel fehlgeschlagen sind sollte man Gewalt anwenden." Triumphierend blickte ich Vadania und Kynlyn an.
 Dieser schlug sich mit der Hand vor den Kopf. "Aber natürlich. Mein Herr hat ja so Recht. Diese Tat war unüberlegt, gewalttätig und gar nicht ehrenvoll." Er warf sich auf die Knie und rief: "Heironeous! Ich weiß, ich habe nicht immer recht gehandelt, doch bitte vergib mir meinen Fehler." Demütig senkte er den Kopf und betete. Daraufhin erschien vom Himmel herab ein Lichtstrahl, der den Ettin traf und langsam aber sicher verwandelte dieser sich wieder in einen Menschen. Ehrfürchtig fielen auch Vadania und ich auf die Knie, denn wir waren soeben Zeuge der Einwirkung eines Gottes ins menschliche Leben geworden.
 Während wir alle Drei auf dem Boden knieten, kam uns eine aufgebrachte Meute entgegen. Sie trugen Fackeln, Schwerter, Heugabel und schrien nach dem Blute des Ettins. Doch als sie uns drei da sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen.
 Der Kleriker wandte sich der Menge zu und erklärte ihnen das Geschehen und sein Schicksal mit seiner wohlklingenden Stimme.
 "Meine Güte! Hätte ich mich fast versündigt!" rief Grism und fiel vor Kynlyn auf die Knie. 
 "Um mich zu entschuldigen werde ich bei euch bleiben bis ich meinen Schaden wieder gut gemacht habe. Erst dann werde ich zurück kehren." Dies stieß auf viel Zustimmung und der Mob machte sich begleitet vom Kleriker auf zur Siedlung.

 Wir blieben noch zwei Tage, um der Feier der Dorfrettung beizuwohnen, doch dann machten wir uns auf nach Hause um Sir Garyan diese freudige Nachricht zu überbringen. Kynlyn hatte uns als Dank seine Kettenrüstung sowie sein magisches Langschwert geschenkt.

 Nach gut zwei Wochen Reise kamen wir wieder in Winterfall an. Sofort suchten wir Sir Garyan auf und berichteten von unseren Erlebnissen. Zum Dank für die Informationen sowie die Rettung Kynlyns bekam jede von uns 750 Goldstücke, ein Vermögen!
 

© Ayashi
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