Das Babysitter von Der Doktor
3. Kapitel

Draußen warteten eine entnervte Ehefrau mit in die Seiten gestemmten Armen sowie ein lautstark quengelnder Junge auf ihn - die Reihe an stressigen bis lebensgefährlichen Situationen schien also zunächst noch kein Ende zu haben.
"Du hast dir ja ganz schön viel Zeit gelassen, mein Lieber. Ich bin hier mit dem Jungen fast wahnsinnig geworden." - Warum "fast"?, dachte sich Karlmax angesichts der Schärfe ihrer Stimme. - "Und was war das für ein lautes Gebrüll, das da aus der Höhle kam? Ich wäre dir beinahe nachgegangen, wenn da drinnen nicht alles so schmutzig wäre und so schrecklich stinken würde!"
Karlmax drehte sich erschrocken um, doch Kalessan schien nicht beleidigt zu sein, sondern eher belustigt, wie er es immer war, wenn Menschen mit ihm umsprangen wie mit einem... Menschen.
"Ähm, Schatz - das ist Kalessan, er wird die nächsten Wochen auf unseren Sohn aufpassen. Kalessan, meine Frau Rita, mein Sohn Ninnel."
Überrascht beobachtete er, wie Kalessan seine Hand ausstreckte, um sie Rita zu geben. Beide Parteien schienen von dem überaus heftigen Händedruck ihres Gegenübers ziemlich überrascht und konnten sich anscheinend nur mit Mühe zurückhalten, keinen plötzlichen Schmerzenslaut auszustoßen.
"Bin erfreut.", presste Kalessan hervor und begann, Karlmax’ Frau abfällig-interessiert (oder auch interessiert-abfällig) von oben bis unten zu mustern.
"Ebenfalls. Ihr seid also diese ominöse Kalessan. Wisst ihr denn überhaupt, wie man mit Kindern umgeht?", fragte Rita in bemüht freundlichem Tonfall.
"Hätte mich euer Mann sonst vorgeschlagen?", entgegnete der Drache.
"Also habt ihr schon einmal mit Kindern gearbeitet? Habt ihr vielleicht selbst eine Familie?"
"Äh, Rita, wir müssen jetzt schnell gehen, der Kutscher wartet nicht mehr lange auf uns!", rief Karlmax hastig dazwischen, der das Thema von Kalessans Familie nun als allerletztes angesprochen haben wollte.
"Aber Schatz, ich möchte schließlich ein wenig über den Mann erfahren, dem ich meinen Sohn über die nächsten Wochen anvertraue."
"Ja genau! Ich könnte euch alle ja noch schnell zum Essen einladen und wir besprechen die ganze Angelegenheit!", bestätigte Kalessan mit einem sadistischen Grinsen in Karlmax’ Richtung.
"NEIN!", rief Karlmax, lauter, als er eigentlich gewollt hatte, senkte dann aber wieder seine Stimme:
"Wir haben nicht mehr viel Zeit, wir müssen schnell zurück, Schatz. Bitte vertrau mir und Kalessan in dieser Angelegenheit einfach - ich vertraue ihm ja auch.", sagte er mit einem ebenso vielsagenden Blick auf den grinsenden Drachen.
"Nun gut, Ninnel, wir lassen dich jetzt ein paar Wochen mit Onkel Kalessan hier alleine. Er wird in dieser Zeit deine Familie für dich sein, also benimm dich!", richtete er sich dann an seinen Sohn und fügte mit gesenktem Tonfall hinzu:
"Es ist zu deinem eigenen Besten!"
Rita gab zu Karlmax’ Erleichterung klein bei und verabschiedete sich ebenfalls von ihrem Sohn mit den üblichen Ratschlägen immer brav zu sein, dem netten Herrn doch keinen Ärger zu machen und sich vor dem Essen immer die Hände zu waschen.
An Kalessan gerichtet sagte sie dann noch:
"Dass ihr mir ja gut auf meinen Sohn aufpasst, und dass ihm auch ja nichts passiert, versteht ihr? Ich kann zu einer wilden Bestie werden, wenn meinem kleinen Ninnel etwas zustößt!"
Kalessan beugte sich leicht vor und erwiderte:
"Ich doch auch, meine Liebe..."
Karlmax entschied sich, dass es wirklich an der Zeit war, nun zu gehen, nahm seine Frau mit sanfter Gewalt beiseite, verabschiedete sich noch mal von seinem Sohn und richtete sich noch ein letztes Mal an den Drachen:
"Und ihr wisst auch wirklich, was ihr zu tun habt?"
"Ich hoffe doch."
Karlmax seufzte, in der Hoffnung, wirklich das Richtige getan zu haben: "Dann auf bald! Und... vielen Dank nochmals!"
Der Drache winkte lächelnd ab, was Karlmax jedoch nicht unbedingt beruhigte. Dennoch verließ er mit seiner Frau nahezu fluchtartig das Geschehen.
Auf dem Weg zur Kutsche fiel ihm ein, was er mit Rita nun während der Abwesenheit seines Sohnes etwas... ausgiebiger betreiben konnte und lächelte glücklich – schon bei Sally war Rita wirklich nicht schlecht gewesen...

Für Kalessan ging das ganze ein klein bisschen zu schnell. Auf einmal stand er alleine vor seiner Höhle, zusammen mit einem kleinen, ihm völlig unbekannten Menschenbengel, der ihn mit großen Augen nichtssagend anstarrte. Schlimmer noch, er musste sich jetzt gar persönlich um dieses Ding kümmern... nicht morgen, nicht später, nicht nachher, sondern jetzt, gleich, sofort! Na toll...
"Komm mit rein!”, sagte er. Auf dem Weg in seine Heimstätte würde ihm schon einfallen, wie er mit dieser Situation fertig werden sollte. Er lief ein paar Meter, blieb dann stehen und drehte sich noch mal um – der Junge hatte sich nicht vom Fleck bewegt und starrte ihn weiterhin durchdringend an. Das konnte ja sogar ihm fast unangenehm werden...
"Was ist, bist du taubstumm oder so?"
Der Junge – Ninnel hieß er, richtig – schüttelte den Kopf.
"Bist du vielleicht nur stumm?"
Er schüttelte den Kopf erneut.
"Und was ist dann dein Problem?"
"Meine Mama hat gesagt, ich darf nicht mit Fremden mitgehen."
"Bitte, mir soll es nur Recht sein!", mit diesen Worten drehte Kalessan sich um und betrat seine Höhle. In seinem Hauptwohnraum angekommen, lehnte er sich lässig an die Wand und wartete auf den Jungen, der ihm ja nun jeden Moment hinterherkommen müsste.
Währenddessen blieb Ninnel draußen stehen und beobachtete zunächst die Umgebung der Höhle, ohne sich dabei auch nur einen Millimeter zu rühren. Nachdem er mit seiner Beobachtung fertig war, entschied er sich dazu, abzuwarten, was denn als nächstes passieren würde. Er wartete ungefähr eine halbe Stunde, dann stürmte ein wütender, roter Hühne aus der Höhle, packte ihn am Kragen und schleifte ihn in sein Heim. Ninnel grinste stumm in sich hinein.
Als Kalessan ihn, in seiner Höhle angekommen, mühelos an der Gurgel hochhob, grinste er nur noch breiter.
"Jetzt hör mir mal zu, du Wurm! Solange du bei mir bist, wirst du tun, was ich dir sage, nicht das, was deine werte Mutter dir irgendwann mal gesagt hat - denn sie ist nicht hier, um dich zu beschützen und anscheinend soll ich diese Aufgabe übernehmen. Und ich habe nicht die geringste Lust, auf ein kleines Menschlein aufzupassen, das mir keinen Respekt zollt!"
Dass dem Jungen die Luftzufuhr abgeschnitten war, tat seinem Grinsen anscheinend keinen Abbruch. Kalessan ließ ihn hinunter.
"Wenn du das noch mal machst, sage ich es meiner Mutter und die macht dich dann zur Schnecke!", sagte Ninnel mit einer für das eben Erlebte nahezu unnatürlichen Ruhe.
"Und ich mache sie zu meinem Frühstück, sollte sie es versuchen. Nur, weil ich deinem Vater was schuldig bin, heißt das nicht, dass ich mir von ihm oder seinen Verwandten alles gefallen lassen muss! Hör also gefälligst auf, mich zu duzen und zoll mir den Respekt, der mir gebührt!"
Ninnel fing wieder an, fies zu grinsen und brach daraufhin in folgenden Singsang aus:
"Dududu duDu duDu duDudeldiDU, DU DU DU DU DU, dudeldudelDUdudu."
Kalessan konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass ihn je jemand offener und vor allem sorgloser als jetzt verspottet hatte. Es schien wohl an seiner momentanen, weit weniger eindrucksvollen Gestalt zu liegen.
"...Dududu, DuduDUdududu..."
Es reichte – jetzt kam die Zeit, um Eindruck zu schinden. Kalessan leitete die Verwandlung ein und begann, zu wachsen und sich zu verändern.
"Dududu, dududu... dududu..."
Er wuchs und wuchs und wuchs und wuchs…
"Dudu... dudu... du..."
…und wuchs und wuchs und wuchs und wuchs…
"Du... du..."
…und wuchs, bis schließlich nicht mehr Onkel Kalessan, der Zwei-Meter-Mann, sondern Kalessan der rote 50-Meter-Drache, die Höhle ausfüllte.
"...du... du?"
Kalessan beugte seinen massiven Schädel hinunter und brachte ihn kurz vor dem kleinen Menschenjungen zum Verharren.
"Na, was sagst du jetzt, Winzling?", brachte er leise, aber bedrohlich hervor.
Ninnel zögerte kurz und sah ihn weiterhin ausdruckslos an. Dann sagte er:
"Du bist hässlich und du stinkst!"
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Und schon geht's weiter zum 4. Kapitel...

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