Das
Babysitter
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5. Kapitel |
Eine noch so unangenehme Aufgabe kann erträglich werden, wenn man sie richtig angeht. Um also vegetarische Nahrungsmittel herbeizuschaffen, von denen er keine Ahnung hatte, stattete Kalessan der größten Stadt innerhalb seines Reviers einen Besuch ab und forderte bei einer schnell organisierten öffentlichen Kundgebung ein Opfer der Bevölkerung in Form von Lebensmitteln, welches ihm fortan wöchentlich in seine Höhle gebracht werden solle, zahlbar mit Abschließen jener Kundgebung. Kalessan hatte die menschliche Bevölkerung in seiner Umgebung schon oft in Abständen von ein paar menschlichen Generationen zu kleinen und großen Tributen aufgefordert. Zu weit trieb er es dabei jedoch nie, da es sehr unpraktisch sein kann, wenn einem das letzte verbleibende Nahrungsmittel einfach in Scharen wegläuft und man mit einer insgesamt eher ärmlichen bis nicht vorhandenen Tierwelt in der nächsten Umgebung zurückgelassen wird. Menschen lassen sich jedenfalls nicht lange bitten, wenn ein roter Drache auf ihrem Marktplatz landet und ihnen Forderungen unterbreitet – seien sie noch so seltsam und enthielten Dinge wie "vegetierende Lebensmittel"... Kurze Zeit später flog Kalessan mit mehreren großen Behältern voll dieser Lebensmittel, die Menschen so gerne aßen, und ein wenig stolz auf sich, weil er diese prekäre Situation so clever gelöst hatte, zurück zu seiner Höhle im Wald. Ein wenig verwundert darüber, dass Ninnel sich immer noch darin aufhielt (heimlich hatte er ja doch gehofft, dass der kleine Quälgeist von selbst in den Wald laufen und von Kalessans Wolfshorde oder, besser noch, seinem alten Gehilfen, gefressen werden würde), präsentierte er dem Jungen die Lebensmittel, die dieser zu Kalessans noch größerer Verwunderung annahm und sogar aß, was aus der Sicht des Drachen durchaus als eine Verbesserung der Lage angesehen werden durfte. Jedoch waren anscheinend noch längst nicht alle Bedürfnisse des kleinen Menschen als abgehakt zu betrachten. Die gesamte Problematik dieses Bedürfnisses sei mit Ninnels Satz "Ich muss mal Pipi!" und dem Antwortsatz von Kalessan "Du musst mal was?" zumindest einmal angeschnitten. Zusammenfassend sei berichtet, dass jene Situation auch die Sätze "Ich muss mal groß!" und "Kannst du mir mal abwischen?" beinhaltete, aber das gehört im Detail nun wirklich nicht hierher. Man sollte meinen, dass dies der ohnehin schon angeschlagenen Psyche Kalessans den Rest geben müsste - doch der Drache fand es im Gegenteil eher interessant, dieses Grundbedürfnis des menschlichen Körpers näher zu beobachten, was ausnahmsweise mal für Ninnel unangenehm war. Das Interesse für menschlichen Stoffwechsel lässt sich am besten erklären, wenn man im Gegensatz dazu den eines Drachen näher betrachtet. Drachen können einen ungeheuer hohen Anteil der Nahrung, die sie aufnehmen auch wirklich in Energie umsetzen - der geringe Prozentsatz an biologischem Abfall, der beim Verdauungsprozess übrig bleibt, wird über periphere Organe der Haut ausgeschieden, was jetzt natürlich höchstens für einen Biologen von Interesse sein und von diesem wahrscheinlich auch noch aufs schärfste wissenschaftlich zerpflückt wird. Dieser außergewöhnliche Metabolismus des Drachen soll jedenfalls so stark sein, dass er es ihnen ermöglicht, sogar Edelsteine zu schlucken und zu verdauen. Jeder Drache, der das mal ausprobierte, merkte jedoch, dass diese Behauptung nur zu 50 % wahr ist. Er konnte den Stein schlucken und wurde tatsächlich nicht mal wirklich krank, wiederholte diese Tat jedoch nicht wieder - probieren Sie doch mal, einen 40karätigen Edelstein auszuschwitzen! Um auf menschliche Bedürfnisse zurück zu kommen - eines der für Kalessan vielleicht angenehmsten stand noch offen. Es äußerte sich in einem ausgedehnten Gähnen von Ninnel, einhergehend mit der Frage: "Wo soll ich denn schlafen, Onkel Kalessan?" "Nenn mich nicht Onkel!", zischte der Drache zurück, bewegte sich aber gleichzeitig in die hinteren Bereiche seiner Höhle - möglichst weit weg von diesem kleinen Etwas, das die Frechheit besaß, ihn "Onkel" zu nennen, während der Rest der Menschheit noch nicht mal mehr mit einem "durchlauchtigste Hochwürden" durchkam - und in Richtung seiner persönlichen Schatzkammer. Wie bei Drachen nun mal üblich hatte auch Kalessan im Laufe seines langen Lebens eine beachtliche Sammlung an Kostbarkeiten und Schätzen zusammengetragen. Er war von seinen Reichtümern nicht ganz so besessen wie sein mehr oder weniger verhasster Kollege Smahug, es reichte ihm also, sich lediglich ein paar Stunden täglich an dem reinen Schein und dem süßen Klang des Goldes zu ergötzen. In seiner Sammlung befand sich jedoch bereits ein mehrere Jahrhunderte altes, rustikales Himmelbett +3, welches nahezu ausschließlich aus Gold und Edelsteinen zu bestehen schien, dessen Vorhänge aus Seide und dessen Decke aus Samt gemacht war. Das Bett hatte er von einem Herrscher namens Futsch XIII. entwendet, der es anscheinend sehr lustig gefunden hatte, Kalessan mit einer ganzen Armee anzugreifen. Nicht mehr sehr lustig fand er später, sein ganzes Reich in Flammen zu sehen und letztendlich Bekanntschaft mit dem Drachen selbst, beziehungsweise mit seinem Verdauungssystem zu schließen. Kalessan erfuhr an Ort und Stelle, dass Futsch XIII. aufgrund ernsthafter Schlafstörungen das gesamte Vermögen seiner Ländereien für die Anfertigung dieses speziellen Bettes ausgegeben hatte, was ihn angeblich wieder in Ruhe schlafen ließ. Dies erklärte auch die vollkommene Abwesenheit jeglicher sonstigen Wertgegenstände auf der Burg des Regenten, den Angriff seiner Armee auf Kalessan und dessen Reichtümer sowie die militärische Stärke jener Armee, bestehend aus zehn invaliden Greisen, die Futsch XIII. nur noch aus Loyalität zu dessen Vater dienten, welcher sich übrigens aus Scham über seinen eigenen Sohn selbst das Leben genommen hatte. Das Bett war jedenfalls der einzige Gegenstand von Wert, den Kalessan hätte mitnehmen können, was er letztendlich dann auch getan hatte. Ninnel würde sehr bequem schlafen können. Die Vorstellung, dass der Junge inmitten seiner Reichtümer schlafen würde, behagte Kalessan jedoch nicht so recht, daher blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig, als den Jungen mit ihm zusammen in seiner Hauptwohnhöhle schlafen zu lassen. In seiner menschlichen Gestalt brachte er das Bett in die große Höhle zurück. Ninnel beobachtete Kalessan, als dieser das zu seiner momentanen Größe überproportional riesige, funkelnde Etwas an Bett hinter sich her schleifte und bekam handtellergroße Augen. "Oah, ist das etwa mein Bett?" Sofort, als das Bett an Ort und Stelle – nämlich in der dunkelsten Ecke der Höhle, genau gegenüber zu der, wo Kalessan selbst immer schlief – platziert war, sprang Ninnel auf die Matratze und hüpfte fröhlich auf und ab, was von einem stetig lauter werdenden Quietschen der bereits etwas rustikaleren Federn begleitet wurde. Mit Entsetzen beobachtete der Drache, wie sein schönes Bett langsam in Grund und Boden gehüpft wurde. Schnelle Maßnahmen mussten ergriffen werden: "Wenn du dieses Bett kaputt machst... dann erzähle ich das deiner Mutter!" Das Quietschen verstoppte abrupt. Kalessan machte anscheinend ernsthafte Fortschritte in der Kontrolle dieses kleinen Quälgeists. Die Gelegenheit nutzte er aus: "Und jetzt leg dich sofort hin und schlaf!" Tatsächlich verkroch sich Ninnel auch schon unter der Samtbettdecke. Doch gerade als Kalessan sich umdrehte und zu seiner eigenen Schlafstätte gehen wollte, ertönte es hinter ihm: "Erzählst du mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte?" "Eine was?" "Eine Geschichte! Ansonsten kann ich immer so schlecht einschlafen." "Du willst eine langweilige Geschichte hören, von der du einschläfst?", fragte der Drache ungläubig. "Nein, einfach nur eine Geschichte... bitte!", fügte der kleine Junge mit Rehäuglein hinzu. Drachen sind gute Geschichtenerzähler und Kalessan machte da keine Ausnahme, also ließ er sich nicht mehr lange bitten, setzte sich auf die Ecke vom Bett, die am weitesten von Ninnels Kopf entfernt war und begann seine Geschichte, die ihm für diesen Anlass angemessen erschien: "Es war einmal ein kleiner, roter Drache. Der
konnte nicht verstehen, warum seine Brüder und Schwestern, seine Eltern,
ja seine ganze Familie immer so gemein zu den Menschen war. Seine Verwandten
sagten nur immer:
Drachen sind zwar sehr gute Geschichtenerzähler,
aber wahnsinnig schlechte Pädagogen, zumindest nach menschlichen Maßstäben.
© Der
Doktor
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