Das Babysitter von Der Doktor
13. Kapitel

Wenige Tage später...
Die Tournee war erfolgreich gewesen. Sämtliche von Karlmax’ Lesungen waren ausverkauft, das Publikum klebte jedes mal gebannt von seinen Ausführungen an Karlmax’ Lippen und der Applaus zum Ende jedes Auftritts war immer wieder ohrenbetäubend. Karlmax hatte zwar bei keiner der von ihm besuchten Städte das Gefühl, dass die dortigen Menschen wirklich den Mut oder die Lust hatten, die von ihm vorgestellten Thesen auch tatsächlich umzusetzen, aber das war er mittlerweile gewohnt. Immerhin ließ sich damit ganz gut Geld verdienen.
Rita war ihm während seiner Tour wie immer eine großartige Unterstützung gewesen, hatte Karlmax’ ideologische Gegner immer wieder höflich zurecht gewiesen (wobei "Mit verknoteten Armen und Beinen in einer dunklen Gasse landen" noch als höflich gewertet werden durfte) und ihm das stressige Leben einer solchen Reise wesentlich einfacher gemacht.
Karlmax bereute es, die gute Beziehung, die sie in den letzten Wochen geführt hatten, wieder ein wenig trüben zu müssen, als sie sich erneut der Höhle von Kalessan näherten.
"Du Rita, ich fürchte, da gibt es etwas, was ich dir über diesen Kalessan, der Ninnel betreut hat, erzählen muss...", sprach er das leidige Thema an.
"Er wird unseren Jungen doch auch gut behandelt haben!?"
"Ja, das hoffe ich... Nun, ich hätte es dir wahrscheinlich schon früher sagen sollen, aber Kalessan ist nicht wirklich ein Mensch, sondern... na ja, ein Drache. Bitte verzeih mir, dass ich dir das nicht schon früher anvertraut habe, aber du hättest ihm unseren Jungen wohl kaum anvertraut, wenn du das gewusst hättest..."
Schuldbewusst schaute Karlmax auf den Boden, während er auf Ritas Reaktion wartete, darauf hoffend, nicht selbst mit verknoteten Armen und Beinen im dunklen Wald zu landen.
"Er ist ein Drache? Große Echse mit Flügeln, speit Feuer, hortet Gold undsoweiter, so ein Ding?"
"Ganz genau so ein... Ding, ja."
"Aber, das ist ja... perfekt!", rief Rita aus, "Warum hast du mir das nie erzählt? Einen besseren Beschützer für unser Ninnilein als einen Drachen kann ich mir doch gar nicht vorstellen. Und wenn er dann noch mit dir befreundet ist, wo liegt das Problem?"
"Nun, darin liegt das Problem! Ich war mir gar nicht mal sicher, ob er Freunds genug war, diese Aufgabe überhaupt anzunehmen und durchzuführen...", antwortete Karlmax, der sich von Ritas überraschender Reaktion schnell erholt hatte. "Ehrlich gesagt hoffe ich selbst, dass er unseren Jungen gut behandelt hat."
"Na und wenn nicht, dann bekommt er es eben mit mir zu tun, nicht wahr, Schatz?"
Karlmax lächelte matt:
"Ja, Liebling..."
Zusammen betraten sie die Höhle.
Kalessan erwartete sie bereits, in der Mitte seiner Hauptwohnhöhle liegend. Zu Karlmax’ Erleichterung hatte er den Raum einer gründlichen Reinigung unterzogen, denn sämtliche der stinkenden, gelben Pfützen waren mittlerweile verschwunden. Der Raum sah recht ordentlich aus und roch auch so.
"Willkommen zurück!", begrüßte sie der Drache mit gemäßigter Stimme.
Rita machte große Augen.
"Ihr seid doch dieser Drache, der vor neun Jahren Rudis Stall zerstört hat, oder irre ich mich?"
"Nein, keineswegs. Zu dieser Gelegenheit lernte ich auch... euren werten Mann dort kennen."
Kalessan lächelte Karlmax auf eine Weise an, die diesem überhaupt nicht gefiel...
"Warum hast du mir eigentlich nie davon erzählt, dass du mit ihm befreundet bist?"
Bei diesem Satz leuchteten Kalessans Augen gefährlich auf.
Karlmax wendete sich nur mühsam vom Anblick des Drachen ab und an seine Frau:
"Hättest du mir geglaubt?"
"Ja, hätte ich. Das habe ich doch vorhin auch getan. Warum solltest du mich denn auch mit so einem Unsinn belügen wollen?", antwortete Rita lächelnd und wendete sich ihrerseits wieder an den Drachen:
"Na gut, wo ist unser kleiner Junge denn?"
Kalessan begann auf eine Weise zu grinsen, die Karlmax kalte Schauer über den Rücken laufen ließ. Dann deutete er nach oben.
Ninnel winkte ihnen aus einem an der Decke baumelnden, großen Vogelkäfig fröhlich grinsend zu.
Ritas Lächeln gefror auf ihrem Gesicht.
"Warum hängt mein Sohn in einem Käfig von der Decke?", fragte sie tonlos.
"Oh, versteht mich nicht falsch, es ist nur zu seinem eigenen Schutz. Ich mag vielleicht versprochen haben, dass ich eurem Sohn nichts antue, für die liebe Syrop hier gilt das jedoch leider nicht...", sagte Kalessan, worauf sich hinter ihm etwas regte und der kleinere, aber immer noch imposante Kopf der Drachin hinter seinem Rücken erschien.
"Holen sie diesen kleinen Quälgeist endlich ab?", fragte sie, während Kalessan den Käfig von seiner Kette löste, ihn auf den Boden stellte und die Klappe öffnete.
Ninnel rannte sofort freudig kreischend auf seine Mutter zu und umarmte sie stürmisch.
Karlmax sah sich immer noch sehr beansprucht darin, die gesamte Szenerie zu begreifen.
Kalessan nahm ihm diese Bürde ab:
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir danken oder dich verfluchen soll. Einerseits hat dieser Winzling dort mir einige der stressigsten und peinlichsten Wochen meines Lebens beschert, auf der anderen Seite hätte ich ohne ihn diese nette, junge Dame hier", er deutete kurz auf Syrop, "wahrscheinlich nicht näher kennen gelernt. Ihm selbst geht es anscheinend recht gut, und es ist ihm in meiner Gegenwart nichts schlimmes von... permanenter Dauer geschehen. Nicht wahr, Ninnel?"
"Onkel Kalessan hat mich von einer Klippe geschubst, aber Tante Syrop da drüben hat mich gerettet!", rief der Junge fröhlich aus.
Rita und Karlmax starrten die beiden Drachen sprachlos an.
Kalessan grinste erneut.
"Ja, er hatte hier schon viel Spaß die letzten paar Wochen. Ich bin mir sicher, dass er euch das noch alles erzählen wird. Euch beiden schlage ich jetzt vor, dass ihr meine Höhle und meinen Wald sofort verlasst und euch hier nicht mehr blicken lasst. Nächstes Mal bin ich für den Jungen nämlich nicht mehr Beschützer, sondern Raubtier - alles klar?"
Karlmax nickte - er hatte verstanden.
"Lass uns gehen, Rita!", sagte er und entfernte sich langsam von den beiden Drachen, während er seine Frau und seinen Sohn mit sich zog.
Ninnel winkte "Onkel Kalessan" noch ein letztes Mal zu, dann verschwanden die drei aus der Höhle.
Auf dem Heimweg erzählte Ninnel seinen geschockten Eltern alles über weggezauberte Ritter, gefressene Jungfrauen, Kalessans Wäschen, viele, bunte Drachen und einem netten Herren mit Pferdehufen, der ihm im Traum erschienen war.
In der Höhle sahen sich die beiden Drachen an und atmeten erleichtert auf.
"Bin ich froh, dass dieser kleine Mistkerl endlich weg ist!", sagte Syrop, und lehnte sich an Kalessan an.
Der alte Drache seufzte:
"Glaube mir, du bist nicht halb so froh wie ich... nicht halb so froh..."
"War das denn wirklich nötig? Hättest du die drei nicht einfach umbringen und die Sache vergessen können?"
Kalessan schüttelte den Kopf.
"Nein, dann hätte ich doch noch im letzten Moment versagt. Manchmal muss man halt etwas tun, was einem nicht gefällt... Doch wie gesagt, ohne diesen Quälgeist hätte ich dich wohl nicht kennen gelernt, insofern hatte diese Sache ja doch etwas gutes."
"Och, ich hätte mir schon etwas einfallen lassen, um deine Aufmerksamkeit zu gewinnen, mein Lieber.", schnurrte die junge Drachin.
"Was hättest du eigentlich getan, wenn einer dieser Drachentöter es geschafft hätte, mich umzubringen?"
"Dann wärst du wohl kaum der würdige Partner für mich gewesen, den ich mir gewünscht hatte."
"Hm... Meinst du wirklich, dass Sex die Grundlage für eine gute Beziehung sein kann?", fragte Kalessan seine neue Partnerin.
"Wir sind Drachen, natürlich geht das... wie war es denn bei deiner letzten Gefährtin?"
"Ich... weiß es nicht mehr... Es ist schon so lange her... zu lange!"
"Und genau deswegen bin ich jetzt da.", gurrte Syrop.
Kalessan lächelte.
"Aber mal was anderes: Wie sieht es eigentlich jetzt mit dir und dem Rat aus?", fragte sie.
"Erzähl mir nicht, dass du nur aus politischen Gründen eine Beziehung mit mir eingegangen bist!"
"Vielleicht?"
Syrop grinste geheimnisvoll.
"Nun, ich habe denen gesagt, dass, wenn ich dich umbringe, dies mein letzter Dienst für den Rat sein würde. Da ich dich aber nicht umgebracht habe und dies in nächster Zeit auch nicht tun werde, heißt das wohl, dass ich auch noch nicht aus dem Verein ausgestiegen bin... Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was die sagen, wenn wir beide beim nächsten Treffen dort zusammen aufkreuzen.", sagte Kalessan.
"Und du meinst nicht, dass die etwas dagegen haben werden?"
"Natürlich! Sie werden sich mit allen Mitteln dagegen sträuben – aber wer wird sich schon mit uns beiden anlegen wollen?"
Die beiden Drachen lachten lauthals auf, und irgendwo im Wald wunderte sich ein einsamer Einsiedler, weil er diesen Laut noch nie aus der Höhle seines Herren gehört hatte.
"Dabei fällt mir ein... ich habe ganz vergessen, Morki auf diesen Dimensionsreisenden anzusprechen, den ich zu ihm geschickt habe. Was wohl aus dem geworden ist?"

Dem Fremden war es tatsächlich gelungen, sich aus den Klauen der schrecklichen Furien zu befreien. Als er den Namen der letzten Furie vernommen hatte, musste er vor Lachen laut aufschreien, denn einer der Freunde seiner Heimatwelt hatte den gleichen, dämlichen Namen, was er persönlich recht lächerlich fand. Dies war den Furien so peinlich gewesen, dass sie sich beschämt ins Unterholz verkrochen hatten.
So konnte der Reisende weiter ziehen, immer tiefer in die Finsteren Sümpfe des Schwarzen Todes hinein.
Hier, im Herzen des Sumpfes, war es noch dunkler als in seinen Ausläufern, und der Fremde musste trotz seiner bereits an die Dunkelheit gewöhnten Sicht sehr aufpassen, wohin er trat.
Es dauerte nicht mehr lange, bis er an seinem Zielort ankam. Die Bäume lichteten sich zu einer großen Lichtung, die einen einigermaßen festen Boden zu haben schien.
In ihrer Mitte lag der schwarze Drache. Er war kleiner als der große rote, den der Fremde vorher getroffen hatte, aber immer noch sehr imposant und unheimlich. Sein Blick war weniger aggressiv als der des roten Drachen, hatte aber eine ebenso beunruhigende Intensität, die zusammen mit seinem düsteren Aussehen und der finsteren Umgebung sehr beängstigend wirkte.
Als er sprach, dröhnte seine tiefe Stimme über die Lichtung hinweg:
"Da kommt man gerade nach Hause und bekommt schon Besuch. Was willst du, Winzling?"
"Bist du Morkulebus, der Herr dieses Sumpfes?"
"Der bin ich - es gibt nicht gerade viele Drachen in diesem Sumpf, Winzling!"
"Cool! Der große, rote Drache hat mir diese Botschaft gegeben, die ich dir übergeben soll. Ich muss diese Welt retten, musst du wissen..."
Der schwarze Drache schien interessiert:
"Kalessan hat dir diese Nachricht mitgegeben? Zeig her!"
Der Reisende händigte dem Drachen die Botschaft aus und war dann sehr darauf bedacht, wieder einen möglichst respektvollen Abstand zu ihm einzunehmen.
Morkulebus brach das Siegel der Botschaft und entrollte sie, so gut es mit seinen großen Klauen eben ging. Dann überflog er den Inhalt der Schriftrolle kurz und schnaubte.
"Was steht drin?", fragte der Reisende gespannt.
Morkulebus funkelte ihn ausdruckslos an, grinste dann und winkte ihn zu sich, um ihm die Botschaft zu geben.
Der Fremde war bis zum Äußersten gespannt. Endlich würde er erfahren, was der große, rote Drache seinem schwarzen Kollegen mitgeteilt hatte. Endlich würde er seine Bestimmung in dieser Welt mitgeteilt bekommen.
Er nahm die Schriftrolle von dem schwarzen Drachen entgegen und las sie sich durch.
Die Mitteilung war recht kurz.
Sie lautete:

Von Kalessan an Morki:
Guten Appetit!

Manchmal sollte man nicht wirklich jeden Scheiß annehmen, der einem aufgetragen wird...

 
ENDE
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© Der Doktor
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Ääähm... und damit endet diese Geschichte... ;-)

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www.drachental.de