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... Und Blut fließt im
Drachental ...
In den Tagen, in denen die Drachen begannen
zu rebellieren, die Reiter von ihren imposanten Häuptern verbannten
und Schreie des Zorns in den Himmel stießen, begann mir langsam zu
dämmern, was die Menschheit schon immer falsch bei der Handhabung
dieser grazilen Geschöpfe gemacht hatte und ich versuchte mein bestes,
um meine Erkenntnis an die Spitze der Herrscher weiterzugeben.
Alles begann an einem eisigen Wintermorgen,
als der Schnee sich wie ein endloser, weißer Teppich über die
Landschaft geschwungen hatte und starre, verkrüppelte Schemen von
morschen Bäumen daran erinnerten, dass der Wald, in dem ich mich befand,
voll von mystischer Wunder und heroischer Abenteuer gewesen war. Doch in
den frostigen Tagen des neuen Mondes zogen nur raue, kalte Winde durch
die blattlosen Zweige und das andauernde Knacken und Knirschen der losen
Äste hing als regelmäßiger Laut vor dem trüben, blassgrauen
Schemen des Himmelszeltes.
Mit mutigen Schritten trat ich aus dem steifgefrorenen
Zeltgerüst, der Schnee umgab meine Füße wie feuchte Watte
und das karge Licht der Sonne blitzte grell auf den leichten Wellen der
Decke auf. Ich war nackt unter der waldgrünen Decke, die ich mir zum
Schutz vor der Kälte um den Leib gewickelt hatte. Mein Haar war gut
geschnitten, dennoch schweißverklebt und von der Farbe herbstlicher
Kastanien und hinter meinen Augen verbarg sich Kraft und Ausdauer, und
im Moment war mein Blick auf den Hauptmann vor mir gerichtet, dessen imposante
Rüstung sich nicht einmal annähernd mit meiner kläglichen
Bekleidung messen konnte. Seine Züge waren bedauernswert schroff,
auf seiner Stirn schien ein Meer aus Falten gefangen zu sein und in seinen
Augen spiegelte sich die Gutmütigkeit eines verständnisvollen
Vaters. Die Farbe seiner Haut war weiß, dennoch gebräunt und
von Wind und Wetter gegerbt und da seine Oberarme frei waren und nur annähernd
von dem schützenden Wolfspelz um seine Schultern berührt wurden,
sah ich seine Muskeln und erinnerte mich sogleich an meine kümmerliche,
dürre Gestalt, die trotz ihrer hellen Reinheit und Unvernarbtheit
keine echte Schönheit war und meine Züge waren eher einfach,
dafür besaß ich große, knochige Hände, mit denen
ich meinen Dolch wie einen verlängerten Arm und sogar noch besser
schwingen konnte. Ein kleines Zucken hätte genügt und mein Gegner
wäre ohne weiteres in den frischgefallenen Schnee gesunken, das Rot
seines Lebenssaftes hätte sich wie eine Horde hungriger Wölfe
in eine Schafherde in das blitzende Weiß gefressen.
"Ihr seid bereits wach, General, wie ich sehe."
Ich nickte nur kurz und meine Brauen zogen sich fragend zusammen. Was vermochte
Rùdger dazu getrieben haben, sich bei mir um diese Zeit des Tages
blicken zu lassen?
"Erklärt mir euer Anliegen, Hauptmann!"
befahl ich kalt. "Ich toleriere es nicht, während dieser Tageszeit
geweckt zu werden! Ihr wisst, dass ich mich nur nachts zu meinen Gäulen
geselle! Was geht hier also vor?" Ich war nicht gerne freundlich zu meinen
Untergebenen, denn dann erwies es sich oft, dass die Besagten sich über
mein Wort erhoben und sich die Freiheit nahmen alleine zu entscheiden.
Wenigstens wollte ich von neuen Plänen in Kenntnis gesetzt werden,
aber wohlgemerkt nicht zu dieser Tagesstunde. Die Nacht war mein Element
und ich bevorzugte nur dann zu reisen. Wir waren den Drachen bereits seit
einigen Tagen auf der Spur und immer noch konnte ich das Heulen der riesigen,
ledernen Schwingen in den Lüften hören. Es war eine Gabe, die
sich wie von selbst nach einem Unfall ergeben zu haben schien. Was davor
war, wusste ich nicht, es war, als wären einfach ein paar Jahre aus
meinem Gedächtnis gestrichen worden, in denen viel passiert zu sein
schien. Ich erinnerte mich nur knapp an den Unfall...
Der Mann lag bewegungslos unter einem direkt
in der Mitte zerborstenen Stamm. Das Holz war morsch und überhangen
mit Schlick und Algen, der nur ansatzweise feste Boden des Sumpfes war
mit kleinen, silbernen Blättern übersäht, die den Schuppen
der Drachen in den höchsten aller Lüfte glichen, silberweiß
und makellos. Der Stamm selbst war bereits umgestürzt gewesen, noch
bevor der rasante Unfall je stattgefunden hatte, und helles Kraut und Farngewächs
spross hier überall empor, entfaltete sich wie zu neuem Lebe und öffnete
seine Knospen in einer Kaskade der Herrlichkeit. Das Surren und Schwirren
der kleinsten Insekten lag in der Luft und mischte sich mit dem zarten
an- und abschwellen des Westwindes. Glasklare Perlen liefen wie Regentropfen
über sein Gesicht und das Haar war windzerzaust und in den dunklen
Strähnen hatten sich kleine, kostbare Blätter verfangen. Blut
hatte sich hier und dort mit den vertrockneten Körperflüssigkeiten
vermischt und löste bereits den verkrusteten Schlamm und den Dreck
von der Haut.
Der Mann war bewusstlos und an seinem Hinterkopf
klaffte ein großer, dunkelroter Fleck, und Lebenssaft tränkte
die Erde. Er trug die Gewänder eines einfachen Gefreiten, ein rotes
Wollhemd und darüber einen kleinen Lederschutz, Handschuhe und Stiefel
aus dem gleichen, nussbraunen Material. Seine Gestalt war drahtig und abgekämpft,
und in dem mit Eisen beschlagenen Gürtel hing ein schartiger, abgewetzter
Dolch.
Der Mann öffnete die Augen und sein
Blick blieb sofort an einem drohenden, riesigen Schatten am Himmel hängen,
der von einem schnellen, blitzenden Etwas geworfen wird, das sich windschnell
über das blanke Firmament des morgendlichen Himmels bewegt...
"General?" Erst jetzt erwachte ich aus meiner
Trance und starre den besorgt vor mir stehenden Rùdger entsetzt
an. Eher aus Scham als aus Wut warf ich ihm einen abfälligen Blick
zu, machte eine wegwerfende Handbewegung und wollte ihn erregt anfahren,
doch ich änderte meine Meinung, brach mitten in der Geste ab.
"Es ist nichts", sagte ich und schloss dabei
kurz die Augen. "Was ist nun euer Begehr?" Etwas schien sich abrupt in
dem Mann gewandelt zu haben, denn auch er schien plötzlich erstaunt
und erschrocken zugleich zu sein. Doch schließlich fing auch er sich
wieder und ich machte die gewohnte Gelassenheit Rùdger’s in seinem
Gesicht aus. Seine blauen Augen blitzten beklemmt und er schien einige
Zeit zu brauchen, um sich zu sammeln und dann vollends mit seinem Anliegen
herauszurücken. Wie ich aber schnell an meinem unbehaglichen Gefühl
erkannte, musste es eine schlechte Nachricht sein, die er mir überbrachte,
oder es wurde mir einfach nur kalt unter den Fußsohlen. Schließlich
wackelte ich etwas mit den Zehen und trat einige Schritte ins Zelt zurück,
damit ich meine Füße an der tannengrünen Fußbodendecke
meines Privatzeltes abstreifen konnte.
"Die Drachen, Sir, wir haben ihre Spuren entdeckt!"
Ich lauschte auf. "Dreißig große Fußabdrücke zwei
Meilen westlich von hier!" In meinem Hirn raste es. Sollten wir wirklich
in den nächsten Tagen auf Drachen treffen?
"Wie lange?" fragte ich bestimmt und unterbrach
den Hauptmann somit, der sich aber nicht beirren ließ und mit leicht
gekränkter Miene weitersprach, während er den Kopf schüttelte
und dabei das Haupt senkte, seine Blicke ruhten auf dem plattgetrampelten
Schnee vor meinen Füßen:
"Das dürfte nicht unser einziges Problem
sein..." Während ich Rùdger mit angestrengt zusammengekniffenen
Augen - ich wollte sie vor der Helligkeit schützen - maß, fiel
mir das große Schlachtross auf, das breitbeinig hinter dem Hauptmann
stand und das nun lautstark zu wiehern begann, und die blonde Mähne
hob und senkte sich im Wind, der Sattel bestand aus rotgefärbtem Leder
und Silberknöpfen. Die weiteren Worte des Soldaten gingen fast in
dem energischen Scharren des ungeduldigen Hengstes unter... "Sie kommen
alle direkt auf uns zu, fünfzehn Drachen, die Feuer speien wie der
Vulkan die Lava..."
Ein gellender Aufschrei zerriss die angeregten
Unterhaltungen der Krieger, deren General momentan nichts besseres zu tun
hatte als halbnackt im Schnee zu stehen und wild in seiner Phantasie zu
kramen.
Stille trat augenblicklich ein, als sich alle
Hälse zum Himmel reckten.
Ein Heulen ertönte, unsagbar laut und
markerschütternd, als würden tausend Schneeleoparden gleichzeitig
Fauchen, und wie durch ein Wunder stimmten weitere, wie Pfeilgeschwirr
sirrende Sirenen ein.
Und dann tauchten sie auf, duzende von sich
schnell bewegenden Schatten, die unaufhaltsam näher kamen, der Klang
von ledernen Schlingen hing in der flammenerhitzten Luft, und Krallen,
Zähne und Klauen stießen beinahe im gleichen Moment aus den
nebligen Schwaden herab, wie ein heißer Draht durch Butter...
Die Drachen griffen an.
"Aufstellung, Männer!" brüllte ich
so laut ich konnte und riss Rùdger’s Schwert aus der Scheide und
als die Sonne auf das blankpolierte Metall traf, blitzte es auf wie in
einer Sturmnacht. Die Waffe war sichelförmig und mehr als einen halben
Meter lang und der silberne Griff war mehr als nur mit Edelsteinen verziert.
Schnell stülpte ich mir die Stiefel über und legte den schweren
Waffenrock an, das schwarze, verwitterte Leder war das einzige, was ich
in den Momenten der Aufregung fand. Kurzerhand schwang ich mich auf das
Ross des verblüfft dreinschauenden Hauptmanns und gab ihm die Sporen.
Das Tier stieß ein lautes Wiehern aus und bäumte sich auf, doch
ich hielt mich fest entschlossen im Sattel und trieb es zur Höchstform
an, stürmte mit ihm in wildem Blutrausch über den Lagerplatz
und erreichte mein Heer Soldaten, das sich bereist kampffähig gemacht
hätte. Ein hellgleißender Feuerball aus gebündelter Hitze
schoss aus den Wolken und ließ einige Zelte in einem Flammenmeer
explodieren, Männer schrieen auf und stürzten von ihren Positionen.
Die Luft war erfüllt von sengender Hitze, schwarzem Rauch und es regnete
Holzsplitter und verkohlte Fetzen von Zeltplanen. "Wo bleiben die Enterhaken?"
schrie ich wutentbrannt und hetzte meinen Gaul an, einmal um das halbe
Lager zu jagen, um dann endlich die vermeintlichen hölzernen Geschütze,
verknotet mit Seil und auf Rädern zu erblicken, die von ein paar Männern
hergewälzt wurde. Insgesamt waren es dreizehn Enterhaken und nach
einem kontrollierenden Blick langte ich mein Pferd um und ließ es
halten, erhob die Schwerthand so, dass die Männer an den Geschützen
mich sehen konnten.
Als die Hälfte der Drachen gedreht hatten
und wieder zum Angriff ansetzten, riss ich die Klinge herunter und in der
gleichen Sekunde, in dem sich die Enterhaken aus ihren Fassungen lösten
und zischend in den grauen Himmel rasten, raste ein weiterer Feuerball
heran, geschossen von einem dieser schuppenbedeckten Wesen, deren Kräfte
weit über die der Menschen hinausgingen.
Flammen explodierten, eine Hitzewelle überflutete
das Lager und Metallwinden und dicke Holzbalken wurden durch die Luft geschleudert
und landeten krachend im Schnee. Die Explosion riss mein Tier von den Füßen
und mich mit weg, schützend riss ich noch den Arm vors Gesicht und
spürte, wie sich noch im gleichen Moment glühende Splitter mit
der Präzision eines Scharfschützen in meinen Unterarm bohrten.
Der Schmerz jaulte in mir auf und mein Arm schien innerlich zu brennen,
Blut rann aus meinen Wunden und bildete seltsame Muster im Schnee, als
ich direkt in das eiskalte Bett geschleudert wurde. Ich vernahm das sirrende
Geräusch der Enterhaken und die der hinterherhuschenden Seile. Stahl
bohrte sich durch schuppige Panzer und kreischte auf, als Funken stoben
und riesiger Schatten den Halt verlor, vom Himmel fiel wie eine silberleuchtende
Rakete. Durch meine von Schneeschleiern verdeckten Augen erkannte ich schwach,
was geschah:
Der Drache stürzte.
Und mit seinem Fallen schien etwas in meinem
Hirn Klick zu machen...
Der Mann stürzt, über ihm ein
großer Schatten; er rudert verzweifelt mit den Armen, Silber blendet
seine Augen... Dann wird ihm schwarz und er hat einen Traum in der Kühle
der sausenden Luft...:
"Du bist es, nicht wahr?" Die Stimme des
Drachen ist voll und wohltönend. "Ich habe dich gesucht..." Er lächelt
und seien mächtige, krallenbewehrte Hand legt sich auf die Brust des
Mannes, der mit Eisenketten gefesselt auf dem kalten, harten Stein liegt,
seine Gedanken sausen. Der Drache ist groß, seine feinen, ledernen
Schwingen sind halb ausgebreitet und seine Augen sind gutmütig. Er
spürt das Gewicht des silbernen Drachen, dessen Hautfarbe wie gesplittertes
Eis leuchtet. Der Schwanz peitscht prächtig die Luft. "Es gibt nicht
viele, die auf mir reiten durften. Doch du durftest, viele Jahre... Doch
alles hat seinen Preis. Ich, Dragon, genannt die Silberschwinge, werde
nun dein Gedächtnis löschen, sodass du keinem anderen erzählen
kannst, was dich in den hohen Lüften hat ereilt. Und erst mit meinem
Tod wirst du dich an alles erinnern können... Schlafe nun und wach
jetzt auf!" Die Pranke drückt zu, fest und obsidianschwarze Krallen
bohren sich durch den Brustharnisch des Mannes und Blut wird sichtbar...
Etwas hartes schlägt auf den Kopf
des Mannes, ruft ihn für einen Moment in die Wirklichkeit des Lebens
zurück, doch dann fällt er wieder, ein Regen aus silbernen Drachenschuppen
und Holzsplittern begleitet ihn...
Nun wusste ich, was es mit diesen geheimnisvollen
Geschöpfen des Himmels auf sich hatte, und ich bedauerte, dass Dragon
nun tot war. Ich war Drachenreiter gewesen, und zwar der letzte aus diesem
edlen Volk, doch aus irgend einem Grund hatte ich plötzlich begonnen,
diese wunderbaren Geschöpfe zu jagen und nun hatte ich seine Quittung
bekommen... Silberschwinge war tot und mit ihm, dem mächtigsten aller
Drachen, verloren sich die anderen in den Lüften. Trauer erfüllte
mein Herz so sehr, dass es zu zerreißen drohte und meine Augen sich
mit Tränen füllten. Dort lag der geschundene Leib des Drachen,
doch noch immer lag dieses mystische Glitzern auf seinem Panzer und für
einen Moment hatte ich das Gefühl, dass das Tier mich anblicken und
sagen würde: "Verräter! Reiten durftest du auf mir, die Geheimnisse
der Lüfte erforschen und nun haben die Leute unter deinem Kommando
eiserne Blitze in den Himmel gesandt, um mich und meine Brüder zu
stürzen..." Ich versuchte mich zu verteidigen und schrie fast:
"Mein Gedächtnis war ausgelöscht!
Was konnte ich denn anderes tun?" Ich wusste, dass ich nur phantasierte,
doch der tote, blutüberströmte Drache ließ mir keine Ruhe
und so stritt ich mich weiter mit mir selbst, bis es Abend wurde und meine
Leute mich widerwillig aus dem eisigen Frost zogen.
Aber kreischend schwang ich mein Schwert und
erwischte einen Krieger nach dem anderen, während ich immerzu Mörder!
Mörder! rief...
Dieser Tag ging in die Geschichte ein, als
ein Mann allein Hunderte seiner eigenen Leute niedermetzelte und versuchte,
sie von dem geschundenen Drachenleib fernzuhalten...
"Es ist ein Verbrechen etwas Schönes zu
vernichten"
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-- Mergéth, Drachenreiter |
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© Benedikt
Julian Behnke
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