Einst, als die Erde noch unberührt und
selbst das stolze Geschlecht der Elben noch jung war, stürzte ein
riesiger Feuerball in einer Neumondnacht vom Sternenhimmel und verbrannte
alles in seiner Reichweite zu Asche.
Fünf Tage und fünf Nächte brannte
dieser Feuerball sich in die Erde, bis ein längliches Loch sich tief
in den Boden bohrte. Die Elben begutachteten das Geschehen des Feuerballs
mit leichter Neugier, hatten sie nicht schon zuvor den Fall der Sterne
beobachtet - doch diesmal war etwas entscheidend anders...
Am Ende der fünften Nacht nach dem Fall
des Sterns kroch ein Wesen, ungesehen selbst von den scharfen Augen der
meisten Elben, in der Zeit wo die Nacht dem Tage weicht, aus dem Loch der
Erde. Es war eine Kreatur von ungeheurer Größe, aber zugleich
unbeschreiblicher Anmut und grausam anmutender Schönheit.
Nur der Elb Calondriel, der in der Morgendämmerung
einen Waldweg entlang streifte, sah wie die Kreatur einer Stichflamme gleich
gen Himmel stieg und der aufgehenden Sonne entgegen flog. Calondriel gab
der Kreatur deshalb den Namen "D'areco" - Flammender - und Zeit seines
Lebens mangelte es ihm nie wieder an Zuhörer, wenn er von seiner Begegnung
mit dem Feuerwesen berichtete.
So vergingen die Jahre. So viele, dass selbst
ein Elb sagen konnte, er lebe schon seit einer geraumen Ewigkeit.
In dieser Zeit hatte niemand wirklich an Calondriels
Geschichte von der Flammenden Kreatur geglaubt. Die anderen Elben und vor
allem die Kinder hörten gerne die Sage von D'areco, die im Laufe der
Jahre von vielen Barden ausgeschmückt und weitergedichtet wurde, und
in der D'areco nicht ein Feuerball, sondern ein zu einem göttergleichen
Boten erhoben wurde, der vom Himmel herabgesandt wurde, um den Lebewesen
der Erde - seien es jetzt Elben, Menschen oder Zwerge - als Licht und Wärme
zu dienen, das ihnen das Leben schenkt. Und diese Geschichte lebte weiter,
egal in welchem Volk und egal in welcher Sprache.
Die Kreatur jedoch, die nicht zu Unrecht "Flammender"
getauft wurde, lebte in einer Höhle auf einer vulkanisch sehr aktiven
Insel im Osten des Landes.
Sein Leben verging nicht, die Kreatur wusste,
dass es unvergänglich war, oder wie die Lebewesen dieses Planeten
zu sagen pflegten: unsterblich. Doch dabei wusste es auch, dass das nicht
alles war, aber selbst all die Jahrtausende, die es schon auf seiner Insel
verbracht hatte, ließen ihn nicht auf den Sinn kommen, den sein Dasein
mit sich brachte. So hatte die Kreatur aufgegeben nachzusinnieren und war
wie viele Unsterbliche zu der Ansicht gelangt, dass Zeit alle Probleme
löse, und seine Quelle der Zeit war unerschöpflich.
Einzig jedes Mal, wenn die Kreatur seinen
Blick zum Nachthimmel wendete, um dem Lauf der Sterne zu folgen, deren
Formationen es zur Genüge kannte, spürte es, wie sich tief in
seinem Inneren etwas regte. Fast schien das Geschöpf dann Spuren von
Gefühlen zu empfinden, die es zu empfinden gar nicht imstande war.
Und immer, wenn das Geschöpf sich einsam
fühlte, richtete es seinen Blick auf die leuchtende Scheibe, deren
Wärme ihn immer behütete und hegte. So lebte jene Kreatur sein
Dasein, suchend nach der Antwort auf die Frage, die in seiner Seele brannte.
Doch eines Tages verspürte das Geschöpf
einen lockenden Drang, als ob es gerufen wurde - und auch schien etwas
in seinem Inneren darauf zu antworten. Anfangs zögerlich, denn es
hatte seit vielen hundert Jahrtausenden seine Insel nicht verlassen, folge
die Kreatur dem Ruf nach Süden, doch spürte es selbst durch das
Zögern hindurch seine eigene Sehnsucht und den Wunsch zum Ursprung
jenes lockenden Rufes zu gelangen...
Mit jeder Stunde beschleunigte die Kreatur
ihre Geschwindigkeit, bis es in der Nacht, einer Sternschnuppe gleichend,
über den Himmel schoss und für das Auge eines Betrachters genauso
schnell wieder verschwunden war wie er erschien. Wochenlang flog das Geschöpf
nach Süden, doch der Drang nahm nicht ab, eher steigerte sich seine
innere Unruhe, als ob etwas in ihm ihn zur Eile drängen würde
und ihm sagen würde, dass die Zeit, die für das Geschöpf
immer unbedeutend war, nun drängte.
An einem Mittag eines drauffolgenden Tages
entdeckte das Geschöpf ein weiteres, das zu seinem Erstaunen von seiner
Art war. Erstaunt war es über die Erkenntnis nicht alleine zu existieren,
denn noch nie zuvor war es einem seinesgleichen begegnet.
Die Farben der Flammen des anderen waren nicht
rotgolden, wie seine, sondern in einem kalten bläulich-weiß,
doch waren es unverkennbar Flammen. Die Kreatur ließ sich von einem
Aufwind in die Höhe des anderen heben, und so flogen sie in ruhiger
Zweisamkeit denselben Weg, dem Ruf folgend, den beide verspürten.
Eine Woche später erreichten sie eine
Insel, die kaum halb so groß war wie die, auf der der rotgoldene
früher gelebt hatte, doch barg diese im Gegensatz nicht wenig Leben.
Die Insel schien ein einziger Berg zu sein, der aus dem Meer in die Höhe
ragte, nur die Spitze war abgetragen und bot ein Plateau dar, auf dem Dicht
an Dicht, wie die Kreatur erkannte, viele seiner Artgenossen sich niedergelassen
hatten.
Das Farbenspiel war herrlich, doch hatten
die neuen Ankömmlinge nur Augen für das eine Exemplar ihrer Art,
das in der Mitte, ringartig von den restlichen umgeben, majestätisch
ruhte. Seine Flammen waren Nuancen, wie die, die nur das Meer aufbieten
konnte - von einem dunklen, satten Blau bis hin zu einem weichen, lebendigen
Grün - und ebenso unruhig und unberechenbar.
Das rotgoldene Geschöpf ließ sich
neben den anderen nieder und kostete das ungewöhnliche Gefühl
des Zusammenseins schweigend aus, das für ihn vollkommen neu war.
Bis zum Einbruch der Nacht hin trafen noch wenig weitere jener Kreaturen
ein und reihten sich in den Ring ein.
Als bei Nacht der Vollmond aufging richteten
alle Kreaturen, auch der rotgoldene, der nicht einmal genau wusste, was
er tat sondern nur seinem Instinkt folgend, ihre Köpfe zum Sternenhimmel
und stießen glockenartige und vollkommen für ihre Gestalt unpassende
Töne heraus. Manche heller und manche tiefer, doch wie auch die Farben
ihrer Flammen, niemals gleich.
Und dann setzte der Klang des meerfarbenen
Geschöpfes ein. Sein Ton war tiefer als der jedes anderen im Kreis.
Mächtig und ewig reichte der Klang bis zum Himmel.
Urplötzlich leuchtete er auf, die Flammen
umschlossen den mächtigen Leib und mit einem gewaltigen Sprung stieß
sich die größte der Kreaturen vom Boden des Plateaus ab.
Die anderen, die noch wenige Sekunden zuvor
noch im Gesang eingestimmt waren, verstummten und folgten schweigend der
scheinbar endlosen Bahn ihres Ältesten. Minuten später, die den
ewigen Geschöpfen wie Jahre erschienen, flammte der Himmel hell auf
und das Grollen einer tiefen Kehle war zu hören, scheinbar unendlich
weit weg, doch erreichte der Laut das Innere jedes der Kreaturen auf der
Hochebene. Und plötzlich war das Licht erloschen und der Sternenhimmel
leuchtete, wie er es immer tat und es immer tun wird.
Da entfaltete der erste seine Schwingen und
flog davon, der dunklen Nacht entgegen. Einer nach dem anderen verließ
das Plateau, als ob nichts geschehen wäre. Die rotgoldene Kreatur
war eines der letzten, das endlich den Rückweg antrat.
Auf dem Weg nach Norden fiel ihm aber plötzlich
etwas ungewöhnliches am Nachthimmel, den er bis auf jeden einzelnen
Stern genau kannte, auf. Im Norden war ein neuer Stern auf dem dunkelblauen
Samt erschienen - ein Stern, der ein blaugrünes Leuchten von sich
gab, das an die Tiefen des Meeres erinnerte.
Nun begriff das Geschöpf die Antwort
auf seine Frage und wusste, dass es seine Bestimmung war, eines Tages auch
einen Platz dort oben einzunehmen, dort - neben seinen Brüdern und
Schwestern.
Noch heute erzählt man sich die "Sage
von D'areco", doch wissen nicht viele ihren Ursprung und noch weniger die
wahre Geschichte. D'areco wurde der Gott des Feuers und Bote des Himmels,
doch kennt man ihn in diesem Zeitalter mehr unter einem seiner anderen
Namen: "Drache"...
© Cyrion
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
|