Das Drachenauge - Dunkle Boten von Julia Amrein

Der Wind rauschte sachte an den vermummten Gestalten vorbei, als sie immer weiter in die Finsternis hinein glitten. Es schien nichts vor ihnen, weder hinter ihnen zu sein, so undurchdringlich war die Dunkelheit in dieser Nacht. Vorsichtig gingen sie immer weiter ihren Weg, ohne genau zu wissen wo er sie hinführen würde. Aber niemand war der Ansicht, daß es der falsche Weg sei. Jeder von ihnen war fest der Ansicht, daß sie sich ihrer Bestimmung nicht widersetzen konnten. Nachttiere waren auf der Jagd und man konnte manchmal einen Schatten flüchtig vorbei huschen sehen. Nur für einen einzigen Augenblick kam es ihnen so vor, als wäre die Zeit angehalten worden. 
Doch täuschten sie sich. In Wirklichkeit raste die Zeit schneller an ihnen vorbei, als ihnen lieb war. Wenn sie sich nicht beeilen würden, wäre es für ihre ganze Welt das Ende. Lange Zeit folgten sie noch ihrem beschwerlichen unsichtbaren Pfad, der sich überall hin und her schlängelte. Obwohl sie frohen Mutes ihm schon eine geraume Zeit folgten, wollte er nicht enden. So als würde er sie auf eine unendliche Reise mitnehmen, welche ihnen zum Verhängnis werden sollte. Doch es kam ganz anders, als sie alle erwartet hatten. Plötzlich war der seltsame Führer durch die schier ewige Schwärze am Ende seiner Kraft. Mit dem letzten Fünkchen seiner Macht hatte er sie an ihr Ziel geführt....an dem Ort, an dem sich ihr Schicksal erfüllen würde. 
Alle waren sie erschöpft, aber keineswegs stark geschwächt. Ihr Wille allein gab ihnen nun die Macht, das zu tun, wozu niemand außer ihnen im Stande war. Das Tal in welches sie gekommen waren, war genau der richtige Ort. Sie waren sich alle sicher. Jetzt würde sie niemand mehr aufhalten können. Weder Lebewesen noch Geister, noch andere Geschöpfe.... Der Mond tauchte aus dem riesigen Wolkenmeer auf und sein glänzendes, strahlendes Licht fiel genau in die Mitte des Tales, als wolle er sie willkommen heißen in seiner Welt. Ihre Mäntel fingen an zu funkeln. Das Gold und Silber ihrer mit Runen bedeckten Umhänge glitzerte im seichten Mondlicht. Sie stellten sich langsam um dieses Licht und konzentrierten sich. Das Ritual des Mondes begann.  Ihre Gedanken waren einzig und allein auf eine Sache konzentriert. Das Licht flackerte mit einem Mal auf, als sie ihre Gedanken gebündelt hatten und auf den Mond richteten. Aus dem Flutlicht des Mondes wurde eine Kugel, welche immer noch im Glanz des Mondes schwebte. Ihre äußere Schale glitzerte silbern, nahezu perfekt schwebte sie nur wenige Meter über der Erde, dann explodierte sie in einem Farbenspiel aus vielen bunten Lichtern. Gespannt beobachteten sie alle das Schauspiel und waren äußerst zufrieden. Es war bis jetzt alles gut gegangen. Wenn sie jetzt einen Fehler machten, das wußten sie, dann würde niemand ihre Welt mehr retten können. Nur dieser Vollmond hatte die Kraft und die Macht dazu. Er allein war bestimmt, Träger für eine einmalige Energie zu sein, mit deren Hilfe sie es schaffen konnten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Er allein. Wenn sie diese Quelle von Energie verlieren würden, wäre alles aus... Als die magische Energie aus der Kugel wich, formte sie sich immer wieder neu. Doch die Reisenden  wurden auch immer schwächer, das Formen einer solch gewaltigen Energie konnte tödlich enden, denn sie versuchte auszubrechen und als es dann so schien, als würde sich die Energie endlich fangen lassen, sprang sie mit einer großen Wucht auseinander. Der enorme Druck zerfetzte zunächst ihre Gesichter und dann zersprengte er ihre Körper in viele Einzelteile. Die verschiedensten  Körperteile lagen noch meilenweit entfernt auf dem taufrischen Gras und befleckten den heiligen Ort mit Blut. Niemand von ihnen hatte es überlebt. Nun war die letzte Hoffnung auf die Rettung ihrer Welt letztendlich gescheitert. Allerdings hatte keiner von den Wanderern  bemerkt, wie sich eine dunkle Gestalt in ihrer Nähe aufgehalten hatte. Sie schien zwar auf den ersten Blick  nur winzig und unbedeutend zu sein, aber ihre seltsamen glühenden Augen verrieten, daß mehr hinter ihr steckte. Geschmeidig bewegte sie sich weiter durch die Finsternis und als das Schauspiel beendet war, verschwand sie dann spurlos in der endlosen Schwärze. 

*

Auf dem Tunierplatz herrschte ein großer Tumult, als ein heißer Kampf in seine Endphase gekommen war. Zuvor hatte man das Klirren der aufeinander treffenden Klingen andauernd vernommen, jetzt war es ruhig geworden. Ein heftiger, aber kurzer Kampf war zu Ende. Deidrian war fassungslos. Er stand minutenlang still und blickte entsetzt seinen Gegner an. Dieser lag zusammengekrümmt auf dem Boden und rang nach Atem. Es kam ihm immer noch unmöglich vor. Aber der Anblick seines Feindes zeigte etwas anderes. Es war ihm tatsächlich gelungen ihn niederzuschlagen. Keiner hatte es so einfach vor ihm geschafft. Langsam breitete sich in ihm Hoffnung auf den Tuniersieg aus. Auch sein Gegner war erstaunt gewesen und raffte sich langsam wieder auf. Sein Kettenpanzer war stark mitgenommen und sein Helm war durch den starken Treffer auf dem Boden gelandet. Er war völlig verbeult und unbrauchbar geworden. Deidrian war aber fair genug, um seinem Gegner wieder auf die Beine zu helfen. Er bat ihm seine Hand an und dieser packte sie. Schwerfällig stand sein Feind langsam auf. Sein Gesicht verriet, daß er immer noch überrascht und gleichzeitig bitter von sich enttäuscht war. Deidrian wurde nervös, als er in dem Gesicht des anderen noch mehr „lesen„ konnte. Dieser war plötzlich sehr wütend geworden und wußte noch nicht, ob er Deidrian gewinnen lassen sollte oder nicht. Ihm einfach die Kehle in diesem unbedachten Moment durchzuschneiden wäre einfach und schnell. Das aber würde Disqualifikation bedeuten, weshalb er sich dennoch anders entschied. Erleichtert sah Deidrian seinem Gegenüber in die Augen, spürte aber trotzdem einen eisigen Blick auf sich haften. Die Augen seines Feindes verrieten sogar noch mehr, als er beabsichtigte. Die strahlenden Augen des Kämpfers und seine würdige Ausstrahlung waren stärker denn je. Verwundert darüber wollte Deidrian seine Augen von ihm abwenden, aber bevor er noch dazu kam erwiderte eine harte Stimme: „Du brauchst keine Angst mehr vor mir zu haben, kleiner. Vorerst.„ Der Krieger wandte sich von ihm ab und ging durch das große Tor. 

Deidrian dachte noch Stunden später an seinen letzten Kampf. Er konnte es kaum glauben, daß er gesiegt hatte. 
Wie hatte er es geschafft, von einer Sekunde auf die andere solche enormen Kräfte freizusetzen und seinen Gegner nieder zu schlagen? Er fand keine Antwort darauf. Niemand würde ihm auch nur eine Minute länger zu hören, falls er das erzählen würde. Es war ein verzwicktes Rätsel und er war der einzige, der es lösen konnte. Verzweifelt ging er immer wieder in Gedanken den Kampf durch. Am Anfang war er seinem Feind klar unterlegen gewesen, doch urplötzlich hatte er seine Taktik geändert und seinen Gegner geschickt überrumpelt. Seit diesem Moment war ihm klar, daß er allein eigentlich nie dazu imstande gewesen wäre das zu tun. Er war noch ein blutiger Anfänger, der zwar fleißig übte, aber für solch einen Schachzug war es doch zu früh. Was hatte er nur getan? Was war der Auslöser dafür? Besaß er etwa magische Kräfte, die tief in ihm schlummerten und nur darauf warteten, geweckt zu werden? Falls ja, dann hätte er doch lieber Magier werden sollen. Aber wie war das nur möglich? Er war getestet worden und das Ergebnis war, daß er kein Fünkchen Magie besaß. Oder hatte man sich geirrt? Außerdem beschäftigte ihn dieser Krieger, irgendetwas stimmte nicht mit ihm...

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Am nächsten Morgen stand er früh auf, ein weiterer Tag im Wettkampf. Seine Muskeln und Sehnen schmerzten überall am Körper und in seinem Kopf hämmerte es wild. Er versuchte sich zu beruhigen, doch als er für den Kampf am Nachmittag sich fertig gemacht hatte, überkam ihn ein kurzer, aber besonders heftiger Schwächeanfall. Er konnte für einen Moment nicht einmal mehr stehen, knickte mit den Beinen ein und fing seinen Fall mit den Händen auf. Selbst das Atmen fiel ihm schwer und ihm wurde langsam schwindelig. Alles um ihn herum drehte sich unaufhörlich, dann wurde ihm schwarz vor den Augen. Er spürte nur noch wie er auf den harten Steinboden des Zimmers prallte und ihn der kalte Boden berührte. Als er nur wenige Minuten später wieder zu Bewußtsein kam, lag er nicht mehr auf dem Boden, sondern wieder in seinem Bett. Anscheinend war jemand hier gewesen, hatte ihn gesehen und ihn ins Bett gelegt. Erleichtert fühlte er, wie er nun frei atmen konnte und auch seine Kraft schien wieder gekommen zu sein. Er wollte sich dafür bedanken, aber es war niemand außer ihm im Zimmer. Währenddessen gingen die Vorbereitungen für die folgenden Kämpfe voran. Der Platz war freigeräumt worden, die Zuschauer der anderen Kämpfe, hatten sich schon eingefunden, um die letzten  zu sehen. Der Wettkampf war innerhalb kürzester Zeit zum beliebtesten Schauspiel in der Stadt geworden und diese wurden von Jahr zu Jahr spannender, es gab immerhin immer wieder andere Teilnehmer aus den verschiedensten Ecken des Landes, sogar aus der ganzen Welt. Die Bewohner waren darauf stolz, es brachte schließlich auch mehr Besucher in ihre einstmals ruhige Stadt und verschaffte ihr einen ansehnlichen Ruf, gerade unter Kriegern. Ob Söldner oder Soldat, jeder der etwas auf sich hielt, war anwesend. Der Sieger bekam nämlich einen ganz besonderen Preis, den jedermann gern gehabt hätte. Zunächst bekam man einen Titel und natürlich eine Auszeichnung, doch was es noch zu gewinnen gab, wurde jedes Jahr neu ausgewählt. Das war der Überraschungseffekt, der diesen Wettkampf besonders reizbar machte. Im letzten Jahr bekam der Sieger eines der berühmten Schwerter von Êth, die besondere verschiedene Fähigkeiten hatten. Als Deidrian zum ersten Mal eines dieser Schwerter gesehen hatte, wollte er auch einmal so eins in seinen Händen halten. Jetzt hatte er die Chance dazu, eines zu gewinnen, oder etwas noch wertvolleres zu bekommen...

Deidrian spürte keine Schmerzen mehr, es schien ihm wieder besser zu gehen. Der nächste Kampf stand kurz bevor und er hoffte nur, daß er nicht während er kämpfte, einen solchen Anfall bekam. Seinem Gegner wäre dies nur ein Vorteil, den er ihm nicht gönnen wollte. Dabei war er überhaupt froh, daß er schon so weit gekommen war. Niemals hätte er das geglaubt. Er war kein besonders guter Kämpfer, seiner Meinung nach, sondern nur jemand der ausnahmsweise zur richtigen Zeit Glück hatte. Und er wollte nicht umsonst so weit gekommen sein: er wollte siegen! Falls er das nicht schaffen würde, käme es ihm wie ein Schlag ins Gesicht vor. Er mußte es einfach schaffen! 
Der Vormittag brachte optimales Wetter für einen Kampf. Es war trocken und nicht zu warm, die Zuschauer standen auch schon alle um den Platz. Erwartungsvoll wurden sie ruhig, als die beiden Krieger auf den Platz kamen. Alle warteten gespannt auf den Gong. Deidrian versuchte sich auf den Kampf zu konzentrieren, doch es fiel ihm schwer. Er hatte kurz zuvor Kopfschmerzen bekommen und auch die Müdigkeit kehrte wieder. Verdrängen konnte er beides nicht, aber er mußte dieses Duell gewinnen, koste es was es wolle! Wozu war er sonst hier? Sein Gegenüber bemerkte dies natürlich und machte sich auf einen leichten und kurzen Kampf bereit. 
Es war ein stämmiger Krieger aus den Gebirgen, kein leichter Gegner für Deidrian. Kraftvoll bepackt mit zahlreichen Muskeln und sein Gesicht spiegelte seine Kampfeslust wieder. Kurz herrschte eine beunruhigende Stille, dann ertönte der Gong. Der Krieger setzte sofort zum Angriff an, Deidrian wich ihm geschickt aus. Das Schwert des Kriegers verfehlte ihn. Erstaunt über das Ausweichmanöver, war der Krieger für wenige Sekunden abgelenkt, was fatal für ihn endete. Denn genau in diesem Moment, wollte Deidrian seinem Gegner am Kopf einen starken Hieb versetzen, doch er kam nicht dazu. Noch bevor er mit seinem Schwert den Gegner richtig traf, wurde dieser bewußtlos. Deidrian wollte erschrocken zurückweichen, aber er konnte den Hieb nicht anhalten. So kam es, daß er den Hieb ausführte und noch bevor der Gegner ohne Bewußtsein auf den Boden fiel, drang Deidrians Schwertklinge in den Körper ein. Ein glatter Durchschnitt durch den Hals. Was war geschehen? Das Publikum erschrak, als das Blut herausquoll. Niemand schien mitbekommen zu haben, daß er seinen Feind eigentlich nur einen Hieb auf den Kopf geben wollte. Selbst der Schiedsrichter schien es nicht mitbekommen zu haben. Deidrian jagte ein eiskalter Schauder über den Rücken. Wer hatte seinen Gegner vor seinem Schlag erledigt? Der Krieger war tot, daran zweifelte er nicht, als er ihn vorsichtshalber an die Schläfe faßte. Eindeutig tot. In diesem Moment erschauerten auch die Zuschauer und der Schiedsrichter. Auch Deidrian war klar: jemand hatte diesen Krieger vor ihm  getötet, so daß er seinen Schlag nicht mehr aufhalten konnte und mit voller Wucht den Krieger traf. Es sah nun so aus, als hätte er den Krieger getötet. Und das hatte nun zur Folge, daß er disqualifiziert werden würde! Deidrian sah sich überall um. Aber es tat sich nichts. Alle waren sich anscheinend  schon sicher, wer hier der Täter war. Was sollten sie auch anderes denken? Nur wie konnte jemand aus der Menge, unbemerkt einen Krieger töten? Wenn er einen Pfeil abgeschossen hätte, wäre jetzt irgendwo noch die Spitze am Körper zu sehen, doch dort war nichts auffälliges. Was sollte er jetzt bloß machen? Es sah ganz danach aus, als müßte er aufgeben. Keiner würde ihm ohne Beweise glauben! Verzweifelt blickte er zum Himmel herauf, als ob er ein Wunder herbeirufen wolle...

Wachen stürmten auf den Platz, um den Mörder festzunehmen. Sollte er sich ihnen stellen oder zumindest versuchen es ihnen zu erklären? Er sah sich um. Aufnehmen konnte er es nicht mit ihnen allen, dafür waren es zu viele wie er feststellte. Dann geschah etwas Ungewöhnliches, ein großer Schatten legte sich auf den Platz und die Zuschauer sahen verwundert in den Himmel. Was sie dort erblickten, brachte ein Staunen in die Menge. Verwirrt schaute auch Deidrian hoch, schrak jedoch zurück als ein dickes Seil genau vor seiner Nase auftauchte. Was sollte das alles? „Nimm das Seil, Junge! Beeil dich!„, rief eine helle Stimme von oben. Ohne lange zu zögern packte er das Seil und begann ein Stück herauf zu klettern. „So ist’s gut! Halt dich gut fest und komm vorsichtig hoch, es könnte da unten etwas schaukeln!„ Nochmals sah Deidrian zum Himmel empor, doch er konnte nicht glauben was sich hinter diesem Schatten verbarg. Ein Luftschiff! Als es anfing zu ruckeln, griff er das Seil noch fester. Langsam erhob sich das Luftschiff immer höher und ein Tumult entstand unten in der Arena. Aufgebrachte Wächter liefen hin und her, suchten nach Pfeil und Bogen. Um Katapulte zu holen, hatten sie keine Zeit. „Ich glaubs einfach nicht!„, flüsterte einer der Wachen. Ein anderer hatte die gleiche Meinung: „Ein Luftschiff? Schon seit Jahren haben wir hier keins mehr gesehen!„ Gebannt beobachteten sie die Flucht und Deidrian war erleichtert. Wer waren seine Retter? Und warum halfen sie ihm zu fliehen? Es stand doch für alle fest, daß er ein Mörder sein mußte! Er zog sich mit letzter Kraft über die Reling und blieb erschöpft auf dem Boden sitzen, bis er zwei winzige Gestalten bemerkte, die vor ihm standen. „Danke!„, hauchte er leise. Für mehr reichte es nicht. „Ist schon in Ordnung! Ruh dich erst einmal aus und dann können wir noch unterhalten. Hier nimm, es wird dir gut tun!„, mit diesen Worten reichte ihm eine Halblingsfrau einen Becher mit Wasser hin. Sogleich nahm er einen Schluck und bedankte sich nochmals. Der Mann neben der Frau schien ebenfalls ein Halbling zu sein, er lächelte seinen Gast nur freundlich an und schaute dann hinaus in die Ferne. Mittlerweile waren sie in Sicherheit und schon ein weites Stück von Moonhaven entfernt, flogen nun an der Küste entlang. 

„Idioten, Schwachköpfe!„, brüllte der Krieger wütend die Wachen an. Es war derselbe der zuvor noch gegen Deidrian verloren hatte, nur trug er diesmal eine pechschwarze Rüstung mit Knochen und blutigen seltsamen Zeichen verziert. Die Wachen zuckten unter seinen Beschimpfungen zusammen, sie hatte alle Angst vor diesem merkwürdigen Burschen. Eine Aura des Bösen ging von ihm aus, das spürte jeder von ihnen. Er war mehr als nur ein normaler Krieger und sie mußten ihm so lange gehorchen, bis er die Stadt verließ. Dann würde er nie wieder kommen, versprach er ihnen jedenfalls. Selbst der Bürgermeister hatte Furcht vor ihm und dieser Kerl schien auch nicht der einzige seiner Art zu sein. „Wie konntet ihr ihn nur entkommen lassen? Dafür werdet ihr bestraft!„ Er umhüllte sich mit einem braunen Mantel und zog die Kapuze hoch. Sein Gesicht konnte man hinter dem Visier seines Knochenhelmes nicht erkennen. Nur seine Augen hatten diesen hinterlistigen Schimmer und diesen Blick, den sie fürchteten. Wenn er sie ansah, fühlten sie sich klein, unwichtig und nutzlos. Sie waren nichts im Gegensatz zu ihm. Hämisch lächelte er sie an. „Einer von euch kommt mit mir und ihr anderen wartet. Du, Martigan, komm zu mir!„ Erschrocken sah die Wache zu dem Krieger. Woher wußte dieser Kerl wie er hieß?  Martigans Gesicht wurde bleich und er antwortete gehorsam, aber mit zitternder Stimme: „Jawohl Sir. Ich werde ihnen folgen!„ Als er mit dem finsteren Gesellen verschwand, fing die Menge an zu murmeln. Sie hatten Angst. Dieser Typ besaß Kräfte von denen sie nur träumen konnten. Anscheinend beherrschte er Magie. Unruhig warteten die restlichen Wachen vor dem Rathaus, nachdem der unheimliche Krieger mit einem ihrer Kumpane dort hinein gegangen war. Schritte. Nur der Krieger war zurückgekommen, er sah verändert aus. Diesmal schien er wie ein normaler Wanderer zu wirken, er hatte sein Aussehen gewechselt, aber er strahlte noch mehr Unbehagen aus als vorher. „Euer Freund hat einen kleinen Ausflug gemacht, allerdings einen von dem er nicht wiederkehren wird. Er gab mir etwas von sich und als Belohnung war er endlich frei.„ Ein böses Lachen ließ die Wachen erschaudern. „Wo ist er?„, fragte einer seiner Freunde. „Wie ich schon sagte er ist frei, aber ihr nennt es glaube ich anders.„ Er machte eine kurze Pause und genoß die Angst der Männer. „Nun, ich glaube ihr sagt dazu Tod, aber für mich ist es die Freiheit.„ Etwas rotes tropfte von dem Balkon über ihnen. Nun fiel es auch den Wachen auf: über ihnen hing die Leiche ihres Kumpanen, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Wie von einer Bestie.
Zuerst sah man Trauer in ihren Gesichtern, dann flammte Wut in ihnen auf. Einer der Männer konnte sich nicht beherrschen: „Du elender Bastard! Dafür wirst du teuer bezahlen!„ Ruhig stand der Krieger da und lachte höhnisch: „Ihr Menschen seid ein armseliger Haufen! Große Klappe und nichts dahinter!„ Mit diesen Worten spürte die Wache, die es gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen, Schmerzen in der Brust. Etwas zerdrückte sein Herz. Er wimmerte vor Schmerzen und Blut floß aus seinem Mund. Die Männer um ihn herum erschraken und Panik breitete sich aus, als die Wache sich an einen seiner Kumpane wandte. Dieser wollte in angewidert zurückstoßen, doch der sterbende Mann hielt sich fest an ihm und spuckte beim Versuch zu sprechen, den anderen sein Blut ins Gesicht. Nun war aus den Männern ein Haufen völlig verängstigter, panischer Gestalten geworden. Kreaturen, die es nicht würdig waren zu leben, dachte der Krieger. Mit geballter Faust richtete er seinen Blick zu den Wolken, weit zum Horizont hinaus und flüsterte: „Und dich werde ich auch noch holen! Bald werden wir uns wiedersehen, Deidrian!„ Ein boshaftes lautes Lachen, ließ die Wachen aufblicken und ehrfürchtig warteten sie auf neue Anweisungen. Nur eine weitere Leiche auf der menschenleeren Straße blieb zurück, als die anderen ihre neuen Befehlen ausführten...

Wolken schwebten an ihnen vorbei, die letzten Sonnenstrahlen fielen auf das Gesicht des Jungen, während er  dieses friedliche Szenario weiter verfolgte. Hier oben war alles anders. So ruhig und doch belebt. Schwärme von Vögeln begleiteten manchmal das Luftschiff, ließen sich vom Wind treiben. Dabei konnte man sie wunderbar vom Deck aus betrachten, wenn sie mit ihren bunt gefiederten Flügeln schlugen und träumen. Deidrian fühlte sich besser denn je. Alle seine Sorgen und Schmerzen waren vergessen. Sie lagen jetzt weit hinter ihm und konnten ihm nicht mehr folgen. Wohin die Reise allerdings ging, wußte er noch nicht. Vielleicht würden ihn aber seine Retter bald aufklären. Er hatte so viele Fragen an sie. Es schienen nette Leute zu sein, in deren Hände er geraten war, so zumindest war sein erster Eindruck. Er hoffte nur, daß es auch so bleiben würde und er nicht wieder am Ende fliehen mußte. Er lächelte gelassen. Nein, er war sich sogar sicher, daß es diesmal gut ausgehen würde. 
„Wollen wir ihm gleich alles erzählen, oder hören wir uns erst an was er zu sagen hat?„, fragte die Frau ihren Mann, der ihr gegenüber am Tisch saß. Beide lebten schon seit langer Zeit auf diesem Schiff, anders als alle ihrer Art. Während die „normalen„ Halblinge den festen Boden bevorzugten, liebten sie beide den Himmel. 
Mit ihrem Luftschiff durch die Welt zu reisen, war für das Paar selbstverständlich. „Also ich glaube er sollte anfangen zu erzählen. So wissen wir wenigstens Bescheid, was er schon weiß. Doch ich befürchte, daß er noch keine Ahnung davon hat, in welche Schwierigkeiten er gekommen ist.„ „Davon bin ich auch überzeugt. Er war so durcheinander, als wir ihn retteten.„ „Geht es ihm denn schon besser?„ „Ja, als ich ihn zuletzt sah, wirkte er äußerst munter.„ 
Deidrian ging mit dem winzigen Mann mit, als er ihn bat, ihn zu begleiten. „Du wirst nun endlich alles erfahren, was du wissen wolltest. Komm mein Junge! Leider haben wir bei uns selbst keinen Platz für dich, du bist schließlich zu groß, aber wir haben aus Erfahrung einen Gästeraum. Allerdings werden wir uns hier oben am Bug auch gut unterhalten können.„ Die Treppenstufen waren genau in der passenden Größe um Halblinge und Menschen leichtfüßig heraufsteigen lassen zu können. Das Schiff war anscheinend so passend gebaut worden, um nicht nur Halblinge transportieren zu können – das faszinierte Deidrian besonders. Der Erbauer mußte ein Genie sein! „Ich habe eine Frage!„ „ Frag mich nur mein Junge!„, sprach der Halblingsmann und sah ihn neugierig an. „Ähmm. Es gibt hier kein Steuer und wie kann man dieses Schiff eigentlich so lenken und wie kann es fliegen?„ „Ganz einfach mit Magie! Es ist für dich schwer zu verstehen, aber du mußt es dir einmal ganz genau anschauen! Dann wirst du feststellen, daß sich hier vorne am Bug etwas ist, was dir vorher nicht aufgefallen sein wird.„ Deidrian ging zum Bug und sah sich um. Dann als er völlig ruhig hinunter schaute, sah er etwas. Er erkannte Umrisse von etwas. Mitten in der Luft am Bug! „Du kannst es nicht richtig sehen, weil es unsichtbar ist, aber ich mache es einen Augenblick für dich sichtbar. Warte einen Moment.„ Der Halbling sprach leise einige Wörter vor sich hin und dann wurde es sichtbar. Eine riesiges drachenähnliches Wesen befand sich unter dem Schiff und schlug mit seinen gewaltigen Flügeln. Nur war es eben kein Drache. Es war nämlich immer noch transparent, schien keinen richtigen Körper zu haben. Lautlos existierte es vor sich hin, trug dieses Schiff. Der Junge zuckte kurz zusammen, als es seinen Kopf hob und ihn direkt in die Augen blickte. „Hey Feris laß das, du ängstigst mir ja den Jungen noch zu Tode!„ Der Halbling fing an zu lachen. „Mach dir keine Sorgen mein Junge, Feris wird dir schon nichts tun! Sie ist eine Art Himmelsdrachen, aber im Gegensatz zu den anderen Drachen, hat sie keine richtige Form. Sie ist mehr wie ein Geist, der durch die Wolken schwebt, sich aber zu jedem beliebigem Zeitpunkt eine Gestalt annehmen kann. Der eines Adlers oder einer kleinen Meise. Nur in fliegenden Wesen kann sie sich verformen, ihre wahre Gestalt, die du jetzt siehst, hat sie wenn sie mit uns reist. 
Und das tut sie schon mit Freuden seit Jahren.„ Er lächelte sanft zu Feris herüber, diese stieß einen zarten Freudenschrei aus. „Und von was ernährt sie sich?„ Behutsam entfernte sich Deidrian von dem Drachen. Noch traute er dem Drachen nicht. Noch nie zuvor hatte er von so einem Drachen gehört. Wieder mußte der Halbling lachen. „Mißtrauisch wie immer diese Menschen! Nur ruhig Blut mein Junge, Feris braucht keine Nahrung, in diesem Sinne. Alles was sie braucht ist der Himmel. Und wenn man zu einem bestimmten Ort möchte, sagt man es ihr einfach und sie fliegt dorthin. Feris versteht alle Sprachen unserer Welt.„ „Dann ist es ja äußerst praktisch einen solchen Drachen bei sich zu haben!„, meinte er grinsend. Die Antwort war ein warmes Lächeln seines Gegenübers. Seine Vermutungen waren richtig gewesen. Diesen Leuten konnte er vertrauen, denn ein warmes Gefühl durchfuhr ihn. Vertrauen. Wie lange war es schon her, seit er jemanden wirklich trauen konnte? 
„Wie ist euer Name, mein Junge?„ „Oh Verzeihung, das habe ich ja ganz vergessen!„, Deidrian wurde ein wenig rot. „Mein Name ist Deidrian und wie heißt ihr?„, fragte er höflich. „So ist’s schon besser!„, grinste der Halbling. „Ich heiße Volokar und das ist..„, er zeigte auf die Halblingsfrau, die gerade zu ihnen kam, „meine Frau Vilocia. Wir reisen mit unseren Luftschiff durch die ganze Welt und dabei trafen wir zufällig dich.„ Vilocia sah Deidrian ruhig an, während Volokar weiter sprach: „Darf ich dir Deidrian vorstellen?„ „Willkommen auf unserem Schiff Deidrian!„, begrüßte sie ihn freundlich. „Da wir jetzt das geklärt hätten, kommen wir nun zu wichtigeren. Nun Deidrian, es wäre hilfreich wenn du uns zuerst alles erzählst was du weißt..„ Damit begannen die stundenlangen Unterhaltungen, die am Ende nur mehr Fragen stellten, als beantworteten. „Du wußtest doch, daß man diesem Burschen nicht trauen konnte, wieso hast du nur weiter gemacht?„ „Da bin ich mir selbst nicht sicher. Wahrscheinlich habe ich verdrängt, daß hinter diesem Kerl mehr dran war als ich annahm.„ „Du wurdest von ihm reingelegt und bist wirklich in Gefahr, mein Junge! Es war nicht deine Schuld, daß der Barbar starb, er wurde davor mittels eines Zaubers getötet. Wenn dich schon der Anführer dieser Schattenkrieger, wie sie genannt werden, sucht, hast du ein Problem.„ „Dabei weiß ich noch nicht einmal, was er überhaupt von mir will.„ „Er hält dich für etwas besonderes, deswegen ist er hinter dir her! Normalerweise sind diese bösartigen Wesen nie alleine, das heißt seine Gefolgsleute mußten in der Nähe sein. Falls er derjenige ist, für den ich ihn halte.„ „Für wen haltet ihr ihn und woher wißt ihr das alles?„ „Das ist nicht so wichtig. Vor allem kann ich dir noch nichts sagen, bevor ich es nicht genau weiß. Auf jeden Fall haben wir nun eine wichtige Nachricht zu verbreiten!„ Entschlossen sah der Mann seine Frau an. 
„Du weißt was das bedeutet! Wenn die Schattenkrieger umherziehen, sind sie wieder auf der Suche!„
„Ihr seid mehr als nur gewöhnliche Halblinge, nicht war?„ Deidrian verstand die Welt nicht mehr. 
Vilocia erhob ihre Stimme: „Du hast es erfaßt Deidrian. Mehr können wir dir im Moment nicht sagen. Nur eines solltest du wissen. Du mußt die anderen warnen, die ebenso sind wie du. Verstehst du das?„ „Nein. Ich verstehe nichts von dem ihr mir erzählt. Was meint ihr damit? Sagt mir wenigstens wer oder was die Schattenkrieger sind!„ Mit ernster Miene sahen die beiden ihn an. „Schattenkrieger sind Wesen von der anderen Seite. Es gibt sie schon seit Jahrtausenden und sie terrorisieren schon sehr lange beide Welten. Niemand kann beide Welten voneinander trennen, das ist nicht möglich. Wenn das geschehen würde, wären beide Welten dem Untergang geweiht. Wir wissen nur eines: sie suchen sich bestimmte Personen aus und diese verschwinden kurz darauf. Frag mich nicht wie und warum das alles geschieht, darüber kann dir niemand etwas erzählen. Es sind unheimlich starke Kreaturen, ausgestattet mit einer Macht, die unsere Ländern mit einem Schlag den Todesstoß versetzen könnten. Warum sie das nicht tun, fragen wir uns andauernd, aber wir haben Glück, daß sie es nicht tun. Dabei wollten wir es auch belassen, bis diese unerklärlichen Fälle von verschwunden Personen auftauchten. 
Sie wurden alle eindeutig von ihnen verschleppt und zwar auf die andere Seite. Wozu wollen wir alle lieber nicht wissen, aber wir müssen sie aufhalten, denn es sind Personen, die uns alle sehr am Herzen liegen. Menschen und andere Völker verloren auf diese Weise ihre besten Leute. Weise Zauberer, die selbst die schlimmsten Monster besiegten, scheiterten an den Schattenkriegern. Wer auch immer sie hierher geschickt hat, muß stärker sein als alle Wesen unserer Welt.„ Dunkelheit legte sich über Deidrians Gesicht. Auch die zwei Halblinge schwiegen. 
„Sie sind wie dunkle Boten aus einer fremden Welt, nicht wahr?„ „Ja so ist es. Die dunklen Boten kommen und wir müssen alles mögliche versuchen, um dich und die anderen vor ihnen zu retten. Hab keine Angst Deidrian, wir werden dich ihnen nicht kampflos überlassen. Wir haben schließlich noch die Weisen, sie können uns helfen.„ „Gibt es sie wirklich? Ich meine der Rat der Weisen ist für viele nur ein Hirngespinst. Sie denken, es gäbe sie gar nicht, sondern es würde uns alles nur vorgegaukelt werden, um uns zu kontrollieren.„ „Du glaubst das doch hoffentlich nicht, diese ganzen Gerüchte?„ „Nein, eigentlich nicht. Auf dummes Geschwätz von Stadteinwohner kann ich verzichten!„, er versuchte zu lächeln, aber die Schattenkrieger gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. „Schon gut mein Junge. Du mußt das alles erst einmal verarbeiten.„ „Schlaf dich aus und träume was schönes!„ Deidrian ging in das Gästezimmer, legte sich in das weiche bequeme Bett und schlief sofort tief und fest ein. 

*

An einem anderen Ort, nicht weit entfernt trafen sich die Weisen. Ihre Gesichter wurden von ihren Kapuzen halb verdeckt. Viele verschiedene Symbole prangten an ihren Mänteln, verliehen ihnen eine besondere Ausstrahlung des Wissens und ihrer Macht.  Jedoch spürten sie gegenseitig ihre Unruhe. „Es hat also begonnen...„, murmelte einer von ihnen. „Ja und wir haben nicht mehr viel Zeit!„, mahnte einer der Ältesten. Die Stimmen hallten im großen Raum und auf einem Tisch in der Mitte, um den die Weisen alle Platz genommen hatten, flackerte eine große Kerze. Außer den Weisen am runden Tisch gab es nicht viel zu sehen. Stockdunkel und eiskalt war es im Raum. Keine Fenster. Nur eine einzige Kerze reichte. Niemand durfte wissen wo sie sich trafen. Absolut niemand außer ihnen. Ein langes Schweigen erfüllte den Rat. „Nun was können wir noch tun?„, fragte schließlich einer der Jüngeren. „Es gab nur einen Weg, unser schreckliches Schicksal abzuwenden und ich fürchte, daß das unsere letzte Chance war. Das Ritual des Mondes ist fehlgeschlagen. Wir können nur noch Abwarten, bis es zu Ende ist.„, riet der Älteste. „Es gibt also keine Hoffnung mehr auf Erlösung, habe ich Recht?„ „So ist es. Unser aller Ende ist besiegelt. Wir haben getan was wir konnten. Nun werden SIE kommen..„ Dunkelheit legte sich auf alle ihre Herzen. Trauer, Schmerz und Hoffnungslosigkeit würden nun über die Welt kommen. „Wir können uns aber wehren! Vielleicht könnten wir es schaffen, doch noch zu siegen und unsere Welt zu retten!„ „Sinnlos! Unsere Kräfte reichen bei weitem nicht dazu aus! Akzeptieren wir unser Schicksal, statt zu fliehen! Es würde ja doch nichts nützen...„ Damit schien alles gesagt zu sein. Der Rat löste sich auf und ging seinem Schicksal entgegen, jedoch nicht alle. Einer der Weisen begab sich in seine geheimen Gemächer. 
„Wir werden nicht sterben, die Welt wird auch nicht untergehen! Solange es noch eine Chance gibt, werde ich nicht aufgeben!„, flüsterte er zu sich selbst. Er wußte, daß es noch einen anderen Weg gab als sterben. Denn er, Melec, hatte ihn gefunden.... den Weg zur Rettung der gesamten Welt – und er würde den alten Gesetzen trotzen...

*

Alpträume plagten Deidrian. Der Krieger tauchte wieder auf, er weckte Deidrian mit einem Schlag ins Gesicht und Blut schoß aus seinem Mund und Nase. „Wage es ja nie wieder, dich vor mir zu verstecken, ich finde dich sowieso überall, egal wo du bist!„ Panik ergriff den jungen Mann und er versuchte zu fliehen, aber sein Feind hielt ihn mit einer Hand fest und zwang ihn, ihm in sein Gesicht zu blicken. Rotleuchtende blutgierige Augen starrten ihn an, als würden sie alles über ihn wissen. Verzweifelt zappelte er herum, schloß die Augenlider, aber es half nichts. Immer noch verfolgte ihn dieser Blick. Dann fiel er in Ohnmacht und  sah er die beiden Halblinge und dieser Anblick entsetzte ihn zutiefst. Tot. Beide waren tot. Getötet worden von diesem Monster, das sich auch noch über ihn und seine Gefühle lustig machte! Wütend wollte er ihn dafür einen Hieb verpassen, konnte sich aber nicht bewegen. Hilflos sah er mit an, wie dieses Monster seine Freunde selbst nach dem Tod quälte. Nur mit seinem Fingernagel ritzte er einem der Halblinge einen so tiefen Schlitz von Hals bis Bauch auf. Die Eingeweide sprossen hervor und er riß das Herz heraus, hielt es in seiner Hand. Schließlich zeigte er es Deidrian:  „Nutzlos. Beide waren nutzlos. Ich frage mich nur, was du dir von ihnen erhofft hast? Etwa, daß sie dich vor mir beschützen?„ „Laß sie in Ruhe! Sie haben jetzt ihren Frieden und du wirst sie nicht dabei stören!„ Unbeeindruckt zerquetschte er das noch  Herz und hielt ihm nun eine vor Blut triefende Hand hin. 
 „Ach, sind wir aber heute gereizt! Du wirst nun brav mit mir kommen, hast du verstanden? Diesmal reiche ich dir die Hand und du solltest sie annehmen!„ „Nein, niemals! Niemals werde ich mit dir kommen! Niemals!„, schrie er dem Mörder seiner Freunde zu. Doch er konnte seinen Körper nicht beherrschen. 
Er stand auf und nahm die Hand des Kriegers. Damit war sein Schicksal besiegelt...
Mit einem Schrei wachte er auf. „Niemals!„ Ein dumpfer Knall erschütterte das Schiff. Und Deidrian spürte wie das Schiff anfing heftig zu schaukeln. Etwas griff sie an. Schnell rannte er aus dem Zimmer, hinaus auf das Deck. Nichts unauffälliges. Es blieb still. Bis auf das gelegentliche Schnaufen des Himmelsdrachen  war nichts zu hören. Trotzdem warnte etwas in seinem Inneren ihn davor, nicht voreilig das Deck zu verlassen. Volokar und seine Frau hatten den Lärm ebenfalls bemerkt und kamen aus ihren Zimmern. „Was ist passiert?„, fragte Vilocia ihren Gast. „Ich habe keine Ahnung. Könnt ihr nicht Feris fragen, was sie weiß?„ „Gute Idee, mein Junge! Ich mache mich gleich auf den Weg.„, sprach Volokar und war weg. Vilocia war beunruhigt, Deidrian spürte es, auch ihm gefiel diese Sache nicht. Mißtrauisch lugte er hinüber zum Bug, Volokars laute Stimme war bis hier vorne zu hören: „Du hast nichts gesehen? Feris bitte paß in nächster Zeit besser auf dich auf, wir sind in Gefahr und brauchen deine Hilfe sehr dringend.„ So endete ihr Gespräch. Anscheinend war es Feris genauso schleierhaft, was sie angegriffen hatte und Volokars Gesichtsausdruck sprach für sich. „Ihr habt es sicher mitbekommen, aber Feris kann auch nichts anderes für uns tun, als uns so schnell wie möglich irgendwo abzusetzen.„ Plötzlich schwankte das Schiff gefährlich nach rechts und kippte fast zur Seite. Deidrian stürzte fast in die Tiefe, schaffte es aber noch, sich am Schiffsrand krampfhaft festzuhalten. Seine Finger schmerzten immer mehr. Er war kurz davor, zu fallen. „Deidrian halt dich gut fest, wir kommen!„ Deidrians Herz pochte wild, er hatte schon das Gefühl, daß seine Finger jeden Moment brechen würden, so fest hielt er sich. Aus dem Nichts tauchte dann dieser gewaltige, schwarze Schatten auf. Er mußte hundert mal größer als das Luftschiff sein und kam rasend auf sie zu. „Passt auf, da kommt etwas auf uns zu!„, brüllte er den beiden auf dem Deck zu. „Bei allen himmlischen Drachen, was ist das?„ Volokars Augen weiteten sich, Vilocia aber versuchte Deidrian hochzuziehen. Vergeblich. Sie war einfach nicht stark genug. Alleine würde sie es nie schaffen. „Volokar hilf mir ihn herauf zu holen, bevor dieser Schatten uns zu nah kommt! Und dann bitte Feris sich zu beeilen, ich will nicht wissen, wie dieses Ding von der Nähe aussieht!„
Volokar wachte wie aus einer Trance auf und half seiner Frau dabei, den Jungen mit vereinten Kräften auf das Deck zu hieven. Sie nahmen seine Hände und zogen so stark wie sie konnten. Mit einem Ruck schafften sie es, ihn auf das Deck zu bringen, doch das Schicksal wollte es anders. Wieder kippte das Schiff nach rechts und Deidrian fiel. Der Schatten hinter dem Luftschiff, änderte seine Richtung. Er kam genau auf Deidrian zu. Die Erkenntnis traf Vilocia wie ein Blitz. „Er will nur den Jungen! Etwas besonderes ist an ihm. Ich wußte es„, flüsterte sie. Bestürzt standen die beiden an der Reling. Sie konnten nichts mehr für Deidrian tun, der Schatten würde ihn sich holen. „Nein das lasse ich nicht zu!„, schnaubte Volokar. „Wir waren schon so weit und ich überlasse den Jungen keinem Monster!„ Das Gesicht des Halblings glühte vor Wut und er beeilte sich, um bei Feris zu sein. „Feris, unsere gute Freundin, du mußt den Jungen um jeden Preis retten! Bitte!„ Der Drache nickte und drehte eine Kurve. „Halt dich gut fest Vilocia, wir werden den Jungen ein zweites Mal retten!„, brüllte er zum Deck. Vilocia band sich mit einem Seil am Mast fest. Ihr Mann gab nie so leicht auf und darauf war sie sehr stolz. Im Fall fiel Deidrian auf, daß das Schiff wendete und wie der gigantische Schatten ebenfalls auf ihn zuflog. Beide stürzten sich für ihn in die Tiefe. Nur wer würde ihn zuerst erreichen? Oder würde er auf dem Boden in kleine Fetzen zerrissen werden, bevor ihn auch nur einer der beiden retten oder töten könnte? Volokar und Vilocia, bitte kommt vor diesem Ungeheuer an! Der Schatten wurde schneller. Sein Ziel war einzig und allein der Junge. Wie ein riesiger Wal riß er sein Maul auf um sein Opfer zu verschlingen, Feris strengte sich nun mehr an, als sie das Schauspiel verfolgte. Auch dem Himmelsdrachen war jenes Wesen vollkommen fremd, er fühlte eine fremde Aura die dieses Monster umgab. Du wirst den Menschen nicht bekommen, dachte Feris kämpferisch. Die schimmernden blauen Augen des Drachens strahlten auf und seine wahre Stärke kam zum Vorschein. Noch nie hatte Volokar das zuvor gesehen. Ansonsten war Feris ja immer friedlich gewesen, aber diese Seite von ihr kannte er nicht. Noch nie mußte sie für das Leben der Halblinge kämpfen, bis jetzt. Nur kämpfte sie für das Leben eines anderen, dem sie aber ins Herz geschaut hatte und ihm vertraute. Tiefer und tiefer fiel Deidrian und der Schatten kam näher und näher. Feris raste wie ein blauer Sturm vom Himmel herab, leider war dennoch der Schatten schneller. Er war fast wie Feris. Genauso undurchsichtig und doch existierte es gleichzeitig in zwei Welten.
Das Maul schoß auf ihn zu und Dunkelheit umgab ihn. Das Luftschiff und Feris gaben nicht auf. „Feris es ist zu spät, um ihn da heraus zu holen, aber wir werden diesen Schatten verfolgen und wenn es bis ans andere Ende der Welt ist, das schwöre ich!„, verkündete Volokar. Doch der Schatten war von einer Sekunde auf die andere verschwunden....

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„Wo ist der Auserwählte?„, fragte eine durch Mark und Bein dringende Stimme. „Meister wir haben ihn verloren, SIE haben ihn vor uns gefunden und sich geholt.„ Der Schattenkrieger kniete ruhig vor seinem Meister nieder. Doch er wußte, daß er nicht belohnt werden würde. Die breitschultrige große dunkle Gestalt rührte sich nicht. Der Meister verriet nie offen seine Gefühle. „So, SIE sind nun also auch hier? Laß dir dein Versagen eine Lehre sein, deiner Bestrafung entkommst du trotzdem nicht. Du hättest ihn schon vorher gefangen nehmen können, warum hast du gezögert?„ Niedergeschlagen sah der Krieger nach unten. Demütig sprach er: „Ich habe gezögert aus Neugier, Meister. Dafür gibt es keine Entschuldigung.„ „In der Tat. Deswegen wirst du den Auserwählten dem Schatten wieder entreißen müssen, um nicht für immer verbannt zu werden. Finde ihn oder verliere das, was dir am wichtigsten ist!„ Ein Blitz zuckte, tauchte alles in ein weißes Licht. „Ich werde tun, was ihr befehlt, Meister!„ Und ich werde euch den Auserwählten bringen, selbst wenn es mein Leben kostet!
Er grinste bösartig und stand ehrerbietig auf. Wir werden uns wiedersehen, Deidrian! Und ich freue mich schon darauf! Er biß sich in die Zunge und schluckte das frische Blut hinunter. Ein Glücksgefühl wärmte ihn. Und wie ich mich freue!
 
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