Der Wind rauschte sachte an den vermummten
Gestalten vorbei, als sie immer weiter in die Finsternis hinein glitten.
Es schien nichts vor ihnen, weder hinter ihnen zu sein, so undurchdringlich
war die Dunkelheit in dieser Nacht. Vorsichtig gingen sie immer weiter
ihren Weg, ohne genau zu wissen wo er sie hinführen würde. Aber
niemand war der Ansicht, daß es der falsche Weg sei. Jeder von ihnen
war fest der Ansicht, daß sie sich ihrer Bestimmung nicht widersetzen
konnten. Nachttiere waren auf der Jagd und man konnte manchmal einen Schatten
flüchtig vorbei huschen sehen. Nur für einen einzigen Augenblick
kam es ihnen so vor, als wäre die Zeit angehalten worden.
Doch täuschten sie sich. In Wirklichkeit
raste die Zeit schneller an ihnen vorbei, als ihnen lieb war. Wenn sie
sich nicht beeilen würden, wäre es für ihre ganze Welt das
Ende. Lange Zeit folgten sie noch ihrem beschwerlichen unsichtbaren Pfad,
der sich überall hin und her schlängelte. Obwohl sie frohen Mutes
ihm schon eine geraume Zeit folgten, wollte er nicht enden. So als würde
er sie auf eine unendliche Reise mitnehmen, welche ihnen zum Verhängnis
werden sollte. Doch es kam ganz anders, als sie alle erwartet hatten. Plötzlich
war der seltsame Führer durch die schier ewige Schwärze am Ende
seiner Kraft. Mit dem letzten Fünkchen seiner Macht hatte er sie an
ihr Ziel geführt....an dem Ort, an dem sich ihr Schicksal erfüllen
würde.
Alle waren sie erschöpft, aber keineswegs
stark geschwächt. Ihr Wille allein gab ihnen nun die Macht, das zu
tun, wozu niemand außer ihnen im Stande war. Das Tal in welches sie
gekommen waren, war genau der richtige Ort. Sie waren sich alle sicher.
Jetzt würde sie niemand mehr aufhalten können. Weder Lebewesen
noch Geister, noch andere Geschöpfe.... Der Mond tauchte aus dem riesigen
Wolkenmeer auf und sein glänzendes, strahlendes Licht fiel genau in
die Mitte des Tales, als wolle er sie willkommen heißen in seiner
Welt. Ihre Mäntel fingen an zu funkeln. Das Gold und Silber ihrer
mit Runen bedeckten Umhänge glitzerte im seichten Mondlicht. Sie stellten
sich langsam um dieses Licht und konzentrierten sich. Das Ritual des Mondes
begann. Ihre Gedanken waren einzig und allein auf eine Sache konzentriert.
Das Licht flackerte mit einem Mal auf, als sie ihre Gedanken gebündelt
hatten und auf den Mond richteten. Aus dem Flutlicht des Mondes wurde eine
Kugel, welche immer noch im Glanz des Mondes schwebte. Ihre äußere
Schale glitzerte silbern, nahezu perfekt schwebte sie nur wenige Meter
über der Erde, dann explodierte sie in einem Farbenspiel aus vielen
bunten Lichtern. Gespannt beobachteten sie alle das Schauspiel und waren
äußerst zufrieden. Es war bis jetzt alles gut gegangen. Wenn
sie jetzt einen Fehler machten, das wußten sie, dann würde niemand
ihre Welt mehr retten können. Nur dieser Vollmond hatte die Kraft
und die Macht dazu. Er allein war bestimmt, Träger für eine einmalige
Energie zu sein, mit deren Hilfe sie es schaffen konnten, alles wieder
in Ordnung zu bringen. Er allein. Wenn sie diese Quelle von Energie verlieren
würden, wäre alles aus... Als die magische Energie aus der Kugel
wich, formte sie sich immer wieder neu. Doch die Reisenden wurden
auch immer schwächer, das Formen einer solch gewaltigen Energie konnte
tödlich enden, denn sie versuchte auszubrechen und als es dann so
schien, als würde sich die Energie endlich fangen lassen, sprang sie
mit einer großen Wucht auseinander. Der enorme Druck zerfetzte zunächst
ihre Gesichter und dann zersprengte er ihre Körper in viele Einzelteile.
Die verschiedensten Körperteile lagen noch meilenweit entfernt
auf dem taufrischen Gras und befleckten den heiligen Ort mit Blut. Niemand
von ihnen hatte es überlebt. Nun war die letzte Hoffnung auf die Rettung
ihrer Welt letztendlich gescheitert. Allerdings hatte keiner von den Wanderern
bemerkt, wie sich eine dunkle Gestalt in ihrer Nähe aufgehalten hatte.
Sie schien zwar auf den ersten Blick nur winzig und unbedeutend zu
sein, aber ihre seltsamen glühenden Augen verrieten, daß mehr
hinter ihr steckte. Geschmeidig bewegte sie sich weiter durch die Finsternis
und als das Schauspiel beendet war, verschwand sie dann spurlos in der
endlosen Schwärze.
*
Auf dem Tunierplatz herrschte ein großer
Tumult, als ein heißer Kampf in seine Endphase gekommen war. Zuvor
hatte man das Klirren der aufeinander treffenden Klingen andauernd vernommen,
jetzt war es ruhig geworden. Ein heftiger, aber kurzer Kampf war zu Ende.
Deidrian war fassungslos. Er stand minutenlang still und blickte entsetzt
seinen Gegner an. Dieser lag zusammengekrümmt auf dem Boden und rang
nach Atem. Es kam ihm immer noch unmöglich vor. Aber der Anblick seines
Feindes zeigte etwas anderes. Es war ihm tatsächlich gelungen ihn
niederzuschlagen. Keiner hatte es so einfach vor ihm geschafft. Langsam
breitete sich in ihm Hoffnung auf den Tuniersieg aus. Auch sein Gegner
war erstaunt gewesen und raffte sich langsam wieder auf. Sein Kettenpanzer
war stark mitgenommen und sein Helm war durch den starken Treffer auf dem
Boden gelandet. Er war völlig verbeult und unbrauchbar geworden. Deidrian
war aber fair genug, um seinem Gegner wieder auf die Beine zu helfen. Er
bat ihm seine Hand an und dieser packte sie. Schwerfällig stand sein
Feind langsam auf. Sein Gesicht verriet, daß er immer noch überrascht
und gleichzeitig bitter von sich enttäuscht war. Deidrian wurde nervös,
als er in dem Gesicht des anderen noch mehr „lesen„ konnte. Dieser war
plötzlich sehr wütend geworden und wußte noch nicht, ob
er Deidrian gewinnen lassen sollte oder nicht. Ihm einfach die Kehle in
diesem unbedachten Moment durchzuschneiden wäre einfach und schnell.
Das aber würde Disqualifikation bedeuten, weshalb er sich dennoch
anders entschied. Erleichtert sah Deidrian seinem Gegenüber in die
Augen, spürte aber trotzdem einen eisigen Blick auf sich haften. Die
Augen seines Feindes verrieten sogar noch mehr, als er beabsichtigte. Die
strahlenden Augen des Kämpfers und seine würdige Ausstrahlung
waren stärker denn je. Verwundert darüber wollte Deidrian seine
Augen von ihm abwenden, aber bevor er noch dazu kam erwiderte eine harte
Stimme: „Du brauchst keine Angst mehr vor mir zu haben, kleiner. Vorerst.„
Der Krieger wandte sich von ihm ab und ging durch das große Tor.
Deidrian dachte noch Stunden später an
seinen letzten Kampf. Er konnte es kaum glauben, daß er gesiegt hatte.
Wie hatte er es geschafft, von einer Sekunde
auf die andere solche enormen Kräfte freizusetzen und seinen Gegner
nieder zu schlagen? Er fand keine Antwort darauf. Niemand würde ihm
auch nur eine Minute länger zu hören, falls er das erzählen
würde. Es war ein verzwicktes Rätsel und er war der einzige,
der es lösen konnte. Verzweifelt ging er immer wieder in Gedanken
den Kampf durch. Am Anfang war er seinem Feind klar unterlegen gewesen,
doch urplötzlich hatte er seine Taktik geändert und seinen Gegner
geschickt überrumpelt. Seit diesem Moment war ihm klar, daß
er allein eigentlich nie dazu imstande gewesen wäre das zu tun. Er
war noch ein blutiger Anfänger, der zwar fleißig übte,
aber für solch einen Schachzug war es doch zu früh. Was hatte
er nur getan? Was war der Auslöser dafür? Besaß er etwa
magische Kräfte, die tief in ihm schlummerten und nur darauf warteten,
geweckt zu werden? Falls ja, dann hätte er doch lieber Magier werden
sollen. Aber wie war das nur möglich? Er war getestet worden und das
Ergebnis war, daß er kein Fünkchen Magie besaß. Oder hatte
man sich geirrt? Außerdem beschäftigte ihn dieser Krieger, irgendetwas
stimmte nicht mit ihm...
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Am nächsten Morgen stand er früh
auf, ein weiterer Tag im Wettkampf. Seine Muskeln und Sehnen schmerzten
überall am Körper und in seinem Kopf hämmerte es wild. Er
versuchte sich zu beruhigen, doch als er für den Kampf am Nachmittag
sich fertig gemacht hatte, überkam ihn ein kurzer, aber besonders
heftiger Schwächeanfall. Er konnte für einen Moment nicht einmal
mehr stehen, knickte mit den Beinen ein und fing seinen Fall mit den Händen
auf. Selbst das Atmen fiel ihm schwer und ihm wurde langsam schwindelig.
Alles um ihn herum drehte sich unaufhörlich, dann wurde ihm schwarz
vor den Augen. Er spürte nur noch wie er auf den harten Steinboden
des Zimmers prallte und ihn der kalte Boden berührte. Als er nur wenige
Minuten später wieder zu Bewußtsein kam, lag er nicht mehr auf
dem Boden, sondern wieder in seinem Bett. Anscheinend war jemand hier gewesen,
hatte ihn gesehen und ihn ins Bett gelegt. Erleichtert fühlte er,
wie er nun frei atmen konnte und auch seine Kraft schien wieder gekommen
zu sein. Er wollte sich dafür bedanken, aber es war niemand außer
ihm im Zimmer. Währenddessen gingen die Vorbereitungen für die
folgenden Kämpfe voran. Der Platz war freigeräumt worden, die
Zuschauer der anderen Kämpfe, hatten sich schon eingefunden, um die
letzten zu sehen. Der Wettkampf war innerhalb kürzester Zeit
zum beliebtesten Schauspiel in der Stadt geworden und diese wurden von
Jahr zu Jahr spannender, es gab immerhin immer wieder andere Teilnehmer
aus den verschiedensten Ecken des Landes, sogar aus der ganzen Welt. Die
Bewohner waren darauf stolz, es brachte schließlich auch mehr Besucher
in ihre einstmals ruhige Stadt und verschaffte ihr einen ansehnlichen Ruf,
gerade unter Kriegern. Ob Söldner oder Soldat, jeder der etwas auf
sich hielt, war anwesend. Der Sieger bekam nämlich einen ganz besonderen
Preis, den jedermann gern gehabt hätte. Zunächst bekam man einen
Titel und natürlich eine Auszeichnung, doch was es noch zu gewinnen
gab, wurde jedes Jahr neu ausgewählt. Das war der Überraschungseffekt,
der diesen Wettkampf besonders reizbar machte. Im letzten Jahr bekam der
Sieger eines der berühmten Schwerter von Êth, die besondere
verschiedene Fähigkeiten hatten. Als Deidrian zum ersten Mal eines
dieser Schwerter gesehen hatte, wollte er auch einmal so eins in seinen
Händen halten. Jetzt hatte er die Chance dazu, eines zu gewinnen,
oder etwas noch wertvolleres zu bekommen...
Deidrian spürte keine Schmerzen mehr,
es schien ihm wieder besser zu gehen. Der nächste Kampf stand kurz
bevor und er hoffte nur, daß er nicht während er kämpfte,
einen solchen Anfall bekam. Seinem Gegner wäre dies nur ein Vorteil,
den er ihm nicht gönnen wollte. Dabei war er überhaupt froh,
daß er schon so weit gekommen war. Niemals hätte er das geglaubt.
Er war kein besonders guter Kämpfer, seiner Meinung nach, sondern
nur jemand der ausnahmsweise zur richtigen Zeit Glück hatte. Und er
wollte nicht umsonst so weit gekommen sein: er wollte siegen! Falls er
das nicht schaffen würde, käme es ihm wie ein Schlag ins Gesicht
vor. Er mußte es einfach schaffen!
Der Vormittag brachte optimales Wetter für
einen Kampf. Es war trocken und nicht zu warm, die Zuschauer standen auch
schon alle um den Platz. Erwartungsvoll wurden sie ruhig, als die beiden
Krieger auf den Platz kamen. Alle warteten gespannt auf den Gong. Deidrian
versuchte sich auf den Kampf zu konzentrieren, doch es fiel ihm schwer.
Er hatte kurz zuvor Kopfschmerzen bekommen und auch die Müdigkeit
kehrte wieder. Verdrängen konnte er beides nicht, aber er mußte
dieses Duell gewinnen, koste es was es wolle! Wozu war er sonst hier? Sein
Gegenüber bemerkte dies natürlich und machte sich auf einen leichten
und kurzen Kampf bereit.
Es war ein stämmiger Krieger aus den
Gebirgen, kein leichter Gegner für Deidrian. Kraftvoll bepackt mit
zahlreichen Muskeln und sein Gesicht spiegelte seine Kampfeslust wieder.
Kurz herrschte eine beunruhigende Stille, dann ertönte der Gong. Der
Krieger setzte sofort zum Angriff an, Deidrian wich ihm geschickt aus.
Das Schwert des Kriegers verfehlte ihn. Erstaunt über das Ausweichmanöver,
war der Krieger für wenige Sekunden abgelenkt, was fatal für
ihn endete. Denn genau in diesem Moment, wollte Deidrian seinem Gegner
am Kopf einen starken Hieb versetzen, doch er kam nicht dazu. Noch bevor
er mit seinem Schwert den Gegner richtig traf, wurde dieser bewußtlos.
Deidrian wollte erschrocken zurückweichen, aber er konnte den Hieb
nicht anhalten. So kam es, daß er den Hieb ausführte und noch
bevor der Gegner ohne Bewußtsein auf den Boden fiel, drang Deidrians
Schwertklinge in den Körper ein. Ein glatter Durchschnitt durch den
Hals. Was war geschehen? Das Publikum erschrak, als das Blut herausquoll.
Niemand schien mitbekommen zu haben, daß er seinen Feind eigentlich
nur einen Hieb auf den Kopf geben wollte. Selbst der Schiedsrichter schien
es nicht mitbekommen zu haben. Deidrian jagte ein eiskalter Schauder über
den Rücken. Wer hatte seinen Gegner vor seinem Schlag erledigt? Der
Krieger war tot, daran zweifelte er nicht, als er ihn vorsichtshalber an
die Schläfe faßte. Eindeutig tot. In diesem Moment erschauerten
auch die Zuschauer und der Schiedsrichter. Auch Deidrian war klar: jemand
hatte diesen Krieger vor ihm getötet, so daß er seinen
Schlag nicht mehr aufhalten konnte und mit voller Wucht den Krieger traf.
Es sah nun so aus, als hätte er den Krieger getötet. Und das
hatte nun zur Folge, daß er disqualifiziert werden würde! Deidrian
sah sich überall um. Aber es tat sich nichts. Alle waren sich anscheinend
schon sicher, wer hier der Täter war. Was sollten sie auch anderes
denken? Nur wie konnte jemand aus der Menge, unbemerkt einen Krieger töten?
Wenn er einen Pfeil abgeschossen hätte, wäre jetzt irgendwo noch
die Spitze am Körper zu sehen, doch dort war nichts auffälliges.
Was sollte er jetzt bloß machen? Es sah ganz danach aus, als müßte
er aufgeben. Keiner würde ihm ohne Beweise glauben! Verzweifelt blickte
er zum Himmel herauf, als ob er ein Wunder herbeirufen wolle...
Wachen stürmten auf den Platz, um den
Mörder festzunehmen. Sollte er sich ihnen stellen oder zumindest versuchen
es ihnen zu erklären? Er sah sich um. Aufnehmen konnte er es nicht
mit ihnen allen, dafür waren es zu viele wie er feststellte. Dann
geschah etwas Ungewöhnliches, ein großer Schatten legte sich
auf den Platz und die Zuschauer sahen verwundert in den Himmel. Was sie
dort erblickten, brachte ein Staunen in die Menge. Verwirrt schaute auch
Deidrian hoch, schrak jedoch zurück als ein dickes Seil genau vor
seiner Nase auftauchte. Was sollte das alles? „Nimm das Seil, Junge! Beeil
dich!„, rief eine helle Stimme von oben. Ohne lange zu zögern packte
er das Seil und begann ein Stück herauf zu klettern. „So ist’s gut!
Halt dich gut fest und komm vorsichtig hoch, es könnte da unten etwas
schaukeln!„ Nochmals sah Deidrian zum Himmel empor, doch er konnte nicht
glauben was sich hinter diesem Schatten verbarg. Ein Luftschiff! Als es
anfing zu ruckeln, griff er das Seil noch fester. Langsam erhob sich das
Luftschiff immer höher und ein Tumult entstand unten in der Arena.
Aufgebrachte Wächter liefen hin und her, suchten nach Pfeil und Bogen.
Um Katapulte zu holen, hatten sie keine Zeit. „Ich glaubs einfach nicht!„,
flüsterte einer der Wachen. Ein anderer hatte die gleiche Meinung:
„Ein Luftschiff? Schon seit Jahren haben wir hier keins mehr gesehen!„
Gebannt beobachteten sie die Flucht und Deidrian war erleichtert. Wer waren
seine Retter? Und warum halfen sie ihm zu fliehen? Es stand doch für
alle fest, daß er ein Mörder sein mußte! Er zog sich mit
letzter Kraft über die Reling und blieb erschöpft auf dem Boden
sitzen, bis er zwei winzige Gestalten bemerkte, die vor ihm standen. „Danke!„,
hauchte er leise. Für mehr reichte es nicht. „Ist schon in Ordnung!
Ruh dich erst einmal aus und dann können wir noch unterhalten. Hier
nimm, es wird dir gut tun!„, mit diesen Worten reichte ihm eine Halblingsfrau
einen Becher mit Wasser hin. Sogleich nahm er einen Schluck und bedankte
sich nochmals. Der Mann neben der Frau schien ebenfalls ein Halbling zu
sein, er lächelte seinen Gast nur freundlich an und schaute dann hinaus
in die Ferne. Mittlerweile waren sie in Sicherheit und schon ein weites
Stück von Moonhaven entfernt, flogen nun an der Küste entlang.
„Idioten, Schwachköpfe!„, brüllte
der Krieger wütend die Wachen an. Es war derselbe der zuvor noch gegen
Deidrian verloren hatte, nur trug er diesmal eine pechschwarze Rüstung
mit Knochen und blutigen seltsamen Zeichen verziert. Die Wachen zuckten
unter seinen Beschimpfungen zusammen, sie hatte alle Angst vor diesem merkwürdigen
Burschen. Eine Aura des Bösen ging von ihm aus, das spürte jeder
von ihnen. Er war mehr als nur ein normaler Krieger und sie mußten
ihm so lange gehorchen, bis er die Stadt verließ. Dann würde
er nie wieder kommen, versprach er ihnen jedenfalls. Selbst der Bürgermeister
hatte Furcht vor ihm und dieser Kerl schien auch nicht der einzige seiner
Art zu sein. „Wie konntet ihr ihn nur entkommen lassen? Dafür werdet
ihr bestraft!„ Er umhüllte sich mit einem braunen Mantel und zog die
Kapuze hoch. Sein Gesicht konnte man hinter dem Visier seines Knochenhelmes
nicht erkennen. Nur seine Augen hatten diesen hinterlistigen Schimmer und
diesen Blick, den sie fürchteten. Wenn er sie ansah, fühlten
sie sich klein, unwichtig und nutzlos. Sie waren nichts im Gegensatz zu
ihm. Hämisch lächelte er sie an. „Einer von euch kommt mit mir
und ihr anderen wartet. Du, Martigan, komm zu mir!„ Erschrocken sah die
Wache zu dem Krieger. Woher wußte dieser Kerl wie er hieß?
Martigans Gesicht wurde bleich und er antwortete gehorsam, aber mit zitternder
Stimme: „Jawohl Sir. Ich werde ihnen folgen!„ Als er mit dem finsteren
Gesellen verschwand, fing die Menge an zu murmeln. Sie hatten Angst. Dieser
Typ besaß Kräfte von denen sie nur träumen konnten. Anscheinend
beherrschte er Magie. Unruhig warteten die restlichen Wachen vor dem Rathaus,
nachdem der unheimliche Krieger mit einem ihrer Kumpane dort hinein gegangen
war. Schritte. Nur der Krieger war zurückgekommen, er sah verändert
aus. Diesmal schien er wie ein normaler Wanderer zu wirken, er hatte sein
Aussehen gewechselt, aber er strahlte noch mehr Unbehagen aus als vorher.
„Euer Freund hat einen kleinen Ausflug gemacht, allerdings einen von dem
er nicht wiederkehren wird. Er gab mir etwas von sich und als Belohnung
war er endlich frei.„ Ein böses Lachen ließ die Wachen erschaudern.
„Wo ist er?„, fragte einer seiner Freunde. „Wie ich schon sagte er ist
frei, aber ihr nennt es glaube ich anders.„ Er machte eine kurze Pause
und genoß die Angst der Männer. „Nun, ich glaube ihr sagt dazu
Tod, aber für mich ist es die Freiheit.„ Etwas rotes tropfte von dem
Balkon über ihnen. Nun fiel es auch den Wachen auf: über ihnen
hing die Leiche ihres Kumpanen, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Wie von
einer Bestie.
Zuerst sah man Trauer in ihren Gesichtern,
dann flammte Wut in ihnen auf. Einer der Männer konnte sich nicht
beherrschen: „Du elender Bastard! Dafür wirst du teuer bezahlen!„
Ruhig stand der Krieger da und lachte höhnisch: „Ihr Menschen seid
ein armseliger Haufen! Große Klappe und nichts dahinter!„ Mit diesen
Worten spürte die Wache, die es gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen,
Schmerzen in der Brust. Etwas zerdrückte sein Herz. Er wimmerte vor
Schmerzen und Blut floß aus seinem Mund. Die Männer um ihn herum
erschraken und Panik breitete sich aus, als die Wache sich an einen seiner
Kumpane wandte. Dieser wollte in angewidert zurückstoßen, doch
der sterbende Mann hielt sich fest an ihm und spuckte beim Versuch zu sprechen,
den anderen sein Blut ins Gesicht. Nun war aus den Männern ein Haufen
völlig verängstigter, panischer Gestalten geworden. Kreaturen,
die es nicht würdig waren zu leben, dachte der Krieger. Mit geballter
Faust richtete er seinen Blick zu den Wolken, weit zum Horizont hinaus
und flüsterte: „Und dich werde ich auch noch holen! Bald werden wir
uns wiedersehen, Deidrian!„ Ein boshaftes lautes Lachen, ließ die
Wachen aufblicken und ehrfürchtig warteten sie auf neue Anweisungen.
Nur eine weitere Leiche auf der menschenleeren Straße blieb zurück,
als die anderen ihre neuen Befehlen ausführten...
Wolken schwebten an ihnen vorbei, die letzten
Sonnenstrahlen fielen auf das Gesicht des Jungen, während er
dieses friedliche Szenario weiter verfolgte. Hier oben war alles anders.
So ruhig und doch belebt. Schwärme von Vögeln begleiteten manchmal
das Luftschiff, ließen sich vom Wind treiben. Dabei konnte man sie
wunderbar vom Deck aus betrachten, wenn sie mit ihren bunt gefiederten
Flügeln schlugen und träumen. Deidrian fühlte sich besser
denn je. Alle seine Sorgen und Schmerzen waren vergessen. Sie lagen jetzt
weit hinter ihm und konnten ihm nicht mehr folgen. Wohin die Reise allerdings
ging, wußte er noch nicht. Vielleicht würden ihn aber seine
Retter bald aufklären. Er hatte so viele Fragen an sie. Es schienen
nette Leute zu sein, in deren Hände er geraten war, so zumindest war
sein erster Eindruck. Er hoffte nur, daß es auch so bleiben würde
und er nicht wieder am Ende fliehen mußte. Er lächelte gelassen.
Nein, er war sich sogar sicher, daß es diesmal gut ausgehen würde.
„Wollen wir ihm gleich alles erzählen,
oder hören wir uns erst an was er zu sagen hat?„, fragte die Frau
ihren Mann, der ihr gegenüber am Tisch saß. Beide lebten schon
seit langer Zeit auf diesem Schiff, anders als alle ihrer Art. Während
die „normalen„ Halblinge den festen Boden bevorzugten, liebten sie beide
den Himmel.
Mit ihrem Luftschiff durch die Welt zu reisen,
war für das Paar selbstverständlich. „Also ich glaube er sollte
anfangen zu erzählen. So wissen wir wenigstens Bescheid, was er schon
weiß. Doch ich befürchte, daß er noch keine Ahnung davon
hat, in welche Schwierigkeiten er gekommen ist.„ „Davon bin ich auch überzeugt.
Er war so durcheinander, als wir ihn retteten.„ „Geht es ihm denn schon
besser?„ „Ja, als ich ihn zuletzt sah, wirkte er äußerst munter.„
Deidrian ging mit dem winzigen Mann mit, als
er ihn bat, ihn zu begleiten. „Du wirst nun endlich alles erfahren, was
du wissen wolltest. Komm mein Junge! Leider haben wir bei uns selbst keinen
Platz für dich, du bist schließlich zu groß, aber wir
haben aus Erfahrung einen Gästeraum. Allerdings werden wir uns hier
oben am Bug auch gut unterhalten können.„ Die Treppenstufen waren
genau in der passenden Größe um Halblinge und Menschen leichtfüßig
heraufsteigen lassen zu können. Das Schiff war anscheinend so passend
gebaut worden, um nicht nur Halblinge transportieren zu können – das
faszinierte Deidrian besonders. Der Erbauer mußte ein Genie sein!
„Ich habe eine Frage!„ „ Frag mich nur mein Junge!„, sprach der Halblingsmann
und sah ihn neugierig an. „Ähmm. Es gibt hier kein Steuer und wie
kann man dieses Schiff eigentlich so lenken und wie kann es fliegen?„ „Ganz
einfach mit Magie! Es ist für dich schwer zu verstehen, aber du mußt
es dir einmal ganz genau anschauen! Dann wirst du feststellen, daß
sich hier vorne am Bug etwas ist, was dir vorher nicht aufgefallen sein
wird.„ Deidrian ging zum Bug und sah sich um. Dann als er völlig ruhig
hinunter schaute, sah er etwas. Er erkannte Umrisse von etwas. Mitten in
der Luft am Bug! „Du kannst es nicht richtig sehen, weil es unsichtbar
ist, aber ich mache es einen Augenblick für dich sichtbar. Warte einen
Moment.„ Der Halbling sprach leise einige Wörter vor sich hin und
dann wurde es sichtbar. Eine riesiges drachenähnliches Wesen befand
sich unter dem Schiff und schlug mit seinen gewaltigen Flügeln. Nur
war es eben kein Drache. Es war nämlich immer noch transparent, schien
keinen richtigen Körper zu haben. Lautlos existierte es vor sich hin,
trug dieses Schiff. Der Junge zuckte kurz zusammen, als es seinen Kopf
hob und ihn direkt in die Augen blickte. „Hey Feris laß das, du ängstigst
mir ja den Jungen noch zu Tode!„ Der Halbling fing an zu lachen. „Mach
dir keine Sorgen mein Junge, Feris wird dir schon nichts tun! Sie ist eine
Art Himmelsdrachen, aber im Gegensatz zu den anderen Drachen, hat sie keine
richtige Form. Sie ist mehr wie ein Geist, der durch die Wolken schwebt,
sich aber zu jedem beliebigem Zeitpunkt eine Gestalt annehmen kann. Der
eines Adlers oder einer kleinen Meise. Nur in fliegenden Wesen kann sie
sich verformen, ihre wahre Gestalt, die du jetzt siehst, hat sie wenn sie
mit uns reist.
Und das tut sie schon mit Freuden seit Jahren.„
Er lächelte sanft zu Feris herüber, diese stieß einen zarten
Freudenschrei aus. „Und von was ernährt sie sich?„ Behutsam entfernte
sich Deidrian von dem Drachen. Noch traute er dem Drachen nicht. Noch nie
zuvor hatte er von so einem Drachen gehört. Wieder mußte der
Halbling lachen. „Mißtrauisch wie immer diese Menschen! Nur ruhig
Blut mein Junge, Feris braucht keine Nahrung, in diesem Sinne. Alles was
sie braucht ist der Himmel. Und wenn man zu einem bestimmten Ort möchte,
sagt man es ihr einfach und sie fliegt dorthin. Feris versteht alle Sprachen
unserer Welt.„ „Dann ist es ja äußerst praktisch einen solchen
Drachen bei sich zu haben!„, meinte er grinsend. Die Antwort war ein warmes
Lächeln seines Gegenübers. Seine Vermutungen waren richtig gewesen.
Diesen Leuten konnte er vertrauen, denn ein warmes Gefühl durchfuhr
ihn. Vertrauen. Wie lange war es schon her, seit er jemanden wirklich trauen
konnte?
„Wie ist euer Name, mein Junge?„ „Oh Verzeihung,
das habe ich ja ganz vergessen!„, Deidrian wurde ein wenig rot. „Mein Name
ist Deidrian und wie heißt ihr?„, fragte er höflich. „So ist’s
schon besser!„, grinste der Halbling. „Ich heiße Volokar und das
ist..„, er zeigte auf die Halblingsfrau, die gerade zu ihnen kam, „meine
Frau Vilocia. Wir reisen mit unseren Luftschiff durch die ganze Welt und
dabei trafen wir zufällig dich.„ Vilocia sah Deidrian ruhig an, während
Volokar weiter sprach: „Darf ich dir Deidrian vorstellen?„ „Willkommen
auf unserem Schiff Deidrian!„, begrüßte sie ihn freundlich.
„Da wir jetzt das geklärt hätten, kommen wir nun zu wichtigeren.
Nun Deidrian, es wäre hilfreich wenn du uns zuerst alles erzählst
was du weißt..„ Damit begannen die stundenlangen Unterhaltungen,
die am Ende nur mehr Fragen stellten, als beantworteten. „Du wußtest
doch, daß man diesem Burschen nicht trauen konnte, wieso hast du
nur weiter gemacht?„ „Da bin ich mir selbst nicht sicher. Wahrscheinlich
habe ich verdrängt, daß hinter diesem Kerl mehr dran war als
ich annahm.„ „Du wurdest von ihm reingelegt und bist wirklich in Gefahr,
mein Junge! Es war nicht deine Schuld, daß der Barbar starb, er wurde
davor mittels eines Zaubers getötet. Wenn dich schon der Anführer
dieser Schattenkrieger, wie sie genannt werden, sucht, hast du ein Problem.„
„Dabei weiß ich noch nicht einmal, was er überhaupt von mir
will.„ „Er hält dich für etwas besonderes, deswegen ist er hinter
dir her! Normalerweise sind diese bösartigen Wesen nie alleine, das
heißt seine Gefolgsleute mußten in der Nähe sein. Falls
er derjenige ist, für den ich ihn halte.„ „Für wen haltet ihr
ihn und woher wißt ihr das alles?„ „Das ist nicht so wichtig. Vor
allem kann ich dir noch nichts sagen, bevor ich es nicht genau weiß.
Auf jeden Fall haben wir nun eine wichtige Nachricht zu verbreiten!„ Entschlossen
sah der Mann seine Frau an.
„Du weißt was das bedeutet! Wenn die
Schattenkrieger umherziehen, sind sie wieder auf der Suche!„
„Ihr seid mehr als nur gewöhnliche Halblinge,
nicht war?„ Deidrian verstand die Welt nicht mehr.
Vilocia erhob ihre Stimme: „Du hast es erfaßt
Deidrian. Mehr können wir dir im Moment nicht sagen. Nur eines solltest
du wissen. Du mußt die anderen warnen, die ebenso sind wie du. Verstehst
du das?„ „Nein. Ich verstehe nichts von dem ihr mir erzählt. Was meint
ihr damit? Sagt mir wenigstens wer oder was die Schattenkrieger sind!„
Mit ernster Miene sahen die beiden ihn an. „Schattenkrieger sind Wesen
von der anderen Seite. Es gibt sie schon seit Jahrtausenden und sie terrorisieren
schon sehr lange beide Welten. Niemand kann beide Welten voneinander trennen,
das ist nicht möglich. Wenn das geschehen würde, wären beide
Welten dem Untergang geweiht. Wir wissen nur eines: sie suchen sich bestimmte
Personen aus und diese verschwinden kurz darauf. Frag mich nicht wie und
warum das alles geschieht, darüber kann dir niemand etwas erzählen.
Es sind unheimlich starke Kreaturen, ausgestattet mit einer Macht, die
unsere Ländern mit einem Schlag den Todesstoß versetzen könnten.
Warum sie das nicht tun, fragen wir uns andauernd, aber wir haben Glück,
daß sie es nicht tun. Dabei wollten wir es auch belassen, bis diese
unerklärlichen Fälle von verschwunden Personen auftauchten.
Sie wurden alle eindeutig von ihnen verschleppt
und zwar auf die andere Seite. Wozu wollen wir alle lieber nicht wissen,
aber wir müssen sie aufhalten, denn es sind Personen, die uns alle
sehr am Herzen liegen. Menschen und andere Völker verloren auf diese
Weise ihre besten Leute. Weise Zauberer, die selbst die schlimmsten Monster
besiegten, scheiterten an den Schattenkriegern. Wer auch immer sie hierher
geschickt hat, muß stärker sein als alle Wesen unserer Welt.„
Dunkelheit legte sich über Deidrians Gesicht. Auch die zwei Halblinge
schwiegen.
„Sie sind wie dunkle Boten aus einer fremden
Welt, nicht wahr?„ „Ja so ist es. Die dunklen Boten kommen und wir müssen
alles mögliche versuchen, um dich und die anderen vor ihnen zu retten.
Hab keine Angst Deidrian, wir werden dich ihnen nicht kampflos überlassen.
Wir haben schließlich noch die Weisen, sie können uns helfen.„
„Gibt es sie wirklich? Ich meine der Rat der Weisen ist für viele
nur ein Hirngespinst. Sie denken, es gäbe sie gar nicht, sondern es
würde uns alles nur vorgegaukelt werden, um uns zu kontrollieren.„
„Du glaubst das doch hoffentlich nicht, diese ganzen Gerüchte?„ „Nein,
eigentlich nicht. Auf dummes Geschwätz von Stadteinwohner kann ich
verzichten!„, er versuchte zu lächeln, aber die Schattenkrieger gingen
ihm nicht mehr aus dem Kopf. „Schon gut mein Junge. Du mußt das alles
erst einmal verarbeiten.„ „Schlaf dich aus und träume was schönes!„
Deidrian ging in das Gästezimmer, legte sich in das weiche bequeme
Bett und schlief sofort tief und fest ein.
*
An einem anderen Ort, nicht weit entfernt trafen
sich die Weisen. Ihre Gesichter wurden von ihren Kapuzen halb verdeckt.
Viele verschiedene Symbole prangten an ihren Mänteln, verliehen ihnen
eine besondere Ausstrahlung des Wissens und ihrer Macht. Jedoch spürten
sie gegenseitig ihre Unruhe. „Es hat also begonnen...„, murmelte einer
von ihnen. „Ja und wir haben nicht mehr viel Zeit!„, mahnte einer der Ältesten.
Die Stimmen hallten im großen Raum und auf einem Tisch in der Mitte,
um den die Weisen alle Platz genommen hatten, flackerte eine große
Kerze. Außer den Weisen am runden Tisch gab es nicht viel zu sehen.
Stockdunkel und eiskalt war es im Raum. Keine Fenster. Nur eine einzige
Kerze reichte. Niemand durfte wissen wo sie sich trafen. Absolut niemand
außer ihnen. Ein langes Schweigen erfüllte den Rat. „Nun was
können wir noch tun?„, fragte schließlich einer der Jüngeren.
„Es gab nur einen Weg, unser schreckliches Schicksal abzuwenden und ich
fürchte, daß das unsere letzte Chance war. Das Ritual des Mondes
ist fehlgeschlagen. Wir können nur noch Abwarten, bis es zu Ende ist.„,
riet der Älteste. „Es gibt also keine Hoffnung mehr auf Erlösung,
habe ich Recht?„ „So ist es. Unser aller Ende ist besiegelt. Wir haben
getan was wir konnten. Nun werden SIE kommen..„ Dunkelheit legte sich auf
alle ihre Herzen. Trauer, Schmerz und Hoffnungslosigkeit würden nun
über die Welt kommen. „Wir können uns aber wehren! Vielleicht
könnten wir es schaffen, doch noch zu siegen und unsere Welt zu retten!„
„Sinnlos! Unsere Kräfte reichen bei weitem nicht dazu aus! Akzeptieren
wir unser Schicksal, statt zu fliehen! Es würde ja doch nichts nützen...„
Damit schien alles gesagt zu sein. Der Rat löste sich auf und ging
seinem Schicksal entgegen, jedoch nicht alle. Einer der Weisen begab sich
in seine geheimen Gemächer.
„Wir werden nicht sterben, die Welt wird auch
nicht untergehen! Solange es noch eine Chance gibt, werde ich nicht aufgeben!„,
flüsterte er zu sich selbst. Er wußte, daß es noch einen
anderen Weg gab als sterben. Denn er, Melec, hatte ihn gefunden.... den
Weg zur Rettung der gesamten Welt – und er würde den alten Gesetzen
trotzen...
*
Alpträume plagten Deidrian. Der Krieger
tauchte wieder auf, er weckte Deidrian mit einem Schlag ins Gesicht und
Blut schoß aus seinem Mund und Nase. „Wage es ja nie wieder, dich
vor mir zu verstecken, ich finde dich sowieso überall, egal wo du
bist!„ Panik ergriff den jungen Mann und er versuchte zu fliehen, aber
sein Feind hielt ihn mit einer Hand fest und zwang ihn, ihm in sein Gesicht
zu blicken. Rotleuchtende blutgierige Augen starrten ihn an, als würden
sie alles über ihn wissen. Verzweifelt zappelte er herum, schloß
die Augenlider, aber es half nichts. Immer noch verfolgte ihn dieser Blick.
Dann fiel er in Ohnmacht und sah er die beiden Halblinge und dieser
Anblick entsetzte ihn zutiefst. Tot. Beide waren tot. Getötet worden
von diesem Monster, das sich auch noch über ihn und seine Gefühle
lustig machte! Wütend wollte er ihn dafür einen Hieb verpassen,
konnte sich aber nicht bewegen. Hilflos sah er mit an, wie dieses Monster
seine Freunde selbst nach dem Tod quälte. Nur mit seinem Fingernagel
ritzte er einem der Halblinge einen so tiefen Schlitz von Hals bis Bauch
auf. Die Eingeweide sprossen hervor und er riß das Herz heraus, hielt
es in seiner Hand. Schließlich zeigte er es Deidrian: „Nutzlos.
Beide waren nutzlos. Ich frage mich nur, was du dir von ihnen erhofft hast?
Etwa, daß sie dich vor mir beschützen?„ „Laß sie in Ruhe!
Sie haben jetzt ihren Frieden und du wirst sie nicht dabei stören!„
Unbeeindruckt zerquetschte er das noch Herz und hielt ihm nun eine
vor Blut triefende Hand hin.
„Ach, sind wir aber heute gereizt!
Du wirst nun brav mit mir kommen, hast du verstanden? Diesmal reiche ich
dir die Hand und du solltest sie annehmen!„ „Nein, niemals! Niemals werde
ich mit dir kommen! Niemals!„, schrie er dem Mörder seiner Freunde
zu. Doch er konnte seinen Körper nicht beherrschen.
Er stand auf und nahm die Hand des Kriegers.
Damit war sein Schicksal besiegelt...
Mit einem Schrei wachte er auf. „Niemals!„
Ein dumpfer Knall erschütterte das Schiff. Und Deidrian spürte
wie das Schiff anfing heftig zu schaukeln. Etwas griff sie an. Schnell
rannte er aus dem Zimmer, hinaus auf das Deck. Nichts unauffälliges.
Es blieb still. Bis auf das gelegentliche Schnaufen des Himmelsdrachen
war nichts zu hören. Trotzdem warnte etwas in seinem Inneren ihn davor,
nicht voreilig das Deck zu verlassen. Volokar und seine Frau hatten den
Lärm ebenfalls bemerkt und kamen aus ihren Zimmern. „Was ist passiert?„,
fragte Vilocia ihren Gast. „Ich habe keine Ahnung. Könnt ihr nicht
Feris fragen, was sie weiß?„ „Gute Idee, mein Junge! Ich mache mich
gleich auf den Weg.„, sprach Volokar und war weg. Vilocia war beunruhigt,
Deidrian spürte es, auch ihm gefiel diese Sache nicht. Mißtrauisch
lugte er hinüber zum Bug, Volokars laute Stimme war bis hier vorne
zu hören: „Du hast nichts gesehen? Feris bitte paß in nächster
Zeit besser auf dich auf, wir sind in Gefahr und brauchen deine Hilfe sehr
dringend.„ So endete ihr Gespräch. Anscheinend war es Feris genauso
schleierhaft, was sie angegriffen hatte und Volokars Gesichtsausdruck sprach
für sich. „Ihr habt es sicher mitbekommen, aber Feris kann auch nichts
anderes für uns tun, als uns so schnell wie möglich irgendwo
abzusetzen.„ Plötzlich schwankte das Schiff gefährlich nach rechts
und kippte fast zur Seite. Deidrian stürzte fast in die Tiefe, schaffte
es aber noch, sich am Schiffsrand krampfhaft festzuhalten. Seine Finger
schmerzten immer mehr. Er war kurz davor, zu fallen. „Deidrian halt dich
gut fest, wir kommen!„ Deidrians Herz pochte wild, er hatte schon das Gefühl,
daß seine Finger jeden Moment brechen würden, so fest hielt
er sich. Aus dem Nichts tauchte dann dieser gewaltige, schwarze Schatten
auf. Er mußte hundert mal größer als das Luftschiff sein
und kam rasend auf sie zu. „Passt auf, da kommt etwas auf uns zu!„, brüllte
er den beiden auf dem Deck zu. „Bei allen himmlischen Drachen, was ist
das?„ Volokars Augen weiteten sich, Vilocia aber versuchte Deidrian hochzuziehen.
Vergeblich. Sie war einfach nicht stark genug. Alleine würde sie es
nie schaffen. „Volokar hilf mir ihn herauf zu holen, bevor dieser Schatten
uns zu nah kommt! Und dann bitte Feris sich zu beeilen, ich will nicht
wissen, wie dieses Ding von der Nähe aussieht!„
Volokar wachte wie aus einer Trance auf und
half seiner Frau dabei, den Jungen mit vereinten Kräften auf das Deck
zu hieven. Sie nahmen seine Hände und zogen so stark wie sie konnten.
Mit einem Ruck schafften sie es, ihn auf das Deck zu bringen, doch das
Schicksal wollte es anders. Wieder kippte das Schiff nach rechts und Deidrian
fiel. Der Schatten hinter dem Luftschiff, änderte seine Richtung.
Er kam genau auf Deidrian zu. Die Erkenntnis traf Vilocia wie ein Blitz.
„Er will nur den Jungen! Etwas besonderes ist an ihm. Ich wußte es„,
flüsterte sie. Bestürzt standen die beiden an der Reling. Sie
konnten nichts mehr für Deidrian tun, der Schatten würde ihn
sich holen. „Nein das lasse ich nicht zu!„, schnaubte Volokar. „Wir waren
schon so weit und ich überlasse den Jungen keinem Monster!„ Das Gesicht
des Halblings glühte vor Wut und er beeilte sich, um bei Feris zu
sein. „Feris, unsere gute Freundin, du mußt den Jungen um jeden Preis
retten! Bitte!„ Der Drache nickte und drehte eine Kurve. „Halt dich gut
fest Vilocia, wir werden den Jungen ein zweites Mal retten!„, brüllte
er zum Deck. Vilocia band sich mit einem Seil am Mast fest. Ihr Mann gab
nie so leicht auf und darauf war sie sehr stolz. Im Fall fiel Deidrian
auf, daß das Schiff wendete und wie der gigantische Schatten ebenfalls
auf ihn zuflog. Beide stürzten sich für ihn in die Tiefe. Nur
wer würde ihn zuerst erreichen? Oder würde er auf dem Boden in
kleine Fetzen zerrissen werden, bevor ihn auch nur einer der beiden retten
oder töten könnte? Volokar und Vilocia, bitte kommt vor diesem
Ungeheuer an! Der Schatten wurde schneller. Sein Ziel war einzig und allein
der Junge. Wie ein riesiger Wal riß er sein Maul auf um sein Opfer
zu verschlingen, Feris strengte sich nun mehr an, als sie das Schauspiel
verfolgte. Auch dem Himmelsdrachen war jenes Wesen vollkommen fremd, er
fühlte eine fremde Aura die dieses Monster umgab. Du wirst den Menschen
nicht bekommen, dachte Feris kämpferisch. Die schimmernden blauen
Augen des Drachens strahlten auf und seine wahre Stärke kam zum Vorschein.
Noch nie hatte Volokar das zuvor gesehen. Ansonsten war Feris ja immer
friedlich gewesen, aber diese Seite von ihr kannte er nicht. Noch nie mußte
sie für das Leben der Halblinge kämpfen, bis jetzt. Nur kämpfte
sie für das Leben eines anderen, dem sie aber ins Herz geschaut hatte
und ihm vertraute. Tiefer und tiefer fiel Deidrian und der Schatten kam
näher und näher. Feris raste wie ein blauer Sturm vom Himmel
herab, leider war dennoch der Schatten schneller. Er war fast wie Feris.
Genauso undurchsichtig und doch existierte es gleichzeitig in zwei Welten.
Das Maul schoß auf ihn zu und Dunkelheit
umgab ihn. Das Luftschiff und Feris gaben nicht auf. „Feris es ist zu spät,
um ihn da heraus zu holen, aber wir werden diesen Schatten verfolgen und
wenn es bis ans andere Ende der Welt ist, das schwöre ich!„, verkündete
Volokar. Doch der Schatten war von einer Sekunde auf die andere verschwunden....
*
„Wo ist der Auserwählte?„, fragte eine durch
Mark und Bein dringende Stimme. „Meister wir haben ihn verloren, SIE haben
ihn vor uns gefunden und sich geholt.„ Der Schattenkrieger kniete ruhig
vor seinem Meister nieder. Doch er wußte, daß er nicht belohnt
werden würde. Die breitschultrige große dunkle Gestalt rührte
sich nicht. Der Meister verriet nie offen seine Gefühle. „So, SIE
sind nun also auch hier? Laß dir dein Versagen eine Lehre sein, deiner
Bestrafung entkommst du trotzdem nicht. Du hättest ihn schon vorher
gefangen nehmen können, warum hast du gezögert?„ Niedergeschlagen
sah der Krieger nach unten. Demütig sprach er: „Ich habe gezögert
aus Neugier, Meister. Dafür gibt es keine Entschuldigung.„ „In der
Tat. Deswegen wirst du den Auserwählten dem Schatten wieder entreißen
müssen, um nicht für immer verbannt zu werden. Finde ihn oder
verliere das, was dir am wichtigsten ist!„ Ein Blitz zuckte, tauchte alles
in ein weißes Licht. „Ich werde tun, was ihr befehlt, Meister!„ Und
ich werde euch den Auserwählten bringen, selbst wenn es mein Leben
kostet!
Er grinste bösartig und stand ehrerbietig
auf. Wir werden uns wiedersehen, Deidrian! Und ich freue mich schon darauf!
Er biß sich in die Zunge und schluckte das frische Blut hinunter.
Ein Glücksgefühl wärmte ihn. Und wie ich mich freue!
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