Der erste Bund von Dara Drachenkind

Noch bevor es Welten gab, und noch lange bevor Menschen lebten, entstanden aus dem Staub der Sonnen die Götter. Goldener Glanz umgab sie und ihnen war die Gabe des Erschaffens eigen. Zur gleichen Zeit entstanden aus dem Äther die ersten Drachen. Sie waren wundervolle Geschöpfe, zeitlos und mächtig. Jedoch war Ihnen nicht die Macht der Schöpfung gegeben. Die Götter schlossen sich zusammen und schufen aus sich und dem Sternenstaub die Welten, die die vier Sonnen umkreisten. Doch wo auch Licht ist da entsteht auch Dunkelheit und auch die Finstren Mächte entstanden. Denn das größte Gesetz des Universums ist das des Gleichgewichts. Um ihre noch jungen Schöpfungen vor der Dunkelheit zu beschützen schlossen die Götter einen Bund mit den Urdrachen. So kam es, dass die Drachen mit den Göttern Seite an Seite über die Welten herrschten. Im großen Rat stimmten sie gemeinsam über jede neue Schöpfung ab. Von allen Welten, die die Götter geschaffen hatten, gefiel den Drachen Neraan am besten. So ließen sie sich auf diesen Planeten nieder und so fand der Rat auch hier statt. Doch so mancher Gott begehrte jedoch gegen die Mitherrschaft der Drachen auf. Wer waren diese Drachen, dass sie ein Recht hatten mit zu entscheiden wie die Götter die Welt formten?
Und so geschah es, dass ein junger Gott, Haner war sein Name, ohne Zustimmung der Versammlung ein Volk schuf wie es zuvor noch keines auf Neraan gegeben hatte.
Voller Wut darüber riefen die Drachen zum Großen Rat, um über diesen Frevel zu beraten.

"Wie konntest du es nur wagen!" brüllte der Älteste der Urdrachen wütend Haner an. "Wie konntest dich nur erdreisten diese - diese nackten Affen zu erschaffen! Ich wette, du bist auch noch stolz auf deine Tat!"
Trotzig reckte Haner sein Kinn vor und entgegnete wütend: "Es ist mein gutes Recht neues Leben zu schaffen! Ihr könnt nicht über uns Götter richten!"
Der Drache schüttelte unwillig den Kopf: "Pha! Wenn ihr Götter", er spuckte das Wort beinahe aus, "etwas Vernünftiges erschaffen würdet, wäre es kein Problem! Aber diese nackten Affen..." Weiter kam er nicht, weil Halef ihm ins Wort fiel:
"Menschen! Was du nackte Affen nennst sind Menschen! Und sie sind mir gut gelungen! Nur weil ihr Neraan nicht mit anderen Lebensformen teilen wollt!" Haner schnaubte.
"Jetzt hör du mir mal zu, wir hätten nichts gegen eine andere Rasse auf Neraan, wenn sie nur vernünftig ist! Was du Mensch nennst, kann man wohl kaum vernünftig nennen!"
Die restlichen Drachen trompeteten zustimmend. Unter den Göttern erhob sich immer lauter werdender Protest. Schon lange stritten Drachen und die Götter. Und es schien, als wären die Menschen der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Doch die Götter waren den Drachen in der Macht ebenbürtig und darum versuchte Dragom, der Älteste, einzulenken:
"Wenn ihr die Menschen vernichtet, können wir doch gemeinsam darüber reden wie eine andere Rasse auszusehen hat."
Die Götter holten entsetzt Luft, es war noch nie der Tod eines ganzen Volkes gefordert worden.
Halen schrie auf: "Nie! Ihr könnt nicht einfach sagen, das paßt uns nicht also rotten wir eine Lebensform aus!"
"Wenn ihr sie nicht vernichtet...", Dragom grinste, "dann werden wir das erledigen!"
Das war zu viel. Nach der Reihe standen die Götter auf: "Wenn ihr auch nur einen Menschen anrührt, dann bedeutet das Krieg! Die Menschen stehen unter unserem Schutz!"
Mit einem Wutschrei flog Dragom auf. "Den Krieg, den könnt ihr haben!"
Ein Drache nach dem anderen stieg auf. Manchen Göttern und Drachen war anzusehen, dass es ihnen nicht gefiel Krieg zu führen. Immerhin war es ein starker Feind und so mancher hatte gute Freunde auf der Gegenseite. Aber es gibt nur zwei Dinge, die man nicht zurücknehmen kann: einen abgegossenen Pfeil und ein gesprochenes Wort. So tobte bald ein schrecklicher Krieg zwischen Drachen und Göttern. Und auch Neraan litt darunter. Große Wüsten entstanden dort, wo die mächtigen Urdrachen ihre Flammen spuckten, Schluchten dort, wo Götter ihre Blitze abschossen. Oft wurden Urdrachen und Götter verletzt und so mancher der geringeren Drachen und jüngeren Götter starben in diesen finsteren Zeiten. Auch die noch junge Menschheit hatten große Verluste zu beklagen. Der Krieg dauerte schon viele Jahrhunderte und noch immer war kein Ende in Sicht. Die Fronten waren schon so verhärtet, dass es keinen Ausweg mehr zu geben schien.

Dragom versuchte sich aufzurichten. Es ging nicht. Zu groß war der Schmerz, der seine Vorderpfote erfüllte. Dragom schrie auf. Er empfand Haß gegenüber sich, den Menschen und den verdammten Göttern, die einfach so stur waren! Aber er hatte auch Angst davor zu sterben und auch Angst davor, dass nie wieder Frieden herrschen würde. "Ach, wenn ich doch damals die Götter nicht beleidigt hätte..." durchfuhr ihn der Gedanke, den er unwillig wieder abschüttelte. Jetzt war es schon zu spät.  Diese Schlacht würde wohl seine Letzte gewesen sein. Langsam brach die Nacht herein und die Kämpfer zogen sich zurück. Nur Dragom blieb zurück. Er wusste, dass es um ihn geschehen war, niemand würde kommen und ihn retten. Traurig blickte er zu den Sternen auf. Er seufzte, eigentlich waren die Götter nicht so schlimm, bis auf den Menschen hatten sie immer gute Arbeit geleistet. Er sog die Luft ein, sie war erfüllt von dem Duft der Blumen und des nah gelegenen Waldes. Tiefe Traurigkeit erfüllte ihn, da er wusste, dass er dies alles wohl nie mehr erblicken würde. Er, Dragom, der erste Drache, weinte, und seine Tränen waren klar und von einer Farbe, die der Himmel hatte, wenn die Sonne unterging. Sobald die Tränen die Erde berührten, wurden sie zu Stein. Aber das funkelnde Licht blieb ihnen erhalten. Langsam schlief Dragom ein und es war ihm bewusst, dass er wohl nie mehr erwachen würde.

Vorsichtig blinzelnd öffnete Dragom seine Augen. Als er den Kopf hob und sich umsah stellte er fest, dass er noch immer in der Höhle lag. Er hatte überlebt! Während er sich verwundert umsah, stach ihm ein seltsam scharfer Geruch von Kräutern in die Nase. Auf der Suche nach der Quelle dieses merkwürdigen Geruches blickte er an sich herunter. Seine verletzte Pfote war mit einer Kräutersalbe eingerieben worden und die Wunde sorgfältig verbunden. Mehrmals blinzelnd starrte er auf den Verband und überlegte sich, wer wohl ihn verbunden hätte. Die Leinenbinden waren schmal, so als wären sie für viel kleinere Wesen gemacht. Er zog seine Stirn zusammen. Er musste lange geschlafen haben, denn er fühlte sich merkwürdig dumpf. Diese Binden hätten die richtige Größe für Menschen. Unwillig schüttelte er den Kopf, das konnte doch nicht sein, oder?
Während er noch in Gedanken versunken war, stieg ihm ein weiterer - verführerische - Geruch in die Nase und sein Magen grummelte vernehmlich. Als er den Blick hob, stellte er fest, dass vor seiner Nase drei tote Rinder, noch ganz frisch, lagen. Schnell verschlang er sie und war dankbar, endlich wieder etwas im Magen zu haben. Dennoch machte er sich Gedanken, wer wohl sein Wohltäter war. In diesem Moment hörte er eine leise Stimme ihn fragen:
"Geht es dir besser? Ich hab keine Ahnung, wie man Drachen heilt!" Dragom hörte jemanden leise kichern: "Immerhin sind wir ja verfeindet!"
Dragom dachte nach, ein Gott konnte es nicht sein, der würde sich nicht verstecken. "Komm raus, damit ich sehen kann, wer mir mein Leben gerettet hat."
Nach einer kurzen Pause ertönte wieder die Stimme seines Retters: "Ich weiß nicht, ob das klug wäre, ich lebe gern noch länger." Wieder erfolgte eine Pause. "Aber wenn du mir versprichst, mich am Leben zu lassen?!"
Dragom hörte beinahe das Schulterzucken. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner tiefen Drachenbrust. "Na komm schon raus! Glaubst du, ich würde meinen Retter töten?" In dem folgenden Schweigen vermeinte Dragom Zweifel zu spüren. Er konnte es seinem Retter aber auch nicht übel nehmen. "Ich schwöre bei dem Äther, aus dem ich entstieg! Komm hervor, ein Drache bricht nie seinen Schwur!" versuchte Dragom seinen Wohltäter zu ermutigen.
Langsam blickte eine Gestalt hinter dem Felsen hervor. Es war wie er schon vermutet hatte ein Mensch. Trotzdem war Dragom erstaunt, dass es wirklich ein Mensch war.
Ängstlich blickte er zu dem Drachen auf: "Schön bist du schon, das muss dir der Neid lassen!" sagte Jarlen und bewegte sich langsam näher. "Ich glaub, selbst wenn du mich jetzt frisst, war es wert, einen Drachen gesehen zu haben."
Dragom legte seinen Kopf auf seine Pfoten um den Menschen nicht von Oben anzustarren. "Ich werde dich nicht fressen, erstens weil Menschen wirklich schrecklich schmecken!" Er schüttelte angeekelt den Kopf.
Jarlen konnte nicht anders, er musste grinsen. Die Mimik des Drachen wirkte irgendwie menschlich und schien an einem so großen Wesen merkwürdig.
"Zweitens weil ich dir durch deine großzügige Tat zu ewigem Dank verpflichtet bin. Und wir Drachen nehmen so etwas sehr ernst!"
Jarlen blickte vorsichtig den Drachen in die Augen. "Das heißt, du erfüllst mir einen Wunsch?"
Der Urdrache nickte.
"Einen Wunsch hätte ich schon..." Mutig blickte Jarlen nun Dragom in die Augen.
"Na immer raus mit der Sprache!" munterte der Urdrache Jarlen auf.
"Beende den Krieg!" Mit zusammen gekniffenen Augen blickte Jarlen dem Drachen in die Augen als wollte er ihn abschätzen.
Dragom schüttelte leicht den Kopf.
Wut stieg in Jarlen auf. Erst hielt dieser Drache große Reden und dann erwies es sich nur als heiße Luft. "Du hast gesagt, dass du mir einen Wunsch erfüllen würdest! Du musst dein Wort halten!" schrie Jarlen voller Wut auf.
Dragom starrte das winzige Wesen vor ihm an, er hatte nicht vermutet, dass so viel Mut in einem so kleinen Körper stecken konnte. Er müsste ihn nur einmal anpusten und der Winzling würde einfach umfallen. Er hatte sich also wirklich in den Menschen getäuscht! Welch einen Preis hatten alle wegen diesem Irrtum zahlen müssen! Ärger über sich selbst stieg in ihm hoch und sein Entschluss wurde immer fester. "Mensch, du verstehst nicht, ich werde den Krieg beenden, aber ich kann ihn nicht als Gefallen annehmen, da ich mir schon vorgenommen habe, den Krieg zu beenden! Wie könnte ich Krieg führen, wenn mir der Grund des Krieges das Leben gerettet hat?"
Erleichterung breitete sich auf Jarlens Gesicht aus. 
"Hmmm..." Ein tiefes Brummen breitete sich in Dragoms Brust aus. "Eine Frage hätte ich an dich, Mensch."
"Ja?"
"Wie, hmmm, wie haltet ihr euch auseinander? Ihr seht doch alle gleich aus!"
Im ersten Moment war Jarlen sprachlos. Dann brach er in schallendes Gelächter aus: "Wir haben Namen! Ich heiße Jarlen! Aber sag mir Drache," ein Schmunzeln lag auf dem Gesicht des Menschen, "wie macht ihr das, habt ihr auch so etwas Lächerliches wie wir Menschen?"
Der Urdrache lachte laut auf. "Das hab ich mir wohl verdient! Mein Name ist Dragom, ältester aller Drachen!" Er blickte den Menschen vor sich scharf an. "Aber nun zurück zu dir, Jarlen!" Dragom sprach den Namen ehrfurchtsvoll aus. "Nun sollst du nicht nur Jarlen sein! Nein, ab heute bist du Jarlen Himersen! Das bedeutet in unserer Sprache Jarlen der Drachenreiter!"
Verblüfft riss der Mensch die Augen auf und murmelte: "Heißt das, ich darf auf dir reiten?"
Dragom nickte und reichte ihm eine versteinerte Drachenträne. Bewundernd blickte der Drachenreiter sie an.
"Diese Träne soll Zeichen unseres ewigen Bundes sein! Wenn einer von uns beiden in Not ist, ist der andere verpflichtet zu helfen! Du Jarlen Himersen und ich Dragom der Älteste sind die ersten, aber nicht die letzten, die diesen Bund schließen werden! Ab heute ist jeder Drache der Hilfe für den Menschen verpflichtet. Jedoch haben Drachen wie Menschen das Recht, einen Preis für die Hilfeleistung zu fordern."

Durch die Pflege seines Reiters gesundete Dragom bald soweit, dass er mit dem Menschen hinauf flog zu dem Ratplatz, der schon seit so langer Zeit verlassen lag, und wieder den großen Rat einberief. Lange dauerte es, bis die ersten Götter wie Drachen sich einfanden, denn Misstrauen herrschte zwischen ihnen und es war lange her als sie sich alle getroffen hatten.
Stolz stand Dragom mit Jarlen auf dem Rücken in der Mitte des Rates. Wütendes Gebrüll ging durch die Drachen, als sie erkannten, dass der Älteste sich mit den Menschen verbündet hatte. Die Götter jedoch blickten nur verwirrt auf ihren Feind hinab. War das eine Tücke?
Dragom spannte seine Schultern und rief mit lauter Stimme dem Rat zu: "Ich habe den Rat gerufen um den Bund zwischen mir und dem Menschensohn Jarlen Himersen bekannt zu geben!"
Atemlose Stille legte sich über alle. Jedem im Rat war klar dass Dragom einem Menschen zu seinem Reiter ernannt hatte.
"Nun höret, wie es dazu kam!" Lang erzählte Dragom den Versammelten wie das Wunder geschehen war. Dann erzählte auch Jarlen seine Geschichte. Die atemlose Stille dauerte lange an.
Der älteste Drache räusperte sich. "So nehme ich, der den Krieg ausrief, ihn wieder zurück und bitte um Verzeihung bei allen, die meines Fehlers wegen so viel verloren haben."
Noch immer gab keiner ein Geräusch von sich. Jarlen dachte bei sich, dass es wohl nicht so einfach sein könne, einen Krieg zu beenden, der so lange getobt hatte. Und in der Tat dauerte es noch viele Jahre und viele Ratsitzungen, bis der größte Zwist bereinigt war und wieder Frieden einkehrte. Doch langsam näherten sich die Drachen den Menschen und lernten sie kennen und lieben. Und Dragom hatte Recht: Noch viele der Drachen schlossen mit den Menschen den Bund der Drachenreiter.
 

© Dara Drachenkind
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