Zauberlehrling von Dara Drachenkind

Schon seit zwei Monaten war er jetzt Lehrling! Pha, Lehrling! Eher Putzsklave! Langsam hatte er den Hals voll von all dem. Seit zwei Monaten machte er schon nichts anderes, als die Studierstube seines Meisters auszukehren, Reagenzgläser auszuputzen und Ställe auszumisten! Auch wenn er zugeben musste, dass es am Anfang spannend gewesen war, die Käfige der magischen Monster zu reinigen. Er hatte niemals angenommen, dass es solch merkwürdige Wesen geben konnte! Manche schienen Ausgeburten der Hölle zu sein, waren jedoch friedfertig und verschmust, andere wirkten harmlos, doch wenn man nicht achtsam genug war, konnte man leicht einen Finger verlieren. Doch schon nach einem Monat waren Kasen, Zalden und alle anderen langweilig geworden. Wann würde er endlich Magie erlernen? Was gebe Kensar dafür nur einen klitzekleinen Zauber zu beherrschen! Aber nein, sein Meister vertröstet ihn immer nur auf morgen! Alle Kinder im Dorf machten sich schon lustig über ihn, weil er noch immer keinen einzigen Zauberspruch vorweisen konnte! Dabei hatte er noch so geprahlt als ihn der Zauberer in die Lehre genommen hatte.
"Davon, dass du böse in die Ecke starrst, wird der Boden auch nicht sauberer, und der Zalde wartet schon darauf, dass du seinen Stall ausräumst!" Der Magier bedachte seinen Lehrling mit einem strengen Blick über den Brillenrand hinweg. Das schlohweiße Haar hing ungekämmt seine Schultern hinab und ein Tintenfleck zierte seine Nase.
"Jaaaa!" Missmutig schob der Junge mit dem Besen den Dreck auf die andere Seite. Gerade den Stall des Zalden!!! Ein Schauer lief ihm über den Rücken! Der Zalde war wohl eine der unangenehmsten Kreaturen. Am Anfang war er verzaubert von ihnen gewesen. Zalden wirkten wie die wundervollsten und wehrlosesten Wesen der Welt. Dünne, durchsichtig Flügel, zarte Glieder und ein unschuldiger Blick. Doch leider war das alles nur Trug. Diese kleinen Biester verfügten über einen Tarnzauber. In Wirklichkeit waren sie kleine, flache, hässliche Viecher, die sich dicht über den Boden hielten und nach allem schnappten, das sich auf das feenartige Trugbild zu bewegte. Zu allem Überfluss waren sie überdies verdammt schleimig. Jedes Mal wenn er den Stall des Zalden ausmistete, hatte er eine weitere Wunde und bekam den Schleim tagelang nicht ab. Aber was sollte es, aufgeben konnte er auch nicht, dazu war er zu stolz. Und irgendwann würde er schon was Interessantes lernen. Ein Seufzer entfuhr ihm - hoffentlich bald.
Vorsichtig warf der Lehrling einen Blick zu seinem Meister. Der war ganz vertieft in sein Werk und tippte sich mit der spitzen Seite der Feder an den Kopf. Schon bald war auch die Stirn mit blauen Flecken verziert. Ein Grinsen breitete sich auf Kensars Gesicht aus. Sein Meister war wohl der schussligste aller Zeiten! Immer wieder fragte er sich, wie der Magier sich nur jemals alle Formeln merken konnte, wo er doch so verstreut war. Kensar wusste aber auch seinen Vorteil daraus zu ziehen, dass Zentar ein solcher Chaot war. Vorsichtig lehnte er den Besen an die Wand. Das Zimmer war zwar noch lange nicht sauber gekehrt, aber der Zauberer würde es schon nicht merken. In den nächsten Stunden würde wohl für seinen Meister nichts anderes als das Buch existieren. Aber vor dem Zalden würde er sich wohl nicht drücken können. Er musste zugeben, dass der Käfig schon einen strengen Geruch verbreitete. Wenn dieses Biest nicht so verdammt bissig wäre! Mit einem tiefen Seufzer beschloss er noch den Stall zu säubern und sich dann möglichst heimlich zu verdrücken.
Mit dicken Handschuhen bewaffnet machte er sich auf, den Zalden aus dem Stall zu heben. Mittlerweile zielsicher griff er an dem Trugbild vorbei. Am Anfang hatte er direkt auf die Feengestalt zugehalten und jedes Mal hing dann dieses Mistvieh an den Fingern. Dieses Mal würde er es schaffen ohne Blessuren davonzukommen! Noch während er angestrengt versuchte dem Maul des Zalden auszuweichen schoss der grünlich schleimige Kopf vor und versuchte in die Hand Kensars zu beißen. Blitzschnell zog der Lehrling sie zurück. "Dieses Mal nicht, du dummes Ding!" flüstere Kensar dem Untier zu und streckte ihm die Zunge raus.
"AU!! Du Mistvieh du vermaledeites!! Ich hack dich in Stücke! Sollst du doch verrotten in deinem Dreck!" Vor lauter Freude, dem Zalden entkommen zu sein, hatte er ganz vergessen, dass seine zweite Hand auch noch im Käfig steckte. Die Hand mit dem beinahe hämisch grinsenden Wesen in der Luft schwenkend sprang Kensar von einem Bein auf das andere.
"Du darfst nicht von oben nach dem Zalden greifen, du Dummkopf! Wie oft muss ich dir das sagen!!! Nimm dir von dort drüben das Pulver, du müsstest eh schon wissen welches! Davon muss er niesen und dann lässt er los!" Ohne den Blick vom Buch zu heben deutete Zentar mit der Feder wage in eine Richtung und verspritzte dabei die Tinte. "Hmm wo kommen bloß die Flecken her?" Verwirrt starrte der Magier noch kurz auf die Tintenkleckse bevor er sich schulterzuckend wieder dem Buch zuwandte.
Da sich Kensar schnell auf die Suche nach der Puderdose machte, bemerkte er nicht das amüsierte Grinsen, das auf dem Gesicht seines Meisters lag, als der heimlich beobachtete, wie der Junge verzweifelt in dem Haufen kramte und dabei die Hand mit dem Zalden weit von sich weg gestreckt hielt.
Erleichtert hielt der Lehrling die Dose hoch und streute etwas davon auf die Schnauze des Tiers. Verwirrt schielte der Zalde auf seine Nase und zog tief das Pulver ein. Mit einem lauten Niesen öffnete sich das Gebiss des Wesens und es plumpste in den Korb.
Angeekelt warf der Junge den Handschuh beiseite und betrachtete mitleidig seine Hand. Trotz der dicken Handschuhe hatten die spitzen Zähne tiefe Eindrücke hinterlassen und die Hand war mit Schleim überzogen.
Noch schlechter gelaunt als vorhin nahm der Lehrling die Schaufel zur Hand und schaufelte den Dreck aus dem Käfig. Mit einem giftigen Grinsen zum Korb hinüber ließ er ein gutes Stück Mist drinnen und streute nur etwas frische Streu darüber. "Wer beißt bekommt auch keinen sauberen Stall!" flüsterte er dem Tier zu bevor er es in den Käfig plumpsen ließ.
Mit einem schadenfrohen Grinsen drehte er sich um und warf seinem Meister noch einen raschen Blick zu, bevor er sich langsam aus dem Raum schlich. Für heute hatte er genug! Vielleicht würde morgen besser werden. Leise schloss er die Tür hinter sich und rannte so schnell wie möglich heim.

Am nächsten Morgen erwartete ihn eine Überraschung. Sein Meister lief aufgeregt auf und ab und bemerkte sofort das Eintreten seines Lehrlings. Sonst konnte es oft dauern bis der Magier von seinem Buch aufblickte und den Jungen bemerkte. Doch das Außergewöhnlichste war, dass Zentar gekämmt war, die Robe frisch gewaschen und sogar gebügelt war. Sogar der spitze Hut saß gerade auf dem Kopf des Zauberers. So ordentlich und munter hatte Kensar seinen Meister noch nie gesehen.
"Ah, da bist du endlich! Ich warte schon auf dich! Du musst unbedingt pünktlicher sein! Das ist eine wichtige Tugend für einen angehenden Magier!!! Ich muss dringend weg und weiß noch nicht, wann ich wiederkomme! Stell in der Zwischenzeit ja nichts an!!" Der Magier betrachtete misstrauisch das Zimmer und dann den Jungen. "Wenn etwas Ungewöhnliches passiert - egal was - dann verschwinde, ist das klar!" Er blickte seinem Lehrling tief in die Augen.
Kensar war verunsichert, noch nie war sein Meister so aufgeregt und so eindringlich gewesen. "Ja ..." weiter kam er nicht, sein Meister drehte sich schon um.
Beinahe aus dem Raum drehte sich der Magier noch einmal um. "Ach ja, mir scheint, du hast den Stall des Zalden nicht ordentlich ausgemistet, er hat alles nach draußen geschmissen und den ganzen Boden verschmutzt. Kümmere dich darum! Aber stell nichts an!"
Noch bevor der Junge antworten konnte, hatte der Magier die Tür hinter sich zugeworfen.
Verdattert starrte Kensar die Türe an. So hatte er seinen Meister wirklich noch nie erlebt!

Nach einigen Minuten, in denen der Junge nur ratlos im Raum stand, breitete sich ein breites Grinsen in seinem Gesicht aus. Sein Meister war weg! Das war seine Chance! Der Zalde konnte warten, jetzt würde er erst einmal auf Endeckungsreise gehen! Immerhin konnte er mittlerweile lesen! Hastig bewegte er sich auf das Bücherregal zu, vielleicht würde er heute einen Zauber lernen! Dann würden alle im Dorf staunen und keiner hätte das Recht ihn auszulachen!
Mit begeisterter Mine starrte er auf die Bücher vor ihm und fuhr mit den Finger die Buchstaben auf den Buchdeckeln nach. Mühsam entzifferte er die Titel:
"D-ä-m-...Däm-o-n-e-n b-e-sch...besch-w-ö-r-en..." Er wandte sich wieder ab, das war wohl nichts für den Anfang. Nach einigem Suchen fand er ein unscheinbares kleines Buch. "M-aa-g-i-e  f-ü-r  A-n-f-äää-n-g-e-r"
Das war wohl das Richtige! Er schnappte das Buch und wandte sich zum Tisch. Mit einem Arm wischte er das Gerümpel auf die Seite und schlug das Buch auf. Schon nach ein paar Minuten starrte er frustriert auf die Seite hinunter. Er konnte wohl doch noch nicht so gut lesen wie er gehofft hatte. Aber es wäre ja gelacht, wenn er sich so leicht geschlagen geben würde. Wozu sollte er auch das Vorwort lesen? Soweit er das mitbekommen hatte, ging es da nur über Gefahren der Magie und so einen Blödsinn. Und davon hatte er von seinem Meister wohl schon genug zu hören bekommen! Also blätterte er entschlossen weiter bis er die erste Lektion fand. Mühsam buchstabierte er den Titel: "Levitation von Gegenständen." Er blinzelte. Was war denn das? Na, wichtig klang es zumindest.
Nach einigen Wörtern glaubte er verstanden zu haben, worum es ging. Er sollte einfach nur einen Gegenstand fixieren und sich dabei vorstellen, wie er seine Hand danach ausstreckte und es hoch hob. So schwer klang das ja gar nicht! Mit finsterer Mine fixierte er den Stall des Zalden. Der würde einen Schreck bekommen, wenn er plötzlich in der Luft schweben würde. Immer finsterer wurde seine Mine und er kniff die Augen immer fester zusammen. Warum bewegte sich das dämliche Ding nicht? Vielleicht war es zu schwer? Er blickte sich suchend im Raum um. Da! Die Feder wäre wohl genau das Richtige! Wenn sich die nicht bewegte! Konzentriert fixierte er die Feder und hob die Hand beschwörend hoch. - Doch sie blieb wo sie war. Frustriert starrte er noch einmal auf die Feder und dann auf das Buch. Was machte er denn bloß falsch? Trotz einiger angestrengter Versuche und mehrmahligem Nachlesens wollte die Feder sich nicht rühren!
Wütend schlug er das Buch zu und schnappte sich den alten Hut seines Meisters. Wenn er schon keinen Zauber beherrschte, konnte er wenigstens noch eine Zeit lang so tun als wäre er hier der Herr! Mit stolz erhobenem Kopf schritt er ein paar Runden durch das Zimmer und äffte seinen Meister nach. Doch ohne Publikum war das Ganze nur halb so lustig! Seufzend warf er den Hut in die Ecke und holte den Besen. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben als den Stall des Zalden zu säubern. Mit finsterer Mine betrachtete er die Unordnung und den Stall des Untiers.
"Schau dir die Sauerei an, die du angestellt hast!" Lustlos kehrte er den Dreck von einer Seite zur anderen. "Aber bei einem so hässlichen Stall kann ich deine schlechte Laune fast verstehen!"
Plötzlich spritze ihm Dreck auf den Kopf. "Hey, da zeig ich Mitleid mit dir, weil du in so einem pothässlichem Ding steckst, und du bewirfst mich auch noch mit Dreck! Aber weißt du was! Du bist genau so hässlich wie der Käfig!"

"Du schaust selber nicht besser aus!"

"W - wer da?" -  Stille.
Er schüttelte den Kopf, er wusste ja, dass Zalden nicht reden konnten. Er hörte anscheinend schon Geister! Kensar wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu. Nur irgendwie wollte der Besen nicht mehr richtig kehren. Es schien beinahe als würde er sich weigern. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Es war schon spät geworden. Heute würde sein Meiser wohl nicht mehr heimkommen. Morgen war auch noch ein Tag und der Mist konnte wohl warten.

Als er am nächsten Morgen die Treppe hinauf kroch kam es ihm vor als würde er Stimmen hören. "Verdammt, Zentar ist doch schon da!" Schuldbewusst dachte er an den Dreck, den er liegen gelassen hatte.
"Es tut mir leid, ich räum es gleich weg!" Verwirrt blieb Kensar stehen. Der Raum war leer. Dabei war er sich ganz sicher gewesen, Stimmen gehört zu haben! Nun war er wohl wirklich verrückt geworden. Kopfschüttelnd schloss er die Türe hinter sich und blickte sich nach dem Besen um. Am besten er erledigte das Ganze gleich, bevor sein Meister hereingeschneit kam.
"Wo ist das verflixte Ding denn hin?" Er war sich sicher gewesen, dass er den Besen einfach liegen gelassen hatte. Endlich fand er ihn. Der Reisigbesen lehnte in der Ecke, wo er hingehörte. Der Lehrling schüttelte verwirrt den Kopf, er hatte den Besen sicher nicht dort hin gestellt. "Glaubst du, das Ding hat sich von selber dort hin gestellt?" versuchte Kensar sich Mut zu machen. Langsam kam ihm das Ganze schon recht merkwürdig vor. Ihm fiel wieder die Warnung des Zauberers ein. Das konnte er doch nicht damit gemeint haben, oder?

"Natürlich, du hast mich ja einfach liegen lassen!"

Ungläubig starrte der Lehrling den Besen an. Hatte er das wirklich gehört? " Ha... Hast du gesprochen?"
"Wer denn sonst? Glaubst du, du Dummkopf bist der einzige hier, der sprechen kann?"
Karlen stolperte nach hinten in den Dreck, das konnte ja wohl nicht wahr sein. Er wollte nur noch eins: raus und das so schnell wie möglich!
"Der Meister hat doch gesagt, wir sollen nicht mit dem Jungen sprechen!"
Der Junge fuhr herum. Doch nicht auch der Tisch! Er drehte sich um und wollte zur Tür. Ihm hallten die Worte seines Meisters im Ohr: "Wenn etwas Ungewöhnliches passiert - egal was - dann verschwinde, ist das klar!" Und genau das hatte er vor!

"Nicht so schnell!" murmelte ein dicker Foliant und ließ sich vor die Füße Kensars fallen.
Der Junge stürzte und starrte entsetzt auf das plötzlich lebendig gewordene Möbilar.
"Was wollt ihr?" krächzte er heiser. Es schien kein Entkommen zu geben.
"Also mich könntest du abstauben!" grunzte das Regal.
"Mich könntest du von dem klebrigen Zeugs befreien, das der Dummkopf in mich reingelehrt hat!" meckerte das Reagenzglas.
"Und wenn du dabei bist, ich könnte eine Politur vertragen!" Der Tisch wirkte beinahe schuldbewusst.
"Und ich 'hässlicher' Stall muss gesäubert werden! Und wenn ich nicht glänze, spucke ich dir den Zalden auf den Kopf! Du solltest dich mal im Spiegel sehen, du Missgeburt!"
Der Lehrling konnte nur noch nicken, es wollte kein Wort über seine Lippen kommen.
Noch immer schweigend nahm er sich das Staubtuch und begann zu wischen und putzen. Von rings her hagelte es nur so von Bemerkungen und Aufforderungen.
"Pass auf, du Tölpel, ich bin zerbrechlich! Nicht dass ich zu Boden falle! Und glänzen tu ich auch noch nicht! Also glaub nicht, dass du mir so leicht davon kommst!" schimpfte die Destilieranlage.
Wieder konnte der Junge nur nicken. Er fühlte sich so leer. Das konnte doch nur ein Traum sein oder? Er dachte mehrmals an Flucht, doch jedes Mal, wenn er sich in Richtung Türe bewegte, fiel ihm etwas in den Weg und hielt ihn fest. Er raste von einem jammernden Ding zum anderen. Er putzte und schruppte. Bald blitzte es allerorts. Jahrzehnte alter Dreck schwamm jetzt im Putzeimer. Karlen gähnte, er war unendlich müde. So viel hatte er noch nie gearbeitet. Aber endlich schienen seine Peiniger zufrieden zu sein. Der Stall des Zalden grummelte zwar noch leise vor sich hin, er nahm ihm die Geschichte mit dem hässlichen Käfig noch immer übel, aber ansonsten hörte man nur das zufriedene Gemurmel des restlichen Möbilars.
Langsam fielen ihm die Augen zu. Er war sogar zu müde, um heim zu gehen. Kensar wollte einfach nur noch schlafen. Das Letzte, was er sah, war das Reagenzglas, das zufrieden in der untergehenden Sonne glänzte. Den Besen umschlungen schlief er ein.

"Ahhh, ich hab einen komischen Traum gehabt, Mama!" Kensar hatte die Augen noch geschlossen und reckte sich genüsslich. "Au, woher hab ich bloß diesen Muskelkater? - Der Traum war wohl nicht..." Er riss die Augen auf. Tatsächlich, es war kein Traum gewesen! Er lag am Fußboden des Studierzimmers. Trotz seiner Faulheit war er doch noch nie eingeschlafen, das konnte wohl nur heißen...
"Morgen?" Zaghaft grüßte der Junge in den "leeren" Raum.
"!!!GUTEN MORGEN!!!!" antwortete ihm ein gut gelaunter Chor.
"Oh, ihr Götter, es ist wahr!" Fassungslos starrte Kensar vor sich hin. Es war doch nicht nur ein Traum gewesen! Seine Hände begannen zu zittern.
"Der Zalde hat schon wieder in mich rein gemacht! Steh da nicht rum wie ein Ölgötze! Beweg dich!" schimpfte der Käfig.
"Jetzt lass ihn doch in Ruhe! Siehst du nicht, dass das Ganze zuviel für ihn ist?" verteidigt der Tisch den zitternden Jungen.
"Das hätte er vorher wissen müssen!" Wenn der Käfig eine Nase gehabt hätte, er hätte sie wohl hochmütig gerümpft.
"Halt die Klappe, du alter Klapperkasten!" tönte es von den Möbeln. Mittlerweile hatte sie alle das Mitleid mit dem schluchzenden Jungen gepackt.
"Immer seid ihr alle gegen mich!" schmollte der Käfig, hielt aber dann seinen Mund.

Kensar hockte am Boden, die Arme über dem Kopf, und schluchzte laut vor sich hin. Es war einfach zu viel. Er hatte doch einfach nur einen einzigen Zauber lernen wollen! Er wollte sich nicht mit streitsüchtigem Werkzeug rumschlagen! Davon hatte er genug, wenn ihn seine Kameraden hänselten. Er war schon immer recht klein und zierlich gewesen und obendrein auch noch ein Träumer. Dadurch hatte er oft den Spott anderer auf sich gezogen. Er war so stolz gewesen als der Magier ihn als Lehrling ausgesucht hatte. Und jetzt das!

Inzwischen betrat Zentar den Raum. Sofort stach im die überwältigende Ordnung ins Auge. Selbst er konnte sich nur noch schwer erinnern, wann es das letzte Mal so ordentlich gewesen war. Wie sollte er jetzt bloß alles wieder finden!?! Seufzend warf er seinen Umhang über den Stuhl. Was war da seinem Lehrling bloß eingefallen? Normalerweise war er doch faul...
Leises Schluchzen drang an das Ohr des Zauberers. Verwirrt blinzelte der Magier, woher kam das Geräusch? Als er um den Tisch ging fand er seinen Lehrling. Der Junge kauerte zitternd am Boden und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück. Neben Kensar lagen ein verlegen wirkender Besen, ein paar Bücher und andere Zaubergegenstände. Langsam verfinsterte sich das Gesicht des Magiers. Er stemmte die Arme in die Hüften.
"Ich hab euch doch gesagt, ihr sollt den Jungen in Ruhe lassen! Er ist noch nicht so weit! Kann man euch denn nicht einmal eine Minute allein lassen! Widerspenstiges, unnützes Gerümpel!!!" Er starrt jedes einzelne Utensil wütend an, ehe er sich dem Jungen zuwandte. 
"Na na, immer mit der Ruhe, ein angehender Zauberer wird sich doch nicht von so dummen Dingen ins Bockshorn jagen lassen, oder?" Er zog den Jungen hoch und schob ihn auf einen Stuhl. "Jetzt trinken wir einmal eine Tasse Tee und dann erklär ich dir die ganze Geschichte!"
Kensar zog die Nase auf und nickte vorsichtig. Misstrauisch beobachtete er die Geräte im Studierzimmer. Sein Meiser kramte inzwischen am Tisch auf der Suche nach der Kanne.
Nach einiger Zeit richtete sich der Zauberer auf und blickte zum Jungen hinüber. Immerhin kannte dieser ja nun sein Geheimnis, da konnte er sich die ganze Sucherei ersparen. "Na komm schon, du dickköpfige Kanne, meld dich doch! Ihr habt schon genug Unheil angerichtet!!"
"Ich bin hier neben dem eingebildeten Bücherständer!! Der mir immer Vorträge hält, wie wichtig er doch ist!!! Ich hasse es, wenn ich neben dem zu stehen komme!"
"Ah, da bist du ja!" Er griff zielsicher nach der Kanne. "Ich hoffe, ihr schämt euch! Schaut euch nur den armen Jungen an!"
Jetzt, wo sein Meister wieder da war, beruhigte sich Karlen schnell und er begann die Gegenstände genauer zu betrachten. Es war merkwürdig, obwohl keines der Gegenstände etwas wie ein Gesicht hatte, wusste er doch, dass ihn alle mehr oder weniger schuldbewusst anstarrten.
"Hier hast du!" Zentar stellte schwungvoll zwei Tassen Tee auf den Tisch und ließ sich gegenüber dem Jungen in einen Sessel fallen.
Irgendwie hatte Karlen das Gefühl, dass die Tassen etwas empört zum Meister hinaufblickten, während der Tisch unter dem heißen Tee zusammen zu zucken schien.
"Nun gut, ich bin dir wohl eine Erklärung schuldig." Mit diesen Worten lehnte sich Zentar zurück. "Als ich so cirka in deinem Alter war, war mein Meister unterwegs auf Reisen und ließ mich allein zurück. Ich war damals schon etwas weiter als du es jetzt bist, allerdings habe ich auch erheblich früher angefangen. - Na ja, jedenfalls war mein Meister weg und ich wollte halt ein wenig mit der Zaubererei experimentieren." Er machte eine kurze Pause und hob die Tasse an die Lippen.
Kensar schaute nachdenklich zum Bücherregal hinüber und dachte an seine eigenen kläglichen Versuche.
"Frohen Mutes habe ich mir das Beschwörungsbuch geschnappt und wollte einen kleinen Wahrsichtszauber ausprobieren. Und, na ja...", Zentar räusperte sich und wirkte beinahe verlegen, "ich hab Mist gebaut. Ich weiß bis heute nicht genau, was ich falsch gemacht habe, jedenfalls verlief der Zauber ganz und gar nicht so wie er sollte... Anstatt mir die Weisheit des Universums zu offenbaren, gab er der Ausrüstung meines alten Meisters die Gabe der freien Entscheidung und leider auch die Gabe zu sprechen."
Er schmunzelte und blickte seinen Lehrling schelmisch an. "Na, du kannst dir ja denken, dass mein Meister ganz und gar nicht glücklich war, als er heim kam und plötzlich ihm alles widersprach. Weil eines hat mein Zauber leider nicht bewirkt, dass dieses Gerümpel auch Verstand erhielt."
Empörtes Gebrummel erhob sich im Raum. "Als wärest du mit Weisheit gesegnet..."
Zentar zwinkerte seinem Lehrling grinsend zu. Langsam hatte Karlen die Farbe in seinem Gesicht zurück gewonnen und wirkte schon viel erleichterter. Vorsichtig erwiderte der Junge das Grinsen.
"Na, und das Ende der Geschichte ist, dass mein Meister mich dazu verdattert hat, das verzauberte Möbilar zu behalten und mich mit ihm zu einigen. Das ist auch der Grund, warum ich so lange keinen Lehrling hatte. Ich wollte niemandem das zumuten." Mit dem Kopf deutete der Magier in den Raum.
Karlen nickte. Aber langsam fand er Gefallen daran. Immerhin war es ja etwas Besonderes - und vielleicht konnte er vor den Anderen damit angeben?
"Na, ich hoff, du kannst damit leben und vielleicht freundest du dich auch mit dem Zeug da an. Und wenn du dich gut um sie kümmerst wirst du sehen, dass sie ganz in Ordnung sind." Aufmunternd klopfte Zentar seinem Lehrling auf die Schulter. Der grinste seinen Meister vorsichtig an.
"Und jetzt zu euch!" wandte sich der Magier an den Raum, "ihr werdet euch jetzt brav bei Kensar entschuldigen!"
"Warum sollte ich mich bei dem Nichtsnutz entschuldigen? Immerhin hat er mich nicht ordentlich ausgemistet!!" schnaubte der Stall des Zalden.
"Und außerdem hat dein oberbraver Lehrling in deiner Abwesenheit in mir gelesen!" ereiferte sich das Magiebuch für Anfänger sofort.
Streng blickte der Magier von einem zum andern. "Das steht auf einem anderen Blatt! Erstens petzt man nicht!" Zentar wackelte mit dem Zeigefinger. "Zweitens habt ihr mehr auf dem Kerbholz!! Er weiß es noch nicht besser, ihr aber schon!"
Nach einer Pause schienen sich doch alle dazu durchzuringen. "Tschuldigung, Kensar" murmelten alle gemeinschaftlich.
"Es war aber so schön, endlich wieder einmal sauber zu werden, darum haben wir ganz drauf vergessen wie es dir geht" ergänzte der Tisch schuldbewusst.
Jetzt war es am Zauberer vor Scham zu erröten. Er musste zugeben, dass er das Putzen in letzter Zeit schwer vernachlässigt hatte.
"Na, wo wir das jetzt geregelt und besprochen hätten, würd ich sagen, Kensar, du gehst mal nach Hause und schläfst dich aus, bevor deine Mutter sich noch bei mir beschwert!"
Der Junge nickte und machte sich ans Gehen.
"Kensar! Wegen dem unerlaubterweise in Zauberbüchern lesen, sprechen wir noch! Und der Stall des Zalden wartet auch noch!" rief der Magier seinem Lehrling nach.
Kensar zuckte in der Tür zusammen, lief aber dann weiter. Das war morgen, heute konnte er sich einen faulen Tag machen...
 

© Dara Drachenkind
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