Sie war wütend! Nein, wütend war
kein Ausdruck! Sie war sauer, stinksauer! Alles in ihr kochte vor Wut und
sie meinte explodieren zu müssen! Am liebsten hätte sie alles
aus sich raus geschrieen, alles losgeworden, was in ihr war, aber sie blieb
stumm.
Stumm und leise, so wie immer. Mit ihr konnte
man es ja machen! Sie dachte selbst in ihrem Zorn noch an andere. Ja, sie
war dumm genug immer an Andere zu denken!
Sie drehte sich einfach um und ging davon.
Sie bemühte sich sogar nicht zu rennen, da irgendwer Anstoß
daran nehmen konnte. Die Hände zu Fäusten geballt marschierte
sie davon. Tief in ihr kochte Zorn und Hass, der sich zu einer dunklen,
schwarzen Kugel in ihrem Inneren formierte und langsam aber sicher zu wachsen
begann. All die Enttäuschungen, jedes Mal, wenn sie übergangen
wurde, jede Ungerechtigkeit, die sie je erlebt hatte, zogen vor ihren Augen
auf und brannten sich ihr wieder ein. Die schwarze Sphäre in ihrem
Inneren begann zu pulsieren wie ein schwarzes Herz, das Wut und Hass durch
ihre Adern presste.
"Ich halt´s nicht mehr aus!" laut aufschluchzend
warf sie sich aufs Bett und drückte ihr Gesicht gegen die Polster,
um ja jeden anstößigen Laut zu verbannen. Tief in sich begann
sie sich zu hassen für diese Heimlichkeit, aber der Gedanke an die
fragenden, leeren Gesichter, die sich um sie scharten und einfach nichts
verstanden... Nein, dieser Gedanke allein war schon zuviel! Lieber allein
als das!
Zitternd versuchte sie alle Gefühle in
ihrem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Sie ballte die Fäuste im
Einklang zum schwarzen Wutherzen in ihrem Inneren. Doch es war zu spät.
So würde sie es dieses Mal nicht beruhigen können, sie musste
raus! Jetzt sofort!
Ohne darauf zu achten, ob jemand sie sehen
konnte, rannte sie die Treppe hinunter, riss die Tür auf und rannte
hinaus.
"Du hast die Türe offen gelassen!
Du solltest zurückgehen und sie schließen. Wer weiß, wer
das Haus betritt... Du bist verantwortlich..."
tönte die ewig leiernde Stimme in ihrem Kopf.
"Halt still! Mir ist es bei den Göttern
egal was passiert!" fauchte sie sich selbst an.
Passanten wandten die Köpfe nach ihr
und starrten sie aus formlosen Gesichtern an. "Was hat sie bloß?
Warum weint sie denn?" raunen die Stimmen der Anderen. Die würden
sie nie verstehen, es hätte keinen Sinn zu erklären. Ohne Halt
stürmte sie an ihnen vorbei.
Sie hatte genug! Sie hatte genug vom Vernünftig-Sein!
Genug von Verständnis! Genug von Aufopferung! Sie wollte nicht mehr
die brave, gute Tochter sein! Sie wollte nicht mehr diejenige sein, die
ihre Wünsche zurücknahm! Sie wollte keine Verantwortung mehr!
Es war genug!
Ihre Füße begannen immer schneller
zu werden. Nur weg von hier! Wie von selbst begann sie zu laufen. Die Tränen
rannen in ihren Mund und verbreiteten einen salzigen Geschmack auf der
Zunge.
Endlich hatte sie den Wald erreicht. Normalerweise
wurde sie dort ruhig und gelassen. Wenn sie weit genug in den Wald kam
sog sie die Ruhe der Bäume in ihr ein und der Herzschlag des Waldes
übertönte den des schwarzen Herzens. Dann konnte es schrumpfen
und sie sich wieder ihren Pflichten zuwenden.
Doch heute kam keine Ruhe in sie. Heute war
der Puls des Waldes zu leise. Alles schien farblos und grau. Irgendwie
hatte sie das Gefühl als wäre alles um sie herum unerträglich
langsam, in ihren Ohren rauschte das Blut und das Herz schlug ihr laut
pochend in ihrer Brust.
Sie warf den Kopf nach hinten und ein Schrei
entrang sich ihrer Brust. Dieser Schrei klang beinahe nicht mehr menschlich,
doch das war ihr egal. Es musste raus aus ihr!
Das schwarze Herz pumpte weiter sein dunkles
Blut durch ihren Körper und sie hatte das Gefühl als würde
die Schwärze aus ihr herausdampfen.
Den Kopf gesenkt stürmte sie an allen
vorbei, eine Spur aus Tränen hinter sich herziehend. Warum waren heute
alle im Wald? Sie sollten weg! Alle! Sie sollten einfach nur verschwinden
und ihr ihre Ruhe lassen!
Immer heißer kochte die Wut in ihr und
alles brach heraus, das seit Unzeiten in ihr gärte.
Tief in ihr regte sich etwas, das viel älter
war als sie. Ja, vielleicht sogar älter als die Welt oder gar die
Zeit an sich.
"Du hast das nicht Not, das weißt
du doch... Du hast etwas Besseres verdient. Komm mit mir, ich will mich
für dich rächen, dich von ihnen befreien." Eine faulig süße
Stimme erhob sich aus ihrem Inneren, aus ihrem schwarzen Herzen.
Sei blieb erstarrt stehen. Hatte sie das wirklich
gehört? Das war keine ihrer "üblichen" Stimmen. Die würden
sie dazu antreiben sich zu beruhigen, zurück an die Arbeit zu gehen
und sich zu benehmen.
Nein, diese Stimme war fremd und dunkel. Keine
Stimme, der sie normalerweise gelauscht hätte. Sie schien Dunkelheit
zu verbreiten. Doch diese Stimme passte zu der kalten Finsternis in ihrem
Herzen und sie beschloss ihr etwas zu lauschen.
"Du bist etwas besonderes, aber diese Narren
verstehen das nicht! Du musst dich befreien von ihnen, sonst wirst du enden
als verbitterte alte Frau, die nie Freude hatte. Einer Frau, die alles
für andere geopfert hatte. Eine Frau die von allen verlacht wird,
ausgenutzt bis zum Ende ihrer Tage!"
Die Stimme weckte Bilder in ihr, die sie vor
Wut schnauben ließen und das schwarze Herz in ihr weiter wachsen
ließ.
"Weißt du, ich könnte alles
für dich regeln. Du hättest keine Sorgen mehr, keinen Schmerz.
Alles wäre gut, mein Kind! Du bist ein so wertvoller Schatz, verschwende
dich nicht für diese Narren!"
Tief in ihr erwachte ein Teil von ihr, der
noch nicht von Hass zerfressen war, und hob den Schleier der Wut einen
kurzen Moment. "Und was ist der Preis dafür? Ich denke nicht, dass
du aus reiner Herzensgüte mir helfen solltest" flüsterte sie
in den leeren Wald.
"Der Preis ist nicht hoch, mein Kind. Du
müsstest nur Platz machen für mich... Du wärst während
dieser Zeit an einem Ort, wo du dich ausrasten könntest. Kein Grund
zur Sorge, ich werde alles in deinem Sinn erledigen, du wirst schon sehen."
Trotz der Süße, die noch immer in der Stimme lag, konnte man
einen Unterton von Angespanntheit hören.
"Und wer sagt mir, dass du mir meinen Körper
zurückgibst?" Sie war vorsichtig geworden, doch das Denken fiel schwer,
da das schwarze Herz unaufhörlich in ihr schlug. Wie schwarzes Eis
strömte der Zorn durch ihre Adern und vertrieb alle Wärme aus
ihrem Körper.
Doch diese Kälte besaß keine Körperlichkeit.
Sie kam tief aus ihrem Inneren und kam von der Macht, die durch den Hass
in ihr Herz gelassen worden war und sich nun dort breit machte.
"Was hättest du denn zu verlieren?
Ein Leben voller Arbeit und Schmach? Ausgenützt zu werden, benutzt
zu werden? Du bist doch nur ein Ding für die! Nichts anderes! Du wirst
dich nie befreien können. Immer würden sie dich einfangen, dich
beschneiden, dir die Luft zum Atmen nehmen. Willst du denn das? Was, sag
mir was, hast du denn zu verlieren? Sie lieben dich nicht und werden es
auch nie! Siehst du denn das nicht, mein Kind?" Kurz war die Stimme
still. "Aber dort, wo ich dich hinschicke, hast du Ruhe von all dem.
Keiner wird dir dort wehtun und du wirst auch keine Schmerzen haben. Du
wärst frei von jeder Verantwortung oder Last... Du wärst erlöst!"
Die Stimme sang beinahe und lullte die junge Frau ein.
Die Stimme gehörte einer Macht, die unendlich
alt und unendlich böse war. Sie war eine Meisterin darin zu verwirren,
zu umspinnen und sich alle gefügig zu machen. Sie spielte dieses Spiel
schon seit Jahrtausenden und nur selten hatte sie verloren.
"Das klingt schön..." Nur leise kamen
die Worte über die Lippen der jungen Frau. Ihre Augen blickten leer
ins Nichts und in ihren Ohren toste der Schlag des Herzens.
Doch ganz war die Schlacht noch nicht geschlagen,
tief in ihr war noch ein Keim des Lebens, ein Keim der Liebe.
"Aber ich möchte noch darüber
nachdenken, wenn das geht..." Mit etwas mehr Kraft hauchte die junge
Frau in die Stille des Waldes. Nicht einmal ein Blättchen regte sich
im Wald und alle Tiere hatten sich davon gemacht.
"Natürlich, mein Kind. Ich bin immer
bei dir, mein Schatz. Wenn du mich brauchst, werde ich da sein." Leise
zog sich das Wesen zurück, ohne jedoch ganz zu gehen.
Wie betäubt machte sich die junge Frau
in Richtung Haus auf. In ihr herrschte eine Kälte, die sie noch nie
erlebt hatte. Sie fühlte sich unendlich allein und verlassen. Jeder
Schritt war eine Qual. Noch immer schlug das finstre Herz in ihrer Brust,
doch nun strömte Verzweiflung und Trauer durch ihre Adern.
Immer dunkler erschienen ihr die Tage, immer
trostloser ihr Leben. Ihre Eltern, ihre Bekannten und Freunde, alle erschienen
ihr kalt, abweisend und dumm. Niemand schien sie zu verstehen. Sie bemerkte
nicht die besorgten Blicke, noch die freundlichen Gesten der anderen. Sie
sah überall nur Gehässigkeit und Hass.
Nur im Schlaf fand sie Ruhe. Dort wartete
die Stimme auf sie. Doch hier im Schattenreich der Nacht hatte die uralte
Macht eine Gestalt. Sie war schön, so schön, dass es einem die
Stimme verschlug. Sie schien perfekt bis in die kleinste Einzelheit ihrer
Selbst. Doch sie strahlte eine Kälte aus, die einem tief in die Glieder
kroch. Doch das war der jungen Frau egal, ja, sie spürte die Kälte
beinahe nicht mehr. War doch in ihr selbst nur Kälte und Finsternis.
Die Stimme war gut zu ihr, die Stimme verstand
sie. Immer verlockender wurde das Angebot, doch irgendetwas hinderte sie
daran es anzunehmen.
"Kind, was ist los mit dir? Können wir
helfen? Geht es dir nicht gut?" Nur dumpf drangen die Worte der Mutter
zu ihr durch.
Was wusste die denn schon? Sie war ihr doch
egal!! "Ach leck mich doch!" Sie erschreckte selbst über sich, doch
die Lethargie wischte alles wieder weg.
Entsetzt blickte die Mutter nur auf ihre Tochter.
Hatte sie das wirklich gehört? Solche Worte hatte ihr Kind noch nie
verwendet. Laut klatschend landete die Hand im Gesicht der jungen Frau.
"Schäm dich! Was fällt dir ein! Geh auf dein Zimmer, du unnützes
Ding!"
Kurz flammte Wut in ihr auf, ihre Mutter hatte
sie noch nie geschlagen! Aber das war der Beweis! Nicht einmal ihre Mutter
verstand sie! Sie liebte sie ja nicht einmal!! Sie drehte sich nur um und
ging davon.
Als ihre Tochter weg war, sackten der Mutter
die Beine weg. Noch nie hatte sie ihre Hand gegen irgendjemanden erhoben!
Doch eine leise Stimme hatte sie dazu getrieben. Jetzt war sie weg, als
wäre sie nie da gewesen.
"Bist du da, Lady?" Leise flüsterte sie
in die Finsternis des Zimmers.
"Ich bin immer da, mein Kind! Kann ich
dir helfen?"
"Gilt dein Angebot noch?" Ihre Stimme war
nur noch ein Hauch.
"Natürlich!"
"Dann sollst du meinen Körper haben."
Resigniert setzte sie sich auf den Rand des Bettes. Jetzt wusste sie ja,
dass nicht einmal ihre Mutter sie liebte, warum sollte sie weiter machen?
Die Lady hatte von Anfang an recht gehabt. Es gab keinen Platz für
sie auf dieser Welt.
"So soll es sein!" Die Stimme
klang völlig verändert, kalter Hass stach aus ihr heraus. Die
Lady war an ihr Ziel gekommen, sie hatte den Körper bekommen, es gab
keinen Grund mehr sich zu verstellen.
Brutal riss sie die Seele der jungen Frau
aus ihrem Körper und nahm ihren Platz ein. Achtlos schleuderte sie
den Geist ins Nichts.
"Aber Lady, ihr wolltet mich doch an einen
besseren Ort geleiten!" Körperlos schwebte die junge Frau im Raum
und begann sich langsam aufzulösen.
"Dummes Ding! Ich habe nie gesagt, dass ich
dich an einen besseren Ort bringen werde! Nur an einem Ort, wo kein Schmerz
herrscht! Und im Nichts herrscht weder Freude noch Schmerz! Doch jetzt
verschwinde! Ich brauche dich nicht mehr! Ich habe nur deinen Körper
gebraucht und die Macht, die in ihm verschüttet liegt!"
Mit einem kalten Lachen machte sich die Lady
mit ihrem neuen Körper vertraut, ließ die letzten Fetzen des
Geistes hinter sich und ging hinaus in die Welt, um ihr Werk zu verrichten.
© Dara
Drachenkind
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