Jack hasste dieses Geräusch inbrünstig...
sein Wecker leuchtete ihn in einer bösartig grünen Farbe an,
und meldete durch lauter werdende Huptöne, daß wohl die Zeit
zum Aufstehen gekommen sein musste. Nur noch kurz lag er schlaftrunken
im Bett, dann besann er sich, daß ihn heute eine Menge Arbeit erwarten
würde. Er stellte den Wecker unsanft aus, und ging ins Bad, um sich
den üblen Geschmack von massenhaft Alkohol und Zigaretten aus dem
Mund zu spülen. Wie erwartet war der Erfolg nicht berauschend. Was
hatte er heute nochmal geträumt? Er konnte sich noch vage an Bruchstücke
aus einem Traum erinnern, an öde Landschaften, an eine Höhle,
an riesige Reichtümer... naja, war wohl seine Fantasie mal wieder
mit ihm durchgegangen, kann einem ja keiner verbieten, im Traum!
Er war schon fast fertig angezogen, hatte
eine halbleere Kaffeetasse in der Hand, und suchte seine Schlüssel,
als das Telefon klingelte. Fluchend suchte er den Hörer. Er kam unter
einem Kissen zum Vorschein. "Ja, verdammt, Roper, was denn los?" Er hätte
mit viel gerechnet, aber die Schimpfkanonade, die sich jetzt über
ihn ergoß, war einfach zu viel, so früh am morgen. "Miss Player...
hören sie doch.... ...äh... ach leck mich doch!" Nach einem kurzem
"fiep" verstummte der Hörer, und verschwand wieder im Kissen. Jack
wusste natürlich, daß er sich in spätestens fünf Minuten
schlimme Dinge würde anhören müssen, aber ihm war jetzt
eben nicht danach, mit seiner Nachbarin über die Schäden an ihrem
Wagen zu reden. Er hatte vor wenigen Tagen ihr Auto beim Parken zerkratzt,
und sie nahm ihm das furchtbar übel.
Kaum hatte er seine Wohnung verlassen, da
stürmte auch schon eine Frau anfang fünfzig, mit Lockenwicklern
und Morgenmantel bewaffnet, auf ihn zu. "Sieee, sieeee, ist ihnen eigentlich
klar, daß ich sie anzeigen werde? Ich warte jetzt schon über
eine Woche auf das Geld von ihrer Versicherung! Wenn sie denen nicht mal
Dampf machen, dann, dann, ich lass ihnen den Wagen pfänden! Haben
sie denn gar kein Ehrgefühl, eine alte Frau so übers Ohr hauen
zu wollen!"
Jack entschied, daß er sich der Debatte
wohl würde stellen müssen. "Miss Player, ich hab ihnen schon
mal gesagt, so schnell geht das alles nicht, sie müssen sich eben
so lange gedulden, bis sich da was tut." Hätte Jack erwartet, daß
seine Worte auf die resolute Dame einen beruhigenden Einfluß hätten,
wäre er enttäuscht worden, im Gegenteil, sie verstand sie als
Herausforderung!
"WAAAS? Das werden wir dann noch sehen, junger
Mann, niemand legt sich ungestraft mit Fran Player an, nicht mal eine Versicherung,
und schon gar nicht so ein junger Schnösel wie sie! Ich werde mein
Recht bekommen, aber sie werden danach gar nichts mehr haben, ich mach
sie fertig!"
Es war weniger das Gekeife der Frau, sondern
eher die Tatsache, daß er ohnehin schon relativ spät dran war,
und ihn diese Unterhaltung nur noch mehr aufhalten würde, was ihn
wütend machte. Er spürte das übliche Ziehen in der Lendengegend,
die Adern an seinem Hals schwollen bedrohlich an, und der Frust der Situation
begann sich nun über der verschreckten Miss Player zu entladen. "Bleiben
sie mir endlich mit ihrem Gesülze vom Leib, sie alte Gewitterziege!
Ich hab weiß Gott besseres zu tun, als ihren idiotischen Anschuldigungen
zuzuhören, und schaffen sie jetzt ihren fetten Arsch von meinem Rasen,
oder ich helfe ihnen dabei!" Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fuchtelte
er dabei wild mit seinem Aktenkoffer um sich, und er hoffte, daß
sein Blick furteinflößend genug sein würde, um sich die
Furie wieder ein paar Tage vom Hals zu halten.
Miss Player hielt es angesichts der Drohungen
Jacks' für angeraten, einen taktischen Rückzug auf den Balkon
ihres Hauses anzutreten. Hinter der schützenden Brüstung des
Balkons fasste sie jedoch neuen Mut, und begann Jack mit Schimpftiraden
zu befeuern, bis dieser entnervt in seinen Wagen stieg.
"Miss Player, sie wissen doch gar nicht, was
diese Worte bedeuten - zumindest hoffe ich das!"
Als das Autoradio Miss Player übertönte,
stellte sich bei Jack langsam Behaglichkeit ein. Diese halbe Stunde am
Morgen, in der er ganz alleine in seinem Wagen saß, war für
ihn eine der schönsten am ganzen Tag. Keiner würde ihn ansprechen,
keiner konnte ihn stören. Er ging nochmal seinen Plan durch, den er
für diesen Tag gemacht hatte.
Da er in einem großen Büro für
die Datenverarbeitung verantwortlich war, lag die Verantwortung für
eine größere Umstrukturierung der Fileserver bei ihm. Er hatte
alles bis ins kleinste Detail geplant, und war, ehrlich gesagt, stolz auf
seine Arbeit. Es war zwar das erste Mal, daß er so eine große
Maßnahmen selbst leiten würde, aber er war ja schließlich
sein Geld wert.
Der einzige Grund, warum Jack nicht schon
zum Abteilungsleiter aufgestiegen ist, mag sein, daß er es mit Terminen
nie so ganz genau nahm, und auch seine Arbeitsauffassung entsprach nicht
ganz der, die die Chefetage gerne bei ihren Mitarbeitern sieht.
Aber letztendlich würde selbst der Manager
der Datenverarbeitung nicht mehr an ihm vorbeikommen, denn er leistete
trotz seiner unorthodoxen Methoden doch Beträchtliches.
Er wußte genau, was er wert war, und
war sich auch bewußt, inwiefern er seine Loorbeeren auskosten durfte,
ohne dabei jemandem auf den Schlips zu treten.
Im Büro angekommen, lief sein allmorgendliches
Ritual ab. Er setzte sich an seinen Computer, ging seine EMails durch,
und schlürfte dabei genüßlich seine zwei Tassen Kaffee,
die genauso zum Tagesablauf gehörten, wie die zwei Zigaretten, die
er nebenher rauchte.
Die Sekretärin vom Leiter der EDV huschte
herein, piepste ein fröhliches "Guten Morgeeeeeeen!", legte einen
Berg Akten auf seinen Schreibtisch, und lehnte sich darüber. "Sooo,
wie war denn das Wochenende?"
Jack lächelte mit einer aufgesetzter
Fröhlichkeit zurück. "Ach, wissen sie, Karen, wie jedes Wochenende
eben, keine besonderen Vorkommnisse" - Nicht, daß es dich was angehen
würde, dachte er bei sich.
Als sie den Raum verlassen hatte, schwang
er sich ans Telefon, er kramte in der Innentasche seines Sakkos nach einem
Zettel, auf dem eine Nummer ohne Name stand. Andächtig lauschte er
dem Klingelzeichen, dann nahm endlich jemand ab.
"Ja, hier die Praxis von Dr. Mandrake?"
Jack erkannte die Stimme der alten Sprechstundenhilfe.
"Ah, guten Morgen Mrs. Pointer, ich bins, Jack, Jack Roper."
Die ohnehin schon freundliche Stimme am anderen
Ende der Leitung überschlug sich nun beinahe: "Guten Morgen, Jack,
wir haben sie ja schon lange nicht mehr gesehen, ich hoffe, es geht ihnen
soweit wieder etwas besser."
Jack musste unwilkürlich lächeln
- diese alte Dame war wirklich die personifizierte Nettigkeit. "Eben da
liegt das Problem, Mrs. Pointer, in letzter Zeit hat sich mein Zustand
wieder verschlechtert, und dank einem kleinen Streit in der Nachbarschaft,
muss ich mich wohl so bald wie möglich wieder mit Dr. Mandrake treffen."
Mrs. Pointer wirkte bestürzt "Ooh, Jack,
es tut mir so leid, dabei hatten sie ja gerade solch große Fortschritte
gemacht, ich werde dem Doktor gleich mal reinrufen, er wird sich freuen,
sie mal wieder zu sehen - ups, naja, sie wissen schon, wie ich es meine,
Jack, warten sie bitte einen Moment."
Jack musste Lachen. "Ja, natürlich, Mrs.
Pointer. Keine Angst, ich weiß schon..."
Eine Wartemelodie ertönte. Wenige Minuten
später knackte es im Hörer, und die freundliche Stimme war wieder
da. "Hallo, Jack, sind sie noch dran?"
"Ja, natürlich"
"Also, der Doktor hat heute Abend einen Termin
verlegt, und könnte sie ab sechs sprechen, er war eigentlich gar nicht
überrascht, er hat gesagt, daß er mit einem Rückfall gerechnet
hat."
Nun war Jack erstaunt. "Er hat damit gerechnet?
Ist ja egal, dann reden wir heute Abend drüber, ich muss jetzt schluss
machen, Mrs. Pointer, ich danke ihnen, einen schönen Tag noch!"
"Das wünsche ich ihnen auch, Jack, bis
heute Abend!"
Dieses Gespräch hatte Jack nun schon
seit einigen Tagen vor sich hergeschoben. Es war ihm einfach unangenehm.
Er befand sich seit einigen Jahren in Behandlung bei Dr. Mandrake, einem
Psychiater. Ständige Wutanfälle, die er nicht mehr kontrollieren
konnte, hatten ihn damals fast zum Äußersten getrieben. Er verlor
dadurch viel Freunde, seinen Job, und wußte sich nicht mehr zu helfen,
bis sich ihm dieser Dr. Mandrake vorstellte. Er kam einfach bei ihm vorbei,
und klingelte an seiner Haustür. Wie er von seinen Probleme erfahren
hatte, wollte er ihm nicht sagen, aber seine Erfolge waren beeindruckend.
Nach jeder Sitzung, die er bei Mandrake hatte, fühlte er sich unheimlich
befreit, zufrieden und glücklich. Das Beste daran war, daß Mandrake
ihm noch nicht eine von bestimmt über dreißig berechnet hatte.
Auf die Fragen von Jack, wieso er denn keine Bezahlung verlangt, antwortete
er immer: "Sehen sie, Jack, sie haben ein Problem, bei dem selbst ich viel
lernen kann, darum ist es doch nicht mehr als billig, wenn ich ihnen nichts
abverlange, oder?"
Der Anruf beim Doktor war für Jack etwas
sehr unangenehmes - er wollte einfach nicht zugeben, daß er für
die Bewältigung seines Lebens die Hilfe eines Psychiaters nötig
hatte. Aber nun, da der Anruf erledigt war, stellte sich wie immer ein
befreites Gefühl ein, nun hatte er die Hürde genommen, und heute
Abend würde ihm der Doc die Gedanken schon wieder zurechtrücken.
Nun ging es zuerst hier im Serverraum ums Ganze.
Jack setzte sich neben Singh, einen Inder, der sich hier als Praktikant
für eine Stelle in Jack's Abteilung qualifizieren wollte. Er war gut,
fast so gut wie Jack. Die beiden hatten sich auf Anhieb gut verstanden,
und nachdem Jack herausgefunden hatte, daß Singh auf seine verschiedenen
Indernet-Witze ansprang, hatte sich langsam ein kumpelhaftes Verhältnis
zwischen den beiden eingestellt.
Jack klopfte ihm auf die Schulter. "Na, du
kleiner Oberste-Kaste-Programmierer, wie läufts uns denn heute? Könntest
du dich kurz auf deinen fliegenden Teppich schwingen, und mir 'ne Cola
holen?"
Singh war der Sprache noch nicht ganz mächtig,
wußte sich aber im allgemeine zu verteidigen, er sah Jack mit einem
Terminator-Blick an. "Hey, Cowboy, schwing deinen fetten scheißarsch
selber rüber, und lass mich arbeiten, sonst gibts Dresche, und zwar
mit dem großen Gebetsknüppel!"
Beide lachten. Jack hatte vor, sich für
diesen Jungen einzusetzen, besser einen Inder als ein Arschloch als Kollegen,
dachte er sich.
Jack sah sich um, und musste gestehen, daß
seine Kollegen schon gute Arbeit geleistet hatten. Fast die Hälfte
der Konvertierung der Datenbanken auf den Servern war beendet, und keine
Fehler waren bisher aufgetreten, sein Plan funktionierte erwartungsgemäß.
Selbst wenn sich jetzt ein Fehler einschleichen
sollte, so hatte er doch bereits am Tag zuvor seine Backups vorbereitet,
und diese würden die Server wieder blitzschnell auf den alten Stand
zurückversetzen - ein Kinderspiel.
Derart beglückt, machte sich Jack auf
den Weg zu seinem Abteilungsleiter. Die alltägliche Besprechung stand
an.
Wie meistens war er der Letzte, der seinen
Platz im großen Sitzungssaal einnahm. Ein ernster Blick des Chefs
perlte von ihm ab, wie Wasser vom frisch gewachsten Lack eines Autos. Dennoch
hielt er eine Erklärung für angemessen. "Äh, sorry, Mr.
Lloyd, die Serverumstellung, sie wissen schon..." Er machte eine gehtzte
Geste.
Mr. Lloyd lächelte und sagte: "Das ist
die erste Ausrede seit vielen Tagen, die ich gelten lassen kann. Und, alles
im grünen Bereich, Mr. Roper?"
Jack antwortete selbstzufrieden: "Ja, natürlich,
meine Leute schaffen das schon, ich war grade da, und die Konvertierung
ist zu fast zwanzig Prozent abgeschlossen." Eigentlich, dachte Jack, müssten
wir nun bei fast fünfzig Prozent sein, aber das geht ihn ja nichts
an, die Server werden wir erst ab heute Mittag wieder freigeben. Sonst
kriegt der noch mit, wie schnell das tatsächlich geht, und beim nächsten
Mal haben wir die Hektik.
Mr. Lloyd wirkte erleichtert. "Na das hört
sich doch schon mal gut an, Jack, also bleibt der Termin bestehen, sie
geben die Server heute Mittag wieder frei?"
Jack war in seinem Element. "Ja, ich denke,
das wäre zu schaffen, versprechen kann ich ihnen nichts, aber ich
würde sagen ‘Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit’ haben
wir die wichtigsten heute Mittag wieder am Netz."
"Danke, Jack, ich habe mich also nicht in
ihnen getäuscht. Wenn tatsächlich alles läuft, werden wir
uns mal wieder über ihre weitere Karriere hier unterhalten. Durch
die besonderen Umstände heute, würde ich sagen, sie gehen am
besten wieder nach ihrem Team sehen, sonst werden die noch übermütig."
Anscheinend hatte der Alte sogar bemerkt,
daß Jack nichts sehnlicher herbeiwünschte, als das Ende dieser
Besprechung, und daß er freigestellt wurde, war ihm alles andere
als unangenehm. "Danke, sie haben recht, Mr. Lloyd, ich geb ihnen Bescheid,
sowie sich was ergibt. Auf wiedersehen."
Es war ein perfekter Tag. Schon um zehn waren
alle Server nur noch vom System getrennt, weil Jack sie nicht ans Netz
ließ, er hatte alle Burn-in-tests abgeschlossen, und er und sein
Team waren jetzt bis Mittag arbeitslos - das gab ihm Gelegenheit, das lang
versprochene Mittagessen mit seinen Mitarbeitern wahrzunehmen. Fast drei
Stunden verbrachten sie in einer kleinen Pizzeria um die Ecke, bevor wieder
alle an die Arbeit gingen, und Jack die Server ans Netz schaltete. Alles
lief problemlos, und Jack freute sich schon auf den Feierabend, den er
heute wirklich einmal genießen konnte.
Auf dem Weg nach Hause hielt er noch kurz an
einem Blumenladen an, und kaufte einen schönen kleinen Strauß,
von dem er wußte, daß sich Mrs. Pointer sehr darüber freuen
würde.
Er stellte seinen Wagen immer ein paar Ecken
vor der Praxis von Dr. Mandrake ab, denn er war ja schließlich Psychiater,
und es mußte nicht jeder sehen, daß er ein Patient von ihm
war.
Er fragte sich schon eine ganze Zeitlang,
welcher Nationalität Dr. Mandrake wohl sein wollte. Ein Einheimischer
war er nicht, soviel ist sicher, aber Jack konnte sich beim besten Willen
nicht vorstellen, wo er herkam. Seine Hautfarbe war ziemlich dunkel, aber
er hatte blaue Augen und ein weiches, fast gütiges Gesicht. Seine
Haare waren trotz seines fortgeschrittenen Alters strohblond, und sein
Körper wies bemerkenswerte physische Attribute auf: Trotz eines immensen
Bauchs, den er wie eine Trophäe vor sich hertrug, war er doch äußerst
sportlich - eine ihrer letzten Sitzungen hatten sie in einem nahegelegenen
Waldstück gemacht, und nachdem sie zur Praxis zurückjoggten,
war auf der Stirn des Doktors nicht eine Schweißperler zu sehen gewesen,
während Jack nahe daran war, ein Sauerstoffzelt zu benötigen.
Das alles passte irgendwie nicht zum Durchschnittsbürger, aber der
Mann war ja auch schließlich Psychiater...
Jack wurde von Mrs. Pointer wie immer äußerst
liebevoll empfangen, sie hatte in ihrer Mittagspause extra einen Kuchen
gebacken, und es war ihr furchtbar peinlich, daß sie beim herunterschneiden
ein Stück davon zerbrach.
Dr. Mandrake stand lachend in der Tür.
"Das sehen sie’s, Jack, das ist der Grund dafür, daß ich immer
breiter daherkomme, sie meint’s einfach zu gut mit mir!"
Jack drehte sich zur Tür um. "Guten Abend,
Doktor, es tut mir leid, daß ich sie wieder belästigen muß,
aber ich denke, ich brauche wieder ihre Hilfe."
Mandrake gestikulierte zur Tür. "Setzen
sie sich doch schonmal rein, Jack, ich versuche derweil, mir noch ein Stück
Kuchen zu ergaunern."
Jack setzte sich in das ihm Wohlbekannte Sprechzimmer.
Die Wände waren mit schwerem, dunklem Holz getäfelt, mit Säulen
verziert, der mächtige Schreibtisch des Doktors nahm fast ein Viertel
des großen Raumes ein. Kupferstiche von großen Schlachten verzierten
die ohnehin schon pompösen Wände.
Kauend, mit einem Stück Kuchen in der
Hand, kam der Doktor herein, die schwere Mahagonitür fiel zu. Er setzte
sich hinter seinen Schreibtisch, und wandte sich kauend Jack zu. "Nun,
Jack, was hat sie veranlasst, wieder zu mir zu kommen? Hatten sie wieder
einen ihrer Anfälle?"
Jack besah sich angestrengt seine Hände,
die nicht so recht wußten, was sie tun sollten, aufgeregt faltete
er sie, streckte sie aus, ballte sie... er konnte Mandrake noch nie in
die Augen sehen. "Wissen sie, Doktor, ich habe nachgedacht, und mir scheint,
daß das, was ich immer wieder am eigenen Leib verspüre, keine
Wutanfälle im eigentlichen Sinn sind."
Mandrake wirkte amüsiert. "Oha, sie haben
psychiatrische Fähigkeiten entwickelt?"
Jack lächelte. "Neinein, das ist es nicht,
aber ich dachte immer, Wutanfälle beziehen sich nicht auf Personen,
sondern kommen aus heiterem Himmel, und richten sich gegen das, was eben
greifbar ist. Bei mir ist das aber nicht so. Alles fing damals an, als
mein Bruder starb. Damals hatte ich ihnen erzählt, daß mein
Vater, der seit langem mit ihm verstritten war, nicht zu seiner Beerdigung
kam. Danach habe ich ihn aufgesucht, um mit ihm darüber zu reden,
jedoch stieß ich auf taube Ohren. Was dann geschah, war kein Wutanfall,
keine spontane Reaktion - ich hasste ihn damals, und ich hasse ihn noch
heute. Wäre niemand in der Nähe gewesen, hätte ich ihn wohl
umgebracht. Nur der Umstand, daß mehrere Personen anwesend waren,
rettete ihn. Der "Wutanfall", wie man es später bezeichnete, in dem
ich seinen Fernseher, seine Weinsammlung und sein Wohnzimmer zerstörte,
war nur ein Ventil, ein Ventil um den Hass, den ich verspürte, zu
überspielen. Natürlich habe ich damals die Kontrolle verloren,
aber wäre es da nicht viel logischer gewesen, wenn ich mich auf ihn
gestürzt hätte? Offenbar hielt mich etwas davon ab, und dieses
etwas war ich selbst! Ich wußte instinktiv, daß noch ein späterer
Zeitpunkt kommen würde, der eine bessere Gelegenheit böte. Insofern
kann ich mir auch nicht vorstellen, daß ich zu diesem Zeitpunkt unzurechnungsfähig
war. Dr. Mandrake, ich habe meinen Vater seit diesem Tag nicht mehr gesehen.
Ich will ihn auch nicht sehen, aber nur aus dem einen Grund, weil ich weiß,
ich würde zu Ende bringen, was mir damals verwehrt blieb!"
Mandrake hatte ruhig zugehört, er leckte
sich die Reste des Kuchens von seinen Fingern. "Ich habe mich schon gefragt,
wie lange sie brauchen würden, um das herauszufinden, Jack. Die Erklärung
hierzu ist allerdings nicht so einfach, als daß ich sie ihnen in
wenigen Minuten geben könnte. Yar og temlin gat ragot, wie wir immer
sagen."
Jack war verwirrt. "Was soll das heißen?"
Mandrake beugte sich nun vor, er lächelte.
"Nur eine Weisheit aus meiner Kindheit, Jack, weiter nichts. Sie sprachen
eben von Hass. Hassen, Jack, ist eine Kunst. Haben sie schon einmal probiert,
jemanden dauerhaft zu hassen? Jemanden, der es verdient hat, sich dann
aber entschuldigt, sie ehrlich um Verzeihung bittet, aus vollem Herzen?
Ich könnte es nicht, und mit mir wohl die meisten Menschen auf dieser,
unserer Erde. Der Grund, warum sie es offenbar besser können als andere,
entzieht sich, ehrlich gesagt, meiner Kenntnis.
Darum ist ihr Fall auch so ungeheuer interessant.
In unseren letzten Sitzungen, Jack, habe ich in ihnen einen alles verzehrenden
Hass gespürt, und obwohl ich in diesem Gebiet große Erfahrung
besitze, so kann ich ihnen bis jetzt nichts anderes mit auf den Weg geben
als das, was ich immer mache. Mit der Hypnose versuche ich, verschiedene
Teile ihres Empfindens zu dämpfen, ihnen zumindest die Bereitschaft
zur Gewalt zu nehmen, ihre Glücksgefühle zu verstärken,
zu erhalten, denn in einer Phase des Wohlbefindens fällt es selbst
ihnen schwer, Hassgefühle aufzubauen."
Jack war nun wirklich niedergeschlagen - sollte
das nun heissen, daß er sein Leben lang einen Doktor brauchen würde,
nur, damit er nicht eines Tages als Gewaltverbrecher in einer Zelle landet?
"Dr. Mandrake, ich bitte sie um eine ehrliche Antwort - sie kennen mich
und mein Krankheitsbild nun schon eine ganze Weile - wird es schlimmer?"
Der Doktor sah Jack ernst an. "Ja, Jack. Es
tut mir unheimlich leid, ihnen das sagen zu müssen, aber ihr Zustand
verschlechtert sich. Sie haben es die ganze Zeit schon in sich getragen,
aber da sie nun schon selbst analysiert haben, was sie bewegt, läßt
darauf schließen, daß es schlimmer wird - sie wollten eine
ehrliche Antwort..."
Mandrake nahm seine Brille ab, und stellte
zwei Gläser auf den Tisch. "Bourbon?"
Jack brauchte mehrere Sekunden, um zu antworten
"Ja, bitte."
Sie saßen mehrere Minuten schweigend
da, und Jack versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Der Bourbon brannte in
seiner Kehle, und holte ihn wieder aus seinen düsteren Gedanken. "Doc,
denken sie, ich bin gefährlich? Kann ich überhaupt noch mein
normales Leben führen, oder ist es besser, mich gleich in eine geschlossene
Anstalt einzuweisen?"
Mandrake lächelte wieder. Dieses Lächeln...
es erinnerte ihn an irgendetwas... seine Gedanken waren zu zerrissen, um
sich zu erinnern...
Der Doktor räusperte sich, immer noch
lächelnd. "Nein, Jack, ich glaube nicht, daß man sie einweisen
sollte. Aber ich mache ihnen einen Vorschlag: Was würden sie davon
halten, wenn sie ein paar Tage zu mir ziehen? Ich habe hier ein großes
Gästezimmer, und ich denke, wenn sich Mrs. Pointer um sie kümmert,
wird es ihnen an nichts fehlen."
Jack überlegte, aber er kam zu dem Schluß,
daß es wohl besser sein würde, wenn er den Vorschlag von Mandrake
annahm. "Ich danke ihnen, Doktor, ich werde meine Sachen packen, und dann
direkt zu ihnen kommen."
"Gut, Jack, ich werde einen Kollegen bitten,
ihnen eine Krankmeldung für die nächsten Tage auszustellen, einen
Orthopäden. Wer will schon gerne eine Krankmeldung von einem Psychiater?"
Jetzt mußte auch Jack lachen...
Zu Hause angekommen, suchte er vom Auto aus
nach Anzeichen von Mrs. Player - die Luft schien rein zu sein. Er erreichte
in Rekordzeit die Wohnungstür, und war in sekundenschnelle in ihr
verschwunden. Nach kurzem Überlegen beschloss Jack, Kleidung für
eine Woche einzupacken, er brauchte dazu nur einen Koffer. Als er alles
beisammen hatte, setzte er sich noch kurz auf sein Bett und schaute sich
um. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache, und doch war er
so euphorisch wie selten in seinem Leben. Vor nicht einmal einer halben
Stunde war für ihn eine Welt zusammengebrochen, und nun freute er
sich, wie ein kleines Kind auf einen Badeurlaub. Es war unnatürlich
- gut, er kannte den Doktor schon von vielen Sitzungen, aber wieso zum
Teufel fühlte er sich so zu ihm hingezogen? Er beschloß, diese
Gedanken zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzugreifen....
Nach einem kurzen Blick durch die Jalousien
erkannte Jack, daß sich Mrs. Player wohl gerade in ihrem Garten aufhielt,
und so die Vorderseite des Hauses nicht einsehen konnte - ein guter Moment,
um durchzuschlüpfen!
Er erreichte seinen Wagen unbeschadet, und
als die krakeelende Dame um die Ecke gerannt kam, war Jack schon so weit
weg, daß sie einsehen mußte, daß er dieses Mal wohl schneller
war.
Kurze Zeit später stieg er die Stufen
zu Dr. Mandrakes Haus empor, und als er die Tür öffnen wollte,
drangen Gesprächsfetzen zu ihm durch. Er hörte die Stimme der
alten Mrs. Pointer.
".....Glaubst du wirklich? Ich hatte es nicht
bemerkt!"
Der Doktor antwortete: "Doch, ich bin mir
ganz sicher! Komisch, früher wäre dir so etwas nicht entgangen."
Er lachte wieder sein seltsames Lachen. "Bist du auf deine alten Tage etwa
nachlässig geworden, Dyne?"
Mrs. Pointer hingegen klang erstaunlich schnippisch.
"Mandrake, wer im Glashaus sitzt... schließlich habe ich ihn gefunden,
oder? .... Er kommt.... er ist schon hier...."
Sie redete lauter: "Danke, Doktor Mandrake,
ich werde dann nach Hause gehen, es ist schon spät, und ich hab noch
zu tun!"
Er antwortete: "Natürlich, Teuerste,
wir sehen uns morgen früh wieder, übernehmen sie sich nicht,
sie leisten hier schon eine ganze Menge."
Jack trat ein, der Doktor begrüßte
ihn freundlich: "Ah, Jack, gut, daß sie schon hier sind, hätten
sie Lust, heute Abend mit mir zu Essen? Wir könnten uns dabei über
ihr Problem unterhalten..."
Der Bratenduft, der in der Luft hing, überzeugte
ihn sofort. "Natürlich, gerne, Dr. Mandrake, ich denke, daß
ich noch viele Fragen haben werde."
Das Grinsen des Doktors wurde breiter. "Hervorragend,
ich werde alles vorbereiten. Ihr Zimmer ist das erste auf dem Gang dort,
linker Hand, sie finden es bestimmt alleine, ich muß mich in der
Küche noch um allerhand Dinge kümmern, wir würden dann um
acht essen."
Jack erinnerte sich daran, daß er seit
der Pizza am Mittag nichts mehr gegessen hatte, und der Bratengeruch trieb
ihm das Wasser in den Mund. "Ja, danke, Doktor."
Sein Zimmer war im gleichen Stil wie das Sprechzimmer
vom Doktor eingerichtet, er schaute sich die Kupferstiche genauer an. Wer
auch immer diese gefertigt hatte, er muß ein Meister seines Fachs
gewesen sein. Jede Einzelheit war zu erkennen. Nur etwas stimmte mit diesen
Bildern nicht. Alle stellten Schlachten dar, der Ausrüstung der Krieger
nach zu urteilen, war es wohl tiefstes Mittelalter. Die Gesichter der Krieger
- unnatürlich verzerrt - er erkannte sie wieder! Er war als kleiner
Junge immer wieder von Alpträumen geplagt worden - und diese Gesichter
- es waren die aus seinen Träumen! Er erinnerte sich plötzlich
an jeden Traum seiner Kindheit, er erinnerte sich an diese verzerrten Gesichter,
die nicht menschlich waren, nein, das waren keine Menschen! Das waren...
plötzlich, wie sie gekommen war, verblasste die Erinnerung wieder...
er versuchte sich zu konzentrieren... aber da war nichts mehr... alles
weg... und er hörte leise Schritte, die sich von seiner Zimmertür
entfernten.
Jack war hungrig, das konnte aber seiner guten
Laune keinen Abbruch tun. Seit er beschlossen hatte, einige Tage hierher
zu ziehen, hatte er diese idiotische Euphorie. Alles hier war ihm auf irgendeine
Weise verdammt sympathisch, aber er konnte nicht die geringsten Anzeichen
erkennen, wieso das so war. Dem Geruch nach war der Doc ein brillanter
Koch. kurz vor acht kam dann Mandrake. Im Abendmantel schob er einen Wagen
voller Köstlichkeiten vor sich her.
"Nun, Jack, ich hoffe, daß ich ihren
Geschmack getroffen habe, lassen sie uns einfach anfangen, sie müssen
inzwischen hungrig sein."
Es war Jack vollkommen egal, ob er seinen
Geschmack getroffen hatte, oder nicht, im Moment wäre ihm sogar ein
Hamburger wie ein Drei-Sterne-Menü vorgekommen, aber das sagte er
Mandrake natürlich nicht.
Das Essen verlief wortlos, Jack war im siebten
Himmel! Er war sich absolut sicher, noch nie so gut gegessen zu haben.
"Doktor, das war das allerbeste Essen, von dem ich je gekostet habe. Ich
wusste gar nicht, daß sie so ein guter Koch sind!"
Mandrake wirkte verlegen. "Na, man tut, was
man kann, ich freue mich, daß es ihnen geschmeckt hat, nach allem,
was sie heute schon hören mussten. Sie müssen wissen, Jack, ich
fühle mich in gewisser Weise für sie verantwortlich."
Jack war jetzt satt, und spürte, daß
sich eine interessante Unterhaltung anbahnte. "Verantwortlich? Für
mich? Warum, sie haben ihr bestes getan! Sie müssen wissen, ich war
vor ihnen schon bei einigen Psychiatern, aber helfen konnten nur sie mir!"
Mandrake zog eine Grimasse. "Jack, hören
sie jetzt genau zu. Ich weiß, daß sie zumindest Teile unserer
Unterhaltung von vorhin gehört haben. Das war so nicht geplant. Aber
ich kann ihnen helfen. Ich behaupte nicht, daß es einfach werden
wird, aber ich kann ihnen helfen. Tatsache ist, nicht sie haben mich gefunden,
sondern Mrs. Pointer hat sie gefunden. Sie haben sicher schon gefolgert,
daß sie nicht nur meine Sprechstundenhilfe ist, sie ist tatsächlich
weit mehr - meine Schwester, um genau zu sein.
Ich kann ihnen helfen, den Grund für
ihren tiefen Haß zu finden, bekämpfen müssen sie ihn aber
selbst, und was das Wichtigste ist: Ich verlange eine Gegenleistung! Ich
kann ihnen nicht sagen, was es ist, aber denken sie immer daran, sie werden
mir was schuldig sein."
Mandrake schaute Jack herausfordernd an.
Jack dachte nach. "Dr. Mandrake, sie sind
bisher immer äußerst fair und aufrichtig mir gegenüber
gewesen, ich denke, daß ich ihnen vertrauen kann. Erzählen sie
mir bitte mehr."
Mandrake setzte eine wichtige Miene auf. "Es
gibt nur einen schmalen Grat zwischen Liebe und Hass, Jack, der diese beiden
Zustände weiter spaltet, als ein Mensch zu sehen vermag..."
Jack war verwirrt. "Was soll das nun wieder
heißen, Doktor?"
Mandrake grinste. "Ist ein Liedtext, Jack,
er hat mir gefallen." Jetzt lachte er laut los.
Jack war jetzt fast ein wenig beleidigt. "Doktor,
könnten sie bitte den entsprechenden Ernst wahren?"
Der Doktor gewann mühsam die Fassung
zurück. "Natürlich, nur ein Versuch, die Stimmung aufzulockern,
Jack, sie kommen mir so verkrampft vor - wo ist ihr Sinn für Humor
geblieben?"
Jack bemühte sich, freundlich zu bleiben.
"Doktor, sie haben vor wenigen Stunden mein Leben im Klo 'runtergespült,
und jetzt sitze ich hier, und sie machen Witze darüber. Ich wundere
mich, warum ich nicht schon lange wieder nach Hause gegangen bin. Seit
sie mich zu ihnen eingeladen haben, laufe ich in der Gegend 'rum, wie ein
Kleinkind das auf den Nikolaus wartet, was ist nur los mit mir?"
Mandrake schaute Jack in die Augen. "Vielleicht,
lieber Jack, fühlen sie sich einfach so gut, weil sie das erste Mal
im Leben bei Menschen sind, die ihnen etwas bedeuten, vielleicht ist es
ein Zeichen, daß der Pfad, den sie eingeschlagen haben, der richtige
ist. Ich kann und will ihnen dazu heute nichts mehr sagen. Erholen sie
sich zuerst, sie haben einen langen Tag hinter sich!"
Jack musste ihm recht geben, er war total
am Boden, seine Augenlider schwer wie Blei. "Sie haben recht, Doktor. Ich
werde mich jetzt hinlegen, vielleicht sieht morgen alles etwas besser aus.
Ich wünsche ihnen eine gute Nacht, Doktor."
Versonnen blickte Mandrake Jack hinterher.
"Gute Nacht, Jack, träumen sie was schönes..."
Kurze Zeit, nachdem Jack den Raum verlassen
hatte, bewegte sich der Vorhang, und Mrs. Pointer trat ein. "Du hattest
recht, Drace. Und es gibt schlechte Neuigkeiten!"
Mandrake schaute sie verwirrt an. "Was sind
das für Neuigkeiten, Dyne?"
"Es sieht ganz so aus, als hätten die
Dunklen Wind davon bekommen, wer er ist, nicht mehr lange, und sie werden
hier sein. Hast du es ihm schon gesagt?"
Mandrake's Gesicht wirkte wächsern. "Nein,
das kann ich noch nicht, wir müssen langsam vorgehen. Er ist am Rande
dessen, was er verkraften kann. Aber wenn das wahr ist, was du sagst, müssen
wir heute noch verschwinden - alle - inklusive Jack! Triff alle Vorbereitungen,
wir werden ihn noch eine Stunde schlafen lassen, er hat’s nötig."
Mrs. Pointer nickte. "Das werd ich tun, Drace,
aber lass ihn nicht zu lange schlafen, denk daran, wir wissen nicht, wie
viele hier sind. Und mach dir keine Sorgen, er ist stark, viel stärker
als damals." Sie schaute ihn voller Zuneigung an.
Mandrake ging ans Fenster, während Mrs.
Pointer den Raum verließ. Er starrte auf die Straße hinunter,
die von vielen Autos befahren wurde, er sah die Menschen, die dort aneinander
vorbei huschten, sah die Imbißbude auf der anderen Straßenseite,
spielende Kinder an einem Hydranten... und er murmelte leise: "Dann beginnt
es also.... Ich hoffe, du bist bereit, Jack Roper..."
Jack war gefangen in einem seiner verwirrenden
Träume: Er sah große Städte, die brannten, rauchende Burgruinen,
tausende von Toten... Eine ruhige würdevolle Stimme wurde von Schreien
und Kriegslärm übertönt, sie wiederholte immer den einen
Satz: "Wir werden dich vermissen, Bruder", und in diesen Worten lag unendlich
viel unausgesprochenes Leid. Er kannte diese Stimme, aber es war ihm unmöglich,
sie genau zuzuordnen. Plötzlich mischte sich in den Lärm eine
Frauenstimme "Jack.... Jack... wachen sie auf, der Doktor möchte sie
sehen."
Er erkannte erst sehr spät, daß
die Stimme zu der Person gehörte, die ihn wachrüttelte. Mrs.
Pointer stand an seinem Bett, und lächelte ihn an. "Jack, bitte ziehen
sie sich was an, und kommen sie mit, es ist sehr wichtig!"
Wie in Hypnose warf er sich einen Morgenmantel
über, und folgte der alten Dame. "Mrs. Pointer, was kann so wichtig
sein, um mich mitten in der Nacht zu wecken, ich hatte einen verdammt harten
Tag, und wenn das so weitergeht, brauch ich ‘ne längere Kur, wenn
ich hier ‘rauskomme!"
Mrs. Pointer lachte. "Sie werden es verstehen,
Jack, folgen sie mir einfach." Sie führte ihn durch das große
Haus, bis an eine Kellertreppe. Dort stiegen sie hinunter.
Hier war ein merkwürdiger Ort. Der Raum
war leer, aber die Wände und die Decke waren mit seltsamen Schriftzeichen
verziert. In der Mitte des Raums stand Dr. Mandrake, er hatte seine übliche
lockere Kleidung durch einen Umhang ersetzt, der sehr wertvoll aussah.
Auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln breit.
"Hallo, Jack, es tut mir leid, sie mitten
in der Nacht aus dem Bett holen zu müssen, doch dies ist außerordentlich
wichtig. Wir werden eine Reise machen. Sie, Mrs. Pointer, und ich. Es gehört
gewissermaßen zu ihrer Behandlung, also machen sie sich keine Sorgen,
wir wissen, was wir machen."
Der Doktor machte eine lässige Geste,
und ein ohrenbetäubender Knall ertönte, dann erschien langsam
ein Riß, direkt in der Luft, im Nichts! Kreischend wurde der Riß
größer, bis er schließlich die Größe eines
Mannes erreicht hatte. Durch ihn schien ein seltsames, blaues Licht.
Jacks Müdigkeit war wie weggeblasen.
"Was zum Teufel!?..."
"Bleiben sie ganz ruhig, Jack" Mrs.Pointer
fasste ihn am Arm. "Das ist die Art, wie wir reisen werden, haben sie keine
Angst, wir kennen uns da aus, ihnen wird nichts geschehen."
Jack wollte das nur zu gerne glauben. Er trat
näher an diesen seltsamen Riß heran, betastete ihn, aber nichts
war zu spüren, er fasste hindurch - und - seine Hand kam auf der anderen
Seite nicht zum Vorschein!
Er drehte sich mit riesigen Augen wieder zu
Dr. Mandrake um. "Doktor! Haben sie das gemacht? Was zum..."
Mandrake zog eine Augenbraue hoch. "...Teufel
ist das? Das kann ich ihnen sagen, Jack. Es ist eine Art Brücke, ja,
das ist eine gute Erklärung! Sehen sie es als Brücke in eine
andere Zeit an, wenngleich es etwas komplexer ist, und auch nicht ganz
den Tatsachen entspricht. Wir haben auf der anderen Seite noch genug Zeit,
darüber zu fachsimpeln, aber jetzt sind wir etwas in Eile, darf ich
sie bitten, Jack."
Er machte eine Geste in Richtung des Risses,
aber Jack war noch immer furchtbar aufgewühlt.
"Doktor, wer sind sie, sie sagen mir, was
ich tun soll, können einfach mal so Risse in den Keller machen, und
ich laufe ihnen treubrav hinterher, wie ein Schoßhund!"
Der Doktor drehte sich zu Mrs. Pointer, sie
nickte. "Sie wollen wissen, wer ich bin? So viel Zeit haben wir leider
nicht mehr, Jack, aber ich kann ihnen versichern, ich bin jemand, der sie
liebt, und der sie beschützen will!" Er machte eine weitere lässige
Geste, und Jack wurde plötzlich furchtbar müde....
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