Die beiden Dunkelelben schlurften vorsichtig
durch den schmalen Felsengang; die harte Hornhaut unter ihren Füssen
schabte über den unebenen Boden und ihre roten Augen leuchteten in
der Dunkelheit. Einer der beiden hatte eine verkrüppelte Hand und
hielt in der anderen eine schartige Axt, der andere dagegen war für
Dunkelelbenverhältnisse ein Koloss und führte in jeder Hand ein
scharfkantiges Zackenschwert.
"Yka ekan?" raunte er.
"Anra uldi?" gab der Krüppel zurück.
"Anra Uldoi ekan!" blaffte der Hüne.
"Hama Uldoi!"
Die beiden gerieten in ein grobes Streitgespräch,
das trotz ihres zischelnden Tonfalls durch alle Gänge hallte. Kijena
und Migdo waren jedoch nur einige Meter entfernt und beobachteten sie von
einem Felsvorsprung aus. Als der Streit eine gewisse Lautstärke erreichte,
legte die uwarische Kriegerin lautlos zwei Pfeile auf die Sehne ihres Bogens
und zielte. Migdo beobachtete sie misstrauisch - die beiden Elben standen
gut zwei Meter auseinander.
Kijena legte einen Finger zwischen die Pfeile
und schoss.
Das wilde Geschimpfe der Dunkelelben verstummte
abrupt, als ihre Kehlen gleichzeitig von den stählernen Bolzen durchbohrt
wurden. Ihre Köpfe knallten gegen die Felswand und ihre Körper
klappten mit einem dumpfen Geräusch zusammen. Kijena glitt von dem
Vorsprung hinab und war mit einigen Schritten bei den toten Feinden, um
mit einem Ruck ihre Pfeile herauszuziehen und die schweren Schwerter an
sich zu nehmen.
"Komm schon", zischte Migdo.
"Moment." Sie durchsuchte die Toten noch einen
Moment, nahm ein Paket mit grobem Brot an sich und folgte dem jungen Zwerg
dann in die Dunkelheit der endlos verzweigten Gänge, die sie immer
tiefer in die dunkle Welt unter dem Weltenwutgebirge führte.
-
Malcolm und die Anderen erwarteten sie in einer
Felsspalte, die sich quer durch eine massive Felswand zog und groß
genug war, ihre ganze Gruppe samt den Pferden zu verbergen. Sie waren einen
halben Tag oder länger durch die dunklen Höhlen im Herzen des
Weltenwutgebirges gestolpert und wären ihren Verfolgern mehrmals fast
in die Arme gerannt. Zurgin hatte zwei schwache Pyrolitfackeln entzündet,
die die Höhle mit einem gespenstischen Licht und unzähligen unheimlichen
Schatten erfüllte. Entsprechend angespannt war die Stimmung, wobei
Migdo schnell bemerkte, dass es den Menschen und Xergi sehr viel Unbehagen
bereitete, sich so tief unter der Erde aufzuhalten. Zurgin und ihn selbst
dagegen erfüllte dieser Zustand mit einem Gefühl innerer Ruhe
und Befriedigung, wie sie sie viel zu lange nicht mehr erlebt hatten...
"Wo habt ihr gesteckt, verdammt noch mal?"
fauchte der Prinz Kijena an.
"Ich war damit beschäftigt, unsere Ärsche
zu retten!" blaffte die junge Kriegerin zurück.
Rasch schob Migdo sich zwischen die beiden
und sprach etwas an, das ihm seit ein paar Minuten Kopfschmerzen bereitete.
"Diese Dunkelelben, die wir eben ausgeschaltet haben... die haben so komisch
gesprochen..."
Malcolm sah fragend zu Kijena hinüber.
"inschalai", sagte sie. "Glaube ich
jedenfalls."
Der Prinz runzelte die Stirn. "Das ist nicht
gut. Die meisten Dunkelelben sprechen in primitiveren Sprachen, wie die
der Menschen oder Zwerge. Die, die ihr gesehen habt, stammten wahrscheinlich
aus dem Kernland."
"Dem Kernland?" fragte Migdo.
"Das ist eine Region tief im Inneren Nargons",
erklärte Zurgin. "Es heißt, dass dort die Schlachtfürsten
residieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies alles eine groß angelegte
Invasion ist, wird damit immer größer."
"Hoffentlich erreichen unsere Boten die Zitadelle
und Mul Uwar rechtzeitig", murmelte Kijena. Eines der Pferde scheute leicht.
"Wenn die Schlachtfürsten selbst sich
mit ihren Truppen in Bewegung gesetzt haben, nützt uns das auch nichts
mehr", gab Malcolm zurück. "Die wenigen, die je nach Nargon hineingelangten
und lebend zurückkehrten, berichten, dass die Armeen der Dunkelelben
ganze Ebenen füllen."
"Das richtig."
Alle fuhren erschrocken herum, Malcolm und
Kijena rissen gleichzeitig ihre Waffen hoch.
"Was zur Hölle...?" schnaufte Xergi.
In der Tiefe der Spalte erhob sich ein kolossaler
Schatten, dessen gewaltigen Kopf ein schwärzlich glitzernder Kranz
aus zotteligem Haar umgab. Die dunkle Lederhaut war mit zahllosen Runzeln
überdeckt, und in den tellergroßen Augen spiegelte sich ein
verirrter Lichtstrahl.
"Das fass ich nicht", bemerkte Migdo nur.
"Nicht kämpfen", brummte der Dunkelzwerg
und trat ein Stück nach vorn. "Nicht Feind."
Die Menschen senkten ihre Waffen und Xergi
kroch neugierig auf den Giganten zu. Denn das war er tatsächlich,
mindestens acht Fuß hoch und mit Muskeln für ein Dutzend erwachsener
Männer. Seine dicke Knollnase schnüffelte neugierig, während
seine großen Augen vorsichtig blinzelten. Erkennend legte Migdo eine
Hand über seine Fackel.
Der Dunkelzwerg lächelte dankbar und
ließ sich mit einem hörbaren Krachen auf den Boden fallen. "Ihr
nicht böse Elben", stellte er mit hörbarer Zufriedenheit fest.
"Das ist richtig..." antwortete Malcolm. "Wir
sind von Hamarsburg gekommen... weißt du, was ich meine?"
Der Dunkelhäutige legte den Kopf auf
die Seite und schien nachzudenken.
"Das könnt ihr vergessen", knurrte Zurgin,
und sein Tonfall ließ alle erstaunt herumfahren. "Diese... Kreatur
könnte sich nicht mal an ihren Namen erinnern, selbst wenn sie einen
hätte." Die Abneigung, die aus seiner Stimme troff, schockierte Migdo
regelrecht.
Nun wandte sich auch das riesenhafte Wesen
dem alten Meisteringenieur zu. Es beobachtete ihn einen Moment und meinte
dann: "Hier nicht guter Platz... woanders hin gehen."
Diesmal widersprach nicht einmal Zurgin.
-
"Kleiner alter Mann nicht mögen." Migdo
nickte nur, obwohl er nicht sicher war, ob der Dunkelzwerg sich auf Zurgins
Gefühle bezog oder auf seine eigenen. "Viele böse Elben in der
Erde in letzter Zeit..." brummte er weiter. "Klirren und brechen und machen
Gänge kaputt..."
"Ich weiß", meinte Migdo. "Einige sind
schon durchgebrochen."
"Nein..." gab der Dunkelzwerg zurück.
Als Migdo fragend zu ihm hochsah, fügte er hinzu: "Wir sie nie durchlassen...
machen tot... vergraben in der Erde..."
Sie folgten der riesenhaften Kreatur seit
guten drei Stunden durch die fast völlige Finsternis des endlosen
Höhlensystems unter dem Gebirge, und in dieser ganzen Zeit hatte der
alte Meisteringenieur kaum ein Wort gesprochen. Er schlurfte mit saurem
Gesicht neben Kijena her, die sich ständig unruhig umsah und kaum
verbergen konnte, wie unwohl sie sich in dieser Örtlichkeit fühlte.
Môk-wa
nannten die Zwerge dieses Phänomen, das sie des Öfteren bei Menschen
beobachteten. Höhlenangst.
Migdo sah sich ab und zu besorgt nach ihr
um. Dabei bemerkte er auch, dass Malcolm die Umgebung aufmerksam musterte
und offenbar trotz seiner schlechten Augen die unzähligen Dunkelzwerge
bemerkte, die sie aus Felsspalten und Seitengängen neugierig beobachteten.
Das ganze Höhlensystem war von einem
Ausmaß, das Migdos wildeste Vorstellungen noch weit übertraf,
hunderte und tausende von Gängen, Spalten, Löchern, Abgründen
und Hohlräumen reihten sich zu einem endlosen Labyrinth an einander,
das das gesamte Weltenwutgebirge zu durchziehen schien und in Tiefen hinabführte,
in die die dampfbetriebenen Bohrer der Mine unter dem Weltenwut niemals
vordringen würden.
Schließlich erreichten sie eine größere
Höhle, von der aus ein gutes Dutzend Gänge abzweigten. Eine unsichtbare
Lichtquelle erfüllte den Raum mit einem schwachen Schimmer, und Migdo
stellte fest, dass der Boden warm und trocken war.
"Hier Halt", verkündete ihr riesenhafter
Führer. "Hinlegen und fast tot sein."
Die Menschen sahen ihn erschrocken an, bis
ihnen klar wurde, was "fast tot" in der primitiven Terminologie der Dunkelzwerge
bedeutete. Malcolm widerstrebte es sichtlich, eine Schlafpause einzulegen,
aber auch er war nicht weniger müde als sie alle, und nach ein paar
Minuten hatten sie ihre Mäntel unter sich ausgebreitet. Malcolm und
Kijena lagen Rücken an Rücken unter ihrer Pferdedecke, während
die Zwerge sich nebeneinander auf ihren Mänteln ausstreckten. Ihre
Pferde waren nicht zu sehen, aber Migdo hörte das gelegentliche Klappern
ihrer Hufe auf dem Fels.
"Ich wusste gar nicht, dass es so viele Dunkelzwerge
gibt", murmelte Migdo leise.
"Es waren mal weniger", meinte Zurgin kurz
angebunden.
"Ich finde sie faszinierend..."
Der Alte schnaubte. "Sie sind vollkommen unzivilisiert.
Sie leben in Höhlen, wie die Tiere."
"Ich glaube, du machst es dir zu einfach",
wand der jüngere Zwerg ein. "Sie haben doch alles, was sie brauchen.
Sie verändern ihre Höhlen nur nicht so wie wir unsere. Wenn du
sie beobachtest, siehst du, dass sie die Höhlen als Wohn- und Arbeitsraum
nutzen. Sie passen sich den Formen der Erde an, leben im Einklang mit dem
Berg."
Er wusste gleich, dass er sich weit vorwagte,
und erwartungsgemäß polterte Zurgin sogleich los: "Jetzt komm
aber mal wieder in den Schatten, Junge! Du redest Unsinn, und wenn du so
viel Erfahrung mit diesen ''Viechern'' hättest wie ich, wüsstest
du das auch!"
Migdo wollte zuerst etwas erwidern, besann
sich dann aber eines Besseren und rollte sich auf die Seite. Nach kaum
einer Minute war er eingeschlafen, und sein Schnarchen dröhnte durch
die Höhlen.
-
Lordprotektor Anthulius und Hauptmann Hulth
erwarteten die Späher im Hof der Zitadelle. Die drei Männer waren
zierlich und in dunkle, eng anliegende Kleider gehüllt. Sie stiegen
von ihren Pferden und verneigten sich vor ihm.
"Was gibt es Neues?" fragte er ungeduldig.
"Sie rüsten sich, Lord Protektor", gab
der älteste der drei zurück. "Tausende von ihnen, sie drängen
in die Schildpfade und räumen sie von kleineren Felsen frei."
"Ein Feldzug", meinte Hulth. "Es gibt keine
Zweifel mehr."
Anthulius nickte und sah zu den schwarzen
Gipfeln hinüber. "Haben sich unsere Verbündeten schon gemeldet?"
"Nein. Wir erwarten einen Boten aus Lurria,
aber wahrscheinlich sind die Fürsten sich noch uneins über die
Einzelheiten."
"Einzelheiten!" schnaubte der Lordprotektor
und gab den Boten mit einem Wink zu verstehen, dass sie sich entfernen
konnten. "Um Einzelheiten streiten sie, diese gepuderten Weicheier in ihren
getünchten Traumschlössern! Ich würde sie am liebsten alle
in die Schildpfade schleifen und einen Tag lang das Land verteidigen lassen,
das sie ihr Leben lang ausbeuten!"
Einen Moment lang herrschte Stille. Der Ausbruch
des Oberbefehlshabers hatte die umstehenden Wachleute und Bewohner schockiert,
alle starrten zu ihm hinüber.
"Wir sollten den Stab versammeln", bemerkte
Hulth trocken. "Es gilt, Vorbereitungen zu treffen..."
-
"Wach auf, Migdo!"
Er grummelte etwas auf Zwergisch und drehte
sich auf die andere Seite.
"Verdammt, wach auf!" rief Zurgin und schüttelte
ihn kräftig an der Schulter. Mit einem erschrockenen Keuchen setzte
der junge Zwerg sich auf und sah sich um. Es war ziemlich dunkel um sie
herum. "Wie... wie lange hab ich geschlafen?"
"Keine Ahnung, ist aber auch nicht wichtig",
gab der Alte zurück. "Sieh dich mal um."
Er rappelte sich vollends auf und sah sich
einen Moment lang mit müdem Blick um. "Was zur Hölle...?"
"Ganz recht", brummte Zurgin. "Wir sind nicht
mehr da, wo wir waren, als wir uns zum Schlafen hingelegt haben. Anderen
wäre es vielleicht gar nicht aufgefallen, aber wir beide haben den
größten Teil unseres Lebens in Minenschächten verbracht."
Malcolm hatte sich mittlerweile an den vier
Ausgängen der kleinen Höhle umgesehen und sah zweifelnd zu den
Zwergen hinüber. "Seid ihr euch wirklich sicher?"
Zurgin und Migdo warfen ihm einen vielsagenden
Blick zu.
"In Ordnung. Ihr seid euch sicher."
"Unsere Pferde sind noch da", meinte Xergi.
Die beiden Tiere standen völlig verängstigt und drängten
sich in eine Ecke.
"Sind wir weit weg von... wo immer wir vorher
auch waren?" wand Kijena augenreibend ein.
Migdo trat an die Felswand und legte eine
Hand auf die raue Oberfläche. "Die Struktur ist anders... wir sind
ein gutes Stück weg... und um einiges höher... eher am Rand des
Gebirges. Ich würde sagen, nicht mehr als fünf Meter unter der
Oberfläche, an einem Hang..."
Der alte Meisteringenieur nickte zustimmend
und meinte: "Diese Viecher haben uns verschleppt."
"Wo sind sie denn geblieben?" fragte Malcolm.
"Haben sie uns in eine Falle gelockt? Sind wir Gefangene?"
"Nicht richtig."
Erneut fuhren alle herum, als die Stimme ihres
namenlosen Führers aus einer Öffnung über ihren Köpfen
ertönte. Der Kopf des Dunkelzwergs war im Halbdunkel erkennbar, wie
immer hatte er eine unschuldige Miene aufgesetzt. Einige Momente lang betrachtete
er sie nachdenklich, dann schwang er sich aus der Öffnung heraus und
kletterte mit erstaunlicher Eleganz zu ihnen hinab. "Hilfe brauchen!" erklärte
er.
Sie betrachteten ihn irritiert.
"Mitkommen!" rief er, und diesmal schwang
so etwas wie Panik in seiner Tonlage mit. "Mitkommen und helfen! Böse
Elben!"
Alarmiert sahen sie ihm nach, als er sich
umwandte und in einem der Gänge verschwand, und nach einigen Sekunden
rafften sie ihr Zeug zusammen und folgten ihm. Migdo lief voraus und hatte
seine liebe Mühe, an ihm dran zu bleiben.
Mehrmals bog ihr Führer ab, krabbelte
in Seitengänge und ließ sich von kleinen Abhängen hinabfallen,
die Agilität der so grobschlächtig wirkenden Kreatur war erstaunlich.
"Wir sollten uns von ihm fernhalten!" knurrte
Zurgin.
"Unsinn", gab Malcolm zurück, und überwand
in einem nicht ganz ungefährlichen Manöver einen Felsvorsprung,
um anschließend nach dem alten Meisteringenieur zu greifen und ihn
fast beiläufig zu sich herüber zu heben. "Ohne ihn finden wir
hier nie wieder raus!"
Plötzlich wurde der gesamte Gang von
einem dumpfen Knall erschüttert, faustgroße Gesteinsbrocken
regneten von der Decke hinab. Migdo geriet ins Straucheln und musste sich
an eine unebene Felswand klammern.
"Verdammt!" polterte er. "Was soll denn das?"
Im nächsten Moment stolperten sie so
plötzlich aus der fahlen Dunkelheit ins helle Licht, dass alle erschrocken
die Hände über die Augen hielten. Besonders die Zwerge fluchten
überrascht in ihrer Muttersprache, denn so gut ihre Augen in der Finsternis
unter der Erde waren, so empfindlich waren sie gegen plötzliches,
strahlendes Sonnenlicht.
Kaum hatten Migdos Augen sich einigermaßen
an die Helligkeit gewöhnt, da nahm er auch schon den riesigen Dunkelzwerg
wahr, der etwa drei Manneslängen vor ihm auf dem schrägen Hang
stand. Verglichen mit dieser Kreatur war ihr Führer fast schon ein
Winzling! Die bullige Gestalt strotzte nur so vor Muskeln, ihr struppiger
Bart stand in alle Richtungen ab. Mit einer entschlossenen Bewegung packte
sie gerade einen sicherlich achthundert Pfund Felsbrocken, hob ihn über
ihren Kopf und schleuderte ihn ins Tal, wo er eine vernichtende Schneise
in eine Reihe von Dunkelelben riss, die gerade den Hang hinaufkletterten.
Die Gefährten traten einige Schritte
vor und sahen sich um.
Sie waren etwa hundert Meter über dem
Boden, auf einem Vorsprung aus aschgrauem, scharfkantigem Gestein, und
sahen auf eine endlose Ebene aus schwarzen Felsen und braunem Schlamm hinab,
in der nicht ein einziger Baum oder Strauch zu erkennen war. In der Ferne
waren einige dunkle Flecken zu erkennen, von denen fettige, dichte Rauchwolken
aufstiegen, und ganz am Horizont waren einige in fast schwarzen Dunst gehüllte
Gipfel zu sehen.
Malcolm überblickte die tote, von himmelhohen
Bergen eingefasste Landschaft.
"Nargon."
Aus seinem Mund klang es wie ein Todesurteil.
-
"Verdammt!"
Als der Lordprotektor das Quartier des Hofzauberers
betrat, kam Hijbudan gerade hustend und fluchend aus seinem angrenzenden
Labor gestolpert. Blaue und violette Fünkchen umspielten den geschwärzten
Saum seines Mantels, ein leichter Brandgeruch lag in der Luft. Der blonde
Jüngling trug die Kappe eines Meisters seiner Zunft, eine Ehre, die
nach Anthulius Wissen noch nie einem Zauberer zuteil geworden war, der
so jung war. Der tragische Tod seines Mentors hatte den jungen Mann aus
Westkyrien in eine Position gedrängt, die er, wenn überhaupt,
erst in zwanzig bis dreißig Jahren hätte innehaben sollen. Seine
Gehilfen, die wie er eine Ausbildung in Ispus erhalten hatten, behandelten
ihn seit seiner Ernennung als ihren Meister, aber den älteren Hauptleuten
und Würdenträgern der Zitadelle fiel es merklich schwer, ihn
anzuerkennen, denn der Hofzauberer galt seit jeher als Stellvertreter des
Lordprotektors und hatte bei den Grenzern eine enorme Machtstellung.
Dies alles störte den Jungen in diesem
Moment aber nur wenig, er klopfte sich wütend die funkelnde Magie
vom Mantel und murmelte einige Verwünschungen.
"Seid Ihr in Ordnung, Meister Hijbudan?" fragte
Anthulius.
Als der Zauberer ihn bemerkte, richtete er
sich auf, und der Lordprotektor glaubte zu bemerken, wie die Zauberfunken
sich innerhalb weniger Augenblicke verflüchtigten.
"Entschuldigung, Lord Protektor", meinte Hijbudan.
"Was kann ich für Euch tun?"
"Wenn Ihr etwas zu trinken hättet..."
"Natürlich - Roten Wein?"
"Gern."
Der Blondschopf machte einen Wink mit der
Rechten, worauf zwei Gläser aus einem Wandregal geflogen kamen und
völlig geräuschlos auf einem kleinen Tischchen am Kamin landeten,
neben dem zwei bequeme Sessel standen. Mit einer weiteren Handbewegung
wurde eine schwere Weinflasche veranlasst, über den Boden zum Tisch
zu torkeln und sich, ihren alten Korken ins Feuer des Kamins spuckend,
neben den Gläsern zu platzieren.
"Ihr müsst den Geruch entschuldigen",
meinte er und bot Anthulius einen Stuhl an. "Ich... habe gearbeitet."
"Im Augenblick sind wir alle sehr gestresst.
Es ist kein Wunder, wenn Euch mal etwas daneben geht."
"Soviel Nachsicht kann ich mir in meiner neuen...
Position leider nicht leisten. Ich hatte nie Meister Lugertos Begabung,
und werde sie wohl auch nie haben..."
"Stapelt nicht zu tief, Hijbudan. Die meisten
Leute, die ich kenne, können keine Gläser und Flaschen durch
die Luft fliegen lassen."
"Das ist, mit Verlaub, nicht die Macht, die
einen meiner Zunft zu einem Meister macht, Mylord. Ich glaube nicht, dass
Ihr eine wirkliche Vorstellung habt, wie mächtig Lugerto war. Er hatte
ein Verständnis für das Gefüge der Magie, wie es selbst
den meisten Mitgliedern des Hohen Rates in Ispus fehlt. Er konnte mit purer
Gedankenkraft die Wirklichkeit verändern, und er hatte erkannt, wie
gefährlich diese Macht war. Hätte er sich so gegen diesen...
Bastard auf dem Kristallring gewehrt, wie es ihm möglich gewesen wäre,
würde er jetzt noch leben."
"Ist es nicht auch der Ort?"
Überrascht starrte Hijbudan den älteren
Mann an. Der Lordprotektor lächelte und schenkte ihnen beiden ein.
"Ja, ich kenne euer Geheimnis. Lugerto vertraute es mir schon vor Jahren
an, da er es für wichtig hielt, dass ich seine Kräfte einzuschätzen
weiß."
"Was hat er Euch erzählt?"
"Dass dieser Ort eure Macht schwächt.
Dass die Fähigkeit aller Zauberer, die Magie zu beherrschen, schwindet,
je mehr ihr euch dem Land hinter den schwarzen Gipfeln nähert."
"So ist es, Mylord... in Ispus können
wir nicht nur Gläser fliegen lassen. Wir trainieren diesen Zauber
dort mit Kühen und Pferden, die Fortgeschrittenen mit Mauerstücken
und Brückenpfeilern. Und es ist dort nicht schwer, mit der Zeit wird
es zur Routine... aber je weiter man nach Westen reitet... je näher
man Nargon kommt, desto schwerer ist es, ein stabiles Feld zu erzeugen...
verzeiht, Ihr könnt nicht wissen, was ich meine. Wir müssen eine
Art Essenz um uns herum formen, um in die Welt der Magie vorzudringen,
ein Feld magischer Energie. Aber hier, in Hamarsburg, ist dies um ein Vielfaches
schwieriger als in Ispus. Es strengt an, und wir können nicht so lange
konzentriert arbeiten."
"Habt Ihr eine Vorstellung, woran es liegt?"
"Nicht wirklich... es gibt eine Legende, dass
ein schreckliches Übel in der Tiefe Nargons eingekerkert ist... ein
körperloses Wesen, das die Titanen vor Äonen dort einsperrten..."
"Acu’laan", meinte der Lordprotektor nickend.
"Der Himmelsdrache. Ich kenne einige der Legenden. Glaubt Ihr, dass es
diese Kreatur wirklich gab?"
"Ich bin nicht sicher... ich hoffe, es ist
wirklich nur ein Bauernmärchen... aber in den meisten Märchen
ist ein wahrer Kern." Er zögerte. "Ich muss Euch etwas sagen, Mylord:
wenn wir diese Krise überstehen, werde ich um einen Ersatz für
mich bitten. Diese Aufgabe ist auf Dauer nichts für mich."
Der Lordprotektor leerte sein Glas in einem
Zug. "Noch seid Ihr mein Hofzauberer, Junge, und Ihr seid wirklich noch
nicht lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, wo Euer Platz ist. Macht
Euch nicht verrückt. Am Ende stellt Ihr vielleicht fest, dass dieser
Weg genau der ist, den ihr gehen müsst."
Der junge Mann nahm ebenfalls einen Schluck.
Ein schwaches Lächeln huschte über seine Züge.
-
Die Gruppe von Dunkelelben kletterte einen
Felsvorsprung hinauf, der sich einige Meter unterhalb von Migdo und seinen
Freunden von der Gebirgswand abhob. Als die erste der schwarzhäutigen
Kreaturen keifend und geifernd über die Kante gesprungen kam, hob
der Dunkelzwerg neben Kijena einen fast eine Manneslänge durchmessenden
Steinbrocken auf und schleuderte ihn auf die Elben hinab. Das gewaltige
Geschoss traf den Felsvorsprung mit ungeheurer Wucht und zerbarst mit einem
lauten Krachen zu tausend scharfkantigen Splittern.
Als die aufgewirbelte Staubwolke sich verzogen
hatte, war von den Dunkelelben nichts mehr zu sehen, nur einige schwarze
Blutspritzer in den Trümmern deuteten noch auf sie hin.
"Du meine Güte..." murmelte Kijena.
Malcolm achtete schon gar nicht mehr auf das
Kampfgeschehen, sein Blick war entlang des Gebirges nach Süden gerichtet.
"Was habt Ihr?" fragte Zurgin.
"Der Berg dort", meinte der Prinz. Alle Blicke
folgten seiner ausgestreckten Hand und nahmen in scheinbar unendlich weiter
Ferne einen wolkenverhangenen Gipfel wahr, der aus der dunklen Gebirgskette
ragte.
"Unglaublich..." knurrte der alte Meisteringenieur.
"Was denn?" Migdo war verwirrt.
"Das da hinten", erklärte Malcolm, "ist
der Weltenwut."
"Diese Viecher müssen uns mindestens
hundert Meilen nach Norden getragen haben, als wir geschlafen haben", fügte
Zurgin hinzu.
"Unmöglich", wand Kijena ein. "Wir müssten
ja geflogen sein!"
"Es ist so", stellte Malcolm klar. "Aus irgendeinem
Grund haben diese Dunkelzwerge uns hierher gebracht. Und wenn ich mir das
da unten anschaue, weiß ich auch, warum." Am Fuß des Gebirgsabschnitts
herrschte emsige Aktivität, hunderte, wenn nicht tausende von Dunkelelben
umschwirrten eine absurd erscheinende Konstruktion, die sich wie eine Wanze
an die steil abfallende Wand klammerte.
"Das dürfte das Problem sein", meinte
Xergi trocken.
Ein Stück über ihnen brach ein Dunkelzwerg
einen weiteren Brocken aus dem Boden und warf ihn nach fünf sich von
Nordwesten nähernden Elben.
"Ich glaube, wir sollten uns das aus der Nähe
ansehen", meinte der Prinz.
Alle sahen ihn an, als hätte er den Verstand
verloren, aber da hatte er auch schon mit dem Abstieg begonnen.
"Xergi", meinte Zurgin. "Du gehst zurück
und passt auf die Pferde auf."
"Wenn’s sein muss..." knurrte der Vulgoblin,
obwohl jeder die Erleichterung in seiner Stimme hören konnte.
-
"Das ist doch völliger Schwachsinn!" dröhnte
Hauptmann Hulth gerade, als der Lordprotektor von einer kurzen, aber notwendigen
Pause in den Besprechungsraum unterhalb des großen Turms von Hamarsburg
zurückkehrte. Um den alten Eichentisch in der Mitte waren fast alle
Hauptleute und Hijbudan versammelt. Kerzen und Fackeln erhellten die alten
Karten, die auf der Tischplatte ausgebreitet waren.
"Ich bitte Euch doch lediglich, die Möglichkeit
in Betracht zu ziehen..." begann der junge Zauberer, aber der mächtige
Uwarier schnitt ihm das Wort ab und polterte: "Unsinn! Ihr habt noch nie
auf dem Schlachtfeld gestanden, Junge! Euch steht ein Urteil über
die richtige Strategie nicht zu!"
Halion Anthulius witterte Ärger am Horizont.
Rasch trat er zwischen Hulth und Hijbudan und setzte damit ein Signal.
Alle am Tisch verstummten.
"Würden die Herren mich in die jüngste
Entwicklung der Diskussion einweihen?" fragte er.
"Dieses Kind da drüben will..." begann
Hulth, aber der junge Hofzauberer lehnte sich vor und begann laut zu sprechen.
"Ich wollte gerade den Vorschlag unterbreiten,
den Großteil unserer Truppen möglichst nahe an der Zitadelle
zu platzieren, und eine Verteidigungslinie mit kurzen Nachschubwegen zu
bilden, als der Hauptmann seine... Einwände vorbrachte."
Die älteren Männer in der Runde
waren sichtlich schockiert über diese Respektlosigkeit gegenüber
dem uwarischen Kommandanten, und auch der Lordprotektor war nicht sicher,
ob Hijbudan den Bogen vielleicht überspannte.
"Was spricht Eurer Meinung nach dafür?"
fragte er.
"Nun... wir hätten die Möglichkeit,
unsere Verwundeten schnell in Sicherheit zu bringen und zu versorgen. Wir
könnten Schützenstellungen errichten, die jene Seite des Tals
unter Feuer nehmen könnten, die nicht vom Schutzkristall bewacht wird.
Die Nordseite ist für die Dunkelelben ohnehin undurchquerbar."
"Schwachsinn!" donnerte Hulth erneut. "Wir
dürfen sie nicht aus dem Gebirge lassen, Lord Protektor! Wenn sie
sich erst ausbreiten, werden sie uns überfluten und..."
Die Tür des Versammlungsraums öffnete
sich und ein Wachoffizier trat ein. "Lord Protektor?"
"Was gibt es, Karven?"
"Verzeiht die Störung, aber Ihr solltet
unbedingt sofort auf den Hof kommen, Lord Protektor", bemerkte der junge
Mann mit merklichem Unbehagen. "Wir haben unerwarteten Besuch."
-
Das von den Dunkelelben an die Felswand gezimmerte
Bauwerk erwies sich als noch grotesker als erwartet: Tausende von Balken
und Verstrebungen waren mehr notdürftig als sinnvoll aneinander genagelt
und zu einem gewaltigen Gerüst aufgetürmt worden, das mit Seilen
und riesigen verrosteten Eisennägeln im Stein verankert war. Der ganze
Bau schwankte im Wind und eine scheinbar unendliche Anzahl von Dunkelelben
wuselte auf ihm herum wie übereifrige Ameisen. Tief unter ihnen, am
Boden, war ein ganzes Heer versammelt, Hunderte von Kriegern, Arbeitern
und Sklaven. Zelte waren aufgestellt worden und zottelige Schwarzlandpferde
standen überall herum.
Sie ließen sich hinter einem Vorsprung
nieder und Zurgin zog seinen Fernblicker hervor, ein kleines Kupferrohr
mit gebogenen Linsen, das einem erlaubte, große Entfernungen zu überblicken.
Er sah kurz hindurch, grunzte etwas und gab das Gerät an Migdo weiter.
"Bei Umbus Amboss!" raunte dieser nach einem
kurzen Blick. "Was ist denn das?"
In der Nähe eines besonders großen
Zeltes, über dem eine blutrote Flagge wehte, war ein Pferch aufgestellt,
in dem ein lebendiger Albtraum hockte. Die Kreatur war mindestens vierzig
Fuß lang und fünfzehn Fuß hoch, ihr geschwärzter
Schuppenleib endete nach hinten in einem gespaltenen Peitschenschwanz,
während auf dem mit Narben übersäten Schlangenhals die abscheulichste
Verunstaltung eines Schädels saß, die Migdo je gesehen hatte:
ein dreieckiges Albtraumgesicht voller verbogener Hornschuppen und eitriger
Peitschennarben, in dessen rechtem Auge schon lange kein Leben mehr war.
Das Ungetüm betrachtete mit dem verbliebenen Auge misstrauisch seine
Umgebung, und der junge Zwerg hatte keinen Zweifel, dass die schweren Metallketten
an seinen Fußgelenken es im Ernstfall keine zwei Sekunden in diesem
Pferch würden halten können.
"Ein Lindwurm", erklärte Malcolm. "Ein
verheerter Drache aus den alten Tagen... das kann nur eins bedeuten."
Zurgin nickte. "In diesem Zelt muss ein Schlachtfürst
sein."
"Ein Dunkelelben-Kriegsherr?" fragte Migdo.
"Ich verstehe das nicht", wand plötzlich
Kijena ein, die bisher geschwiegen hatte. "Dieses Gerüst ist doch
ein Witz! Für die Dunkelzwerge dürfte es doch kein Problem sein,
es einzureißen. Wozu brauchen sie uns?"
"Wahrscheinlich haben sie das schon versucht",
meinte Malcolm. "Aber die Dunkelelben werden gleich wieder von vorne begonnen
haben, und da fühlten unsere Höhlenfreunde sich hilflos."
"Sie sind es nicht gewöhnt, ihre Höhlen
zu verlassen", stimmte Zurgin zu. "Und erst recht nicht, im Sonnenlicht
zu kämpfen..."
"Jedenfalls wissen wir jetzt, wie das Heer,
das Malkor überfallen hat, in unser Land kam", murmelte Migdo.
"Nein", gab der Prinz zurück. "Siehst
du, sie haben kaum die Spitze der Felswand erreicht, und selbst wenn, dann
würde es ewig dauern, eine solche Streitmacht durch die Gänge
der Dunkelzwerge zu führen - die sich sicherlich erbittert wehren
würden."
Zurgin beendete die Diskussion mit einer wegwischenden
Handbewegung. "Wie dem auch sei, wir müssen dieses Ding zum Einsturz
bringen. Wenn es erst steht, werden die Viecher in den Höhlen den
Dunkelelben nicht lange widerstehen können, und dann werden diese
früher oder später einen Weg durch das Gebirge finden."
"Vorschläge?" fragte Malcolm.
"Ich denke unsere beste Chance ist, einen
der Stützpfeiler zu zerstören."
Der Uwarierprinz sah zu den Füßen
der Konstruktion hinab. Die Stützpfeiler waren gewaltige, aus Felsbrocken
und Balken gezimmerte Trichter, die kunstvoll mit einem Geflecht aus Seilen
und Stricken verbunden waren.
"Eine sehr kluge Konstruktionsweise", erläuterte
Zurgin. "Jedes Seil verbessert die Stabilität des Ganzen... ich frage
mich, wo diese Mistkerle das gelernt haben..."
"Ich denke, die Antwort sitzt in diesem großen
Zelt", erwiderte Malcolm. "Aber wie kriegen wir nun diesen Pfeiler kaputt?"
Zurgin grinste und deutete auf den Lindwurm
hinab, dessen Kopf gerade hektisch hin und her zuckte. "Dieses hässliche
Monstrum wird uns sicher gern dabei behilflich sein."
-
"Herrin?" grunzte der kümmerliche Elb
am Eingang des Zeltes und sah vorsichtig zur Schlafmatte hinüber.
Ankta war bereits wach, sie hockte auf der groben Matte und vollzog gerade
eine Entspannungsübung, bei der sie die Bluttemperatur in verschiedenen
Teilen ihres Körpers abwechselnd gezielt senkte und erhöhte.
Ihre Haut war makellos und ihre Muskeln von der Reise durch die Einöde
zum Fuß des Gebirges gestählt, aber wie schon immer achtete
sie auch jetzt mit geradezu fanatischer Genauigkeit auf ihr Äußeres.
Unter all den Abscheulichkeiten, über die sie gebot, strahlte sie
wie eine Göttin, aber sie selbst erinnerte sich früherer, besserer
Tage, in denen Schönheit und Reinheit in ganz anderem Maße geschätzt
wurde...
"Was gibt es?" fragte sie scharf und ohne
die geschlossenen Lider zu bewegen.
"Der... der erste Baumeister fragt, ob Ihr
kommen könnt, Herrin... er braucht Euren Rat, sagt er..."
Sie schnaubte abfällig und lenkte ihre
Körperwärme wieder in normale Bahnen, dann erhob sie sich und
bedeckte ihren nackten, schlanken Körper mit einer dunklen Tunika.
Mit einer routinierten Handbewegung setzte sie die pechschwarze Rabenmaske
auf ihr Gesicht und trat ins Freie.
-
Der Abstieg erwies sich als einfacher als vermutet;
die Felswand bestand aus einer solchen Unzahl von Einkerbungen, Brüchen,
Vorsprüngen und Spalten, dass die kleine Gruppe ohne Probleme einige
Hundert Fuß von der gewaltigen Baustelle entfernt hinabklettern konnte,
ohne ins Sichtfeld der Dunkelelben zu geraten. Zurgin und Migdo hatten
ihre Bergsteigerausrüstung angelegt und hüpften mit geschickten
Bewegungen von Vorsprung zu Vorsprung, während Malcolm und Kijena
sich mit bloßen Händen an den Abstieg machten.
"Was ist denn da unten los?" fragte die junge
Menschenfrau. Auf dem Platz unter dem Bauwerk machte sich ein fast andächtiges
Raunen breit. Die Dunkelelben stoben regelrecht auseinander und machten
einer ganz in schwarz gekleideten Gestalt Platz, die sich, von drei riesenhaften
Dunkeltrollen flankiert, über den Platz bewegte.
-
Ankta kam mit einer geschmeidigen, aber dennoch
ungeheuer aggressiv wirkenden Geste vor den Befehlsstand am Fuß des
äußersten Stützpfostens zum Stehen. Durch die schmalen,
leicht geschrägten Sehschlitze ihrer Maske fixierte sie Foorsd, den
ausführenden Bauleiter, eine jämmerliche, gebückte Kreatur
mit schiefem Gesicht und einem schlaff am Körper herabhängenden,
vor Jahren nutzlos gewordenen rechten Arm. Der Dunkelelb zuckte unter dem
Blick ihrer stechenden Augen zusammen und wollte einen Schritt rückwärts
machen. Sein Fuß stieß gegen den niedrigen Holztisch, auf dem
Kopien der Baupläne ausgebreitet waren. Ein erschrockener Schmerzschrei
entfuhr seiner Kehle, als er hinterrücks zu Boden polterte.
Hämisches Gelächter machte sich
unter den umstehenden Wächtern und Arbeitern breit. Ankta brauchte
nicht mehr als die Andeutung einer Drehung ihres Kopfs, um sie alle zum
Schweigen zu bringen.
"Morkliz", schnappte sie, an den Hauptmann
der Baustellenwache gerichtet.
Der hünenhafte Offizier, eine aschhäutige
Kreuzung aus Dunkelelb und Troll, trat vor. Sein muskelbepackter Körper
war in grob geschmiedete Metallplatten gehüllt, um seinen dicken Hals
hing eine Kette aus Elben- und Menschenschädeln.
"Ja, Herrin?" dröhnte er."
"Dieser jämmerliche Wurm hier hatte doch
den Auftrag, die oberste Ebene bis heute fertig zu stellen..."
"Ja, Herrin", bestätigte der Riese in
freudiger Erwartung, die Hand am Schwertknauf.
"Und du hattest den Auftrag, ihn und seine
Männer hinreichend anzutreiben", fügte sie hinzu.
Die Vorfreude wich aus Morkliz' Augen, erschrockene,
fast ungläubige Erkenntnis machte sich auf seinem Gesicht breit. Bevor
er noch etwas sagen konnte, wurde er von einer unsichtbaren Klaue am Hals
gepackt und mehrere Meter in die Höhe gerissen. Selbst die meisten
Dunkelelben wandten sich ab, als Ankta ihm mit der puren Kraft ihrer Gedanken
das Fleisch von den Knochen schälte. Seine Schreie tönten über
die gesamte Baustelle, bis nur noch ein paar Fetzen übrig waren, die
mit einem widerlich weichen Geräusch zu Boden fielen.
"Schickt eine Nachricht an die Bruthöhlen",
befahl die Dunkelelbin einem der Trolle. "Sie sollen seine Sklavinnen und
Nestlinge an die Lindwürmer verfüttern."
Als die riesige Kreatur verschwunden war,
trat Ankta wieder auf den ersten Baumeister Foorsd zu. "Mach dich an die
Arbeit", raunte sie. "Und sieh zu, dass deine Leute schneller arbeiten,
sonst wird unser Lindwurm demnächst sehr, sehr satt werden!"
Der gebrechliche Mann nickte ängstlich.
Sie wandte sich von ihm ab und ging, von ihren Trollen flankiert, zurück
zu ihrem Zelt.
-
Als der Mantel der Nacht sich über die
Klippen des Weltenwutgebirges legte, fiel die riesige Baustelle in tiefe
Dunkelheit. Lagerfeuer wurden erst weit nach Sonnenuntergang entzündet
und es dauerte nicht lange, bis der Odem angebrannten Fleisches die Luft
erfüllte.
Malcolm lehnte mit dem Rücken an einen
schwarzen Felsengrat, der zwischen zwei großen Zelten aus dem Boden
ragte. Sein Schwert lag flach an seinem ausgestreckten Bein an, während
die freie Hand über seinen Wurfdolchen am Gürtel schwebte. Hinter
dem Felsen hockten zwei grobschlächtige Dunkelelben in rostigen Eisenpanzern
und unterhielten sich leise in ihrer gutturalen Sprache. Ihre Klauen hielten
verbogene Hellebarden, mit denen sie ihrer Haltung nach kaum umzugehen
wussten. Auf der anderen Seite des kleinen Platzes, auf den sie blickten,
stand der Pferch mit dem Lindwurm. Die Bestie war zusammengesunken und
schnarchte hörbar.
Migdo hockte mit Kijena und Zurgin in einigem
Abstand im Schatten eines weiteren Zeltes. Die meisten Dunkelelben befanden
sich in der Nähe der Feuer und prügelten sich um das wenige Essen,
so dass sie sich ungestört bis hierher hatten heranschleichen können.
"Sollen wir ihm nicht helfen?" fragte der
junge Zwerg.
Kijena schüttelte den Kopf und legte
ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Malcolm trat vorsichtig um das Hindernis herum,
beschleunigte in der beginnenden Drehung seine Schritte und verschwand
aus dem Blickfeld seiner Gefährten. Das seltsam feuchte Geräusch
scharfen Stahls, der durch lebendes Fleisch fuhr, mischte sich mit einem
doppelten, erstickten Gurgeln. Kaum einen Atemzug später hatte der
Uwarierprinz den Felsen umrundet und drückte sich wieder gegen dessen
Rückwand. Nach einigen Sekunden gespannten Wartens winkte er sie zu
sich hinüber.
"Los", knurrte Kijena und schob Migdo vor.
Die Zwerge stolperten etwas unbeholfen voran,
während die viel größere Menschenfrau die Strecke mit wenigen
schnellen Schritten überwand. Sie pressten sich neben Malcolm.
"Wie sieht’s aus?" fragte Kijena.
"Erledigt", gab der Prinz zurück. "Sieh
mal nach."
Sie näherte sich dem Rand des Steindorns,
sah vorsichtig zu dem Pferch hinüber - und erstarrte.
Der Lindwurm hatte seinen Kopf einige Fuß
weit erhoben und starrte sie mit seinem winzigen, tückischen Auge
an. Keine Wärme, kein Zögern lag in diesem kränklich-gelb
schimmernden Oval, nur unbändiger Hass und uralte Verachtung für
alles, was es erblickte.
Malcolm packte sie und zog sie wieder hinter
den Felsen. Sie schien wie entrückt, ihr Blick war leer und ihre Glieder
schlaff.
"Er ist also wach geworden", stellte Malcolm
fest. "Hütet euch davor, ihm ins Auge zu sehen. Er wird euch lähmen."
Sie nickten. Zurgin zog ein kleines Päckchen
aus seiner Tasche und reichte es dem Prinzen. "Dann woll’n wir mal an die
Arbeit gehen!"
-
Dunkelheit... Schwärze... Schatten
und Nebel...
Sie sah die verzerrten Umrisse des Thronsaals,
die Säulen und die Wachen... die Hornsessel auf dem Podest... die
Fensterwand... sie sah ihren Gefährten... in seinem sehnigen, schwarzen
Elbenleib, groß und kräftig...
"Du bist hier..." stellte er fest.
JA... erwiderte sie ohne Worte. ICH BIN
HIER, MEIN LIEBSTER...
"Wie weit bist du mit deiner Mission?"
ES GIBT EINIGE VERZÖGERUNGEN, ABER
DER KLETTERTURM WIRD BIS MORGEN ABGESCHLOSSEN SEIN... DAS HERZ DES BERGES
WIRD UNS GEHÖREN... SCHON BALD...
"Und dann wird unser Marsch in die Reiche
der Bastardvölker beginnen", erwiderte er. "Dann wird sich das Schicksal
erfüllen..."
JA... SIND DIE LEGIONEN BEREIT...?
"Sie füllen ganze Landstriche. Einige
sind bereits auf dem Weg zu dir."
GUT... ICH WERDE...
Ein ohrenbetäubender Lärm riss sie
aus ihrer Trance. Schreie von Wachleuten und Sklaven waren vor dem Zelt
zu hören, durchsetzt mit einem unverwechselbaren Schnauben und Fauchen
und dem Brechen von Holz und Fels.
Ankta fluchte in einer Sprache, die so alt
war wie die Welt selbst, und sprang auf die Füße. Ein Troll
riss die Zeltplane beiseite und grollte ihr etwas zu, das in all dem Lärm
nicht einmal bis an ihr Ohr drang. Die halb zerfetzte Leiche eines Dunkelelben
flog an ihr vorbei, als sie ins Freie trat, gefolgt von einem Regen aus
Holzbalken und Metallteilen. Sie wehrte sie mit einem Wink ihrer feingliederigen
Hand ab.
In dem Feldlager war das reine Chaos ausgebrochen,
Arbeiter, Wächter und Sklaven rannten durcheinander, schrieen in Panik
und trampelten sich gegenseitig nieder. Irgendwo brannte etwas, und inmitten
dieses Sturms tobte der Lindwurm.
Der Anblick der Bestie verschlug einen Moment
lang sogar Ankta den Atem.
Ein Meer aus kleinen, bläulich leuchtenden
Flammen floss über den Rücken der monströsen Kreatur, Funken
sprühten und fettiger Qualm stieg aus ihren Sehnen auf. Sie wand sich
in Panik und Wut, brüllte und zertrümmerte fast beiläufig
immer mehr Zelte und Bretterverschläge. Ihr gezackter Peitschenschwanz
fuhr unter die fliehenden Dunkelelben und riss sie reihenweise auseinander.
Ankta sah sich um. Das Tier begleitete sie
seit langer Zeit, es war eines der ältesten und am besten trainierten
Exemplare. Wer hatte gewagt, es derart in Rage zu versetzen?
Plötzlich schien die Bestie etwas zu
erfassen und wandte sich um, in Richtung des Bauwerks. Ein tiefes Grollen
entfuhr ihrer Kehle, als sie in Richtung eines kleineren Tumultes davon
stampfte.
"Was ist da los?" knurrte Ankta.
-
"Es klappt!" rief Kijena, während sie
mit einem abgebrochenen Holzmast einen narbengesichtigen Dunkelelben abwehrte.
"Er folgt uns!"
"Ja, dieses Spezial-Flohpulver hat gewirkt",
fügte Migdo hinzu. Sie waren von wütenden Dunkelelben umgeben,
die von allen Seiten auf sie einhieben. "Das Problem dürfte eher sein,
ihn wieder loszuwerden!"
Der Lindwurm kam immer schneller auf sie zu
und stampfte alles auf seinem Weg zu Brei und Trümmern. Die Flammen
auf seinem Rücken waren größtenteils erloschen, aber seine
Wut hatte sich eher noch gesteigert. Dampf entfuhr seinen Nüstern,
und blanke Mordlust brannte in seinem gelben Auge.
Malcolm wich gerade dem Axthieb eines Dunkelelben
aus, um ihm noch in derselben Bewegung den Kopf abzuschlagen. "Jetzt!"
schrie er, als die feueratmende Bestie heranwalzte. "Kijena, jetzt!!!"
Die junge Kriegerin ließ ihre improvisierte
Lanze fallen und riss den zu ihren Füßen bereitliegenden Bogen
hoch. In Sekundenschnelle lag ihr stabilster Pfeil auf der Sehne. Und sie
ließ ihn fliegen.
Das Kreischen des uralten Drachen, als das
Geschoß sich in sein verbliebenes Auge bohrte und ihn für immer
blendete, war so ohrenbetäubend schrill, dass alle entsetzt die Hände
an die Ohren rissen. Die riesige Bestie warf den Kopf hin und her und geriet
ins Schleudern, ihr gewaltiger Leib überschlug sich und walzte als
kompakte Wand aus Horn und Feuer auf Migdo und seine Freunde zu. Malcolm
und Kijena reagierten blitzartig, packten jeweils einen Zwerg und schoben
sich durch die Reihen der erschrockenen Dunkelelben beiseite.
Der Lindwurm donnerte an ihnen vorüber,
zerschmetterte ein halbes Dutzend Bretterverschläge - und raste mit
voller Wucht in den vordersten der Stützpfosten, der sich unter dem
Aufschlag bog und fast aus seiner Verankerung gerissen wurde. Der Kletterturm
geriet ins Wanken, Trümmer und einige Dunkelelben regneten von oben
herab und krachten in den Erdboden.
Migdo sah über Kijenas Schulter, während
sie ihn auf einen Felsvorsprung trug. Hinter ihnen richtete sich der Drache
bereits wieder auf. Einer seiner Vorderläufe schien gebrochen zu sein,
aber mit den übrigen Gliedmaßen richtete er ein Chaos ohnegleichen
an, sein Schwanz peitschte zwischen den Aufbauten am Fuß des Kletterturms
hin und her und riss immer schneller alles auseinander. Die rätselhafte
Elbenzauberin kam heran gerannt und verfiel in einen lautstarken, fremdartigen
Sprechgesang.
"Sie will ihn beruhigen!" dämmerte es
ihm. "Sie beruhigt ihn!"
Kijena ließ ihn zu Boden und drehte
sich um. Sofort erfasste sie die Situation und griff erneut nach ihrem
Bogen - aber den hatte sie auf dem Weg hierher verloren.
"Verdammt!" fluchte sie, als Zurgin in seinen
Ärmel griff und ihr seine kleine Einhand-Armbrust reichte.
"Versuch’s damit", rief er.
Sie nahm die zierliche Waffe in die Hand und
zielte. Einen Moment lang hatte sie Angst, sie zwischen ihren Fingern zu
zerbrechen, aber nachdem sie sie einen Moment gehalten und ein Gefühl
dafür entwickelt hatte, legte sie noch einmal genau aufs Ziel an und
schoss.
Der kleine Bolzen traf Ankta in der linken
Gesichtshälfte und ritzte ihre lederartige Haut, ohne sie ernsthaft
zu verletzen, aber diese Ablenkung reichte aus, um sie aus dem Rhythmus
ihrer Beschwörung zu bringen - und den Lindwurm wieder in Raserei
zu versetzen. Das Ungetüm begann wie wahnsinnig zu wüten und
zu toben, warf sich hin und her und riss mit seinen scharfkantigen Klauen
den Boden auf. Nach einem kräftigen Atemzug stieß es eine kochend
heiße Dampfwolke aus, die einen der noch intakten Stützpfosten
einhüllte und lichterloh in Flammen aufgehen ließ. Die ganze
Konstruktion fing innerhalb kürzester Zeit Feuer, und während
die Dunkelelben am Boden verzweifelt versuchten, sich in sichere Entfernung
zu retten, stürzte der ganze brennende Turm mit einem ohrenbetäubenden
Getöse über dem rasenden Drachen zusammen und begrub ihn unter
sich.
Malcolm, Kijena und die Zwerge hetzten durch
das Geröll am Fuß der Felswand zurück zu der Stelle, an
der das Kletterzeug für ihren Aufstieg wartete.
© Imladros
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