Das Feuer flackerte unruhig. Ferdinand hockte
davor, die Knie mit den Armen umschlungen, und horchte in die Dunkelheit.
Viel konnte er allerdings nicht hören, denn zu seiner Rechten schmatzte
Jonathan im Schlaf, während von links Konstantins erschreckend unregelmäßiges
Schnarchen ihn immer wieder nervös zusammenfahren ließ. Und
ab und zu winselte das Hündchen im Traum. Nur von Lady Anna war nichts
zu hören, die schlief lautlos wie eine Lady es tun sollte.
Ferdinand hielt Wache. Schlafen konnte er
hier unter der riesigen Tanne im nächtlichen Dunkelwald sowieso nicht,
und einer musste schließlich aufpassen. Die Räuber konnten schließlich
wiederkommen - oder die richtigen Trolle, von denen im "Gefleckten Flusskrebs"
immer erzählt wurde... Einem Säbelzahntiger waren sie auch immer
noch nicht begegnet, und Ferdinand hatte sich inzwischen so seine Theorie
darüber zurechtgelegt: Was wäre, wenn diese ganzen wilden Wesen
des Dunkelwaldes erst nachts, wenn man sich in Sicherheit wiegte, aus ihren
Verstecken hervorkamen und zum Angriff übergingen?
Sicherheitshalber legte er noch etwas Holz
nach, damit das Feuer nicht kleiner wurde. Böse Geschöpfe des
Waldes fürchteten sich doch vor Feuer, oder? ODER?
Etwas raschelte neben ihm. Ferdinand fuhr
hoch und starrte entsetzt in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Jetzt - im flackernden Licht des Feuers glänzten zwei tückische,
schwarze Augen. Schnurrhaare waren zu sehen, zwei runde Ohren...
Ach so, nur eine Maus. Ferdinand sank wieder
in sich zusammen. Das alles ging ihm doch sehr an die schwachen Nerven.
Er schloss die Augen und massierte sich die Schläfen zur Beruhigung.
Manchmal half das.
"He du, Kumpel!"
"Ommmm", machte Ferdinand. Die rauhe Stimme
war natürlich nur in seiner Einbildung dagewesen.
Die Stimme kicherte albern. "Jo, jo - dir
auch Omm."
Eine zweite Stimme bemerkte: "Du bist doof."
Ferdinand riss die Augen auf. Keine Einbildung.
Direkt vor ihm, mitten im Feuer, standen zwei sehr seltsame, unheimliche
Typen und grinsten ihn mit langen Schnauzen voller Reißzähne
an. Graues Fell bedeckte ihre athletischen Körper, und ihre Augen
leuchteten gelb. Werwölfe. Das mussten Werwölfe sein. Schlimmer
hätte es ja wohl nicht kommen können. Ferdinand quiekte entsetzt
auf.
"Kein Grund zur Panik, Feuer macht unsereinem
nix aus." Hinter ihm stand also auch noch einer der Kerle. Vorsichtig drehte
er den Kopf. Dieses Exemplar war noch größer als die anderen
beiden. In der einen Hand hielt er etwas, das verdächtig an eine Keule
erinnerte. "Na los, kommts schon 'naus aus dem Feuer, Freunde, der arme
Kleine kriegt davon Angst."
Gehorsam stiefelten die beiden Werwölfe
aus dem Feuer, schüttelten ein paar Funken aus dem Fell und hockten
sich neben den völlig erstarrten Ferdinand.
"He, alles in Butter, Alter", erklärte
der zu seiner Rechten und legte ihm die Pranke auf die Schulter, "kein
Grund zur Sorge."
"Ey, Wolfgang, gib ihm doch mal 'n Bierchen
zur Beru- hicks, schuldigung, - Beruhigung", forderte der linke.
Der große Werwolf drückte Ferdinand
etwas Kühles, Zylindrisches in die Hand und hockte sich dann dazu,
den schnorchelnden Konstantin einfach etwas beiseiteschiebend, was diesen
überhaupt nicht störte. Wohlig drehte er sich auf die andere
Seite.
Ferdinand starrte auf die Flasche in seiner
Hand und begann zu vermuten, dass er vielleicht auch eingeschlafen war
und jetzt träumte. Blöder Traum. Naja, aber dann konnte man ja
das Beste daraus machen. Er setzte die Flasche an den Mund und nippte.
Hm, das schien richtig gutes Weizenbier zu sein! Er trank noch einen Schluck.
Und noch einen.
"Na siehste, Kumpel, so sieht die Welt doch
schon anders aus, was?" gröhlte der links sitzende Werwolf und schlug
Ferdinand wohlwollend mit seiner krallenbewehrten Tatze auf den Rücken.
"Aua!" ächzte Ferdinand und begann zu
begreifen, dass das hier kein Traum war.
"Oh, tut mir leid", versicherte der Werwolf
kleinlaut, "Ich bin übrigens der Lupp, und das da", er deutete auf
den rechts Sitzenden, "ist der Pussy."
"Und ich bin Wolfgang!" verkündete der
Große, wobei Ferdinand zum ersten Mal der wienerische Akzent auffiel.
"Und wie heißt du?"
"Ferdinand", piepste Ferdinand und trank noch
einen Schluck aus der Flasche, nur um etwas zu tun zu haben.
"Ich hatt mal 'n Arbeitskollegen in der Brauerei
damals, der hieß auch Ferdinand. Oder nee, Felix. Is ja auch gleich",
sinnierte Wolfgang.
"Unser Wolferl war nämlich bevor er Werwolf
wurde Brauer. Un ich war - äh, lass mich ma nachdenken... ach ja,
Schuster. Is das nich öde? Hier isses jedenfalls viel lustiger. Prost!"
Lupp hob die Flasche und trank sie in einem Zug aus.
Pussy nickte fortwährend. Er schien inzwischen
schon recht betrunken zu sein. "Wir feiheiern nämlich Lubibbiläum
heude", erklärte er und setzte einen Flachmann an die Schnauze.
"Was für ein Jubiläum?" wagte Ferdinand
zu fragen.
"Hundertvierunddreißig Jahre Werwolf!"
erklärte Lupp, "Feierste mit uns?"
"Hundertvierunddreißig?" wunderte sich
Ferdinand und vergaß fast, sich zu fürchten.
"Warum nicht? Is doch genauso ein Grund zum
Feiern wie eine runde Zahl, oder?" grinste Wolfgang.
Ferdinand dachte kurz nach. "Eigentlich habt
ihr Recht", stellte er dann fest, hob die Flasche und prostete den Werwölfen
zu.
Als Konstantin am nächsten Morgen erwachte,
fühlte er sich ausgeruht und tatendurstig. Das Feuer war nicht ganz
ausgegangen, was ihn etwas verwunderte. Die anderen schliefen noch. Konstantin
begann leise damit, Kaffee zu kochen.
Der Duft weckte Jonathan und Lady Anna schnell
auf. Nur Ferdinand rührte sich nicht, so dass Konstantin schließlich
zu ihm hinüberging und ihn wachrüttelte.
Ein gequältes Stöhnen war die einzige
Reaktion. Konstantin rüttelte noch einmal.
"Lass ds, Wolfrl", murmelte Ferdinand und
rührte sich immer noch nicht. Lady Anna brachte mit einem sehr breiten
Grinsen einen Becher mit eiskaltem Wasser aus der Quelle nahe bei ihrem
Lagerplatz herbei und schüttete ihn Ferdinand ins Gesicht.
"Haaa!" machte der, setzte sich auf - und
fasste sich sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf.
"Was ist denn mit Euch los?" fragte Konstantin
mitleidig.
"Auuhaa, mein Schädel... die Werwölfe...
Bier...", faselte Ferdinand zusammenhanglos. Konstantin drückte ihm
erst mal eine Tasse Kaffee in die Hand, die er auch dankbar annahm.
"Sieht mir ja ganz nach Kater aus", bemerkte
Lady Anna und deutete mit dem Finger auf die Batterie leerer Flaschen neben
Ferdinand, die Konstantin bis dahin gar nicht bemerkt hatte.
"Wo kommen die denn her?" wunderte sich Jonathan.
"Von den Werwölfen", erklärte Ferdinand
mühsam.
Die drei anderen sahen sich vielsagend an.
"Ahja... nun, trinkt Euren Kaffee aus, wir wollen schließlich weiter,
oder?" sagte Konstantin. Während er seine Kaffeetasse ausspülte,
sah er, wie Jonathan mit rotem Gesicht seinen Arm ganz vorsichtig um Lady
Annas Schultern legte. Sie strahlte.
"Hrr-hm", machte er, als er ans Feuer zurückkam,
"wäre es eigentlich sehr unhöflich, wenn ich euch beide bitten
würde, uns den vorderen Teil eurer Geschichte zu erzählen, nachdem
wir nun das Happy-End erleben durften?"
Beide schüttelten lächelnd den Kopf.
"Wäre es nicht. Erzähl du, Anna!" sagte Jonathan. Sie setzten
sich wieder, und während Ferdinand seinen Kater bekämpfte, erzählte
die Lady Anna:
"Nun, stellt euch einmal eine verwöhnte,
junge Frau vor, die von ihrem Vater, einem Herzog, alles bekam, was sie
sich wünschte. Nur einen Mann konnte er ihr nicht vermitteln, und
das machte sie ziemlich unzufrieden, denn das war es doch schließlich,
worauf alle, aber auch wirklich alle guten Geschichten letztendlich hinausliefen.
Nicht, dass es an Bewerbern gefehlt hätte, aber sie wollte schließlich
nicht irgendeinen, sondern einen, der am Ende einer Geschichte stand, wenn
ihr versteht, was ich meine. Manche der Bewerber ließen sich davon
allerdings nicht überzeugen. Einer davon war der Sohn eines verarmten
Adligen, stand also im Rang noch unter der Herzogstochter, und nervte sie
monatelang mit Liebesbriefen, Lautenspiel unter dem Fenster, Rosen, Liedwünschen
im Radio - na, all sowas eben. Sie wollte von ihm aber nichts wissen, genauso
wenig wie von den anderen.
Nun aß die Herzogstochter aber für
ihr Leben gern Pilzsuppe. Der junge Mann erfuhr davon und schenkte ihr
eines Tages etwas ganz Besonderes: einen sprechenden Pilz. - Wo hattest
du den eigentlich her?" fragte sie, an Jonathan gewandt.
"Musst du das wissen?" fragte er und wurde
noch röter. Sie nickte. Er druckste etwas herum, schließlich
kam ein "Internetauktion" heraus.
"Oh", machte sie, dann gab sie ihm einen Kuss
auf die Nasenspitze und erzählte weiter:
"Dieser sprechende Pilz jedenfalls war derart
nervig, dass die Prinzessin schließlich sogar den Schenker ganz erträglich
zu finden begann, auch wenn sie deshalb noch lange nicht ihre Prinzipien
aufgegeben hätte. Der Pilz - "Fungy", wie er genannt werden wollte
- hopste ständig auf seinem einen Fuß hinter ihr her und quäkte
blödsinnige Sprüche durch die Gegend. Von "Der frühe Pilz
hat die Punkte" über "Es pilzt so grün, wenn Märchenstunden
zu Ende gehen" bis zu "Pilz zu sein bedarf es wenig" - das dann auch noch
völlig schräg gesungen." Sie schüttelte sich.
"Grauenhaft, sage ich euch. Und natürlich
wusste sie nicht, wie sie das Vieh wieder loswerden sollte. Fangen ließ
er sich nicht, befehlen ließ er sich nichts, abschütteln ließ
er sich nicht. Eines Tages aber ging sie in die Küche. Es sollte zum
Mittag Pilzsuppe geben, und irgendwie hatte sie Lust, bei der Zubereitung
zuzusehen. Fungy hüpfte wie immer quäkend hinter ihr her. Als
sie jedoch den frischen, ungeputzten Pilzen in ihrem Korb näherkamen,
wurde er immer leiser, und als die Herzogstochter schließlich einen
Pilz in die Hand nahm, verstummte er ganz. Voller Freude nahm sie den Pilz
in ihrer Rocktasche mit. Fungy blieb still - den ganzen Tag lang. Auch
noch den nächsten. Am übernächsten Tag allerdings war der
Pilz in ihrer Tasche schrumpelig geworden, und Fungy begann wieder zu reden.
Die Herzogstochter wollte nicht, dass ihretwegen ständig jemand zum
Pilzesammeln gehen musste - naja, ehrlich gesagt haben die Bediensteten
nach einer Weile gedroht, einen Streik auszurufen. Jedenfalls ging sie
schließlich selber los. In der näheren Umgebung waren inzwischen
alle Pilze abgeerntet (ein gewichtiger Grund für die Weigerung der
Leute), und so ging sie immer weiter, bis sie schließlich an den
Waldrand kam. Dort wuchsen noch viele Pilze, und da sie sowieso nie an
die ganzen Geschichten über die Gefährlichkeit des Dunkelwaldes
geglaubt hatte, sammelte sie fröhlich. Fungy schwieg.
Naja, und dann kam halt das Dudeldi und hat
wiederum mich gesammelt, und den Rest kennt ihr ja. - Übrigens", wandte
sie sich an Jonathan, "Ich bitte doch sehr darum, dass wir erstens nicht
an der Stelle aus dem Wald gehen, an der Fungy wahrscheinlich noch hockt,
und dass du mir zweitens nie, nie wieder so Geschenke machst!"
Jonathan schüttelte eifrig den Kopf.
"Versprochen!"
Inzwischen hatte Ferdinand seinen Kaffee ausgetrunken
und war dabei, die Bierflaschen einzusammeln und in seinen Rucksack zu
stecken.
"Was machst du - äh, was macht Ihr denn
nun schon wieder?" fragte Konstantin entgeistert, "Was wollt Ihr denn mit
den leeren Flaschen?"
"Erstens - au, mein Kopf - wäre es Umweltverschmutzung,
sie hier liegenzulassen, und zweitens sind es Pfandflaschen, hat Lupp gesagt."
"Lupp?"
"Ja doch, Lupp der Werwolf. Pussy konnte am
Schluss nichts mehr sagen, der war gewissermaßen ins Koma gefallen.
Und Wolferl ist schon früher wieder gegangen, sonst hätte seine
Frau Stunk gemacht."
"Das ist der Restalkohol", beruhigte Jonathan
den besorgt dreinblickenden Konstantin. "In zwei, drei Stunden ist er wieder
normal."
"Hoffentlich! Na, das Laufen an der frischen
Luft wird ihm gut tun. Wir wollen weiter nach Westen - ich denke mal, ihr
geht zurück?"
Die beiden nickten eifrig.
"Na, dann wünsche ich euch alles Gute
für die gemeinsame Zukunft, und eine schöne Hochzeitsfeier!"
Alle schüttelten sich gegenseitig die
Hände, wobei Ferdinand etwas übel wurde, und dann trennten sie
sich. Hand in Hand wanderten Jonathan und Lady Anna davon, stolperten ab
und zu über Wurzeln und Steine, aber nichts konnte sie davon abhalten,
sich schmachtend in die Augen zu blicken.
© Latsi
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