Diese Geschichte ist ab 2004 am Drachentaler Wettbewerb leider nicht mehr teilnahmeberechtigt,
da sie in den vorherigen Jahren zu wenig Punkte erhalten hat.
 
Dunkle Bedrohung von René Sterzl

Er rannte um sein Leben. Seine kurzen Haare flatterten im Wind, der in der engen Schlucht pfiff, durch die seine Flucht ihn führte. Mühsam schleppte er sich vorwärts. Längst waren alle Reserven seines Körpers verbraucht, doch irgendwie schaffte er es, sich auf den Beinen zu halten. 
Schweiß rann ihm über die Stirn und brannte wie Feuer in seinen Augen, doch dieses Feuer war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in seinen Gliedern loderte.
Trotz des hohen Tempos, das er vorlegen musste, gelang es ihm einen Blick nach hinten zu werfen.
Und was er dort sah, machte jeden Gedanken an eine noch so kurze Pause überflüssig.
Etwas kam wie eine Woge aus undurchdringlicher Finsternis hinter ihm herangerollt, Schatten, die keine waren, Dunkelheit, die inmitten des Sonnenlichts zu existieren schien.
Etwas kam dort hinten, das war alles, was er sagen konnte, doch was immer es auch war, es durfte ihn nie erreichen.
Verzweifelt warf er sich wieder nach vorn. Seine Schritte hallten von den hohen Felswänden wieder und entwickelten durch das Echo einen ohrenbetäubenden Lärm. Und trotzdem konnte er ganz genau die dumpfen, polternden Schritte seiner Verfolger hören.
Plötzlich rutschte er auf den Kieseln, die den Boden der Schlucht bedeckten, aus. Bei dem verzweifelten Versuch das Gleichgewicht zu halten, blieb er an seinen eigenen Beinen hängen und ging mit einem Entsetzensschrei zu Boden. Angstvoll versuchte er sich aufzurappeln und kämpfte mit seinem Mantel, der sich beim Sturz um seine Füße gewickelt hatte, wobei er sich etliche Schürfwunden zuzog. Doch diesen Schmerz spürte er nicht. Zu groß war die Angst.
Als er schließlich wieder auf beiden Beinen stand, schaute er sich kurz um.
Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Die schwarze Woge hatte ihn noch nicht erreicht, aber sie war bereits so dicht herangekommen, dass er in ihr zwei rötliche glühende Punkte ausmachen konnte. Ohne noch länger zu zögern rannte er wieder los.

Um ein Haar wären diese Schritte die letzten seines Lebens gewesen. Die Kreatur stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihm. Sie stürmte nicht heran oder sprang aus dem Schatten hervor, sondern war einfach da und griff unverzüglich an. Bevor er überhaupt die Chance hatte zu reagieren, bohrten sich bereits scharfe Krallen tief in seine Schulter. Er schrie vor Schreck und versuchte, sich aus dem stählernen Griff zu befreien. Verzweifelt trat er gegen den massigen Körper. Die Kreatur stieß ein Grunzen aus und lockerte den Griff ein wenig.
Mit einer blitzschnellen Körperdrehung gelang es ihm, sich aus der tödlichen Umarmung zu befreien. Sofort sprang er an dem Ungeheuer vorbei und wich weiter zurück.
Doch damit war er keineswegs in Sicherheit. Die Kreatur schrie ihre Enttäuschung über die fliehende Beute heraus und mobilisierte ihre enorme Körperkraft, um ihn mit einem gewaltigen Satz zu erreichen. Diesmal war er jedoch vorbereitet. Als die Kreatur sprang ließ er sich einfach fallen und rollte über der Schulter ab. Der Dämon segelt über ihm durch die Luft und versuchte noch im Flug ihn mit seinen Klauen zu erreichen. Das einzige jedoch, was das Ungeheuer zu fassen bekam, war der Stoff des Mantels, der in Fetzen gerissen wurde.
Die Kreatur krachte mit solcher Wucht gegen die Felswand, das der Stein splitterte. Dann stürzte sie zu Boden. Schon schüttelte der Dämon seine Benommenheit ab und ging in den nächsten Angriff über, doch so schnell die Kreatur auch war, er war schneller. Er stieß seinen Dolch tief in die Kehle des Ungeheuers und sprang sofort zurück. 
Dunkles, fast schwarzes Blut schoss aus der Wunde und die Kreatur torkelte einen Schritt zur Seite. So schnell er konnte brachte er sich außer Reichweite des blind um sich schlagenden Wesens. Schließlich sank es zu Boden. Das blutverschmierte Gesicht drückte eine Art Unglauben über das gerade Geschehene aus. Dann schrie das Ungeheuer seinen Schmerz heraus und starb mit lautem Gurgeln, als das Blut die Lungen füllte.

Inzwischen war die dunkle Woge gefährlich nahe gekommen, so dass er sofort weiterhetzte. Die rotglühenden Augen im Nacken stürmte er zwischen den Felswänden entlang. Eine Hand hatte er auf die klaffende Wunde gepresst, die er sich bei dem Kampf zugezogen hatte. Verzweifelt drehte er sich noch einmal um und erstarrte mitten in der Bewegung. 
Hinter ihm war nichts. 
Unheimliche Stille lag über der engen Schlucht und selbst die Luft schien zu stehen. Da beschlich ihn plötzlich eine Kälte, als wenn der Luft ihre ganze Wärme entzogen würde, doch dieses Gefühl verging so schnell, wie es gekommen war. Unsicher schaute er sich um, doch es war alles wie zuvor. Keine Regung war zu sehen. Er war allein. Da durchfuhr ihn von neuem diese eisige Kälte. Diesmal bemerkte er, dass die Kälte aus seinem eigenen Innern kam. Kälte, die ihn erstarren ließ wie die Berührung des Todes.

Augenblicklich begriff er. Es war eine Warnung – eine Warnung, dass ihn etwas töten wollte. In flüchtiger Unsicherheit beugte er sich vor um zu lauschen. Er war in Gefahr, in tödlicher Gefahr.
Und dann waren sie da. 
Wie Schatten brachen sie zwischen den Felswänden hervor und er musste sich beherrschen um nicht vor Entsetzen zu schreien und in Panik zu geraten. In mächtigen Wogen dunkler, zuckender Leiber wälzten sie sich durch die Schlucht, Dämonen jeglicher Größe und Gestalt. Mit reißenden Zähnen und scharfen Krallen, tödlichen Stacheln und glänzende Schuppen stürmten, krochen und schlängelten sie auf ihn zu.
Missgestaltete, schwarze Wesen, Furien und anderes Getier schnappten in ihrer Gier ihn zu erreichen nach ihren Brüdern und schlugen mit ihren Klauen zu. Dann kletterten und stolperten sie eilig über die Leichen derer, die gefallen waren. Die Dämonen kreischten schrill im Vorgefühl des Triumphes, denn sie waren haushoch überlegen.

Er wich immer weiter zurück, doch als er in seinem Rücken den kalten Stein der Felswand spürte, wusste er, dass es keine Möglichkeit mehr gab zu fliehen. Er saß fest. Das Grauen schlug über ihm zusammen wie die Wellen der stürmischen See. Doch dann, seinen Tod vor Augen, sammelte er ein letztes Mal seine Kräfte. Er schwor sich, so viele Abscheulichkeiten wie möglich mit in den Tod zu nehmen.
Ein letztes Mal konzentrierte er sich auf die uralten Mächte, die ihm zu eigen waren und die schon so viele Leben gerettet hatten. Doch dieses Mal beschwor er sie nicht, um Leben zu schenken, sondern um es zu nehmen. Ein letztes Mal spürte er den klaren Strom der Energie, die alles Lebendige durchzog. 
Dann schlug er zu. 
Blaue Flammen schossen aus seinen Händen hervor und rasten auf die Dämonen zu. Immer wieder versengte sein Feuer Schuppen und Fell. Es war ein schrecklicher Kampf, den er sich mit den Ungeheuern lieferte, doch so viele Kreaturen er auch tötete, es waren einfach zu viele. Langsam spürte er, wie die Quelle seiner Kräfte versiegte. Er war am Ende.

Plötzlich tauchte über den Dämonen ein Schatten auf und wilde Hoffnung durchfuhr ihn. Sollte er doch noch einmal davon kommen?
Doch dieser Hoffnungsschimmer verblasste, als er die Gestalt sah, die sich über den dunklen Horden materialisierte. Sie war gänzlich in einen schwarzen Mantel gehüllt. Das einzige, was er erkennen konnte, waren zwei rotglühende nichtmenschliche Augen unter der tiefschwarzen Kapuze. Dann hob die Gestalt ihre knochigen, geschuppten Arme. Sofort brachen die Dämonen ihren Angriff ab. Die Luft knisterte, als sich in den Händen der Gestalt eine weiße Feuerkugel bildete, und auf ihn zuraste.
Mit einem verzweifelten Schrei versuchte er dem tödlichen Geschoss auszuweichen, doch auf einen Wink der Gestalt hin änderte sie ihre Flugbahn und schlug krachend gegen seine Brust. Er konnte gerade noch spüren, wie seine Rippen nachgaben, bevor er von den Flammen eingehüllt wurde. Sofort begann er, sich auf dem Boden zu rollen um die Flammen zu löschen, doch die Intensität der Hitze nahm eher noch zu, als dass sie abnahm. Schließlich begannen die Flammen auch nach seinem Gesicht zu lecken. In Todesqualen schrie er noch ein letztes Mal auf und fuhr senkrecht im Bett hoch.

Philip hatte seine Augen weit aufgerissen. Nur langsam fand er in die Wirklichkeit zurück, so intensiv und real waren die Bilder seines Traumes gewesen. Die kurzen blonden Haare klebten an seiner Haut und auch das Bettlaken war so schweißgetränkt, dass es wie eine zweite Haut an seinem Körper haftete.
Langsam sah Philip sich um. Er war zu Hause in seinem Zimmer. Es war immer noch das selbe Zimmer, in dem er Abends zu Bett gegangen war. Seine gebrauchten Klamotten hingen über dem Stuhl seines Schreibtisches, das Rollo war heruntergelassen und auch seine Schuhe standen dort, wo er sie hingestellt hatte. 
Trotzdem kniff er sich sicherheitshalber einmal fest in den Arm und stöhnte vor Schmerz auf. Erleichtert schwang er sich aus seinem Bett und schlich leise durch den Raum, um das Fenster zu öffnen. Es war wirklich unerträglich warm. Genüsslich sog Philip die kühle Nachtluft in sich hinein und beobachtete die funkelnden Sterne, bevor er zurück ins Bett huschte um in einen traumlosen Schlummer zu fallen. 
Seine letzten Gedanken galten dem immer wiederkehrenden Alptraum, der ihn schon seit ungefähr einem Jahr plagte.
 

© René Sterzl
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