Meine Kehle brennt von der staubigen Luft,
meine Zunge ist mir im Wege. Seit Tagen wandere ich schon durch diese trostlose
Einöde, kein Plätzchen Schatten. Nur verdorrte Sträucher
und abschreckende Dornengewächse, wohin ich auch schaue. "Selbst die
Pflanzen scheinen hier so grausam zu sein, wie dieses Land um zu überleben",
denke ich mir. Der Schweiß läuft mir die Stirn herunter und
in meine Mundwinkel. Es schmeckt salzig. Stöhnend halte ich mir die
Hand vor das Gesicht, um mir etwas Schutz vor der Sonne zu verschaffen.
Ich sitze auf einem großen, roten Felsen, den die Sonne schon für
mich vorgewärmt hat. Ich sehe in meine Wasserflasche. Nur noch wenige
Schlücke schalen, lauwarmen Wassers, ich kann mich gar nicht mehr
daran erinnern, jemals einen Bach oder einen Fluss gesehen zu haben. Ich
fühle mich müde, schläfrig, bin im Begriff langsam einzunicken,
doch dann reißt mich eine kalte Stimme wieder aus meinem Dämmerschlaf:
"Aufstehen, Melborne, wir müssen weiter!" Es ist der Lich, ich wandere
schon eine geraume Zeit mit ihm. "Ihr habt leicht reden, Lich!" sage ich.
"Ihr müsst weder essen noch trinken... noch schlafen." Bei dem Wort
schlafen bin ich schon wieder dabei, wegzudösen. Doch ich schrecke
auf. Eine skelletierte Hand mit langen Fingern packt mich an der Schulter.
Es ist, als würde meine Schulter sofort zu Eis erstarren, so unangenehm
ist der Griff des Lich. "Ich weiß, ihr habt euer Untoten-Stadium
noch nicht abgeschlossen, Melborne", sagt der Lich und während er
spricht gefriert die Luft vor seinem Totenschädel zu kleinen Eiskristallen.
"Aber je eher wir weiter gehen, desto größer ist die Warscheinlichkeit,
dass ihr euch bald im Schatten von Ashenvales Wäldern ausruhen könnt."
Der Lich lockert endlich seinen Klammergriff, sofort greife ich mir an
die Schulter, die langsam wieder zum Leben erwacht. "Schon gut, Lich",
sage ich wütend, als ich wieder Gefühl in meiner Schulter habe.
Er hat gut reden. Er ist ein Untoter. Und ein ziemlich mächtiger Magier,
das möchte ich meinen. Er fühlt keine Müdigkeit, keinen
Hunger, wahrscheinlich nicht einmal Schmerz..
Ich bin in einem Dorf am Rande der StoneTalon
Berge geboren. Es war eine kleine Menschensiedlung mit an die 50 Einwohnern.
Ich weiß nicht warum, aber ich hatte ständig das Gefühl,
meine leiblichen Eltern, mein Vater war Handwerker, meine Mutter kümmerte
sich um den Haushalt, würden sich vor mir fürchten. Je älter
ich wurde, desto mehr Furcht hatten sie vor mir. Damals begriff ich noch
nicht, warum selbst die anderen Kinder aus dem Dorf nicht mit mir spielen
wollten. Äusserlich sah ich wie ein ganz normaler, gut gewachsener
Junge aus, nichts besonderes. Doch mich umgab eine unnatürliche Aura,
die den anderen nicht geheuer war. Meine Eltern redeten mit mir nicht darüber,
sie redeten ohnehin nicht viel mit mir. Und so wuchs ich in dem kleinen
Menschendorf auf, fristete ein einsames, wenn auch nicht ärmliches
Verhältnis und lebte vor mich hin bis zu meinem 15. Geburtstag. Dann
wurde schlagartig alles anders. Die Ankündigungen des Bevorstehenden
waren Dürren, Heuschrecken und Krankheiten, die sich wie eine drohende
Wolke über uns ausbreiteten. Doch schlagartig geschah etwas, das niemand
für möglich gehalten hätte. Der Himmel färbte sich
dunkelrot und von dem Hügel am Fuße der StoneTalon Berge sahen
wir eine riesige Staubwolke auf uns zu kommen. Die Menschen gerieten in
Panik. Sie versuchten, ihr Hab und Gut zu retten und zu fliehen. Doch es
war schon zu spät. Schon waren sie unter uns. Bestien, wie ich sie
noch nie gesehen hatte, leichenfressende Ghule, die die Dorfbewohner bestialisch
abschlachteten. Und ich stand inmitten des Chaos, schien vollkommen sicher
vor den Angriffen der Ghule zu sein. Oder sie wollten mich nicht angreifen.
Sie wichen hastig vor mir aus, als hätten sie... ja, als hätten
sie Angst vor mir. Ich weiß nicht mehr, was ich damals empfand, als
meine Eltern von einer grausamen Bestie mit drei Armen niedergemetzelt
wurden. Ich schien wie in Trance, sah wie meine Haare und meine Gewänder
im Wind flatterten, doch es war absolut windstill. Die Dorfbewohner hatten
sich gegen die Monster nicht zur Wehr setzen können und waren erbarmungslos
getöten worden. Alle, außer mich. Wieso? Schon begannen die
Ghule die armseligen Hütten in Brand zu setzen, was ihnen eine höllische
Freude zu bereiten schien. Ich konnte das ganze nur beobachten, unfähig,
irgendetwas zu tun. Die Ghule stritten sich darum, wer die meisten Dorfbewohner
fressen durfte. Ich hörte sie kreischen und fauchen. Dann plötzlich
tauchte aus dem dichten Qualm eine Gestalt auf. Es war der Lich. Seine
Füße schienen den Boden nicht zu berühren, er schwebte
auf mich zu. Seine Augen waren ausdruckslos und starr, auch aus ihnen kamen
kleine Eispartikel. Er bestand nur aus einem Skelett und einem schweren,
roten Umhang. Wahrscheinlich in Festkleidung, wie mir an den vielen Ringen
und Armreifen des Lichs auffiel. Starr beobachtete ich, wie die Gestalt
des Todes langsam auf mich zu schwebte. Als er nur noch wenige Meter von
mir entfernt war, scheuchte er seine Leibwächter, zwei monströse
Gestalten mit verwesenden Körpern, mit einer Handbewegung weg. Dann
vernahm ich seine eiskalte, schneidende Stimme, wie viele kleine Nadelstiche.
"Endlich habe ich dich gefunden,
MelBorne!"
Tja, so habe ich meinen Begleiter kennen gelernt.
Mitten in all den Leichen und brennenden Trümmern erzählte er
mir von meinem Schicksal und dass mich meine Eltern nicht umsonst gemieden
hatten. In mir stecke die Kraft eines Todesritters, eines Untoten. Sie
hatten etwas geahnt, aber nicht erkannt, was ich wirklich war. Er lachte
eisig. Doch das läge jetzt hinter mir, sagte er mir. Ich müsse
meiner wahren Bestimmung folgen, sagte er. Als wären die Worte die
ich danach aussprach, gar nicht meine eigenen, sagte ich: "Was muss ich
tun, Lich?" "Ich werde dir alles erzählen, auf der Reise zu den immergrünen
Wäldern Ashenvales. Du wirst mit mir kommen, du wirst mein Schüler
sein!"
Und so wandere ich jetzt mit ihm. Wir haben
die StoneTalon Berge hinter uns gelassen und marschieren nun durch das
unwirtliche und bergige Ödland, wo es nichts gibt, ausser Schweinemenschen,
die immer auf einen Streit aus zu sein scheinen, und Geiern, die gefährlich
nah über uns kreisen. Der Lich wartet geduldig, während ich kleine
spitze Steine aus meinen durchgelatschten Schuhen schüttele und mir
die vielen Blasen auf meinen Füßen reibe. "Ihr werdet froh sein,
wenn ihr erst eure jetzige Gestalt hinter euch lassen könnt, Melborne",
sagt der Lich und lacht wieder sein eisiges Todesröcheln. Er schwebt
ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden. Wie leicht man sich
fühlen muss, wenn man seine sterbliche Hülle abgelegt hat, denke
ich träumerisch, doch der Lich reißt mich schon wieder aus meinen
Träumen: "Kommt, Melborne. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns."
"Jaja ich komme." Der Lich schwebt neben mir, passt sich meinem Tempo an,
schließlich bin ich nur ein erschöpfter Noch-Mensch und er ein
mächtiger Untoter. "Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, warum wir
nach Ashenvale gehen, Lich. Was ist da so besonderes, dass wir uns die
Füße wundlaufen?" (dass ich mir die Füße wundlaufe,
denke ich bei einem Blick auf die untere Hälfte des Lichs)
Dieser lässt sogleich wieder seine Stimme
ertönen, die mir so unangenehm ist: "Dort, junger Freund, werdet ihr
euer Dasein als Mensch ablegen und in die Reihen der Geißel treten."
Er hebt die Stimme gewaltig und klingt wie ein Eissturm. "Und zwar als
erster Todesritter seit langem!" Ich nicke, es läuft mir immer noch
eiskalt den Rücken hinunter. "Wann wurdet ihr untot, Lich?" frage
ich meinen Begleiter. "Oh, das ist lange her", sagt der Lich nachdenklich,
"ich könnte es euch nicht sagen, ich habe aufgehört, die Jahre
zu zählen. Zeit, junger Freund", dabei blickt er mich an, "hat für
mich keine Bedeutung!"
Ah, ich verstehe. So langsam füllen sich
meine Wissenslücken über die untote Geißel, von der mir
der Lich andauernd erzählt. Angeblich wurde sie nach dem großen
Krieg gegen die brennende Legion fast vollständig zerstört, aber
nun versuchen einige Überlebende, sie hier in Kalim Dor wieder neu
aufzubauen. Größer und furchteinflößender, als je
zuvor. Den Rest des Weges reden wir nicht viel. Mein Begleiter ist ohnehin
sehr still und sagt kein Wort. Was er wohl gerade denkt. Denkt er an früher,
als er noch ein Mensch war? Wie war er wohl als Sterblicher? Wie war er
an diese Macht gekommen? Alles Fragen, die mir im Kopf herumgehen. Aber
ich würde sie ihm wann anders stellen, für heute bin ich mit
meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Langsam fällt mir auf, dass
nicht nur ich den Lich furchterregend finde, sondern auch alles andere
hier. Kleines Getier wie Eidechsen und Wüstenmäuse nimmt in Panik
reißaus vor ihm, mir ist es, als würden selbst die unverwüstlichen
Pflanzen hier ihre Stengel vom Lich wegbiegen und wahrscheinlich weglaufen,
wenn sie Beine hätten. Außerdem sehe ich, dass die Geier über
mir kreisen, nicht aber über dem Lich...
Am Abend rasten wir an einem großen
Felsen, der mir wenigstens ein bisschen Schatten spendet. Der Lich hat
mit einem Fingerschnippen ein Feuer entzündet, das ziemlich qualmt,
weil wir nichts richtiges haben, das wir verschüren könnten,
außer ein paar Sträuchern. In meiner Feldflasche herrscht gähnende
Leere. Den letzten Tropfen Wasser habe ich wohl am Nachmittag schon aufgebraucht.
Der Lich könnte mir Kühle spenden, doch ich verwerfe diesen Gedanken
sofort wieder. Besser die schwüle Hitze, als die tödliche Kälte
des Lichs. "Nimm einen Kaktus!" sagt der Lich plötzlich.
"Wie bitte?" "Nimm einen Kaktus, wenn du durstig
bist!" Ah, ich verstehe den Lich. Ich breche mir von einem riesigen Kaktus
eine weniger spitze Stelle ab und breche sie entzwei. Sofort tropft ein
weißlicher Saft heraus. Gierig schlürfe ich ihn aus. "Danke",
sage ich noch während ich trinke, der Saft läuft mir das Kinn
hinunter. Das war zwar nicht so gut wie Wasser, aber mein Durst hat sich
immerhin gemindert.
Am nächsten Tag weckt mich der Lich schon
in aller Früh. Er muss mich gar nicht wachrütteln. Ich bemerke
seine Anwesenheit sogar im Schlaf und wache fröstelnd auf. "Wir sollten
jetzt schon aufbrechen, dann sind wir noch vor der Mittagshitze an der
Grenze zu Ashenvale." "Wie bitte?" sage ich schläfrig, "Wieso hab
ich dann gestern noch nichts davon bemerkt?" "Kommt mit!" fordert mich
der Lich auf. Ich stehe auf und packe meine wenigen Sachen zusammen. Der
Lich schwebt schon davon. "Halt, wartet auf mich!" rufe ich und renne ihm
hinterher. "Folgt mir hier hinauf auf den Felsen!" ruft der Lich. Neugierig
erklimme ich die Anhöhe und der Anblick lässt mir den Atem stocken.
"Das ist Ashenvale!" ruft der Lich mit lauter Stimme. Ich stehe eine Weile
nur staunend da. Was ich da erblicke, ist wunderschön. Ein Meer von
Baumwipfeln, ein immergrünes Paradies. Ich sehe bunte Vögel auffliegen
und kann mich kaum sattsehen. "Wo... wo ist dort eure Untotenbasis?" frage
ich den Lich, ohne den Blick abzuwenden. "Sie ist gut versteckt unter den
Wipfeln. Unsere besten Necromancer haben sie magisch verborgen. Niemand
ausser die Angehörigen der Geißel kann sie sehen." Wir stehen
eine Weile schweigend da, dann sagt mein Begleiter: "Kommt, lasst uns gehen,
Melborne. je eher wir da sind, umso besser!" Langsam wende ich mich von
dem atemberaubenden Anblick ab. Der Gedanke, bald unter dem Schatten von
Bäumen zu wandern, weckt die letzten Kräfte in mir. Und so setzen
wir uns wieder in Bewegung. Mein untoter Freund und ich. Langsam, nach
etlichen Stunden wird die Vegetation üppiger und die kargen Felsen
wechseln sich mit hohen Gräsern und Farnen ab. Von fern sehe ich noch
den Gipfel des Stone Talon, denke an mein Dorf, an meine Eltern, doch dann
schüttele ich die Gedanken ab, auf mich wartet jetzt etwas wichtigeres.
Der Lich würde mir wahre Macht zeigen. Als Mensch würde ich diese
nie erlangen können.
Mein Herz macht einen Hüpfer, als wir
endlich die hohen Baumgrenzen Ashenvales erblicken. All diese Bäume
müssen über 100 Meter hoch sein und mehrere tausend Jahre alt.
Der Lich beschleunigt sein Tempo, ich renne neben ihm her und nach ein
paar Minuten lehne ich schon an einem großen Baum und höre das
Zwitschern von tropischen Vögeln. "Dieses Land ist wunderschön,
Lich", sage ich, der Lich scheint nicht ganz zu verstehen, was ich meine,
auf jeden Fall erwidert er nichts darauf. Ich bemerke, dass er nervös
um sich blickt, er wirkt angespannt. Sein Atem geht noch rasselnder als
sonst. "Was habt ihr, Lich?" frage ich. "Lasst euch nicht von der Schönheit
dieser Wälder trügen", antwortet der Untote. "Es ist gefährlich,
hier zu wandern. Es wohnen Elfen hier, wenn auch tief drinnen im Wald.
Sie sind tückisch wie die Nacht. Aber das ist nicht meine einzige
Sorge", sagt der Lich und blickt sich wieder um. "Es gibt hier noch andere
Gefahren. Zum Beispiel grüne Baumdrachen und Furbolgs, riesige Bärenmenschen."
Ich kann zwar nicht glauben, dass uns hier in diesem Paradies etwas auflauern
könnte, aber ich nehme die Warnung des Lichs ernst. Plötzlich
murmelt der Lich unverständliche Worte und aus seinen Händen
kommen eisblaue Nebel. Sie nehmen langsam die Gestalt eines Gegenstandes
an, eines Schwertes. Dann sehe ich ganz deutlich die Umrisse eines saphirblauen,
mit schwarzen Edelsteinen versehen Schwertes vor mir, die über dem
Lich schweben. Langsam lichten sich die Nebel und das Schwert schwebt allein
über den ausgebreiteten Händen des Lichs. Seine Klinge glänzt
im hellen Sonnenlicht und ich kann förmlich spüren, wie die Waffe
vor unnatürlichen Kräften vibriert. Mir steht der Mund sperrangelweit
offen. "Was... was ist das?" frage ich den Lich. "Das, mein Freund, ist
das Runenschwert Narzaliel, das Schwert, das du als Todesritter tragen
wirst." Mit einem Fingerschnippen lässt er das Schwert auf mich zu
fliegen. reflexartig fange ich es am Griff auf. Ich kann spüren, wie
meine Finger fast eins mit dem Griff werden, als wäre die Waffe genau
meiner Hand angepasst worden. Das Schwert summt und die Schwingungen gehen
auf mich über. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wie ich mit
dem Schwert verwachse. Wir sind nun eins, Narzaliel und ich. Schwarzes
Licht umrandet die Klinge und dann fühle ich die Stimme in meinem
Kopf: "Ich bin dein Meister! Ich werde dir unendliche Macht zeigen!" "Jaaa",
sage ich wie in Trance, "du bist mein Meister! Gepriesen sei die Geißel!"
Und wie von selbst schwinge ich das Schwert, das summend durch die Luft
fährt und durchschneide einen jungen Baum. Das Schwert scheint zu
brennen und hinterlässt einen feurigen Schweif in der Luft. An der
Stelle, wo das Schwert den Baum gefällt hat, glüht das Holz weiß
und gelblich. Ich fühle die unbändige Macht! "Sehr gut", sagt
der Lich, "ihr werdet das Schwert sehr bald an echten Gegnern ausprobieren.
Aber erst, wenn wir in der Basis sind", sagt der Lich mahnend. "Ich werde
nicht zulassen, dass euch jetzt noch etwas zustoßen könnte."
Ich nicke schweigend. Die Stimme in meinem Kopf ist verschwunden. Auf einmal
fühle ich mich erschöpft. "Gut. Lasst uns weitergehen!" sage
ich.
Schweigend gehen wir in den dichten Wald hinein.
Das Blätterdach lässt kaum einen Sonnenstrahl hinein, dafür
ist es unangenehm schwül hier drin. Nach einer kurzen Strecke kommen
wir an eine Waldlichtung. Endlich wieder Sonne. Ich will auf die Lichtung
stürmen, aber der Lich hält mich grob zurück. "Duckt euch!"
flüstert er. Instinktiv kauere ich mich in eine Erdkule mit Blättern.
"Seht ihr die zwei Gestalten da vorne?" Ich blicke angestrengt auf das
Ende der Lichtung. "Ja", sage ich, "was ist das?" "Es sind Eulenbären",
knurrt der Lich, "die wohl wütendsten Geschöpfe in diesen Wäldern.
Seht euch ihre scharfen Schnäbel und spitzen Krallen an! Mit diesen
Kreaturen ist nicht zu spaßen!" Jetzt kann ich es deutlich erkennen.
Sie sehen grotesk aus mit ihren Flügeln und Schnäbeln und ihren
Bärenkörpern. Fast witzig, könnte man meinen, wenn sie nicht
dauernd ein wütendes Trompeten ausstoßen würden, das einem
durch Mark und Bein geht. Ausserdem meine ich, an dem Schnabel des Größeren
noch Blut kleben zu sehen. "Ich werde sie überraschen", sagt der Lich.
"Melborne. Ihr werdet nicht mitkämpfen!" Ich will protestieren, aber
der Lich schenkt mir einen harten Blick und eine Woge von Eis kommt in
mir hoch. "So! Wartet hier im Versteck! Es wird nicht lange dauern." Schon
schwebt der Lich aus seiner Erdkule und schnurstracks auf die beiden Eulenbären
zu, die sich wohl gerade um den verwesenden Körper einer großen
Echse streiten. Der Lich schwebt auf mehrere Meter heran, die Eulenbären
scheinen ihn noch nicht bemerkt zu haben. "Wann greift er endlich an?"
Denke ich in meinem Versteck und kaue mir die Fingernägel wund. Dann
bleibt der Lich endlich stehen. Die Eulenbären drehen sich langsam
um und beäugen den Fremdling neugierig. So etwas haben sie hier noch
nie gesehen. Ist er ein Feind oder ein Freund? Der Lich nimmt ihnen die
Entscheidung ab. Er murmelt seltsame Worte und ein blaues Licht kommt in
ihm hoch. Dann plötzlich gibt es einen lauten Knall, dass ich glaube,
meine Trommelfelle platzen. Der Lich hat einen seiner eisigen Zauber auf
den großen Eulenbären gewirkt. Sofort schießt ein Ring
aus Eiskristallen aus dem Körper des Eulenbären und gefriert
ihn in einem Block aus magischem Eis. Derweilen schießt der Lich
große Eissplitter auf den kleineren Eulenbären. Diese bohren
sich tief in die dicke Haut der Bestie und machen ihn rasend vor Wut. Jetzt
kann ich mich einfach nicht mehr halten. Mit einem Schrei stürme ich
aus dem Versteck und reiße mein Schwert in die Höhe. Blut rauscht
in meinen Ohren. Ich kann nicht anders! Ich muss töten! Sofort bin
ich bei dem großen Eulenbären, der sein Eisgefängnis mit
einem Brüllen gesprengt hat, bereit, den Lich dafür zu zerfleischen.
Ich renne auf das Untier zu, unfähig zu denken, unfähig, meinen
Verstand zu benutzen und schlage mit dem Schwert so stark auf den Eulenbären
ein, dass ich glaube, mein Arm würde durch die Wucht des Schlages
ausgekugelt. Ich bin blind. Ich höre nur noch den Todesschrei des
Bären. Der Hieb müsste ihn in der Mitte gespalten haben. Ich
senke mein Schwert. Ich bin völlig ausser Atem. Der andere Eulenbär
ist ebenfals tot. Doch der Lich hat ein paar gebrochene Rippen davongetragen,
die hässlich zersplittert sind und einen Menschen wahrscheinlich umgebracht
hätten. Keuchend schwebt er auf mich zu, in seiner Stimme liegt mühsam
unterdrückte Wut. "Wieso seid ihr nicht im Versteck geblieben, ihr
törichter Narr?" faucht er mich an. "Dieser große Eulenbär
hätte euch töten können!"
"Nein Lich!" sage ich wütend. "Er hätte
euch getötet, wenn ich nicht eingeschritten wäre!" Darauf lacht
der Lich nur eisig: "Ihr müsst euch keine Sorgen um mich machen, Bürschchen.
Ich komme ganz gut alleine zurecht! Schließlich bin ich schon seit
vielen Jahren..." Am Ende des Satzes verstummt der Lich. Seine kalten Augen
sind weit aufgerissen. "Was habt ihr?" frage ich besorgt. Dann sehe ich
es. Aus dem Brustkorb des Lichs ragt die Spitze eines Pfeiles heraus. Dann
fliegt mit einem Surren ein weiterer Pfeil heran und bohrt sich mit einem
Krachen in das Rückgrat des Lichs. "Verdammt! ein Hinterhalt!" brülle
ich. Von dem anderen Ende der Lichtung nahen Gestalten mit Kapuzen und
langen Bögen. "Es sind die Elfen!" brüllt der Lich. Mit einem
Schreien lässt er einen dicken Panzer von Eis um mich entstehen. Komischerweise
ist er nicht eiskalt, sondern nur angenehm kühl. "Das ist eine Frostrüstung!"
ruft der Lich. "Lauft! Lauft! Das Lager ist nicht weit entfernt! Lauft
immer geradeaus!" In seiner Stimme liegt soviel Macht, soviel Kälte,
dass ich mich gar nicht widersetzen kann. Doch dann höre ich wieder
diese Stimme in meinem Kopf: "TÖTE SIE! TÖTE SIE ALLE! SIE HABEN
ES VERDIENT, ZU STERBEN!" Aus dem Schwert schießt plötzlich
eine schwarze wabernde Kugel. Sie fliegt auf eine der Elfen zu und schlägt
in ihrem Oberkörper ein. Der Aufprall lässt sie vier Meter nach
hinten fliegen. Sie bewegt sich nicht mehr. Der Lich lässt ein wahres
Inferno aus Eis auf der Lichtung entstehen. "Er opfert sich selbst!" schießt
es mir durch den Kopf. "Er opfert sich selbst, um mich zu retten!"
Ich sehe, wie er die Elfen mit Eisstürmen
und Frost-Noven in Schach hält, aber es sind einfach zu viele. Selbst
er kann sie nicht aufhalten. Ich will ihm helfen, aber ich weiß,
dass ich keine Chance habe. Ich renne los, durch den Wald, atemlos, bis
ich nicht mehr kann. Bis jetzt habe ich das Rauschen von magischem Eis
gehört, doch nun scheint es verstummt zu sein. Hoffnung steigt in
mir hoch. Könnte der Lich noch am Leben sein? Hatte er die Elfen zurückgedrängt.
Ich halte diese Ungewissheit nicht aus, also renne ich die ganze Strecke
zurück. Bis zur Lichtung. Die letzten Schritte durch das dichte Blättergewirr
sind die schwersten. Doch dann sehe ich das Bild des Grauens. Überall
auf der Lichtung liegen tote Elfen. Die meisten haben Eissplitter in Köpfen
und Hälsen stecken, ihre Gesichter zu einer Maske des Grauens erstarrt.
Und inmitten der hellhäutigen Elfenleichen liegt der Lich. Er hat
ohne Zweifel tapfer gekämpft, doch unzählige Pfeile stecken ihm
im Rücken und in der Brust. Aus seinem Mund kommen keine feinen Eiskristalle
mehr. Seine Augen sind jetzt wirklich die eines Skelettes. Leer und leblos.
Eine nie gekannte Trauer steigt in mir hoch. Der Lich ist tot. All seine
Macht hat ihm nichts genützt. Bald würde er zu Erde werden, der
Natur als Futter dienen. Ich sinke auf die Knie vor dem Lich, der mir mit
seinem Tod das Leben gerettet hatte. Ich hebe seinen Körper an, Sein
Skelett hängt schlaff herab. So sitze ich da, meinen toten Begleiter
in den Händen und der schwere Ashenvale Regen kommt auf mich herunter.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Skelett des Lichs kniee. Doch
als es Abend wird und die Sonne sich über das Blätterdach senkt,
stehe ich auf und sage mit zitternder Stimme: "Immer geradeaus, dort ist
die Basis! Keine Angst. Dein Tod wird nicht umsonst gewesen sein, Freund!"
Mit diesen Worten verschwinde ich im dichten Urwald...
Drei Tage nach Melbornes Ankunft im Untotenlager
und nach seinem Aufstieg zum Todesritter fielen die Elfen in der Untotenbasis
ein. Der magische Schutz der Necromancer war nicht stark genug, um es mit
den Zauberern der Elfen aufnehmen zu können. 300 Untote kämpften
gegen 500 Elfen auf der Lichtung, wo der Lich gestorben war. Die Untoten
kämpften mit bestialischer Wildheit, doch die Elfen waren ihnen zahlenmäßig
weit überlegen. Schließlich fiel auch Melborne, der Sohn einer
Menschenfrau, auf der Lichtung, die sich mit dem Blut zahlloser Leichen
vollsog. Später würde man sich noch erzählen, dass auf der
Lichtung, wo die Schlacht stattfand, niemehr etwas gewachsen ist. Kein
Lebewesen hatte den Ort mehr betreten und er wurde zur Warnung an alles
was lebte, lebt und leben wird, dass niemand, ob Mensch oder Elf, Lebender
oder Untoter, den Tod besiegen kann.
© Tobyas
Durant
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