Der Lich von Tobyas Durant

Meine Kehle brennt von der staubigen Luft, meine Zunge ist mir im Wege. Seit Tagen wandere ich schon durch diese trostlose Einöde, kein Plätzchen Schatten. Nur verdorrte Sträucher und abschreckende Dornengewächse, wohin ich auch schaue. "Selbst die Pflanzen scheinen hier so grausam zu sein, wie dieses Land um zu überleben", denke ich mir. Der Schweiß läuft mir die Stirn herunter und in meine Mundwinkel. Es schmeckt salzig. Stöhnend halte ich mir die Hand vor das Gesicht, um mir etwas Schutz vor der Sonne zu verschaffen. Ich sitze auf einem großen, roten Felsen, den die Sonne schon für mich vorgewärmt hat. Ich sehe in meine Wasserflasche. Nur noch wenige Schlücke schalen, lauwarmen Wassers, ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, jemals einen Bach oder einen Fluss gesehen zu haben. Ich fühle mich müde, schläfrig, bin im Begriff langsam einzunicken, doch dann reißt mich eine kalte Stimme wieder aus meinem Dämmerschlaf: "Aufstehen, Melborne, wir müssen weiter!" Es ist der Lich, ich wandere schon eine geraume Zeit mit ihm. "Ihr habt leicht reden, Lich!" sage ich. "Ihr müsst weder essen noch trinken... noch schlafen." Bei dem Wort schlafen bin ich schon wieder dabei, wegzudösen. Doch ich schrecke auf. Eine skelletierte Hand mit langen Fingern packt mich an der Schulter. Es ist, als würde meine Schulter sofort zu Eis erstarren, so unangenehm ist der Griff des Lich. "Ich weiß, ihr habt euer Untoten-Stadium noch nicht abgeschlossen, Melborne", sagt der Lich und während er spricht gefriert die Luft vor seinem Totenschädel zu kleinen Eiskristallen. "Aber je eher wir weiter gehen, desto größer ist die Warscheinlichkeit, dass ihr euch bald im Schatten von Ashenvales Wäldern ausruhen könnt." Der Lich lockert endlich seinen Klammergriff, sofort greife ich mir an die Schulter, die langsam wieder zum Leben erwacht. "Schon gut, Lich", sage ich wütend, als ich wieder Gefühl in meiner Schulter habe. Er hat gut reden. Er ist ein Untoter. Und ein ziemlich mächtiger Magier, das möchte ich meinen. Er fühlt keine Müdigkeit, keinen Hunger, wahrscheinlich nicht einmal Schmerz..
Ich bin in einem Dorf am Rande der StoneTalon Berge geboren. Es war eine kleine Menschensiedlung mit an die 50 Einwohnern. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte ständig das Gefühl, meine leiblichen Eltern, mein Vater war Handwerker, meine Mutter kümmerte sich um den Haushalt, würden sich vor mir fürchten. Je älter ich wurde, desto mehr Furcht hatten sie vor mir. Damals begriff ich noch nicht, warum selbst die anderen Kinder aus dem Dorf nicht mit mir spielen wollten. Äusserlich sah ich wie ein ganz normaler, gut gewachsener Junge aus, nichts besonderes. Doch mich umgab eine unnatürliche Aura, die den anderen nicht geheuer war. Meine Eltern redeten mit mir nicht darüber, sie redeten ohnehin nicht viel mit mir. Und so wuchs ich in dem kleinen Menschendorf auf, fristete ein einsames, wenn auch nicht ärmliches Verhältnis und lebte vor mich hin bis zu meinem 15. Geburtstag. Dann wurde schlagartig alles anders. Die Ankündigungen des Bevorstehenden waren Dürren, Heuschrecken und Krankheiten, die sich wie eine drohende Wolke über uns ausbreiteten. Doch schlagartig geschah etwas, das niemand für möglich gehalten hätte. Der Himmel färbte sich dunkelrot und von dem Hügel am Fuße der StoneTalon Berge sahen wir eine riesige Staubwolke auf uns zu kommen. Die Menschen gerieten in Panik. Sie versuchten, ihr Hab und Gut zu retten und zu fliehen. Doch es war schon zu spät. Schon waren sie unter uns. Bestien, wie ich sie noch nie gesehen hatte, leichenfressende Ghule, die die Dorfbewohner bestialisch abschlachteten. Und ich stand inmitten des Chaos, schien vollkommen sicher vor den Angriffen der Ghule zu sein. Oder sie wollten mich nicht angreifen. Sie wichen hastig vor mir aus, als hätten sie... ja, als hätten sie Angst vor mir. Ich weiß nicht mehr, was ich damals empfand, als meine Eltern von einer grausamen Bestie mit drei Armen niedergemetzelt wurden. Ich schien wie in Trance, sah wie meine Haare und meine Gewänder im Wind flatterten, doch es war absolut windstill. Die Dorfbewohner hatten sich gegen die Monster nicht zur Wehr setzen können und waren erbarmungslos getöten worden. Alle, außer mich. Wieso? Schon begannen die Ghule die armseligen Hütten in Brand zu setzen, was ihnen eine höllische Freude zu bereiten schien. Ich konnte das ganze nur beobachten, unfähig, irgendetwas zu tun. Die Ghule stritten sich darum, wer die meisten Dorfbewohner fressen durfte. Ich hörte sie kreischen und fauchen. Dann plötzlich tauchte aus dem dichten Qualm eine Gestalt auf. Es war der Lich. Seine Füße schienen den Boden nicht zu berühren, er schwebte auf mich zu. Seine Augen waren ausdruckslos und starr, auch aus ihnen kamen kleine Eispartikel. Er bestand nur aus einem Skelett und einem schweren, roten Umhang. Wahrscheinlich in Festkleidung, wie mir an den vielen Ringen und Armreifen des Lichs auffiel. Starr beobachtete ich, wie die Gestalt des Todes langsam auf mich zu schwebte. Als er nur noch wenige Meter von mir entfernt war, scheuchte er seine Leibwächter, zwei monströse Gestalten mit verwesenden Körpern, mit einer Handbewegung weg. Dann vernahm ich seine eiskalte, schneidende Stimme, wie viele kleine Nadelstiche. "Endlich habe ich dich gefunden,
MelBorne!"

Tja, so habe ich meinen Begleiter kennen gelernt. Mitten in all den Leichen und brennenden Trümmern erzählte er mir von meinem Schicksal und dass mich meine Eltern nicht umsonst gemieden hatten. In mir stecke die Kraft eines Todesritters, eines Untoten. Sie hatten etwas geahnt, aber nicht erkannt, was ich wirklich war. Er lachte eisig. Doch das läge jetzt hinter mir, sagte er mir. Ich müsse meiner wahren Bestimmung folgen, sagte er. Als wären die Worte die ich danach aussprach, gar nicht meine eigenen, sagte ich: "Was muss ich tun, Lich?" "Ich werde dir alles erzählen, auf der Reise zu den immergrünen Wäldern Ashenvales. Du wirst mit mir kommen, du wirst mein Schüler sein!"
Und so wandere ich jetzt mit ihm. Wir haben die StoneTalon Berge hinter uns gelassen und marschieren nun durch das unwirtliche und bergige Ödland, wo es nichts gibt, ausser Schweinemenschen, die immer auf einen Streit aus zu sein scheinen, und Geiern, die gefährlich nah über uns kreisen. Der Lich wartet geduldig, während ich kleine spitze Steine aus meinen durchgelatschten Schuhen schüttele und mir die vielen Blasen auf meinen Füßen reibe. "Ihr werdet froh sein, wenn ihr erst eure jetzige Gestalt hinter euch lassen könnt, Melborne", sagt der Lich und lacht wieder sein eisiges Todesröcheln. Er schwebt ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden. Wie leicht man sich fühlen muss, wenn man seine sterbliche Hülle abgelegt hat, denke ich träumerisch, doch der Lich reißt mich schon wieder aus meinen Träumen: "Kommt, Melborne. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns." "Jaja ich komme." Der Lich schwebt neben mir, passt sich meinem Tempo an, schließlich bin ich nur ein erschöpfter Noch-Mensch und er ein mächtiger Untoter. "Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, warum wir nach Ashenvale gehen, Lich. Was ist da so besonderes, dass wir uns die Füße wundlaufen?" (dass ich mir die Füße wundlaufe, denke ich bei einem Blick auf die untere Hälfte des Lichs)
Dieser lässt sogleich wieder seine Stimme ertönen, die mir so unangenehm ist: "Dort, junger Freund, werdet ihr euer Dasein als Mensch ablegen und in die Reihen der Geißel treten." Er hebt die Stimme gewaltig und klingt wie ein Eissturm. "Und zwar als erster Todesritter seit langem!" Ich nicke, es läuft mir immer noch eiskalt den Rücken hinunter. "Wann wurdet ihr untot, Lich?" frage ich meinen Begleiter. "Oh, das ist lange her", sagt der Lich nachdenklich, "ich könnte es euch nicht sagen, ich habe aufgehört, die Jahre zu zählen. Zeit, junger Freund", dabei blickt er mich an, "hat für mich keine Bedeutung!"
Ah, ich verstehe. So langsam füllen sich meine Wissenslücken über die untote Geißel, von der mir der Lich andauernd erzählt. Angeblich wurde sie nach dem großen Krieg gegen die brennende Legion fast vollständig zerstört, aber nun versuchen einige Überlebende, sie hier in Kalim Dor wieder neu aufzubauen. Größer und furchteinflößender, als je zuvor. Den Rest des Weges reden wir nicht viel. Mein Begleiter ist ohnehin sehr still und sagt kein Wort. Was er wohl gerade denkt. Denkt er an früher, als er noch ein Mensch war? Wie war er wohl als Sterblicher? Wie war er an diese Macht gekommen? Alles Fragen, die mir im Kopf herumgehen. Aber ich würde sie ihm wann anders stellen, für heute bin ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Langsam fällt mir auf, dass nicht nur ich den Lich furchterregend finde, sondern auch alles andere hier. Kleines Getier wie Eidechsen und Wüstenmäuse nimmt in Panik reißaus vor ihm, mir ist es, als würden selbst die unverwüstlichen Pflanzen hier ihre Stengel vom Lich wegbiegen und wahrscheinlich weglaufen, wenn sie Beine hätten. Außerdem sehe ich, dass die Geier über mir kreisen, nicht aber über dem Lich...
Am Abend rasten wir an einem großen Felsen, der mir wenigstens ein bisschen Schatten spendet. Der Lich hat mit einem Fingerschnippen ein Feuer entzündet, das ziemlich qualmt, weil wir nichts richtiges haben, das wir verschüren könnten, außer ein paar Sträuchern. In meiner Feldflasche herrscht gähnende Leere. Den letzten Tropfen Wasser habe ich wohl am Nachmittag schon aufgebraucht. Der Lich könnte mir Kühle spenden, doch ich verwerfe diesen Gedanken sofort wieder. Besser die schwüle Hitze, als die tödliche Kälte des Lichs. "Nimm einen Kaktus!" sagt der Lich plötzlich.
"Wie bitte?" "Nimm einen Kaktus, wenn du durstig bist!" Ah, ich verstehe den Lich. Ich breche mir von einem riesigen Kaktus eine weniger spitze Stelle ab und breche sie entzwei. Sofort tropft ein weißlicher Saft heraus. Gierig schlürfe ich ihn aus. "Danke", sage ich noch während ich trinke, der Saft läuft mir das Kinn hinunter. Das war zwar nicht so gut wie Wasser, aber mein Durst hat sich immerhin gemindert.
Am nächsten Tag weckt mich der Lich schon in aller Früh. Er muss mich gar nicht wachrütteln. Ich bemerke seine Anwesenheit sogar im Schlaf und wache fröstelnd auf. "Wir sollten jetzt schon aufbrechen, dann sind wir noch vor der Mittagshitze an der Grenze zu Ashenvale." "Wie bitte?" sage ich schläfrig, "Wieso hab ich dann gestern noch nichts davon bemerkt?" "Kommt mit!" fordert mich der Lich auf. Ich stehe auf und packe meine wenigen Sachen zusammen. Der Lich schwebt schon davon. "Halt, wartet auf mich!" rufe ich und renne ihm hinterher. "Folgt mir hier hinauf auf den Felsen!" ruft der Lich. Neugierig erklimme ich die Anhöhe und der Anblick lässt mir den Atem stocken. "Das ist Ashenvale!" ruft der Lich mit lauter Stimme. Ich stehe eine Weile nur staunend da. Was ich da erblicke, ist wunderschön. Ein Meer von Baumwipfeln, ein immergrünes Paradies. Ich sehe bunte Vögel auffliegen und kann mich kaum sattsehen. "Wo... wo ist dort eure Untotenbasis?" frage ich den Lich, ohne den Blick abzuwenden. "Sie ist gut versteckt unter den Wipfeln. Unsere besten Necromancer haben sie magisch verborgen. Niemand ausser die Angehörigen der Geißel kann sie sehen." Wir stehen eine Weile schweigend da, dann sagt mein Begleiter: "Kommt, lasst uns gehen, Melborne. je eher wir da sind, umso besser!" Langsam wende ich mich von dem atemberaubenden Anblick ab. Der Gedanke, bald unter dem Schatten von Bäumen zu wandern, weckt die letzten Kräfte in mir. Und so setzen wir uns wieder in Bewegung. Mein untoter Freund und ich. Langsam, nach etlichen Stunden wird die Vegetation üppiger und die kargen Felsen wechseln sich mit hohen Gräsern und Farnen ab. Von fern sehe ich noch den Gipfel des Stone Talon, denke an mein Dorf, an meine Eltern, doch dann schüttele ich die Gedanken ab, auf mich wartet jetzt etwas wichtigeres. Der Lich würde mir wahre Macht zeigen. Als Mensch würde ich diese nie erlangen können.

Mein Herz macht einen Hüpfer, als wir endlich die hohen Baumgrenzen Ashenvales erblicken. All diese Bäume müssen über 100 Meter hoch sein und mehrere tausend Jahre alt. Der Lich beschleunigt sein Tempo, ich renne neben ihm her und nach ein paar Minuten lehne ich schon an einem großen Baum und höre das Zwitschern von tropischen Vögeln. "Dieses Land ist wunderschön, Lich", sage ich, der Lich scheint nicht ganz zu verstehen, was ich meine, auf jeden Fall erwidert er nichts darauf. Ich bemerke, dass er nervös um sich blickt, er wirkt angespannt. Sein Atem geht noch rasselnder als sonst. "Was habt ihr, Lich?" frage ich. "Lasst euch nicht von der Schönheit dieser Wälder trügen", antwortet der Untote. "Es ist gefährlich, hier zu wandern. Es wohnen Elfen hier, wenn auch tief drinnen im Wald. Sie sind tückisch wie die Nacht. Aber das ist nicht meine einzige Sorge", sagt der Lich und blickt sich wieder um. "Es gibt hier noch andere Gefahren. Zum Beispiel grüne Baumdrachen und Furbolgs, riesige Bärenmenschen." Ich kann zwar nicht glauben, dass uns hier in diesem Paradies etwas auflauern könnte, aber ich nehme die Warnung des Lichs ernst. Plötzlich murmelt der Lich unverständliche Worte und aus seinen Händen kommen eisblaue Nebel. Sie nehmen langsam die Gestalt eines Gegenstandes an, eines Schwertes. Dann sehe ich ganz deutlich die Umrisse eines saphirblauen, mit schwarzen Edelsteinen versehen Schwertes vor mir, die über dem Lich schweben. Langsam lichten sich die Nebel und das Schwert schwebt allein über den ausgebreiteten Händen des Lichs. Seine Klinge glänzt im hellen Sonnenlicht und ich kann förmlich spüren, wie die Waffe vor unnatürlichen Kräften vibriert. Mir steht der Mund sperrangelweit offen. "Was... was ist das?" frage ich den Lich. "Das, mein Freund, ist das Runenschwert Narzaliel, das Schwert, das du als Todesritter tragen wirst." Mit einem Fingerschnippen lässt er das Schwert auf mich zu fliegen. reflexartig fange ich es am Griff auf. Ich kann spüren, wie meine Finger fast eins mit dem Griff werden, als wäre die Waffe genau meiner Hand angepasst worden. Das Schwert summt und die Schwingungen gehen auf mich über. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wie ich mit dem Schwert verwachse. Wir sind nun eins, Narzaliel und ich. Schwarzes Licht umrandet die Klinge und dann fühle ich die Stimme in meinem Kopf: "Ich bin dein Meister! Ich werde dir unendliche Macht zeigen!" "Jaaa", sage ich wie in Trance, "du bist mein Meister! Gepriesen sei die Geißel!" Und wie von selbst schwinge ich das Schwert, das summend durch die Luft fährt und durchschneide einen jungen Baum. Das Schwert scheint zu brennen und hinterlässt einen feurigen Schweif in der Luft. An der Stelle, wo das Schwert den Baum gefällt hat, glüht das Holz weiß und gelblich. Ich fühle die unbändige Macht! "Sehr gut", sagt der Lich, "ihr werdet das Schwert sehr bald an echten Gegnern ausprobieren. Aber erst, wenn wir in der Basis sind", sagt der Lich mahnend. "Ich werde nicht zulassen, dass euch jetzt noch etwas zustoßen könnte." Ich nicke schweigend. Die Stimme in meinem Kopf ist verschwunden. Auf einmal fühle ich mich erschöpft. "Gut. Lasst uns weitergehen!" sage ich.
Schweigend gehen wir in den dichten Wald hinein. Das Blätterdach lässt kaum einen Sonnenstrahl hinein, dafür ist es unangenehm schwül hier drin. Nach einer kurzen Strecke kommen wir an eine Waldlichtung. Endlich wieder Sonne. Ich will auf die Lichtung stürmen, aber der Lich hält mich grob zurück. "Duckt euch!" flüstert er. Instinktiv kauere ich mich in eine Erdkule mit Blättern. "Seht ihr die zwei Gestalten da vorne?" Ich blicke angestrengt auf das Ende der Lichtung. "Ja", sage ich, "was ist das?" "Es sind Eulenbären", knurrt der Lich, "die wohl wütendsten Geschöpfe in diesen Wäldern. Seht euch ihre scharfen Schnäbel und spitzen Krallen an! Mit diesen Kreaturen ist nicht zu spaßen!" Jetzt kann ich es deutlich erkennen. Sie sehen grotesk aus mit ihren Flügeln und Schnäbeln und ihren Bärenkörpern. Fast witzig, könnte man meinen, wenn sie nicht dauernd ein wütendes Trompeten ausstoßen würden, das einem durch Mark und Bein geht. Ausserdem meine ich, an dem Schnabel des Größeren noch Blut kleben zu sehen. "Ich werde sie überraschen", sagt der Lich. "Melborne. Ihr werdet nicht mitkämpfen!" Ich will protestieren, aber der Lich schenkt mir einen harten Blick und eine Woge von Eis kommt in mir hoch. "So! Wartet hier im Versteck! Es wird nicht lange dauern." Schon schwebt der Lich aus seiner Erdkule und schnurstracks auf die beiden Eulenbären zu, die sich wohl gerade um den verwesenden Körper einer großen Echse streiten. Der Lich schwebt auf mehrere Meter heran, die Eulenbären scheinen ihn noch nicht bemerkt zu haben. "Wann greift er endlich an?" Denke ich in meinem Versteck und kaue mir die Fingernägel wund. Dann bleibt der Lich endlich stehen. Die Eulenbären drehen sich langsam um und beäugen den Fremdling neugierig. So etwas haben sie hier noch nie gesehen. Ist er ein Feind oder ein Freund? Der Lich nimmt ihnen die Entscheidung ab. Er murmelt seltsame Worte und ein blaues Licht kommt in ihm hoch. Dann plötzlich gibt es einen lauten Knall, dass ich glaube, meine Trommelfelle platzen. Der Lich hat einen seiner eisigen Zauber auf den großen Eulenbären gewirkt. Sofort schießt ein Ring aus Eiskristallen aus dem Körper des Eulenbären und gefriert ihn in einem Block aus magischem Eis. Derweilen schießt der Lich große Eissplitter auf den kleineren Eulenbären. Diese bohren sich tief in die dicke Haut der Bestie und machen ihn rasend vor Wut. Jetzt kann ich mich einfach nicht mehr halten. Mit einem Schrei stürme ich aus dem Versteck und reiße mein Schwert in die Höhe. Blut rauscht in meinen Ohren. Ich kann nicht anders! Ich muss töten! Sofort bin ich bei dem großen Eulenbären, der sein Eisgefängnis mit einem Brüllen gesprengt hat, bereit, den Lich dafür zu zerfleischen. Ich renne auf das Untier zu, unfähig zu denken, unfähig, meinen Verstand zu benutzen und schlage mit dem Schwert so stark auf den Eulenbären ein, dass ich glaube, mein Arm würde durch die Wucht des Schlages ausgekugelt. Ich bin blind. Ich höre nur noch den Todesschrei des Bären. Der Hieb müsste ihn in der Mitte gespalten haben. Ich senke mein Schwert. Ich bin völlig ausser Atem. Der andere Eulenbär ist ebenfals tot. Doch der Lich hat ein paar gebrochene Rippen davongetragen, die hässlich zersplittert sind und einen Menschen wahrscheinlich umgebracht hätten. Keuchend schwebt er auf mich zu, in seiner Stimme liegt mühsam unterdrückte Wut. "Wieso seid ihr nicht im Versteck geblieben, ihr törichter Narr?" faucht er mich an. "Dieser große Eulenbär hätte euch töten können!"
"Nein Lich!" sage ich wütend. "Er hätte euch getötet, wenn ich nicht eingeschritten wäre!" Darauf lacht der Lich nur eisig: "Ihr müsst euch keine Sorgen um mich machen, Bürschchen. Ich komme ganz gut alleine zurecht! Schließlich bin ich schon seit vielen Jahren..." Am Ende des Satzes verstummt der Lich. Seine kalten Augen sind weit aufgerissen. "Was habt ihr?" frage ich besorgt. Dann sehe ich es. Aus dem Brustkorb des Lichs ragt die Spitze eines Pfeiles heraus. Dann fliegt mit einem Surren ein weiterer Pfeil heran und bohrt sich mit einem Krachen in das Rückgrat des Lichs. "Verdammt! ein Hinterhalt!" brülle ich. Von dem anderen Ende der Lichtung nahen Gestalten mit Kapuzen und langen Bögen. "Es sind die Elfen!" brüllt der Lich. Mit einem Schreien lässt er einen dicken Panzer von Eis um mich entstehen. Komischerweise ist er nicht eiskalt, sondern nur angenehm kühl. "Das ist eine Frostrüstung!" ruft der Lich. "Lauft! Lauft! Das Lager ist nicht weit entfernt! Lauft immer geradeaus!" In seiner Stimme liegt soviel Macht, soviel Kälte, dass ich mich gar nicht widersetzen kann. Doch dann höre ich wieder diese Stimme in meinem Kopf: "TÖTE SIE! TÖTE SIE ALLE! SIE HABEN ES VERDIENT, ZU STERBEN!" Aus dem Schwert schießt plötzlich eine schwarze wabernde Kugel. Sie fliegt auf eine der Elfen zu und schlägt in ihrem Oberkörper ein. Der Aufprall lässt sie vier Meter nach hinten fliegen. Sie bewegt sich nicht mehr. Der Lich lässt ein wahres Inferno aus Eis auf der Lichtung entstehen. "Er opfert sich selbst!" schießt es mir durch den Kopf. "Er opfert sich selbst, um mich zu retten!"
Ich sehe, wie er die Elfen mit Eisstürmen und Frost-Noven in Schach hält, aber es sind einfach zu viele. Selbst er kann sie nicht aufhalten. Ich will ihm helfen, aber ich weiß, dass ich keine Chance habe. Ich renne los, durch den Wald, atemlos, bis ich nicht mehr kann. Bis jetzt habe ich das Rauschen von magischem Eis gehört, doch nun scheint es verstummt zu sein. Hoffnung steigt in mir hoch. Könnte der Lich noch am Leben sein? Hatte er die Elfen zurückgedrängt. Ich halte diese Ungewissheit nicht aus, also renne ich die ganze Strecke zurück. Bis zur Lichtung. Die letzten Schritte durch das dichte Blättergewirr sind die schwersten. Doch dann sehe ich das Bild des Grauens. Überall auf der Lichtung liegen tote Elfen. Die meisten haben Eissplitter in Köpfen und Hälsen stecken, ihre Gesichter zu einer Maske des Grauens erstarrt. Und inmitten der hellhäutigen Elfenleichen liegt der Lich. Er hat ohne Zweifel tapfer gekämpft, doch unzählige Pfeile stecken ihm im Rücken und in der Brust. Aus seinem Mund kommen keine feinen Eiskristalle mehr. Seine Augen sind jetzt wirklich die eines Skelettes. Leer und leblos. Eine nie gekannte Trauer steigt in mir hoch. Der Lich ist tot. All seine Macht hat ihm nichts genützt. Bald würde er zu Erde werden, der Natur als Futter dienen. Ich sinke auf die Knie vor dem Lich, der mir mit seinem Tod das Leben gerettet hatte. Ich hebe seinen Körper an, Sein Skelett hängt schlaff herab. So sitze ich da, meinen toten Begleiter in den Händen und der schwere Ashenvale Regen kommt auf mich herunter. Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Skelett des Lichs kniee. Doch als es Abend wird und die Sonne sich über das Blätterdach senkt, stehe ich auf und sage mit zitternder Stimme: "Immer geradeaus, dort ist die Basis! Keine Angst. Dein Tod wird nicht umsonst gewesen sein, Freund!" Mit diesen Worten verschwinde ich im dichten Urwald...

 
Drei Tage nach Melbornes Ankunft im Untotenlager und nach seinem Aufstieg zum Todesritter fielen die Elfen in der Untotenbasis ein. Der magische Schutz der Necromancer war nicht stark genug, um es mit den Zauberern der Elfen aufnehmen zu können. 300 Untote kämpften gegen 500 Elfen auf der Lichtung, wo der Lich gestorben war. Die Untoten kämpften mit bestialischer Wildheit, doch die Elfen waren ihnen zahlenmäßig weit überlegen. Schließlich fiel auch Melborne, der Sohn einer Menschenfrau, auf der Lichtung, die sich mit dem Blut zahlloser Leichen vollsog. Später würde man sich noch erzählen, dass auf der Lichtung, wo die Schlacht stattfand, niemehr etwas gewachsen ist. Kein Lebewesen hatte den Ort mehr betreten und er wurde zur Warnung an alles was lebte, lebt und leben wird, dass niemand, ob Mensch oder Elf, Lebender oder Untoter, den Tod besiegen kann.
 

© Tobyas Durant
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