Diese Geschichte ist ab 2007 am Drachentaler Wettbewerb leider nicht mehr teilnahmeberechtigt,
da sie in den vorherigen Jahren zu wenig Punkte erhalten hat.
 
Die Sumpfmaid von Ela

"Nun nimm dich zusammen, Ulwar! Wenn du weiter so trödelst, kommen wir erst mitten in der Nacht nach hause und du weißt doch, wie wütend Vater dann wieder sein wird."
Tynwar packte seinen Bruder am Arm und zog ihn von dem Baumstumpf hoch, auf den er sich gerade schwerfällig gesetzt hatte. Mit einer unwirschen Bewegung machte Ulwar sich los.
"Pah, du klingst schon genau wie Mutter. Immer hast du etwas an mir auszusetzen. Ulwar trink nicht so viel. Ulwar steh auf, du musst in die Arbeit. Ulwar tu dies, Ulwar tu das. Aber wenn du" - Ulwar bohrte seinem jüngeren Bruder den Zeigefinger wie eine Lanze gegen die Brust - "nicht so feige wärst, könnte ich noch in Ruhe einen Becher trinken und wir wären trotzdem rechtzeitig zuhause."
Tynwar schob den Finger zur Seite und schüttelte den Kopf.
"Ich weiß genau, was du meinst, aber bin kein Feigling. Kein Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, geht nach Einbruch der Dunkelheit durch den Sumpf. Der Weg ist kürzer, das bestreite ich nicht, aber er ist auch viel gefährlicher. Wie schnell kann es passieren, dass du vom Weg abkommst und das Moor dich verschlingt oder dass..." Tynwar zögerte und biss sich auf die Lippe.
"Oder dass was?" Ulwar sah seinen Bruder herablassend an. "Nun sag schon! Welche schreckliche Gefahr lauert noch auf mich?"
"Es... Es kann sein, dass... dass die Sumpfmaiden...."
Der Rest des Satzes ging in Ulwars brüllendem Gelächter unter. 
"Die Sumpfmaiden! Ja natürlich, wie konnte ich die nur vergessen?" Ulwar tätschelte seinem Bruder die Wange und grinste ihn dabei verächtlich an. "Du bist sogar ein noch größerer Feigling als ich gedacht habe. Die Sumpfmaiden! Von diesem Ammenmärchen lassen sich doch nur Wickelkinder ins Bockshorn jagen, aber keine echten Männer! Du solltest nicht so viel Zeit bei den alten Weibern und ihren Geschichten verbringen, sonst machst du nachts noch vor lauter Angst in dein Bett. Und weißt du was, du Wickelkind?" Ulwar trat ganz nah an seinen Bruder heran und funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen hämisch an. "Ich werde jetzt durch den Sumpf nach Hause gehen. Dann bin ich lange vor dir zuhause und du bekommst Vaters Wut alleine zu spüren."
Tynwar sog keuchend die Luft ein.
"Nein Ulwar, tu das nicht! Es wird gleich dunkel und dann... dann..." Er versuchte Ulwar festzuhalten, aber dieser schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege.
"Ulwar, bitte. Du weißt doch, was die Garandala gesagt hat. Die Zeichen, sie hat sie gesehen! Der Schwarzwinter kommt und mit ihm die Schattenwesen!"
Wieder packte Tynwar seinen Bruder am Ärmel.
"Hast du denn nicht gehört, was der dicke Rudwyn erzählt hat? Hast du nicht die Kratzer in seinem Gesicht, an seinen Armen gesehen? Sie sind ihm begegnet, sie wollten ihn holen und er ist ihnen nur um Haaresbreite entkommen!"
Ulwar blieb stehen und sah höhnisch auf Tynwar herab.
"Du Einfaltspinsel! Rudwyn hat das alles doch nur erfunden! Die Kratzer stammen von seiner Alten, weil er wieder einmal stockbetrunken aus der Schänke nach Hause gekommen ist. Jeder weiß, wie böse Rudwyns Weib ist, aber er will es nicht zugeben. Nur deshalb hat er erzählt, er wäre den Sumpfmaiden begegnet. Er schämt sich, dieser Jammerlappen, weil er mit seiner Alten nicht fertig wird."
Er spuckte aus.
"Es ist schlimm genug, dass Rudwyn keinen Mumm hat, aber er weiß wenigstens, dass es die Sumpfmaiden nicht gibt. Du aber glaubst diese Märchen wirklich, du elender Feigling. Mach, was du willst. Ich jedenfalls gehe auf dem kürzesten Weg nach Hause und werde schon längst friedlich schlafen, wenn Vater dich mit einer Tracht Prügel empfängt."
Ulwar drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zielstrebig in Richtung Moor. Tynwar lief ihm hinterher und redete mit Engelszungen auf ihn ein, aber Ulwar ließ sich nicht umstimmen. Erst als ihm das Sumpfgras bis über den Kopf reichte und die ersten Nebelschwaden um seine Knie waberte, blieb Tynwar stehen. Er war hin- und hergerissen zwischen der Sorge um seinen Bruder und der Angst vor den Hexenwesen, die angeblich im Sumpf hausten und jeden zu sich holten, der es wagte, das Moor nach Einbruch der Dämmerung zu betreten. Tynwar trat verzweifelt von einem Fuß auf den anderen, während er mit sich rang. Dann gab er sich einen Ruck und folgte Ulwar in das Moor. Doch er hatte kaum einen Schritt getan, als ihn eine noch nie gekannte Angst überwältigte und seine Beine wie dünne Streichhölzer unter ihm wegknickten. Schlotternd fiel er auf die Knie und musste hilflos mit ansehen, wie Ulwars Silhouette langsam mit den schwankenden Schatten der Rohrkolben verschmolz.
Ulwars rechter Fuß verfing sich in den Wurzeln einer verkrüppelten Zwergkiefer und er wäre fast gestürzt. Fluchend trat er nach dem kleinen Baum. Es war verdammt schnell dunkel geworden, dacht er. Am Horizont glühte nur noch ein schmaler orangefarbener Streifen und über ihm glitzerten bereits die ersten Sterne am samtschwarzen Himmel. Weiße Nebelschwaden steigen immer höher und umflossen ihn sanft wie hauchzarte Schleier. Eine unbestimmte Furcht kroch ihm das Rückgrat empor und auf seinen Armen prickelte eine Gänsehaut. Diese Memme Tynwar! Mit seinen lächerlichen Altweiber-Geschichten über Sumpfmaiden konnte er einen aber auch verrückt machen. Sumpfmaiden. Pah! Laut über Tynwar schimpfend, bahnte er sich seinen Weg durch die immer länger und dunkler werdenden Schatten. Aber so laut er auch sprach  - die Angst hatte sich in seinen Nacken gekrallt und folgte ihm.
Der morastige Boden schmatzte genüsslich unter Ulwars Schuhsohlen und die langen, nebelfeuchten Blätter der Sumpfgräser strichen ihm im Vorbeigehen sanft und beinahe so zärtlich wie die Hände einer Geliebten über die nackten Unterarme. Ein leichter Wind verfing sich in seinem Haar und brachte ein leises Raunen und Rascheln mit sich. Von irgendwoher drang der dünne, klagende Ruf eines Käuzchens an sein Ohr, ansonsten war es still. Ein Duft, zart wie die Flügel eines Schmetterlings, streichelte Ulwars Sinne. Verwirrt blieb er stehen. Was für ein unglaublicher Duft... Er  spürte, wie sich ein Beben in seinem Körper ausbreitete, ihn eine Welle der Erregung von der Kopfhaut bis zu den Finger- und Zehenspitzen durchflutete. Gierig sog er die Luft ein, versuchte, die Quelle dieses betörenden Geruchs auszumachen. Er drehte sich im Kreis, machte ein paar Schritte in diese, ein par Schritte in die andere Richtung. Wieder streichelte ihn dieser verlockende Duft, intensiver diesmal, und er beschleunigte seinen Schritt, eilte dorthin, wo der Ursprung dieser Verheißung zu sein schien. Je näher er ihr kam, desto mehr wuchs seine Erregung. Sein Atem ging hastig und keuchend und ein dünner Schweißfilm hatte sich trotz der Kühle auf seiner Stirn gebildet. Wieder und wieder leckte er sich über die trockenen Lippen. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und bemerkte nicht einmal. Wie seine Finger vor ungezähmtem Verlangen zitterten. 
Er schob eine Wand aus mannshohen Rohrkolben beiseite und da traf ihn der Duft mit einer solchen überwältigenden Wucht, dass er taumelnd und mit weit aufgerissenen Augen stehenblieb. Das Blut rauschte wie ein tosender Wasserfall in seinen Ohren und er war nicht in der Lage, auch nur mit der Wimper zu zucken. Erst ein glockenhelles Lachen, das wie das sanfte Plätschern eines Gebirgsbaches klang, ließ die Starre von ihm abfallen. Suchend glitten seine Augen über die kleine Lichtung, die sich in dem dichten Wald aus Sumpfgras vor ihm ausbreitete. An einem kahlen Baum, den vor langer Zeit ein Blitz mit Urgewalt in zwei Teile gerissen hatte, verharrte sein Blick. 
Für einen kurzen Moment wallte die unbestimmte Angst wieder in ihm auf, warnte ihn, schrie ihm zu, er solle sich umdrehen und diesen Ort so schnell wie möglich verlassen, aber selbst wenn Ulwar es gewollt hätte, so hätte er dies nicht gekonnt. Wie in Trance setzte er einen Fuß vor den anderen und als er nur noch zwei Armlängen von dem toten Baumstamm entfernt war, der im silbernen Mondlicht wie Pech glänzte, trat plötzlich eine Frau dahinter hervor.
Ulwar stockte der Atem, als er sie sah. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er eine so schöne Frau gesehen. Sie war groß und schlank und ein weißes Kleid, das ihren Körper wie hauchzarte Nebelschleier umschmeichelte, enthüllte auf eine atemberaubende Art viel mehr, als es verbarg. Langes, tiefschwarzes Haar fiel ihr in dichten Kaskaden bis über die Hüften und ihre großen, dunklen Augen schienen all sein Verlangen, all seine Sehnsüchte wiederzuspiegeln. Sie hatte ihre Lippen zu einem entzückenden Schmollmund geschürzt und sah ihn unter langen, geschwungenen Wimpern halb vorwurfsvoll, halb kokett an.
"Du hast mich viel zu schnell gefunden", ihre Stimme klang süßer als der süßeste Honig und Ulwar konnte nicht anders, als sich wieder über die Lippen zu lecken.
"Jetzt muss ich mir einen neuen Zeitvertreib für uns ausdenken." 
Sie runzelte die Stirn und wickelte in gespielter Nachdenklichkeit eine Strähne ihres nachtgleichen Haares um den Finger. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und blickte ihn unverwandt aus ihren geheimnisvollen Augen an. Ulwar glaubte, in diesen schimmernden Teichen der Verlockung zu versinken.
"Du sagst ja gar nichts", sagte sie ungeduldig, biss sich aber sogleich bestürzt auf die Lippe und schenkte Ulwar einen schuldbewussten und zugleich mädchenhaft unschuldigen Augenaufschlag.
"Habe ich dich verärgert? Bist du böse, weil ich mich vor dir versteckt habe?" 
Sie trat auf ihn zu und der betörende Duft raubte Ulwar beinahe die Sinne. Sie streckte den Arm aus und berührte ihn mit den Fingerspitzen leicht an der Wangel. Dabei rutschte der lange Ärmel ihres Kleides zurück und enthüllte einen grazilen Arm. Ihre weiche, blasse Haut schimmerte im Mondlicht wie ein kostbarer Opal.
"Bitte sei mir nicht böse."
Sie hatte ihre Stimme zu einem katzengleichen Schnurren gesenkt. In Ulwar schrie jede Faser seines Körpers vor Verlangen auf.
"Ich werde so etwas auch bestimmt nie wieder tun..."
Sie ließ ihre Finger langsam über seine Wange und seinen Hals gleiten. Ulwar stand ihr gegenüber, unfähig sich zu bewegen, sein ganzer Körper eine lodernde Fackel des Begehrens. Und als sie sein Hemd packte und ihn näher zu sich zog, waren seine Schritte plump und unbeholfen wie die eines müden, alten Tanzbären. Irgendwo tief in ihm heulte wieder die Stimme auf und versuchte ihn zu warnen. Für den Bruchteil eines Augenblicks drängte sich Tynwars Gesicht in seine Erinnerung, aber Ulwar wusste beim besten Willen nicht mehr, warum er sich mit seinem Bruder gestritten hatte. Sicher war es nichts wichtiges und morgen würden sie sich wieder vertragen, so wie es bisher immer gewesen war. Er brauchte sich jetzt keine Sorgen zu machen, denn alles, was jetzt wirklich zählte, war diese Frau.
Diese Frau und sein unstillbares Verlangen nach ihr. Ihr Götter, wie schön sie war! Er wollte sie; er wollte sie, wie er noch nie zuvor eine Frau gewollt hatte und als er den fordernden Druck ihrer Hand zwischen seinen Beinen spürte, gab es für ihn kein Halten mehr. Ungeduldig griff er nach ihr und zog sie mit einem Ruck an sich, presste ihren schlanken, weichen Körper an den seinen, Gierig glitten seine Hände über ihren Rücken, ihre Brüste, ihren Po und seine Lippen suchten ihren Mund, der ihm so viele Freuden verhieß. Sie erwartete ihn mit leicht geöffneten Lippen und kaum dass Ulwar sie berührte, spürte er schon ihre Zunge. Fordernd wie ihre Hand, die sich immer noch zwischen seinen Beinen zu schaffen machte, spielte sie mit ihm, erforschte ihn und ließ ihre Zunge tiefer und tiefer wandern. 
Brechreiz überflutete Ulwar so unvermittelt, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Hustend und keuchend drückte er die Frau von sich. War das ihre Zunge in seinem Hals oder...? Aber wie konnte sie...? Ein fauliger Geschmack wie von modrigem Schlamm breitete sich in seinem Mund aus und floss mit dem Speichel seinen Hals hinab, so dass er erneut würgen musste. Ulwar wollte sich losmachen, wollte sie von sich stoßen, doch ihre Hand lag immer noch in seinem Schritt und nun drückte sie erbarmungslos zu. Gleißender Schmerz durchzuckte seine Lenden und seine Knie schienen plötzlich nur noch aus weichem Wachs zu bestehen. Wieder brandete Übelkeit in ihm hoch.
"Was... was machst du? Was... soll... das...?!", presste Ulwar hervor. Als er seinen Blick hob und sie ansah, verwandelte sich sein schmerzverzerrtes Gesicht in eine Fratze des Grauens. Aus dem wunderschönen Antlitz, das ihn über alle Maßen bezaubert hatte, zuckte die lange, schwarze gespaltene Zunge einer Schlange und von den einst makellosen Zähnen waren nur noch ein paar faulige, abgebrochene Stümpfe übrig. Das schwarze Haar rann ihr in wirren, ungewaschenen Strähnen wie modriges Sumpfwasser über die ausgemergelten Schultern und mit ihren fahlen, fast farblosen Augen, in deren senkrechten Pupillen sich sein eigenes Gesicht grotesk verzerrt spiegelte, weidete sie sich kalt und grausam an seinem Entsetzen.
"Du hättest auf deinen Bruder hören sollen, Bürschchen!"
Ihre Stimme klang wie das Gurgeln aufsteigender Sumpfgase und mit jedem Wort prallte ein Schwall ihres ekelerregend stinkenden Atems gegen Ulwar.
"Jetzt gehörst du mir - und zwar für immer!"
Sie streckte den anderen Arm nach ihm aus. Ulwar wehrte sich trotz der schier unerträglichen Schmerzen, versuchte ihre Finger zu öffnen, aber sie hielt ihn unbarmherzig und mit der Kraft eines Schraubstockes fest. Ihre andere Hand schnellte vor und mit ihren langen, spitzen Krallen schlitzte sie in einer einzigen ruckartigen Bewegung Ulwars Kehle auf. Heiß und in einem pulsierenden Rhythmus schoss das Blut aus der klaffenden Wunde und mit einem gierigen, krächzenden Lachen warf sich die Sumpfmaid auf ihr Opfer.
 
© Ela
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