Dialog mit einem Hexenmeister von Gloimann

Während im Westen der Einöde gerade die Sonne aufging, schritt auf der Südseite ein fremder Jüngling durch einen Torbogen in das Eingeborenendorf Senf. Er war mittelgroßer Statur, äußerst muskulös und sein schwarzer Reisemantel ließ auf einen Meister der Schattenmagie schließen. Sein ebenfalls schwarzer Zylinder unterstrich diese Behauptung noch und der lange Wanderstab wies, mit seinem an der Spitze eingearbeiteten Diamanten, ebenfalls auf mystische Kräfte hin.
Der Bursche betrat also das Dorf, sah sich misstrauisch um und stellte seinen Stab an einer Hausmauer ab. Kein Eingeborener zeigte sich auf den Straßen. Der Jüngling seufzte. Daran musste er sich gewöhnen. Immer wenn er in eine fremde Region kam verkrochen sich deren Bewohner in ihren Häusern und hielten ihren Kindern die Ohren und Augen zu. Senf schien da keine Ausnahme zu sein.
In nicht weiter Ferne erblickte der Magier ein Wirtshaus. Ein kühles Bier konnte er nach dem langen Marsch vertragen, so ergriff er seinen Stab und betrat die Gaststätte. Sofort huschten mehrere Gestalten unter die Tische, ein leises Wimmern schallte durch den Raum. Der Wirt hatte sich mit dem Rücken an die Wand gepresst und umklammerte einen Messergriff. Der Jüngling schritt langsam auf den Mann zu und versuchte sich möglichst imposant vor ihm aufzubauen.
"Ein Bier, bitte!", bestellte er mit einer kehligen rauen Stimme, doch der Wirt hatte ihm offenbar gar nicht zugehört.
"Nein, bitte lasst mich in Frieden leben!", schrie er und ließ sein Messer fallen. "Ich habe doch Kinder! Sechs Stück!" Er brach klagend zusammen und Tränen rollten über den Holzboden. Der Magier packte das zerrüttete Häufchen Elend am Kragen und setzte es auf den Tresen.
"Hörst du mir zu, mein Freund?"
Der Wirt brach erneut in Klagerufe aus.
"Hörst du mir zu?", fragte der Jüngling abermals, diesmal ein wenig lauter und energischer.
"Ist ja gut, ist ja gut, nehmt Euch so viel Euch beliebt! Dort drüben ist die Kasse!"
"Ich will dein schmutziges Geld nicht! Ich will nichts weiter als ein Bier."
Der Wirt öffnete zaghaft die Augen.
"Ein Bier?"
"Ja."
"Nichts weiter?"
"Wenn ich’s dir doch sage!"
"Na gut, es geht aufs Haus."
Das Bier wurde gezapft und der Magier setzte sich an einen der Tische, wobei er darauf achtete, keinen der Gäste, die unter den Tüchern verborgen blieben, mit den Stiefeln zu treten. Das kühle Gesöff befeuchtete seine ausgetrocknete Kehle, so bestellte er bald noch eins, dann noch zwei und noch eines mehr als gewöhnlich. Schon bald löste der gegährte Weizen seine Zunge und er begann dem verängstigten Wirt Geschichten zu erzählen.
"Weißt du, was ich denke, mein Lieber?", fragte er und leckte sich den Schaum von den Lippen.
"Ich fürchte nicht, aber bitte tut mir nichts."
"Ich glaube", fuhr der Magier fort, "dass es viel zu viele Ideen gibt. Denn wenn es weniger Ideen gäbe, dann würde einem auch mal eine einfallen, nicht wahr?"
Der Wirt nickte schnell.
"Ich mag dich nicht", sagte der Magier. "Du hast keinen Mumm! Sonst würdest du es wagen meinen sinnentleerten Sprüchen zu widersprechen."
"Wenn ich’s mir recht überlege", sagte der Wirt rasch, "habt Ihr wahrscheinlich doch nicht so ganz Recht mit Eurer Behauptung."
"Da hast du dich aber noch mal elegant aus der Affäre gezogen", lächelte der Jüngling und bestellte ein neues Bier. "Ferner bin ich der Ansicht", fuhr er fort, "dass wir eigentlich alle schon tot sind."
"Wie das?", fragte der Wirt tapfer, während er das Bier zapfte.
"Mausetot!", grölte der Magier und so manch einer zuckte unter den Tischen zusammen. "Wir wissen es nur noch nicht."
Dem Wirt wurde die Sache sichtlich unangenehm. Wenn der Mann noch betrunkener wurde, könnte er in der Gaststätte erheblichen Schaden anrichten. Außerdem war er im Begriff eine Vielzahl an Stammkunden zu verlieren.
"Wusstest du", lallte der Fremde, "dass wir Magier eigentlich sehr scheu sind? Das ist der Grund, warum wir so unheimlich sind. Wir meiden die Konversation mit anderen Menschen. In Wirklichkeit sind wir vom Leben gestrafte seelische Wracks, die aus purer Frustration versuchen mächtig zu werden. Wer sonst würde solch ein Leben vorziehen?"
"Machthungrige Diktatoren?", schlug der Wirt eilig vor. Der Magier winkte ab.
"Ach was. Auch die sind kümmerlicher als du denkst. In manch einem Tyrannenkörper sitzt ein gebrochenes Herz. Ich sag dir mal was: wir Schwarzmagier sind alle krank, süchtig nach Anerkennung. Wenn einer von euch uns nicht genug Respekt zollen würde, wären wir sicherlich schon längst ausgestorben..."
Mit diesen Worten auf den Lippen kippte er vornüber auf den Tisch und begann gemächlich zu schnarchen. Die Gäste kamen unter den Tischen hervor und trugen den Magier aus der Stadt. Seine letzten Sätze gaben ihnen den Mut dazu.
An diesem Tag starben die Schwarzmagier aus, denn die Kunde des Wirts aus Senf verbreitete sich im ganzen Land. Schmerzerfüllt wandten sich die Hexenmeister überall am Boden, bettelnd nach einem kleinen bisschen Respekt. Doch die Menschen hörten nicht auf sie und schon bald waren die Straßen der Städte mit Kadavern übersät.
 
© Gloimann
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