Itrani von Susanne Berger
Der Drachental-Fortsetzungs-Roman
Drachen?

Um nichts in der Welt hätte Itrani sein Dorf ohne weiteres verlassen, wenn Ptaul ihm nicht so sehr gedrängt hätte aufzubrechen. Die Zeit wäre schon sehr knapp und er müsse sofort mit seiner Ausbildung beginnen. 
Anfangs war er äußerst skeptisch. Es bedurfte seitens der Wächterin einer enormen Überredungskunst, ihn zu überzeugen, daß das alles,  was sie ihm erzählte, der Wahrheit entsprach.
Es erschien ihm alles so unreal, besonders die Geschichte mit dem Drachen. Doch dann gab Ptaul ihm das Buch der Drachen, in dem alles über solche geschrieben stand. Es handeltete sich um ein anderes, als sie Kadis geben würde. Auf dem Einband fand er ein Symbol, das einen fliegenden Drachen darstellen sollte, und das  Symbol würde später für ihn sehr wichtig werden. 
Jenes Buch enthielt Angaben über alle Drachen, Wächter, über Elben, die der Drachensprache mächtig waren, über einfach alles, was in einem direkten Zusammenhang mit den Drachen stand.
Itrani wußte wohl, daß die Wächterin gut mit allerart seltsamer Magie umgehen konnte, und war wachsam. 
Nach einer gewissen Zeit, in der sich der junge Elb über verschiedene Dingen belesen hatte, sagte sie ihm schließlich, daß er eine Reise zu einem anderen Wächter unternehmen mußte, ans andere Ende des Dunkelwaldes, weit weg von seinem Heimatdorf , dort, wo die Berge den Wald fast einschlossen. Er sollte Itrani seiner Fähigkeiten bewußt machen, von denen er bis jetzt nichts geahnt hatte.

"Aber wieso soll ich meine Heimat so schnell verlassen? Ich weiß ja nicht einmal wie lange meine Reise dauern wird, wann ich zurückkehren werde! Mein Dorf wird sich Sorgen machen." Seine grünen Augen kreuzten den Blick der alten Ptaul, deren Augen in ein tiefes Blau gehüllt waren.
"Keine Sorge, sie werden rechtzeitig erfahren, wo Deine Reise hingeht", erwiderte sie in einem ruhigen Tonfall.
Itrani überlegte.
"Außerdem habe ich keine weiteren Sachen mit. Die liegen - "
"Glaube mir Itrani, alles was Du brauchst, trägst Du bei Dir. Für andere Dinge wird zum entsprechenden Zeitpunkt gesorgt werden.
Ich kann Deine Sorgen verstehen, es ist kein leichter Abschied. "Sie berührte seine Hand, als könne sie seinen Kummer dadurch lindern. Fuhr aber mit einer ebenso entschlossenen Stimme fort:
"Es steht jedoch viel auf dem Spiel - das Leben der Drachen. Und Du gehörst nun mal zu den Wenigen, die die Sprache der Drachen noch verstehen und sprechen können. 
Niemand wird Dich zwingen, wenn Du zurück in Dein Dorf möchtest, dann kannst Du das tun. Allerdings wirst Du es nicht mehr schaffen, den Drachen zu retten. Die Zeit ist sehr knapp bemessen, Du würdest es gerade noch schaffen, brichst Du in den nächsten zwei Stunden auf."

Einfach würde es nicht werden. Aber das erwartete er auch nicht. Nur die Ungewissheit machte ihm zu schaffen, was dann aus all den Anderen wird, sein plötzliches Verschwinden, ... Kadis ...
Und was diesen Drachen anging, dem er sich später annehmen sollte, nun, das war ihm nicht ganz geheuer.
'Drachen? Kadis' Urgroßvater erzählte gelegentlich etwas über das Vergangene Volk, die wohl in einer Zeit lebten, in der die Drachen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft lebten. Über dieses Volk ist jedoch nicht allzuviel bekannt. Schade. Das hätte mir vielleicht helfen können', überlegte Itrani.
Er bemerkte, daß ihm jemand fehlte, mit dem er über seine Gedanken sprechen konnte. Kadis.
Für einen Moment übermannte ihn dieselbe Traurigkeit, die Kadis für ihn empfand, als ihr bewußt wurde, daß sie ihn so schnell nicht wiedersehen würde.
Er müßte seinen Auftrag umso schneller erfüllen, damit er zurückkehren könnte. Ob das allerdings so schnell möglich sein würde, das konnte er nicht einmal abschätzen. Wann hat man es denn schon mit Drachen zu tun?

Die darauffolgenden Tage verbrachte er versunken in Grübeleien, Zeit dafür hatte er mehr als genug. Und seine Reise würde wohl noch einige Tage andauern, ehe er den Rand dieses Waldes erreichte.
Obwohl er von Zeit zu Zeit seinen Gedanken nachhing, so fiel ihm doch auf, je weiter er sich von dem ihm bekannten Gebiet entfernte, desto ruhiger wurde es. Seit einem gewissen  Zeitraum sah er keine Tiere, und den Gesang der Vögel hatte er bestimmt schon seit dem gestrigen Tag nicht gehört. Der Wald wurde immer eigenartiger. Offenbar befand er sich in einem Gebiet, in dem scheinbar keine ihm bekannten Wesen lebten. Der schmale Weg verlor sich irgendwann im Dickicht und Itrani mußte sich nun auf seinen Instinkt verlassen, um die Richtung beizubehalten.

Die Rilta-Bäume wichen ihm unbekannten Arten, welche nicht so hoch waren und weit ausladende, dicht begrünte Kronen hatten. In ihrem Geäst hingen rot-violette, langgezogene Früchte, die nicht gerade den Eindruck erweckten, genießbar zu sein. Zudem ließen sie weniger Licht durch den eher dunklen Laubbewuchs und tauchten den Wald in einen Dämmerzustand. Und wäre Itrani kein Elb und würde nicht über Infravision verfügen, dann hätte er des Nachts nicht einmal die Hand vor Augen sehen können, das dichte Blätterdach ließ nicht einmal das Licht der Monde und Sterne hindurch.

Nicht die Dunkelheit empfand er als beängstigend, als er sich durch des Gebüsch schlug, sondern die Ungwißheit, daß er nicht abschätzen konnte, was ihn in diesem Wald erwarten könnte. Selten drang ein Elb soweit in das Gebiet jenseits der Ruinenstadt vor. Zumindestens schätzte Itrani seine Position so ein.
Seine Sinne konzentrierten sich auf  die Geräusche des seltsamen Waldes, die ein befremdendes Gefühl in ihm wachriefen, das er nicht einordnen konnte. Mitunter stoppte er seinen Lauf und versuchte zu bestimmen, von woher manche dieser Geräusche kamen. Manchmal klapperte es neben ihm, dann knarrte aus einer anderen Richtung anscheinend ein Baum, ein Rascheln nicht weit vor ihm und so ging das die ganze Nacht über, ohne, daß er auch nur das Geringste zu sehen bekam.
In diesen Nächten legte er die größten Entfernungen zurück. Einige Male meinte Itrani, beobachtet zu werden und große Schatten zu sehen. Gelegentlich verspürte er Wind. Inwieweit dieser einem natürlichen Ursprung entstammte, vermochte er nicht festzustellen.
Eines Morgens sah er mit großer Erleichterung  zwischen den Bäumen, die ihm voraus lagen, kleine Lichteinfälle, die darauf hindeuteten, daß der Wald sich dort höchstwahrscheinlich öffnen würde. Zunmindest hoffte er dies.
Mit großen Schritten, die mehr und mehr in einen Lauf übergingen, rannte er dem Licht entgegen, das er als vermeintliches Ziel annahm und von dem er sich ein Ende erhoffte. Immer näher kam das Sonnenlicht. Am Waldboden fanden sich immer mehr kleine Pflanzen, die sich dem durchscheinenden Licht entgegenreckten. Je näher er an den Rand des Waldes kam, desto grüner wurde es rings um ihn. Auch erschien ihm der Wald nicht mehr so unheimlich.
Und dann hatte Itrani es geschafft. Eine warme Woge empfing ihn und er schloß die Augen, um diese Sekunden zu genießen. Das Zirpen der Grillen, der Duft des Grases. Es war einfach wunderbar. Nach einiger Zeit öffnete er die Augen. Für einige Sekunden blendete das Sonnenlicht. Dann ließ er  erleichtert Tasche und Bogen fallen und wollte sich in das Gras legen, das ihm bis zur Taille reichte, als sich seine Augen endlich an das grelle Licht  gewöhnt hatten, und plötzlich ein großer Schatten über ihm stand. Entgeistert sah er nach oben.
"Das kann nicht sein", flüsterte er kaum hörbar. Unfähig sich von der Stelle zu bewegen, starrte Itrani gebannt nach oben und konnte seinen Blick nicht abwenden.
Dort hielt sich mit mächtigen Flügelschlägen ein Wesen aus längst vergangenen Zeiten, dessen Körper in ein gleißendes Licht getaucht schien. Die Umgebung war erfüllt vom Rauschen der Luft  unter den großen, starken Schwingen.
Die Anstrengung der letzten Tage und nun auch noch die Begegnung mit dem Wesen, welches er noch nie gesehen (und in frühstens einer Woche erwartet) hatte, von einer enormen Größe, das war zuviel, selbst für einen Elb.
Itrani merkte, daß sein Blickfeld zunehmend mit dunklen Flecken übersät war.
 

Ein mächtig gurgelnder Laut riß ihn aus seinem traumlosen Schlaf. Langsam richtete sich Itrani von seinem Schlafplatz auf. Er fühlte sich so, wie er wahrscheinlich aussah. In den blonden Haaren hatte sich allerlei Laub angesammelt, seine Hosen und auch der Umhang war von oben bis unten mit eingetrocknetem Schlamm verschmutzt. In seinem Hemd entdeckte er zahlreiche Risse und auch das Gesicht hatte hier und da kleine Kratzer. Nur die Schuhe schienen die Reise heil überstanden zu haben. Ein kurzes Lächeln überflog sein Gesicht. Sie waren Kadis' Geschenk zum Blumenfest. Einige Erinnerungen kamen hervor, und dann ein äußerst seltsamer Geruch. Woher der wohl kam? Itrani stand von der Liege auf und lief im Zimmer umher, aber er war beständig da. Schließlich roch er an seinem Hemd und rümpfte kurz die Nase. Es war wohl an der Zeit, ein Bad zu nehmen. 
Und sicherlich würde es in dieser Hütte auch eine Wanne geben, oder vielleicht war in der Nähe auch ein kleiner Fluß. 
Er beschloß, sich ein wenig in der Behausung umzusehen, in die es ihn verschlagen hatte.
Alles war sauber, ordentlich. Der Raum, in dem er geschlafen hatte, war hell und frische Luft strömte durch ein offenes Fenster. Itrani beugte sich hinaus. Weit und breit war weder ein Wald noch ein Berg zu sehen, stattdessen befand sich dort eine große Wiese.
'Irgend jemand wird doch hier sein, der mir sagen kann, wo ich bin. Und was eigentlich passierte.'
Ungeduldig stieß er die Tür zum nächsten Zimmer auf. Auch hier fand er alles sauber und ordentlich vor. Völlig anders als bei der alten Ptaul, bei der alles seltsam roch und leuchtete. 
In gewisser Weise war er verunsichert. Und dann dieser eigenartige Laut, der Itrani aus dem Schlaf gerissen hatte.
'Eure Fragen werden alle beantwortet werden. Setzt Euch. Ich werde sogleich bei Euch sein und alles erklären.'
Im ersten Moment konnte er nicht unterscheiden, ob ihm seine eigenen Gedanken einen Streich spielten oder ob es Realität war. Verunsichert tat er, wie ihm gehießen wurde.
Sein Ziel schien er also erreicht zu haben, wenn er auch nicht bewußt war, wie er die letzten Schritte oder Meilen zurückgelegt hatte. Vielleicht war es besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Alleine seine letzte Erinnerung, jagte ihm einen gewaltigen Schrecken ein.
Momentan spürte er in seinem Inneren ein Gefühl, welches sich nicht in das 'normale' Denken und Fühlen einpassen ließ. Es war ihm nicht unbekannt, und doch wußte er, daß er es noch nie erlebt hatte. Vielleicht in gewisser Weise ein Deja vu.
In diesem Augenblick dröhnte von draußen ein mächtiger Laut durch die Fenster. Diesmal vibrierte das ganze Haus mit. Itrani war drauf und dran, sich auf den Boden zu werfen, weil er dachte, daß nun das Gebäude zusammenstürzen würde. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen öffnete sich eine Minute später die Tür und ein alter Mann kam herein. Seine Hosen, die Weste und der Umhang waren in ebensolchem Blau, wie er es an dem Kleid von Ptaul sah. Aber zusätzlich trug der Mann eine Kette aus einem dunklen Material, das weder aus Metall noch aus Leder bestand. An ihr hing ein kleiner Anhänger, der genauso aussah, wie das Symbol auf Ptauls Drachenbuch - ein fliegender Drache.
Entkräftet ließ er sich auf einen Stuhl neben Itrani fallen. 
"Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß Ihr endlich gekommen seid", sprach er Itrani  etwas atemlos an. Seine Stimme tönte tief und warm. Nachdem er sich seiner Jacke und seiner Kappe entledigt hatte, sah Itrani, daß er ein Vertreter des Elbenvolkes war. In gewisser Weise erleichterte Itrani diese Tatsache ein wenig. 
"Entschuldigt bitte, ich bin Newyl, der erste Wächter", wandte er sich an seinen Besucher und zukünftigen Schüler.
"Ehrwürdiger Newyl, ich bin Itrani von Fenan, aus der Siedlung Noil." 
Sein Blick musterte den jungen Elb von oben bis unten. Dann nickte er knapp und erhob sich.
"Ihr müßt wissen, wir Wächter sind nicht mehr die Jüngsten. Wir haben gehofft einen jungen Elb zu bekommen, der noch über viel Kraft und die gewissen Gaben verfügt. Mir scheint, unser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.
Leider haben wir nicht viel Zeit. Ich kann Euch nur die Grundlagen beibringen. Alles andere müßt Ihr euch selber lehren." Dabei wandte er sich der Küche zu und forderte Itrani durch eine Handbewegung auf, ihm zu helfen.
In den Schränken standen allerlei schmackhafte Lebensmittel, die Newyl allesamt aufzutafeln begann.
Beim Anblick der köstlichen Speisen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. 
Nach einem ausgiebigen Bad und einem guten Essen kam er endlich dazu, Newyl zu all den seltsamen Begebenheiten zu befragen. 
"Wieso sehe ich hier nirgendwo Bäume und Berge?  Ich kann mich erinnern, daß Ptaul mir eine andere Beschreibung gegeben hat."
Newyl lachte kurz auf.
"Oh, verzeiht mir mein Freund, ich vergaß, Euch zu erklären.
Nun, da hier ein Wesen lebt, welches besser nicht entdeckt werden sollte, legte der Rat einen Verbergungszauber auf dieses Gebiet. Das schützte uns eine gewisse Zeit vor neugierigen Blicken.
Gewisse Leute fanden aber trotz alledem heraus, was hier vor sich ging. Deshalb mußten wir so schnell wie möglich fliehen. Jedoch wußte ich auch, daß Ihr euch auf den Weg hierher befandet. Also schickte ich Magos aus, Euch zu suchen und letztendlich an diese Stelle zu bringen."
"Wer ist Magos?" fragte Itrani leise. Er hatte eine Vorahnung, sprach sie aber nicht offen aus.
"Nun, das ist Euer zukünftiger Schüler."
"Mein was - ? Ihr meint nicht dieses riesige, geflügelte Monster?" Entgeistert starrte er Newyl an.
Abwehrend erhob der Wächter die Hände. Sein Gesicht nahm einen sehr ernsten Ausdruck an und in seinen Augen blitzte es kurz auf. Enttäuscht schüttelte er den Kopf.
"Nein, Ihr seht das falsch. Magos ist kein Monster. Er ist der letzte seiner Art. Wenn er nicht überlebt, wird es nie wieder Kristalldrachen in dieser Welt geben. Dann werden sie für immer ausgelöscht sein, wie all die anderen vor ihm. Wollt Ihr das wirklich?"
Der junge Elb wußte nicht was er sagen sollte.
"Kommt, Ihr müßt ihn kennenlernen, dann werdet Ihr sicherlich anders über ihn denken." 
Mit gemischten Gefühlen folgte Itrani. Sie gingen hinter dem Haus über eine wirklich riesige Wiese. Auf den ersten Blick schien nichts ungewöhnlich. Doch Newyl steuerte in eine bestimmte Richtung. Und so sah Itrani, daß es in der scheinbar ebenen Wiese eine Mulde gab. Er hörte ein mächtiges Schnaufen und anschließend ein Grunzen, so ähnlich wie vor ein paar Stunden im Haus. Es war ein wirklich grosse Vertiefung und Itrani konnte sich nicht vorstellen, wie er diese übersehen konnte. War es Magie?
Er wusste es nicht, doch das, was sich in der Mulde befand war noch viel fantastischer. Seine Gefühle waren so vielfältig, dass es ihm unmöglich war alle zuzuordnen. Der Wächter beobachtete schmunzelnd das Geschehen und war gespannt, was als nächstes geschehen würde...
 

Außerdem gibt's schon eine Karte zur Geschichte! (vom 15.02.2000)
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Hier geht's irgendwann ab Juli/August(?) 2000 zum 3. Kapitel!
- sorry, auf den Zeitpunkt der nächsten Fortsetzung habe ich leider keinen Einfluß / Moordrache -

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