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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Fortsetzungs-Story 2004 im Drachental gewählt!

Der König der Drachen von V.Geist (ehem. BlackAngel_O.D)
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Nach langem Schlaf

Die Sonne ging auf. Am Horizont ließen sich die ersten Sonnenstrahlen blicken und die nebeligen Wälder um die Barthanfelsen waren in ein wunderbares Licht gehüllt. Die Felsen ragten wie eine Hochburg aus dem Wald heraus, und hoch oben auf den Spitzen erwachten die Drachen von Garlin. Zum ersten mal seit Monaten erklang ihr sanfter Gesang und legte sich über die Lichtungen und Ebenen der Wälder und Hügel, tief im Herzen von Garath. Ihre majestätischen Körper fingen wieder an sich zu bewegen und die straffen, von Muskeln bepackten Glieder streckten sich. Die ersten fingen an, ihre gewaltigen Schwingen auszubreiten und setzten zum Flug an. 
Und dann erhob auch er sich aus seinem Schlaf. Die dicke, von Schuppen übersäte Haut glänzte in der frühen Morgensonne und die Tautropfen, die auf ihr lagen, ließ sie feucht und frisch wirken. Sie glitzerten wie Edelsteine und der rubinrote Farbton der Haut verlieh ihnen wunderbare Schönheit. Der Drache richtete sich langsam vor der Sonne auf, stützte sich auf die Hinterläufe und streckte den Hals in Richtung Himmel. Seine erst lockere Körperhaltung wurde mit einem Aufbrüllen tief aus der mächtigen Kehle des Tiers kommend, extrem hart. Er brüllte den Himmel an. Sein Körper streckte sich und die Schwingen schnellten in die Höhe, wo sie sich zu ihrer ganzen Pracht ausbreiteten. Das Brüllen wurde leiser und schließlich verstummte es. Mit einem Satz war der Drache über die Felsen um sein Nest herum weg. Er breitete die Schwingen wieder aus und glitt mit dem Wind über das Land hinweg. Es war so weit. Daran war aus seiner Ruhe erwacht und nun suchte er Beute.
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Beute

Das Dorf war wach und alle liefen durcheinander. Die Laute des Morgens hatten Schrecken verbreiten. Darans Ruf war über das ganze Land gezogen. Die Soldaten liefen in kleinen Trupps über die Plätze des kleinen Örtchens. Menschen verschwanden in ihren Häusern. Frauen mit Kindern auf dem Arm liefen verstört durch die Gassen. Minuten später herrschte Stille. Nur noch die Soldaten standen draußen. Die Schützen, die ihre Pfeile schon auf die Sehnen gelegt hatten, die Speerträger, die bereitstanden, um anzugreifen, und die Schwertkämpfer, die nervös ihre Hände um die Griffe der Waffen gelegt hatten. Bis jetzt war es immer gut gegangen, dachte Marlin. Aber diesmal sind die Soldaten so wenige. Es wird nicht klappen. "DRACHE" rief einer der Soldaten und die Schlacht begann.

Der Angriff kam von oben. Ein Strahl aus Flammen schien wie eine Feuersäule aus den Wolken herab zu kommen. Direkt auf die Bogenschützen nieder, die damit gerechnet hatten, dass der Drache von der Seite kommen würde. Die meisten waren tot, noch bevor sie wußten, was geschehen war. Die wenigen, die es überlebten, rannten brennend aus den Flammen und fielen zu Boden. Die Wolkendecke brach auf, und der gigantische Drache kam im Sturzflug dem Boden näher. Erst kurz vor dem Boden zog er wieder hoch und flog dicht über den Dächern der Häuser entlang. Die gewaltige Welle des Windes fegte durch die Straßen, und die toten Körper der Soldaten wurden wild durch die Luft geschleudert. Häuser, die nicht so stabil waren, verloren ihre Dächer und Massen von Steinen fielen auf die Wege und Plätze hinab, wo manche von ihnen die aufgescheuchten Soldaten erwischten und sie unter sich begruben. Das Untier kam zurück. Ein Schwall von Flammen ergoß sich über die Stadt. Alles um Marlin herum brannte bereits. Die Leute rannten aus den Häusern zurück auf die Straßen, denn die Gebäude konnten jeden Moment über ihnen zusammenbrechen. Hier draußen allerdings lauerte der Drache. Die ersten, die raus kamen, erwischte er sofort. Doch es reichte längst nicht, um seinen Hunger und seinen Blutdurst zu stillen. Die Pferde der Garde waren schon eher seiner Größe gerecht. So jagte er sie durch die Stadt und verschwand aus Marlins Blickfeld. Marlin stand verdutzt da. Um ihn herum das Feuer, das nun schon in jedem Haus loderte und die Leichen der Verbrannten und die Leute, die in den Straßen umherirrten. Viele Verletzte und Mütter, die ihre Kinder in Sicherheit brachten. Fast alle waren nun auf einen Schlag Witwen geworden, denn ihre Männer waren Soldaten der Garde gewesen, deren Körper jetzt erschlagen oder verkohlt auf der Erde lagen. 

Gedanken schossen Marlin durch den Kopf. Wie konnte das geschehen? Seine Stadt lag in Flammen. Die Garde hatte versagt. Nichts konnten sie ausrichten gegen das Unheil, das sie heimsuchte. Nein. Solange er lebte würde er nicht aufgeben. Marlin nahm einen blutverschmierten Bogen, der vor ihm in einem Haufen Trümmer lag, und ging die Straße zum großen Marktplatz hinunter. Ständig blickte er sich um und sah das Elend. Den Schmerz, den die Menschen erleiden mussten, und all das Stocherte seine Wut an. Seine Hände verkrampften sich um den Griff seines Schwertes. Als er auf dem großen Marktplatz ankam, sah er durch die Flammen hindurch den Drachen Daran. Er stand auf allen Vieren, den Kopf tief gesenkt und den Schwanz hoch erhoben, langsam hin und her schwingend. Er fraß. Der Kopf schnellte empor und Marlin sah klein die Umrisse eines Tieres in seinem Maul. Es war ein Pferd, dessen toter Körper auf Darans Zunge lag und langsam in den Rachen rutschte. Wie riesig er wirkte. Größer als ein Haus auf jeden Fall. Als zwei, locker. Und dabei hatte er sich noch gar nicht richtig aufgerichtet. Sollten die Gerüchte stimmen, die man sich unter den Menschen erzählte? Dass der Drache noch gar nicht ausgewachsen war. Der Gedanke schnitt Marlins Seele wie eine Klinge. Ein Grund mehr, ihn nun zu töten. 

Marlin ging näher an das abgelenkte Ungetüm heran. Er spannte den Bogen, zielte und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Ein Brüllen erschütterte die Umgebung. Der Pfeil hatte getroffen und Blut quoll aus der Wunde hervor. Es war eine kleine Wunde, wenn man betrachtete wie groß der Körper war. Der zweite Pfeil lag auf der Sehne. Daran senkte den Kopf wieder und blickte in Marlins Richtung. Der Pfeil flog. Vorbei. Daran war ausgewichen. Er brüllte wieder auf und Flammen schossen aus seinem Maul. Marlin hatte Glück. Er rettete sich in letzter Sekunde hinter einen Trümmerhaufen. Als der Angriff des Drachen vorüber war, stürmte Marlin los. Es war eine Tat der Verzweiflung. Er zog sein Schwert, rannte auf Daran zu und holte aus. Bevor er jedoch schlagen konnte, hatte der Drache ihn bemerkt. Er hieb mit dem Arm in Marlins Richtung und schleuderte ihn so quer über den ganzen Platz, wo er auf der anderen Seite gegen eine Hauswand prallte und zu Boden ging. Es schmerzte ihm überall und er war zu geschwächt, um wieder aufzustehen, doch er wollte nicht aufgeben. Sein Schwert diente ihm als Stütze. Er zog sich daran hoch und stand wackelig zwischen den Ruinen und den Flammen, die in ihnen loderten. Plötzlich richtete sich der Drache auf. Er stellte sich auf die Hinterbeine, breitete die Flügel aus und machte einen Satz in die Höhe. Das Schlagen seiner Flügel peitschte das Feuer auf und stieß Marlin wieder unsanft auf den Boden zurück. Daran glitt über die Stadt hinweg, und verschwand schließlich hinter ihren brennenden Mauern. Marlin blickte ihm nach und plötzlich sah er eine Gestalt aus den Flammen heraus auf sich zukommen. Sie war in Rauch gehüllt, und man erkannte ihr Gesicht nicht. Doch eines erkannte Marlin ganz deutlich. Die gespannte Armbrust, die auf sein Gesicht zielte und die glänzende Spitze des Pfeiles, der mit einem zischenden Geräusch die Luft schnitt und seinen Weg in Marlins Stirn fand.
 

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Utala

Der Drache Daran war tot. Schon seit zwei Jahren. Marlin hatte ihn zur Strecke gebracht, mit einer stählernen Lanze, die er ihm durch die Kehle gerammt hatte. Das Einzige, was ihn an diesen Kampf heute noch erinnerte, war die Narbe, die sich über seine Brust zog. Und dann war da noch dieser Traum, der ihn seit dem in jeder Nacht heimsuchte, seit dem Tag, an dem Daran starb. Nur wußte Marlin nicht, was die dunkle Gestalt darin zu bedeuten hatte, die ihm das Leben aushauchte. Er hatte diese Gestalt nie in seinem Leben gesehen. Sie war an dem Tag, an dem sein Dorf verbrannte, nicht dort. Und auch an dem Tag nicht, an dem er Daran gerichtet hatte. 

Der Tag erwachte. Die Läden der Marktstraße öffneten, Leute gingen ihrer Arbeit nach und Kinder fingen an, auf den Straßen zu spielen. Marlin ging über den Markt und sah dem Treiben zu. Es beruhigte ihn irgendwie, dass so viele lebende, lachende Menschen um ihn waren, die einfach nur... da waren. Manche Gesichter in der Menge kannte er. Sie grüßten ihn, wenn er vorbei kam und er grüßte freundlich zurück. Es war nicht wie damals in seiner Jugend. Auf dem Dorf kannte jeder jeden und alle hatten immer irgendwie etwas mit einander gemein, doch nun lebte er in einer Großstadt. Mehrere Hunderttausende Menschen waren um ihn. Und nicht nur Menschen, denn in einer Metropole, wie Utala eine war, lebten Vertreter aller Rassen. Neben den Menschen des Nordens und den Elfen waren da Orks sowie Zwerge, Wüstenmenschen, die man an ihrer dunklen Haut erkannte, Goblins, die man häufig in den Wirtshäusern der Stadt antraf, und Salinas, deren Heimat die Wälder von Garath waren. Garath. Der Gedanke an die Ebenen und das weite Land schmerzte. Nie wieder war Marlin dort gewesen, nachdem der Drache Daran getötet war. Und nie war er auch nur in die Nähe eines kleineren Dorfes gekommen. Die Großstadt war nun sein Zuhause. Hier fühlte er sich irgendwie sicher. 
In Gedanken versunken ging er die Straße entlang und sah nicht den Mann, der genauso träumend seinen Weg kreuzte. Er rempelte ihn aus Versehen an.
"Oh, Verzeihung." Der Mann blickte ihn müde lächelnd an. 
"Schon gut."
Es war nichts schlimmes passiert und beide gingen weiter ihrer Wege. Doch Moment. Marlin drehte sich um. Der Elf, der ihn angerempelt hatte, war schon in der Menge verschwunden. Dieser Blick, den der hatte. Erst schien es wie der Blick eines Menschen, der nicht ausgeschlafen war und versuchte, ein freundliches Lächeln auf die Lippen zu bringen, um seine miese Laune zu unterdrücken. Doch in den Augen hatte Marlin mehr gesehen. Das war ihm nur zu spät klar geworden. Der Kerl machte ihm Angst. Nein. Es war keine Angst, aber ein komisches Gefühl, wie eine böse Vorahnung. Naja, dachte Marlin und ging seinen Weg weiter die Straße entlang. Er bemerkte nicht die dunkle Gestalt, die etwa hundert Meter hinter ihm stehengeblieben war und ihm nachblickte, während die Leute geschäftig hin und her liefen und dem Alltag freien Lauf ließen.

Der Tag verging normal. Wie jeder andere auch. Und wie so oft, saß Marlin abends mit einem Bier in dem Gasthof gegenüber seines Hauses. Ein eigenes Haus war es nicht gerade, in dem er wohnte. Es war ein großes Gebäude mit mehreren Etagen, die man über breite Treppen erreichte, welche auf der Vorderseite des Hauses erst auf eine kleine Terrasse in Höhe des ersten Stocks führten und von da aus auf eine weitere im zweiten Stock. Die Terrassen waren mit großen Steinplatten ausgelegt, in deren Ritzen Unkraut nach oben wuchs. Ansonsten war es eigentlich pflanzenleer, bis auf ein paar Fenster, vor denen Kästen mit blütenlosen oder weiß blühenden Blumen hingen. In den drei Etagen waren sechs Wohnungen eingerichtet. Marlin hatte eine im ersten Stock, die er recht billig kriegen konnte. Als er hier her kam hatte er kaum Geld. Deshalb spielte der Preis damals eine große Rolle. Doch mittlerweile hatte er genug verdient, um sich um so etwas keine Sorgen machen zu müssen. Den Gasthof hatte er schon früh entdeckt, aber er ging nicht hin, weil er sich noch zu fremd fühlte in einer Großstadt wie dieser. Irgendwann hatte ihn dann mal sein neuer Nachbar Radin eingeladen. Der Goblin war ein alt eingesessener Säufer, aber alles in allem ganz nett und, wie es für die Goblins üblich war, nicht besonders intelligent. Aber man konnte gut mit ihm reden. Er war halt ein Kumpel. Auch diesen Abend saß er wieder  neben Marlin an der Bar und philosophierte über Frauen und die Politik. Er mochte den König nicht besonders und schon gar nicht seine Art zu regieren. Den alten König fand er besser, weil der keine Steuern auf Bier und Wein verlangt hatte. Das hatte der neue König auch nicht, aber es galt trotzdem als Hauptargument.
"So wie der Kerl aussieht, trau ich dem alles zu", pflegte er jedesmal zu sagen, wenn man ihn darauf aufmerksam machte. "Der würde sogar Scheiße versteuern wenn er könnte, glaubt mir." 
Radin hatte schon viel getrunken und der Höhepunkt seiner Rede war gekommen.
"Ich sag es dir, mein Freund. Ganz ehrlich. Die Typen, die unser Land regieren, werden noch unser aller Tod sein." Eine kleine Pause setzte ein. Der Goblin blickte auf sein Glas und schwankte langsam auf dem Hocker hin und her. Dann blickte er auf und zeigte mit dem Finger auf den Barmann.
"Meister, noch ein Bier." Das Bier war nicht mehr nötig, denn in dem selben Moment knallte Radins Kopf auf das Holz der Bar und er war weggetreten. Marlin kannte das schon. An solchen Abenden brachte er Radin in seine Wohnung. Die Tür des Goblins war fast nie verschlossen. So konnte er hinein gehen und ihn einfach in den Flur legen. Danach ging er selbst nach Hause und legte sich hin.
 

- 4 -
Böses Erwachen

Am nächsten Tag wachte er auf. Irgendwas stimmte nicht. Der Traum... er war ausgeblieben. Zum ersten mal seit zwei Jahren. Marlin richtete sich auf. Er blickte aus dem Fenster und sah die Sonnenstrahlen, die ins Zimmer fielen. Wie spät mochte es wohl sein. Wahrscheinlich schon Mittag. Er stieg auf und ging vor die Tür. Er mußte unbedingt noch was zu essen vom Markt hohlen, aber jetzt, wo es schon so spät war, würde der Markt sicherlich überfüllt sein mit Leuten, die noch irgendwas brauchten, was sie am Morgen versäumt hatten zu kaufen. Aber als er auf die Straße kam, war sie leer. Niemand war dort. Marlin ging die Straße entlang und plötzlich zog ihn etwas zurück in eine kleine dunkle Gasse und jemand hielt ihm die Hand vor den Mund. Er wollte sich wehren, doch plötzlich bemerkte er einen Trupp von Soldaten, der die Straße entlang marschierte. Sie waren schwer bewaffnet und gut gepanzert. Sie trugen große runde Schilde aus Stahl, deren gut polierte Oberflächen in der Sonne glänzten, und Langschwerter, die das Wappen von Utala auf den goldenen Griffen hatten. Die Stadtgarde.
Die Soldaten liefen vorbei. Der Kerl, der ihn festgehalten hatte lockerte seinen Griff und Marlin machte einen Schritt nach vorne. Als er sich umdrehte saß da Radin hinter ihm auf dem Boden. Er sah besorgt aus. 
"Was ist hier los? Warum ist niemand auf der Straße und weshalb rennen die Soldaten hier durch die Stadt?"
"Die suchen dich", antwortete Radin. "Ich weiß nicht genau weshalb, aber irgend ein Elf, der da oben was zu sagen hat, läßt nach dir suchen."
Ein Elf? Marlin schreckte zurück. Doch nicht der von gestern morgen. Ich wußte, da stimmt was nicht.
"Pass auf", unterbrach Radin seine Gedankengänge, "du musst unbedingt von hier weg. Es fliegen zwar keine Luftschiffe mehr aus der Stadt, aber ich habe unten am Hafen einen Gleiter. Den kannst du nehmen, wenn du keinen anderen Weg weißt."
Marlin sah den Goblin verwundert an. Dann nickte er zustimmend. 
"O.K. Sag mir, wo der Gleiter steht. Dann bin ich weg."

Radin ging durch die Straßen. Er mußte aufpassen, dass die Wachen ihn nicht fanden. Sie suchten zwar nicht ihn, aber es war jedem verboten, sich draußen aufzuhalten. Die Sperre war noch längst nicht vorüber. Als er zurück zum Haus kam liefen Soldaten aus der Wohnung seines Nachbarn. Radin blieb stehen. Er versteckte sich hinter einer Ecke und beobachtete, was dort vor sich ging. Die Soldaten hatten die Wohnung ausgeräumt. Es war gut, dass Marlin gerade jetzt wahrscheinlich über das Meer flog und auf und davon war. Was wollten diese Kerle von ihm? Er war doch immer gesetzestreu gewesen. Oder führte er ein Doppelleben, von dem. Radin nichts wußte? Der Goblin erschrak bei dem Gedanken. Er hätte einem Verbrecher zur Flucht verholfen. Kopfschüttelnd verwarf er den Gedanken. Er blickte sich um. Es wäre besser, er würde eine Weile zu seinem Bruder gehen. Zumindest bis die Sperre vorbei war.

Es war Abend geworden. Die Sonne schob sich hinter den Horizont. In den letzten Strahlen betrachtete Marlin die hocherhobene Stadt, aus der er gezwungen war zu fliehen. Stolz und Prächtig lag sie auf den riesigen Pfeilern, die aus dem Berg herausragten. Von hier unten sah man kaum etwas. Nur die hohen Türme der Festungen und Schlösser. Unerreichbar wirkten sie nun.
Die Flucht ging nicht sehr weit. Marlin war nur bis zum Fuß des Berges hinuntergeflogen und saß neben der Maschine, die ihm die Flucht ermöglicht hatte. Er würde weiter wegfliegen, aber erst nach Sonnenuntergang. Im Licht der Sonne könnte man ihn bemerken und ihm folgen. Hier, im Schatten der Stadt, war er einigermaßen sicher. Die Flucht übers Meer, wie Radin es vorgeschlagen hatte, hatte er auch gestrichen. Marlin würde nach Westen fliegen. Dort waren die großen Wälder von Nerihn. Der sicherste Ort, den er sich vorstellen konnte. Er machte sich Gedanken über den Grund, warum man ihn jagte. Dabei kam er immer wieder auf den Elf vom Marktplatz zurück. Er war es, der ihn jagen ließ. Aber warum. Plötzlich traf es ihn wie ein Blitz. Er schreckte auf. Der Gedanke, den er hatte, ließ ihn fast aufschreien. Der Elf. Er kannte ihn. Schon seit zwei Jahren. Er war die düstere Gestalt, die Marlin jede Nacht tötete. Der Kerl aus seinen Träumen. Verdammt, dachte er. Der Elf war die Antwort. Er mußte zurück in die Stadt, doch was würde ihn da oben erwarten? Die Idee war schwachsinnig. Man würde ihn da oben töten. Was hatte er dem Elf angetan? Teilte der Elf etwa den Traum mit ihm? Hatte er ihn am Markt sofort erkannt und ließ nun nach ihm suchen? Radin hatte gesagt, er hätte viel Einfluß in der Stadt. Er hatte also die Mittel. Aber wieso er? Damals im Dorf war kein Elf. Es waren nur Menschen dort gewesen. Die Reihe der Gedankengänge in Marlins Kopf ließ sich ewig fortsetzen. Doch dann blickte er auf. Die Sonne war verschwunden, die Nacht hatte begonnen. Er setzte sich in den Gleiter und startete den Motor. Die Kristalle leuchteten auf. Die Maschine summte und hob sich einige Meter in die Luft. Die großen Schwingen breiteten sich aus.
Das Gefährt schoß durch die Luft. Die Geschwindigkeit war bemerkenswert. Es war eh eine gute Maschine. Man hatte sie umgebaut. Stärkere Kristalle, vielleicht aus einem Schlachtschiff ausmontiert. Breitere Flügel. Es war ein wahnsinniges Gefühl sie zu fliegen. Aber dieses Gefühl entging Marlin. Er war zu sehr in Gedanken versunken. Der Elf. Sein Gesicht ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er mußte zu ihm. Er mußte wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Vielleicht, mußte er ihn töten.

Die Drachen waren viele. Sie kamen schnell und unerwartet. In Scharen überflogen sie die Stadt. Spuckten Feuer, schlugen mit ihren mächtigen Klauen Dächer ein, holten die Menschen heraus und warfen sie auf die Straße. Schreie. Die Leute liefen umher. Und zwischen Türmen von Flammen, die vom Wind aufgepeitscht wurden und wild durcheinander schlugen, stand er. Der Elf. Er drehte sich um. Sein Gesicht war schön, wie das aller Elfen, doch erfüllt von Haß. Es war das Gesicht aus Marlins Alpträumen. Das, das ihn jedes mal angrinste, bevor es ihn tötete. Ein dumpfer Schrei. Er war aufgewacht. Marlins Traum war wieder da. Doch es war als hätte er den Platz gewechselt. Ein Glück. Träume waren nicht real. Die Stadt überlebte. Dachte er... Marlin kletterte hoch auf einen Hügel. Ein komisches Gefühl trieb ihn dazu. Von hier aus konnte er den ganzen Wald überblicken. Und er konnte auch die Stadt Utala sehen. Es war kein Traum. Es war eine Vision. Die Stadt schien zu brennen. Nein. Sie brannte wirklich. Die ganze Insel brannte. Die Berge, die Stadt, die Wälder. Alles.
 

- 5 -
Rückkehr ins Grauen

Es hielt ihn nichts mehr. Der Gleiter war schnell gestartet. Die Kristalle blitzten auf. Die Turbinen drehten durch. Der Wind pfiff unter den Schwingen. Schneller, dachte Marlin. Er näherte sich der Stadt, stieg höher und tauchte in den Rauch ein, der die Stadt umgab. Als er über die Stadt flog, bot sich ihm ein Bild des Schreckens. Einer der Pfeiler, auf denen die Stadt lag, war durchgebrochen. Ein ganzes Stadtviertel war in den Abgrund gestürzt. Der Rest der Stadt stand in Flammen. Es trieb Marlin fast die Tränen in die Augen. Doch dafür war er zu wütend. Er bebte vor Haß und Wut. Plötzlich waren sie da. Drachen. Sie tauchten aus dem Schatten auf und stürzten auf Marlin zu. Er ließ die Maschine nach unten fallen. Ein Sturzflug. Dann riß er sie hoch, kurz vor dem drohenden Aufprall in den Straßen. Die Drachen folgten ihm. Flammen schossen über Marlins Kopf hinweg und zwangen ihn zur Notlandung. Die Maschine setzte mit einem lauten Knall auf. Der Rumpf zersplitterte. Marlin wurde aus dem Sitz geschleudert. Er fiel auf die Straße. Um ihn herum nur Flammen. Die Drachen landeten, kamen auf ihn zu. Marlin nahm ein Schwert, das in der Nähe lag. Die Drachen waren riesig. Er hatte keine Chance. Es waren mindestens 30. Dann waren noch welche in der Luft. Was wollten die alle hier? Der erste hatte Marlin erreicht. Er riß das Maul auf und schnappte zu. Marlin sprang zurück. Er ließ die Klinge nach vorn schnellen und traf die Zunge des Drachen, der sofort zurück sprang. Die anderen waren da. Sie standen um ihn herum. Weitere Drachen landeten und schlossen den Kreis um Marlin herum. Keine Hoffnung mehr. Nie würde er sich von Drachen töten lassen. Das Schwert schleuderte um die Finger und dann drückte Marlin den Griff vom Körper weg. Das Schwert war auf seine Brust gerichtet. Niemals lasse ich mich von euch töten. Er war kurz davor seinem eigenem Leben ein Ende zu bereiten, da wichen die Drachen zurück. Langsam. Den Kämpfenden in ihrer Mitte nie aus den Augen lassend. Marlin ließ das Schwert sinken. Was war passiert? Er drehte sich um. Das Gesicht, in das er blickte, war bekannt. Das Schwert war wieder oben. Aber diesmal nicht auf sich gerichtet. Der Elf kam auf ihn zu. Er lächelte freundlich. Da stand er nun. Der, auf den sich Marlins Haß konzentrierte. Es war Zeit, ihn zu töten.
 
© V.Geist
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