Auch der Mundschenk versuchte verbissen zu lächeln, doch die
innere Unruhe und Wut verzerrte seine Züge zu einer Grimasse. Er konnte
es nicht fassen, jemand hatte es geschafft, seinen Geist zu übertreffen
und seine Fallen zu umgehen, so einen Geist hatte er noch nie zu spüren
bekommen.
Plötzlich drehte sich der Schwarze kurz vor der Tür noch
einmal um und sah dem Wirt direkt ins Gesicht, wobei seine Hand unmerklich
in den Taschen kramte. "Danke für Eure Großzügigkeit mir
gegenüber. Schade, dass sich unser Gespräch so schnell in einen
Wettkampf verwandelt hat. Nun, Ihr werdet Eure Gründe haben, aber
bevor Ihr handelt, solltet Ihr erst herausfinden, mit wem Ihr es zu tun
habt. Meinen Namen? Nein, das meinte ich nicht." Er hatte eine kleinen
Goldmünze aus seiner Manteltasche gekramt und spielte damit. Auf einmal
machte er ein paar große Schritte nach vorn, auf den Wirt und die
Theke zu.
Entgeistert wich dieser zurück, hob die Hände schützend
in die Höhe, während die Zuschauer des Schauspiels staunten und
in ihrem Tun inne hielten, den schnellen Mann beäugten.
Dieser stand jetzt direkt vor dem Thekentisch und setzte mit einem
harten Geräusch die Münze drauf ab und ließ sie auf der
Stelle tanzen, sich drehen, sodass der Spiegel der Öllampenlichter
im Raum sich auf der Oberfläche brachen.
Die Münze kreiselte jetzt schemenhaft und atemlose Stille herrschte
im Gastzimmer, der Wirt sah Warrket in die schattigen Augen, die er nur
erahnen konnte.
"Ahntet Ihr, dass Ihr es mit einem Hexer zu tun habt?", fragte dieser
spitz, so leise und ruhig, dass nur der Wirt es im Klang der sich drehenden
Münze vernehmen konnte und mit hochgezogenen, blonden Brauen.
"Es scheint doch nicht nur so, dass Ihr einen Fehler begangen habt,
als Ihr mir über Euer Leben berichtetet... Passt auf, dass nur die
richtigen Ohren den Klang der Magie in Eurer Stimme erkennen, denn sonst
wird es Euch ins Verderben stürzen!" Und damit presste er die flache
Hand auf die Münze, sodass ihre Drehungen stoppten und sie flach auf
die Tischplatte gedrückt wurde. Jetzt herrschte wahrlich keine Regung
im Raum oder in der Luft, keine Schallwellen trafen Trommelfelle.
Thronn nickte stumm und ging dann, einen bleibenden Eindruck hinterlassend,
aus dem Gasthaus, hörte, wie die Tür wieder fest hinter ihm verschlossen
wurde. Nach einem kurzen Zögern wandte er sich dem Geräteschuppen
neben dem Haus zu, dann schickte er seine Gucker nach oben, um den Schneefall
richtig einzuschätzen. Er kam zu dem Schluss, dass seine Spuren nach
etwa einer halben Stunde nicht mehr zu erkennen sein würden, da die
Flocken dick und dicht fielen. Wie ein weißer Teppich hatte sich
der Schnee in einer weiten Ebene vor ihm ausgebreitet und nachdem er sich
ein weiteres Mal prüfend umgesehen hatte, verschwand er im Schutze
der Dunkelheit, die im Schuppen herrschte, verzog sich in dessen hinterste
Ecke und nahm dann auf einem Strohsack platz und hüllte sich mit dem
Mantel noch etwas enger ein. Von hier aus konnte er den ganzen Marktplatz
überschauen und würde jede Gestalt genauestens erkennen, die
aus der Gaststube und raus ins Licht der zahlreichen, aber oft erloschenen
Straßenlaternen trat. Er hatte dem Wirt nicht ganz geglaubt und wollte
jetzt lieber abwarten, wer sich nur auf ein paar Bier scharf in diesem
Gasthaus befand. Kalt war ihm nicht, denn er konnte Kälte einfach
aus seinen Empfindungen ausschließen, sie verschwinden lassen und
sich in mollig warme Stille hüllen. Bedächtig schloss er die
Augen, um ein wenig zu ruhen. Er würde es hören, wenn ein Lebewesen
jeglicher Art durch den Schnee stapfen würde und durch seine gute
Lage konnte er sie, aber sie nicht ihn sehen. Sein Atem wurde langsamer
und fließender, war nur noch eine Bewegung seiner Nasenflügel
und er schien plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, meditierte,
um seine Kräfte zu sparen.
Nein, Goran schüttelte wieder den Kopf, es gab keine Geister,
die ihm solche Worte zuflüstern konnten! Oder doch? Das unbehagliche
Gefühl weitete sich, dehnte sich nach allen Richtungen aus, bis er
vor Kälte und Kraftlosigkeit fast zersprungen wäre. Mit einem
harten Ruck befahl er seinen Körper in sein Schlafzimmer, tastete
schwankend und unheilahnend nach dem Streichholzhälftchen und der
Kerze, welche immer neben der Tür in seinem Zimmer standen. Erleichtert
fand und griff er es. Mit einem Ratsch hatte er es entzündet und brannte
schließlich, wenn auch mit zittrigen Fingern, den Kerzendocht an.
Die Flamme loderte hell, schien wie ein verirrtes Licht in der großen
Dunkelheit der Welt. Jetzt sah er, vom schwachen Kerzenschein erhellt,
das Innere seines Raumes, betrachtete die Einrichtung. Das Bett stand links
an Wand, alt und klobig, doch verlieh es dem Wohnraum einen Tick Größe.
Ein passendes Tischchen stand daneben, darauf eine Öllampe aus Messing.
Ganz weit im Zimmer - es war fensterlos - befand sich neben einem saphirblauen
Wandbehang ein Spiegel aus Kristallglas. Er hatte einen stark verzierten
Rand aus Silber, welcher sich in langen, korallenähnlichen Fortsätzen
ein paar Zoll weit ausbreitete. Mit Hilfe der Kerze zündete Ascan
schließlich die Öllampe an und nun ergoss sich das Licht durch
den ganzen Raum, ließ aber trotzdem flackernd einige Ecken unberührt
von der Helligkeit.
"Gute Nacht, Milliana... Das hoffe ich jedenfalls..." Die letzten
Worte seines Nachtgrußes hatte er nur leise zu sich selbst gesprochen
und so erntete er nur ein schwungvolles: "Gute Nacht!" bis es dann schließlich
erebbte und er die Tür schloss.
Er schämte sich leicht und war traurig, dass seine Schwester
immer noch nicht das komische in seiner Stimme erkannt hatte. Konnte oder
wollte sie es nicht verstehen? Diese Frage blieb offen und er hatte auch
dann noch nicht die Antwort herausgefunden, als er sich noch einmal vor
dem Spiegel betrachtete, wollte sehen, zu was er es in diesen mehr als
achtzig Jahren gebracht hatte. Die Furcht hatte sich etwas gelindert, als
er spürte, dass seine Tür fest verschlossen war und keiner dieser
dunklen Männer unbemerkt und ohne, dass er die Türklinke vernehmen
würde, in sein Schlafgemach eindringen konnte. Da musste er an seine
Schwester, Milliana, denken. Was wäre, wenn die Schattenwesen sie
in ihre Klauen bekommen würden, sollten sie wirklich existieren? Der
eisige Hauch des nahen Todes begann sich wieder über ihn zu legen,
versuchte ihn einzuschließen und festzuhalten, zwang ihn plötzlich
wie gebannt auf die Oberfläche seines Spiegels zu blicken. Nicht etwa
auf sein Spiegelbild, sondern direkt auf das Kristallglas des Spiegels.
Ein Schauder zog sich von seinen Fersen an bis in seinen Nacken hinauf
und der Angstschweiß rann ihm über Gesicht und Brust. Warum
hatte er überhaupt Angst? In seinem Zimmer gab es keine Regung, nicht
die geringste, und trotzdem erschauderte er. Erst jetzt wurde ihm bewusst,
dass ihm der Spiegel diese Angst einjagte. Verzweifelt versuchte er den
Sog, den das Kristall auf ihn ausübte, niederzukämpfen, doch
egal wie stark er sich mit dem Spiegel stritt, dieser blieb der Sieger.
Jetzt schien er wie in einen Traum zu fallen, sah Schnee, eine einsame
Insel, mitten im Eismeer, winzig und mit nur einem Hügel, überzogen
mit Schnee und Spitzhängen aus Gletschereis. Mitten in diesem Schneetreiben
stand eine Frau, sie war jung und schön, wurde nur von einem schwarzen
Gewand aus zerfetzten und durchlöcherten Leinen bekleidet. Blitzartig
schien er auf die Insel und auf die Frau, die in schrägem Kontrast
zu den weißen Hügeln stand, zuzurasen, nein, sie kam ihm entgegen
und jetzt erkannte er auch, dass es sich im Spiegel abspielte und gar kein
Traum war. Der Bann, in den ihn der Spiegel geschlagen hatte, war hart
und zwingend und so sehr er es auch wollte, konnte er sich dem Kristall
nicht abwenden. In seinen Knochen plagte ihn der Schmerz, sie waren nicht
mehr länger fähig ihn zu halten, doch irgendwie schaffte er es
über diese inneren Wunden hinwegzusehen und ganz mit der Seele des
Spiegels zu verschmelzen.
Die Frau lockte ihn und plötzlich begann sie mit sanfter, aber
dennoch eisiger Stimme zu flüstern: "Du weißt, dein Tod ist
nah. Siehst du ihn? Hast du ihn vernommen? Spürst du den Klang der
Glocken, die an deinem Todestag läuten, schwarz und durchdringend,
wie das Klirren von Eiswürfeln gegen ein Glas? Ja, ich bin dein Ende.
Oder auch nicht, es liegt ganz bei dir. Man nennt mich Melwiora Riagoth,
was Eisfrau bedeutet. Kennst du mich?" Das Mädchen, das er mitten
in der Schneelandschaft völlig nackt, nur mit einem Stofffetzen bekleidet
gesehen hatte, hatte nicht den Mund beweget, denn die Worte entstanden
wie durch ein Wunder in seinem Kopf. Verführerisch hob sie den Arm,
lächelte und winkte ihn mit den Fingern zu sich. Ihre Augen waren
meergrün und strahlten eine selbstsichere Überlegenheit aus,
ihre Haare lang und pechschwarz. "Es ist lange her, dass mich dein Vater
gesehen hat." Fast unmerklich hatte sie wieder zu sprechen begonnen, umklammerte
ihn von neuem mit ihren bittersüßen Worten. "Ah... Du willst
mich? Du wirst mich bekommen, wie dein Vater mich bekommen hat... auf dem
Totenbette noch habe ich ihn verführt... Er war mir gehörig.
Doch dafür hatte ich auch etwas von ihm bekommen, etwas, für
das ich, wenn du es mir geben würdest, auch sehr dankbar währe."
Gerade wollte Goran sich ihr hingeben, da stoppte sie plötzlich
und ließ ihre Hand sinken, einzig und allein streifte sie ihr dünnes
Gewand ab. Die Schleier fielen und Ascan betrachtete das Vollkommene...
Er ächzte leise und sie lachte selbstsicher.
"Na komm, du willst es doch auch. Dein Vater ist an allem Schuld!"
Diese Gefühlsregung kam so plötzlich, dass Goran mit einem Schock
zurückgestoßen wurde, ihre Stimme war erfüllt von Hass
und die Frau im Spiegel wies ihn plötzlich strikt ab. "Der Zauber
des Bösen hat mich geschaffen... Versprich mir, dass du ihm untertänig
sein wirst und du erhellst Leben... Du wirst wieder jung sein..."
Nichts wollte er mehr als das und so ließ er es geschehen,
unterwarf sich ihr. Seine dürre Gestalt sank zu Boden, auf der Kristalloberfläche
des Spiegels schienen sich kleine Wellen zu ziehen. Er konnte es nicht
glauben, dass er ihr nicht stand gehalten hatte. Verbittert biss er die
Zähne zusammen und ballte die runzelige Hand zur Faust. Woher kannte
sie seinen Vater?
"Soll ich dir ein Geheimnis verraten?" Die Stimme war plötzlich
nah, nicht mehr fern, sondern in diesem Raum. Melwiora Riagoth zog gerade
ihren Fuß aus der welligen Oberfläche des Spiegels.
Sie war zu ihm gekommen, das war das einzige, was in seinen Gedanken
noch existierte, sie hatte sich zu ihm gesellt!
"Milliana", begann sie es ihm zu erklären, "ist nicht deine
Schwester. Du hattest nie eine..."
Schon schienen sie beide sich zu vereinen. Sie war völlig nackt
und als die Verschmelzung der Körper vollendet war, erschallte ein
heller Schrei das Haus, gellend und herzzerreißend, ein Todesschrei...
Die schwarzen Männer gingen, wie sie gekommen waren, durch
die Schatten, schlichen sich durch die Schatten der schneebedeckten Straßen
und ihr furchteinflößendes Kreischen durchdrang noch lange die
eisige Nacht.
In dieser Nacht hatte Goran Ascan einen Pakt mit Melwiora Riagoth
geschlossen, einen Pakt, der mit Blut besiegelt war, mit dem Blut seiner
ehemaligen Schwester. Er hatte der Versuchung einfach nicht standhalten
können.
Keiner der Bewohner hatte die Schreie der dunklen Wesen gehört,
außer einem einzigen, und dieser hatte schon die ganze Zeit auf ein
Zeichen oder etwas Ähnlichem gewartet...
Der Raum war durchzogen von einem beißenden Gestank, überall
lagen Körper bis zur Unkenntlichkeit geschändet am Boden, blutgetränkt
waren die Dielen. Das Gasthaus war völlig verwüstet, Tische umgestoßen,
Stühle zerschmettert. Die Flaschen im Regal hinter der Theke waren
allesamt zerbrochen und hier und da in den steinernen Wänden zeigten
sich Löcher, dort, wo die Felsquader herausgebrochen waren. Licht
drang gleißend durch die Lücken, ließ helle Flecken auf
den Boden fallen, beschien Fliegen, die sich surrend über das tote
Fleisch hermachten. Entsetzt und volle Abscheu presste Hauptmann Milchemia
ein Tuch vor Mund und Nase, versuchte ruhig zu atmen, doch der Anblick
der Toten ließ seinen Puls schneller schlagen. "Oh, mein Gott!" japste
er und war kurz davor sich zu übergeben. "Wer... Wer ist nur zu so
etwas fähig?" Er presste sich die Hand krampfhaft auf den Bauch, seine
Augen flimmerten und der faulige Gestank schien von Mal zu Mal schlimmer
zu werden. "General!" Er rief es den Kopf leicht zur Seite geneigt, sodass
er das Gemetzelte nicht mehr ansehen musste, lehnte sich erschöpft
gegen den Türrahmen. Sein Plattenpanzer klirrte, als er in die Hocke
ging. "General!", rief er wieder und diesmal vernahm er Schritte, die über
den Hof kamen und auf dem Pflaster hallten. Es war General Arth Patrinell,
der ebenfalls für die Sicherheit der Feste verantwortlich war.
"Hauptmann", begrüßte er ihn, "was ist hier vorgefallen?"
Er besah sich kurz den Gastraum und unterdrückte ein angewidertes
Kopfschütteln.
"Keine Ahnung... Ich war gerade auf meiner morgendlichen Streife,
da... Ich fand alles so vor." Er ließ den Kopf wieder hängen
und sah bestürzt und unschlüssig auf seine Füße, wusste
nicht, was er noch sagen sollte.
"Hat irgendjemand etwas genaueres gesehen?", erkundigte sich Patrinell
und schickte seine Blicke einmal über den Hof. "Der Morgen bringt
oft schlimme Sachen mit sich, die in der Nacht verborgen sind!" Er hatte
die Augen eng zusammengekniffen und schützte sie vor der Sonne, die
nun hell und rund am Vormittaghimmel stand und die dunstigen Wolkenschichten
am Horizont schon lange durchbrochen hatte. Schnell richtete er das Wort
wieder an Milchemia: "Und es hat wirklich niemand etwas gesehen?" Seine
langen Haare flatterten im Wind.
"Glaube nicht, aber wir wissen nicht, ob nicht schon jemand vor
uns hier war! Dieser Jemand müsste dann umgehend gefunden werden.",
antwortete er und richtete seinen Blick wieder auf Arth, der die Hände
in die Hüften gelegt hatte und mit dem Rücken zu ihm stand. "Oder
gedenken sie etwas anderes zu unternehmen, General?"
Lächelnd wandte er sich zu ihm um. "Sie begreifen schnell,
Hauptmann. Bevor wir die anderen Leute befragen, werden wir uns drinnen
mal genauer umsehen, schließlich wollen wir ja noch heute herausfinden,
wer der Täter war!" Er nickte bekräftigend und als Milchemia
immer noch nicht Anstalten machte aufzustehen, sagte er: "Ich überlasse
ihnen den Vortritt, Hauptmann." Entgeistert sah der ihn an, seufzte und
begann seine Arbeit als Hauptmann zu erledigen, wobei er sich immer wieder
selbst im Geiste schlug, dass er nicht einem einfachen Gefreiten diese
Aufgabe auferlegen konnte.
Gerade wollte Patrinell sich auf ihn zu begeben und ihm helfen,
natürlich langsam und mit gemächlichen Schritten, als ihm jemand
etwas zurief: "General Patrinell, der König wünscht sie zu sprechen!"
Mist, dachte Arth, schon wieder versauen mir ein paar komische Geschehnisse
den Tag! Wiederstrebend ging er durch den Schnee, verließ das Gasthaus
'Zum düsteren Ochsen' und bewegte sich auf die Trisholer Burg zu.
König Meridian saß gebückt über seinen Notizen
und den Landkarten von ganz Rohan. Sichtlich bedrückte ihn irgendetwas,
doch keiner traute sich ihn ansprechen, alle hatten Angst mit einer kurzen
Geste verweißt zu werden oder ihren Job zu verlieren, schließlich
war es strengstens verboten, den König bei seiner Arbeit zu stören.
Nicht umsonst hatte ihr Herrscher ein neues Gesetz deshalb niederschreiben
lassen. Nur einer durfte stetig bei ihm sein, General Arth Patrinell. Der
hünenhafte Talbewohner war extra von Rovanion nach Trishol eingeschifft
worden, um dem König in der Kriegsführung zu dienen, dennoch
wies ihr Land oder irgend ein anderes Vorbereitungen für einen Krieg
auf und so war es sehr rätselhaft, was Meridian den ganzen Tag mit
ihm besprach. Keiner konnte direkt sagen, was sie besprachen, denn sobald
der General in den Thronsaal kam, wurden sofort alle anderen Untertanen
außer Hörweite geschickt und dies wohl auf Anweisung Arth’s,
wie die meisten glaubten und ihn dafür hassten. Patrinell war groß,
schlank, trug blutrote, abgerissene Kleider, einen ledernen Gürtel
um den Bauch, in welchem ein blitzender Säbel steckte, hatte sich
leichte Stiefel aus Leder und eisenbesetzte Handschuhe angezogen. Sein
Haar war dunkel, hing ihm lang vom Kopf, sein Gesicht war ausgemergelt
und von Wind und Wetter gegerbt, Narben zierten seinen muskulösen
Körper und in seinen Augen lag Kraft und Wissen, die Ausdauer spürte
man bereits in seinem Auftreten.
Als der König die dunklen Linien auf der Karte mit den Augen
verfolgte, hing ihm eine lange, graue Haarsträhne ins Gesicht, die
er beiläufig wegfegte. Er wusste, dass er alt war, bald sterben würde,
dann seine Söhne die Herrschaft über das Reich bekamen und deshalb
wollte er lieber vorsorgen, indem er alle möglichen Sicherheitsvorrichtungen
zusammen mit dem Talbewohner aufstellte und eingehend besprach. Während
er überlegte, huschten ab und zu seine Gedanken zu Bengor, Riagor
und Rune, seinen Söhnen, jetzt als Heerführer im westlichen Hochland
an den Passtoren kämpften. Er verschwendete keine Sekunde daran zu
glauben, dass sie es nicht schaffen würden. Denn immerhin besaß
das Hochland eine äußerst fähige, starke Kavallerie, die
es mit beinahe jedem Gegner aufnehmen konnte, dazu noch mehrere hundert
Fußsoldaten, die alle schwer bewaffnet waren. Außerdem hatten
sie den Vorteil der Landeskenntnis und des Walles auf ihrer Seite. Jeder
war mit Speer, Schwert und Schild bewaffnet, dreihundert Bogenschützen
würden reichen, um dem Gegner zu trotzden. Im Grunde waren es doch
bloß Tiere, die plötzlich verrückt spielten. Und was war
so schwer daran, ein Tier zu töten? Es war leichter, als einen andere
Menschen niederzumachen, besonders, wenn dieser Mensch aus den eigenen
Reihen stammte. Er hoffte, es würde nie irgendwelche Spitzel geben,
die sein Vertrauen erringen würden.
Der General lief aufgeregt um den Tisch herum, den einen Arm an
seinem Rücken angewinkelt, mit dem anderen wild gestikulierend, trug
dem König seine Ideen vor: "Eine Wehrmacht in unserem Land wäre
nur von Vorteil!"
Der alte Mann hinter dem Tisch horchte auf und hob seinen Blick
von dem vergilbten Kartenpapier. "Sicher, doch wo soll sie partroulieren?
Außerdem sind bereits genug Krieger vorhanden. Das Hochland besitzt
eine dreitausend Mann starke Miliz!"
Arth grinste verschmitzt und hinterhältig und schüttelte
dann den Kopf. "Diese befinden sich aber alle an den Passtoren. Außerdem...
Ich dachte eher an..." Er suchte nach dem richtigen Wort. "...eine gelegentliche
Wehrmacht, die nur zum Einsatz kommt, wenn etwas passiert. Ein Bündnis
aus Bauern und Rittern. Söldner. Sie haben lange Zeit zum trainieren,
dass heißt: so lange, bis der Feind kommt und dann kämpfen sie!
Natürlich haben sie zwischendrin auch Zeit für ihre Felder, sie
müssen ja nicht ewig trainieren. Nennt es Freitruppe, mein Herr! Sie
hat keine direkte Partroulierbahn!"
"Aber wo sollen wir... Wir werden keine Leute auftreiben können,
die sich freiwillig in den Tod stürzen!" Der Ausdruck in des Königs
Gesicht war verwittert und schwach, müde des ewigen Kampfes. Plötzlich
kam er zu einem ganz anderen Thema: "Glaubt Ihr, dass meine Söhne
unter meiner ständigen Abwesenheit leiden? Ich meine, ich habe mich
jetzt schon seit Tagen nicht mehr sehen lassen. Und in der Schlacht an
vorderster Stelle bin ich auch nicht..."
"Sie werden es verstehen, glaube ich.", versuchte Arth ihn aufzuheitern.
"Aber..." Ihm war gerade wieder etwas eingefallen. "Es gibt etwas, was
ich Euch sagen möchte, Hoheit!"
Der König nickte verständnisvoll. "Was? Sprecht offen,
Ihr steht völlig unter meinem Schutz. Gibt es etwa eine Frau, die..."
"Es ist nichts dergleichen, Majestät." Lächelte, klang
aber betrübt und so, als ob er ein größeres Geheimnis lüftete,
doch er wusste, dass es etwas ganz anderes war. "Heute Morgen entdeckte
ich zusammen mit Hauptmann Milchemia..." Seine Stimme brach und er setzte
neu an: "Das Gasthaus 'Zum düsteren Ochsen' ist verwüstet, als
hätte dort ein Blitz eingeschlagen und alles zu Nichte gemacht. Es...
Es gab Tote."
Der Blick des König verdüsterte sich. "Gibt es schon Hinweise,
wer es gewesen sein könnte? ...Mir scheint, ich hätte mich wohl
doch besser um Trishol kümmern sollen, als um die Verteidigung des
ganzen Hochlandes." Ja, er hätte bei seinen Söhnen bleiben sollen,
besonders Rune hätte er beistehen müssen. Der Junge war noch
so unerfahren und wollte ständig zeigen, dass er genau so stark war
wie seine Geschwister, aber das traf nicht zu. In Kämpfen flüchtete
er immer als erster, ganz anders als seine Vorfahren, die einst eine mächtige
Waffe gegen den Feind schwangen...
Mit einem abtuenden Wink beantwortete der General die Frage: "Hauptmann
Milchemia untersucht den Fall gerade genauer. Ein grässlicher Anblick,
diese Leichen." Er schwieg kurz, während er sann, meinte aber dann
doch: "Wir Talbewohner bei uns in Rovanion haben nicht nur Wachtürme
an den Stadtmauern, sondern auch in der Stadt. So können wir sehen,
was unsere Polizeistreifen übersehen. Und bei dem vielen Schnee ist
es sicher etwas leichter eine schwarze Gestalt von oben auf weißem
Grund zu sehen!"
"Aber umso kälter für die Leute im Turm.", murmelte der
König besonnen und hatte auch schon den Stadtplan von Trishol zum
Vorschein gebracht, um sich die Stadt und die besten Plätze für
einen Wachturm zu betrachten. "Außerdem ist uns das Bauholz in diesem
Jahre ausgegangen. Bei uns im Hochland gibt es nur sehr wenige Bäume..."
Mit angespannten Gesichtszügen überlegte er, während Patrinell
die Antwort auf seine Fragen schon parat hatte.
"Ich könnte mit einer Handvoll Männern nach Westen reisen
und in Rovanion nach Bauholz fragen. Sicher werde ich in einigen Wochen
wieder hier sein."
"Wochen?" Der König stutzte erschrocken. "In mehreren Wochen
wird sich dieser Mörder der ganzen Stadt entledigt haben! Zur Zeit
ist der Pass sowieso nicht passierbar und das Tiefland voll von diesem
Ungeziefer!" Er war sichtlich aufgebracht und seine Stimme hallte in dem
großen Saal.
Arth schüttelte den Kopf und beugte sich zu dem Alten hinunter,
in seinen Augen loderte kein Feuer wie sonst, sie waren gelassen, doch
seine Stimme durchdringend und sie ließ den König regelrecht
zurückschrecken: "Ein Dieb ermordet nicht die ganze Stadt!"
"Aber ihren König!", brachte Meridian in scharfem Tonfall hervor.
Er hatte das Kinn entschlossen emporgereckt und ihr gegenseitiges Vertrauen
war erloschen. "Geht jetzt, General, bevor ich es mir anders überlege
und Euch zum Offizier degradiere!"
Patrinell biss sich verzweifelt der Macht gegenüber auf die
Lippen, drehte sich mit einem harten Ruck herum, wobei er fast das Kartenpapier
vom Tisch gefegt hätte und verließ den Thronsaal. Mit einem
Knallen flogen hinter ihm die großen Flügeltüren zu. Er
war erbost, denn der König schimpfte ihn völlig zu Unrecht! Sein
Leben wurde bestens genug von den Soldaten und Rittern in der Burg bewacht,
warum wollte dieser eingebildete Kerl denn nicht, dass er die Stadt verließ?
Man könnte ihn selbst doch locker durch zwei einfache Wachen ersetzen!
Vor Wut schnaubend wie ein Schlachtross trampelte er die Treppe zur Empfangshalle
hinunter, wo ihn Grafen und Barone hochnäsig und entsetzt über
sein Benehmen ansahen. Aber es war ihm vollkommen egal. Er hasste diesen
ganzen Adel! Er würde jetzt in die Altstadt gehen und sich erst einmal
ein paar Biere reinkippen, bevor er überlegte, wo er eine Unterkunft
finden sollte. Jedenfalls würde er in den nächsten Tagen nicht
mehr zum König gehen!
Gestern konnte ich nicht herausfinden von wo dieser seltsame Schrei
kam, dachte Thronn, aber vielleicht kann ich es heute bei Licht besehen.
Der Schneefall hatte sehr stark nachgelassen und der Himmel war wieder
klar. Er stand in der Ruine eines alten Glockenturms und überlegte.
Dort wo früher immer die bronzene Glocke war, befand sich jetzt nichts
mehr, ein Haken an der Unterseite des grünspanigen Kuppeldachs allein
erinnerte an ihre Existenz vor mehr als hundert Jahren. Der Stein, aus
welchem der Turm gebaut war, war nur grob behauen und jetzt prangten große
Löcher in den Wänden. Das war sein Versteck, denn nur von hier
oben hatte er die Möglichkeit, ganz Trishol zu überblicken und
so wusste er auch, was in den Straßen so vor sich ging. Auch versuchte
er herauszufinden, wer den Mord an den Leuten im Gasthaus begangen hatte
und natürlich hatte er schon sein Vermutungen, Melwiora Riagoth zum
Beispiel ließ seit Tagen ihre Truppen und Spitzel durch die Lande
streifen, doch warum, hatte bis heute noch niemand verstanden. Deswegen
war er ja auch da, um ans Licht zu bringen, was die Zauberin aus dem Osten
dazu brachte ihre Dämonen über die Länder zu verteilen.
Der einzige wirkliche Anhaltspunkt, den er hatte, war der, dass sie nach
alten Menschen suchte, deren Träume und Wünsche im Leben nicht
in Erfüllung gegangen waren, Näheres musste er noch herausfinden,
doch er spürte, dass es etwas damit zu tun hatte.
In dem Moment wurde ihm eine Präsenz der Macht bewusst, die
sich unten über die Straße gelegt hatte. Neugierig blickt er
nach unten und entdeckte einen jungen Mann, der aufrecht durch die Reihen
von Bettlern und Arbeitslosen marschierte, er schien getrieben von irgendetwas
Unsichtbarem zu sein. Es war, als ob er sich immer wieder umdrehen wollte,
um zu sehen, ob jemand hinter ihm war, doch als er sich dann endlich überwinden
konnte, war niemand da, der ihn verfolgte.
Der Hexer erkannte, dass der Mann genau vor dem Angst hatte, was
er, der große, dunkle Riese, suchte. Sein Mantel flatterte elegant
im Wind, als er sich auf das brüchige Kirchendach schwang, dort ein
paar Meter über den Dachfirst lief, immer die Augen auf den Mann in
der Straße gerichtet.
Bald hatte er das Ende erreicht und kletterte von dem Schindeldach
herab zu einem der zahlreichen, wenn auch zum Teil beschädigten Wasserspeier
hinunter. Es waren Kreaturen mit spitzen Ohren und gewaltigen Flügeln,
Greife und Ungeheuer aus den alten Zeiten. Hinter einem dieser schattigen
Wesen ließ sich Warrket nieder, kniete sich hinter ihm hin und legte
die flache Hand auf den rauen, steinernen Kopf. Er war kalt, und Eis und
Schnee hatten ihm zugesetzt, doch der Druide wusste, dass dessen Seele
noch nicht ganz verloren war.
Plötzlich floss ein leichter Kraftstrom durch die Hand des
Großen in den Schädel des Flügelmonsters und der harte
Stein schien zu erweichen und von innen wärmer zu werden. Irgendetwas
begann in dem Steinernen zu lodern, vielleicht eine Flamme des Lebens,
die Blut durch felsige Adern pumpte. Vorsichtig und mit zitternden Fingern
ließ Thronn seine Hand zurück unter seinen Mantel gleiten. Sie
war kalt wie ein Eiszapfen, brannte und jeder seiner Knochen schien zu
Eis zu zersplittern, unglaubliche Kälte ging von seiner Hand aus...
Es war jedes Mal so, wenn er Magie benutzte, er hatte die Kälte
aus dem Herzen des Greifs gesogen und dafür seine Wärme gegeben.
Es war schmerzhaft gewesen, doch es hatte sich gelohnt. Der zuerst noch
Steingraue war zu einer rötlichen Gestalt mit goldgleißenden
Augen geworden, deren dürre Glieder und kräftige Pranken sich
über den kalten Sims schoben. Das Wesen hatte lederne Flügel
und aus seinem zahnlosen Kiefer drang ein erwachendes Ächzen und Stöhnen.
Der Hexer atmete eine Rauchfahne aus, als er endlich wieder das
warme Gefühl in beiden Händen hatte, dann schickte er den Roten
an:
"Geh, mein dunkler Seraphim! Bring mir bald Kunde von dem Mann mit
der Angst vor dem Eis Riagoth’s!" Der steinerne Seraphim erhob sich lautlos
und wie ein großer Schatten von seinem Stammplatz in die Lüfte,
schwebte höher und war bald außer Sichtweite, doch der Magier
wusste, dass der Rote mehr sehen konnte, als jeder andere Mensch. "Bring
mir Kunde..." wiederholte er noch einmal, bevor er sich dann in eine verwüstete,
abgeschirmte Nebengasse fallen ließ.
Das Geräusch, mit welchem er auf dem Boden aufkam, war nur
leise und hätte niemand hören können. Erleichtert zog Warrket
sich wieder die schwarze Kapuze vors Gesicht, schlang den langen, ebenfalls
obsidianschwarzen Mantel enger um sich. Verschnaufend lehnte er sich gegen
die Hauswand und warf einen Blick aus den trübenden Schatten heraus
auf die Straße, wo gerade noch der ängstliche Mann gelaufen
war. Nun hoffte er, dass der Seraphim ihm wirklich gute Neuigkeiten bringen
würde, denn das war es, was er jetzt brauchte. Noch so einen Vorfall
wie gestern im Lokal konnte er nicht gebrauchen, schon gar nicht deswegen,
weil gewiss einige Leute, die das Haus verlassen hatten, bevor der Mörder
sie fassen konnte, ihn gesehen hatten. Irgendwie musste er herausfinden,
wer diese Leute waren. Der einzige Name, der ihm einfiel, war Katren Arsca,
es hätte zwar nur eine Finte des Wirts sein können, doch das
Risiko, dass es keine war, war einfach zu groß.
© Benedikt
Julian Behnke
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