"Timotheus, haben sie dich also doch nicht erwischt?", lachte Kajetan
und drehte sich um, die Tür wurde wieder geschlossen. Bald darauf
wurde eine Kerze in der Mitte des Raumes angezündet und auf einen
nun etwas sichtbaren Teil eines Holztisches gestellt. Die Flamme flackerte
im Wind eines kleinen Lüftungsschachtes, der in einer Ecke des Raumes
angebracht war. Hier war es ziemlich warm, so warm, dass Josias die Kälte
des Jahreswechsels am liebsten vergessen hätte.
Der Kerzenschein schimmerte nun auf einem langen, hageren Gesicht,
welches einem dürren Riesen gehörte, der genauso groß wie
der Truppführer zu sein schien, nur eben etwas dünner und schmaler.
Die Gestalt war in giftgrüne Gewänder mit einer blauen Borte
gehüllt und ein kleiner Ziegenbart schmückte sein langes Kinn,
faltige Augen schienen übermüdet und zeigten dunkle Ringe darunter.
"Ich war gefangen." beharrte die Gestalt steif und hob drohend den
Finger. "Doch keiner kennt die Geheimgänge von Krakenstein so gut
wie ich, nicht einmal König Valbrecht." Er zögerte, sprach aber
dann doch sogleich weiter, während sein Fuß ungeduldig wippte.
"Nun", sagte er streng, "ich will es kurz machen. Die ganze Burg wurde
schon vor mehreren Tagen eingenommen, die Belagerungszelte draußen
sind nur Tarnung. Wenn das Heer des roten Herbstlandes anrückt, verlieren
die Dämonen einen wichtigen Stützpunkt. Noch wissen die Herbstländer
nichts von dem Einnehmen der Burg und so lange das nicht geschehen ist,
werden sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht angreifen. Diese
grauen Bestien, du kennst sie, schlafen normalerweise zu dieser Jahreszeit
in den Wäldern, oder überdauern den Winter unter dem Eis der
Silberseen. Auch waren sie noch nie so aggressiv wie jetzt. Irgendetwas
hat ihnen die nötige Kraft und Intelligenz gegeben, sich zu formieren
und anzugreifen." Er schüttelte depressiv den Kopf und legte die knochige
Hand an die Stirn. "Ich weiß, dass Melwiora dahinter steckt! Schon
seit Tagen ruft sie ihre Kristalle an, um alte Menschen zu verführen...
Zum Glück fliehen die meisten nach der Erfüllung ihres Wunsches."
"Worum geht es eigentlich, Timotheus?", drängte Kajetan und
versuchte etwas leiser zu sprechen, da ganz bestimmt Dämonen in der
Nähe waren.
"Erinnerst du dich an unser Gespräch vor einigen Tagen? Ich
gab dir das Buch und sagte, dass es in Burg Krakenstein wohl Spitzel gäbe,
nicht wahr?"
"Ja," gab der andere nickend zu, zuckte aber dann mit den Achseln,
"aber was hat das damit zu tun?"
Die Augen des Druiden funkelten geheimnisvoll und auch etwas besorgt
und in seiner Stimme lag bisher zurückgehaltene Schuldigkeit. "Ich
gebe zu", sagte er zögernd ohne eine Regung, "dass ich nichts gegen
ihn unternommen habe. Ich hielt das ganze für eine Ungereimtheit,
die mir der Schatten vorgegaukelt hat! Auch von ihm kam die Anweisung meinen
Sohn und meinen Neffen nach Trishol zu schicken."
"Der Schatten... Wer ist das?"
Bekennend atmete der Zauberer aus. "Er ist mein Urahne, ein Geist,
der keine Ruhe findet. Seit Generationen begleitet er unsere Familie in
den Träumen, sagt ihnen, was sie zu tun haben, wacht über sie.
Ich saß am Kamin, als er mich das erste Mal - mein Vater hatte mir
von ihm erzählt und von den Träumen, die er unserer mit Magie
verbundener Familie jeden Tag schickte - besuchte. Bisher war er noch keinem
in meiner Familie erschienen, ich durfte der erste sein..." Und dann begann
er alles genau zu erzählen...
Timotheus saß in dem breiten Ohrenbackensessel, der mit
rotem Samt überzogen war, vor dem Kamin. Es war ein großer Ofen,
zusammengesetzt aus grobgehauenen Steinen, die mit einer Art grauem Mörtel
zusammengehalten wurden. Ein großer Haufen Asche lag in den Schatten
der Kaminwölbung, dabei weiße Kohlereste und neben der steinernen
Feuerstelle war ein feinsäuberlich gestapelter Haufen aus Holzscheiten
zu sehen.
Wie gebannt starrte der Junge auf die Asche, die noch warm vom
Vorabend war und faszinierte sich an ihrer fassettenreichen Lage. Feinkörnig
war sie oben auf den dunklen Scheiten, lag in dickeren Blättchen weiter
unten, neben den verkohlten Holzstücken. Er wusste nicht, warum ihn
das Ganze so interessierte, aber es zog ihn magisch an, ließ ihn
geradezu vor Spannung erbeben. Irgendwann musste doch etwas mit dieser
Materie geschehen!
Plötzlich kam ihm eine Idee.
Ob er es versuchen sollte? Seine Eltern waren nicht da, was sprach
also dagegen? Er konnte geradezu fühlen, wie die Magie in ihm empor
strömen wollte, sich von seinem warmen Inneren in die klammen Fingerspitzen
sammeln wollte, um sich dann in einem gleißend blauen Licht zu entfalten.
Seine Eltern, die seit vielen Generationen keine Zauberkraft mehr in ihren
Familien hatten, waren erstaunt gewesen, als Timotheus das erste Mal Magie
hervorgerufen hatte. Sie war neu gewesen, langsamer und feinfühliger
als die Macht der alten Zauberer. Es war ein hellblaues Leuchten wie bei
den Sternen gewesen, das wie ein Sonnenstrahl von seinem Zeigefinger verstrahlt
wurde. Es hatte ihn Kraft gekostet, unbändige Energie hatte er aufwenden
müssen, um das Schaffen, was fast von alleine ging, fortzuführen.
Schmerzen hatten sich durch seinen ganzen Unterarm und durch die Hand gezogen,
ein eisiges Stechen, was ihm das Leben rauben wollte. Mit Gewalt hatte
er dann gegen das Leuchten angekämpft, bis er schließlich versiegt
war, doch es hatte ihn so viel Kraft gekostet, dass fieberhafte Hitze in
seinem Kopf rumorte und seinen Körper durchwanderte. Eine Woche lang
war er im Bett gelegen und war in einem unruhigen Traum gefallen, in dem
ihn ein großer Schatten zu begleiten und zu beobachten schien, den
Schatten, von dem sein Vater ihm später erzählt hatte.
Er hatte gesagt, dass es ihr Urahne sei, ein Geist der, aus welchen
Gründen auch immer, auf sie Acht gab.
Doch heute, vor dem Kamin, sollte der Tote real werden und aus
den blauen Flammen auferstehen, sich nicht ihnen allen zeigen, nur ihm,
das erste mal als Gestalt im echten Leben...
Timotheus streckte sachte die Hand aus, es war jetzt niemand
in der Nähe, machte eine leichte Faust, wobei er den Zeigefinger vorwärts
gleiten ließ, ihn auf die Asche richtete. Er wollte sie wieder aufleben
lassen, ihr ein neues Lodern schenken.
Da erstrahlte, der dunkelhaarige Junge glaubte es kaum, aus seiner
Fingerspitze ein gleißendes, blaues Licht, das sich vorsichtig in
einem dünnen Strahl auf den grauen Sand im Kamin zu bewegte. Es war,
als würde ihm etwas genommen, während er die Magie einsetzte,
alle Lichter rund herum im Raum erlöschten, die Zeit stand still und
trotzdem sank draußen die Sonne hinter den Horizont, Dunkelheit breitete
sich aus. Das einzige Leuchten war der blaue Strahl, der sich immer noch
durch das Zimmer bewegte, auf die Kohlen zu.
Endlich hatte das Flimmern den Ofen erreicht, entfaltete sich
wie ein Sonnenaufgang in magischem Blau und kleine Flammen glommen aus
den Ascheteilchen auf, hoben sich und wuchsen, während das eisige
Gefühl in Timotheus’ Hand immer stärker wurde.
Auf einmal, als er kraftlos die Hand sinken lassen wollte, da
sich langsam ein Krampf bildete, schien sich etwas dunstiges, großes
aus den Flammen zu erheben, schwarz von Gestalt und gehüllt in schattendunkle
Gewänder. Der Geistesblitz durchzuckte ihn schnell und rasend; es
war der Geist aus seinen Träumen, das Wesen, von dem sein Vater ihm
erzählt hatte.
Der Schatten hob beschwörend die Arme, unsichtbar, das Gesicht
ein einziges schwarzes Loch und begann mit dröhnender Stimme zu sprechen,
während der blaue Lichtstrahl unaufhaltsam weiter floss und die Flämmchen
an der düsteren Gestalt empor zu züngeln begannen. "Sieh her,
Sterblicher, ich bin Senragor Allagan, der war." Die tiefe Stimme war ein
Donnern in der Stille des Raumes und Angstschweiß brach auf der Stirn
des Jungen aus. Wie konnte dieses Traumwesen wirklich existieren? Wie konnte
ein Toter wieder auferstehen? Doch es war ihm nicht gestattet, diese Fragen
zu stellen, denn der Dunkle sprach sogleich weiter, tief und unheimlich.
"Sieh her, Sterblicher, finde die Zukunft in meinen Augen, erhasche einen
Blick auf das, was kommen wird. Du, Timotheus Warrket, Sohn von Merphim
Warrket, Enkel von Roniea Warrket, Urenkel von Xantagos Allagan, Nachfahre
von mir, Senragor Allagan, letzter Erhalter der Magie, Auserwählter
und Einziger der neuen Kraft, spüre deine Macht!" Der Schatten sprach
mit solch einer Eindringlichkeit und Bestimmung, dass es dem jungen Hexer
schleierhaft war, wie er es fertig brachte zu antworten:
"Was willst du von mir, Schatten meiner Fantasie?"
"Erhebe nicht das Wort gegen den Schatten, Kind, deine Bestimmung
liegt darin, das Erbe der Macht fortzutragen, sie deinen Kindern zu erhalten.
Werde ein Hexenmeister und wachse an deinen Aufgaben, werde besser und
lerne aus deinen Fehlern. Nicht du bist derjenige, dem die Bestimmung nacheifert,
sondern deinen Kindern. Sie sind die wahren Hexer von Rohan! Aus Elfenblut
und Menschenerbe wird der verborgene Kämpfer erschaffen, das Blut
der Magie ist rein und voll von Kraft. Wisse dies, Sterblicher!"
Dann war der Schatten verschwunden, so schnell wie er gekommen
war hatte er sich in die Flammen des Feuers zurückgezogen.
Mit einem Mal wurde Timotheus klar, was er da gerade tat, er
verschwendete seine Magie auf einen kostspielige Weise. Wachse an deinen
Aufgaben, hatte der Schatten, der ihm irgendwie vertraut vorgekommen war,
befohlen und, er wusste nicht wieso, hatte er das Gefühl ihm gehorchen
zu müssen.
So ließ er noch lange bis in die Nacht die Flammen spielen,
das Eis seine Finger zu zerbrechlichen Stäben werden. Er würde
es schaffen, irgendwann würde er solchen Zauber mit Leichtigkeit und
ohne Schmerzen rufen können!
Nun endete Timotheus mit der Erzählung aus seiner Kindheit.
"Damals wusste ich nicht, was es bedeutet, als Erster überhaupt, den
Magierschatten der Vergangenheit als Einziger in wahrer Lebensgröße
zu sehen. Auch hatte ich keine Ahnung von dem Elfen- und Menschenblut.
Heute ist es ganz anders und ich weiß auch seit neustem, warum die
Magie unsere Finger zu Eis erstarren lässt." Er machte eine kurze
Pause, um somit eine entsprechende Wirkung zu erzielen. "Melwiora Riagoth,
die Zauberin, hat der Welt nach der Herrschaft des Herrn der Winde alle
Magie entzogen und diese blauen Flammen, die wir heute kennen, sind Produktionen
unseres Willens und unserer eigenen physischen Kraft, nur materialisiert,
aus unserem tiefsten Inneren heraus! Es ist eine besondere Ehre den Schatten
zu erblicken, denn er tritt nur sehr, sehr selten im Hier und Jetzt auf
und auch nur dann, wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Früher hörte
ich nicht auf die Träume, die er mir schickte, heute bin ich ihnen
jederzeit offen, doch der Schatten hat nun Wichtigeres zu tun. Der Geist
ist auf Wanderschaft gegangen, ringt mit den Kräften des Bösen
in seiner eigenen Welt." Abwesend schüttelte er den Kopf und blickte
dann wieder zu Kajetan. "Meine Schwester, die genau neun Monate nach der
Erscheinung des Dunklen zur Welt kam, hatte sich mit einem Elfen verheiratet,
einem windigen Kerl aus dem Südland, immer auf Abenteuerfahrt und
so... Er ist Kapitän auf den Luftschiffen des roten Herbstlandes,
ungeschlagen heißt es, bis jetzt! Rone ist sein Sohn, der verborgene
Krieger. ... Aber... Du fragst dich sicher, warum ich dich aufgesucht habe,
Josias. Und wahrscheinlich auch, warum ich gerade zu dir so offen spreche!"
Er atmete scharf aus und in dem Truppführer stieg eine unerwartete
Vorahnung bei dem Tun des Druiden auf. "Du musst so schnell wie möglich
an den feindlichen Linien vorbei und zu Rone und Thronn! Als ich deine
Leute ihnen hinterher schickte, wusste ich nicht, was ich tat... Sie werden
so unnötig hineingezogen und mein Sohn braucht bei seiner Reise einen
erfahrenen Kämpfer an seiner Seite!"
"Und was ist mit dir?", fragte der Truppführer, während
er noch versuchte das Ganze zu verkraften.
"Ich? Ich werde mich den Dämonen stellen. Nimm das und bring
es Thronn." Er drückte Josias den Gegenstand in die Hand, mit welchem
er noch vor wenigen Tagen gespielt hatte.
"Was ist das?", versuchte Kajetan herauszufinden.
Der Hexenmeister schloss kurz die Augen und winkte ab. "Es ist nur
für mein Fleisch und Blut wichtig. Wenn sie wollen, werden sie es
dir sagen! Geh nun, ich werde dich auf sicherem Weg hier herausbringen."
Rune Meridian starrte immer noch ratlos auf die Statue. Zwar wusste
er, dass sich an ihr der Schalter zu einem der Geheimeingänge befand,
aber er hätte genauso gut eine Nadel im Heuhaufen suchen können,
denn er wusste nicht, ob die Geheimtür auf Magie hörte, oder
ob man irgendetwas drehen, drücken oder bewegen musste. Er stand wahrhaftig
vor einem Rätsel.
Palax und Rykorn redeten immer noch und warfen ab und zu einen erbosten
Blick auf Rune. Er wollte ja auch Trajan retten, doch dazu mussten sie
auf irgendeinem anderen Weg als durch das Burgtor nach draußen gelangen.
"Also... Wir blasen die Aktion vorerst ab. Ich werde mich derweil
in der Bibliothek über diese Gänge schlau machen." erklärte
er nach langem Zögern und trat unruhig auf. Irgendetwas hatte ihn
zuvor gehindert, dieses Geheimnis seiner Unwissenheit preiszugeben.
Der Zwerg nickte und stieß lachend, die Hände in die
Hüften gelegt, hervor: "Hah! Ich hab’s ja gleich gesagt! Hier kommt
man nicht so ohne weiteres rein. Und raus erst recht nicht, wenn Vorder-
und Hinterausgang blockiert sind!" Aber nach einem ungemütlichen Blick
von Rykorn setzte er, etwas aus der Fassung gebracht, hinzu: "Hätte
auch nicht geschafft, schneller hier rauszukommen..."
Rune nickte und die blauen Augen funkelten anerkennend und verständnisvoll.
"Die Trisholer Burg ist nicht nur wie ein einfaches Schloss, sie ist eine
Festung, die niemand zu stürmen vermag."
Erst zeugte Rykorns Blick von leichtem Entsetzen und Unsicherheit,
doch dann veränderte sich die besorgte Miene in ein freundschaftliches
Lachen. Er machte ein paar Schritte auf Meridian zu und legte ihm die Hand
von hinten auf die Schulter. Dieser versuchte den Kopf zu seinem Mitstreiter
zu drehen, zog ihn aber auf halbem Weg wieder zurück. "Vielleicht
ist es besser, wenn wir die Sache bleiben lassen.", sagte er und sah betrübt
zu Boden.
"Nein!" Rykorn ballte die in Handschuhe gewandete Hand zur Faust.
"Wir werden es schaffen, glaub mir, Meridian! Du warst es doch, der uns
die ganze Zeit in dem Glauben von Schutz und Sicherheit gelassen hast,
du warst es, der in den vordersten Schlachtreihen mitstritt! Vergiss deinen
Schwur nicht, Meridian! Rune! Vergiss ihn nicht!"
Rune erinnerte sich an den Schwur. Er hatte ihn vor einigen Tagen
geleistet, als sie sich vor dem König, seinem Vater, eingefunden hatten.
Es war der Tag gewesen, bevor sie sich an dem großen Tor der Hochländer
eingefunden hatten...
Die Männer standen stramm im Burghof, alle in ihren Uniformen
aus blaugefärbtem Leder und den vielen Riemen um den Armen und den
Beinen, die ihren eisernen Schutz festhielten. Alle standen sie da, Ehrfurcht
und Furcht stand in ihren Gesichtern geschrieben, manchmal sogar gezeichnet
von blankem Entsetzen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Es war eine Einheit, die Einheit, die Einheit des Gleichseins, jeder besaß
die gleichen Waffen, jeder den gleichen Stand und alle hatten sie Angst
vor dem Krieg, doch es musste sein, sie mussten ihr Land verteidigen, auf
Biegen und Brechen. Und wenn sie nun im Kampf starben, waren sie für
ihr Land gestorben und dafür starben sie gern, behauptet jedenfalls
der König, als er auf einer kleinen Erhebung vor ihnen herumstolzierte,
das Gesicht zu einer einzigen, grimmigen Maske verzogen, die den Hass einer
ganzen Nation ausdrücken sollte. Die Krone auf dem Haupt war alles
andere als prachtvoll, ein kleiner, goldener Reif. Narben von früheren
Tagen zierten die freien Arme das Königs und das faltige, verwitterte
Gesicht, dennoch, trotz seines Alters, waren seine Muskeln nicht erschlafft
und er redete mit einer Energie und Schlagfertigkeit, dass es sogar Rune
kalt den Rücken hinunterlief.
"Jeder Mann in meinem Reich hat zu kämpfen! Bewaffnet wie
unbewaffnet, jung wie alt, und stark wie schwach! Alle ihr hier seit Kämpfernaturen,
unermüdlich in eurer Art, unbesiegbar in eurem Tun und unübertrefflich
in eurem Kampfstil! Ihr seit Hochländer!" Er hob die Hand mit dem
langen, schlanken Schwert darin, das im grellen Licht der Sonne aufblitzte
und eine Welle von tausend Jubelschreien drang durch die Reihen, der König
hatte es geschafft, die Gesellschaft zu stählen und ihnen klar gemacht,
dass sie alle gleich waren, denn sie alle kamen aus dem ungeschlagenen
Hochland, dem Land, in welches noch nie jemand Einzug gehalten hatte. "Schwört,
dass ihr für euer Land sterben werdet, wenn es nötig ist, schwört,
dass ihr nie aufgebt, schwört, dass ihr nie von dem Feind zurückweichen
werdet! Denn wahrlich, Männer, wollt ihr das hier verlieren?" Er breitete
die Arme aus, als könne er die ganze Welt umfassen und alle schrieen
wild durcheinander, übertönten sich gegenseitig und erhoben die
Waffen, denn den Schwur würden sie nie vergessen.
Das Land mit seinen Auen und Steppen, den felsigen Scharten,
schwören wir zu verteidigen! Die Männer und Frauen des Hochlandes,
geloben wir zu beschützen! Die Stadt Trishol, Herrenstadt all unser
Heiligtümer, werden wir nie in Vergessenheit geraten lassen! Unserem
König schwören wir hiermit all unserer Rechte ab! Unserem Oberhaupt,
unserem Gott, geloben wir die Freiheit!
...Unserem Oberhaupt, unserem Gott, geloben wir die Freiheit! ...
War es das, nachdem er gesucht hatte? ...Freiheit... Wo hatte er diesen
Satz schon einmal gehört? Oder besser: gelesen? Er erinnerte sich
schwach an eine Ansammlung von ungedeuteten Zeichen auf dem Grabstein.
...unserem Gott... geboten wir die Freiheit... Er kannte das, er wusste
es genau. Aber warum sollte der König in einem Schwur ein Rätsel
einbauen, oder war es gar keines?
Er entschied, statt in die Bibliothek zu gehen, sich einfach etwas
in der kleinen Hauskapelle umzusehen und dabei Erleuchtung durch ein entsprechendes
Gebet zu erhalten.
Während er die Stufen der Wendeltreppe in die erste Ebene hinunterging,
liefen ihm Palax und Rykorn hinterher. Beide hatten, während Meridian
sich zurückerinnert hatte, sich eingehend mit der Rettung Trajans
beschäftigt und Pläne geschmiedet.
"Was gibt es?", fragte Meridian immer noch in Gedanken versunken,
als die beiden Ritter von hinten auf ihn zukamen.
"Wir haben einen Plan!", erklärte Rykorn lächelnd und
voller Stolz und reckte die Nase. "Zur Rettung Trajans, versteht sich!"
"Und?", fragte Rune zu ihnen gewand. "Wie lautet er?"
Beschwichtigend hob der Zwerg die schwielige, breite Hand und schüttelte
das zerknitterte Haupt. "Ich bin nicht dafür, dass wir den Plan ausführen,
Meridian! Zuerst müssen wir uns Gedanken machen, wie wir hier rauskommen,
vorher läuft gar nichts!"
"Zunächst höre ich mir den Plan an. Es steht ja noch nichts
fest!", sagte Rune zu Palax und zog die dünnen Striche seiner Augenbrauen,
die nun schräg abfielen, hoch.
Der Zwerg brummelte etwas von "Angeberischer Hochländer!" und
schüttelte fast angewidert den Kopf. "Das gefällt mir trotzdem
nicht, Hochländer! Es gibt viele Möglichkeiten, unseren Freund
- vorausgesetzt er lebt überhaupt noch - zu befreien! Aber auf diese
Art und Weise," er biss die Zähne stark aufeinander und sein Blick
war so unsicher, wie der Blick eines Zwerges nur sein kann, "kann ich nichts
versprechen! Womöglich gehen wir dabei alle drauf!"
"Mit dir wäre das ja kein all zu großer Verlust.", gab
Rykorn spitz zu und begann, bevor der Zwerg wieder eine erboste Bemerkung
von sich geben konnte, ihren Plan zum Besten zu geben: "Also", begann er
und machte eine sachliche Geste, "sobald wir draußen sind - auf welchem
Weg auch immer - schnappen..." Weiter kam er nicht, denn ein ohrenbetäubendes
Gebrüll zerriss die Stille. Das Geräusch von splitterndem Hartholz
war zu vernehmen, etwas Schweres krachte um. Ein hallendes Geräusch
brachte den Burgturm zum Zittern und diesmal drang ein langanhaltendes
Kreischen zu ihnen herauf. Scharrende und kratzende Bewegungen von großen,
grauen Wesen konnten sie aus ihren Augenwinkeln beobachten.
"Die Dämonen haben das Schlosstor eingerannt!", schrie Rune
und stürmte die Treppe hinab. Die anderen folgten ihm, zogen bereits
ihre langen Messer und Schwerter. Meridian war schneller und schon nach
kurzer Zeit unten bei den Angreifern. Als auch sie endlich unten unter
großem Schnaufen und mit rasselndem Atem ankamen, standen sie einer
Horde von steingrauen Dämonen gegenüber...
Einer war gefährlicher als der andere und ihre Körper
bestanden aus lederner, blaugrauer Haut, die sehnig den dürren, aber
auf irgend eine Weise auch muskulösen Körper überspannte.
Sie gingen auf allen Vieren und ihre Beine schienen ein weiteres Gelenk
zu besitzen, endeten schließlich in dicke, klobige Pranken mit sichelförmigen
Klauen. Ihre Gesichter glichen Totenschädeln, kleine Köpfe aus
deren Augenhöhlen ein gleißender Lichtblitz verborgen zu sein
und sie besaßen lange, nadelspitze Eckzähne. Auf ihren mit Stacheln
und Hörnern bewehrtem Rückgrat erhoben sich lange, zitternde
Schwingen, die auf irgend eine Art zerbrechlich schienen.
Einer der fünf Monster setzte sofort zum Sprung auf Rykorn
an, der seinen Angreifer jedoch sofort mit einem mächtigen Schlag
seines langen Messers beiseite fegte. Doch rappelte sich das scheußliche
Wesen erneut erbost auf und schlug mit Klauen und Zähnen nach dem
Ritter, dem es nun schwer fiel auszuweichen. Eine Klaue erwischte ihn,
zerschnitt das blaue Tuch auf seiner Brust und er wich erschreckt zurück.
"Verdammt!" stieß er hervor und griff hastig nach dem zweiten Dolch
in seinem breiten Ledergürtel, riss ihn hervor und ging in Kampfpose,
die beiden Schneiden eindringlich aneinaderreibend. "Palax, ich glaube,
jetzt bist du dran!" Er sagte dies ruhig, doch in seiner Stimme schwang
Dringlichkeit und ein leichter Anflug von Unbehagen mit.
"Klar, Kumpel!", rief der Zwerg und setzte dabei eine kampfeslustige
Miene auf. Schon hatte er den Griff der langen Streitaxt fester gefasst
und das Metall seiner Schuppen- und Lederrüstung knirschten aufeinander.
"Rohan!", erbebte sein Kampfschrei ein dann folgte auch Rune:
"Rohan!", schrie er und mit einer wirbelnden Attacke schlug er sein
Schwert in eines der Glieder des Dämonen. Dieser heulte hassverzerrt
auf und sein Unterkiefer klappte so weit herunter, dass es war, als würde
sich ein saugender Abgrund eröffnen und nadelspitze Zähen klafften
ihnen wie die eines bissigen Hundes entgegen, Speichel und noch etwas anderes,
ätzendes grünes troff aus ihren Mäulern und ein beißender
Geruch - vielleicht der von Schwefel - schlug ihnen entgegen.
"Für Rohan!" Der Zwerg schwenkte die mächtige Streitaxt
und ließ sie in den kargen Leib des Untiers sausen. Sofort schoss
Blut und Schleim hervor und jetzt griffen auch die anderen mit einem unsagbar
schaurigen Geheul an...
Doch da erebbten die herausfordernden Kampflaute der Gegner auf
einmal, in ihren widerlichen Antlitzen schäumte Angst auf und ergoss
sich zu fluchtartigem Entsetzen. Laute von einem kräftigen Aufschlag
nach dem anderen kamen aus der Ferne von draußen und Geräusche,
als würden Knochen brechen und schuppige Leiber zermatscht werden.
"Wer ist da..." Rune wand verdutzt den Kopf hin und her und versuchte
etwas außerhalb der Ungeheuer auszumachen, was ihm aber nicht gelang
und sofort musste er in eine abwehrende Haltung gehen, als ihn der schwere
Schlag einer messerscharfen Pranke traf und er unter dem Gewicht des Aufpralls
aufstöhnte. Obwohl er seine Klinge noch im richtigen Moment empor
gerissen hatte, fühlte er, wie sich etwas feuchtes an seiner Stirn
hinabwand. Er glaubte, es wäre ein Blutrinnsal und dass eine der Krallen
ihn schwer am Kopf verwundet hatte...
Vorsichtig sah er auf, gefasst auf einen unsagbar schlimmen Schmerz
in der Stirn, doch... blieb der aus. Jetzt sah er auch sein Schwert, das
den Angriff abgewehrt hatte. Die Schneide funkelte. Und an ihr war Blut.
Doch nicht sein Blut, sondern das der Pranke des Angreifers, aber wo die
sein sollte, war jetzt nur noch ein sich windendes, schwarzes Gewürm,
wie aus unzähligen kleinen Fliegen, die sich zu einem Stück vereint
hatten und das Summen der Insekten drang nun hart und gewaltsam in sein
Ohr.
Entgeistert und aus dem Reflex heraus riss er das Schwert aus der
geschlagenen Wunde und sofort stob der hektische Fliegenschwarm auseinander,
schien sich wenige Yards weiter neu zu bilden. "Ein Wandler!", erklang
Palax' Stimme, doch Rune hörte sie nur wie aus weiter Ferne. Etwas
hatte sich ihm soeben durch die Schädeldecke gefressen, das spürte
er, der Saft, den die Insekten bei seinem Aufschlag abgegeben hatten, war
weg von seiner Stirn. Und keine Wunde war zurückgeblieben, nur das
bedrückende Gefühl etwas Fremdes in seinem Körper - in seinem
Gehirn - zu haben, war geblieben.
Plötzlich zerrte ihn eine hastige Bewegung in die Wirklichkeit
zurück, die sich direkt vor ihm abspielte. Doch es war nicht der angebliche
Wandler, der sich bewegt hatte, sondern etwas breiteres, kräftigeres
hinter diesem.
"Für Rohan!", schrie Trajan lachend und mit seinem Breitschwert
zerteilte er behände die garstige Kreatur und tauchte einen Moment
später durch einen Schwall aus Schleim und Blut, und schwarze Fliegen
und Insektenlarven stoben auseinander, lösten sich bereits nach wenigen
Zoll in Staub auf. "Deckung, Rune!" Mit beiden Armen vollführte er
einen Rundumschlag und gleich mehrere Höllenausgeburten gingen, den
letzten Atem in einer giftigen Wolke aushauchend, zu Boden.
Er hatte in dem Schleim gebadet, war Meridians einziger Gedanke
und das blonde Haar klebte ihm schweißnass am Kopf, in dem Blut,
das mir noch vor wenigen Sekunden in den Schädel eingedrungen war.
Es arbeitete in ihm, das spürte er so deutlich, wie er schon lange
nichts gespürt hatte, etwas suchte, wühlte und grub nach ihm
und es schien es auch bereist gefunden zu haben, denn Schmerzen breiteten
sich in feinen Ästen in seinem Hirn aus, doch nur so zart, dass es
für ihn war, als kratze er sich am Kopf. Er fühlte, wie ihm etwas
unter der Haut saß... Und bei Trajan jetzt wohl auch...
Trajan und die Anderen machten bereits weitere Angreifer nieder
und arbeiteten sich stetig den Toren zu, drängten die Gegner mit Axtschlägen,
Schwerthieben und Messerstichen zurück, um endlich die Türen
wieder verbarrikadieren zu können.
Erst jetzt nahm Rune war, dass nach ihm gerufen wurde. Er lauschte.
Nichts. Er versuchte es wieder und wollte dabei eine unsichtbare Sperre
in seinen Gedanken auflösen, aber aus irgend einem Grund schien ihm
das nicht gelingen zu wollen.
"Rune!", hing Rykorns Stimme laut wie das Brausen des Windes und
das Klirren von Metall in der Luft, doch Rune rührte sich immer noch
nicht, stand weiter da als wäre nichts gewesen, schwer atmend, das
blutverkrustete Schwert in den Händen haltend, den schweißnassen
Körper schlaff vorn übergebeugt, bis er fast wie einer der Dämonen
Aussah. "Warum antwortet der Kerl nicht?" Schnell duckte er sich unter
dem Bissangriff eines Monsters und stieß diesem seine zwei blitzenden
Dolche in den Leib. Dann riss er das Wesen an sich und rammte ihm das Knie
vor die Brust. Er vernahm das zermalmende Geräusch von brechenden
Knochen und nahm sein Knie runter, zog die Messer aus den nun blutklaffenden
Wunden hervor und stieß das Wesen mit einem Fußtritt zurück,
sodass es von dem Wehrgang vor den Burgtoren über die Zinnen in den
Burghof fiel. Dabei warf er einen raschen Blick prüfend die Treppe
hinunter, die an der Seite des Schlosses den Fels hinabführte. Eine
weitere Armada geifernder Wesen war auf dem Weg nach oben, Hass blitze
aus ihren Augen hervor.
"Rykorn."
"Endlich, Meridian, was war mit dir los?" Besorgt wandte er den
Kopf von den Kommenden ab. Sie hatten noch eine halbe Minute Zeit, bis
die Gefahr nahe genug gekommen war und nutzen diese zum Ausruhen.
"Rykorn." Runes Brustkorb hob und senkte sich schwer und Kraftlosigkeit
zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Hör mir zu..." Jetzt schien
alles unendlich lange zu dauern. Er warf einen Blick auf Trajan, bevor
er weiter sprach, fühlte, wie ihm die Sinne schwanden und seine Bewegungen
empfand
er als schleppend, während das Herz in seiner Brust - gerade noch
wild rasend - plötzlich wieder ruhig und dumpf schlug, doch er spürte
den Schmerz, den es seiner Brust zufügte. Der hünenhafte Krieger
war etwa von der gleichen Statur wie Josias, groß, muskulös,
doch erheblich breiter, seine Arme und Beine waren dick wie Baumstämme
und strotzten vor Kraft. Trajan hatte himmelblaue Augen, stechend und nur
in ihnen spiegelte sich die rastlose Energie, die in ganz Trajan pulsierte,
doch schien sie etwas gebrochen. Vielleicht von der Anstrengung des Kampfes,
dachte Rune, starrte direkt in das breite Gesicht, umrandet von hellem,
kastanienbraunem Haar, das in leichten Fransen auf seinen Schultern endete.
Auch seine Blicke waren auf ihn geheftet. Der große Krieger trug
ein einfaches Wollhemd, darunter aber ein silbernes Kettenhemd, was durch
die Wolle getarnt werden sollte und ihm so einen kleinen Vorteil im Kampf
brachte. Er trug Strumpfhosen und leichte Lederstiefel und seine Finger
steckten in großen Handschuhen.
Dann, endlich, war der Moment der Langsamkeit vorbei und er konnte
wieder sprechen. "Rykorn", sagte er vorsichtig und in seiner Stimme schwang
keinerlei Kraft mit. "Halte mich nicht auf..." Wieder warf er einen kurzen
Blick auf Trajan, während er die Worte wirken ließ. Der großgewachsene
Führer des Breitschwerts war nicht im geringsten erschöpft, obwohl
auch er von dem giftigen Schleim angespritzt worden war. Vielleicht gab
es ja noch Hoffnung, dachte Rune. Oder hatte Trajan einfach nur Glück
gehabt? Wirkte das Gift bei seiner Größe langsamer als bei ihm?
Er hatte keine Zeit weiter nachzudenken, denn der Ruf Palax' unterbrach
ihn.
"Sie kommen wieder! Verbarrikadiert die Tore!"
© Benedikt
Julian Behnke
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