Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 1. Buch
Der Zerfall des Reiches 5 - Der Zauberer

"Timotheus, haben sie dich also doch nicht erwischt?", lachte Kajetan und drehte sich um, die Tür wurde wieder geschlossen. Bald darauf wurde eine Kerze in der Mitte des Raumes angezündet und auf einen nun etwas sichtbaren Teil eines Holztisches gestellt. Die Flamme flackerte im Wind eines kleinen Lüftungsschachtes, der in einer Ecke des Raumes angebracht war. Hier war es ziemlich warm, so warm, dass Josias die Kälte des Jahreswechsels am liebsten vergessen hätte.
Der Kerzenschein schimmerte nun auf einem langen, hageren Gesicht, welches einem dürren Riesen gehörte, der genauso groß wie der Truppführer zu sein schien, nur eben etwas dünner und schmaler. Die Gestalt war in giftgrüne Gewänder mit einer blauen Borte gehüllt und ein kleiner Ziegenbart schmückte sein langes Kinn, faltige Augen schienen übermüdet und zeigten dunkle Ringe darunter.
"Ich war gefangen." beharrte die Gestalt steif und hob drohend den Finger. "Doch keiner kennt die Geheimgänge von Krakenstein so gut wie ich, nicht einmal König Valbrecht." Er zögerte, sprach aber dann doch sogleich weiter, während sein Fuß ungeduldig wippte. "Nun", sagte er streng, "ich will es kurz machen. Die ganze Burg wurde schon vor mehreren Tagen eingenommen, die Belagerungszelte draußen sind nur Tarnung. Wenn das Heer des roten Herbstlandes anrückt, verlieren die Dämonen einen wichtigen Stützpunkt. Noch wissen die Herbstländer nichts von dem Einnehmen der Burg und so lange das nicht geschehen ist, werden sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht angreifen. Diese grauen Bestien, du kennst sie, schlafen normalerweise zu dieser Jahreszeit in den Wäldern, oder überdauern den Winter unter dem Eis der Silberseen. Auch waren sie noch nie so aggressiv wie jetzt. Irgendetwas hat ihnen die nötige Kraft und Intelligenz gegeben, sich zu formieren und anzugreifen." Er schüttelte depressiv den Kopf und legte die knochige Hand an die Stirn. "Ich weiß, dass Melwiora dahinter steckt! Schon seit Tagen ruft sie ihre Kristalle an, um alte Menschen zu verführen... Zum Glück fliehen die meisten nach der Erfüllung ihres Wunsches."
"Worum geht es eigentlich, Timotheus?", drängte Kajetan und versuchte etwas leiser zu sprechen, da ganz bestimmt Dämonen in der Nähe waren.
"Erinnerst du dich an unser Gespräch vor einigen Tagen? Ich gab dir das Buch und sagte, dass es in Burg Krakenstein wohl Spitzel gäbe, nicht wahr?"
"Ja," gab der andere nickend zu, zuckte aber dann mit den Achseln, "aber was hat das damit zu tun?"
Die Augen des Druiden funkelten geheimnisvoll und auch etwas besorgt und in seiner Stimme lag bisher zurückgehaltene Schuldigkeit. "Ich gebe zu", sagte er zögernd ohne eine Regung, "dass ich nichts gegen ihn unternommen habe. Ich hielt das ganze für eine Ungereimtheit, die mir der Schatten vorgegaukelt hat! Auch von ihm kam die Anweisung meinen Sohn und meinen Neffen nach Trishol zu schicken."
"Der Schatten... Wer ist das?"
Bekennend atmete der Zauberer aus. "Er ist mein Urahne, ein Geist, der keine Ruhe findet. Seit Generationen begleitet er unsere Familie in den Träumen, sagt ihnen, was sie zu tun haben, wacht über sie. Ich saß am Kamin, als er mich das erste Mal - mein Vater hatte mir von ihm erzählt und von den Träumen, die er unserer mit Magie verbundener Familie jeden Tag schickte - besuchte. Bisher war er noch keinem in meiner Familie erschienen, ich durfte der erste sein..." Und dann begann er alles genau zu erzählen...
Timotheus saß in dem breiten Ohrenbackensessel, der mit rotem Samt überzogen war, vor dem Kamin. Es war ein großer Ofen, zusammengesetzt aus grobgehauenen Steinen, die mit einer Art grauem Mörtel zusammengehalten wurden. Ein großer Haufen Asche lag in den Schatten der Kaminwölbung, dabei weiße Kohlereste und neben der steinernen Feuerstelle war ein feinsäuberlich gestapelter Haufen aus Holzscheiten zu sehen.
Wie gebannt starrte der Junge auf die Asche, die noch warm vom Vorabend war und faszinierte sich an ihrer fassettenreichen Lage. Feinkörnig war sie oben auf den dunklen Scheiten, lag in dickeren Blättchen weiter unten, neben den verkohlten Holzstücken. Er wusste nicht, warum ihn das Ganze so interessierte, aber es zog ihn magisch an, ließ ihn geradezu vor Spannung erbeben. Irgendwann musste doch etwas mit dieser Materie geschehen!
Plötzlich kam ihm eine Idee.
Ob er es versuchen sollte? Seine Eltern waren nicht da, was sprach also dagegen? Er konnte geradezu fühlen, wie die Magie in ihm empor strömen wollte, sich von seinem warmen Inneren in die klammen Fingerspitzen sammeln wollte, um sich dann in einem gleißend blauen Licht zu entfalten. Seine Eltern, die seit vielen Generationen keine Zauberkraft mehr in ihren Familien hatten, waren erstaunt gewesen, als Timotheus das erste Mal Magie hervorgerufen hatte. Sie war neu gewesen, langsamer und feinfühliger als die Macht der alten Zauberer. Es war ein hellblaues Leuchten wie bei den Sternen gewesen, das wie ein Sonnenstrahl von seinem Zeigefinger verstrahlt wurde. Es hatte ihn Kraft gekostet, unbändige Energie hatte er aufwenden müssen, um das Schaffen, was fast von alleine ging, fortzuführen. Schmerzen hatten sich durch seinen ganzen Unterarm und durch die Hand gezogen, ein eisiges Stechen, was ihm das Leben rauben wollte. Mit Gewalt hatte er dann gegen das Leuchten angekämpft, bis er schließlich versiegt war, doch es hatte ihn so viel Kraft gekostet, dass fieberhafte Hitze in seinem Kopf rumorte und seinen Körper durchwanderte. Eine Woche lang war er im Bett gelegen und war in einem unruhigen Traum gefallen, in dem ihn ein großer Schatten zu begleiten und zu beobachten schien, den Schatten, von dem sein Vater ihm später erzählt hatte.
Er hatte gesagt, dass es ihr Urahne sei, ein Geist der, aus welchen Gründen auch immer, auf sie Acht gab.
Doch heute, vor dem Kamin, sollte der Tote real werden und aus den blauen Flammen auferstehen, sich nicht ihnen allen zeigen, nur ihm, das erste mal als Gestalt im echten Leben...
Timotheus streckte sachte die Hand aus, es war jetzt niemand in der Nähe, machte eine leichte Faust, wobei er den Zeigefinger vorwärts gleiten ließ, ihn auf die Asche richtete. Er wollte sie wieder aufleben lassen, ihr ein neues Lodern schenken.
Da erstrahlte, der dunkelhaarige Junge glaubte es kaum, aus seiner Fingerspitze ein gleißendes, blaues Licht, das sich vorsichtig in einem dünnen Strahl auf den grauen Sand im Kamin zu bewegte. Es war, als würde ihm etwas genommen, während er die Magie einsetzte, alle Lichter rund herum im Raum erlöschten, die Zeit stand still und trotzdem sank draußen die Sonne hinter den Horizont, Dunkelheit breitete sich aus. Das einzige Leuchten war der blaue Strahl, der sich immer noch durch das Zimmer bewegte, auf die Kohlen zu.
Endlich hatte das Flimmern den Ofen erreicht, entfaltete sich wie ein Sonnenaufgang in magischem Blau und kleine Flammen glommen aus den Ascheteilchen auf, hoben sich und wuchsen, während das eisige Gefühl in Timotheus’ Hand immer stärker wurde. 
Auf einmal, als er kraftlos die Hand sinken lassen wollte, da sich langsam ein Krampf bildete, schien sich etwas dunstiges, großes aus den Flammen zu erheben, schwarz von Gestalt und gehüllt in schattendunkle Gewänder. Der Geistesblitz durchzuckte ihn schnell und rasend; es war der Geist aus seinen Träumen, das Wesen, von dem sein Vater ihm erzählt hatte.
Der Schatten hob beschwörend die Arme, unsichtbar, das Gesicht ein einziges schwarzes Loch und begann mit dröhnender Stimme zu sprechen, während der blaue Lichtstrahl unaufhaltsam weiter floss und die Flämmchen an der düsteren Gestalt empor zu züngeln begannen. "Sieh her, Sterblicher, ich bin Senragor Allagan, der war." Die tiefe Stimme war ein Donnern in der Stille des Raumes und Angstschweiß brach auf der Stirn des Jungen aus. Wie konnte dieses Traumwesen wirklich existieren? Wie konnte ein Toter wieder auferstehen? Doch es war ihm nicht gestattet, diese Fragen zu stellen, denn der Dunkle sprach sogleich weiter, tief und unheimlich. "Sieh her, Sterblicher, finde die Zukunft in meinen Augen, erhasche einen Blick auf das, was kommen wird. Du, Timotheus Warrket, Sohn von Merphim Warrket, Enkel von Roniea Warrket, Urenkel von Xantagos Allagan, Nachfahre von mir, Senragor Allagan, letzter Erhalter der Magie, Auserwählter und Einziger der neuen Kraft, spüre deine Macht!" Der Schatten sprach mit solch einer Eindringlichkeit und Bestimmung, dass es dem jungen Hexer schleierhaft war, wie er es fertig brachte zu antworten:
"Was willst du von mir, Schatten meiner Fantasie?"
"Erhebe nicht das Wort gegen den Schatten, Kind, deine Bestimmung liegt darin, das Erbe der Macht fortzutragen, sie deinen Kindern zu erhalten. Werde ein Hexenmeister und wachse an deinen Aufgaben, werde besser und lerne aus deinen Fehlern. Nicht du bist derjenige, dem die Bestimmung nacheifert, sondern deinen Kindern. Sie sind die wahren Hexer von Rohan! Aus Elfenblut und Menschenerbe wird der verborgene Kämpfer erschaffen, das Blut der Magie ist rein und voll von Kraft. Wisse dies, Sterblicher!"
Dann war der Schatten verschwunden, so schnell wie er gekommen war hatte er sich in die Flammen des Feuers zurückgezogen.
Mit einem Mal wurde Timotheus klar, was er da gerade tat, er verschwendete seine Magie auf einen kostspielige Weise. Wachse an deinen Aufgaben, hatte der Schatten, der ihm irgendwie vertraut vorgekommen war, befohlen und, er wusste nicht wieso, hatte er das Gefühl ihm gehorchen zu müssen.
So ließ er noch lange bis in die Nacht die Flammen spielen, das Eis seine Finger zu zerbrechlichen Stäben werden. Er würde es schaffen, irgendwann würde er solchen Zauber mit Leichtigkeit und ohne Schmerzen rufen können!
Nun endete Timotheus mit der Erzählung aus seiner Kindheit. "Damals wusste ich nicht, was es bedeutet, als Erster überhaupt, den Magierschatten der Vergangenheit als Einziger in wahrer Lebensgröße zu sehen. Auch hatte ich keine Ahnung von dem Elfen- und Menschenblut. Heute ist es ganz anders und ich weiß auch seit neustem, warum die Magie unsere Finger zu Eis erstarren lässt." Er machte eine kurze Pause, um somit eine entsprechende Wirkung zu erzielen. "Melwiora Riagoth, die Zauberin, hat der Welt nach der Herrschaft des Herrn der Winde alle Magie entzogen und diese blauen Flammen, die wir heute kennen, sind Produktionen unseres Willens und unserer eigenen physischen Kraft, nur materialisiert, aus unserem tiefsten Inneren heraus! Es ist eine besondere Ehre den Schatten zu erblicken, denn er tritt nur sehr, sehr selten im Hier und Jetzt auf und auch nur dann, wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Früher hörte ich nicht auf die Träume, die er mir schickte, heute bin ich ihnen jederzeit offen, doch der Schatten hat nun Wichtigeres zu tun. Der Geist ist auf Wanderschaft gegangen, ringt mit den Kräften des Bösen in seiner eigenen Welt." Abwesend schüttelte er den Kopf und blickte dann wieder zu Kajetan. "Meine Schwester, die genau neun Monate nach der Erscheinung des Dunklen zur Welt kam, hatte sich mit einem Elfen verheiratet, einem windigen Kerl aus dem Südland, immer auf Abenteuerfahrt und so... Er ist Kapitän auf den Luftschiffen des roten Herbstlandes, ungeschlagen heißt es, bis jetzt! Rone ist sein Sohn, der verborgene Krieger. ... Aber... Du fragst dich sicher, warum ich dich aufgesucht habe, Josias. Und wahrscheinlich auch, warum ich gerade zu dir so offen spreche!" Er atmete scharf aus und in dem Truppführer stieg eine unerwartete Vorahnung bei dem Tun des Druiden auf. "Du musst so schnell wie möglich an den feindlichen Linien vorbei und zu Rone und Thronn! Als ich deine Leute ihnen hinterher schickte, wusste ich nicht, was ich tat... Sie werden so unnötig hineingezogen und mein Sohn braucht bei seiner Reise einen erfahrenen Kämpfer an seiner Seite!"
"Und was ist mit dir?", fragte der Truppführer, während er noch versuchte das Ganze zu verkraften.
"Ich? Ich werde mich den Dämonen stellen. Nimm das und bring es Thronn." Er drückte Josias den Gegenstand in die Hand, mit welchem er noch vor wenigen Tagen gespielt hatte.
"Was ist das?", versuchte Kajetan herauszufinden.
Der Hexenmeister schloss kurz die Augen und winkte ab. "Es ist nur für mein Fleisch und Blut wichtig. Wenn sie wollen, werden sie es dir sagen! Geh nun, ich werde dich auf sicherem Weg hier herausbringen."

Rune Meridian starrte immer noch ratlos auf die Statue. Zwar wusste er, dass sich an ihr der Schalter zu einem der Geheimeingänge befand, aber er hätte genauso gut eine Nadel im Heuhaufen suchen können, denn er wusste nicht, ob die Geheimtür auf Magie hörte, oder ob man irgendetwas drehen, drücken oder bewegen musste. Er stand wahrhaftig vor einem Rätsel.
Palax und Rykorn redeten immer noch und warfen ab und zu einen erbosten Blick auf Rune. Er wollte ja auch Trajan retten, doch dazu mussten sie auf irgendeinem anderen Weg als durch das Burgtor nach draußen gelangen.
"Also... Wir blasen die Aktion vorerst ab. Ich werde mich derweil in der Bibliothek über diese Gänge schlau machen." erklärte er nach langem Zögern und trat unruhig auf. Irgendetwas hatte ihn zuvor gehindert, dieses Geheimnis seiner Unwissenheit preiszugeben.
Der Zwerg nickte und stieß lachend, die Hände in die Hüften gelegt, hervor: "Hah! Ich hab’s ja gleich gesagt! Hier kommt man nicht so ohne weiteres rein. Und raus erst recht nicht, wenn Vorder- und Hinterausgang blockiert sind!" Aber nach einem ungemütlichen Blick von Rykorn setzte er, etwas aus der Fassung gebracht, hinzu: "Hätte auch nicht geschafft, schneller hier rauszukommen..."
Rune nickte und die blauen Augen funkelten anerkennend und verständnisvoll. "Die Trisholer Burg ist nicht nur wie ein einfaches Schloss, sie ist eine Festung, die niemand zu stürmen vermag."
Erst zeugte Rykorns Blick von leichtem Entsetzen und Unsicherheit, doch dann veränderte sich die besorgte Miene in ein freundschaftliches Lachen. Er machte ein paar Schritte auf Meridian zu und legte ihm die Hand von hinten auf die Schulter. Dieser versuchte den Kopf zu seinem Mitstreiter zu drehen, zog ihn aber auf halbem Weg wieder zurück. "Vielleicht ist es besser, wenn wir die Sache bleiben lassen.", sagte er und sah betrübt zu Boden.
"Nein!" Rykorn ballte die in Handschuhe gewandete Hand zur Faust. "Wir werden es schaffen, glaub mir, Meridian! Du warst es doch, der uns die ganze Zeit in dem Glauben von Schutz und Sicherheit gelassen hast, du warst es, der in den vordersten Schlachtreihen mitstritt! Vergiss deinen Schwur nicht, Meridian! Rune! Vergiss ihn nicht!"
Rune erinnerte sich an den Schwur. Er hatte ihn vor einigen Tagen geleistet, als sie sich vor dem König, seinem Vater, eingefunden hatten. Es war der Tag gewesen, bevor sie sich an dem großen Tor der Hochländer eingefunden hatten...
Die Männer standen stramm im Burghof, alle in ihren Uniformen aus blaugefärbtem Leder und den vielen Riemen um den Armen und den Beinen, die ihren eisernen Schutz festhielten. Alle standen sie da, Ehrfurcht und Furcht stand in ihren Gesichtern geschrieben, manchmal sogar gezeichnet von blankem Entsetzen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Es war eine Einheit, die Einheit, die Einheit des Gleichseins, jeder besaß die gleichen Waffen, jeder den gleichen Stand und alle hatten sie Angst vor dem Krieg, doch es musste sein, sie mussten ihr Land verteidigen, auf Biegen und Brechen. Und wenn sie nun im Kampf starben, waren sie für ihr Land gestorben und dafür starben sie gern, behauptet jedenfalls der König, als er auf einer kleinen Erhebung vor ihnen herumstolzierte, das Gesicht zu einer einzigen, grimmigen Maske verzogen, die den Hass einer ganzen Nation ausdrücken sollte. Die Krone auf dem Haupt war alles andere als prachtvoll, ein kleiner, goldener Reif. Narben von früheren Tagen zierten die freien Arme das Königs und das faltige, verwitterte Gesicht, dennoch, trotz seines Alters, waren seine Muskeln nicht erschlafft und er redete mit einer Energie und Schlagfertigkeit, dass es sogar Rune kalt den Rücken hinunterlief.
"Jeder Mann in meinem Reich hat zu kämpfen! Bewaffnet wie unbewaffnet, jung wie alt, und stark wie schwach! Alle ihr hier seit Kämpfernaturen, unermüdlich in eurer Art, unbesiegbar in eurem Tun und unübertrefflich in eurem Kampfstil! Ihr seit Hochländer!" Er hob die Hand mit dem langen, schlanken Schwert darin, das im grellen Licht der Sonne aufblitzte und eine Welle von tausend Jubelschreien drang durch die Reihen, der König hatte es geschafft, die Gesellschaft zu stählen und ihnen klar gemacht, dass sie alle gleich waren, denn sie alle kamen aus dem ungeschlagenen Hochland, dem Land, in welches noch nie jemand Einzug gehalten hatte. "Schwört, dass ihr für euer Land sterben werdet, wenn es nötig ist, schwört, dass ihr nie aufgebt, schwört, dass ihr nie von dem Feind zurückweichen werdet! Denn wahrlich, Männer, wollt ihr das hier verlieren?" Er breitete die Arme aus, als könne er die ganze Welt umfassen und alle schrieen wild durcheinander, übertönten sich gegenseitig und erhoben die Waffen, denn den Schwur würden sie nie vergessen.
Das Land mit seinen Auen und Steppen, den felsigen Scharten, schwören wir zu verteidigen! Die Männer und Frauen des Hochlandes, geloben wir zu beschützen! Die Stadt Trishol, Herrenstadt all unser Heiligtümer, werden wir nie in Vergessenheit geraten lassen! Unserem König schwören wir hiermit all unserer Rechte ab! Unserem Oberhaupt, unserem Gott, geloben wir die Freiheit!
...Unserem Oberhaupt, unserem Gott, geloben wir die Freiheit! ... War es das, nachdem er gesucht hatte? ...Freiheit... Wo hatte er diesen Satz schon einmal gehört? Oder besser: gelesen? Er erinnerte sich schwach an eine Ansammlung von ungedeuteten Zeichen auf dem Grabstein. ...unserem Gott... geboten wir die Freiheit... Er kannte das, er wusste es genau. Aber warum sollte der König in einem Schwur ein Rätsel einbauen, oder war es gar keines?
Er entschied, statt in die Bibliothek zu gehen, sich einfach etwas in der kleinen Hauskapelle umzusehen und dabei Erleuchtung durch ein entsprechendes Gebet zu erhalten.
Während er die Stufen der Wendeltreppe in die erste Ebene hinunterging, liefen ihm Palax und Rykorn hinterher. Beide hatten, während Meridian sich zurückerinnert hatte, sich eingehend mit der Rettung Trajans beschäftigt und Pläne geschmiedet.
"Was gibt es?", fragte Meridian immer noch in Gedanken versunken, als die beiden Ritter von hinten auf ihn zukamen.
"Wir haben einen Plan!", erklärte Rykorn lächelnd und voller Stolz und reckte die Nase. "Zur Rettung Trajans, versteht sich!"
"Und?", fragte Rune zu ihnen gewand. "Wie lautet er?"
Beschwichtigend hob der Zwerg die schwielige, breite Hand und schüttelte das zerknitterte Haupt. "Ich bin nicht dafür, dass wir den Plan ausführen, Meridian! Zuerst müssen wir uns Gedanken machen, wie wir hier rauskommen, vorher läuft gar nichts!"
"Zunächst höre ich mir den Plan an. Es steht ja noch nichts fest!", sagte Rune zu Palax und zog die dünnen Striche seiner Augenbrauen, die nun schräg abfielen, hoch.
Der Zwerg brummelte etwas von "Angeberischer Hochländer!" und schüttelte fast angewidert den Kopf. "Das gefällt mir trotzdem nicht, Hochländer! Es gibt viele Möglichkeiten, unseren Freund - vorausgesetzt er lebt überhaupt noch - zu befreien! Aber auf diese Art und Weise," er biss die Zähne stark aufeinander und sein Blick war so unsicher, wie der Blick eines Zwerges nur sein kann, "kann ich nichts versprechen! Womöglich gehen wir dabei alle drauf!"
"Mit dir wäre das ja kein all zu großer Verlust.", gab Rykorn spitz zu und begann, bevor der Zwerg wieder eine erboste Bemerkung von sich geben konnte, ihren Plan zum Besten zu geben: "Also", begann er und machte eine sachliche Geste, "sobald wir draußen sind - auf welchem Weg auch immer - schnappen..." Weiter kam er nicht, denn ein ohrenbetäubendes Gebrüll zerriss die Stille. Das Geräusch von splitterndem Hartholz war zu vernehmen, etwas Schweres krachte um. Ein hallendes Geräusch brachte den Burgturm zum Zittern und diesmal drang ein langanhaltendes Kreischen zu ihnen herauf. Scharrende und kratzende Bewegungen von großen, grauen Wesen konnten sie aus ihren Augenwinkeln beobachten.
"Die Dämonen haben das Schlosstor eingerannt!", schrie Rune und stürmte die Treppe hinab. Die anderen folgten ihm, zogen bereits ihre langen Messer und Schwerter. Meridian war schneller und schon nach kurzer Zeit unten bei den Angreifern. Als auch sie endlich unten unter großem Schnaufen und mit rasselndem Atem ankamen, standen sie einer Horde von steingrauen Dämonen gegenüber...
Einer war gefährlicher als der andere und ihre Körper bestanden aus lederner, blaugrauer Haut, die sehnig den dürren, aber auf irgend eine Weise auch muskulösen Körper überspannte. Sie gingen auf allen Vieren und ihre Beine schienen ein weiteres Gelenk zu besitzen, endeten schließlich in dicke, klobige Pranken mit sichelförmigen Klauen. Ihre Gesichter glichen Totenschädeln, kleine Köpfe aus deren Augenhöhlen ein gleißender Lichtblitz verborgen zu sein und sie besaßen lange, nadelspitze Eckzähne. Auf ihren mit Stacheln und Hörnern bewehrtem Rückgrat erhoben sich lange, zitternde Schwingen, die auf irgend eine Art zerbrechlich schienen.
Einer der fünf Monster setzte sofort zum Sprung auf Rykorn an, der seinen Angreifer jedoch sofort mit einem mächtigen Schlag seines langen Messers beiseite fegte. Doch rappelte sich das scheußliche Wesen erneut erbost auf und schlug mit Klauen und Zähnen nach dem Ritter, dem es nun schwer fiel auszuweichen. Eine Klaue erwischte ihn, zerschnitt das blaue Tuch auf seiner Brust und er wich erschreckt zurück. "Verdammt!" stieß er hervor und griff hastig nach dem zweiten Dolch in seinem breiten Ledergürtel, riss ihn hervor und ging in Kampfpose, die beiden Schneiden eindringlich aneinaderreibend. "Palax, ich glaube, jetzt bist du dran!" Er sagte dies ruhig, doch in seiner Stimme schwang Dringlichkeit und ein leichter Anflug von Unbehagen mit.
"Klar, Kumpel!", rief der Zwerg und setzte dabei eine kampfeslustige Miene auf. Schon hatte er den Griff der langen Streitaxt fester gefasst und das Metall seiner Schuppen- und Lederrüstung knirschten aufeinander. "Rohan!", erbebte sein Kampfschrei ein dann folgte auch Rune:
"Rohan!", schrie er und mit einer wirbelnden Attacke schlug er sein Schwert in eines der Glieder des Dämonen. Dieser heulte hassverzerrt auf und sein Unterkiefer klappte so weit herunter, dass es war, als würde sich ein saugender Abgrund eröffnen und nadelspitze Zähen klafften ihnen wie die eines bissigen Hundes entgegen, Speichel und noch etwas anderes, ätzendes grünes troff aus ihren Mäulern und ein beißender Geruch - vielleicht der von Schwefel - schlug ihnen entgegen.
"Für Rohan!" Der Zwerg schwenkte die mächtige Streitaxt und ließ sie in den kargen Leib des Untiers sausen. Sofort schoss Blut und Schleim hervor und jetzt griffen auch die anderen mit einem unsagbar schaurigen Geheul an...
Doch da erebbten die herausfordernden Kampflaute der Gegner auf einmal, in ihren widerlichen Antlitzen schäumte Angst auf und ergoss sich zu fluchtartigem Entsetzen. Laute von einem kräftigen Aufschlag nach dem anderen kamen aus der Ferne von draußen und Geräusche, als würden Knochen brechen und schuppige Leiber zermatscht werden.
"Wer ist da..." Rune wand verdutzt den Kopf hin und her und versuchte etwas außerhalb der Ungeheuer auszumachen, was ihm aber nicht gelang und sofort musste er in eine abwehrende Haltung gehen, als ihn der schwere Schlag einer messerscharfen Pranke traf und er unter dem Gewicht des Aufpralls aufstöhnte. Obwohl er seine Klinge noch im richtigen Moment empor gerissen hatte, fühlte er, wie sich etwas feuchtes an seiner Stirn hinabwand. Er glaubte, es wäre ein Blutrinnsal und dass eine der Krallen ihn schwer am Kopf verwundet hatte...
Vorsichtig sah er auf, gefasst auf einen unsagbar schlimmen Schmerz in der Stirn, doch... blieb der aus. Jetzt sah er auch sein Schwert, das den Angriff abgewehrt hatte. Die Schneide funkelte. Und an ihr war Blut. Doch nicht sein Blut, sondern das der Pranke des Angreifers, aber wo die sein sollte, war jetzt nur noch ein sich windendes, schwarzes Gewürm, wie aus unzähligen kleinen Fliegen, die sich zu einem Stück vereint hatten und das Summen der Insekten drang nun hart und gewaltsam in sein Ohr.
Entgeistert und aus dem Reflex heraus riss er das Schwert aus der geschlagenen Wunde und sofort stob der hektische Fliegenschwarm auseinander, schien sich wenige Yards weiter neu zu bilden. "Ein Wandler!", erklang Palax' Stimme, doch Rune hörte sie nur wie aus weiter Ferne. Etwas hatte sich ihm soeben durch die Schädeldecke gefressen, das spürte er, der Saft, den die Insekten bei seinem Aufschlag abgegeben hatten, war weg von seiner Stirn. Und keine Wunde war zurückgeblieben, nur das bedrückende Gefühl etwas Fremdes in seinem Körper - in seinem Gehirn - zu haben, war geblieben.
Plötzlich zerrte ihn eine hastige Bewegung in die Wirklichkeit zurück, die sich direkt vor ihm abspielte. Doch es war nicht der angebliche Wandler, der sich bewegt hatte, sondern etwas breiteres, kräftigeres hinter diesem.
"Für Rohan!", schrie Trajan lachend und mit seinem Breitschwert zerteilte er behände die garstige Kreatur und tauchte einen Moment später durch einen Schwall aus Schleim und Blut, und schwarze Fliegen und Insektenlarven stoben auseinander, lösten sich bereits nach wenigen Zoll in Staub auf. "Deckung, Rune!" Mit beiden Armen vollführte er einen Rundumschlag und gleich mehrere Höllenausgeburten gingen, den letzten Atem in einer giftigen Wolke aushauchend, zu Boden.
Er hatte in dem Schleim gebadet, war Meridians einziger Gedanke und das blonde Haar klebte ihm schweißnass am Kopf, in dem Blut, das mir noch vor wenigen Sekunden in den Schädel eingedrungen war. Es arbeitete in ihm, das spürte er so deutlich, wie er schon lange nichts gespürt hatte, etwas suchte, wühlte und grub nach ihm und es schien es auch bereist gefunden zu haben, denn Schmerzen breiteten sich in feinen Ästen in seinem Hirn aus, doch nur so zart, dass es für ihn war, als kratze er sich am Kopf. Er fühlte, wie ihm etwas unter der Haut saß... Und bei Trajan jetzt wohl auch...
Trajan und die Anderen machten bereits weitere Angreifer nieder und arbeiteten sich stetig den Toren zu, drängten die Gegner mit Axtschlägen, Schwerthieben und Messerstichen zurück, um endlich die Türen wieder verbarrikadieren zu können.
Erst jetzt nahm Rune war, dass nach ihm gerufen wurde. Er lauschte. Nichts. Er versuchte es wieder und wollte dabei eine unsichtbare Sperre in seinen Gedanken auflösen, aber aus irgend einem Grund schien ihm das nicht gelingen zu wollen.
"Rune!", hing Rykorns Stimme laut wie das Brausen des Windes und das Klirren von Metall in der Luft, doch Rune rührte sich immer noch nicht, stand weiter da als wäre nichts gewesen, schwer atmend, das blutverkrustete Schwert in den Händen haltend, den schweißnassen Körper schlaff vorn übergebeugt, bis er fast wie einer der Dämonen Aussah. "Warum antwortet der Kerl nicht?" Schnell duckte er sich unter dem Bissangriff eines Monsters und stieß diesem seine zwei blitzenden Dolche in den Leib. Dann riss er das Wesen an sich und rammte ihm das Knie vor die Brust. Er vernahm das zermalmende Geräusch von brechenden Knochen und nahm sein Knie runter, zog die Messer aus den nun blutklaffenden Wunden hervor und stieß das Wesen mit einem Fußtritt zurück, sodass es von dem Wehrgang vor den Burgtoren über die Zinnen in den Burghof fiel. Dabei warf er einen raschen Blick prüfend die Treppe hinunter, die an der Seite des Schlosses den Fels hinabführte. Eine weitere Armada geifernder Wesen war auf dem Weg nach oben, Hass blitze aus ihren Augen hervor.
"Rykorn."
"Endlich, Meridian, was war mit dir los?" Besorgt wandte er den Kopf von den Kommenden ab. Sie hatten noch eine halbe Minute Zeit, bis die Gefahr nahe genug gekommen war und nutzen diese zum Ausruhen.
"Rykorn." Runes Brustkorb hob und senkte sich schwer und Kraftlosigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Hör mir zu..." Jetzt schien alles unendlich lange zu dauern. Er warf einen Blick auf Trajan, bevor er weiter sprach, fühlte, wie ihm die Sinne schwanden und seine Bewegungen empfand er als schleppend, während das Herz in seiner Brust - gerade noch wild rasend - plötzlich wieder ruhig und dumpf schlug, doch er spürte den Schmerz, den es seiner Brust zufügte. Der hünenhafte Krieger war etwa von der gleichen Statur wie Josias, groß, muskulös, doch erheblich breiter, seine Arme und Beine waren dick wie Baumstämme und strotzten vor Kraft. Trajan hatte himmelblaue Augen, stechend und nur in ihnen spiegelte sich die rastlose Energie, die in ganz Trajan pulsierte, doch schien sie etwas gebrochen. Vielleicht von der Anstrengung des Kampfes, dachte Rune, starrte direkt in das breite Gesicht, umrandet von hellem, kastanienbraunem Haar, das in leichten Fransen auf seinen Schultern endete. Auch seine Blicke waren auf ihn geheftet. Der große Krieger trug ein einfaches Wollhemd, darunter aber ein silbernes Kettenhemd, was durch die Wolle getarnt werden sollte und ihm so einen kleinen Vorteil im Kampf brachte. Er trug Strumpfhosen und leichte Lederstiefel und seine Finger steckten in großen Handschuhen. 
Dann, endlich, war der Moment der Langsamkeit vorbei und er konnte wieder sprechen. "Rykorn", sagte er vorsichtig und in seiner Stimme schwang keinerlei Kraft mit. "Halte mich nicht auf..." Wieder warf er einen kurzen Blick auf Trajan, während er die Worte wirken ließ. Der großgewachsene Führer des Breitschwerts war nicht im geringsten erschöpft, obwohl auch er von dem giftigen Schleim angespritzt worden war. Vielleicht gab es ja noch Hoffnung, dachte Rune. Oder hatte Trajan einfach nur Glück gehabt? Wirkte das Gift bei seiner Größe langsamer als bei ihm?
Er hatte keine Zeit weiter nachzudenken, denn der Ruf Palax' unterbrach ihn.
"Sie kommen wieder! Verbarrikadiert die Tore!"
 

© Benedikt Julian Behnke
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