Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 2 - Mordgeister

Die Nacht war kühl und das endlose Himmelszelt von Sternen übersät, kein Geräusch lag in der Luft, Fackeln wurden lautlos und lichtspendend über das raue Pflaster der Straßen getragen. Dunst und Nebel wallten und die Sicht der rund dreihundert Männer und Frauen ging nur wenige Yards weit. Die Bewaffneten hatten die Erkrankten oder Verwundeten eingekesselt und hielten ihre geschärften Waffen weit von sich gestreckt, um die Angriffe des Feindes abzuwehren. Die beiden Monde schimmerten mit samt dem Fackellicht auf den gesäuberten Klingen und sie bewegten sich schnell aber vorsichtig vorwärts. Die Kreuzungen und Straßenbiegungen schienen zu kommen und zu gehen, während sich der Zug wie ein breiter Fluss über die taunassen Straßen wälzte. An seiner Spitze gingen Dario, Kelt und Patrinell. Aufmerksam ließen sie ihre Blicke in die Schatten der Häuser, Türen und Wege gleiten, denn das Brunnenhaus hatten sie erst vor wenigen Stunden verlassen, und es herrschte Totenstille unter den Leuten, die mit ihnen gingen. Es war eine Befreiungsaktion. Eine Befreiungsaktion für die Menschen, die tagelang in der Einöde der Tunnel gelebt hatten und jetzt das erste Mal seit langem wieder die frische Luft durch ihre Nasenlöcher sogen und sie war beißend und kalt und sie spürten die Gegenwart der Dämonen.
Plötzlich hielten sie Inne und der General deutete mit dem Finger der rechten Hand auf eines der Häuser. "Das da ist es!", flüsterte er, und obwohl der Druide mehrere Yard hinter ihm stand, verstand er die Geste. Er nickte Patrinell dankend zu. Seine Finger bewegten sich unruhig. Er wusste um die Gefahren, die in der Nähe des Spiegels lauerten und er war froh um Rones Gegenwart.
Diese Nacht würde nicht leicht werden, denn in der Dunkelheit schlich mehr herum, als einfach nur Dämonen, Wesen der Hölle, Schattenwesen, verbargen sich noch tiefer in den schwarzen Falten der Nacht, als es die Tiefländer je getan hatten. Er schluckte und seine Mine wurde unsicher. War es richtig gewesen, diese ganzen letzten Überlebenden in einen Kampf zu zerren, der nur zum Teil ihnen galt? War es richtig gewesen, die Magie vor der Zeit anzuwenden? Melwiora hatte sie gesehen, von Anfang an, als er den Zauber das erste Mal in den Tunneln benutzt hatte, und war es doch nur gewesen, um Licht in die Hallen zu bringen. Nein, er musste sich beherrschen, seinen Körper dem Sog der Hexerei entreißen und seine Schwerter benutzen, obgleich es ihm schwer fiel auf zwei so primitive Waffen zurückzugreifen. Dafür aber war es sicherer und die kalten Augen der Eisfrau würden ziellos in den Ländern wandeln, denn einer ihrer Spiegel würde diese Nacht zerstört werden.
Jetzt standen sie genau vor Goran Ascans Haus und die Mauern und die hölzernen Giebel erhoben sich fest und stark, schienen jedoch von einer schweren Last beladen, die sie beugte und in die Tiefe drückte. Es war das Anwesen eines normalen Bürgers, der in der Zeit vor seinem Ableben als Bauer tätig gewesen war, und der genug Geld hatte, um den Rest seines Lebens - was sicher schnell gekommen wäre, wenn Riagoth nicht eingegriffen hätte - in der Nähe seiner Familie zu verbringen. Leider hatte er keine Familie. Ihn verband nur ein ungewisses Band mit seiner verstorbenen Schwester. Er hatte die Schreie gehört, in der Nacht, in der Goran den Pakt mit Sowem Dun eingegangen war und er hatte gewusst, was geschehen war. Die Familie der Ascans reichte noch lange in die Zeit zurück, in der auch Senragor Allagan gelebt hatte, der Schatten, der nun immer wieder in seinen Träumen erschien und ihnen Bilder zeigte. Bilder, die waren, Bilder die sind, und Bilder, die vielleicht sein mögen. Er war ein Orakel, die letzte Zuversicht der Menschheit auf ein gutes Leben in Frieden. Doch warum war er gekommen? Wie hatte er es geschafft, die Träume zu senden? Er war ein Geisterwesen, ein Schatten, welcher der Vergangenheit beiwohnte, eine vage Existenz in den Träumen von den Erlebten, was vor der Zeit geschah. Die Gestalt des Schwarzen war nicht wirklich, eher war sie eine Produktion des Gedächtnisses, ein Hologramm, abgespielt und aufbewahrt aus uralten Aufnahmen, die schon zu der damaligen Zeit gespeichert wurden, um die Welt vor etwas zu bewahren, das die Prophezeiungen schon vor Jahrhunderten bestätigt hatten.
Ja, Senragor, Schatten des mächtigsten Magiersohnes der alten Welt, ich werde deine Aufgabe erfüllen. Ich werde den Spiegel diese Nacht zerstören. Und wenn nicht, dann habe ich alles getan, um es zu tun.
Als sie eintraten, überlief sie ein eiskalter Schauer. Die Gegenwart des Todes war hier deutlich spürbar, ihr Atem wurde zu blassen Dunstwolken und eine dünne Nebelschicht hatte sich über den wie zu Eis erstarrten Boden gelegt. Die Oberfläche des Holzes spiegelte leicht und die Wände fühlten sich - wie übrigens alles - kalt und irgendwie wie lebende Materie an, Materie, die atmete, fühlte und erkannte. Das Haus schien zu atmen und sich auf groteske Weise verändern. Alle Lichter waren erloschen, trotzdem wurden die Räume von einem seltsamen, blauen Leuchten erhellt, das von nirgends zu kommen schien. Es war einfach da und färbte die Umgebung grell in den Farben des Eises.
Sie taten den ersten Schritt.
Das Holz knarrte nicht unter ihren Füßen, sondern die feine Frostschicht darüber schien zu bersten, der leichte Nebel stob in feinen Wolken auf, und es war, als ob er unter einer der Türen hervor zu kommen schien. Die Ecken und Winkel lagen im Schatten, sodass sich in ihnen leicht jemand hätte verbergen können. Und Rone spürte die Anwesenheit von etwas unbeschreiblich Dunklem. Der Spiegel konnte nicht mehr fern sein.
Sie gingen weiter und ihre Umrisse waren schattenhaft und rauchig, Druidenmagie half ihnen dabei, sich wie Geister zu tarnen und ihre Schritte waren nun unhörbar und sachte auf den Brettern der Dielen. Rone hörte Stimmen, die nach ihm riefen, die sich aber nicht seiner genauen Anwesenheit bewusst zu sein schienen und so unterließ er es lieber, ihnen zu antworten. Er folgte einfach Warrket, der unbewusst die Führung durch die Räume übernommen hatte. Seine Augen glommen, während er in dem Tuch aus Dunkelheit und rauchigem Schatten eingehüllt war und seinen Weg fortsetzte. Sie entflohen dem Flur, der in einer endlosen Dunkelheit zu enden schien, und betraten das erste Zimmer.
Es war die Küche.
Auch hier herrschte Stille, das Holz des Tisches war rau und grau, auch auf ihm ruhte eine dünne Schicht von Eiskristallen. Durch das Licht der Fenster fiel das Licht der zwei Monde, wurde von den schmiedeeisernen Fugen in jenem in Sechsecke verwandelt, die sich auf dem Boden und auf dem Körper der toten Frau abzeichneten. Es war Milliana, die verschiedene, angebliche Schwester des alten Ascan. Ihr Haar war mausgrau und noch immer ordentlich, und sie lag da, mit seltsam verdrehten Beinen, den Kittel noch immer über ihrem Nachthemd. Ihre Lippen waren blau angelaufen, ihre Haut so weiß wie Schnee, denn ihr Körper war bereits in die Leichenstarre übergegangen. Ihr Mund war zu einem stillen Schrei geöffnet und ihre Augen gefüllt mit Angst, Angst vor dem, was sie gesehen hatte.
Sie ist tot, stellte Thronn ohne jegliche Gefühlsregung fest, gestorben an dem Abend, an dem ich die Schreie der drei Reiter gehört habe. Es war auch der Abend, an dem er sich Goran Sowem Dun übergab, die ihn freudig empfing, denn er war das fehlende Verbindungsglied zu der Vergangenheit, deren Wahrheit sie verzweifelt hatte herauszufinden versucht.
Sonst war nichts im Raum.
Stillschweigend wandte er sich um, seine gleißenden Blicke streiften nicht einmal Rone, der sich ebenfalls in seine Magie gekleidet hatte, sie wie einen schützenden Mantel um sich gelegt hatte und die ein Hologramm um ihn herum bildete. Ein Hologramm von Nichts, von der Leere, von der völligen Abwesenheit jeglicher Dinge. Sie waren wie Geister, die sich im Schutze der Nacht durch Häuser und Unterkünfte schlichen, und die keinen Geruch oder Temperatur fühlen.
Sie glitten hinüber, hinaus aus der Küche und hinein in den Raum, aus dem der wallende Nebel in dichten Schwaden zu kommen schien.
Als sie die Tür vorsichtig aufschoben, spürten sie selbst in ihrer Geistergestalt die Anwesenheit der Kälte. Hier war alles in eisige Helligkeit getaucht, Helligkeit, die aus der obsidianschwarzen Oberfläche des Spiegels zu kommen schien, und die sich in breiten Strahlen in dem Raum ausbreitete. Sogar das Bett war ganz von der kühlen Starre und der dunklen Bedrohung eingehüllt, die in dem Raum das Denken übernommen zu haben schien. Wieder spürten sie den Atem der Wände und der Decke, der ihnen eisig und schläfrig in die Glieder fuhr. Sie hielten für einen kurzen, vielleicht verräterischen Moment inne, als sie die beiden hochgewachsenen Schattenkreaturen an beiden Seiten des Bettes sahen, über das ein weißes, seidiges Laken geschlagen war und in dem ein schlafender Mann eingewickelt war. Goran Ascan. Der Spiegel. Beide hatten sie gefunden, doch die Wesen der Dunkelheit versperrte ihnen den Weg. Ihre finstere Anwesenheit schien ihnen die Kraft zu rauben. Es waren die Gestalten von dünnen, hochgewachsenen Menschen, die dort Wache hielten und sich nicht zu bewegen schienen, ebenfalls den Toten glichen. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, Schädel, die überzogen waren mit versengter, schwarzer Haut, in deren Falten Eiskristalle ruhten, und aus den tiefen Augenhöhlen war nichts, außer roten Funken. Es waren die Gesichter von vom Leben geprüften, alten Männern, die kronenähnliche Gebilde auf ihren Häuptern trugen, zu einem Ganzen gelötet Granit und Schieferplatten. Es waren die Könige des Steins, Mordgeister. In ihren dünnen, knochigen Fingern steckten lange, silberweiß schimmernde Schwerter, die zwischen ihren Füßen endeten und ihre Leiber waren eingehüllt von rostigen Rüstungen und schwarzen Leinen, ihre Gegenwart strahlte Frost und Kälte aus.
Thronn und Rone hüllten sich erneu ein, umwölkten ihre Gedanken, damit die dunklen Wesen nichts erkennen konnten. Es gab nur ein Problem. Um den Spiegel zu zerstören, musste Warrket wieder zu einem materiellen Körper werden, und dann würden ihn die Wachhunde gefangen nehmen. Sie würden ihn zerstören, bevor er handeln konnte.
Sie warteten. Lange, während der Nebel um sie herum zu leben schien, wie ein Fluss zu plätschern begann und die finstren Gestalten sich nicht rührten. Es war der Spiegel, in dem Sog und Wirbel festzustellen war, ein Wirbel von Magie und kalten, betörenden Augen. Schließlich trat der Hexer vor, schwebte regelrecht durch die lauernden Feinde hindurch und erreichte den Spiegel. Als er vor ihm stand, betrachtete er ihn lange Zeit, die glatte, tiefe Oberfläche, in der nicht mehr sein Spiegelbild zu erkennen war, sondern nur noch ein Tornado aus einem giftigen Grün und zwei Augen, die auf das Geschehen starrten, jedoch keine Regung erkennen konnten. Vorsichtig atmete Thronn aus und seine Hand legte sich bereits auf das Messer. Er musste zustechen, bevor die Macht des Spiegels ihn bezwingen konnte. Er spürte, wie etwas an seinem Geist nagte und ihn versuchte einzuhüllen, doch es war nicht die ganze Kraft der Magie, es war der Teil, der sie bemerkt hatte. Und dieser Teil war schwach.
Immer noch schien die Umgebung, das Haus, zu leben, das Hauchen von Atemzügen glitt durch die Räume und die Wände und Decken schienen ständig in Bewegung zu sein. Alles veränderte sich, von Minute zu Minute wechselte das Haus die Gestalt, Schatten entstanden dort, wo sie nicht sein durften und ragten als groteske Gestalten aus den verwinkelten Ecken und Winkeln. Dämonen waren stark. Doch die Mordgeister, die heimlichen Gilde der Eisfrau, waren stärker. Ihnen war das Töten um den Kampf des Überlebens fortzuführen nicht angeboren. Sie hatten es gelernt, lange, bevor die Zeit war und sie waren gut geworden. Schon jetzt mit ihrer bloßen Anwesenheit verstrahlten sie Angst und Ungewissheit, doch Thronn musste das Risiko eingehen. Immer wieder redete er sich ein, dass draußen eine ganze Armee auf seine Rückkehr wartete und dass sie nicht kommen würden, denn er hatte es ihnen gesagt.
Vorsichtig zog er die Klinge aus der Scheide, während er Daumen und Zeigefinger dagegenhielt, damit der Stahl kein verräterisches Geräusch von sich gab. Es war, als würde ein gleißendes Metallstück aus der tiefsten Schwärze eines Morastes gezogen und die Augen, funkelnde Punkte aus denen das Licht strahlte, dort unter der tiefhängenden Kapuze, glommen selbstsicher auf. Er würde es schaffen! Auf jeden Fall! Der Augenblick war gekommen, jetzt musste er seine Tarnung aufgeben und damit würde er die Mordgeister auf sich hetzen und sie würden ihn zerreißen...
Er erschien wie aus seinem Portal, der rauchige, schwarze Dampf manifestierte sich mitten im Zimmer und die Klinge stieß vor.
Sie berührte die Oberfläche des Spiegels nicht, denn Thronn wurde zurückgerissen.
Eiskalter, brennender Stahl bohrte sich in seinen Rücken, die Steinkönige heulten, kreischten und griffen an, schlugen ihre Schneiden in Warrkets Leib, der unter dem Hagel zusammenzuckte, sich bei jedem erneuten Schlag wieder aufbäumte. In ihm wütete fremde Magie wie giftiges Eis und blockierte seine eigene, der Spiegel begann einmal hell aufzuglimmen und dann wurden aus den schönen Augen einer Frau das Antlitz eines alten, bereits toten Mannes, dessen Gesicht bereits die Farbe von verfaulter Haut hatte.
Tod..., raunte der Spiegel und begann ihn mit wilden Blicken zu hypnotisieren, ließ die feindliche Magie im Körper des Hexers stärker werden. Das Pfeifen von Klingen in der Luft und ihr donnernder Aufschlag lag wie ein Gewitter in den wallenden Nebelschwaden. Unablässig hackten und stießen die zwei Mordgeister auf den jungen Zauberer ein, zwangen ihn in die Knie, ohne, dass sich dieser wehren konnte...
Rone stand noch immer im Rahmen der Tür und beobachtete, noch immer unentschlossen und zermürbt, sah den flehenden Ausdruck auf Thronns Gesicht und konnte ihm jedoch nicht helfen. Er spürte, wie der Druide die Hand nach ihm ausstreckte und seine Hilfe erschreckend menschlich erflehte. Eiskalte, irgendwie unwahre Hände legten sich dünn und schwerelos auf die Schultern des Elfen und hielten ihn fest. Nicht mit Gewalt, doch ihm war es einfach nicht gestattet. Er konnte sich nicht rühren, war gefangen und in dem Moment wusste er, dass ihn der dritte Mordgeist von hinten gepackt hatte. In seinem Nacken spürte er bereits den heißen, schon toten Atem und der faulige Geruch strömte ihm in die Nase, doch es machte ihm nicht Angst. Die Magie, die der Steinkönig besaß, war auf seltsamer Weise seiner eigenen, neuerworbenen Kraft gleich, auch in ihm wütete das Feuer der Wahren Magie. Und diesmal half kein Schatten. Nur die an- und abschwellenden Atemgeräusche des Hauses, das Aufprallen der geschärften Klingen in den Körper des Zauberers, der bedrohende Dunkle hinter ihm und die Stimme in seinem Kopf, die auf vertrauten Bahnen zu schweben schien.
Magie..., flüsterte sie, Magie... setzte sie für mich ein!
Und Rone tat es wie aus einem Impuls, einem Reflex heraus, in seinem Kopf entstand klar und deutlich der Befehl und wurde sogleich von einem unmenschlich starken Windzug, der in das Haus fuhr und tobte und jaulte, ausgeführt.
Stille!
Der Steinkönig hinter ihm wurde von Sturmwinden gepackt und zurück gerissen, während seine Gestalt zu Staub zerfiel. So, als hätte sie gar nicht existiert und der Tod und die vollständige Verwesung währen schon längst überfällig. Sein Schrei ging in dem weiteren Brausen unter und verwandelte sich zu Magie, die Rone begierig in sich einsog, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Diese Kraft war neu für ihn, doch er verstand sie und gab sich ihr hin, ohne weiter nachzudenken. Seine Augen glommen siegesgewiss.
Glassplitter!
Dieses Wort drang wie Eis in seine Haut. Das Kristallglas des Spiegels explodierte und die Splitter pfiffen durch die Lüfte, gruben sich in die Häute der Mordgeister. Dann fuhr ein neuer, starker Luftzug, der zu brennen schien, so heiß war er, auf die Beiden zu und drang einfach in ihre Körper ein, riss das letzte Leben heraus und versengte ihre Gestalten, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb... Die Macht des Spiegels war zerbrochen. Zerbrochen, in einem einzigen Ansturm von Druidenfeuer, das heiß und tödlich war. Noch immer kauerte die zerschlagene Gestalt Warrkets am Boden. Seine Haut war bleich und wie zu Eis erstarrt lag er da, regte sich nicht, doch Blut lag überall, seine Gewänder trieften davon und noch immer steckten die giftigen Klingen der Mörder in seinem Körper, raubten ihm sein Leben. Langsam fasste Rone sich wieder, verschloss die wütende Magie wieder sicher in einem Raum nahe bei seinem Herzen und baute eine Mauer aus eigener Macht um sie herum auf, damit sie nicht wieder so schnell und ungebremst zum Vorschein treten konnte. Vor dem Riesen ließ er sich auf die Knie sinken und seine Finger strichen über die schwarze Seide seiner Gewänder und der weißen seiner Haut. Er lebte. Doch die Anzeichen dafür waren schwach. In seinen Augen stand der Wahnsinn. Nun lag es an ihm alleine, den Kampf in seinem Geiste auszufechten, die Geister in seinem Inneren selbst zu besiegen.
Er nahm den Hexer auf seine Schultern und die geprügelte, verletzte, von Schweiß und Blut nasse Gestalt war unnatürlich leicht und die Feuchtigkeit warm, die von ihm auf Rone überging. Noch einen kurzen Blick warf er auf die zusammengekauerte Gestalt im Bett. Es war ein toter Mann, bleich, dessen Gesicht faltig und das eines schon lange Verstorbenen war. Die Haut war faltig und fast so dünn wie Glas an manchen Stellen, sodass man das Gewebe unter seiner Haut sehen konnte, das sich langsam zersetzte. Es war eine längst vergangene Leiche, nichts weiter und die wenigen Haare, die einmal auf dem schrumpeligen Schädel gewachsen waren, waren dünn und nur noch wenige, und jedes einzelne war von einer dünnen Schicht aus Eiskristallen überwoben.
Wir kamen zu spät...
Rone trat mit dem Druiden auf den Schultern auf den Gang hinaus, der plötzlich nicht mehr lebendig, sondern eher tot wirkte. Alle Magie im Raum war mit der Zerstörung des Spiegels erfolgt und auch Trishol würde magiefrei bleiben, wenigstens für die ersten Tage. Die Wandler würden hier für einige Zeit die Fähigkeit zu wandeln verlieren und bloß noch Willenlose, Dämonen, Diener der Herrin sein.
Sie gingen hinaus durch die Tür und das Licht der zwei Monde fiel wärmend auf sie herab und schon jetzt begannen ihre Wunden wieder zu heilen. Patrinell nahm Thronn mit Hilfe eines weiteren Kriegers entgegen und verständnisvolle, mitfühlende und -wissende Blicke wurden ihm zugesandt und er verstand sie, bejahte ihre Fragen und blieb sonst verschwiegen. War es ein Rückschlag, den sie diese Nacht erlitten hatten? Er glaubte nicht daran. Sie hatten den Spiegel zerstört und mit ihm war die Macht der Mordgeister aus Trishol verschwunden. Doch wie lange würde es noch dauern, bis ein neuer Spiegel hergestellt war. Es gab viele Spiegel auf der Welt, erinnerte er sich, und vielleicht war es nicht der letzte Zauberspiegel aus Kristallglas in dieser Stadt. Das einzige was er konnte, war hoffen. Hoffen und beten, vertrauen auf das, was ihm Thronn gezeigt hatte und was seine Bestimmung sein sollte. Er fühlte sich wohl mit seiner Magie und ihre Anwesenheit war wie Arznei für ihn, die ihn von Innen heraus heilte.
Der Zug ging weiter, nahm seinen Weg nach Westen wieder auf, während die Bedrückung auf ein erträgliches Maß heruntersank, denn dadurch, dass ein Teil der Magie verschwunden war, wirkte auch positiv auf die Leute. Doch Thronn begann es schlechter zu gehen wenn sie nicht in den nächsten Nächten die heilenden Wasser der Silberseen erreicht hatten, würde er vergehen und seine Existenz als Druide würde nur noch auf der mentalen Ebene, den Balken der Geisterwelt fortbestehen. Und das würde ihn auf langer Dauer sicherlich vernichten...
Er gesellte sich zu denen, die erst vor wenigen Stunden zu ihnen gekommen war, und deren Rüstungen gut und deren Gesichter sauber und gepflegt waren. Zuerst wollte er mit dem Großen sprechen und er trat auf ihn zu, so, als ob er einfach langsamer werden würde und dann neben ihm wieder das Tempo der anderen aufnehme. "Wie heißt Ihr?", fragte er. Er musste mit jemandem reden, die Begebenheit von vor wenigen Minuten saß noch zu tief in seinen Knochen, als dass er hätte ruhen können. Ja, er wollte mit jemandem darüber sprechen und sich mitteilen, um nicht völlig das Gefühl zu haben alleine zu stehen.
"Trajan.", erwiderte der hünenhafte Hochländer, doch sein Gang blieb unverändert. Sein Haar hatte die Farbe von Bernstein und seine Züge waren weich, wenn auch der Rest muskulös war. "Sagt mir, wie einer wie Ihr heißt, einer, der die Fertigkeiten der Druiden in einer Nacht erlebt hat."
"Woher wisst Ihr...?" Seine Augen glommen ungläubig, doch dann traf ihn die Wahrheit wie ein Schlag.
"Der dort hat es mir erzählt!" Er deute auf Patrinell, der drei Reihen weiter vorne ging und dessen Gestalt kraftlos und anmutig zu gleich wirkte, unermüdlich und doch so voller Kraft. Und Rone überkam es. Er begann die selbstverständliche Offenheit des Generals zu verstehen, wie er alles verstanden hatte, als die Magie ihn heiß und kalt zugleich durchströmt hatte und so etwas wie Vertrauen baute sich zwischen ihnen auf. Er wusste nicht warum, doch ihm war wie mit einem Mal klar, dass Arth ebenfalls einer war, der sein Leben für die Gruppe geben würde.
Rone spürte den Wind im Haar, den wärmenden Fackelschein im Gesicht, das harte, feuchte Pflaster unter seinen Füßen deutlich, als er seinen Namen nannte. "Ich bin Rone Warrket. Der Druide dort ist mein Onkel." Er wies mit der ausgestreckten Hand auf die zerlumpte Gestalt, die von einigen der Leute getragen werden musste, so entkräftet schien sie.
"Er hat viel durchgemacht..." Auch Trajan besah ihn sich und er versuchte den Schwarzen zu verstehen, das konnte man aus seinen Blicken schließen. Rone hätte es ihm beibringen können, obgleich er selbst nicht wusste, wie er es hätte anstellen sollen, doch das Problem war, dass er nicht wusste, ob er es wirklich durfte. Die Frage war nicht: Konnte er..., sondern: Durfte er...; und er hätte Thronn fragen müssen. Doch er wusste nicht, ob der Hexer in der richtigen Verfassung war. "Und er ist ein guter Kämpfer.", fügte Trajan plötzlich noch hinzu und seine bestimmenden Züge wichen Bekennenden.
"Was habt ihr in den Gängen getan?", fragte Rone plötzlich und forsch.
Der Hüne zuckte erst die Achseln, doch dann schien er zu verstehen. "Nachdem wir uns hinter den Toren verbarrikadiert hatten, waren wir auf der Suche nach den geheimen Gängen. Wir hatten vermutet, dass sich in ihnen Runes Vater, König Meridian, verbirgt. Doch wir fanden nicht ihn, sondern euch. Rune glaubt, dass sein Vater nach Osten gereist ist, um sich der Herrin zu stellen. Und er glaubt auch, dass dieser Patrinell etwas von einem Schwert weiß, das schon seit Jahrhunderten in dem Besitz der Meridians ist, der großen Königsfamilie." Rone spitze die ohnehin schon spitzen Ohren. Es war also kein Zufall gewesen, dass sie sich getroffen hatten. Er erinnerte sich an die Träume, die er vor der Empfängnis der Magie gehabt hatte, sah noch einmal den Mann im Regen vor seinem inneren Auge, die erdrückende Farbenpracht und den Schatten im Nebel. Hatten diese ganzen Träume etwas miteinander zu tun, ergaben sie etwas, das sich auf seine Zukunft auswirkte? Er musste es herausfinden!
Sie liefen noch lange ohne aufgehalten zu werden durch die wie leer gefegten Straßen, während sich das Himmelszelt groß und dunkel über ihnen ausbreitete und die Sterne nur gleißende Punkte inmitten dieser unendlichen Schwärze waren. Und während sie gingen, schwand Thronn, die falsche Hoffnung der Druiden, der einst die Last alleine auf sich nehmen musste und der jetzt fest entschlossen war, gegen Riagoth zu kämpfen und die Zerstörung Rohans aufzuhalten. Und so gingen sie, die legendären Krieger von Rohan...
 
© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 13. Kapitel (3. Kapitel des 2. Buches): "Der Lorbeerstrauch"

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