Endlich. Nach langer Jagd bleibt das Mädchen stehen, sie
ist schön und so perfekt, wie man nur sein kann. Sie blinzelt und
ein Schwall von Eis überkommt Rune, dennoch ist ihm nicht kalt. Der
Frost scheint ihn zu wärmen, ihm seine verlorene Kraft wiederzugeben
und er streckt die Hand aus, begierig auf das, was kommen wird. Er bewegt
sich steif; seine Muskeln sind steif und sein Körper von Schweiß
bedeckt. Von Fern hallen Schreie, die Nacht ist schwarz, jedoch sternenklar
und die Monde senden ihr silbernes Licht auf die Beiden.
"Du... bist mir gefolgt?", fragt das Mädchen zaghaft.
Rune nickt und eine Flamme der Begierde brennt in ihm und etwas
in ihm hat sich schlafen gelegt, etwas dunkles, unheimliches, das zuvor
noch getobt und rumort hat. Er sieht sie lange an, betrachtet ihre vollkommene
Gestalt, die eingehüllt von Laken und weißen Leinen ist. Ihr
Haar ist Gold, dunkler jedoch als zuvor und die feuchten Strähnen
kleben auf ihrer weichen Haut. "Verzeih mir, Yara...", bringt er heraus,
doch sie macht einen erschreckend schnellen Schritt auf ihn zu, den Kopf
leicht nach vorne gesenkt, sodass sie seine Brust sehen kann. Sie streckt
die Hand aus und berührt seine Lippen. Ihre Finger sind kalt, das
Blut in seinen Lippen pulsiert und wird zu Eis.
"Rede nicht...", sagt sie sanft und nimmt den Finger vorsichtig
zurück.
Die Berührung war schmerzhaft gewesen, hatte gebrannt und
gestochen, wie als ob man auf Nägel tritt. Rune wendet sich leicht
ab, noch immer durchflutet ihn der Schmerz dieser kurzen Berührung,
und er weiß, was sie von ihm verlangt. Er setzt sich auf den Felsen,
noch immer ihren stechenden, lüsternen Blick haltend, spürt den
harten, groben Fels unter sich und das Gras, was sich an ihn schmiegt.
Vor ihm erhebt sich die Drachenzunge wie eine Schlange von den eigentlichen
Bergen ab; sie trägt den Namen nicht umsonst, Drachenzunge. Der Tau
glänzt auf den Felsen, in Spinnweben und zwischen Gräsern, ein
Gebirgssee schimmert hinter ihm, spiegelt die Gestirne in einem Glanz wieder,
dass es ihn erschaudern lässt. Es ist kühl hier, sanfter Wind
schmiegt sich um die Hügelkämme und rollt über die Weiden,
auf denen vereinzelt Bäume stehen.
"Lausche meinen Worten, Meridian..." Sie lässt sich auf
sein Knie nieder, sie ist kalt wie das Wasser des Eisflusses, doch ihr
Körper ist weich und er möchte einfach nur die Arme um sie legen,
und sie festhalten, doch er zögert. Als sie ihren Kopf gegen seinen
Oberkörper lehnt, die Hände auf seinen Schultern platziert und
genießend die Augen schließt, kann er nicht mehr an sich halten.
Seine Finger gleiten langsam und vorsichtig zu ihr, berühren erst
ganz sacht ihr Haar, und gleiten dann hindurch, wie durch einen Schleier,
fühlen die frostige Nässe, die ihnen innewohnt. Yara hat sich
beinahe ganz entkleidet; sie ist nur noch bekleidet mit einem feinen Hauch
von Nichts, der sich um die linke Hälfte ihres Oberkörpers schmiegt,
das feuchte, weiße Kleid, das sie trägt. Den größten
Teil hat sie abgestreift und er spürt ihre weibliche Gestalt ganz
nah bei sich. "Ich werde dich lieben, so, wie ich deinen Vater geliebt
habe... Es wird nichts geben, was uns wird trennen können." Sie stöhnt
leise und verbirgt ihr Gesicht in den Falten seines Hemdes, Tropfen von
Wasser, kleine Rinnsale benässen seine Haut. Als von seinem Vater
die Rede war, fühlt er nichts, keine Scheu, kein Erschrecken, kein
Wiedererkennen. Er weiß nur, dass Yara bei ihm ist, und dass sie
mehr ist, als er sich jemals erhofft hatte. Er glaubt, die Richtige gefunden
zu haben und schließt jetzt seine Arme fest um sie, als wäre
sie ein Teil von ihm. Erst ist es, als umarme er einen Eisblock, doch schon
nach kurzer Zeit gewöhnt er sich an das Gefühl, das Eis schmilzt
dahin, erwärmt von seiner eigenen Hitze und es bleibt eine Erinnerung
an allen Schmerz und Leid.
"Ramhad..." Das Wort, der erstickte, leise Ausruf, gilt nicht
ihm, sondern etwas, das plötzlich hinter ihm stehen muss, sich ihm
lautlos näherte. Aus dem Augenwinkel sieht er nun den flackernden
Schein einer wärmenden Lichtquelle, aber er reagiert nicht darauf,
will sie nur noch fester an sich pressen und schließt die Augen.
Jedoch wird er mit sanfter Gewalt weggestoßen und sie entgleitet
ihm. Er rührt sich nicht, während alle Wärme aus ihm fließt
und sich in den kühlen Strömen der Luft verliert, wieder kehrt
diese unglaubliche Leere ein und das Dunkle in ihm erwacht, taumelt noch
etwas schläfrig und als er die Lider öffnen will, sieht er Schwarz,
und zwei rotglühende, verrückte Augen, wo er zuvor nach Yaras
Gegenwart gespürt hat...
Josias erwachte, blinzelte, da sich seine Augen erst an das blendende
Licht gewöhnen mussten, und erblickte das schmale Gesicht eines jungen
Mannes, das mit haselnussbraunen, langen Haaren umrahmt war. Es war der
Elf, Irmin Bar Óus. Seine Augen leuchteten vertraut, doch die Umgebung
war ihm fremd. Das Zimmer, in dem er sich auf einem Bett liegend befand,
war groß, lichte und aus kunstvoll geschnitzten Hölzern gemacht.
Ein kühler, frischer Wind wehte durch die seidenen Vorhänge,
die man vor einen großen Balkon gespannt hatte, um die Kälte
auszuschließen, dennoch waren sie nicht festgezogen und so bauschten
sich die feinen Stoffe wie die Gestalten von Geistern. Er sah, dass es
dort draußen zu einer Terrasse überging, deren Boden mit silbergesprenkelten
Steinen verziert war, die ein Mosaik mit den bunten Blättern bildeten,
welche von den Bäumen heranwehten, in den Farben: Rot, Gold, Gelb
und Blassgrün. Das Geländer bestand aus geschnitzten Bäumen,
die sich in anmutigen Kurven gen Himmel hoben und dort ein Dach aus ebensolchen
stützte, durch das sich Efeu und Weinstöcke rankten. Die Helligkeit
ging von Laternen und Lampen aus, die auf der Dachterrasse platziert waren
und die das Brausen und Toben eines kleinen Wasserfalls beschienen, der
in einiger Entfernung von den Hängen des Kessels des Aróhcktals
herabstürzten und sich im tiefen Flussbett des Warmakin schäumend
sammelten, um von dort aus weiter nach Süden in den Rindsee zu fließen.
Draußen herrschte Dämmerlicht und es war, als wäre der
Tag bereits erloschen, dennoch war es hier im Zimmer hell genug, um zu
denken, die Sonne würde noch an Stelle des Mondes weilen. "Wo...?"
"Du bist in den Schlafräumen der Eszentirs." Die Stimme des
anderen war warm und freundlich, dennoch hallte eine leichte Strenge mit,
die aber mit Sorge verschmolzen war. Kajetans Blick irrte umher, unfähig
etwas genaues ins Auge zu fassen, denn erst jetzt spürte er den Schmerz,
der überall und vor allem in seinem Arm wohnte, brüllend und
schneidend und er glaubte nicht, dass er sich würde bewegen können.
Dennoch tat er es, erhob sich aus den Schatten seines Denkens und betrat
eine für ihn völlig neue und fremde Welt, und das Licht umfing
ihn schützend...
"Bar...", stöhnte er und wollte den Elfen an den Schultern
packen, um sicherzugehen, dass er nicht im Fieber fantasierte. Er spürte
die Hitze und den Schweiß auf seiner Stirn, die Nässe, die sich
in all seine Kleider gesogen hatte.
Doch Irmin stieß ihn mit sanften Fingern wieder zurück
auf das Laken, wobei er den entgeisterten Ausdruck des Truppführers
einen Moment lang belächelte. "Schlaf. Denn du musst ausgeruht sein,
wenn sie kommt." Er wandte sich ab und wollte gehen, als Josias seine zittrige
Hand ausstreckte und für einen Augenblick sah man keinen Soldaten
mittleren Alters, sondern einen dürren, schlaffen, alten Mann, der
das ganze Leben lang nichts anderes als Schmerzen erlitten hatte und von
ihnen gezeichnet worden war, bis seine Haut verwittert und eingefallen
war.
"Wartet...!" Er sog die Luft scharf durch die Zähne ein, der
Schmerz schoss wuchtig und stark durch seine Glieder, wühlte sein
schwarzes Inneres auf und ließ es wie Nebel bei Sonne zerfallen.
"Wo... genau...?"
"In meiner Heimatstadt, Lesrinith.", antwortete er monoton, doch
sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich und ungläubig, als ihn die
Erinnerung wie ein Eimer kaltes Wasser überschüttete. "Genau
drei Tage nach dem Überfall der Dämonwölfe und den Schattenwesen."
Er drehte den Kopf zu dem Feldherrn hin, der, eingewickelt in mehrere Verbände
und mit heilenden Salben eingeschmiert, unter einer leichten, warmen blütenweißen
Decke lag, auf der das Wappen der Eszentirs gezeichnet war, ein Hammer
vor einem runden, grünen Stein auf grauem Grund, der von goldgelben
Weinranken umrahmt war. Eine Krone prangte über allem, das Zeichen
einer königlichen Familie. "Ihr wart schwer verletzt, hattet mutig
gekämpft und seid mit dem Schwarzen entkommen, habt mich schließlich
in Richtung Süden gebracht. Dort ward Ihr zusammengebrochen, der hohe
Blutverlust hat Euch schwach gemacht." Seine Augen ruhten einen Moment
auf dem Arm Kajetans, der beinahe in zwei Teile zerrissen worden wäre,
und der jetzt geschient war, das saubere Laken darum war schon an einigen
Stellen durchgeblutet. "Es wird sehr lange dauern, bis Euer Arm verheilt
ist. Schließlich hat man uns keine Meile von Warmakin gefunden und
hier hergebracht. Schattenwesen hatten uns verfolgt, doch die Tore von
Lesrinith werden von mehr als nur Schwertern beschützt." Er lächelte
flüchtig.
"Ihr seid der König, nicht wahr?", fragte der Verwundete plötzlich
und erleichterte Ruhe war in ihm eingekehrt.
"Wie hinter allem verbirgt sich auch hinter meiner Fassade etwas,
doch nicht das Königtum. Wie wir Euch geholfen haben, das Gift und
den Tod in Euch zu beseitigen, so hat meine Schwester mir geholfen, das
Königtum abzulegen. Ich war das ewige Regieren leid..." Er blinzelte
kurz, doch hinter diesem einzelnen Wimpernschlag verbargen sich Tausende
von Erinnerungen und Gedanken. "Und nachdem unsere Mutter gestorben ist,
lebe ich lieber allein..."
"Wie ist sie gestorben?" Er hatte Mühe, die Frage ohne auch
nur ein leises Ächzen herauszubringen und so klang er rau und unbeholfen.
"Ihr werdet es erfahren." Er winkte ab, und drehte den Kopf beiseite.
"Das Gift der Dämonen muss erst ganz aus eurem Körper verschwunden
sein, dann können wir über die Magie der Elfen reden. Es gibt
Gesetze, die man einhalten sollte..." Nun ging er, ohne ein weiteres Wort,
und sein Umhang schwang hin und her, als er die schwere Eichenholztür
erst nach einem leichten Klopfzeichen auf- und dann wieder zuschob.
Nun war Josias allein. Allein mit seinen Gedanken und allein mit
den grausamen Erinnerung an die Schlacht am Rande des Talkessels, als sie
von der Ebene her das Heulen und Knurren der zottigen Biester vernommen
hatten, die sich später zu Schattenwesen, Dienern des Todes, erschaffen
von Sowem Dun, entpuppt hatten. Er lauschte in sich hinein, ob da noch
diese seltsame Regung war, die ihn anfangs gehindert hatte, sein Schwert
gegen die Dunklen zu erheben. Bar hatte etwas von Gift erzählt, von
etwas, das in ihm nach seiner ersten Begegnung mit den Dämonen befallen
hatte und seit dem in ihm lauerte. Er spürte nichts in sich, nur einen
Schatten, der vor seinen Erinnerungen lag und sich wie Nebel ausgebreitet
hatte, begonnen hatte zu zerfallen und sich aufzulösen, dennoch war
er immer noch anwesend. Und das Gefühl wurde deutlicher, wandelte
sich von Nichts in ein riesenhaftes Ding, das die Form und Gestalt eines
Menschen hatte, jedoch etwas völlig anderes war, etwas, das wie eine
Fusion aus Mensch und Schattenwesen war und die Stärken beider Völker
verdeutlichte.
Er sinnierte noch lange, das gedämpfte licht der Laternen und
Lampen blieb jedoch gleich und wich bis zum nächsten Morgen nicht,
während das Rauschen des Wassers wie Musik in seinen Ohren klang und
beruhigend wirkte. Viel Zeit verging, ab und zu betrat ein Diener den Raum,
erkundigte sich, wie es dem Herrn gehe, und verschwand wieder, nachdem
er dem Truppführer Essen und etwas Flüssigkeit überreicht
hatte. Mal sah er, wie große Vögel auf den unzähligen Terrassen
und Plattformen vor seinem Zimmer landeten, ihre Schreie waren gurrend
und auf eine gewisse Weise schrill in seinen Ohren, das Schlagen ihrer
Flügel laut und synchron. Es waren hellbraune Tiere mit roten Federn
als Kopfschmuck, scharfgebogenen Schnäbeln und riesigen Krallen, deren
schwarze Spitzen glommen, wie ihre obsidianschwarzen Augen. Es waren Rocks,
die Riesenvögel, die an den Küsten in Höhlen hausten und
von einigen Elfen gezähmt wurden. Die Zeit verging, die Nacht wurde
zum Tag und dann wich die grelle Sonne erneut dem silbernen Glanz des Mondes
und Kajetan war gerade wach und beobachtete die Ruhe der Natur vor seinem
Fenster, als sich die Eichenholztür mit einem schwungvollen Knarren
öffnete und eine Frau dastand, gewandet in kunstvolle, lange Gewänder
in den Farben des Himmels bei Sonnenuntergang, ein geblichenes Lila. Sie
war schön, die Züge eines Elfen erstrahlten in einer unverkennlichen
Eben- und Reinheit, die selbst dem Licht des Tages überlegen war.
Sie hatte kohlschwarzes Haar, das ihr lang und seidig wie der durchsichtige
Schirm eines Wasserfalls vor einer Höhle über die Schultern floss
und erst an ihrer Taille endete. Auf ihre rosigen, vollen Lippen lag ein
ermunterndes Lächeln, als sie den Mann in ihrem Bett vorfand. "Wie
geht es Euch?", fragte sie gelassen und mit gehobener Stimme, während
sie die Tür hinter sich schloss und auf ihn zutrat, sich auf einen
Stuhl neben seinem Lager setzte und die Hände ineinander legte.
"Schon besser.", sagte er etwas verlegen beim Anblick dieser schönen
Frau. "Das Gift scheint meinen Körper inzwischen ganz verlassen zu
haben."
"Und das ist gut so.", warf sie schnell ein, um sich nicht mit langen
Vorreden aufhalten lassen zu müssen. "Mein Bruder, Óus Eszentir,
hat mir von Euch berichtet und ich bin sicher, dass Ihr in der Lage sein
werdet, mit meinem Volk ein Gespräch zu führen. Denn ich bin
die Königin, Sephoría Eszentir."
Kajetan hatte gewusst, dass die Königin irgendwann auftauchen
würde, doch er hatte nicht mit solcher Baldigkeit gerechnet. Es hätte
ihn fast umgeworfen, als er ihren Namen gehört hatte, der so schlagkräftig
aus ihrem Mund gekommen war, ganz anders, als er sich es bei einer Königin
gedacht hatte. Außerdem war sie viel zu jung, um eine Königin
zu sein, sie war vielleicht erst etwas älter als zwanzig Jahre. "An
welche Art Gespräch dachtet Ihr, Mylady?", rang er sich endlich zu
einer Frage durch, die ihm halbwegs angemessen erschien.
Sephoría lächelte leicht spöttisch, offenbar belustigt
über das Wenige, was der Feldherr wusste, oder auszusprechen wagte.
Aber offenbar war sie es gewöhnt mit Leuten umzugehen, die in ihrer
Gegenwart rot wurden, wenn sie etwas fragen sollten, denn sie beantwortete
die Frage mit ihrer süßen, kräftigen Stimme, die einfach
alle in ihren Bann schlagen konnte: "Als Bote aus Krakenstein, wie mir
mein Bruder erläutert hat, dürftet Ihr wohl auch eine Nachricht
für mich überbringen."
Natürlich! Kajetan fühlte sich vor den Kopf gestoßen
und errötete noch weiter, während er sein Gesicht beschämt
von ihren Augen abwand, doch sie schien dies als Drohung aufzunehmen und
missbilligte es, dass ein Gast in ihrem Hause die Dreistigkeit besaß,
sich beim Anblick der Königin abzuwenden. Doch sie verlor nicht die
Fassung, sondern wartete, bis Josias die plötzlich Stille verstand
und seinen Kopf rasch wieder herumdrehte, um sie anzusehen. Die Strenge,
die noch soeben zusammen mit Empörung in ihren Zügen lag, legte
sich schnell und ein sanftes Lächeln trat zum Vorschein. "Natürlich...",
sagte er entschuldigend, und wollte sich aufrichten, um ihr zu erörtern,
um was es hierbei ging, doch sie schüttelte entscheiden den Kopf.
"Nein, Truppführer!", rief sie streng, "Zwar hat mich mein
Bruder über Eure Tatkräftigkeit informiert, dennoch bin ich nicht
gewillt Euch einfach gewähren zu lassen! Legt Euch wieder hin und
schließt die Augen!" Erst entschied er sich dagegen, wollte protestieren,
doch das bestimmende Funkeln in ihren Augen ließ ihn an der Richtigkeit
seiner Sache zweifeln und so lehnte er sich schnell wieder zurück
und tat dies, was ihm die Elfe befohlen hatte. Er ruhte, sammelte innere
Kraft, während er den Geräuschen der hereinbrechenden Nacht lauschte.
Sanft glitt sie mit ihren Fingern über seine Haut, wie ein
warmer Windhauch strich sie darüber und das Feuer pulsierte in ihren
Fingerspitzen, denn die Magie, die sie beherrschte, war Angeborene. Sie
setzte sie ein, um zu heilen, um den Körper des Kranken völlig
von den Spuren des Bösen zu heilen und wenn sie atmete, durchströmte
Josias eine Woge der glücklichsten Empfindungen, die er je gehabt
hatte. Er verspürte Liebe, die Bestätigung, dass er alles richtig
tat, und das Gefühl geliebt zu werden, aber er wusste, dass es nur
Illusionen waren, die von dem Dunklen in ihm versprochen wurden, wenn er
die Frau davon abbrachte. Eine Sekunde lang tastete seine Hand unwillig
nach dem Schwert an seiner Seite, wollte es herausreißen, jedoch
wurde er sich im selben Moment bewusst, dass seine Waffen an der
gegenüberliegenden Wand an einem Haken hingen.
Leid...
Das Wesen in ihm stöhnte und schrie auf, als das helle Leuchten
der Magie es wuchtig traf und gegen die Wand seines Inneren Geistes warf
und ihn wie eine Klaue dagegen presste, und im gleichen Moment war es für
Kajetan, als wäre er dabei, als würde er die Macht lenken, um
den Dunklen davonzujagen.
Der Schrei gellte durch die Leere, getrieben von dem Drang der
Schmerzen, die den Schwarzen peinigten. Alles war dunkel und unendlich
weit, wie das Weltall, nur ohne die Lichtpunkte der Sterne...
Kajetan wollte, dass es endlich verschwand, er wollte nicht zu einem
dunklen Wesen werden, er wollte überleben und für die Freiheit
Gordolons kämpfen und er würde erst nachgeben, wenn auch der
letzte Böse zerstört war!
Endlich ließ sie von ihm ab, das Feuer pulsierte und brannte
unter seiner Haut, leckte und blakte an seinen Muskeln und hatte eine aufbauende
Wirkung auf sie. Das Schattenwesen schmolz dahin, nur ein Haufen Asche
und ein dünner Schleier Rauch blieb, der langsam gen Himmel waberte.
Und zum ersten Mal seit dem Kampf in den Wäldern bei Krakenstein fühlte
er sich frei, denn man hatte das Wesen noch rechtzeitig besiegt, bevor
es ganz die Überhand über seinen Körper hatte nehmen können.
Noch immer sah er die Schwärze, erst, als er die Augen aufschlug,
konnte er wie aus einem Sumpf von Schuld und Blei heraussteigen und ins
Licht treten. Das brackige Wasser fiel von ihm ab, als er den ersten Fuß
an Land setzte und er konnte es nicht erwarten auch gleich den anderen
herauszuziehen. Und so stolperte er, schreckte hoch wie aus einem bösen
Traum und die Fluten der Wirklichkeit umspülten seine Glieder in einer
längst vergessenen Leichtigkeit. Alle seine Wunden waren plötzlich
verheilt, der Schmerz flammte nur noch einmal in ihm auf, dann versank
er in den Tiefen des Nichts. Vorsichtig und noch ungläubig streifte
er die Bettdecke zurück, erhob sich aus den verschwitzten Laken und
stand, spannte prüfend die Muskeln an und betrachtete seinen Körper
eingehend. Die Kraft in seinem Arm war nicht wie erst geglaubt versiegt,
sondern mit neuer Stärke zurückgekommen und er fühlte sich
kampfbereit wie vor zwanzig Jahren.
Sie lächelte wieder und räusperte sich dann merklich lauter.
"Wollt Ihr die ganze Zeit in diesen Sachen rumlaufen?"
Zuerst schenkte er ihr nur einen verwirrten, verständnislosen
Blick, bemerkte dann jedoch, dass er nichts weiter als einen kleinen Teil
seiner Unterwäsche trug... Beschämt wandte er sich ab und ging
zu der Wand, wo seine Sachen hingen, begann sie sich überzustreifen.
Und er merkte erst jetzt, als die Hitze des Feuers unter seiner Haut langsam
wieder verflog, dass noch immer der eisige Wind von der Dachterrasse herwehte.
Er begann zu frösteln und beeilte sich beim Anziehen. Derweil richtete
sie ihr Haupt ebenfalls in eine andere Richtung, vermied es ihn anzusehen
und nach kurzem Knisterte die Spannung zwischen ihnen und Beide waren erleichtert,
als sich der große Truppführer fertig angekleidet hatte und
seine Rüstung in den Farben der Freitruppe des Tieflandes glänzte.
"Lasst uns nun gehen, Truppführer!", sagte sie mit brüchiger
Stimme, da sie sich nicht sicher war, wie sie sich jetzt verhalten sollte.
Sie ging hinüber und trat mit schnellen, abgehackten Schritten durch
die Tür, während ihr Gewand hinter ihr herflatterte und der Geruch
von Früchten und Bäumen durchflog den Raum in einer leichten
Böe. "Schließlich werden wir erwartet."
Der Feldherr schnallte sich noch schnell den ledernen Gurt mit dem
Breitschwert auf den Rücken, den man ihm gebracht hatte, und stolzierte
mit ebenfalls gesäuberten Kleidern und den reparierter Rüstungsteilen
hinter ihr her. Alles hier war feinste Maßarbeit, begriff er schnell,
nicht nur die Kleider der Elfen waren mit Silber bestickt, auch ihre Hallen
waren großartig mit Prunk verziert. Das Holz der Stützbalken
war leicht und bildete Figuren und ebene Formen, wie als wäre es so
auf Kommando gewachsen und die Luft war frisch und süß. Sie
führte ihn einen langen Gang entlang, dessen Wände noch aus weißgestrichenem
Stein und Holztäfelung bestand, und von dem viele Türen in andere
Zimmer führten. Das Labyrinth von Lesrinith war einzigartig und riesig,
Räume und Durchgänge glichen wie ein Ei dem anderen, waren verziert
und ausgeschmückt und erstrahlten in herrlicher Pracht. Der Boden
war weißer und schwarzer Marmor, genau wie die meisten Wände
in den größeren Sälen, die Zimmer waren meist lichte und
hatten viele Fenster, deren Rahmen aus dem dehnbaren Holz der gleichen
Bäume bestanden, wie fast alles hier, Holz, das lebte und sich im
Wachsen an den Stein anschmiegte und mit ihm verschmolz, hell und glatt.
Die Blätter waren klein und silbern, während es draußen
herbstliche Farben von den Ästen regnete.
"Wir sind da!", sagte sie schließlich und hielt nach einer
halben Stunde vor einer großen Tür aus dunklem Holz, in das
Bäume und Elfen eingeritzt waren und zeugten, genau wie die zahlreichen
Wandgemälde, von der großen Schlacht vor über hundert Jahren.
"Hinter diesen Toren liegt der große Ratssaal der Elfen, Truppführer.
Wenn wir hineingehen, werden wir meinem Volk gegenüberstehen, also
blamiert mich nicht!" Es war keine Bitte, sondern ein Befehl, der dennoch
in dem weichen, sanften Ton ihrer Stimme gesagt worden war und ihn verstehen
ließ. Es waren die Türen in eine Welt, die von keinem König
regiert wurde, dahinter waren Volk und Herrscherin gleichgestellt, denn
alles, was dort besprochen wurde, ging alle an und das Ergebnis der Entscheidung
würde schnell und einstimmig sein müssen. Plötzlich war
sich Kajetan nicht mehr sicher, was er eigentlich sagen sollte. Alles,
woran er sich erinnern konnte, war, dass er von Krakenstein aufgebrochen
war, um Gordolon zur Hilfe zu eilen, der seltsame Mann mit der Laterne
hatte ihn verfolgt und ihm geraten, die Elfen um Hilfe zu bitten und in
den Westen zurückzurufen. Jedoch war aus dem weisen, geheimnisvollen
Mann ein dunkler Reiter geworden, der ihm hinterhergejagt war, um ihn zu
töten, der aber von der magischen Barriere des Wachturms gebremst
worden war.
Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in eine Falle gelockt
worden war, dass Ramhad ihn im Kreis geführt hatte und ihn dazu gebracht
hatte, so weit wie möglich weg vom Norden zu kommen. Er wollte nicht,
dass Kajetan das Hochland erreichte und hatte ihn mit seinen Worten wie
eine Schlange in die Irre geführt und betrogen. Jetzt traf ihn die
Ironie des Schicksals und er bezweifelte alles, was er bisher getan hatte.
Was machte er hier? Er schickte ein Volk in einen Kampf, der nicht ihm
galt, sondern den Hoch- und den Tiefländern. Er, ein einfacher, blutiger
Truppführer, herausgegriffen aus Tausenden und ohne deutlich aufstrebende
Zukunft sollte es sein?
Sofort war ihm bewusst, dass er nicht gewinnen konnte, nicht so!
Gordolon würde verenden, eingehüllt werden in einen Schneesturm
und er würde versagen...
Dann ging er durch die sich öffnenden Tore...
© Benedikt
Julian Behnke
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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