Ein Bier und seine Folgen von der Lady des Blauen Mondes

Es war eine dunkle, eisigkalte Winternacht. Die kleine, stämmige Gestalt stapfte durch den Schnee, immer bemüht darum, gegen den immer heftiger wehenden Wind, der ihr schneidend ins Gesicht blies, anzukommen. Man hätte sie für ein Kind halten können, wäre da nicht die riesige Axt gewesen, die sie auf dem Rücken trug.
Nach stundenlangem, kräftezehrendem Marsch kam Gorny durstig vor der kleinen Gaststätte "Zum überlaufenden Bierkrug" an. Er war ein Zwerg und es gewöhnt, in seiner immer beheizten Berghöhle zu wohnen und nicht in dieser Kälte, durch den - wie er glaubte - von allen Göttern verlassenen, öden Wald zu laufen. Als er die Tür öffnete und ihm die erwartete Wärme und die gewohnten Gerüche von Alkohol und Schweiß verschiedener Lebewesen aus der Gaststube entgegenkamen, spürte er eine Welle der Erleichterung, war aber zu stolz als dass er dies jemals zugegeben hätte.
Der Zwerg ließ sich in der hintersten Ecke auf einen Stuhl sinken. Er winkte dem sehr dicken Wirt Dogan hinter der Theke, der sich drei betrunkenen Orks gegenüber sah und deshalb erst nach ein paar Minuten zu ihm kam und die Bestellung aufnahm. Als er gegangen war, betrachtete Gorny unauffällig die anderen Gäste: Ein paar Orks aus den Steinwüsten im Osten, die darauf warteten, dass ihre Kameraden mit Getränken zurückkamen, ein paar dreckige Kobolde, die offensichtlich aus den  Sümpfen im Norden stammten und argwöhnisch um sich blickten, und ein Elb aus den westlichen Wäldern. 
Ein Elb?! Gorny hasste Elben und dieser sah in seinen Augen besonders arrogant aus. Er hatte die silbernen, schulterlangen Haare, das schmale, scharfgeschnittene Gesicht mit den mandelförmigen, blauen Augen und die typischen, spitz zulaufenden Ohren der Waldbewohner.
Oh, diese überheblichen Spitzohren, halten sich für was Besonderes, weil sie mit den Naturgöttern auf gutem Fuß stehen. Der Wirt kam in seinem watschelnden Gang und riss Gorny mit einem Krug Bier aus seinen Gedanken. Der Zwerg nahm durstig einen großen Schluck und fühlte, wie ihn das Getränk von innen aufwärmte. Als Gorny wieder aufsah, fiel sein Blick erneut auf den Elb, der offenbar zur Theke wollte.
Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln die drei Orks, welche mit vollen Bierkrügen schwankend dem Elb entgegenkamen und augenscheinlich zurück zu ihren Gefährten wollten. Da Orks, wie der Zwerg wusste, betrunken nicht die schnellsten Reaktionen hatten, rempelten sie den Elb an, der nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte und auf Gornys Tisch fiel, dabei stieß er mit dem Arm den Krug um, den der Zwerg dort abgestellt hatte. Von den Orks ließen sich krächzende Geräusche vernehmen, welche Gorny als Lachen interpretierte. Erst dann sah er, dass der Elb in einer Bierpfütze vor ihm lag.
Der Zwerg spürte, wie die Wut in ihm wie Feuer entflammte. Mit einem wütenden Schrei packte er den Elb am Kragen und schleuderte ihn auf den Boden.  Dieser sprang sofort wieder auf die Füße, zog sein Schwert und hielt es ihm entgegen: "Du riskierst es, einen Elb so zu behandeln?"
"Natürlich. Dieser Elb hat es gewagt, mich bei meinem Bier zu stören", konterte Gorny und versuchte dabei seine Stimme zu beherrschen.
"Ich heiße Amirán. Du sollst wissen, wer dir jetzt Manieren beibringt, Zwerg!" Er sprach das letzte Wort so verachtungsvoll aus, wie es ihm möglich war.
"Nenn’ mich nicht Zwerg, ich heiße Gorny." Er zog seine Axt hervor und brachte sich in Kampfposition, wobei ihm sein kupferfarbenes Haar unordentlich vom Kopf abstand und ihm ein wildes Aussehen verlieh.
Gorny und Amirán starrten sich an und man spürte, wie die Spannung im Raum anstieg. Die anderen Gäste sprangen begeistert auf und bildeten einen großzügigen Kreis um die beiden Kontrahenten, sie wollten sich den bevorstehenden Kampf nicht entgehen lassen. Die Kobolde schlossen bereits untereinander Wetten ab, wer das Duell wohl überleben würde.
"Spitzohr, du weißt wohl nicht, dass es gefährlich ist, sich mit einem Zwerg anzulegen."
"Vor dir habe ich keine Angst, du halbe Portion, die Götter stehen mir bei." Amirán spannte seine Muskeln an.
"Deine Götter helfen dir auch nicht." Gornys Finger klammerten sich fester um den Griff seiner Axt und er stürmte auf den Elb zu. Doch dieser reagierte blitzschnell und sprang zur Seite. Durch die Wucht seines Angriffes konnte Gorny nicht mehr rechtzeitig anhalten und seine Axt spaltete den Tisch, der hinter seinem Gegner stand.
Dogan, der Wirt, hatte das Geschehen bis jetzt beinahe gleichgültig verfolgt, nun ließ er einen entsetzten Aufschrei hören, der aber in den erfreuten Jubelrufen der Zuschauer unterging.
Jetzt attackierte Amirán den Zwerg mit seinem Schwert und ließ es zischend auf das Haupt seines Rivalen niedersausen, doch dieser fing den Hieb mit seiner Axt auf. Funken flogen duch die Luft und der Bart des Zwergen begann zu rauchen. Die Klinge hing auf dem Axtgriff und beide kostete es große Anstrengung, dem Druck des anderen standzuhalten. Gorny griff zu einem alten Zwergentrick und sprang rasch zur Seite, woraufhin Amirán das Gleichgewicht verlor und nach vorne stolperte. Dabei zerteilte er einen Stuhl in mehrere Einzelteile, was dem Gastwirt einen weiteren Klageton entlockte und das Publikum zu erfreutem Gelächter animierte.
Die beiden Kämpfer standen sich wieder mit vor Wut gerötetem Gesicht gegenüber, dann stürmten sie mit erhobenen Waffen aufeinander zu. Amirán schwang sein Schwert, doch dem Zwerg gelang es, geschickt darunter wegzutauchen und die Waffe blieb im Boden stecken. Gorny erkannte seine Chance und rannte mit erhobener Axt auf den schutzlosen Elben zu. Er ließ die Axt über seinem Kopf kreisen und es sah so aus, als würde er den Elb in zwei Hälften spalten, doch Amirán wich dem Angriff geschickt, mit einem Sprung auf einen Tisch, aus und das Beil des Zwergs blieb ebenfalls in den Fußbodenbrettern hängen.
Die Zuschauer jubelten vor Freude, als die Konkurrenten mit bloßen Fäusten aufeinander losgingen. Dogan entspannte sich, da er nun keine Gefahr mehr für sein Mobiliar sah, doch dann musste er mit ansehen, wie Amirán den Zwerg am Kragen packte und gegen einen Tisch schleuderte, welcher zerbrach. Gorny blieb benommen am Boden liegen, während Amirán ein breites Lächeln aufsetzte. Inzwischen wollte er sein Schwert aus dem Holz ziehen, bemerkte dabei aber nicht, wie der Zwerg wieder aufstand. Gorny gelang es, dem Elb von hinten einen Fußtritt, in die Kniekehlen zu versetzen, sodass dieser zu Boden fiel, doch Amirán erreichte es, ihn mit sich zu ziehen, sodass beide wild um sich schlagend, über die Erde rollten. In dem nun entstehenden Chaos konnte Dogan nicht erkennen, wie es dazu kam, aber am Ende des Kampfes lagen beide bewusstlos vor ihm auf dem Boden.

Gorny schlug seine Augen auf und bemerkte als erstes, dass er gefesselt, neben dem Elb, auf einem Stuhl saß. Dann erst sah er den Gastwirt bedrohlich vor sich aufragen: "Ihr habt meine Möbel zertrümmert." 
"Der Elb hat mein Bier verschüttet", verteidigte sich Gorny.
"Das war aber nicht mein Fehler." Amirán war ebenfalls erwacht und begriff die Situation sofort.
"Das ist mir egal, aber ich will von euch meine Einrichtung ersetzt haben."
"Von mir siehst du jedenfalls kein einziges Goldstück", sagte Gorny, mit der typischen Entschlossenheit eines geizigen Zwergs.
Wenige Minuten später fanden sich Gorny und Amirán in der Küche der Gaststube wieder. Hinter ihnen stand Dogan mit strengem Blick und überwachte jeden ihrer Handgriffe. Sie hatten sich durch die Drohungen des Wirtes verpflichtet gefühlt, ihre Schuld abzuarbeiten.
"Ich bin doch keine Magd. Und das alles nur wegen dir", maulte Gorny, während er ungeschickt Gemüse zerteilte.
"Hör auf mich zu nerven. Lass uns zusammen ein Bier trinken", schlug Amirán vor, dem es nicht gefiel, als Tellerwäscher herhalten zu müssen.
Dogan hatte genug von den Streitigkeiten der beiden und gewährte ihnen eine kurze Pause. Wenige Minuten später saßen die beiden an einem der wenigen, übrig gebliebenen Tische. Jeder hatte vor sich einen Krug Gerstensaft stehen. Der Zwerg beäugte den Elb misstrauisch, doch das Gebräu hob seine Stimmung und nachdem jeder seinen zweiten Krug vor sich stehen hatte, wurden sie gesprächig.
"Grabt ihr viele Schätze aus, in euren Bergen?"
"Natürlich. Wir sind Zwerge." Gorny nahm es als selbstverständlich, dass dies als Erklärung genügte.
"Wir Elben mögen schöne Dinge, aber so etwas gibt es in unseren Wäldern nicht."
"Dann solltest du einmal unsere Minen besuchen." Gorny geriet ins Schwärmen über seine Heimat, doch dann wurde er neugierig auf die Wälder des Elben, denn eine Welt ohne Edelsteine und Gold konnte er sich nicht vorstellen.
Amirán begann von seiner Heimat zu erzählen. Dogan gesellte sich neugierig zu ihnen und vergaß dabei, dass ihre Pause längst zu Ende war.
Als die Nacht ging und der Morgen dämmerte, waren Gorny und Amirán Freunde und versprachen sich, die Heimat des anderen zu besuchen.
 

© Lady des Blauen Mondes
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