Wie hatte es nur so weit kommen können?
Seit Stunden stand ich am Fenster der Bibliothek und starrte nachdenklich
in den klaren Sternenhimmel. Es erschien mir noch immer wie in einem albernen
Traum:
Vor vier Wochen bald war ich nichts weiter
gewesen als ein namenloser Assassine. Mein Leben lang hatte ich nichts
anderes gekannt außer der Mördergilde und meinen Mordaufträgen.
Aber dann war ich ihm begegnet, dem jungen Prinzen. Ich hatte nicht
einmal gewusst, wer er eigentlich war: Ich hatte nur gesehen, dass er allein
gewesen war und Hilfe benötigt hatte. Und ich hatte ihm gegen diese
Räuber geholfen und ihm wohl das Leben gerettet.
Und seither war ich hier. Der Prinz hatte
darauf bestanden, dass ich ihn auf das Schloss begleitete. Ich hätte
das nur schwerlich abschlagen können, ohne aufzufallen. Es hätte
sein Misstrauen geweckt. Und über uns Assassinen war die Todesstrafe
ausgesprochen worden. Aus diesem Grund hatte ich mir auch einen Namen ausdenken
müssen: Hagen; nicht besonders originell, aber er ersparte mir so
manche unangenehme Nachfrage.
Ich war dem Prinzen ja wirklich dankbar, was
er alles für mich tat, nur um sich erkenntlich zu zeigen. Nur leider
war das genau das Falsche. Mein Hauptsinnen galt nach wie vor dem, wie
ich schnellstmöglich zur Gilde zurückkehren konnte. Denn seit
ich mit drei Jahren von meinen Eltern ausgesetzt worden war, lebte ich
bei den Assassinen. Es war ja eigentlich recht unwahrscheinlich, dass gerade
ein Assassine sich meiner erbarmen und mich zum Mörder ausbilden würde.
Aber so war es geschehen.
Und deshalb gehörte mein Leben der Gilde.
Ich musste einfach zurückkehren, schon allein weil ich einen Treueschwur
geleistet hatte. Ich konnte den nicht brechen. Ich wollte weder, dass die
Gilde mich für tot hielt, noch wollte ich, dass man mich hier entdeckte
und als Verräter einschätzte, der ich gar nicht war. Denn das
würde unweigerlich zu meinem Tod führen, so waren die Gilderegeln.
Seufzend stützte ich das Kinn auf meine
Handflächen und ließ den Blick über die in Fackellicht
gehüllten Wehrmauern unter mir gleiten. Es nützte alles nichts:
Ich würde meine Ausbrechkünste wohl wieder einmal unter Beweis
stellen müssen... Wie oft hatte ich den Prinzen schon gebeten, mich
endlich wieder ziehen zu lassen - erfolglos. Ich sollte warten, bis der
König von seiner Reise zurückkehrte und sich ebenfalls erkenntlich
zeigen konnte.
Aber ich konnte nicht mehr warten. So sicher
ich mir auch war, dass der König mir freundlich gesinnt sein würde
und mir vielleicht sogar meinen Beruf verzeihen würde, wenn es jemals
herauskäme; So sicher war ich mir aber auch, dass die Gnade der Gilde
immer unwahrscheinlicher wurde, je länger ich fortblieb. Und ich hing
noch zu sehr an meinem Leben, auch wenn das für einen Assassinen eine
Schande war - zu brutal war die Strafe für vermeintliche Verräter.
"Was macht Ihr hier so allein?" drang eine
weiche Stimme an mich heran. "Wieso seid Ihr denn nicht auf dem Fest?"
Betont langsam drehte ich mich um. Wie ich
vermutet hatte, stand Meanda knapp hinter mir und lächelte mich übertrieben
freundlich an. Ich konnte diese Frau einfach nicht leiden. Sogar der Prinz
hatte mich vor ihrer Machtgier und Verlogenheit gewarnt. Ich hatte sie
bisher zwar nur zwei Mal flüchtig gesprochen, aber das war schon Anlass
genug für mich, sie weiträumig zu meiden.
"Geht Euch nichts an", knurrte ich leise.
"Wieso denn so böse?" fragte sie beinahe
betroffen. "Ich habe Euch doch gar nichts getan!"
"Noch nicht!"
Sie stemmte empört die Hände in
die Hüften und starrte mich wütend an. Ich lächelte leicht
im Mundwinkel. Da hatte ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Ihre Wut
war ungespielt, nur an ihrer Betroffenheit wagte ich zu zweifeln.
"Ich verstehe Euren Unmut nicht!" seufzte
sie.
"Wirklich nicht?" Ich trat lächelnd an
sie heran. "Mich könnt Ihr nicht so leicht täuschen wie andere,
Hexe!"
Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Ich
verschränkte kühl die Arme vor der Brust und trat einen Schritt
zurück. Dann war meine Vermutung also wirklich richtig gewesen.
"Ihr haltet Euch wohl für besonders klug,
hm?" murmelte sie abschätzend. "Das hat schon so manchen den Kopf
gekostet."
Ich zog die Augenbraue hoch und trat noch
einen Schritt zurück. Wieso gefiel mir ihr undurchdringlicher Blick
nur nicht? Mit einem Mal keuchte ich erschrocken auf. Nein, sie hatte doch
irgendetwas vor! Meine geschulten Sinne warnten mich vor ihrem triumphierenden
Lächeln. Ich musste auf der Hut sein, denn ich beherrschte nur die
minimalsten Grundlagen der Magie - nicht genug um mich gegen eine Hexe
zu verteidigen.
"Jemanden wie Euch", nickte sie plötzlich,
"kann ich an meiner Seite brauchen. Ihr seid nicht dumm, seid sehr aufmerksam
und habt außerdem das Vertrauen des Prinzen. Was sagt Ihr?"
"Vergesst es!" knurrte ich. "Ich habe auch
meinen Stolz!"
"Schade."
Sie schüttelte traurig den Kopf, doch
ich glaubte ihr diese Fassade nicht. Und ich hatte Recht damit: Plötzlich
grinste sie sadistisch und machte eine schnelle Handbewegung. Ich keuchte
erschrocken auf und wich zurück. Doch schnell hatte ich die Wand im
Rücken. Und noch bevor meine Assassinenreflexe reagieren konnten,
stand sie auch schon vor mir und ihre Hand ruhte auf meinem rechten Schlüsselbein.
Entsetzt schlug ich ihre Hand fast augenblicklich
weg. Doch an der Stelle, die ihre Hand berührt hatte, stellte sich
in demselben Moment ein brennender Schmerz ein. Langsam senkte ich den
Blick und sah auf mein schmerzendes Schlüsselbein. Den winzigen Nadelstich
konnte selbst ich nur schwer erkennen. Erstaunt sah ich Meanda an.
"Pech gehabt, mein Lieber. Wer nicht für
mich ist, ist gegen mich", grinste sie, "und bekommt dieses schnellwirkende
Gift zu spüren."
"Elende Hexe!" stöhnte ich.
Wie nur hatte sie mich derartig überrumpeln
können? Mich, einen giftkundigen Assassinen? Ich griff mir an die
Schulter und lehnte mich gegen die Wand. Sie hatte nicht gelogen: Schon
spürte ich, wie sich das Gift in meinem Körper auszubreiten begann.
Sie merkte das und lachte gehässig. Wütend wollte ich sie anfahren,
zu schweigen, doch ich brachte keinen Laut heraus. Meine Kehle war wie
versiegelt!
"Oh!" machte sie gespielt überrascht,
"das Gift wirkt ja schon. Könnt Ihr etwa schon nicht mehr sprechen?"
Ihr Blick wurde triumphierend. "Ja, es wirkt sehr schnell: Erst lähmt
es Euren Körper und nach nicht ganz einer halben Stunde seid Ihr qualvoll
verendet. Viel Spaß beim Sterben!"
Lachend drehte sie sich um und verließ
den Raum, während ich langsam an der Wand entlang zu Boden sank. Das
konnte doch noch nicht das Ende sein! Schmerzhaft verzog ich das Gesicht
und presste die Arme an den Leib. Wie hatte ich mich auch nur wie ein blutiger
Anfänger von ihr überrumpeln lassen können! Das geschah
mir nur zurecht!
Du willst sie einfach siegen lassen?
Erschrocken keuchte ich. Die Stimme hatte
scheinbar keinen Urheber, sie klang einfach nur in meinem Kopf und wiederholte
diese Frage wieder und wieder.
Nein, schoss es mir in den Sinn, das
darf nicht sein!
Dann kämpfe! Besiege sie!
Ich biss die Zähne zusammen und stemmte
mich mit letzter Kraft vom Boden hoch. Bestimmt hatte ich mir diese Stimme
nur in meinem sich einstellenden Fieberwahn eingebildet. Doch es hatte
mir geholfen, wieder klar zu denken, und mir Kraft gegeben. Nein, ich würde
der Hexe den Sieg nicht so leicht überlassen!
Unter Schmerzen wankte ich langsam auf die
Tür zu. Ich durfte nur nicht aufgeben, egal wie groß die Versuchung
auch war. Jeder Schritt fiel mir schwerer als der vorherige, wurde schmerzhafter.
Aber der Gedanke, dass ich sie nicht gewinnen lassen durfte, hielt mich
irgendwie aufrecht. Dadurch nur schaffte ich es, einen Fuß vor den
anderen zu setzen.
Keuchend trat ich auf den Gang hinaus. Inzwischen
konnte ich keine drei Schritt mehr weit sehen und ich glaubte langsam wirklich,
dass die Welt nur noch aus Schmerz zu bestehen schien. Nach nur wenigen
weiteren Schritten brach mir schließlich ein Knie ein. Ich presste
die Kiefer aufeinander und versuchte, wieder hochzukommen. Doch dieses
Mal versagte meine Kraft - ich konnte mich nicht noch einmal erheben.
Plötzlich drang ein weit entfernter Schrei
an mich heran. Einen Augenblick später spürte ich eine Hand auf
meiner Schulter. Ich drehte den Kopf zur Seite und starrte in das Gesicht
neben mir. Doch ich konnte niemand in den verschwommenen Zügen erkennen.
Ich konnte nur schwach erkennen, dass der Mund der Person sich bewegte,
sie scheinbar zu mir sprach. Aber ich vernahm nicht ein Wort, nicht einen
Ton.
Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich es
geschafft hatte. Ich versuchte, der Person zu sagen, was diese Hexe Meanda
mir angetan hatte, doch das Gift lähmte meine Zunge, meine Stimmbänder.
Das konnte nicht wahr sein! Dem Ziel so nahe und dennoch verloren! Plötzlich
gewannen die nun fast unerträglichen Schmerzen wieder die Oberhand.
Ich presste die Arme wieder um den Leib und krümmte mich vor Pein.
Langsam wurde es schwarz um mich herum - nur die Schmerzen blieben.
Was folgte, waren etliche Stunden voller Qual.
Ich war gefangen in meinem eigenen Körper, der nur aus Schmerzen zu
bestehen schien. Doch das Gift schaffte es nicht, mich zu töten. Obwohl
ich in dieser Zeit nur noch sterben wollte. Sterben, um diese unerträglichen
Schmerzen nicht mehr spüren zu müssen. Ich wollte sterben, aber
ich konnte es nicht. Doch nach Stunden ließ der Schmerz endlich so
weit nach, dass mich endlich eine wohl tuende Ohnmacht empfangen konnte.
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Als
mein Geist sich endlich wieder gesammelt hatte und ich endlich aus der
Ohnmacht erwachte, waren die Schmerzen einem tauben Gefühl in den
Gliedern gewichen. Doch die anfängliche Freude musste schnell größtem
Entsetzen weichen: Mein Körper war noch immer gelähmt. Ich konnte
nicht einmal die Augenlieder heben! Mein Geist war hellwach, aber mein
Körper verweigerte mir den Dienst.
In mir machte sich mit einem Mal Panik breit.
Was war, wenn das Gift meinen Körper auf ewiglich lähmte? Gefangen
in meinem eigenen Körper, für den Rest meines Lebens... Dann
jedoch schaffte ich es, mich selbst zu beruhigen. Das Gift hätte mich
binnen einer halben Stunde töten müssen. Aber ich lebte noch.
Das konnte doch nur bedeuten, dass ich das Gift besiegt hatte. Die Lähmung
konnte doch nur noch eine begrenzte Erscheinung sein. Sie durfte nur vorübergehend
sein.
Schließlich hörte ich jemanden
herantreten. Meine Sinne funktionierten also bereits wieder. Dennoch befürchtete
ich im ersten Augenblick, es sein Meanda, die ihr Werk vollenden wollte.
Aber anhand der Stimmen erkannte ich dann, dass es der Prinz und sein Hofarzt
waren. Doch das Thema ihres Gesprächs gefiel mir gar nicht: Sie sprachen
über mich...
"Ist das wirklich nötig?" fragte der
Prinz gerade nach.
"Ja, mein Prinz", antwortete der Heiler, "ihr
tätet ihm nur einen Gefallen damit. Es ist schon erstaunlich genug,
dass er noch immer lebt. Aber es wäre ein Wunder, wenn er jemals aufwachen
würde."
Ich bin doch wach! schoss es mir durch
den Kopf, doch ich konnte es nicht sagen.
"Lasst mich seine Qual beenden, mein Prinz."
"Aber er hat das Gift doch überlebt!
Ihn jetzt noch töten?"
Was!? Ihr dürft mich nicht töten!
Ich bin doch wach!
"Mein Prinz!" beschwor der Heiler. "Es besteht
keine Hoffnung mehr für ihn! Habe ich Euch jemals in solchen Dingen
angelogen?"
Nein!! Scharlatan! Verräter!
"Ihr habt wohl Recht..."
Nein!!
"Als Heiler wisst Ihr besser Bescheid. Aber
gebt ihm noch diesen einen Tag als Frist."
"Wie Ihr wünscht, mein Prinz!"
Nein, das dürft Ihr nicht tun! Ich
lebe noch! Ich will nicht sterben!
Es erschien mir, als schriee ich diese Worte
mit aller Kraft heraus, doch die beiden hörten sie nicht. Wieso nur?
Wer tat mir das an? So langsam machte sich schiere Verzweiflung in mir
breit. Wie nur konnte ich sie davon abhalten? Doch meine innerlichen Schreie
und meine Verzweiflung blieben unbemerkt und die beiden Männer verließen
den Raum wieder. Und ich blieb zurück, allein mit meiner Angst.
Ich will nicht sterben! schoss es mir
immer und immer wieder durch den Kopf, ich will nicht sterben!
Armer Junge, beim Klang der mir bekannten
Stimme zuckte ich innerlich zusammen, verraten und verkauft, von einem
Heiler, der sich einer Hexe verkauft hat...
Was? Darf doch nicht sein!
Du willst leben? Was bist du bereit dafür
zu geben?
Alles!
Diese Antwort war vorschnell, das war mir
klar. Aber ich wollte einfach nur leben. Sie durfte nicht siegen!
Dann will ich deine dienstreiche Hand.
Darauf konnte ich wohl bedenkenlos eingehen.
Schließlich verkaufte ich als Assassine meine Hand ständig.
Was war hieran schon groß anders, als wenn mich jemand auf einem
Hinterhof anheuerte? Nicht viel, nur der Einsatz war höher...
So soll es sein, lachte die Stimme,
der
Pakt ist geschlossen!
Kaum waren diese Worte gesprochen, glaubte
ich eine Hand über meinen Augen und meinen Schläfen zu spüren.
Dann durchdrang meinen Körper mit einem Mal eine unvorstellbare Macht,
die auf eine unnatürliche Art noch mehr Schmerz zu verursachen schien,
als es das Gift getan hatte. Doch es waren keine körperlichen Schmerzen,
sondern unnatürliche Qualen, die meine Seele durchzuckten.
Reflexartig krümmte ich mich zusammen
und versuchte, die Hand auf meinem Gesicht abzuwehren, die diese Schmerzen
doch verursachte. Und tatsächlich ergriff ich die Hand, doch ich konnte
sie nicht wegreißen – sie war einfach zu kraftvoll. Doch nun begriff
ich erst, dass ich mich tatsächlich bewegt hatte, dass die Lähmung
scheinbar weg war. Erstaunt schlug ich die Augenlider auf. Und im selben
Moment ließ auch die Hand von mir ab.
Ich habe mein Versprechen erfüllt,
von nun an wirst du deine Schuld begleichen.
Ich setzte mich auf und sah die seltsame Erscheinung
voller Erstaunen und Furcht an. Der Mann war groß gewachsen und muskulös.
Doch statt von Kleidern war sein Körper hauteng von Metall umhüllt.
Sein Gesicht war grob, aber auch gleichzeitig perfekt. Und auf den Schulterblättern
thronten zwei Drachenflügel aus Metall. Er war ein entsetzlicher und
faszinierender Anblick zugleich. Er konnte doch nur einer der Weltenherren
sein...
"Was verlangt Ihr von mir?"
Alles zu seiner Zeit, du wirst es noch
früh genug erfahren. Doch jetzt wirst du mich erst einmal begleiten.
Vorsichtig erhob ich mich und trat an des
Mannes Seite. Irgendetwas stimmte mich nun doch misstrauisch. Das alles
klang danach, als hätte er bereits Pläne mit mir, anspruchsvolle
und langwierige Pläne. Als würde er mich nicht mehr ziehen lassen.
Doch wir hatten eine Vereinbarung getroffen und mein Wort band mich.
Es war unglaublich, wie viel er dafür
tat, dass ich ihm uneingeschränkt diente: Er schaffte es, allen Glauben
zu machen, ich sei an dem Gift verstorben und mein Leib verbrannt. Damit
löschte er meine Existenz endgültig. Ich existierte nicht einmal
mehr für die Gilde. Ich war also von meinem Treueid dieser gegenüber
erlöst. Und er verlangte keinen derartigen Eid von mir.
Aber das brauchte er auch nicht, das musste
ich schnell begreifen. Kaum war ich von meinem Eid befreit, als er auch
schon zur Tat schritt: Er hielt mir plötzlich ein schwarzes Schwert
entgegen, das so unendlich edel wirkte. So sehr sein Blick mir dabei auch
missfiel, ich konnte einfach nicht widerstehen: Ich musste die Klinge in
die Hand nehmen. Sie war wundervoll gearbeitet und lag scheinbar gewichtslos
in der Hand.
Doch noch während ich das schwarze Metall
bewundernd betrachtete, spürte ich ein seltsames Vibrieren am Schwertgriff
in meiner Hand. Plötzlich fuhren drei metallene Tentakel von dem Schwert
auf meinen Arm zu. Und noch bevor ich reagieren konnte, bevor ich überhaupt
das Geschehen begriff, hatten die Metallstränge diesen auch schon
fest umschlungen. Ich schrie entsetzt auf und wollte die Klinge wegschleudern,
mitsamt seinen metallischen Adern, aber mein Arm gehorchte mir einfach
nicht.
Voller Panik musste ich mit ansehen, wie sich
das Metall meinen bloßen Arm hinauf bis zur Schulter wand. An der
Schulter angekommen, stießen sie sich wie lebendige Schlangen ab
und hielten für eine Sekunde inne. Dann stießen sie plötzlich
auf meinen Hals zu und durchschlugen die Haut knapp darunter. Ich keuchte
schmerzerfüllt, als ich spürte, wie dieses fast lebendige Metall
sich in meinem Körper ausbreitete. Ich glaubte regelrecht zu spüren,
wie es meine Knochen umschlang und in mein Blut eindrang.
Und genauso plötzlich wie es begonnen
hatte, war alles auch wieder vorbei. Der Schmerz klang binnen Sekunden
ab, das Metall auf meinem Arm war verschwunden und ich konnte mich wieder
regen wie immer. Nur die drei kleinen Wunden an meinem Hals pochten noch
leicht, zeigten, dass ich mir das gerade nicht eingebildet hatte, obwohl
sie sich bereits wieder auf magische Weise zu schließen begonnen
hatten. Aber es blieb auch ein seltsames Nachgefühl zurück, als
stimme etwas mit meinem Körper nicht mehr, als stimme etwas mit mir
nicht mehr.
Beeindruckend, nicht wahr?
Ich nickte zögerlich. Inzwischen hatte
ich mich daran gewöhnt, dass er nicht in dem Sinne zu mir sprach,
wie ich es als Mensch gewohnt war.
In deiner Hand ruht eine der letzten Seelenklingen.
Das Metall ist ein Teil seiner Seele, und nun ist es auch ein Teil von
dir. So, wie du nun ein Teil von dem Schwert bist. Merke es dir gut: Das
Schwert verleiht dir eine ungeheure magische Kraft. Doch es kann genauso
über dich und deinen Körper verfügen, wie du über seine
Macht verfügen kannst. Es ist ein Geschenk und eine Strafe zugleich.
Langsam senkte ich den Blick wieder auf das
Schwert in meiner Hand. Ein Seelenschwert! Ich hatte schon so viele Horrorgeschichten
über diese Schwerter und ihre Träger gehört. Aber ich hatte
es stets für Lügen gehalten. Das Schwert habe eine Seele, hieß
es, verleiht von dem Herrn des Dunkel, dem verpönten Weltenherrn.
Seine Träger seien stets die mächtigsten Kämpfer und Herrscher
gewesen, aber am Ende wurden sie alle von ihren Schwertern gebrochen, am
Ende übernahm die Schwertseele den Körper seines Trägers
völlig...
Trotz alledem fürchtete ich mich nicht.
Ich spürte keinen Einfluss, keine zweite Stimme in meinem Kopf und
auch mein Körper gehorchte mir. Und dennoch... Es wunderte mich doch,
dass ich das alles so ruhig und selbstverständlich hinnahm. Schließlich
war er der verpönte Gott und dieses Schwert war eine Strafe. Und ich
hatte keine Angst? Woher kam diese neue Gesinnung, woher kamen diese neuen
Gefühle und Gedanken? War das etwa schon der Einfluss des Schwertes,
seine Gefühle und Gedanken?
Du bist nun mein Krieger! Und sogar noch
mehr: Von nun an bist du meine rechte Hand, mein Vertreter auf deiner Welt,
mein Wille und mein Schwert unter den Menschen.
Ich schnappte bei diesen Worten nach Luft.
Ich wusste nicht viel, aber eines war mir klar: Es war nicht nur eine sehr
große Ehre für mich, es zeigte, welch tiefes Vertrauen er in
meine Treue haben musste! Wie könnte ich diesem Mann untreu sein,
der mir innerhalb von nicht einmal einer Minute eine neue Welt, ein viel
besseres Leben ermöglich hatte? Doch im gleichen Augenblick wusste
ich auch, warum er das alles getan hatte: So versicherte er sich meiner
Treue - und das äußerst wirkungsvoll.
Kehre zurück in deine Welt und führe
meinen Willen aus. Fragt dich jemand nach deiner Person: Du bist der Schattenkrieger
deines Herrn. Und fragt dich jemand nach deinem Herrn: Ich bin der Herr
meines Schattenkriegers...
Und ich tat, wie mir geheißen wurde.
Ich führte seinen Willen nach meinem besten Können aus, welches
durch die Seelenklinge vervielfach wurde. Auch wenn seine Ziele nicht die
läutersten sein mochten, ich half ihm mit Begeisterung. Denn ich wusste
nur zu gut, was ich ihm verdankte: Er hatte mir ein neues Leben, eine neue
Chance gegeben. Und ich hatte es sehr gut in seinen Diensten - besser noch
als an des Prinzen Seite.
Erben beseitigen und Intriganten helfen, die
meinem Herrn folgten, das waren meine vorrangigen Aufgaben. Nichts schlimmes
also in meinen Augen, denn als ausgebildeter Meuchelmörder hatte ich
doch mein Leben lang nichts anderes getan. Nur waren meine Aufträge
sonst von verschiedenen Auftraggebern mit verschiedenen Zielen gekommen.
Und mein Herr erschien mir nicht ganz so schlimm wie mancher meiner früheren
Auftraggeber.
Und dennoch gab es jemanden, der das ganz
anders sah. Mit Grollen verfolgte er und ein paar andere meine Taten im
Namen meines Herrn. Doch ich merkte es lange Zeit nicht. Und auch mein
Herr schien es nicht zu ahnen, oder er hielt es nicht für nötig,
mich in Kenntnis zu setzen. Diese Arglosigkeit, die ich nicht zuletzt der
ungeheuren Macht meines Schwertes zu verdanken hatte, bereute ich aber
schon bald auf das Tiefste. Ich hätte es doch eigentlich ahnen müssen,
dass auch mein Herr Feinde hatte.
Aber ich fühlte mich sicher: Mein Gesicht
war wie meine restliche Existenz völlig unbekannt. Denn ich konnte
es dank meines Herrn Magie stets verbergen. Der Umhang, den ich von ihm
hatte, war mit einem besonderen Zauber versehen, den nur mein Herr auszusprechen
vermochte. Die Kapuze daran sorgte stets für meine Unerkanntheit:
Zog ich sie auf Augenbrauenhöhe, so lag mein Gesicht bis knapp unter
die Nase im schwärzesten Schatten. Auch wenn das Sonnenlicht direkt
in mein Gesicht strahlte, man konnte nichts erkennen.
Und so unterschätzte ich die Gefährlichkeit
dieses Mannes gewaltig: Als er mir das erste Mal in einer Taverne begegnete,
nahm ich kaum Notiz von ihm, obwohl er mich die ganze Zeit über ungeniert
und völlig offensichtlich beobachtete. Auch als ich ihn später
noch des Öfteren begegnete, fiel er mir nicht auf. Bis es zu spät
war...
Auf einem kleinen Waldweg trat er mir unerwartet
vor das Pferd und versperrte mir grinsend den Weg. Mürrisch wollte
ich ihn wegscheuchen, doch er streckte die Arme zur Seite und grinste mich
noch breiter an. Er wollte mir also nicht Platz machen. Ich knurrte leise
und gab meinem Pferd die Sporen, um es voranzutreiben, doch es reagierte
einfach nicht. Und des Fremden Grinsen wurde nahezu höhnisch. Wütend
versetzte ich dem Pferd einen Schlag, bevor ich absaß, um nun selbst
Hand anzulegen.
Doch in dem Augenblick, da ich mit beiden
Beinen auf dem Boden stand, lachte er triumphierend auf und hob die Handflächen
in meine Richtung. Ärgerlich wollte ich nach meinem Schwert greifen,
doch das nutzte mir in diesem Augenblick schon nichts mehr. Noch bevor
ich überhaupt begreifen konnte, was um mich herum geschah, war der
Waldweg, mein Pferd und auch der ganze Wald einfach verschwunden. Stattdessen
war ich mit einem Mal umringt von einem undurchdringlichen weißen
Leuchten. Doch schnell erkannte ich einige Umrisse – die Umrisse von Personen
in weißen Gewändern, die sich kaum von dem Hintergrund abhoben.
Das ist er also? drang eine weibliche
Stimme an mich heran.
Ja, antwortete es hinter mir. Ich
habe ihn hergebracht, wie ich es versprochen habe. Nun ist es an Euch,
einen Richterspruch zu fällen.
"Richterspruch?" fragte ich misstrauisch.
"Weswegen? Wer oder was gibt euch das Recht, über mich richten zu
wollen?"
Du bist der Schattenkrieger?
Ich knurrte leise vor mich hin. Ich hatte
keinerlei Ahnung, was eigentlich vor sich ging und wer diese Personen waren.
Und noch weniger wusste ich, wo ich überhaupt war. Aber eines wusste
ich gewiss: Ich gab garantiert keine Antwort, solange ich nicht wusste,
was hier gespielt wurde.
"Wer will das wissen?"
Seid nicht so anmaßend! mischte
sich eine dritte Stimme ein. Ihr verkennt die Situation. Ihr verkennt,
mit wem Ihr sprecht!
"Dann", antwortete ich bissig, "sagt mir doch,
mit wem ich hier spreche? Oder traut Ihr Euch das nicht?"
Ihr seid mutig, das spricht für Euch...
Ihr steht vor dem heiligen Rat der Weltenherren!
Ich keuchte erschrocken auf. Das durfte doch
nicht wahr sein! Als ob ich nicht schon genug Magie in meinem Leben ertragen
musste! Es genügte doch, wenn sich ein Gott für meine Belange
interessierte. Was wollten nun die anderen mit einem Mal von mir? Immerhin
hatten sie sich ein Leben lang nicht um mich geschert. Und nun auf einmal
– und das nur, weil ich dem Herrn des Dunkel diente?
Misstrauisch legte ich den Kopf zur Seite
und betrachtete die Silhouetten, so gut es in diesen unmöglichen Lichtverhältnissen
möglich war. Mir gefiel das alles auf einmal ganz und gar nicht mehr.
Wenn sie sich solch eine Mühe gemacht hatten, mich abzufangen und
hierher zu bringen, dann hatten sie bestimmt auch mehr vor, als mir einfach
nur ein paar Fragen zu stellen. Und mir war wohl bekannt, dass mein Herr
nicht gerade den besten Ruf unter den Weltenherrn genoss. Irgendetwas mussten
sie also mit mir vorhaben, sonst nicht all diese Mühe...
Ihr seid der Schattenkrieger? wiederholte
die Frau die Frage.
"Und?" fragte ich so gelassen als möglich.
"Wieso fragt Ihr mich etwas, das Ihr sowieso schon wisst, Göttin?"
Und Ihr dient dem dunklen Herrn ohne Zwang?
"Was ist denn schon Zwang?" antwortete ich
philosophisch. "Ich habe keinen Dolch im Rücken, wenn Ihr auf so etwas
anspielt!"
Und keine Bedenken?
Ich schwieg und starrte die Silhouetten wieder
an. Diese Frage war nicht gut. Von dieser Antwort schien viel abzuhängen.
Und ich durfte sie nicht falsch beantworten - weder inhaltlich, noch im
Ton. Nachdenklich lächelte ich vor mich hin. Sie würden mich
jedenfalls nicht reinlegen, dazu hatte ich inzwischen zu viel Erfahrung
im Intrigenspiel der Menschen.
"Ich tue, was mein Herr von mir verlangt.
Wie es auch ein Ritter tut, wenn sein König befielt!"
Keine Bedenken. Und keine Reue.
Ihr habt Euch dem Dunklen Herrn zugewandt,
mischte sich mein Entführer wieder ein. Seid Ihr auch bereit, eine
Strafe zu akzeptieren und aus dem Dunkel zurückzukehren an die Seite
des Lichtes?
"Wieso sollte ich meinen Schwur brechen?"
knurrte ich, ohne es eigentlich zu wollen. "Er hat mir das Leben gerettet,
als Ihr mich im Stich ließet. Und ich zeige ihm nur meine Dankbarkeit.
Wieso sollte ich meine Lage verschlechtern wollen?"
Ihr antwortet also mit "nein"? Ihr seid
also nicht bereit, dem Dunkel den Rücken zu kehren und wieder den
Gesetzen der Götter zu folgen. So werdet Ihr nun Eure Strafe entgegen
nehmen müssen.
"Strafe? Wofür?"
Ihr wollt im Dunkel leben? So lebt im Dunkel,
auf ewig! Den Tod wollen wir Euch nicht geben, das habt Ihr nicht verdient!
Dient weiter Eurem dunklen Herrn mit diesem verfluchten Schwert! Doch als
Strafe wird Euch von nun an und bis in alle Zeit die Rückkehr in das
Licht verwehrt bleiben. In Lebzeiten sowie im Tode! Lebt und sterbt in
der Dunkelheit!
Verwirrt schüttele ich den Kopf, um die
unliebsamen Erinnerungen wegzubekommen. Es dauert noch einige Augenblicke,
bis ich mich wieder ganz in der Gegenwart wiedergefunden habe. Dann jedoch
blicke ich mich zufrieden um: Zu meinen Füßen liegt der Leichnam
eines Kriegers und auf den Straßen dieser Stadt sind noch viel mehr
Tote zu finden. Grinsend stecke ich mein Schwert wieder in die Scheide
und wandere durch die Reihen der Toten, um mich an diesem Anblick zu erfreuen.
Denn noch ist es Nacht und nichts kann meine
Freude trügen. Nicht einmal die Strafe der Götter. Ich weiß
nämlich, dass ich nur bis zum Morgengrauen Zeit habe, mein Werk zu
genießen. Die Götter haben es ja so gewollt: Jedes Licht, das
heller ist als der fahle Schimmer der Sterne, bereitet mir unsagbare Schmerzen
und zwingt mich dazu, mir die Augen zu verbinden. Sie haben ihre Drohung
wahr gemacht: Mein Leben findet nur noch im Dunkel statt.
Doch auch sie werden einsehen müssen,
was sie damit zu verantworten haben! Ich bleibe stehen und sinke neben
der Leiche eines kleinen Kindes in die Hocke. Während ich seine angstverzerrten
Züge grinsend betrachte, frage ich mich, wann die Götter es wohl
endgültig einsehen werden. Muss ich dafür noch hundert unschuldige
Kinder töten? Oder mehr? Oder weniger? Nein... es werden nicht weniger
sein. Nicht weniger - aber viel mehr!
Die Menschen müssen büßen.
Ohne ihre Selbstsüchtigkeit und ihre Intrigen wäre es niemals
so weit gekommen. Außerdem folgen sie dem Rat der Götter. Die
Menschen müssen leiden, müssen sterben für mein Schicksal.
Aber ich räche mich nicht an denen, die mir das angetan haben. Wo
bliebe da denn der Spaß? Nein, die Unschuldigen sterben, um die irdischen
Wunden der Götter zu sein. Die Unschuldigen, sie können nichts
dafür – und das macht sie geeignet. Wie lange können die Götter
wohl die Schuld an deren Tod noch ertragen?
Langsam drehe ich mich um die eigene Achse
und lache den Sternenhimmel gehässig an. Meine Zeugen, die Sterne,
werden noch viel Blut zu sehen bekommen! Noch sehr viel Blut werden sie
sehen. Und noch mehr Seelen werden ihr Leid in den Himmel hinausschreien!
Und ich? Ich stehe in diesem Meer aus Leid und lache die Götter aus!
Sie wollten die Menschen schützen? Und dabei haben sie ihnen nur Leid
beschert! Der Schattenkrieger hat nun den Krieg begonnen, den Krieg gegen
die Götter.
Den Osten und den Norden färben drei
mächtige Feuer blutrot. Morgen, bei Sonnenaufgang wird den wenigen
Überlebenden erst klar sein, welch ein Schicksal jedem blüht,
der den Weg des Schattenkriegers unfreiwillig kreuzt. Vier Städte
in einer Nacht vernichtet, überlebt haben vielleicht zehn insgesamt
– aber auch nur, weil sie sowieso in der Hölle enden werden. Ich frage
mich, wie lange die Feuer wohl noch brennen werden, bis die Städte
dem Boden gleich sind? Nur zu schade, dass ich das nicht sehen kann...
Ich hebe die Hand und deute damit meiner Armee
von Schattenkreaturen an, dass wir auch diese Stadt wieder verlassen. Es
ist nicht mehr lang bis Morgendämmerung. Bis dahin will ich wieder
bei meinem Herrn im Schattenreich sein. Das letzte Mal war es zu knapp
– ich mache keine Fehler mehr... Aber ich weiß es jetzt schon - und
alle Überlebenden und Verschonten wissen es auch: Beim nächsten
Neumond kehre ich mit meiner Armee zurück, um wieder zu morden und
das Blut der Unschuldigen zu trinken. Ich kehre immer wieder. Bis es keine
Menschen mehr gibt; Oder ich endlich auf einen überlegenen Kämpfer
treffe.
Wie sehr ich doch darum bete...
© Dragonsoul
Lianth
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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