Licht & Schatten von Jens Eppinger

„Crespuculum existiert.„
Der durchdringende Blick des wahnsinnigen Hexers bohrte sich tief in Navariels große klare Augen. „Ich selbst habe die Schriftrollen gelesen, welche die Wiedergeburt des Unheiligen mittels der Dämonenklinge besagen. Es war Großmeister Deggerdan, der verruchte Erzmagier. Er hat seine Seele und die seiner engsten Vertrauten für diese Beschwörung geopfert.„ Der irre Blick des schmächtigen Mannes wanderte von der sitzenden Halbelfe zurück zu dem an der Tür postierten Meuchelmörder. „Um Mitternacht treffen sich Kardinal Lucius und Erzabt Melmorion in Golums geweihten Tempel. Das Treffen ist geheim und soll so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Beide Parteien werden daher ohne ihre Leibwache die Krypta betreten um dort über die Verwendung Crespuculums zu beraten.„ Der gehetzte Blick des kränklich wirkenden Mannes suchte wieder Navariels leuchtende Augen. „Ich biete euch fünftausend Dublonen bar auf die Hand plus einen ganzen Sack Corrophyr, wenn ihr mir Crespuculum bringt.„
Die Miene der bildhübschen Halbelfe blieb ungerührt. Lediglich bei der Erwähnung der betörenden Rauchwurzel weiteten sich ihre Lider für einen winzigen Augenblick. Stumm musterte sie den prunkvoll gekleideten Nekrolyten, der unruhig auf seinem schäbigen Stuhl hin und her rutschte. Ihr ebenmäßiges, nahezu makelloses Gesicht mit den für Elfen typischen Zügen wand sich nun ihrem Partner, der Natter zu. 
„Was sagst du dazu, mein Freund? Zwei der mächtigsten Regenten neben dem Kaiser und wir sollen sie bestehlen.„
Die weiche, aber energische Stimme der hinreißenden Halbelfe ließ den Hexer frösteln. Für einen Totenbeschwörer hatten Xereliks Augen für die Schönheit des Lebens nicht viel übrig. Einzig und allein der Geruch der Verwesung, der Gestank von Fäulnis und der süßliche Duft frischen Bluts ließen sein dunkles Herz erwärmen. Bis zu dem Abend, als er sich mit den wohl fähigsten Assassinen Kerats getroffen hatte. Hier, in einem der vielen Zimmer der Nobelschenke Zum tanzenden Einhorn hatte Xerelik des öfteren seine illegalen Geschäfte abgeschlossen. Schmutzige, stinkende Raufbolde und söldnergleiche Schläger waren ihm ein gewohntes Bild. Doch hatte ihn der Anblick der beiden angeheuerten Nachtgestalten beinahe die Besinnung genommen. Vor allem, die nach Lavendel und Patchouli duftende Halbelfe hatte es ihm angetan. Nein. Sie hatte ihm das steinerne Herz gebrochen. Ganz nach seinen Vorstellungen, verschlagen und böse, kaltblütig und gnadenlos. Verführerisch hatte sie sich auf einen Schemel ihm gegenüber niedergelassen. Xereliks Augen verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie sahen das lange pechschwarze Haar, das unbändig über ihre geraden Schultern fiel. Die leicht angespitzten Ohren und die großen tiefblickenden Mandelaugen. Sie weideten sich an den blutroten Lippen, dem perfekten Hals und an der athletischen Figur, welche einer von Shadors besten Tänzerinnen weit in den Schatten stellte. Stets hatte sich der größenwahnsinnige Nekrolyt gesehnt, wenigstens einmal den Zauber des Wüstenherrschers Kalif Shadors zu genießen. Nun war ihm das Vergnügen vergönnt, in der Gestalt einer erotischen Halbelfe. 
„Die Belohnung klingt verlockend. Aber die Sache hat einen Haken.„ Die tiefe Stimme des bis dahin schweigsamen Mannes riß Xerelik aus seinen Gedanken. Bevor sich der Hexer zu ihm umdrehen konnte, fuhr die Natter fort. „Zwei der mächtigsten Personen des Reiches erscheinen ohne ihre Leibgarde zu einer geheimen Zusammenkunft in Golums Heiligtum? Zwei Lichtgestalten des Glaubens und der Ordnung verfügen über einen bewußt verschwiegenen Mythos der abtrünnigen Dämonenkunde? Ich glaube ihm kein Wort und du solltest es auch nicht tun! Corrophyr hin oder her.„
Die Halbelfe nickte und sah an Xerelik herunter. „Selbst wenn deine Vermutungen stimmen, sehe ich nicht eine Dublone an dir, geschweige denn den Sack Corrophyr.„ 
Der Hexer schluckte. „Natürlich habe ich das Gold nicht dabei und ihr werdet verstehen, daß ich mit keinem Sack verbotener Rauchwurzeln durch die Kaiserstadt spaziere. Aber ich kann euch bezahlen. Genauso, wie ihr euch auf meine Beobachtungen verlassen könnt. Das Relikt existiert tatsächlich und es befindet sich im Herzen von Golums Heiligtum.„ Xerelik haßte es den Namen des Göttervaters so oft auszusprechen. Wie zur Bestätigung zogen seine zitternden Hände einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche seiner scharlachroten Robe hervor. Mit einer ungeschickten Geste warf er der Halbelfe den Beutel zu. „Hier, daß ist eure Anzahlung. Fünfzig Dublonen. Das ist mehr als ihr in einem Monat verdient.„
Die glänzenden Augen der Halbelfe sahen von ihm zu der Natter. „Du mußt wahrhaft vermögend sein, so mit deinem Geld um dich zu werfen.„, bemerkte sie spöttisch. „Wir überlegen uns dein Angebot„, damit erhob sie sich und warf ihrem Partner den Beutel zu.
Xereliks Augen starrten wie gebannt auf das glänzende schwarze Leder, das sich wie eine zweite Haut an den durchtrainierten Körper der Mörderin schmiegte. Lautlos glitten die Sohlen ihrer langen Stiefel über den Dielenboden, als sie auf die Tür zusteuerte. Der Assassine wollte ihr folgen, doch Xerelik sprang unbeherrscht von seinem Stuhl auf und hielt ihn zurück.
„Ihr versteht nicht„, kreischte er hysterisch. „Heute nacht muß es geschehen. Ich brauche Crespuculum um...„
„Um was?„, donnerte die laute Stimme der Natter. „Um die verstoßene Höllenbrut wieder zu beschwören?„
Der Hexer sah verlegen zu Boden. „Bitte setzt euch wieder. Ich brauche eure Hilfe und ihr braucht mich.„
Die beiden Meuchelmörder sahen sich verdutzt an. „Wie kommst du darauf, daß wir deine Hilfe benötigen, du nekrophile Mißgeburt.„ Provozierend baute sich die Halbelfe vor ihm auf. Der Hauch von Patchouli wehte verführerisch um Xereliks Nase.
„Ich kenne euer Problem„, erwiderte er gefaßt. „Euch liegt sehr viel an meiner Belohnung. Ich meine die Rauchwurzeln.„
Die Miene der Halbelfe verdunkelte sich. „Was meinst du damit, Hexer?„, preßte sie zwischen ihren weißen Zähnen hervor und trat noch näher an ihn heran. So nahe, daß sich ihr weicher Busen an Xereliks Brust drückte.
Dem Nekrolyt wurde schwindelig. Disziplinierte Selbstbeherrschung hielt ihn davon zurück die wunderschöne Frau zu küssen. Als er sich endlich gefaßt hatte, trat er einen Schritt zurück. „Ihr beide seid süchtig„, erwiderte er trocken. „Euer Leben richtet sich nach Corrophyr. Ich besitze mehr davon, als ihr glaubt und ich kenne den Preis den ihr für eine Handvoll davon zahlt.„ Siegessicher wies Xerelik auf den Schemel. „Es gibt noch einige Einzelheiten, über die ich gerne mit euch sprechen möchte.„
Die Natter löste den Saum ihres schwarzen Kapuzenumhangs und warf ihn achtlos auf das frisch bezogene Bett. Eine dunkle Tunika und ein schmaler Waffengurt kam zum Vorschein. Eine zusammengerollte Peitsche und ein für Assassinen typisches Kurzschwert, ein Makhoy, waren an ihm angebracht. In seinen Ärmeln vermutete Xerelik noch je einen versteckten Dolch.
„Du spielst ein gewagtes Spiel, Hexer. Möge deine Seele dem Unheiligen gehören, solltest du uns anlügen.„ 
Xerelik genoß im Stillen das sonderbare Kompliment und seufzte erleichtert, als auch Navariel Nachtherz sich wieder setzte und abwartend die Beine übereinanderschlug. „Also, wir hören.„ 
Zufrieden rieb Xerelik seine feuchten Handflächen an seiner mit Gold bestickten Robe ab. „Euer Einwand von vorhin ist durchaus berechtigt. Was machen die höchsten Ordensträger des göttlichen Glaubens mit einem Artefakt des Bösen? Dem Artefakt des Bösen.„ Verbesserte sich der Hexer hektisch und ließ bei seiner Erklärung Navariel nicht aus den Augen. „Laut den Schriftrollen der hohen Bibliothek in Perlmoon, fand die wohl einzige erfolgreiche Beschwörung des Höllenfürsten vor rund siebzig Jahren in Chrenopeiás statt. Tief in einer ehemaligen Schule des Schwarzen Ordens versammelte der verräterische Erzmagier Egil Deggerdan seine fähigsten Vertrauten zu einem bisher nie vollzogenem Ritual. Was dort unten geschah ist ungewiß. Vielen Berichten nach soll das verborgene Verlies in den frühen Morgenstunden von einer gewaltigen Explosion erschüttert und dann vernichtet worden sein.„
Xerelik legte eine rhetorische Pause ein und sah aufmerksam von der Halbelfe zu dem Assassinen. Als dieser lediglich mit den Schultern zuckte, fuhr der Nekrolyt fort.
„Erst achtundsechzig Jahre später begann eine Schar vertriebener Hügelzwerge den bis dahin gemiedenen Ort aufzusuchen und die eingestürzten Gänge frei zu legen. In der Hoffnung hier unentdeckt leben zu können, stießen ihre Arbeiter bald auf den größten Saal der unterirdischen Schule der Magie - dem Machtzentrum. Unter den Unmengen von Gesteinsbrocken entdeckten sie dann ein sechs Fuß langes, schwarzes Schwert. Crespuculum. Unversehrt hatte es die Jahre im Verborgenen gelegen.„
Xerelik war zu tief in seiner Erläuterung versunken, als das er den ungläubigen Blick der Natter zu Navariel bemerkte. 
„Doch die Zwerge wußten nicht, was sie dort gefunden hatten. Zwar lobten sie die perfekte Schmiedekunst der unnatürlichen Klinge, aber den Sinn und Zweck Crespuculums verstanden sie nicht. Als im Laufe der Zeit die Vorräte der Zwerge zur Neige gingen, entschlossen sich die von ihren Brüdern verstoßenen Halblinge ihre erstellten Werkzeuge und Waffen den Einwohnern der Stadt Harwek zum Tausch gegen Nahrung anzubieten. Da die kunstvolle Klinge von keinem der Zwerge geführt werden konnte, wurde sie als erstes eingetauscht. Die Schriftrollen besagen, daß ein reicher Schmied die Waffe erwarb und sie an einen durchreisenden Fremden verkaufte. Die Identität des Fremden ist bis heute ungeklärt. Wahr ist aber, daß unter bisher unerklärlichen Umständen Crespuculum in die Hände des Ordens fiel. Man vermutet, daß die Klinge einem irrsinnig gewordenen Mörder abgenommen und der ansässigen Wache übergeben wurde. Diese wurde von der geistlichen Inquisition beauftragt, daß Schwert dem Kardinal vorzulegen. Als erfahrener und oberster Kleriker wußte Lucius um den Wert Crespuculums und beorderte sie nach Kerat in den mächtigsten und heiligsten Ort des Ordens. Golums Tempel. In der Hoffnung hier die Macht der Klinge zu brechen und den Unheiligen für immer zu bannen.„
Navariel holte tief Luft und deutete mit ihrem Finger auf Xerelik. „Sagtest du nicht Deggerdans Beschwörung hatte Erfolg? Warum also existiert das Schwert, wenn der besser Ungenannte längst in sein Reich zurückgekehrt ist?„
Xerelik gefiel der Scharfsinn der Halbelfe. Offenbar hatte sie sein Anliegen verstanden. Im Gegensatz zu ihrem Gehilfen. „Das ist es eben. Ich vermute mit der Beschwörung ist es Deggerdan nur gelungen die Seele des Unheiligen aus dem Exil zu befreien. Jedoch steckt sie noch immer in dem Schwert und wartet auf ihre Wiedergeburt.„
„Und du glaubst, du könntest ihn befreien?„, klang die sarkastische Stimme des Meuchelmörders. „Du bist nicht einmal ein anerkannter Magier, geschweige denn ein Mitglied des hohen Zirkels.„ 
Xerelik ignorierte seine Bemerkung. „Bevor ihr noch etwas sagt, habe ich etwas für euch. Etwas besonders.„ 
Der Nekrolyt trat an den kleinen Schrank aus Buchenholz heran und zog hektisch die oberste Lade auf. „Ich habe hier die Pläne der Krypta aufgezeichnet. Ihr werdet sie brauchen, um euch in dem Mausoleum zurechtzufinden.„ Lächelnd überreichte er den Plan der Natter, die argwöhnisch einen kurzen Blick auf das Papier warf. Als sich Xerelik wieder gesetzt hatte, diesmal etwas näher zu Navariel, hielten seine Hände zwei verschrumpelte, knotige Wurzeln in die Höhe. „Einen kleinen Vorgeschmack gefällig?„ Wohlwollend bemerkte er den gierigen Blick seiner nächtlichen Gäste.
„Du hast eine große Überzeugungskraft, Hexer. Navariel lehnte sich weit nach vorne, als Xerelik eine der Wurzeln über den Flammen des brennenden Kandelabers schmoren ließ. Duftender und zugleich beißender Rauch wehte von der Wurzel durch das kleine Zimmer. „Gib her!„, verlangte Navariel rauh und ihre mit schwarzem Lack verzierten Fingernägel bohrten sich scharf in Xereliks nacktes Handgelenk.
„Viel Vergnügen„, wünschte er auch der Natter und sah zu, wie die beiden Assassinen den Rauch der glimmenden Wurzeln tief einzogen. Er selbst goß sich etwas gewürzten Elfenwein ein und schwelgte in seiner Phantasie, in der er sich hemmungslos mit einer schwarzhaarigen Halbelfe vergnügte.

Der scharfe Blick von Miriam La Verne wanderte prüfend über den finsteren Friedhof Kerats. Als einer Geweihten des Ordens Golum war der jungen Frau der nächtliche Totenacker nicht unheimlich. Schon oft hatte sie die Nachtwache zwischen den Gräbern rechtschaffener Bürger und tapferer Soldaten übernommen. An einem so heiligen Ort würde ihr nichts böses geschehen. Noch nie in der langen Geschichte Kerats, hatten sich Ghule oder Wiedergänger an der letzten Ruhestätte des Lebens versucht. Allenfalls Grabschänder oder vereinzelte Nekrolyten waren bisher unter der Schneide von Miriam La Vernes goldener Kampfsichel gefallen oder geflohen. Aus diesem Grund genoß die rothaarige Schönheit die nächtliche Ruhe und lenkte ihre leisen Schritte zu dem plätschernden Mamorbrunnen im Herzen des Friedhofs. Ihr weißer wattierter Waffenrock glänzte im fahlen Mondlicht, als sie sich an den Stufen des imposanten Brunnens niederließ. Summend fuhr sie mit ihren schlanken Fingern über das mit blauem Garn eingenähte Symbol Golums auf ihrer Brust. Ein geschlossener Kreis mit einem geöffneten Auge in seinem Inneren. Ungeduldig klopfte die Geweihte den Staub von ihren knielangen Lederstiefeln und zupfte anschließend einige hängengebliebene Haare von ihrem dunkelblauen Kapuzenumhang. Als sie den Sitz ihrer silbernen und goldenen Armreifen überprüft hatte, lockerte sie den Gurt ihrer an der Hüfte baumelnden gesegneten Kampfsichel.
„Bei aller Liebe des Göttervaters, du bist spät Lares„, schimpfte sie leise und tauchte ihre rechte Hand in das kalte Wasser. Noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, legte sich eine warme Hand fest um ihren Mund.
„Still, Liebes! Wir sind nicht allein„, flüsterte eine vertraute Stimme. Energisch kämpfte sich die Geweihte frei und stieß ihren Zeigefinger in Lares ungeschützte Rippen.
„Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken?„, fauchte sie empört. „Fast wäre ich in den Brunnen gekippt.„
„Ein kühles Bad hätte dein Temperament sicher abgekühlt„, entgegnete der bunt gekleidete Medikus lächelnd und setzte sich neben Miriam auf die Stufen. Noch bevor sie irgendeinen Protest erheben konnte, zog sie Lares zu sich heran und versiegelte ihre vollen Lippen mit einem zärtlichen Kuß.
„Mmh, Lares. Wann wirst du dich von diesem garstigen Ding da trennen?„ Miriam La Verne rieb sich das feine Kinn und deutete auf Lares feingestuzten Bart. Der ebenfalls rothaarige Heiler legte seine Stirn in Falten und strich sich über den gepflegten Bart, der ihm von seinen Lippen bis über das Kinn wuchs.
„Ich schätze, den wirst du ertragen müssen, Miri.„
„Du sollst mich nicht so nennen, Lares.„ Lachend nahm sie seine Hände und legte sie auf ihren Schoß. Verliebt musterte sie sein schmales Gesicht, seine grünen Augen und das kurze kupferfarbene Haar. Wie immer trug Lares Aberdan seine für einen Medikus typische bunte Garderobe. Sein mit den weiten Ärmel ausgelegtes Wams zierte ein gelbes mit lila Längsstreifen versehenes Muster. Der Samt seiner weichen Hose war beige gefärbt. Die schwarzen Stulpenstiefel bis auf das letzte poliert. 
„Wie geht’s Lady Minarette?„, fragte Miriam spöttisch. „Leidet sie immer noch an akutem Durchfall?„ Der noch relativ junge, aber hochbegabte Heiler lachte amüsiert.
„Oh, Miri. Du bist noch immer eifersüchtig? Was kann ich dafür, daß meine Dauerpatientin so viel in sich hineinstopft?„
„Ich wäre froh, wenn ich einen Heiler nie aufsuchen müßte„, erwiderte Miriam genervt. „Doch diese sogenannte Lady drängt sich förmlich bei dir auf. Hast du gesehen, wie sie dich angehimmelt hast, als du versprochen hast demnächst bei ihr vorbeizusehen.„ Lares schüttelte lächelnd den Kopf.
„Themenwechsel, Liebling. Ich habe gehört, daß sich hoher Besuch in Golums Tempel angekündigt hat. Mich wundert es, warum man dich nicht abkommandiert hat.„ 
Miriams zimtbraune Augen weiteten sich. „Woher weißt du davon? Was weißt du überhaupt von diesem Besuch in der Krypta?„ 
„Ich schätze die Geweihten wissen selbst nicht einmal, wem sie ihrem Tempel überlassen, oder Miri?„ Lares Lächeln wurde immer breiter.
Die Geweihte erhob sich. "Das ist kein Scherz, Lares. Ich wurde nicht berücksichtigt. Großbischof Fennekal hat nicht mit mir gesprochen. Nur Bruder Josuan sagte etwas von einer wichtigen Besprechung. Wir Wachen sollten anderen Aufgaben zugeteilt werden.„
„Und dich hat man zum Wache schieben auf den Friedhof abgestellt, wie rücksichtsvoll.„ Miriams Miene verzog sich.
„Rede nicht so, Lares! Gerade du müßtest den Wert des Lebens kennen und schätzen.„
Der Medikus erhob sich. „Ich habe noch einen Kranken Mönch im Tempel betreut. Bruder Soriel bat mich bei ihm zu bleiben, bis er eingeschlafen ist. Von ihm erfuhr ich, daß Kardinal Lucius der Gerechte zur Mitternachtsmesse eintrifft.„
„Das haben sie allen erzählt„, blaffte Miriam aufgebracht. „Mitternachtsmesse, daß ich nicht lache. Ich fühle mich übergangen. So, als ob man mir kein Vertrauen schenkt. Wer außer uns Tempeldienern könnte besser für seine Sicherheit sorgen, sag mir das?„
Lares nahm sie in den Arm und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. „Ich glaube, daß Oberhaupt des Ordens kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Er ist immerhin ein Kleriker des höchsten Ranges und Träger aller Geheimnisse der göttlichen Kunst.„ Arm in Arm schlenderte das Paar über den sandigen Pfad zu den liebevoll dekorierten Gräbern der Gefallenen des Ogerkrieges. Während Lares im Stillen die vielen hundert Namen der Soldaten überflog, krallte sich Miriam fest an seinen Arm.
„In einer halben Stunde werde ich abgelöst. Warum warten wir nicht so lange und suchen dann den Tempel auf. Ich will wissen, warum man uns nichts gesagt hat.„ 
Der Medikus schüttelte den Kopf. „Miri, warum findest du dich nicht damit ab? Willst du dir unnötige Schwierigkeiten einhandeln?„
Miriam war von ihrer Idee überzeugt, so sehr, daß sie Lares Worten kein Gehör mehr schenkte. Mit einem zärtlichen, langen Kuß brachte sie ihren Geliebten zum Schweigen und hoffte ihn zu überzeugen. Noch hieß es warten. Eine halbe Stunde konnte so lange sein...

Ganz gegen ihren Erwartungen befanden sich tatsächlich keine Wachen im Inneren des luxuriös eingerichteten Tempels des Göttervaters. Schon seid mehreren Minuten schlichen die beiden Assassinen unentdeckt durch die mit weißen Marmor gefliesten Gänge des komplexen Gebäudes. Vereinzelte Fackeln und rauchende Ölschalen erhellten die breiten Gänge und ermöglichten dem finsteren Paar ungehindert bis zur heiligen Krypta vorzudringen. Vom Rauch der Corrophyr angespornt tappte Navariel selbstsicher zu dem schmalen Treppenabsatz, der hinunter in das Mausoleum des Tempels führte. Die Natter glitt an sie heran, als sie beide den Entschluß trafen die unterirdische Grabkammer zu betreten.
„Ich traue der Sache immer noch nicht ganz„, signalisierte die Natter in fließender Gebärdensprache und sah besorgt von Navariel zu den sauber gefegten Treppen, die nach oben führten.
Der Halbelfe war keine Nervosität anzusehen. In ihrem Rausch ließ sie einige Sicherheits- vorkehrungen außer acht und spielte volles Risiko entdeckt zu werden. Hin und wieder mußte sie von ihm zur Vorsicht ermahnt werden, was damit endete, daß sie ihm liebevoll die Wange streichelte.
„Dieses verdammte Zeug wird noch dein Verderben sein„, gestikulierte er rasch und stieß sie unsanft von sich weg.
Wie eine Katze rollte sie sich geschmeidig herum und verbarg sich hinter einer der insgesamt vierundzwanzig Granitsäulen, die schachbrettartig den Vorraum der Krypta säumten. Mehrere Herzschläge vergingen, dann erschien Navariels Kopf am Ende des Raumes hinter einer Säule. Lächelnd winkte sie ihm zu und verschwand hinter dem breiten Vorhang, der den Raum mit den windenden Gängen der Krypta verband.
Flink überquerte die Natter den glatten Boden des Raums und tauchte unter dem kolossalen Vorhang in den anschließenden Gang. Vorbei an detailliert gemeißelten Heldenstatuen vergangener Kriege und Epochen gelangten sie endlich an die große aus reinem Gold geschmolzene Tür. Über und über mit Juwelen und Ornamenten versehen, bildete die Tür zur Krypta eines der wohl kostbarsten Schätze des Kaiserreichs. Noch bevor sich die beiden Mörder über ihren weiteren Schritt beraten konnten schreckte sie das plötzlich eintretende Gewirr von Stimmen auf. Schlagartig stoben die beiden auseinander und versteckten sich jeweils auf der linken und rechten Seite des Ganges in einer Nische.

Nahezu lautlos drückte Kardinal Lucius die schwere Tür nach außen und trat polternd in den Gang hinaus. Dem schwergewichtigen Kardinal folgte ein betroffen aussehender Erzabt Melmorion. 
„Aber ehrwürdige Eminenz bedenkt bitte die Folgen. Wir können diese Höllenschwert nicht der Öffentlichkeit vorenthalten. Wir müssen seine Majestät benachrichtigen.„
Der grobschlächtige feiste Kardinal wand sich um. Seine kurzen Stummelfinger deuteten drohend auf den ängstlich dreinblickenden Erzabt. „Ihr tragt die Konsequenzen, Hochwürden. Ich mache Euch für auftretende Schäden verantwortlich, Euch allein.„
Der eingeschüchterte Melmorion blickte sorgenvoll auf den ganz in karmesinrot gewandten Kardinal. Das goldene Golumamulett um seinen breiten Hals wippte bei jeder Bewegung hin und her. Ungewohnt für einen Geistlichen trug der Kardinal einen gesegneten Streitkolben an seinem breiten verzierten Gürtel. Das faltige Doppelkinn schien sich bei seiner Antwort aufzublähen.
„Ich halte es für besser dieses unheilige Relikt zu vernichten. Wollt Ihr einen zweiten Deggerdan?„ 
Der Erzabt hob beschwichtigend die Hände. „Eure Eminenz, bei allem Respekt. Man kann Crespuculum nicht vernichten.„
Die kleinen Schweinsaugen des Kardinals sprangen fast aus ihren Höhlen. „Ihr wagt es? Ihr wagt es seinen Namen in Golums Tempel auszusprechen? Ihr versündigt Euch Erzabt.„ Melmorion kniete sich nieder und ergriff die linke Hand Lucius. „Ich bitte Euch um Vergebung Eminenz. Aber bitte hört mir zu! Es wäre Wahnsinn die Angelegenheit so einfach zu bereinigen. Wir wissen nichts über diese Klinge, außer das...„
„Außer das sie die materielle Hülle des Verstoßenen ist, nicht wahr Erzabt?„ Der Kardinal riß sich los und stapfte in den Gang. „Ich werde dafür sorgen das sie eingeschmolzen wird. Vielleicht kann sie Erzmagier Algerein in den Limbus zaubern, wer weiß.„ 
Erzabt Melmorion strich seine blaue Robe glatt, dann hastete er ihm nach. „Eminenz wartet! Was ist mit Glengarioch? Auch diese Klinge wurde auf Befehl seiner Majestät versteckt. Wir dürfen das kosmische Gleichgewicht zwischen Gut und Böse nicht verändern. Weder zur guten noch zur bösen Seite.„
Kardinal Lucius hielt inne. Schwer atmend wandte er sich wieder Melmorion zu. „Ihr seid verblendet, Erzabt. Glengarioch wurde angefertigt um Braelwyr den Drachen zu töten. Danach ist die Klinge vielen Regenten ein treuer Verbündeter gewesen, doch jetzt ist sie verschollen und das ist auch gut so.„ 
„Aber..„, Melmorion versuchte zu protestieren, doch Lucius schnitt ihm das Wort ab.
„Noch ein Wort, Erzabt oder ich lasse Euch Exkommunizieren, so wahr Golum unser aller Vater ist.„
Der Erzabt senkte sein Haupt. „Ihr begeht einen Fehler, Eminenz.„
Doch der Kardinal wahr bereits einige Schritte vorausgeeilt. Murmelnd wand sich Melmorion ab und schloß die Tür hinter sich. Bevor er den Schlüssel zücken konnte holte ihn ein zischender Peitschenhieb von den Füßen. Hart schlug Melmorion auf den Fliesen auf und starrte ängstlich in Navariels große Augen. 
Die Natter löste den Riemen ihrer Peitsche von seinen Beinen und rollte die tödliche Waffe flink zusammen. Mit Navariels Giftdolch an der Kehle kam der Erzmagier zitternd zum Stehen. 
„Wo habt ihr es versteckt, Hochwürden?„ Die betörende Stimme der Halbelfe duldete keinen Widerspruch.
„Niemals werde ich Euch das verraten. Ich hätte nicht geglaubt, daß seine Anhänger so fanatisch sind in Golums Tempel einzudringen. Wie könnt ihr es wagen, ihr gottlosen Kreaturen?„
Navariels spitze Fingernägel zogen vier blutige Striemen in Melmorions faltiges Gesicht. Trotz der Schmerzen hielt der Erzabt ihrem kalten Blick stand. 
„Tötet mich! Mich erwartet Golums Segen, euch die Finsternis.„ Ruckartig stieß Melmorion seinen Kopf nach vorne und rammte sich die vergiftete Dolchspitze in den Hals. Erschrocken sprang Navariel einen Satz zurück. Noch im Sterben sah der Erzabt zu ihnen auf.
„Ihr werdet niemals triumphieren. Dies ist Golums Reich.„
 Angewidert sahen beide auf die dünne Blutlache, die sich schlagartig verteilte. 
„Ich hätte ihn nicht getötet„, flüsterte Navariel leise. „Ob Golum oder Satan. Ich hätte nie einen Ordensträger vorsätzlich umgebracht.„ 
„Ich habe dir gleich gesagt, daß sie nicht hier ist„, signalisierte die Natter aufgebracht und zog die nachdenkliche Halbelfe von der Leiche weg. Navariel stieß ihn zurück und öffnete die schwere Tür. Ehe ihr Gefährte reagieren konnte, betrat Navariel den mystischen Ort und ließ den unschlüssigen Meuchelmörder hinter sich.
Ihre scharfen Augen sahen das Unfaßbare. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren trat sie auf das pulsierende rote Licht zu, das sich nebelartig in der geräumigen Krypta verteilte. Ihre Suche war beendet. Sie hatte es gefunden. Eingeschlossen in einem gewaltigen Block aus undurchdringlichem Granit steckte das Schwert des Bösen. Ein Stöhnen drang in ihre Ohren, so als leide das unheilige Werkzeug des Teufels Qualen an diesem so heiligen Ort.
 „Unsere Sorgen haben ein Ende, Hagen. Wir sind am Ziel unserer Träume.„ 
Bevor die Natter sie zurückhalten konnte schloß sich das goldene Portal.
„Neeeiiin„, brüllte der Meuchelmörder und trommelte mit seinen Fäusten auf das schwere Metall. „Nicht auf diese Art. Nicht meine Navariel.„

Kardinal Lucius kleine Augen blickten fassungslos von der Geweihten zu dem anerkannten Medikus.
„Was in Golums Namen habt Ihr hier zu suchen, Dienerin La Verne? Und Ihr Medikus Aberdan? Ich verlange eine Erklärung auf der Stelle!„
„Etwas schreckliches ist geschehen, ehrwürdige Eminenz.„ 
Miriam blickte Hilfe suchend zu Lares, der händeringend versuchte sich Gehör zu verschaffen. „Bitte Eminenz hört uns an!„
Der korpulente Kardinal zog sein dünnes Nachtgewand enger und forderte das Paar auf einzutreten.
„Nur wenigen ist es erlaubt meine Privatgemächer unangemeldet zu betreten. Ich hoffe Euer Anliegen ist ebenso wichtig, daß es Euch rechtfertigt mich aus dem Schlaf zu reißen.„ Mißmutig ließ sich der höchste Kleriker des kaiserlichen Ordens auf einem gepolsterten Sessel nieder und wies Lares an fortzufahren. 
„Ehrwürdige Eminenz, der Erzabt wurde ermordet.„
Der Blick des Kardinals verdunkelte sich. „Das ist noch nicht alles, Eminenz. Sein Mörder wurde gefaßt. Offenbar wußte er nicht was mit ihm geschah. Er war nicht Herr seiner selbst, als wir ihn den Wachen übergaben.„
Lucius lehnte sich vor. „Ihr wart im Tempel? Was habt ihr gesehen?„ 
„Nur das die Tür der Krypta weit geöffnet stand. Aber seid unbesorgt, Eminenz. Nichts wurde entweiht oder gestohlen. Wir haben es überprüft.„ Lares sah irritiert zu Miriam, die unsicher den Kopf schüttelte. 
Der Kardinal sackte sichtlich erschöpft in seinem Sessel zurück. Ein langes Pfeifen entfuhr seinen wulstigen Lippen.
„Golum stehe uns bei.„
Auf ihre drängenden Fragen winkte Lucius ab und verabschiedete sie mit den Worten. „Golum sei mit Euch. Möge das Licht den Schatten besiegen und Einklang bringen in unsere sterbliche Welt.„

Seid mehr als zwei Stunden lief Xerelik ungeduldig in dem Gemach auf und ab. Seine schwitzenden Hände langten nach der Karaffe Elfenweins, die er schon dreimal geleert hatte. Berauscht und trotzdem noch bei vollen Sinnen sank er auf sein Bett, nur um im nächsten Moment wieder aufzustehen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner flachen Stirn. Nervös trat er an das geöffnete Fenster und blickte in die Dunkelheit. 
„Wo zum Henker bleibt sie nur?„, zischte er und trat wütend gegen den Schemel. Der Aufruhr auf der Straße hatte sich gelegt. Xerelik wurde von dem lauten Gebrüll eines Geisteskranken aus seinen Überlegungen gerissen. Als er sich an das Fenster bemüht hatte, war er Zeuge eines schaurigen Schauspiels geworden. Mehrere rotgewandte Stadtwachen hatten einen lamentierenden Mann an Armen und Füßen die Straße entlang getragen. Dem Anschein nach hatte er den Verstand verloren, als er wieder und wieder die Worte Mulucupserc und Leiravan in die Nacht hinaus schrie. Als die Wache unter dem Fenster vorbeikamen konnte Xerelik kurz einen Blick auf den Wahnsinnigen werfen. Das verzerrte, blutverschmierte Gesicht war mit einer notdürftigen Augenbinde versehen. Offenbar hatte sich der Irre selbst geblendet. Achselzuckend hatte sich Xerelik abgewandt und war weiter ziellos hin und her gelaufen.

Kurz vor Sonnenaufgang weckte ein energisches Klopfen Xerelik aus seinem unruhigen Schlaf. Benommen wankte der Hexer zur Tür und öffnete ohne den Gast zu begrüßen. Gähnend wand er sich ab und deutete auf den Schemel.
„Wieso habt ihr so lange gebraucht? Setzt euch und legt die Klinge auf den Boden. Euer Gold bekommt ihr gegen Mittag.„ 
Als Xerelik sich wieder auf das Bett fallen ließ, wurde ihm die Leere des Raums bewußt.
„Bei allen Dämonen der Hölle, ich sagte setzt euch!„ Die Nachwirkungen des würzigen Elfenweins ließen seinen Kopf zerspringen. Als er sich wieder erhob, stand Navariel in der Tür.
„Wo ist dein Begleiter?„, fragte er plötzlich nüchtern und bemerkte ihren lüsternen Blick. Langsam fuhr sie mit ihrer Zunge über die Lippen, als sie langsam aus dem engen Leder glitt. Xerelik schluckte und hielt sich an der Tischkante fest. Als er Navariel in voller Schönheit vor sich sah, ihre prächtigen Brüste, ihren Nabel und ihre wundervollen Beine genoß, drang eine Stimme in sein kleines krankes Hirn.
„Du hast mich gesucht, du hast mich begehrt. Nun hast du die Gelegenheit dich mir zu offenbaren. Liebe mich mehr als du dich selber liebst. Schenke mir Treue und ich werde dich belohnen.„
Der Hexer nickte eifrig und riß sich die seidenen Kleider von seinem gebeugten Körper.
„Ja, meine Gebieterin. Ich tue alles was du willst.„
Navariel trat auf ihn zu. Ein verführerisches Lächeln flog über ihr weiches Gesicht.
„Mach mir ein Kind, Xerelik!„
Der Nekrolyt konnte sein Glück kaum fassen. Voller Lust vergaß er die Welt um sich herum. Er sah nicht, wie sie ihre blutigen Finger nach ihm ausstreckte. Sah nicht, wie dünne Rinnsale dunklen Blutes an ihren Lenden herunter auf den Boden tropften. Und er sah nicht ihre großen pupillenlosen Augen, die das Leiden einer scheinbar ewig geknechteten Seele widerspiegelten.