Licht & Schatten von Jens Eppinger |
„Crespuculum existiert.„ Der durchdringende Blick des wahnsinnigen Hexers bohrte sich tief in Navariels große klare Augen. „Ich selbst habe die Schriftrollen gelesen, welche die Wiedergeburt des Unheiligen mittels der Dämonenklinge besagen. Es war Großmeister Deggerdan, der verruchte Erzmagier. Er hat seine Seele und die seiner engsten Vertrauten für diese Beschwörung geopfert.„ Der irre Blick des schmächtigen Mannes wanderte von der sitzenden Halbelfe zurück zu dem an der Tür postierten Meuchelmörder. „Um Mitternacht treffen sich Kardinal Lucius und Erzabt Melmorion in Golums geweihten Tempel. Das Treffen ist geheim und soll so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Beide Parteien werden daher ohne ihre Leibwache die Krypta betreten um dort über die Verwendung Crespuculums zu beraten.„ Der gehetzte Blick des kränklich wirkenden Mannes suchte wieder Navariels leuchtende Augen. „Ich biete euch fünftausend Dublonen bar auf die Hand plus einen ganzen Sack Corrophyr, wenn ihr mir Crespuculum bringt.„ Die Miene der bildhübschen Halbelfe blieb ungerührt. Lediglich bei der Erwähnung der betörenden Rauchwurzel weiteten sich ihre Lider für einen winzigen Augenblick. Stumm musterte sie den prunkvoll gekleideten Nekrolyten, der unruhig auf seinem schäbigen Stuhl hin und her rutschte. Ihr ebenmäßiges, nahezu makelloses Gesicht mit den für Elfen typischen Zügen wand sich nun ihrem Partner, der Natter zu. „Was sagst du dazu, mein Freund? Zwei der mächtigsten Regenten neben dem Kaiser und wir sollen sie bestehlen.„ Die weiche, aber energische Stimme der hinreißenden Halbelfe ließ den Hexer frösteln. Für einen Totenbeschwörer hatten Xereliks Augen für die Schönheit des Lebens nicht viel übrig. Einzig und allein der Geruch der Verwesung, der Gestank von Fäulnis und der süßliche Duft frischen Bluts ließen sein dunkles Herz erwärmen. Bis zu dem Abend, als er sich mit den wohl fähigsten Assassinen Kerats getroffen hatte. Hier, in einem der vielen Zimmer der Nobelschenke Zum tanzenden Einhorn hatte Xerelik des öfteren seine illegalen Geschäfte abgeschlossen. Schmutzige, stinkende Raufbolde und söldnergleiche Schläger waren ihm ein gewohntes Bild. Doch hatte ihn der Anblick der beiden angeheuerten Nachtgestalten beinahe die Besinnung genommen. Vor allem, die nach Lavendel und Patchouli duftende Halbelfe hatte es ihm angetan. Nein. Sie hatte ihm das steinerne Herz gebrochen. Ganz nach seinen Vorstellungen, verschlagen und böse, kaltblütig und gnadenlos. Verführerisch hatte sie sich auf einen Schemel ihm gegenüber niedergelassen. Xereliks Augen verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie sahen das lange pechschwarze Haar, das unbändig über ihre geraden Schultern fiel. Die leicht angespitzten Ohren und die großen tiefblickenden Mandelaugen. Sie weideten sich an den blutroten Lippen, dem perfekten Hals und an der athletischen Figur, welche einer von Shadors besten Tänzerinnen weit in den Schatten stellte. Stets hatte sich der größenwahnsinnige Nekrolyt gesehnt, wenigstens einmal den Zauber des Wüstenherrschers Kalif Shadors zu genießen. Nun war ihm das Vergnügen vergönnt, in der Gestalt einer erotischen Halbelfe. „Die Belohnung klingt verlockend. Aber die Sache hat einen Haken.„ Die tiefe Stimme des bis dahin schweigsamen Mannes riß Xerelik aus seinen Gedanken. Bevor sich der Hexer zu ihm umdrehen konnte, fuhr die Natter fort. „Zwei der mächtigsten Personen des Reiches erscheinen ohne ihre Leibgarde zu einer geheimen Zusammenkunft in Golums Heiligtum? Zwei Lichtgestalten des Glaubens und der Ordnung verfügen über einen bewußt verschwiegenen Mythos der abtrünnigen Dämonenkunde? Ich glaube ihm kein Wort und du solltest es auch nicht tun! Corrophyr hin oder her.„ Die Halbelfe nickte und sah an Xerelik herunter. „Selbst wenn deine Vermutungen stimmen, sehe ich nicht eine Dublone an dir, geschweige denn den Sack Corrophyr.„ Der Hexer schluckte. „Natürlich habe ich das Gold nicht dabei und ihr werdet verstehen, daß ich mit keinem Sack verbotener Rauchwurzeln durch die Kaiserstadt spaziere. Aber ich kann euch bezahlen. Genauso, wie ihr euch auf meine Beobachtungen verlassen könnt. Das Relikt existiert tatsächlich und es befindet sich im Herzen von Golums Heiligtum.„ Xerelik haßte es den Namen des Göttervaters so oft auszusprechen. Wie zur Bestätigung zogen seine zitternden Hände einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche seiner scharlachroten Robe hervor. Mit einer ungeschickten Geste warf er der Halbelfe den Beutel zu. „Hier, daß ist eure Anzahlung. Fünfzig Dublonen. Das ist mehr als ihr in einem Monat verdient.„ Die glänzenden Augen der Halbelfe sahen von ihm zu der Natter. „Du mußt wahrhaft vermögend sein, so mit deinem Geld um dich zu werfen.„, bemerkte sie spöttisch. „Wir überlegen uns dein Angebot„, damit erhob sie sich und warf ihrem Partner den Beutel zu. Xereliks Augen starrten wie gebannt auf das glänzende schwarze Leder, das sich wie eine zweite Haut an den durchtrainierten Körper der Mörderin schmiegte. Lautlos glitten die Sohlen ihrer langen Stiefel über den Dielenboden, als sie auf die Tür zusteuerte. Der Assassine wollte ihr folgen, doch Xerelik sprang unbeherrscht von seinem Stuhl auf und hielt ihn zurück. „Ihr versteht nicht„, kreischte er hysterisch. „Heute nacht muß es geschehen. Ich brauche Crespuculum um...„ „Um was?„, donnerte die laute Stimme der Natter. „Um die verstoßene Höllenbrut wieder zu beschwören?„ Der Hexer sah verlegen zu Boden. „Bitte setzt euch wieder. Ich brauche eure Hilfe und ihr braucht mich.„ Die beiden Meuchelmörder sahen sich verdutzt an. „Wie kommst du darauf, daß wir deine Hilfe benötigen, du nekrophile Mißgeburt.„ Provozierend baute sich die Halbelfe vor ihm auf. Der Hauch von Patchouli wehte verführerisch um Xereliks Nase. „Ich kenne euer Problem„, erwiderte er gefaßt. „Euch liegt sehr viel an meiner Belohnung. Ich meine die Rauchwurzeln.„ Die Miene der Halbelfe verdunkelte sich. „Was meinst du damit, Hexer?„, preßte sie zwischen ihren weißen Zähnen hervor und trat noch näher an ihn heran. So nahe, daß sich ihr weicher Busen an Xereliks Brust drückte. Dem Nekrolyt wurde schwindelig. Disziplinierte Selbstbeherrschung hielt ihn davon zurück die wunderschöne Frau zu küssen. Als er sich endlich gefaßt hatte, trat er einen Schritt zurück. „Ihr beide seid süchtig„, erwiderte er trocken. „Euer Leben richtet sich nach Corrophyr. Ich besitze mehr davon, als ihr glaubt und ich kenne den Preis den ihr für eine Handvoll davon zahlt.„ Siegessicher wies Xerelik auf den Schemel. „Es gibt noch einige Einzelheiten, über die ich gerne mit euch sprechen möchte.„ Die Natter löste den Saum ihres schwarzen Kapuzenumhangs und warf ihn achtlos auf das frisch bezogene Bett. Eine dunkle Tunika und ein schmaler Waffengurt kam zum Vorschein. Eine zusammengerollte Peitsche und ein für Assassinen typisches Kurzschwert, ein Makhoy, waren an ihm angebracht. In seinen Ärmeln vermutete Xerelik noch je einen versteckten Dolch. „Du spielst ein gewagtes Spiel, Hexer. Möge deine Seele dem Unheiligen gehören, solltest du uns anlügen.„ Xerelik genoß im Stillen das sonderbare Kompliment und seufzte erleichtert, als auch Navariel Nachtherz sich wieder setzte und abwartend die Beine übereinanderschlug. „Also, wir hören.„ Zufrieden rieb Xerelik seine feuchten Handflächen an seiner mit Gold bestickten Robe ab. „Euer Einwand von vorhin ist durchaus berechtigt. Was machen die höchsten Ordensträger des göttlichen Glaubens mit einem Artefakt des Bösen? Dem Artefakt des Bösen.„ Verbesserte sich der Hexer hektisch und ließ bei seiner Erklärung Navariel nicht aus den Augen. „Laut den Schriftrollen der hohen Bibliothek in Perlmoon, fand die wohl einzige erfolgreiche Beschwörung des Höllenfürsten vor rund siebzig Jahren in Chrenopeiás statt. Tief in einer ehemaligen Schule des Schwarzen Ordens versammelte der verräterische Erzmagier Egil Deggerdan seine fähigsten Vertrauten zu einem bisher nie vollzogenem Ritual. Was dort unten geschah ist ungewiß. Vielen Berichten nach soll das verborgene Verlies in den frühen Morgenstunden von einer gewaltigen Explosion erschüttert und dann vernichtet worden sein.„ Xerelik legte eine rhetorische Pause ein und sah aufmerksam von der Halbelfe zu dem Assassinen. Als dieser lediglich mit den Schultern zuckte, fuhr der Nekrolyt fort. „Erst achtundsechzig Jahre später begann eine Schar vertriebener Hügelzwerge den bis dahin gemiedenen Ort aufzusuchen und die eingestürzten Gänge frei zu legen. In der Hoffnung hier unentdeckt leben zu können, stießen ihre Arbeiter bald auf den größten Saal der unterirdischen Schule der Magie - dem Machtzentrum. Unter den Unmengen von Gesteinsbrocken entdeckten sie dann ein sechs Fuß langes, schwarzes Schwert. Crespuculum. Unversehrt hatte es die Jahre im Verborgenen gelegen.„ Xerelik war zu tief in seiner Erläuterung versunken, als das er den ungläubigen Blick der Natter zu Navariel bemerkte. „Doch die Zwerge wußten nicht, was sie dort gefunden hatten. Zwar lobten sie die perfekte Schmiedekunst der unnatürlichen Klinge, aber den Sinn und Zweck Crespuculums verstanden sie nicht. Als im Laufe der Zeit die Vorräte der Zwerge zur Neige gingen, entschlossen sich die von ihren Brüdern verstoßenen Halblinge ihre erstellten Werkzeuge und Waffen den Einwohnern der Stadt Harwek zum Tausch gegen Nahrung anzubieten. Da die kunstvolle Klinge von keinem der Zwerge geführt werden konnte, wurde sie als erstes eingetauscht. Die Schriftrollen besagen, daß ein reicher Schmied die Waffe erwarb und sie an einen durchreisenden Fremden verkaufte. Die Identität des Fremden ist bis heute ungeklärt. Wahr ist aber, daß unter bisher unerklärlichen Umständen Crespuculum in die Hände des Ordens fiel. Man vermutet, daß die Klinge einem irrsinnig gewordenen Mörder abgenommen und der ansässigen Wache übergeben wurde. Diese wurde von der geistlichen Inquisition beauftragt, daß Schwert dem Kardinal vorzulegen. Als erfahrener und oberster Kleriker wußte Lucius um den Wert Crespuculums und beorderte sie nach Kerat in den mächtigsten und heiligsten Ort des Ordens. Golums Tempel. In der Hoffnung hier die Macht der Klinge zu brechen und den Unheiligen für immer zu bannen.„ Navariel holte tief Luft und deutete mit ihrem Finger auf Xerelik. „Sagtest du nicht Deggerdans Beschwörung hatte Erfolg? Warum also existiert das Schwert, wenn der besser Ungenannte längst in sein Reich zurückgekehrt ist?„ Xerelik gefiel der Scharfsinn der Halbelfe. Offenbar hatte sie sein Anliegen verstanden. Im Gegensatz zu ihrem Gehilfen. „Das ist es eben. Ich vermute mit der Beschwörung ist es Deggerdan nur gelungen die Seele des Unheiligen aus dem Exil zu befreien. Jedoch steckt sie noch immer in dem Schwert und wartet auf ihre Wiedergeburt.„ „Und du glaubst, du könntest ihn befreien?„, klang die sarkastische Stimme des Meuchelmörders. „Du bist nicht einmal ein anerkannter Magier, geschweige denn ein Mitglied des hohen Zirkels.„ Xerelik ignorierte seine Bemerkung. „Bevor ihr noch etwas sagt, habe ich etwas für euch. Etwas besonders.„ Der Nekrolyt trat an den kleinen Schrank aus Buchenholz heran und zog hektisch die oberste Lade auf. „Ich habe hier die Pläne der Krypta aufgezeichnet. Ihr werdet sie brauchen, um euch in dem Mausoleum zurechtzufinden.„ Lächelnd überreichte er den Plan der Natter, die argwöhnisch einen kurzen Blick auf das Papier warf. Als sich Xerelik wieder gesetzt hatte, diesmal etwas näher zu Navariel, hielten seine Hände zwei verschrumpelte, knotige Wurzeln in die Höhe. „Einen kleinen Vorgeschmack gefällig?„ Wohlwollend bemerkte er den gierigen Blick seiner nächtlichen Gäste. „Du hast eine große Überzeugungskraft, Hexer. Navariel lehnte sich weit nach vorne, als Xerelik eine der Wurzeln über den Flammen des brennenden Kandelabers schmoren ließ. Duftender und zugleich beißender Rauch wehte von der Wurzel durch das kleine Zimmer. „Gib her!„, verlangte Navariel rauh und ihre mit schwarzem Lack verzierten Fingernägel bohrten sich scharf in Xereliks nacktes Handgelenk. „Viel Vergnügen„, wünschte er auch der Natter und sah zu, wie die beiden Assassinen den Rauch der glimmenden Wurzeln tief einzogen. Er selbst goß sich etwas gewürzten Elfenwein ein und schwelgte in seiner Phantasie, in der er sich hemmungslos mit einer schwarzhaarigen Halbelfe vergnügte. Der scharfe Blick von Miriam La Verne wanderte prüfend über
den finsteren Friedhof Kerats. Als einer Geweihten des Ordens Golum war
der jungen Frau der nächtliche Totenacker nicht unheimlich. Schon
oft hatte sie die Nachtwache zwischen den Gräbern rechtschaffener
Bürger und tapferer Soldaten übernommen. An einem so heiligen
Ort würde ihr nichts böses geschehen. Noch nie in der langen
Geschichte Kerats, hatten sich Ghule oder Wiedergänger an der letzten
Ruhestätte des Lebens versucht. Allenfalls Grabschänder oder
vereinzelte Nekrolyten waren bisher unter der Schneide von Miriam La Vernes
goldener Kampfsichel gefallen oder geflohen. Aus diesem Grund genoß
die rothaarige Schönheit die nächtliche Ruhe und lenkte ihre
leisen Schritte zu dem plätschernden Mamorbrunnen im Herzen des Friedhofs.
Ihr weißer wattierter Waffenrock glänzte im fahlen Mondlicht,
als sie sich an den Stufen des imposanten Brunnens niederließ. Summend
fuhr sie mit ihren schlanken Fingern über das mit blauem Garn eingenähte
Symbol Golums auf ihrer Brust. Ein geschlossener Kreis mit einem geöffneten
Auge in seinem Inneren. Ungeduldig klopfte die Geweihte den Staub von ihren
knielangen Lederstiefeln und zupfte anschließend einige hängengebliebene
Haare von ihrem dunkelblauen Kapuzenumhang. Als sie den Sitz ihrer silbernen
und goldenen Armreifen überprüft hatte, lockerte sie den Gurt
ihrer an der Hüfte baumelnden gesegneten Kampfsichel.
Ganz gegen ihren Erwartungen befanden sich tatsächlich keine
Wachen im Inneren des luxuriös eingerichteten Tempels des Göttervaters.
Schon seid mehreren Minuten schlichen die beiden Assassinen unentdeckt
durch die mit weißen Marmor gefliesten Gänge des komplexen Gebäudes.
Vereinzelte Fackeln und rauchende Ölschalen erhellten die breiten
Gänge und ermöglichten dem finsteren Paar ungehindert bis zur
heiligen Krypta vorzudringen. Vom Rauch der Corrophyr angespornt tappte
Navariel selbstsicher zu dem schmalen Treppenabsatz, der hinunter in das
Mausoleum des Tempels führte. Die Natter glitt an sie heran,
als sie beide den Entschluß trafen die unterirdische Grabkammer zu
betreten.
Nahezu lautlos drückte Kardinal Lucius die schwere Tür
nach außen und trat polternd in den Gang hinaus. Dem schwergewichtigen
Kardinal folgte ein betroffen aussehender Erzabt Melmorion.
Kardinal Lucius kleine Augen blickten fassungslos von der Geweihten
zu dem anerkannten Medikus.
Seid mehr als zwei Stunden lief Xerelik ungeduldig in dem Gemach
auf und ab. Seine schwitzenden Hände langten nach der Karaffe Elfenweins,
die er schon dreimal geleert hatte. Berauscht und trotzdem noch bei vollen
Sinnen sank er auf sein Bett, nur um im nächsten Moment wieder aufzustehen.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner flachen Stirn. Nervös
trat er an das geöffnete Fenster und blickte in die Dunkelheit.
Kurz vor Sonnenaufgang weckte ein energisches Klopfen Xerelik aus
seinem unruhigen Schlaf. Benommen wankte der Hexer zur Tür und öffnete
ohne den Gast zu begrüßen. Gähnend wand er sich ab und
deutete auf den Schemel.
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