Betreten verboten von Soriel Daíra

Etwas gelangweilt von der Party beschloss Felice, ein wenig spazieren zu gehen. Sie ließ die laute Musik und die betrunkenen Leute hinter sich und stapfte durch das morastige Gelände. Eigentlich ging Felice gerne auf Partys, aber nach einem wenig erfreulichen Gespräch mit einem Freund wollte sie ein bisschen allein sein, und so beschloss sie halt, spazieren zu gehen, um ihren Kopf freizubekommen. Sie verließ den Zeltplatz und folgte den Straßenwindungen. Nach einiger Zeit endete der Fußweg, dem sich jedoch ein kleiner, unscheinbarer Sandweg anschloss, den Felice betrat. Immer weiter entfernte sie sich vom Zeltplatz und den restlichen menschlichen Ansiedlungen. Sie atmete die nach Wald schmeckende Luft ein und genoss nach all dem Lärm die Stille. Rechts von ihr grenzte Feld an Feld, während sich links nach und nach ein dichter Wald aufbaute. Das Mädchen sah, dass der Sandweg in einiger Entfernung enden würde, und beschloss, schon jetzt und durch den Wald den Rückweg anzutreten. Sie entdeckte eine Schranke, die die Waldzufahrt versperrte. An der Schranke hing ein Schild, das sich im Wind rostig quietschend hin- und herbewegte. Auf dem Schild stand:

- Betreten verboten -

Felice stutzte kurz, ging dann aber entschlossen weiter und kletterte über die Absperrung. Sie sog noch einmal die würzige Waldluft ein und ging tiefer und tiefer in den Wald. Bald darauf bemerkte sie die unnatürliche Stille. Die Vögel zwitscherten seit einiger Zeit nicht mehr. Das Mädchen wurde langsamer und blieb schließlich kurz stehen. Sie war die ganze Zeit parallel zum Waldrand gelaufen und hatte den Sandweg, auf dem sie hergekommen war, im Auge behalten. Der Pfad, dem sie jetzt folgte, machte eine scharfe Rechtskurve, so dass sie sich vom Rand entfernte. Felice lauschte und hörte außer ihrem eigenen Herzschlag nichts. Verwundert ließ sie den Blick durch das Gelände streifen. Hässlich grüne Pilze wuchsen am Rand, dort, wo auf dem bisherigen Weg kleine rote und weiße Pilze gestanden hatten. Sie blickte zurück und suchte den Hochsitz, an dem sie vorbeigelaufen war, konnte ihn jedoch nirgends finden. Der Wald wirkte düster und tot. Felice fröstelte ein wenig, und plötzlich fielen die ersten Regentropfen von dem auf einmal grau gewordenen Himmel. Links von ihr waren kleine Sandhaufen über quer auf dem Boden liegende Baumstämme geschüttet worden. Das Mädchen runzelte die Stirn. Was sollte hier denn gebaut werden? Dicke Spuren führten durch den Morast, einige kleinere Bäume waren abgeknickt. Felice beschloss, querfeldein Richtung Waldrand zu gehen, da ihr der Pfad und der totenstille Wald unheimlich wurden. Sie überquerte vorsichtig die Baumstämme, die durch den Sand an einigen Stellen versteckte Fußfallen bildeten, und stakste durch den Matsch zum Rand, doch als sie dort angekommen war, blieb sie erstaunt stehen. Der Sandweg war fort! Ein dichtes Roggenfeld grenzte unmittelbar an den Wald, wo vorher der Weg gewesen war. Der Himmel war nahezu schwarz, und just in diesem Moment zuckte ein Blitz herab und schlug in einen toten Baum ein, der verlassen mitten auf dem Feld stand. Ohrenbetäubender Donner rollte am Horizont entlang, und das Mädchen wich entsetzt in den Wald zurück. Wo war der Pfad hin?? Die Gegend kannte sie nicht, und sie war doch die ganze Zeit parallel zum Waldrand gelaufen. So lange konnte sie auch noch nicht unterwegs gewesen sein! Sie entschied sich, dem Weg im Wald zu folgen und auf ihm zur Schranke zurückzukehren. Dann würde sie zwar einen Riesenumweg machen, aber sie würde sich wenigstens nicht verlaufen. Dornen rissen an ihren Beinen. Dornen?? Die waren doch eben noch nicht da gewesen?! Sie ging schneller weiter, zurück zu den mit Sand überhäuften Bäumen. Der Sand sah neu und unberührt aus und es dauerte einen kleinen Augenblick, bis Felice merkte, was hier nicht stimmte: Ihre Fußspuren waren nicht mehr da. Sie kletterte über den Sand zurück, und zwischen zwei Stämmen sah sie etwas längliches Weißes liegen, das entfernt wie ein Knochen aussah. Das Mädchen sah etwas genauer hin... ein einzelner Fingerknochen, der obszön in die Luft ragte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie erschrocken zurückwich und den Pfad erneut betrat. Sie lief ein Stück und beruhigte sich dann wieder. "Sei nicht so albern!" schalt sie sich selbst. "Das wird ein Tierknochen gewesen sein. Der Wald hat irgendwie unbemerkt eine Biegung gemacht, so dass der Weg nicht mehr da war; der verschwundene Hochsitz war hinter ein paar Bäumen versteckt und die Fußspuren waren bestimmt nur ein wenig weiter rechts im Waldboden oder so." Sie ging etwas langsamer weiter, weil ihr ihre eigene Angst nun - in Sicherheit - lächerlich vorkam. Das Mädchen runzelte die Stirn und überlegte, warum in aller Welt der Wald so unheimlich still war, als sie plötzlich das durchdringende Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Beobachtet von gierigen roten Augen irgendwo aus dem dichten Unterholz... Felice versuchte, ruhig zu bleiben, doch sie wurde immer nervöser. Einige Male drehte sie sich um, doch der Weg hinter ihr blieb leer. Der Weg erschien ihr sehr viel länger als noch auf dem Hinweg, und Regenpfützen säumten den Boden. Sie blieb vor einer davon stehen und starrte entsetzt hinein. Die Pfütze war rot - wie Blut. Und sie sah das leise, rhythmische Zittern, das in Wellen durch die klebrige, stinkende Flüssigkeit lief. Ein Zittern, als würde etwas sehr Schweres auf dem Boden aufstampfen. Die Wellen wurden stärker, und nun spürte Felice es auch. Der Boden vibrierte sacht. Dann hörte sie es. Ein dumpfes Stampfen. "Wumm ... wumm ... wumm ..." Es wurde schneller und lauter und kam immer näher. Das Mädchen zitterte und sie bemerkte die Tränen kaum, die ihr über die Wangen liefen. Sie stand auf und ging schnell weiter. Wieder und wieder drehte sie sich um, doch hinter ihr war nichts. Dann, ganz plötzlich, war es erneut totenstill. Felice blieb stehen und drehte sich langsam um. Nichts zu sehen... Sie wollte weitergehen, doch dann fiel links von ihr mit furchtbarem Getöse ein Baum ohne erkennbaren Grund um. Sie schrie auf und sah einen unglaublich riesigen Schatten aus dem Unterholz brechen. Das Mädchen hörte etwas, und als sie davonrannte, wurde ihr klar, dass das, was sie hörte, ihre eigene Stimme war, die immer noch gellend schrie. Felice rannte und rannte, lief den ganzen Weg zurück, während hinter ihr das dumpfe Stampfen erneut eingesetzt hatte und immer näher kam. Fast spürte sie schon den heißen Atem irgendeiner Bestie im Nacken, als sie in einiger Entfernung die Schranke sah. "Wumm-wumm... wumm-wumm-wumm..." Sie schrie wieder auf und mobilisierte ihre letzten Kräfte. Plötzlich herrschte von einer Sekunde auf die andere absolute Stille vor. Das Mädchen blieb zitternd an der Schranke stehen und drehte sich um. Der Wald war verlassen, nichts war zu sehen, die grausigen Pfützen waren verschwunden. Ein Vogel zwitscherte. Sie kletterte über die Absperrung und brach dahinter zusammen. Erleichtert seufzte sie auf, als sie feststellte, dass sie auf dem Sandweg saß. Ihr Blick fiel auf das Schild, und eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Die Schrift hatte sich verändert. Aus dem "Betreten verboten" war folgendes geworden: "The beast in the woods is nearer than you think. It’s watching little girls - it’ll get them all, Felice..." Sie wischte sich ungläubig über die Augen, und die Schrift änderte sich erneut. Nun stand dort: "Beware of the Wendolyne, Felice..." Sie sprang auf und rannte schluchzend den Sandweg zurück. Auf dem Schild stand: "Run, Felice..." 
Ein langer Schrei war auf dem Zeltplatz zu hören, der plötzlich abbrach. Die Freunde des Mädchens, die sich Sorgen gemacht hatten und sie suchen gegangen waren, liefen in Richtung Wald, doch Felice wurde nie wieder gefunden. Und auf dem Schild stand:

- Betreten verboten -

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