Ich raffte mich auf, wusch, rasierte und kämmte mich und zog
mich anschliessend an. Ich hatte mich für eine weiche helle Lederhose,
ein weites naturseidenes Hemd und geschmeidige Lederschuhe entschieden.
Als Krönung warf ich mir einen langen schwarzen Mantel um, der eine
handbreit über dem Boden wallte. Mein Schwert hing ich mir um die
Hüften und ich kontrollierte den Sitz meiner Wurfmesser.
So ausgerüstet verliess ich still meine Pension.
Meine Schritte lenkte ich in Richtung Stadt und mit einem unwiderstehlichen
Glücksgefühl steuerte ich den Basar an, steckte neugierig die
Nase unter die bunten Markisen der Verkaufsstände, schnappte hier
und da den typischen städtischen Klatsch und Tratsch auf und wandelte
anschliessend auf der grossen Prachtstrasse zum Haus des Stadthalters.
Der Tag war schön. Die Sonne schien, umrahmt von einigen wenigen
Wölkchen, an einem makellos blauen Himmel.
Würzige Kochdünste hingen zwischen den Häusern und
die Einwohner von Saltwater eilten geschäftig hin und her.
Soldatenpatrouillen, an denen ich vorbeikam, neigten respektvoll
den Kopf und sahen leicht an mir vorbei, wie es sich für Untergebene
gehört.
Von einem rollenden Obstkarren stibitzte ich einen grossen giftgrünen
Apfel und biss herzhaft hinein. Die Säure erfrischte meinen müden
Gaumen.
Kurz darauf stand ich vor dem Haus des Stadthalters.
Es war lange her, dass ich zuletzt hier gewesen bin, doch beim Gehen
kamen die Erinnerungen zurück.
Meine weichen Schuhe machten auf dem kalten Marmorboden keinerlei
Geräusch und zügig schritt ich dahin. Nur einmal nahm ich den
falschen Gang, doch dann befand ich mich endlich vor dem Schreibtisch des
persönlichen Sekretärs des Stadthalters. Ungeduldig blickte er
von seinen Papieren auf und warf mir einen Blick zu, der mich wohl einschüchtern
sollte.
Amüsiert zog ich eine Augenbraue hoch. Ich war nicht wirklich
gewillt, meine Zeit zu vergeuden, doch es machte mich neugierig, was als
nächstes kommen würde, also schlug ich lässig meinen Mantel
zurück, beugte mich leicht vor und stemmte meinen Arm auf die Tischplatte.
Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht, blaue Augen und glatte schwarze
Haare, die für meinen Geschmack etwas zu lang waren. Offenbar hielt
er mich für einen auswärtigen Kaufmann, denn er bemühte
sich nicht um die soldatische Höflichkeit, für die Saltwater
bekannt war. Seine Stimme klang hart und wenn er sie erhob, dann wurde
daraus entweder ein Peitschenknall oder das Zischen einer scharfen Klinge.
"Was wollt Ihr?"
"Ich möchte den Stadthalter sprechen."
"In welcher Angelegenheit?"
"Privat..."
Erstaunt krauste der Sekretär die Stirn. "Ihr werdet Euch noch
ein Weilchen gedulden müssen, zur Zeit ist er sehr beschäftigt."
Ich nickte und ein breites Grinsen teilte mein Gesicht. "Ich weiss!
Er ist so beschäftigt, wie jeden Morgen, wenn man sich von einer durchzechten
Nacht erholen muss."
Er wurde blass. "Was erlaubt Ihr Euch, Herr?! Der Stadthalter arbeitet
wie jeder andere in dieser Stadt."
Ich winkte ab. "Lasst es gut sein. Ich weiss es ja."
Langsam erhob er sich und nun standen wir uns Auge in Auge gegenüber.
"Wie ist Euer Name, Herr, damit ich Euch anmelden kann."
"Mein Name ist Cabot Mareno und..."
"Ich weiss, wer Ihr seid! Verzeiht meine Unhöflichkeit, Herr,
aber ich war der Ansicht, Ihr wärt ein frecher Kaufmann.
Ich werde dem Stadthalter sofort Bescheid geben. Wenn Ihr Euch noch
einen kleinen Moment gedulden wollt...?"
Nach meinem bestätigenden Lächeln verschwand er hinter
einer Lederbespannten Tür, nur um kurz darauf mit hochrotem Kopf wieder
zu erscheinen. Er verzog das Gesicht und meinte zerknirscht: "Ihr hättet
mir ruhig sagen können, wie gut Ihr ihn kennt, dann wäre ich
um einige Flüche und Beschimpfungen herum gekommen."
"Nun, das nächste Mal sage ich Euch vorher Bescheid."
"Das nächste Mal wird das wohl nicht mehr nötig sein,
trotzdem danke! Ihr könnt jetzt hinein gehen - er erwartet Euch!"
Ich nickte und betrat das Arbeitszimmer des Stadthalters.
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"Cabot! Wie schön dich endlich mal wieder in Saltwater zu sehen.
Wir haben uns - wie lange ist das her - etwa zweieinhalb Jahre nicht gesehen!
Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?"
Ich war sprachlos, denn sein Anblick erschreckte mich. Sein Gesicht
war zur Hälfte von einer silbernen Maske verdeckt, sein Schädel
war völlig kahl. Die Hände, die auf der dunklen Schreibtischplatte
ruhten, steckten in feinmaschigen Stahlhandschuhen. Sein muskulöser
Körper war bedeckt von einer matt glänzenden Rüstung.
Insha’ht bemerkte meine Sprachlosigkeit und lächelte entschuldigend.
"Meine Annahme, du würdest es nicht bemerken, war wohl falsch!"
Mein Mund war staubtrocken, und meine Stimme war rauh und heiser.
"Was ist passiert? Und vor allem wann und wie?"
Langsam erhob er sich, er hatte nichts von seiner Geschmeidigkeit
eingebüsst. Insha’ht wandte mir den Rücken zu und sah, ohne wirklich
etwas zu sehen, aus dem grossen Panoramafenster, das ihm einen grandiosen
Blick über die Stadt bot. Seine Schultern waren leicht nach vorne
gebeugt und seine Arme hatte er hinter dem Rücken verschränkt.
Mit seiner menschlichen Gesichtshälfte schielte er über die Schulter
und sagte: "Komm her!"
Betäubt gehorchte ich. Ich stellte mich neben ihn und sah,
wie er, mit starrem Blick, über die verworrenen Strassen und Gassen
Saltwaters.
Er sprach sehr leise und trotzdem hatte ich keine Schwierigkeiten,
ihn zu verstehen. "Es geschah zur Wintersonnenwende. Wie du weisst, feiern
wir dieses Ereignis ausdauernd und hingebungsvoll. Leider hatten wir zu
dieser Zeit viele Fremde in unserer Stadt und zu fortgeschrittener Stunde
eskalierten in der Stadt einige Krisenherde. Wie mussten viele Brände
bekämpfen und gegen die brandschatzenden Menschen vorgehen. Ich habe
viele meiner Soldaten verloren und schliesslich musste ich selber eingreifen.
Unglücklicherweise hatte ich einen Gegner gefunden, der nicht nur
im Schwertkampf ausserordentlich versiert war."
Er blickte mich mit gerunzelter Stirn an. "Meine Einstellung gegenüber
Magiern und Hexenmeistern ist dir bekannt... Nun, wie dem auch sei... nachdem
ich ihm das Schwert entwunden hatte, webte er einen Zauber und seine Auswirkung
siehst du jetzt!"
Er kehrte zurück an seinen Schreibtisch.
"Der Zauber vernichtete, dank meiner Ausbildung, nur die Hälfte
meines Gesichts, meine Hände und den Hauptteil meines Körpers.
Alles, was jetzt von der Maske, den Handschuhen und der Rüstung bedeckt
ist, existiert nicht mehr - jedenfalls ist es nicht länger stofflich."
"Wie kannst du leben?"
Ein humorloses Lachen erklang. "Oh, es ist alles vorhanden, man
kann es nur nicht sehen, es ist durchsichtig..." Er schlug mit der flachen
Hand auf den Schreibtisch. "Nein, bitte! Bemitleide mich nicht, es ist
so schon schwer genug... Die Blicke auf der Strasse, das Getuschel hinter
meinem Rücken... Obwohl die Menschen Angst vor mir haben, bringen
sie mir immer noch den Respekt und die Bewunderung entgegen, die mich früher
so stolz gemacht hat. Doch dieser Magier hat mich Demut gelehrt und ein
bisschen bin ich ihm auch dankbar dafür."
"Ich bemitleide dich nicht, diese Tugend besitze ich nicht! Ich
finde, du bist gewachsen, innerlich, und ich denke sogar, dass dich dieser
Schicksalsschlag stärker gemacht hat. Ich denke nicht, dass dir jetzt
noch viel etwas anhaben kann..."
Er drehte sich um und starrte mich an. "Ist das dein Ernst?"
"Habe ich jemals Witze gemacht, die so schlecht waren?"
Dankbarkeit hellte seine Züge auf. "Dann freue ich mich umso
mehr, dass du mich besuchst."
Ich sah, dass ich seine gesamte Aufmerksamkeit besass. "So schön
es auch ist, dass wir uns wiedersehen, Insha’ht, ich komme nicht ohne Grund..."
"Habe ich mir gedacht! Was kann ich für dich tun?"
"Ich bin mir nicht sicher, doch dein Zwischenfall mit dem Magier
passt jedenfalls in das Schema..."
"Kann ich dir etwas anbieten? Es dauert bestimmt etwas länger
und ich habe nicht vor, während deiner Ausführungen zu verdursten.
Wie stehts mit dir?"
"Ich schliesse mich an!"
Insha’ht ging zur Tür und rief seinen Sekretär. "Kisan,
bitte besorg uns eine Karaffe Rotwein und zwei Gläser!"
Kisan murmelte eine Bestätigung und Insha’ht schloss wieder
die Tür.
Ich räusperte mich. "Was weisst du über die Wüstenvölker?"
"Nun, sie lassen wenig an die Aussenwelt dringen. Sie leben sehr
zurückgezogen, sind ziemlich autark und Fremden gegnüber
misstrauisch. Man sagt ihnen nach, sie wären extrem kriegerisch eingestellt,
sie sollen ausgezeichnete Heiler sein und über eine grosse magische
Begabung verfügen. Ich persönlich bin niemals einem Wüstenstamm
begegnet. Angeblich kommunizieren die einzelnen Sippen unter einander,
auch über grosse Entfernungen hinweg, mittels Telepathie. Bestimmte
magische Praktiken sollen den Schamanen des Stammes den Einblick in die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglichen." Er zuckte mit den
Schultern. "Ich fürchte, das ist auch schon alles, was ich weiss!"
"Hm, das alles würde aber passen."
"Passen? Wozu?"
Die Tür öffnete sich und Kisan trat mit einem Tablett
ein. Wortlos stellte er zwei rötlich schimmernde Gläser auf Insha’hts
Schreibtisch. Die Weinkaraffe platzierte er daneben, drehte sich um und
verliess den Raum.
Insha’ht öffnete das Wachssiegel und goss den blutroten Wein
schwungvoll in die Gläser.
"Also... was passt?"
"Es gibt zu viele Zwischenfälle, die das Land und die Bevölkerung
verunsichern. Seit Kriegsende leben doch eigentlich alle Völker in
entspanntem Einvernehmen. Und doch haben sich unerklärliche Dinge
ereignet. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber alles zusammen betrachtet
lässt mich darauf schliessen, dass etwas passieren wird, uns steht
irgendetwas bevor und das macht mir Sorgen. Niemand traut sich den Mund
aufzumachen, doch die Spannung lastet über dem Land..."
"Ja, und was hat der Angriff des Magiers damit zu tun?"
"Direkt nichts, doch er reiht sich in die Reihe der Vorkommnisse
ein. Es gibt Gerüchte..."
Insha’ht verengte die Augen. "Was für Gerüchte?"
"Nun, zum Beispiel ziehen sehr viele Karawanen durch die Wüste..."
"Und was ist ihr Ziel?"
"Keine Ahnung... irgendwann verschwinden sie einfach!"
"Cabot, hör auf, mich zu veralbern! Niemand verschwindet einfach
so!"
Ich lächelte. "Nein, natürlich nicht. Und dennoch... Viele,
die zu den Sippen der Verschwundenen gehören, haben nie wieder etwas
von ihnen gesehen oder gehört. Der telepathische Kontakt riss einfach
ab. Manchmal sogar mitten im Satz, wie sie mir erzählten."
"Also hast du mit einigen sprechen können?"
"Ja, aus Angst kamen sie zu uns und fragten um Rat."
"Was hast du ihnen gesagt?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Nichts! Es gab nichts zu sagen, ich
fühlte mich genauso ratlos wie sie selbst."
"Hm, und was kann ich jetzt für dich tun?"
"Falls du es irgendwie einrichten kannst, dann würde ich gerne
die Drachenbrutstätten inspizieren und anschliessend möchte ich
mich einer dieser Karawanen anschliessen. Man hat mir eine Sippe genannt,
die sich zur Zeit innerhalb deiner Stadtmauern aufhält und die in
den nächsten Tagen wieder weiterzieht. Und dafür hätte ich
gerne deine Begleitung."
Insha’ht überlegte kurz und nickte dann. "Ich will sehen, was
sich machen lässt."
Den Rest des Tages beschäftigte er sich mit administrativen
Dingen und plante sämtliche Abläufe innerhalb Saltwaters auf
das penibelste. Von der Wache bis zur Müllentsorgung delegierte er
seine kompletten Aufgabenbereiche und der arme Kisan hatte alle Hände
voll zu tun.
Am späten Nachmittag war er fertig und wir gingen zum wirklich
privaten Teil über.
Spät in der Nacht trennten wir uns und nach wie vor war ich
dankbar, einen solchen Freund gefunden zu haben.
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Shivaree erwachte unsanft. Sie hatte mörderische Kopfschmerzen.
Vielleicht hätte sie sich während ihrer letzten Übungseinheit
nicht so verausgaben sollen. Sie hatte sowieso nicht das Gefühl, dass
ihr das was gebracht hatte, ausser, dass sie körperlich in Form blieb.
Und es lenkte sie von der Frage ab, was der Wüstenstamm, der
sie gefangen hielt, wohl von ihr wollte. Doch so sehr sie sich auch anstrengte,
sie bekam keine Antwort - weder von sich selbst, noch von dem Sippenführer
Tariq.
Tariq war eine kleine Gestalt und wurde von einem dunklen Wind umweht
und ausser seiner durchdringenden Augen hatte sie nichts von ihm zu sehen
bekommen, das es ihr erlaubt hätte, ihn besser einschätzen zu
können. "Alles zu seiner Zeit" war sein Standardspruch auf ihre Fragen.
Shivaree hatte nicht direkt Angst vor ihrem Bewacher, es war lediglich
die Ungewissheit, die ihr zu schaffen machte. Als Kämpferin, die es
nie gelernt hatte, demütig und unterwürfig zu sein, stellte es
sie auf eine harte Probe zur Untätigkeit verurteilt zu sein und ihre
Nerven spielten ihr unschöne Streiche. Sie war ein freies Wesen, das
niemals jemandem gegenüber eine Rechtfertigung abliefern musste.
Letzte Nacht war es ihr zum ersten Mal seit etwa zwei Wochen - so,
ihr inneres Zeitgefühl noch funktionierte - gelungen, Kontakt zur
Aussenwelt zu bekommen. Wenn auch nur auf mentaler Ebene, aber sie hatte
wieder den schwarzen Nachthimmel gespürt und das Licht der Sterne
gesehen.
Ihr gestriger unerwarteter Erfolg liess sie etwas Mut schöpfen,
doch sie durfte nichts Übereiltes tun. Es lag an ihr selbst, ihre
Chancen auf Flucht auszubauen und zu überdenken. Sie musste Tariq
in Sicherheit wiegen...
Plötzlich erhellte ein greller Blitz ihre dunklen Gedanken.
Sie knurrte.
Sie erinnerte sich, wie Tariq sie angegriffen hatte: Er kämpfte
nicht mit dem Schwert, dem Speer oder gar dem Morgenstern, nein, er kämpfte
auf rein mentaler Ebene. Sie erinnerte sich an den stechenden Schmerz in
ihrem Kopf und an das darauf folgende Gefühl der Taubheit. Geist und
Körper waren wie gelähmt.
Shivaree liess sich auf ihre Lagerstatt fallen und versank in ihren
Gedanken und Überlegungen.
Sie ignorierte die Zeit, übersah ihr Abendessen, vergass den
unbeschreiblich schönen Sonnenuntergang und verpasste den Aufgang
der ersten Sterne.
Nach vier Zeitabschnitten erwachte sie aus ihrer Starre. Ihr Plan
stand fest! Jetzt galt es, die alte physische und psychische Kraft und
Ausgeglichenheit wieder herzustellen. Sie begann mit ein paar einfachen
Aufwärmübungen, die ihre Muskeln wieder geschmeidig machen sollten.
Schliesslich ging sie zu ihrem normalen Training über. Die Bewegungen
gingen ohne stocken ineinander über, erst langsam, dann immer schneller
und sicherer. Mit der Zeit flossen sie wie Wasser, langsam, stetig und
unaufhaltsam. In ihrem Magen, dort, wo sich die Mitte befand, liefen die
Kräfte zusammen. Sie wurde sich ihrer wiederkehrenden Kräfte
bewusst und sie genoss dieses Gefühl. Ihr Körper und ihr Geist
hatten seine alte Form wiedergefunden. Ihr Geist besass die vollkommene
Kontrolle.
Nun hiess es zu warten. Warten und Geduld zeigen. Warten auf Tariq,
warten auf den richtigen Moment, warten...
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Tariq war ärgerlich und er stand kurz davor, seine Haltung zu
verlieren. Eine Haltung, derer er sich sonst rühmte, denn so vertrackt
die Situation auch war, er blieb immer Herr der Lage.
Seine Stimme war dunkel und leise, als er das Grüppchen staubiger
und verdreckter Wüstenreiter, die zu seinen Füssen auf den kostbaren
Berbern knieten, musterte. "Bei Minor, was soll das heissen: Ihr habt die
beiden verloren?"
Die Männer zuckten zusammen.
"Sprecht oder habt ihr eure Zungen verloren?"
"Herr, es tut uns leid! Der Magier hat Rilana in der Schänke
getroffen, kurz mit ihr gesprochen und sie anschliessend auf einen Höllenritt
mitgenommen. Wir besitzen diese Fähigkeiten nicht und so waren wir
nicht in der Lage ihnen zu folgen..."
Tariq schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. "Aber ihr seid
in der Lage, telepathisch mit mir Kontakt aufzunehmen oder ist euch diese
Gabe abhanden gekommen?"
"Nein, Herr!"
"So! Und warum habt ihr dann keinen Kontakt zu mir aufgenommen?
Weiss der Himmel, wo die beiden mittlerweile sind."
"Herr, wir wissen, wo der Magier Rilanas Schwert versteckt hat und
wir könnten Euch hinführen..."
"Und wo wäre das?"
"Er hat es in der Drachenbrutstätte vier Tagesreisen von hier
versteckt."
"Brillant!" Seine Stimme troff vor Verachtung. "Und was, denkt ihr,
ist dort, wenn wir die Brutstätte erreicht haben? Meint ihr, die beiden
werden uns freudig lächelnd erwarten?"
Die Männer machten sich noch kleiner.
Tariq seufzte. "Was habe ich nur verbrochen, um mit solch unfähigen
Leuten geschlagen zu sein? Los, verschwindet aus meinen Augen, ich kann
euch nicht mehr sehen!"
Das Grüppchen verliess schweigend Tariqs Zelt, froh darüber,
nicht bestraft worden zu sein.
Tariq beschloss, sich etwas Entspannung zu gönnen und machte
sich auf den Weg zu seiner kleinen Gefangenen. Ein Lächeln zerteilte
sein Gesicht. Er würde eine Lösung finden!
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Als Shivarees innere Uhr auf Nadir stand, beendete sie ihre Meditation.
Ihr Gesicht war auf den Eingang des Khaima gerichtet. Sie spürte,
dass jemand durch den Bannzauber kam. Die Stoffbahnen bewegten sich und
eine Gestalt erschien.
Shivaree verharrte in ihrer kauernden Position. Heute war es an
ihm den ersten Schritt zu tun.
Ihre Konzentration war vollkommen, ihr Gehirn enthielt nichts und
sie rekelte sich in der Mühsam geschaffenen Leere ihres Kopfes. Sie
war bereit. Sie würde ohne Rücksicht auf Verluste zuschlagen,
sie hatte nur diese eine Chance und sie hatte nichts zu verlieren. Ihre
Möglichkeit zu leben oder zu sterben, ihre Wahl war getroffen. Es
war alles egal - in diesem kurzen Augenblick. So oder so, sie hatte in
jedem Fall gewonnen.
Tariq wollte sie, also sollte er um sie kämpfen und sie würde
es ihm so schwer wie irgend möglich machen. Entweder sie scheiterte,
dann würde sie sterben und sie war frei, oder sie würde gewinnen
und auch dann war sie frei!
Da erklang seine Stimme, sanft wie süsser Honig und genauso
klebrig. "Salaam! Heute ist es soweit, heute werde ich dir sagen, wofür
ich dich brauche!"
Ein merkwürdiges Summen begleitete sein Erscheinen. Sie hörte
wie sich die Lautstärke erhöhte und im gleichen Augenblick fühlte
sie seine Gedanken. Kalt und hart und stark waren sie. Sein Denken wurde
beherrscht von selbstgefälliger Arroganz und Shivaree spürte
wie er in ihren Kopf eindrang. In ihren leeren Kopf!
Schnell und ohne zu zögern liess sie die Falle zuschnappen.
Bis auf einen kleinen Punkt riegelte sie alles ab. Wieder hiess es warten.
Sorgfältig tasteten seine Fühler die Umgebung ab, doch
es gab nichts zu ertasten. Nichts! Nur eine grosse Leere unter deren geisterhaft
stiller Oberfläche ein Sturm, eine Kraft, eine bisher völlig
verkannte Macht tobte. Rasend vor Zorn und Furcht versuchte Tariq, die
Decke, die Leere zu überwinden, um diesen unbändigen, gänzlich
unkontrolliert scheinenden Strom der Kraft anzuzapfen.
Tariq wand sich in dem von Shivaree geschaffenen Vakuum, als er
das kleine Loch entdeckte. Es lockte. Ein Geruch von Macht und Leben strömte
hinein. Seine Gier schlug Blüten, überwucherte seine sonstige
Vernunft und mit ungewöhnlicher Schnelligkeit rauschte er durch den
kleinen und einzigen Ausweg, doch das, was danach kam, war nicht das, was
er erwartet hatte. Ausserhalb des sicheren Vakuums tobte die reine Lebenskraft,
ein Orkan, der mit Eindringlingen kein Erbarmen kennt. Hier hat der Wille
die Herrschaft, und alles, was sich nicht anpasst, wird zerstört.
Tariq wurde mitgerissen, fand sich plötzlich in dem wildesten
Strudel wieder, den sich vorzustellen er in der Lage war.
Er begann sich zu widersetzen und man wurde auf ihn aufmerksam.
Er wand sich, sein Geist schrie gequält auf, der Schmerz war nicht
zu ertragen.
Sein Geist wurde mit elektrischen Schocks malträtiert.
Die Impulse dauerten an.
Er wehrte sich.
Der Kampf war ungleich. Er war seiner gesamten Kraft beraubt. Tariq
tobte in seinem ohnmächtigen Zorn.
Er fluchte, weinte, flehte, zeterte - es nützte ihm alles nichts.
Er war erledigt. Seine Schreie kamen in immer grösseren Abständen
und wurden immer leiser und zum Schluss konnte Shivaree sie überhaupt
nicht mehr vernehmen. Trotzdem wartete sie noch einige Zeit, ehe sie ihre
Mauern fallen liess, um Tariqs Reste wieder freizugeben. Es war eine reine
Vorsichtsmassnahme.
Sie wusste, wie unberechenbar Lebewesen sein konnten und sie wollte
kein Risiko mehr eingehen.
Als sie glaubte, alles in ihrer Macht stehende getan zu haben, kehrte
sie ihr Bewusstsein wieder nach aussen und nahm dabei auch Tariqs mentale
Überreste mit. Langsam öffnete sie die Augen und vor ihr lag
Tariqs bewegungsloser Körper. Über ihm schwebte ein unstet flackernder
blau-grüner Nebel. Es waren die Reste seiner einstigen psychischen
Kraft und seiner Lebensenergie, die in den Körper einsickerten. Tariqs
Atmung war flach und sein Gesicht war nass von Schweiss.
Shivaree fühlte sich erschlagen. Sie war total erschöpft.
Sie sehnte sich nach Ruhe und Entspannung. Sie wollte schlafen, doch zuerst
musste sie diesen ungastlichen Ort verlassen. Sie hatte nicht Tariq besiegt,
um sich von seinen Häschern wieder einfangen zu lassen.
Shivaree stieg über Tariqs Körper hinweg und griff sich
ihr Schwert. Es hatte die ganze Zeit dort gestanden, doch sie konnte es
nicht benutzen. Sämtliche Gegenstände innerhalb des Khaima hatte
Tariq mit einem Bann belegt. Es musste ihn sehr viel Mühe gekostet
haben.
Sie schob vorsichtig die Zeltbahnen zur Seite. Das Dorf war verlassen,
jedenfalls sah es so aus, immerhin war es weit nach Mitternacht.
Niemand konnte sie jetzt noch daran hindern, ihr Gefängnis
zu verlassen und lediglich die Sterne beobachteten ihre Flucht.
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Irgendetwas störte Insha’ht. Sein Schlaf wurde unsanft von grossem
Lärm unterbrochen. Einen Moment lang fragte er sich, ob er selbst
vielleicht die Ursache war, doch diesen Gedanken gab er schnell auf, denn
wie konnte jemand, der unbeweglich im Bett lag, einen solchen Radau machen?
Mühsam öffnete er die schweren Augen. Er fühlte sich
gerädert und eine Ahnung sagte ihm, dass er längstens zwei Zeitabschnitte
geschlafen hatte. Eindeutig zu kurz!
Mürrisch schlug er die Decke zurück und blickte sich um.
Erstaunt blinzelte er. Das darf doch nicht war sein! fluchte er
in sich hinein. Was macht die denn hier und vor allem, wo kommt sie
auf einmal her?
Auf seiner asiatischen Kommode sass eine junge Frau mit einem tödlich
blitzenden Schwert in der Hand. Sie sah sehr fremdartig aus. Keine Insha’ht
bekannte menschliche Rasse hatte jettschwarze, blau schimmernde Haut und
silberne, das Licht reflektierende Haare. Sie schüttelte den Kopf
und ein Rausch von silbernem Licht ergoss sich in Insha’hts Schlafgemach.
Lautlos erhob er sich und machte einen Schritt auf die Fremde zu.
Blitzartig wand sie ihren Kopf in seine Richtung. Ihre Stimme war das Fauchen
einer grossen, sprungbereiten Raubkatze. "Bleibt, wo Ihr seid, Mann! Ich
garantiere sonst für nichts!"
Insha’ht nickte benommen. Er war verwirrt. Sie sprach seine Sprache,
doch sie schien nicht von dieser Welt zu sein. Er fragte sich, ob dies
ein gutes oder ein böses Omen war, denn seine Unterhaltung mit Cabot
war ihm noch sehr gegenwärtig.
Falls er diese Nacht überleben sollte, so würde er sich
am nächsten Morgen sofort mit seinem Freund in Verbindung setzen.
"Wer seid Ihr?" Lauernd lagen ihre wie flüssiges Quecksilber
schillernden Augen auf ihm. Ihm lief ein eiskalter Schauer über den
Rücken.
"Verdammt, Mann! Seid Ihr taub oder hat es Euch die Sprache verschlagen?"
Insha’ht riss sich zusammen. Er bewegte sich vor sein Schlafzimmerfenster
und verbeugte sich vornehm.
"Mein Name ist Insha’ht und ich bin der Stadthalter von Saltwater."
Geschmeidig stieg die Fremde von seiner Kommode und baute sich vor
ihm auf. Sie deutete ebenfalls eine Verbeugung an, wobei ihr Kleid geheimnisvoll
raschelte. "Mein Name lautet Shivaree und ich bin Jissai!"
Insha’ht hob verständnislos die Augenbrauen. "Bitte verzeiht,
aber was bedeutet Jissai?"
"Bei den Sternen! Ihr kennt die Bedeutung nicht?"
Er schüttelte den Kopf.
Sie seufzte. "Jissai bedeutet: das Wahre oder die Tatsache! Wortwörtlich
heisst jissai soviel wie Wahrheit oder Tatbestand."
"Danke für die Aufklärung und nun erklärt mir bitte,
was Ihr hier verloren habt. Ich bin es nicht gewohnt, zu so vorgerückter
Uhrzeit Besuch zu bekommen - schon gar nicht weiblichen."
Ihre Augen wanderten an ihm auf und ab. "Sagt, was ist mit Euch?
Ihr habt gar keinen Torso. Wo ist er? Was hat man Euch angetan? Seid Ihr
lebend?"
Insha’ht lächelte amüsiert. Er war völlig unbekleidet.
Wäre sein Körper noch vollständig, hätte sie bestimmt
entrüstet aufgeschrien, doch so...! "Ein kleiner Unfall, nichts schwerwiegendes!
Ich wollte Euch nicht ängstigen. Ich werde mir sofort etwas überziehen."
Er wandte sich ab und griff nach dem taubengrauen Seidenmantel,
der über einem Stuhl lag.
Shivaree bewunderte das Spiel seiner Muskeln. Der Mantel lag so
eng an, dass sie jede Feinheit erkennen konnte. Jammerschade, dass diesem
Bild von einem Mann ein Teil seines Körpers genommen worden war.
"Also Shivaree, das war doch Euer Name? Was verschafft mir die Ehre
zu so später Stunde?"
"Es war nicht meine Entscheidung in Eurem Schlafgemach zu erscheinen,
das könnt Ihr mir glauben, aber da die letzten Tage eh sehr verwirrend
für mich gewesen sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich
zu fügen. Ich bin nicht einmal sicher, dass ich mich in der richtigen
Welt befinde, denn von der Stadt, die Ihr vorhin erwähntet, habe ich
noch nie gehört."
"Vielleicht ist es besser, wenn wir das am nächsten Morgen
klären und dazu auch einen Freund bitten, denn in Anbetracht der Uhrzeit,
wäre es jetzt wohl besser, wir würden zu Bett gehen. Ich biete
Euch meine Gastfreundschaft und ihr könnt Euch absolut sicher in meinem
Haus fühlen - Gastfreundschaft ist uns heilig!"
"Seid versichert, Stadthalter... auch ich werde Euch kein Leid zufügen.
Ich muss mich dringend ein wenig erholen."
Insha’ht nickte. "Wenn Ihr mir folgen wollt...?"
Nacheinander gingen sie zur Tür er öffnete sie schwungvoll.
Er ging voraus und führte sie über eine kurze, in warmen Braun-
und Goldtönen gehaltene Galerie. Er hielt vor einer wuchtigen Tür
aus Ebenholz, verbeugte sich kurz und deutete auf das hölzerne Kunstwerk.
Shivaree nickte ihm huldvoll zu und verschwand mit einer eleganten
Drehung in dem ihr zugewiesenen Raum. Lautlos schloss sie die Tür.
Insha’ht stand einen langen Augenblick davor. Sie kam ihm wie ein
Traum vor, doch ihr Duft, ein Hauch nur, hing noch immer über ihm.
Er sah die silbernen Haare, die in glänzenden Kaskaden über ihre
blossen Schultern fielen. Er starrte in ihre vom Mondlicht getränkten
schwarzen Augen mit den silbernen Pupillen. Ein merkwürdiges Gefühl
nach Vertrautheit erfüllte ihn und dennoch war sie ihm fremd und unverständlich.
War sie wirklich oder war sie nur ein Gespinst, entsprungen aus einem müden
und überarbeitetem Geist? War sie schlecht und was würde sie
bringen? Hoffnung oder nur noch mehr Leid? Er wusste es nicht und wenn
er ehrlich war, dann wollte er es auch nicht wissen - jedenfalls nicht
so genau!
Benommen wandelte er zurück in sein Gemach. Wie in Trance entledigte
er sich seines Mantels und stieg ins Bett. Sofort fiel er in einen entspannenden
Schlaf, der ohne Träume blieb.
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Shivarees Körperbeherrschung brach zusammen wie ein Kartenhaus,
als sie die Tür geschlossen hatte. Sie war völlig ausgelaugt;
von dem Kampf gegen Tariq, von dem merkwürdigen Raumsprung, über
den sie keinerlei Kontrolle gehabt hatte, und zu guter Letzt auch von dem
Gespräch mit diesem Insha’ht. Müde liess sie sich auf den warmen
Boden fallen, schlug die langen Beine unter und stumm begannen die Tränen
zu rollen. Sie liess alles los. Sie schwelgte in der Entspannung und liess
sich treiben, zulange hatte sie darauf verzichten müssen.
Eine unterschwellige Bosheit ergriff Besitz von ihr, eine seltsame
Wut, ein besonderer Hass und viel, viel Trotz machten sich in ihr breit.
Ihr Körper und Verstand verlangten, dass sie schrie, heulte und ihrem
Frust Luft liess.
Die Gefangenschaft durch Tariq hatte ihr mehr ausgemacht, als sie
gedacht hatte. Sie fühlte sich seelisch vergewaltigt, doch die Zeit
würde die Wunden verschliessen und sie würde daran wachsen.
Als es vorbei war, richtete sie sich wieder auf und begann, ihre
Tränen vom Boden einzusammeln. Jede ihrer Tränen schimmerte,
als sie sie in ihrer Handfläche betrachtete. Es waren perfekte kleine
Perlen.
Keine Spur sollte von ihr zurückbleiben. Sie hatte schon vor
langer Zeit gelernt ihre Fährte zu verwischen und niemandem ausser
sich selbst zu vertrauen. Heute war die erste Ausnahme seit langem.
Sie hatte beschlossen diesem Stadthalter ohne Körper zu vertrauen,
denn sie hatte dringend eine Pause und Ruhe zum Regenerieren.
Sie fühlte, wie eine ruhige Schwere von ihr Besitz ergriff
und dankbar gab sie sich für unbestimmte Zeit dem Schlaf hin.
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Shivaree stolperte und rollte in den Sand. Sie machte zwei Überschläge,
ehe sie wieder in der Lage war, aufzustehen und weiterzulaufen.
Ihre Heimat! Was für ein Ort!
Shivaree war der festen Überzeugung, dass es nirgendwo einen
schöneren und einmaligereren Platz gab.
Sie verlangsamte ihren Lauf und sah sich um. In ihrem Rücken
waren weit mehr als hundert Meilen Sand. Sand, der lebte, der atmete, der
sich bewegte und der weder Erbarmen noch Mitleid kannte. Alles, was sich
nicht anpasste und was nicht hierher gehörte, wurde kaltblütig
zur Strecke gebracht und wiederverwertet.
Shivarees Gedanken wanderten zu ihrer toten Familie. Ihre Mutter
hatte den Hang der Tochter zu den Dünen nie verstanden, ja, sie sogar
geschlagen, eingesperrt oder hungern lassen, wegen der Liebe zu einer toten
Materie, doch sie hatte ihrer Tochter nie verziehen, dass sie sie ganz
verlassen hatte, um in dem Sand zu leben.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter, hatte sich Shivaree voll und ganz
auf diese Materie eingestellt und war zeitweise sogar in der Lage, sich
mit ihr zu unterhalten. Dank ihrer Macht über den Sand, war es ihr
möglich, ihn zu bewegen und zu formen wie sie es wünschte. Entweder
um sich zu schützen oder um Feinde zu vertreiben oder einfach nur
um zu spielen und sich zu amüsieren.
Der Sand hatte Shivarees Liebe immer zu schätzen gewusst und
zollte ihr Respekt und schenkte ihr die Geborgenheit, die sie daheim nicht
erwarten durfte.
Er freute sich mindestens ebenso sehr wie sie über dieses Wiedersehen.
Es war eine lange einsame Zeit ohne sie gewesen und er brannte darauf,
zu erfahren, was sie gesehen, erlebt und gefühlt hatte. Doch noch
war es Zeit zu spielen - der Sand war alt und er hatte viel, viel Zeit.
Viel mehr Zeit als dieses Menschenkind, um das er sich lange Zeit gekümmert
hatte.
Er liess sie in seine Tiefen eintauchen, liess sie seine während
Äonen entstandenen Schätze suchen und finden, liess sie hinabgleiten,
um sie im nächsten Moment hoch hinauf zu tragen, er beschützte
sie vor der Kälte der hereinbrechenden Nacht, liebkoste sie, wie den
wertvollsten Teil seiner selbst. Doch schliesslich hatten sich beide ausgetobt
und mit nicht enden wollender Zärtlichkeit trug er sie hoch hinauf
auf eine Klippe, umspielte ihren warmen, zerbrechlichen Körper und
beobachtete, wie sie mit glänzenden Augen hinunter auf das rauschende
Meer blickte.
Ihr Herz jubelte. Das moosgrüne Wasser, von einer unsichtbaren
Kraft in ständiger Bewegung gehalten, begrüsste sie und schlug
aus Freude champagnerfarbene Kronen in die Wellenkämme.
Shivaree sank zurück und der Graphitsand nahm sie auf. Und
erst da merkte er, dass etwas nicht wie sonst war. Er wusste, sie war nicht
sie. Sie war... Sie war nur ihre Seelen.
Wütend bäumte sich der Sand auf. Schrie in die Nacht hinaus
und Shivaree schrak zusammen. Mit einer solch heftigen Reaktion hatte sie
nicht gerechnet. Sie suchte die Kräfte zu beruhigen und redete besänftigend
auf sie ein. Nur mit Mühe und mit viel Zärtlichkeit gelang es
ihr, die Elemente dazu zu bringen, ihr zu zu hören und grollend lauschten
sie der Erzählung Shivarees. Sie erzählte von ihrer Gefangennahme,
von den grausamen Foltermethoden, von dem Kampf gegen ihren Kerkermeister,
von ihrem Sieg, von dem Durchschreiten der Raumspalte und von der Unterhaltung,
die sie mit Insha’ht geführt hatte.
Der Graphit war zwar mürrisch, aber die Freude darüber,
dass es ihr sonst gut ging, war grösser. Trotzdem wollte er sie nicht
ohne Schutz gehen lassen und so rief er das Firmament und die See herbei
und sie überlegten, was sie ihrer Schutzbefohlenen mit auf den gefahrvollen
Weg geben konnten. Währenddessen ruhten Shivarees Seelen sich aus.
Der Graphitsand, das Firmament und die See beratschlagten drei Zyklen
lang und in der Mitte des vierten waren sie zu einem Ergebnis gekommen.
Sanft weckten sie Shivaree auf und teilten ihr ihren Entschluss mit.
Shivaree bedankte sich bei den Elementen und machte sich wieder
auf die Rückreise. Ihr Körper hatte ein neues Gewand bekommen,
bestehend aus den fünf Elementen Erde, Feuer, Wasser, Luft und dem
kostbarsten: dem Nichts!
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war und inzwischen musste
Insha’ht ihren seelenlosen Körper gefunden haben.
Na, was solls! dachte sie. Er wird zwar einen gehörigen Schreck
bekommen haben, aber Insha’ht würde das schon verkraften. Schliesslich
war auch er nicht unerheblich vom Schicksal geschlagen worden und deshalb
nahm sie an, er würde sich nicht allzu viele Gedanken machen.
Und wieder versank sie in der Trance der Weltenreise...
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Insha’ht wurde von einigen wenigen Sonnenstrahlen geweckt,
denen es gelungen war, die Vorhänge zu durchdringen. Er hustete, um
seine Atemwege frei zu bekommen.
Die morgendlichen Geräusche des Hauses klangen leise und angenehm.
Doch dann kehrte die Erinnerung zurück und er sprang aus dem Bett.
Er wollte sich davon überzeugen, dass sein Hirn ihm vergangene Nacht
keinen Streich gespielt hatte.
Den Seidenmantel überziehend, schritt er zur Tür. "Memsai?"
Aus der Eingangshalle kamen eilige Schritte. "Ja, Herr?"
Er sah wohlwollend auf seine kleine Haushälterin runter. "Memsai,
sind schon alle auf?"
Sie atmete heftig. "Ja, Herr! Beinahe... nur mein Sohn noch nicht!"
Insha’ht grinste wissend. "Schmeiss Kisan aus dem Bett und lass
ihn nach Cabot schicken. Und dich möchte ich bitten, uns Frühstück
zu machen - für drei...-
"Frühstück für drei, Herr?"
"Ja, ja! Geh und sag deinem Sohn, er soll sich sputen!"
"Ja, Herr!"
Insha’ht sah ihr nach und ging dann über die Galerie zu dem
Gästezimmer, das er Shivaree überlassen hatte. Leise klopfte
er an die Tür und wartete.
"Herein?"
Vorsichtig öffnete er und steckte seinen Kopf in das geräumige
Zimmer. "Shivaree? Seid Ihr schon wach?"
Unter den weissen Laken des grossen Betts regte sich etwas.
Insha’ht trat ganz ein und schloss hinter sich die schwere Tür.
Er ging auf das Bett zu. "Shivaree?"
Ein tiefes Brummen war zu hören und Insha’ht grinste in sich
hinein.
Er setzte sich leicht auf die Bettkante. "Shivaree, aufstehen! Oder
habt Ihr keinen Appetit?"
Unter den Laken bewegte sich wieder etwas, diesmal schneller und
endlich hatte dieses etwas den Rand des Lakens gefunden und kroch darunter
hervor.
Shivaree versuchte die Augen zu öffnen, um zu sehen, wer sie
da störte. Ihr Blick fiel auf einen grinsenden Insha’ht in einem Seidenmantel.
Sie pellte sich aus den Laken und reckte und streckte sich und schnurrte
dabei wie eine schläfrige Katze, dann sah sie ihn an und lächelte.
"Mhm, hört sich gut an!"
Insha’ht fand, dass sie im Tageslicht ihre Bedrohlichkeit verloren
hatte. Sie schien ihm sogar extrem schutzbedürftig und hilflos zu
sein. Seine Augen glitten über ihren nackten Körper. Ausserdem
schien sie über keinerlei Schamgefühl zu verfügen.
Ihr Anblick raubte ihm den Atem. Sie war etwa 5,8 Fuss gross, feingliedrig
gebaut und sie hatte eine derart animalische Ausstrahlung, dass es einem
heiss und kalt wurde. Ihre hüftlangen Haare waren nicht wirklich silbern,
wie er jetzt erkannte, sondern silberweiss und sie lagen in dicken weichen
Strähnen um sie herum und bedeckten gerade ihre Blösse.
Er musste schlucken. "Kommt! Ein Freund von mir wird uns beim Frühstück
Gesellschaft leisten."
Sie krabbelte an ihm vorbei aus dem Bett und ihre Haare berührten
ihn an der Schulter. Er schloss die Augen und betete inständig, sie
möge von seiner Erregung nichts bemerken. Ihre Nähe und das vertraute
Gefühl, das er dabei hatte, waren ihm unheimlich. Schliesslich kannte
er sie überhaupt nicht.
"Stadthalter...?"
Seine Stimme war rauh. "Ja? Entschuldigt, was sagtet Ihr gerade?"
"Ich benötige etwas zum Anziehen, denn wenn ich Euch schon
so ausser Fassung bringe, dann wird es Eurem Freund nicht besser ergehen.
Oder was meint Ihr?" Ihre Stimme klang belustigt.
Er zwang sich, das umklammerte Laken los zulassen. "In dem Schrank
dort werdet Ihr etwas finden. Was Ihr sonst noch benötigt, werden
wir später in der Kasbah besorgen."
Insha’ht erhob sich. Shivaree stand eine Elle von ihm entfernt und
er konnte ihren Duft riechen.
"Stadthalter?"
"Das Frühstück..."
"Insha’ht...?" Ihre Hand lag leicht wie eine Feder auf seiner Brust.
"Bitte..."
Ihre andere Hand legte sich um seinen Nacken und mit zarter Gewalt
zog sie seinen Kopf zu sich hinunter.
"Kämpft nicht gegen Euer Verlangen, Stadthalter! Es ist stärker,
als Ihr!"
Insha’ht öffnete den Mund, um zu protestieren, doch sie war
schneller.
Shivaree berührte seine Lippen mit den ihren. Sie spürte
das Rauschen ihres Blutes, sie fühlte die Hitze aufsteigen. Seine
Arme umschlangen sie, ihre Körper waren nur durch seinen Seidenmantel
getrennt. Auch, wenn sie seinen Leib nicht sehen konnte, so konnte sie
ihn doch in aller Deutlichkeit fühlen.
Insha’ht löste sich widerstrebend von ihr und sah ihr ins Gesicht.
"Hör auf!"
Die Eindringlichkeit in seiner Stimme liess sie aufmerken.
"Was ist?"
"Du bist mir unheimlich..."
"Das legt sich!"
"Ich bin mir unheimlich..."
"Mir geht es nicht anders, aber ich spüre, dass es richtig
ist."
"In letzter Zeit ist zuviel Ungewöhnliches passiert und ich
möchte abwarten. Wir werden mit Cabot sprechen, er muss jeden Moment
da sein. Und ich möchte Deine Geschichte hören."
"Du vertraust mir nicht..."
"Wie kann ich das? Du erscheinst mitten in der Nacht in meinem Haus,
ich kenne dich nicht, meine Gefühle sind ausser Rand und Band und
ich weiss nicht, wo mir der Kopf steht. Es sind zu viele Teile eines Mosaiks
und ich muss sie zu einem Bild zusammenfügen. Willst Du mir nicht
helfen?"
Shivaree machte sich los. "Ich weiss nicht, was ich damit zu tun
haben soll, ich bin nicht einmal von dieser Welt!"
Er rieb sich die Stirn. "Wir ziehen uns jetzt an und erzählen
alles Cabot. Vielleicht kann er Licht in das Dunkel bringen. Ich bringe
jedenfalls keinen klaren Gedanken zustande."
"Einverstanden! Mein Instinkt sagt mir, dass ich dir vertrauen kann
und wenn du deinem Freund vertraust, dann werde ich es auch tun."
"Dem Himmel sei dank! Komm, beeil dich, er muss längst da sein
und er hasst es, zu warten."
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Schwarz - eine unendlich schwarze Weite. Jemand schien mit einem
glühend heissen Gegenstand bizarre Löcher in Firmament und Erdball
gebrannt zu haben. Irr, ohne eine Symmetrie und ohne jegliche Anordnung,
verstrahlten die rotgoldenen, unregelmässigen Ränder ein unmenschliches
Feuer.
Wie neu erschaffen trafen sich die welligen Hügel mit dem unvergänglichen
All. Die unnahbare Himmelskuppe leuchtete in einem vollen blau-schwarz,
auf dem die Sterne wie Silberstaub glänzten. Mit sorgfältigen
und schwungvollen Pinselstrichen verlief das samtene Blau von einem betörenden
Azur in ein schmeichelndes Flieder. Von unsichtbaren Bändern gezogene
saphirfarbene Wolkenstreifen hetzten über die sanften Hügelkuppen.
Pudrig leicht, wie ein leise atmender Frauenkörper, schimmerten
die Sanddünen in einem roten Bronzeton. Die stetig über die Landschaft
streichenden warmen Brisen veränderten unablässig die Konturen,
als ob sich der Körper schlummernd bewegte.
Liebevoll leckte die Sonne an den glitzernden pulverisierten Glasmassiven
und kündigte mit einem feurigen Karmesinrosa ihr Erscheinen an.
Das Lager erwachte zum Leben.
Tariq erlangte das Bewusstsein wieder und die Erinnerung traf ihn
so unvermittelt wie ein Sandsturm. Er raste. Shivaree hatte ihn in eine
Falle gelockt und er war darauf hereingefallen wie ein lausiger Adept,
er hatte sie unterschätzt. Das würde ihm nicht noch einmal passieren!
Wütend verliess er das Khaima. Er fühlte sich miserabel,
sie hatte ihm fast seine gesamte Lebensenergie genommen und jetzt benötigte
er den Stein, den Rilana gestohlen hatte, nötiger, als zuvor.
Er hatte keinen Blick für die Umgebung und seine Leute wichen
erschrocken vor ihm zurück. So hatten sie ihren Führer lange
nicht mehr gesehen und sie machten sich bereit auf das nun Kommende...
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