Der letzte Zauberwald von Metalchild
Ein neugieriger Beobachter

Als Tharon vor einigen Tagen den Silbernen Bug verlassen hatte und in das Hafenviertel ging, bemerkte er nicht den kleinen Schatten, der ihn verfolgte. Er bemerkte nicht die kleinen Augen, die ihn beobachteten. Er schaute sich nicht um, als er die Hütte der alten Hafenmeisterei betrat. Und als ihn die zwei kräftigen Seemänner heraustrugen und zu einem Schiff brachten, war er sowieso nicht in der Lage, irgendetwas wahrzunehmen. Quang verfolgte diesen Vorgang aus sicherer Entfernung. Was soll ich nur tun - ich muß Marik holen - nein, wenn das Schiff jetzt abfährt, verliere ich seine Spur. Verdammt, was ich machen?
Der Kenderzwergmensch oder Kensch oder Zwensch oder wie man diesen Mischling auch nennen will, wollte eigentlich nur sehen, ob Tharon es auch schafft, sicher nach Nordergod zu kommen. Er wollte ihn nicht begleiten, daß hatte Tharon ihm ja verboten. Aber folgen durfte er ihm, dazu hatte Tharon nichts gesagt. Gleich nach seinem Gespräch mit Fist, wie er den kräftigen Menschen immer nannte (manchmal auch mein Dicker oder ähnliches), hatte Quang damit begonnen, seine Sachen zu packen. Ungefähr ein Dutzend Beutel mit den wertvollsten Inhalten wie Dietrichen, Karten, Trockennahrung und Zunderbüchsen fanden ihren Platz an seinem Gürtel. Auch sein kleiner Rucksack war vollgepackt, und selbstverständlich durfte der Hupak nicht fehlen. Wie jeder Kender empfand auch Quang den Hupak als die gefährlichste Waffe und das nützlichste Werkzeug auf ganz Krynn. Ob als Steinflitsche, Musikinstrument oder als Wanderstock in der Zeit der Wanderlust (eine Periode im Leben eines jeden Kender, in der auszieht, um die weite Welt zu entdecken), dieser schlichte Holzstab war in jeder Situation zu gebrauchen. Und jetzt war eine äußerst pikante Situation. Zum Glück hat Tharon mich als seinen Beschützer. Aber er wollte mich ja nicht mitnehmen. Der wird schon sehen - Keine Angst, Tharon, ich rette Dich!
Obwohl Quang so viele Sachen bei sich trug gelang es ihm doch, völlig lautlos und unsichtbar von Schatten zu Schatten zu schleichen, bis er die hölzerne Planke erreichte, die auf das Schiff führte. Das kleine Männlein schaute sich genau um. Das Schiff war sehr groß und sah nobel aus. Der Name Wildes Einhorn erschien Quang nur nebensächlich. Auf Deck war nicht viel los - es müßte ein leichtes sein, sich an Bord zu schleichen. Gesagt, getan. Völlig unbeobachtet huschte Quang auf das Schiff und versteckte sich unter einer großen Leinenplane, die ein Ruderboot bedeckte. Das Boot war groß genug, um ein Dutzend Männer zu tragen - das Rettungsboot, wie Quang vermutet. In seinen Gedanken sah er einen riesigen Kraken, wie er das Schiff verschlang und nur er und Tharon sich mit dem Boot in Sicherheit bringen konnten. Solche Ungeheuer gab es wirklich. Das hatte ihm sein Opa väterlicherseits erzählt - ein echter Kender. Also mußte das ja stimmen.
Es könnte aber auch das Boot sein, mit dem ein Teil der Mannschaft an die Küste einer neu entdeckten Insel fahren würde.
Der leichte Wind, der vom Meer kam, nahm etwas zu. Plötzlich ertönte ein rauher Ruf, den Quang nicht verstand, und auf einmal war das Deck binnen Sekunden gefüllt mit Matrosen - großen, starken Männern mit nacktem Oberkörpern und ohne Schuhe - die nun hektisch begannen, die Segel zu setzen und die Leinen zu lösen. Quang war gezwungen, sich nun ganz unter der Plane zu verkriechen. Wir fahren auf See! Wie toll! Ich bin noch nie mit einem Schiff gefahren. Ein so großes Schiff macht bestimmt eine lange Reise. Dann kann ich Tharon morgen immer noch befreien...
Quang mußte gähnen. Er hatte fast die ganze Nacht damit verbracht, über sich und Tharon nachzudenken und seine Sachen zu packen. Er rollte sich auf dem Boden des Rettungsbootes zusammen und zog einen Apfel aus seinem Rucksack. Doch bereits nach ein paar Bissen fiel ihm die Frucht aus der Hand. Quang träumte von großen Wellen, riesigen Seeungeheuern, unentdeckten Inseln - und von Tharon. Ich werde Dich retten, mein Freund...
Als Quang erwachte, war es bereits dunkel. Nur ein leichtes Schimmern am Horizont und das Leuchten der Monde war noch zu sehen. Er beschloß, sich nun ein wenig auf dem Schiff umzusehen. Den einzigen Matrosen, den er entdeckten konnte, war der Steuermann, der seine Nachtschicht schob. Es war ein leichtes für den Kensch, sich an ihm vorbeizuschleichen. Das Schiff war wirklich riesig. Ich möchte gern mal wissen, unter welcher Flagge es wohl segelt. Es kommt bestimmt weit aus dem Westen. Quang schaute am scheinbar größten der drei gewaltigen Masten herauf, in der Hoffnung, das Banner des Schiffes zu sehen. Doch es war zu dunkel. Dann muß ich wohl. Allzu schwer kann das ja nicht sein, an diesen Netzen hochzuklettern.
Er begann, langsam den gebundenen Tauen, die vom oberen Ende eines jeden Mastes nach unten führten, zu folgen, bis er an eine Stelle ankam, wo er auf die Rehling steigen und mit dem Klettern beginnen konnte. Zwischendurch hielt er kurz inne und saugte die frische Seeluft tief in sich hinein. Ach, ist das herrlich. Ich mache eine Seereise.
Nach einigen Minuten erreichte Quang den Ausguck am oberen Ende des Hauptmastes. Der Anblick, der sich ihm bot, war phantastisch. Ein leichtes, immer schwächer werdendes Schimmern am Horizont verriet dem Kenschen, daß es ungefähr Mitternacht sein mußte. Die zwei Monde, die Quang zu sehen bemächtigt war, schimmerten voll über dem Wasser, welches sich in zwei Hälften zu teilen schien - eine silberne und eine rote. Das das Meer im Norden tiefschwarz war, konnten seine Augen nicht sehen. Im Süden war noch leicht die Küstenlinie des Festlandes sichtbar. Solamnia, so weit weg. Quangs Blick glitt herauf zu der zusammengerollten Fahne, die etwa zwei Meter über dem Ausguck am Mast befestigt war. Ohne zu zögern sprang Quang auf das hölzerne Ausguckgeländer. Das es unter ihm 30 Schritt in die Tief ging, störte in nicht. Nun war es ihm möglich, die Bänder zu lösen, die die Fahne eingerollt hielten. Der Stoff entfaltete sich - und das höhnische Grinsen eines weißen Totenkopfes prallte in Quangs Gesicht. Wow, Piraten! Nein, nicht wow - gefährlich! Ich werde Dich retten, Tharon!
Erst jetzt kam Quang wieder in den Sinn, warum er überhaupt auf dieses Schiff gegangen war. So schnell er konnte, kletterte er wieder herunter. Der Totenkopf wehte weiterhin lachend im stärker werdenden Wind...
 
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Soweit die ersten vier Kapitel vom "Letzten Zauberwald".
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