Schorsch rutschte unruhig mit den Füßen
herum. Der Marmor fühlte sich kalt unter seinen nackten Füßen
an; ein Blick der schwer bewaffneten Männer ließ ihn innehalten.
Er fragte sich, was er wohl verbrochen haben könnte, und ging in Gedanken
seine Tätigkeiten der letzten Tage durch.
Montag: die vier Schweine hüten; eines
war ihm verloren gegangen und er hatte Prügel von seinem Vater bezogen,
der ihm Himmel, Hölle und Kerker androhte, wenn er sich noch einmal
so ungeschickt benähme. Ohne Abendessen ins Bett gegangen. Dienstag:
Dorfgänse hüten (sie hatten ihm die Waden bis aufs Knie zerbissen).
Am Mittwoch: beim Kastrieren eines Hundes zugesehen und ohnmächtig
geworden. Statt Mittag- und Abendessen die neunschwänzige Katze. Am...
Tag danach (er konnte die Woche nicht weiter zählen): Ärger mit
den Dorfkindern gehabt, die ihm einen üblen Streich in die Schuhe
schieben wollten, wenn er verriet, dass sie ihn...
Ein derber Stoß riß ihn aus seinen
Gedanken.
"Vorwärts!"
Mit zitternden Knien trat er in den Audienzsaal
des Herrschers.
"Eure Eminenz?"
Der stattliche Mann am Fenster versteifte
sich, und dem Kammerherrn wurde blitzartig sein Fehler bewußt. "Euer
Weisheit. Euer Weisheit, der Junge, nach dem ihr schicktet, ist da."
Mit einer abfälligen Geste winkte Karl
sie herein, und der Kammerherr überlegte seufzend, wie lange er für
diesen Versprecher büßen mußte.
Der Fürst und seine Berater musterten
Schorsch durchdringend. "Seht ihn Euch an, Euer Weisheit, es ist vollkommen
unmöglich. Ein halbverhungerter Knabe, geprügelt und herumgestoßen
von seinem Vater, in die Jauchegrube geworfen von den anderen Kindern..."
"Was sich nicht verbergen läßt",
erwiderte Karl voll Ekel und ließ sich ein parfümiertes Taschentuch
reichen.
"...soll einen ausgewachsenen Drachen erschlagen
haben? Das glaubt kein Mensch! Wir müssen uns etwas anderes einfallen
lassen."
"Nein. Nein. Nein! Es wird uns gelingen. Stellt
ihn Euch vor, in schimmernder Rüstung, mit bändergeschmückter
Lanze, wie er von einem Trupp jubelnder Menschen durch die Stadt geleitet
wird..." Die Berater musterten Schorsch erneut und schüttelten bei
jedem Wort den Kopf.
"...alle dankbar, dass er sich seiner Bestimmung
nicht verweigerte und mit Unterstützung des allmächtigen Gottes
die braven Leute von diesem mordenden Untier erlöste!" Triumphierend
hielt er inne und wartete auf die Reaktion seiner Berater. Diese schienen
nicht ganz überzeugt, dass selbst der allmächtige Gott aus diesem
einfältigen Taugenichts einen Helden machen könnte, doch sie
hatten weitere Gegenwehr aufgegeben.
Zufrieden wandte Karl sich zu seinem "Helden".
"Mein Sohn", sagte er feierlich, "ab heute
bist du nicht mehr bloß Schorsch - ab heute bist du ein Held."
Schorsch blinzelte verwirrt.
"Da du den gefährlichen Drachen erschlagen
hast, wird sich dein Leben drastisch ändern; dein Name wird in aller
Munde sein, Georg der Drachentöter, ja, ich zweifle nicht, dass es
in einiger Zeit Sankt Georg der Drachentöter heißen wird..."
"Drachentöter?!"
"Nun, ja, seine Weisheit hält es für
klug, dies zu behaupten. Spiel einfach mit, es hat wahrlich nur Vorteile
für dich", flüsterte ihm der Kammerdiener hastig zu.
"Aber ich habe doch gar nicht..."
"Georg", donnerte Karl, "du bist ein Held,
das ist ein fürstlicher Befehl!"
"Schon recht, Gebieter", jaulte der Kleine
unterwürfig. "Kann ich jetzt zu den Gänsen zurückgehen?"
Karl stand zufrieden am Fenster. Das hatte
er geschickt eingefädelt. Dieser Dorftrottel war zu dumm, um seine
wahren Absichten zu durchschauen. Und wenn man sich doch darauf zurück
besann, dass Drachen keine stupiden Monster sondern die Hüter der
Erde und Bewahrer des Wissens waren, würde sich die Wut über
den Tod des letzten Drachen an diesem Schorsch auslassen. Niemand würde
seine Rolle erkennen.
Dieser geniale Plan war gewiß schon
eine Folge seiner neuerworbenen Weisheit.
Das Drachenhirn zu essen hatte sich schon
gelohnt.
© Najanca
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
|