NIDADIN von Marcel Möller
Eine Geschichte zwischen zwei Völkern
Die Freundschaft

Erste, schwache Lichtstrahlen durchdrangen die schützenden Bäume von Nida und es glänzte in einer Schönheit, die man nicht beschreiben konnte. Die sonst so trüb erscheinenden Wälder glitzernden im frischen Morgentau und Birados ließen sich sanft durch die Lüfte gleiten. Es war wieder ein wunderschöner Tag angebrochen und im Dorf öffneten die Zynta langsam ihre kleinen Augen. Zita hatte diese Nacht unruhig geschlafen, er machte sich Sorgen um seinen Freund Zaso. Seine Eltern saßen schon am Tisch und aßen Frühstück. Als er aufstand und sich anzog, wurde er mit einem liebevollen "Guten Morgen, Zita." von seiner Mutter Zelsa begrüßt. Mit einem müden Lächeln erwiderte er den Gruß und öffnete langsam die Tür. Das schwache Tageslicht erhellte den Raum und er atmete die frische Morgenluft ein. Er reckte und streckte sich, setzte sich an den Tisch und nahm sich etwas Landora-Milch. Er trank einen Schluck und schüttete den Rest auf seine Getreideflocken, die aus den verschiedenen Körnersorten der Felder hergestellt wurde. Er rührte ein bisschen darin herum, nahm eins, zwei Happen zu sich und stellte den Teller dann weg.
Als sein Vater Zuska merkte, dass er keinen großen Hunger hatte fragte er besorgt: "Was ist denn los mein Sohn, schmecken dir die Feldfrüchte etwa nicht?"
"Doch, doch aber ich habe keinen großen Hunger.", erwiderte Zita.
Zuska lehnte den Kopf ein bisschen auf die Seite und fragte erstaunt: "Was? Du hast keinen großen Hunger? Das kann ich nur schwer glauben, du hast morgens immer Hunger."
Zita wandte sich ab und sagte: "Heute mach ich eben eine Ausnahme."
Zelsa setzte sich neben Zita und schaute ihn fragend an: "Du kannst uns erzählen, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt. Wir möchten doch nicht, dass es dir schlecht geht, Schätzchen."
Zita mochte es nicht, wenn Zelsa ihn "Schätzchen" nannte. Er fand das kindisch. Aber sie hatte Recht. Er begann also zu erzählen: "Gestern, nachdem ich mich hingelegt hatte, hörte ich ein lautes Geräusch. Ich rannte heraus um zu sehen woher es kam."
Zuska runzelte die Stirn: "Das hörten wir auch, aber ich dachte es sei nur ein Tier."
Zita fuhr fort: "Nein, es war keins. Noch nie habe ich so ein Geräusch von einem Tier gehört. Es kam aus Zasos Hütte. Als ich besorgt dorthin rannte, stieß ich beinahe mit Zekalo zusammen."
Zelsa fragte erstaunt: "Was? Vater war auch dort? Warum denn das?"
"Er hatte kurz zuvor noch mit Zaso gesprochen. Er machte sich große Sorgen."
"Was war los mit Zaso, war er krank?"
"Mehr oder weniger. Er hatte einen schlimmen Alptraum über seine Eltern, schlimmer als sonst. Ich konnte ihn nicht wachrütteln, also benutzte Zekalo einen Bannspruch um ihn zu wecken."
Zuska macht große Augen: "Er benutzte wirklich Magie? Bei Zyntalas! Es muss schlimm gewesen sein."
"Ja", sagte Zita aufgeregt, "es war schlimm. Ich blieb noch kurze Zeit bei Zaso, er lachte auch wieder aber ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich mache mir immer noch große Sorgen um Zaso, hoffentlich geht es ihm gut."
Zelsa lächelte beruhigt und sagte dann leise: "Keine Angst, mein Schätzchen.", schon wieder dieses Wort. "Zaso war schon früh munter gewesen, ich sah ihn vorhin am See. Du kannst ja mal nachschauen ob er noch da ist."
Zitas Besorgnis verschwand im Nu. Sofort nahm er sein Frühstück und schluckte alles in einem Happen herunter. Dann rannte er zur Tür. "Ich werde gleich zum See gehen um nach Zaso zu sehen."
Mit einem erfreuten und erleichterten Gesicht sagte Zelsa: "Bis nachher, mein Kleiner."
>Kleiner<, das hasste er noch mehr. Als er gerade gehen wollte drehte er sich ruckartig um. "Ehe ich es vergesse. Ihr sollt nach dem Frühstück zum Dorfplatz kommen. Zekalo hat eine Überraschung für mich und Zaso. Wir kommen dann nach. Sagt bitte allen anderen Zynta Bescheid. Es ist sehr wichtig."
Zuska machte einen stolzen Blick: "Wenn mein Sohn und sein bester Freund ein Geschenk von einem Gelehrten erhalten, dann sollen das natürlich alle sehen. Wir werden jedem Bescheid geben. Seid aber auch pünktlich da."
"Na klar, Vater. Ich hole schnell Zaso und dann treffen wir uns wieder. Bis gleich!!!" Zita rannte aus der Hütte und sah Zekalo auf dem Dorfplatz.
"Guten Morgen, Zita. Hast du Zaso gesehen. Er ist nicht in seiner Hütte."
Zita hielt nicht an und sagte im vorbeigehen: "Guten Morgen Zekalo, ich weiß wo Zaso steckt. Er war vorhin am See, hat meine Mutter gesagt."
Zekalo schüttelte den Kopf: "Ach ja, Zaso ist Keiner, der lange liegen bleibt, selbst nach dem kurzen Schlaf den er hatte."
Doch das hörte Zita nicht mehr, denn der war schon fast am See angekommen. Dort war aber niemand und er wurde wieder unruhig. Er lief dicht am Ufer entlang.
Eine Stimme hallte von dem Wasser. "Hallo, du Langschläfer."
Zita bekam einen solchen Schrecken, dass er kopfüber in den See fiel. Nach kurzem Tauchgang sah er verschwommen einen Zynta, der sich vor lachen im Gras wälzte. Als die Augen wieder trocken waren sah er, dass es Zaso war, der sich köstlich amüsierte. Zuerst war Zita beleidigt, aber dann musste er auch lachen. Er schwamm zu Zaso herüber, aber kurz vor dem Ufer tauchte er ab. Als er längere Zeit nicht auftauchte, machte sich Zaso Sorgen.
"Zita, Zita. Bei Zyntalas, wo bist du? Du kannst doch schwimmen. Tauch doch wieder auf." Besorgt stellte er sich an den Rand des Ufers. Plötzlich spürte er etwas an seinem Fuß und er wusste noch nicht einmal wie ihm geschah als er wieder im Wasser lag. Zita tauchte vor ihm auf und lachte lauthals. Zaso konnte nicht anders als mitzulachen.
"Das hättest du dir doch denken können, oder? Jetzt sind wir beide klatschnass." Zita schwamm mit Zaso zum Ufer zurück.
"Du hast Recht, Zita. Aber musstest du mich unbedingt auf einem Schildur landen lassen. Die Tierchen sind ganz schön hart."
"Upps, ich...."
"Mach dir nichts draus, man sieht die ja kaum. Warum bist du eigentlich hier?"
Zita legte sich ins Gras: "Meine Mutter hat mir erzählt, du wärst hier. Ich hatte mir Sorgen gemacht, wegen gestern Nacht."
Zaso war überrascht: "Du hast dir Sorgen gemacht? Warum denn das? Du warst es doch, der mich beruhigt hat, so dass ich wieder ganz der alte Zaso war."
Zita stand schnell auf: "Wirklich? Das trifft sich gut, ich wollte schon immer Beruhiger werden."
Zaso lachte: "Wenn es den Beruf geben würde, dann wärst du sicherlich der Beste darin."
"Danke, Zaso. Aber jetzt müssen wir uns beeilen. Zekalo wollte uns doch heute etwas geben."
Zasos Augen wurden größer: "Bei Zyntalas, aber ja! Das hab‘ ich doch glatt vergessen. Komm schnell, bevor wir zu spät sind."
Sie rannten in Richtung Dorf. Als sie dort ankamen, war der Dorfplatz schon voller Zynta.
Zelsa sah sie zuerst und rief: "Da sind sie. Zita und Zaso sind da."
Alle drehten sich um und starrten beide an. Dann machten sie ihnen einen Weg zur Mitte des Platzes frei, wo Zekalo stand, der schon ungeduldig wartete.
"Zaso, Zita, da seit ihr ja. Kommt, setzt euch erst mal."
Sie setzten sich auf die Bank neben Zekalo. Dieser merkte jetzt die Wassertropfen, die von ihren Fell tropften. "Was ist denn mit euch passiert?"
Zaso schaute Zita an, dann konnten sie sich das Lachen nicht verkneifen. "Wir haben dem See Gesellschaft geleistet. Die Schildurs langweilten sich so sehr."
Alle lachten. Selbst Zekalo und Zopasa brachten ein Lächeln über die Lippen, das war eher selten.
Dann stand der Dorfälteste auf und hielt das Ältestensymbol umklammert: "Ruhe bitte. Heute ist ein besonderer Tag in der ganzen Geschichte der Zynta. Wir vergeben heute etwas, was von Generation zu Generation seit Anbeginn der Zeit in den Händen der Gelehrten ruht und nur einmal getragen wurde. Doch das wird sich vom heutigen Tag an ändern. Zita, Zaso erhebt euch bitte und tretet vor."
Die beiden Freunde standen auf und schauten fragend in die Menge. Sie verbeugten sich vor Zopasa.
"Vor unzähligen Monden, für uns unvorstellbar, schuf Zyntalas unsere Welt, Nida. Er schuf uns, die Zynta. Er lehrte uns das Sprechen, das Lesen, er lehrte uns zu Leben, den Weltraum zu beobachten. Er schützte uns vor dem Todesfeuer. Er schuf die wilden Tiere für unser aller Überleben. Wir wissen nicht, warum er den Westkontinent schuf, aber wir wissen, dass er einen Grund gehabt haben muss..." So erzählte er immer weiter und man konnte schon einige Müdigkeit in der Menge erkennen. "...unser Schöpfer. Zyntalas übergab uns die drei Symbole: Das Symbol des Friedens, das für alle Zynta war. Er wollte keine intelligentes Leben erschaffen, das nur Gewalt kennt. Das Symbol der Älteren, welches jedem Stammesältesten überreicht wurde und das geheimnisvolle Symbol des Wissens, das für die Gelehrten gedacht war, die seinen Weg den jungen Zynta nahe bringen sollen."
Er wandte sich zu Zekalo um und dieser ergriff das Wort: "Nun, das Leben florierte im Osten von Nida und bald wurden verschiedene Stämme gegründet, darunter auch der Gorlos Stamm, dem wir angehören. Der damalige Gelehrte Zelando studierte das Leben vieler Zynta, auch von anderen Stämmen. Er wusste, dass alle Zynta sich gegenseitig halfen und auch mochten, aber er hatte noch nie echte Freundschaft gesehen, bis er Coros Stamm hinter dem großen Küstengebiet im Osten traf. Damals gab es dort zwei Zynta, die Namen sind mir leider unbekannt. Sie überraschten Zelando wirklich. Sie waren immer für einander da, baten nie andere um Hilfe und jagten zusammen. Nie hatte er eine solche Verbundenheit gesehen, nicht einmal bei Ehepaaren gab es diese emotionale Verbindung. Ja, es war wahrhaftig Freundschaft, etwas Einmaliges, etwas Vollkommenes. Zelando blieb noch einige Zeit bei Coros Stamm und beobachtete die beiden Zynta. Sie waren immer zusammen unterwegs und halfen sich gegenseitig. Es war wunderbar für ihn." Zita und Zaso wussten nicht, dass ihre Freundschaft etwas Besonderes war. Sie hörten Zekalo weiter gespannt zu: "Eines Nachts betete er auf dem Dorfplatz des Coros-Stammes zu Zyntalas, er möge den zwei Zynta den Segen geben, den sie verdienten. Er solle sie schützen, denn sie wären etwas Einmaliges. Er betete lange und der Schöpfer antwortete tatsächlich. Ein heller Blitz strahlte am Horizont und etwas am Himmel blinkte. Er kam auf den Dorfplatz zu und etwas zerbrach beim Aufprall in zwei Teile. Es war ein weiteres Symbol, nur es war doppelt so groß. Es zeigte den gesamten Planeten und zwei Zynta die sich händehaltend auf ihm befanden. Zelando hob voller Erstaunen die beiden Hälften auf und plötzlich donnerte eine Stimme vom Himmel: >Mein Sohn, du hältst nun das Symbol der Freundschaft in der Hand. Gib diesen zwei Nachfahren der Ahnen, die dadurch meinen Segen bekommen, jeweils eine Hälfte des Symbols. Und sollte eins meiner Schöpfungen je nach ihrem Leben trachten, so lass sie das Symbol vereinen. Merke dir meine Worte, mein Sohn< Mit einem lauten Donner verschwand die Stimme und Zelando dachte, er hätte sich das alles nur eingebildet. Er hatte immer noch das Symbol in der Hand, welches er am nächsten Tag in einer Zeremonie wie dieser den beiden Freunden mit dem Segen Zyntalas gab. Sie waren die ersten Zynta, die das neue und einzige Symbol der Freundschaft trugen."
Zaso erinnerte sich an ein großes Symbol, welches Zekalo aus einer Truhe holte, ob es wohl das Symbol der Freundschaft war?
"Sie trugen das Symbol bis ans Ende ihrer Tage. Nach ihrem Tod im hohen Alter, wurden beide Hälften des Symbols an die Gelehrten verschiedener Stämme weitergereicht. Aber bis heute hat es nie mehr so eine starke Freundschaft gegeben. Wie gesagt, bis heute." Dann ging er zu Zita und Zaso. "Denn diese beiden Zynta, ich habe sie lange Zeit beobachtet, sind seit ihrer Kindheit zusammen und waren so gut wie immer zusammen unterwegs. Sie spielten anderen gerne Streiche, aber nie einer allein. Sie gingen zusammen zu den Jagdübungen und versöhnten sich nach einem Streit immer wieder. Bis heute hat diese Verbundenheit gehalten und sie wird bestimmt ewig halten. Somit möchte ich heute feierlich verkünden, dass Zita und Zaso seit der Schöpfung die zweiten sind, die das Symbol der Freundschaft überreicht bekommen. Zopasa, das Kästchen bitte."
Der Dorfälteste holte eine Schachtel, die er Zekalo überreichte. Dieser öffnete sie und holte zwei wunderbar glänzende Symbolhälften heraus. Sie glänzten so hell wie das Morgenlicht. Zita und Zaso wussten, das kann nur von Zyntalas sein.
Zekalo nahm die linke Symbolhälfte und ging zu Zaso: "Zaso, Sohn des Zenta. Zyntalas überbringt dir mit diesem Symbol seinen Segen. Schwöre bitte, dass du die Freundschaft nie brichst und nie etwas tust, das der Freundschaft schaden könnte."
Zaso hob den Kopf zum Himmel und sagte mit lauter, kräftiger Stimme: "Ich schwöre es, beim Licht und bei der Nacht. Ich werde die Freundschaft nie brechen und ihr nie schaden." Der Himmel schien kurz aufzublitzen als er den Schwur aufsagte.
Dann befestigte Zekalo das Symbolteil über seinem Friedenszeichen. Dann ging er mit der rechten Hälfte zu Zita: "Zita, Sohn des Zuska. Zyntalas überbringt dir mit diesem Symbol seinen Segen. Schwöre bitte, dass du die Freundschaft nie brichst und nie etwas tust, das der Freundschaft schaden könnte."
Zita hob auch seinen Kopf nach oben und wiederholte die Worte von Zaso, wenn auch etwas lässiger: "Ich schwöre es, beim Licht und bei der Nacht. Ich werde die Freundschaft nie brechen und ihr nie schaden."
Zekalo band das rechte Symbolteil über sein Friedenssymbol. Beide verbeugten sich vor Zekalo.
Dann fügte Zopasa hinzu: "Solltet ihr je in Gefahr geraten, solltet ihr je Probleme haben, so verbindet die Symbolteile und Zyntalas wird euch hören."
"Vielen Dank, wir danken euch Allen für dieses Geschenk und wir danken dem Schöpfer, der uns den Segen gab." Wieder schien der Himmel zu erleuchten.
"Die Zeremonie ist beendet, ihr könnt jetzt wieder euren gewohnten Tätigkeiten nachgehen.", sagte Zekalo und verabschiedete sich von Zopasa, Zita und Zaso.
Viele Zynta blieben noch da um den beiden zu gratulieren. Besonders Zitas Eltern freuten sich und umarmten beide mit Tränen in den Augen.
Zelsa sagte: "Ach ja. Ich wusste schon immer, dass ihr zwei etwas Besonderes seid. Ich hab es immer gewusst."
Lange Zeit unterhielten sie sich noch, dann begann der Alltag wieder. Die Dorfbewohner zerstreuten sich in alle Ecken um ihren Arbeiten nachzugehen. Die Hütten mussten gesäubert, die Landoras behütet und die Felder kontrolliert werden. Zita und Zaso beschlossen, auf den Feldern mit zu helfen.
"Komm Zaso", sagte Zita, "wir gehen zu den anderen Arbeitern auf die Felder, nicht dass uns jemand zum Saubermachen bestellt, das hasse ich."
Zaso lächelte fröhlich und meinte: "Ich mag das zwar auch nicht, aber ich habe niemanden, der meine Hütte saubermacht. Und so muss ich erst mal zu mir gehen. Ich komm dann später auf das Feld, in Ordnung?"
Mit einem seltsamen Blick erwiderte Zita: "Na gut, ich gehe dann schon mal vor."
Zaso ging in seine Hütte und bewaffnete sich mit Besen und Putztuch. Aus dem Dorfbrunnen holte er frisches Wasser und füllte es in einen Eimer. Als er zurück zu seiner Hütte ging stand Zita davor und hatte sich selbst Putzsachen geholt.
"Zita? Wolltest du nicht aufs Feld zu deinen Eltern?"
Zita senkte ein wenig den Kopf: "Ja, schon, nur... ich... Ich möchte dir gerne helfen."
Zaso war verblüfft, in seinem ganzen Leben hatte er es noch nie gesehen, dass Zita jemanden beim Saubermachen half, außer seinen Eltern. "Na wenn du willst, dann kannst du ja den Boden wischen, während ich das Bett mache und meine Sachen aufräume."
Zita schaute auf den Besen und meinte: "So Besen, an die Arbeit. Wir wollen doch, dass alles sauber wird, oder?"
Zaso begann sein Bett zu machen, während Zita den Boden wischte, wobei er beinahe über den Eimer gestolpert wäre. Er mochte es, während der Arbeit Lieder zu pfeifen, das machte sie für ihn leichter. Er pfiff die Melodie vom Lied der Schöpfung, es war das schönste Lied, das er je gehört hatte, und Zaso war wie immer begeistert von Zita. Er beschloss mitzupfeifen. Das Lied der Schöpfung wurde vor langer Zeit geschrieben, von einem Bauern namens Zodak. Er ist durch dieses Lied in die Geschichte der Zynta eingegangen und jedem jungen Zynta wurde seit damals die Melodie und der Text gelehrt, so dass es alle konnten. Zaso erinnerte sich an damals, an den Text, den er so mochte:

 Das Lied der Schöpfung

Die grünen Wiesen und  die hohen Bäume,
Sie sind die Natur und die Lebensräume.
Der Schöpfer Zyntalas gab uns das Leben.
Er hatte uns Zynta die Hoffnung gegeben.

Er schuf drei Symbole die heut noch  bestehen,
Um den Frieden, das Alter, das Wissen zu sehen.
Wir sind bis heute die Kinder des Schöpfers gewesen.
Und auch nach hundert weiteren Monden wird man davon lesen.

Der Osten des Landes, Rukoranda genannt,
Schützt uns vor den Lichtern, vom Tode gesandt.
Der Schöpfer, er schützt uns vor dem schrecklichen Licht.
Das trotz seines herrlichen Glanzes die Augen zerbricht.

Oh Schöpfer, erhalte für uns diese heiligen Orte
Und leite die Toten durch deine Himmelspforte.
Zeig ihnen dein Reich und schicke sie weise.
Ins Weltall auf ihre große, lange Reise.

Die Arbeit ging schnell voran und bald war die Hütte sauber und ordentlich aufgeräumt.
Zaso war zufrieden. "So Zita, jetzt sind wir hier fertig."
"Stimmt, aber jetzt müssen wir schnell zum Feld, die anderen Zynta brauchen sicher Hilfe."
Sie räumten Eimer und Besen weg und machten sich auf den Weg zum Ackergelände, das weit im Süden des Dorfes angrenzte. Das Wetter war noch immer schön, nur ein paar vereinzelte Wolken zierten den Himmel. Nach einem kurzen Marsch in Richtung Feld blieb Zaso plötzlich stehen.
Zita drehte sich um und fragte: "Was ist los, wir.."
"Pssst! ... Hörst du das nicht?"
Zita spitzte die Ohren: "Nein, was hörst du denn?"
Zaso schüttelte unruhig den Kopf: "Psst! Da kommt etwas aus Osten"
Die Birados, die sonst in Scharen über die Bäume flogen, waren auf einmal verschwunden, es wurde ruhig im Wald.
"Warum ist es so ruhig hier? Irgendwas stimmt nicht." Zita schaute sich unruhig um. Die Birados verschwanden eigentlich nur, wenn ein großer Regenguss drohte. Aber die kleinen, wenigen, dünnen Wolken am Himmel ließen nicht auf so ein Wetter schließen. Die beiden Gefährten merkten, wie plötzlich der Boden bebte.
"Zita, schnell auf einen Baum!"
"Warum?"
"Rede nicht so viel, bring dich in Sicherheit!"
Zita kannte Zasos Jägerinstinkt und vertraute ihm, deshalb kletterte er auf einen der Bäume. "Was..."
Ein Trampeln und Heulen schaltete sich in die Stille ein.
Zita sagte völlig überrascht: "Varoklas und Fregnako. Die sieht man doch kaum am Tag. Warum brüllen die?"
Zaso rief vom gegenüberliegenden Baum: "Die scheinen vor etwas zu fliehen!"
Gefolgt von einer Staubwolke rasten die Tiere unter den Bäumen entlang und verschwanden nach kurzer Zeit. Es war wieder ruhig im Wald. Zita und Zaso kletterten vom Baum herunter.
"Vor was haben die denn Angst.", fragte sich Zita, "Am Tag sieht man doch kaum diese..." Er hielt inne, als er sah, wie Zaso erneut seine Ohren spitzte. "Hey, die Tiere sind weg, es droht keine Gefahr mehr."
"Sei bitte mal ruhig, da ist noch etwas. Es kommt aus der gleichen Richtung, wie die Varoklas und Fregnako."
Jetzt hörte auch Zita das Geräusch. Dröhnend und pfeifend näherte sich anscheinend von Osten her. Zita und Zaso versteckten sich zwischen den dichten Bäumen und warteten ab.
"Zaso, spürst du das auch? Der Wind wird stärker, die Bäume schwanken hin und her."
"J..ja Zita, was geht da vor? Was ist nur los?" Beide waren zwar mutige Zynta, aber dieses Geräusch machte ihnen mehr als Angst.

"Er ist beschädigt, er funktioniert nicht mehr. Wie sollen wir jetzt etwas herausfinden? Wir sind nach etlichen Jahren endlich durch und nun geht der Schrott nicht. Hoffentlich funktioniert das Ding hier noch: >Bitte melden Sie sich. Wir haben große Schäden erlitten. Wir können nicht raus hier. Hilfe!.....>Wir können im Moment nichts tun. Das war das Einzige. Niemand sonst kann da durch. Aber unser Geheimauftrag klappt wie....ge....?....!< Mist, was machen wir jetzt?"

Kurze Zeit geschah nichts, aber dann wurde der Wind so stark, dass Zita und Zaso sich an einem Baum festhalten mussten. Ein kurzer Schatten verdunkelte für den Bruchteil einer Sekunde die Ebene, dann wurde es wieder hell. Das Geräusch überzog den Wald, es schien ihn Richtung Westen zu verstummen. Ruhe kehrte wieder ein und nach kurzer Zeit erschienen die Birados wieder am Himmel. Zita brachte kein Wort mehr heraus.
Zaso musste sich an den Baum lehnen. "Was war das nur, so ein Sturm, begleitet von einem fürchterlichen Geräusch. Das ist unheimlich."
Einen kurzen Moment lang waren sie noch wie versteinert, aber dann gingen sie weiter in Richtung Feld. 
Hast du das gehört, es ist in Richtung Westen gezogen, auf den westlichen Kontinent?"
Zita musste ihn beruhigen: "Hör zu Zaso, ich weiß ja auch nicht, was es war, aber es ist uns nichts passiert und das ist die Hauptsache, oder? Also lass uns das vergessen und zu den Anderen gehen."
Zaso starrte ihn mit einem leicht amüsierenden Blick an: "Du solltest wirklich als Beruhiger anfangen."
Zita wollte gerade etwas erwidern, als sie auf dem Feld ankamen. Aber im fehlten die Worte. Es erschien vor ihnen ein Bild der Zerstörung. Einige Zynta lagen auf dem Boden, einige lehnten sich an die Bäume, von denen einige wenige umgestürzt waren.
Zaso war entsetzt: "Bei Zyntalas, das gibt es doch nicht. Wir hatten noch nie so einen starken Sturm. Ich bezweifle, dass er natürlich war."
Zita machte seine typischen, misstrauischen Augen: "Zaso, was redest du da. Wie soll der Wind sonst entstanden sein? Nicht mal die Gelehrten können mit ihrer Magie Stürme beschwören. Warum sollten sie das auch machen?"
"Vielleicht gehörte dieses Geräusch einer..."
Zita fiel Zaso ins Wort: "Wir wollten doch nicht mehr darüber sprechen. Schauen wir lieber, ob jemand auf dem Feld verletzt ist, wir müssen sie dann unbedingt ins Dorf schaffen."
Der Wind hatte ganze Arbeit geleistet. Die Ernte war vernichtet, das Erdreich war aufgewühlt, kurz gesagt ist das ganze Ackergebiet zerstört worden. Während Zaso nach den anderen Zynta sah, suchte Zita nach seinen Eltern, die nicht bei ihnen waren. Am anderen Ende des zerstörten Ackers sah er Zelsa, die neben einem entwurzelten Baum stand und verzweifelt schien.
"Mutter, was ist denn passiert. Warum bist du so aufgeregt, dir ist doch nichts geschehen, oder?" Zelsa zeigte mit ihrer zitternden Hand auf die andere Seite des Baumstamms. Dort lag Zuska. Sein rechtes Bein war unter dem Baum eingeklemmt. "Vater! Nein, warum gerade du? Warum?" Zita rannte verzweifelt zu Zaso und rief: "Schnell Zaso, du musst mir helfen. Ihr alle müsst mir helfen. Mein Vater Zuska ist unter einem Baum eingeklemmt. Wir müssen ihn befreien, schnell!"
Ohne langes Zögern eilten alle Zynta zum Unglücksort. Zelsa stand immer noch wie versteinert da, sie war zu geschockt um irgendetwas zu tun. Deshalb hatte sie auch niemanden um Hilfe gebeten. Niemand hatte das Unglück mitbekommen, außer sie.
Zaso blieb nicht lange stehen und sagte: "Steht hier nicht rum. Wer weiß wie lange Zuska das noch aushalten wird. Sucht einen sehr starken, langen und dicken Stamm, den wir als Hebel nutzen können!" Sofort machten sich die anderen auf den Weg. Zita versuchte, seinen Vater zu beruhigen. "Ich bin’s Zita. Du brauchst keine Angst zu haben, wir werden dich hier rausholen, das verspreche ich dir."
Mit hustender Stimme sagte Zuska leise: "Ach Zita, ich bin froh, dass du da bist. So weiß ich, dass es dir gut geht. Sag deiner Mutter, das ich sie immer lieben werde, auch nach dem Tod."
Zitas Blick wurde ernst und zugleich traurig: "Du wirst nicht sterben Vater, wir holen dich da raus." Er schlug mit seinen kräftigen Pranken auf den Baumstamm ein. Er war verzweifelt. Zaso sah den Schmerz in Zuskas Augen, er würde es bestimmt nicht mehr lange aushalten. "Wo bleiben die denn? Wir müssen Zuskas Bein befreien und das schnell!!!"
Die anderen Zynta waren längst nicht mehr so jung wie er und Zita, deshalb auch nicht gerade die schnellsten. Aber nach kurzer Zeit kamen sie zurück, mit einem starken Holzstamm.
Zaso half ihnen beim Tragen. "So, jetzt müssen wir versuchen, den Baumstamm ein Stück hoch zu heben. Ich weiß, dass es schwer ist und ich weiß, dass viele nicht mehr so kräftig sind wie früher, aber wir werden es schaffen. Wir werden Zuska befreien. Los jetzt! Zita?"
"Was ist?"
"Wenn wir den Stamm hochgehoben haben, musst du so schnell wie möglich deinen Vater von dort wegtragen, ich weiß nicht wie lange wir das Gewicht halten können."
"Ist gut!"
Sie stemmten den schweren Hebel unter den Baumstamm und versuchten mit aller Kraft, ihn ein Stück zu bewegen. Beinahe hätten sie es geschafft, aber die Kraft reichte nicht aus.
Plötzlich sprang Zita auf: "Mutter, du musst mithelfen."
Endlich brachte sie wieder ein Wort heraus: "Wie?"
"Ich helfe den Anderen und du holst Vater aus dem Gefahrenbereich, du schaffst das schon."
"In Ordnung."
Mit Zitas Hilfe versuchten Sie nochmals, den Stamm zu bewegen. Und tatsächlich, der Baum bewegte sich. Er drohte aber gleich wieder herunterzufallen. Das würde ein böses Ende nehmen.
Zita schnaufte: "LOS ZELSA!"
Zelsa nahm Zuska vorsichtig hoch und lehnte ihn in einiger Entfernung an einen Baum. Keinen Moment zu früh, denn kurz danach brach der Hebel durch und der Baum knallte zu Boden. Durch den Ruck wurden die Zynta zu Boden geworfen.
Wie aus einem Mund riefen sie: "Wir haben es geschafft. Zyntalas war mit uns." Völlig erschöpft blieben viele am Boden liegen und holten in schnellen Atemzügen Luft. Zita und Zaso hatten keine Zeit dazu, sie bauten aus einigen Zweigen, Blättern und Ästen eine Trage, in der sie Zuska vorsichtig hineinlegten. Jedem Zynta wurde in jungen Jahren das Bauen von solchen Transportmitteln beigebracht, damit sie in Situationen wie dieser auf eine schnelle Rettung hoffen können. Zita legte einige Gelgatblätter, die für ihre Heilwirkung von den Gelehrten genutzt wurden, auf die große Wunde.
Zelsa war noch immer besorgt: "Wird er wieder gesund werden? Können wir ihm helfen?"
Zita beruhigte seine Mutter: "Keine Angst. Er ist jetzt zwar ohnmächtig, aber das dauert bestimmt nicht lange. Wir müssen ihn ins Dorf bringen damit der Gelehrte ihn behandeln kann."
Zaso fügte noch etwas hinzu: "Ihr solltet alle ins Dorf zurückkehren. Falls der Sturm wiederkommt, seid ihr im Dorf sicher." Zaso sagte das nur zur Beruhigung, denn er wusste genau, dass das Dorf auch gefährdet sein könnte. Die Bäume sind genau dieselben wie hier auf dem Feld und sie können genauso umstürzen.
"Zaso, hilf mir die Trage zu heben."
Zita nahm die eine und Zaso die andere Seite der Trage und alle machten sich auf in Richtung Dorf. Den ganzen Weg über wich Zelsa nie von der Seite Zuskas, der immer noch ohnmächtig war. Es war ein langer Weg und alle waren erschöpft und müde gewesen. Doch Zelsa erlaubte keine Pausen, sie wollte, dass ihr Mann endlich im Dorf war. Als sie endlich dort ankamen stand Zekalo auf dem Dorfplatz und betete zu Zyntalas.
Als Zekalo Zelsa und die Anderen erblickte hörte er mit seinem Gebet auf und eilte zu ihnen herüber. "Bei Zyntalas, wir alle dachten euch sei etwas passiert. Wie ich sehe seid ihr alle wohlauf, das beruhigt mich." Jetzt waren auch Zita und Zaso bei Zekalo angekommen. "Oh, es scheint wohl doch etwas passiert zu sein. Na ja, das könnt ihr mir später erzählen, jetzt muss ich mich erst mal um ihn hier kümmern." Das Licht war schon beinahe erloschen und die Nacht würde bald hereinbrechen. "Lasst mich mal sehen. Er hat eine große Quetschung am Bein, das sieht schlimm aus. Mhhh... Nein, ich habe mich geirrt. So schlimm ist es gar nicht. Die Heilblätter haben die Wunde fast ganz geschlossen. Wie ist er denn zu dieser Verletzung gekommen?"
Zelsa antwortete: "Ein Baum hat ihn erwischt, ich bin froh, dass nicht noch mehr passiert ist."
Zekalo schaute verwundert: "Ein Baum, sagtest du, ein Baum? Ein Baum stürzt doch nicht einfach so um."
Zaso fiel ihm ins Wort: "Habt ihr denn nicht den ungewöhnlich starken Sturm bemerkt, der über die Bäume gefegt ist?"
Zekalo runzelte die Stirn: "Sturm? Nein, wir hatten hier keinen Sturm, nur einen etwas verstärkten Wind."
Zita hatte Zaso davon abgehalten, etwas darüber zu sagen aber jetzt sah er ein, dass es nicht länger geheimgehalten werden konnte: "Mit dem Sturm kam ein grässliches Geräusch, ich kann es nicht genau beschreiben. Es war zum fürchten."
"Geräusch? Also das kann ich nur schwer nachvollziehen."
Zelsa sagte: "Doch es stimmt. Es fegte ein großer Sturm über das Feld, gefolgt von einem dröhnenden Geräusch. Der Acker wurde zerstört, Bäume fielen um."
Zekalo wurde unruhig: "Bei Zyntalas, was soll das gewesen sein. Und warum haben wir hier im Dorf nichts gehört?"
Zaso drängte sich vor und schaute zu Zuska, der wieder zu sich gekommen war: "Hallo Zuska, wie geht es dir?"
Seine Stimme war schon wieder kräftiger geworden: "Ich spüre mein rechtes Bein gar nicht mehr, was ist eigentlich passiert und wo bin ich?"
Zelsa küsste ihn auf die Wange: "Du bist zu Hause und wirst bald wieder gesund werden."
Zekalo nickte: "Dein Wort in Zyntalas Ohr, Zelsa. Geht jetzt eurer gewohnten Arbeit nach, ich werde Zuska über Nacht bei mir behalten, um seinen Zustand zu überwachen und sein Bein wieder zu heilen."
Zita und Zaso waren beruhigt gewesen und verabschiedeten sich von Zekalo und Zelsa. Die beiden Freunde beschlossen, sich vor Anbruch der Dunkelheit noch etwas auszuruhen.
Zaso dachte über die Ereignisse nach. Warum war im Dorf nichts von dem Geräusch zu hören, was war mit dem Sturm? War es eine Warnung von Zyntalas, haben die Zynta irgendetwas falsch gemacht? Würde er jemals die Antwort auf diese Fragen finden, würde Zuska wieder völlig gesund werden?
"Hey Zaso, willst du die ganze Nacht in deiner Hütte bleiben?"
Als Zaso aufstand sah er Zita, der sich schon ein Seil über die Schulter gelegt hatte. "Natürlich nicht, das wäre viel zu öde. Schauen wir lieber, ob wir ein schönes und großes Varokla fangen, damit Zopasa etwas zu tun hat."
Die Nacht war noch jung und die beiden Freunde machten sich für die Varokla-Jagd bereit...
 

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Und schon geht's zum 5. Kapitel: Die Nicht-Loyalen
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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