Nach ihrer Rückkehr vom Loreley-Felsen
hatte Efin und Karl der Alltag recht schnell wieder eingeholt. Kaum, dass
sie wieder ihren Dienst im Revier antraten, fühlten sie sich schon
fast wieder urlaubsreif. Zahlreiche Papierberge hatten sich in den paar
Tagen auf ihren Schreibtischen angesammelt und ließen die beiden
bei dem Anblick aufstöhnen. Herumstehende Kollegen grinsten. Doch
als es darum ging, beim Abarbeiten zu helfen, hatten diese dann ganz plötzlich
dringende Aufgaben zu erledigen. 'Na großartig' dachte sich Karl
und ließ sich mit einem weiteren Seufzen auf seinen Bürostuhl
fallen, nur um sofort wieder aufzuspringen. "OK, wem gehört dieses
Ding?" Karl hielt ein Furzkissen in die Höhe. Natürlich meldete
sich niemand, und Karl feuerte das Ding in den nahegelegenen Abfalleimer.
Ihm entgingen die grinsenden Gesichter der Anwesenden natürlich nicht.
"Das war nicht sonderlich witzig" meinte er und griff nach einer der vielen
Akten. 'Geschwindigkeitsübertretung - Verweigerung des zu zahlenden
Bußgeldes' Karl verdrehte die Augen. Warum bekam nur immer er so
langweilige Sachen. Er schaute hoch und konnte im ersten Moment nur Efins
schwarzen Schopf sehen, bevor dieser jedoch seinen Blick zu spüren
schien und ihn mit seinen grünen Augen ansah. Bei ihm sah es auch
nicht besser aus.
Am Abend brummte Karls Schädel vor Kopfweh.
Er hatte während des letzten Falles völlig erfolgreich verdrängt,
dass noch eine Menge Schreibarbeit auf sie warten würde. Zu seinem
Bedauern war der Aktenberg nur geringfügig geschrumpft. Es würde
sicher noch einige Tage dauern, ehe er wieder etwas anderes tun konnte.
Karl schloss erschöpft seine Augen und fuhr sich mit einer Hand durch
seine roten Haare. "Soll ich heute noch was kochen oder holen wir uns etwas
beim Chinesen?" Karl sah Efin an. "Nee, nicht schon wieder Chinese, wie
wär´s mal mit Pizza?" - "Ist auch OK." Gemeinsam schlenderten
sie durch die Innenstadt zum Pizza-Fast-Food. Jetzt, da sie sich an der
frischen Luft befanden, klang das Kopfweh von Karl langsam etwas ab. "Und
wie sah´s bei dir aus?" wollte er von Efin wissen. "Sie wollten noch
einen Bericht über den letzten Fall und dann nur so kleine Delikte.
Nicht der Rede wert..." Efin wurde unterbrochen als sein Handy klingelte.
"Wenn´s einer vom Revier ist, wimmle ihn ab. Wir haben frei," flüsterte
Karl Efin zu. "Haber," meldete sich Efin am Telefon. Er lauschte einige
Zeit dem Gesprächspartner und gab nur ab und zu einen knappen Kommentar
von sich. Das Gespräch dauerte nicht sonderlich lange, und als Efin
auflegte hatte er einen Ausdruck auf dem Gesicht, deren Deutung Karl schwer
fiel. "Mit dem Pizza essen wird's wohl heute nichts mehr. Ich muss dir
dringend etwas zeigen." Karl sah seinen Partner fragend an. "Jetzt sag
ja nicht, dass die vom Revier..." - "Nein, es ist etwas anderes. Etwas,
was dich interessieren dürfte." - "Was sollte mich im Moment mehr
interessieren, als wo ich jetzt etwas zu beißen herbekomme?" - "Warte
es ab. Nehmen wir deinen Wagen?" Alles Protestieren von Karls Seite brachte
nichts und so saßen sie wenig später im Auto und fuhren an der
Autobahn entlang in Richtung Wittlich. Efin hatte Karl zwar verraten, dass
sie in ein Moseldörfchen mussten, wohl aber nicht, was das entgültige
Ziel ihrer Reise sein würde. Nach Efins Angaben würden sie dort
ihr Gefährt wechseln. Karl wusste nicht so recht, was er damit meinte.
Unterwegs hielten sie noch an einem Drive-In um wenigstens etwas gegessen
zu haben. Während der ganzen Fahrt verfiel Efin in tiefes Schweigen,
aus dem er sich nicht lösen wollte, sosehr Karl sich auch bemühte.
Sie durchquerten Wittlich und fuhren noch
etwa eine Viertelstunde weiter. Sie passierten einen Wald, überquerten
die Mosel und kamen schließlich in dem kleinen Moseldörfchen
an. Am Anfang des Ortes bogen sie auf einen Feldweg ab. Nach ein paar Häusern
säumten Weinberge ihren Weg, der leicht anstieg. Zuerst sah Karl nur
reihenweise Reben doch dann wurde er sich einem großen, weißen
Haus bewusst. Es stand fast auf der Kuppe des Berges und wurde von einem
weißen Zaun eingegrenzt. "Wow, die müssen aber Geld haben,"
meint Karl, als er das Haus zum ersten mal sah. Er dachte, dass sie weiterfahren
würden und war deshalb um so überraschter, als Efin ihn anwies,
vor dem große Rolltor des Hauses zu halten. Efin stieg aus, ging
zur Lautsprecheranlage und kehrte kurz darauf zurück. "Sie sind nicht
da. Wir können hinein." Das Tor ging auf und Karl fuhr zum Haus hinauf.
"Wer ist nicht da?" fragte Karl, doch er erhielt von Efin keine Antwort.
"Hey, machen wir hier grad was Illegales?" Karl wurde unruhig. "Nein, nein,
es ist ganz und gar nicht illegal." Efin verließ das Auto und ging
zum Haupteingang, wo er die Türklingel betätigte.
Ein Mädchen, Karl schätzte es auf
Anfang, Mitte 20, öffnete Efin die Tür. Sie hatte lange dunkle
Haare, die im Nacken zusammengebunden waren. Sie war etwa einen Kopf kleiner
als Efin. Etwas verwunderte Karl die Kleidung, die dieses Mädchen
trug, er verdrängte es aber. Er schloss das Auto ab und trat ebenfalls
an die Tür. "Du kommst grade rechtzeitig. Gleich wären wir weg
gewesen." Karl fiel fast die Kinnlade runter. Das Mädchen duzte Efin?!
Er versuchte seine Überraschung zu verbergen.
Das Mädchen hatte Karl jetzt auch gesehen
und drehte sich zu ihm um. "Guten Tag, ich bin Ute Braun. Willkommen in
meinem Haus. Mit wem hab ich die Ehre?" Karl antwortete verdattert. "Karl
Beiling. Sehr erfreut." - "Tretet doch ein oder wollt ihr ewig hier draußen
stehen bleiben." Das Mädchen machte Platz, dass Karl und Efin vorbei
konnten.
Was wollte Efin denn hier, fragte sich Karl
immer wieder in Gedanken. Er folgte Efin ins Innere. Hinter ihnen fiel
die Haustür geräuschvoll ins Schloss. Efin steuerte zielgenau
durch den kurzen Flur das Wohnzimmer an. Das Haus war von Innen noch größer,
als es von außen ausgesehen hatte.
Im Wohnzimmer befanden sich vier weitere Personen.
Zwei Jungs, in unterschiedlichen Altersklassen von wohl 12 bis 20 Jahren,
die ebenfalls so dunkle Haare hatten wie diese Ute. Die zwei Mädchen,
die wohl im gleichen Alter wie diese Ute waren, saßen nebeneinander
auf einem Sofa. Das rothaarige Mädchen trug eine weiße Kutte,
die mit seltsamen Zeichen bestickt war, die Karl noch nie zuvor gesehen
hatte. Das schwarzhaarig Mädchen trug ein enges schwarzes Kleid und
um ihre Beine streifte eine Katze. Die Jungen hatten ganz normale Klamotten
an. "Ihr seid spät an. Ich wunder mich eh, wie du die Erlaubnis bekommen
hast." meinte die Schwarzgekleidete. Efin wurde leicht rot, was Karl natürlich
nicht entging, als er entgegnete: "Das hat wohl mit unserem letzten Fall
zu tun." - "Aber wo sind denn meine Manieren," meldete sich Ute von hinten
zu Wort. "Sicher ist noch genügend Zeit, sich gegeneinander vorzustellen."
Im Gesicht der Rothaarigen spiegelte sich keine sonderliche Begeisterung
wider. Aber Ute ignorierte sie. "Also noch mal. Ich heiße Ute Braun."
Ute strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe
sie fortfuhr. "Ich beschränke mich jetzt auf das wesentliche. Eigentlich
bin ich Kriegerin, aber im Moment Torwächterin. In dieser Welt bin
ich Studentin mit Hauptfach Informatik." Kurzes Schweigen folgte ehe die
Schwarzhaarige fortfuhr: "Anke Liesmann. Sehr erfreut. Hexe und ebenfalls
Torwächterin. Ich studiere Geologie." Mit einem leichten Stöhnen
und nicht grade voller Begeisterung sprach die Rothaarige: "Ben Lohse,
meines Standes Magierin, die dritte Torwächterin und hier Fachangestellte
für Medien- und Informationsdienste." Als sie den etwas verwirrten
Blick von Karl mitbekam fügte sie rasch hinzu. "Ich arbeite in einer
Bücherei." Mehrere Augenpaare richteten sich nun neugierig und auffordernd
auf Karl, der sich auf einmal ziemlich unwohl in seiner Haut fühlte
und sich am liebsten in das nächste Loch verzogen hätte. War
er denn der einzige 'Normale' in diesem Haus? Die beiden anderen Jungs
bekamen die Verlegenheit von Karl offenbar mit, denn sie setzten die Vorstellung
nun ihrerseits fort. Zumindest tat es der große, was ihm einen saftigen
Knuff vom kleineren einbrachte. "Ich bin Thomas Braun und das ist mein
kleinerer Bruder Richard. Wir sind ebenfalls Torwächter, allerdings
kommen wir von hier und nicht wie meine Schwester und die anderen da von
drüben. Wir sind also ganz normal." Ein breites Grinsen lief über
sein Gesicht, war er sich der strafenden Blicke der Mädchen durchaus
bewusst. Thomas piesackte seine Schwester doch so gerne und er hatte dabei
soviel Erfolg.
Karl atmete innerlich erleichtert auf, war
er doch nicht der einzige. Doch dann versteifte er sich erneut, als ihm
klar wurde, dass er jetzt mit vorstellen dran war. Obwohl er das als Polizist
gewöhnt war, brachte er zu seinem eigenen Entsetzen plötzlich
keinen Ton mehr heraus. Efin bemerkte jedoch die Miesere, in der Karl steckte
und sprang seinerseits ein. "Das ist mein Partner Karl, er arbeitet im
gleichen Dezernat wie ich." - "Die beiden sind ein Paar." Karl wurde feuerrot
und warf Anke einen bitterbösen Blick zu. Woher wusste sie davon.
Doch sie ignorierte seinen Blick und grinste ihn nur groß und breit
an. "Ich kann dich beruhigen, sie würde nichts tun, was uns schaden
oder peinlich sein könnte. Sie darf ihre Kräfte hier nämlich
nicht einsetzten." Efin warf Karl einen vielsagenden Blick zu. Karl verstand
nur Bahnhof. "Ach menno, musst du alles verraten," maulte Anke von hinten
und verschränkte die Hände vor der Brust. "Ach wie süß.
Efin, davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt," ließ auf
einmal Ute verlauten. Bevor jedoch das Gesprächsthema vollends vertieft
werden konnte, erhob sich Ben von der Couch und sah auffordernd in die
Runde. "Es wird Zeit, wenn wir unser Transit-Fenster nicht verpassen wollen."
Nun erhoben sich auch die restlichen Anwesenden, die während der Konversation
gesessen hatten, und strebten in Richtung Wohnzimmer-Tür.
Als der Trupp sich in Bewegung setzte fand
sich Karl neben Richard wieder. Er nutzte die Chance um einige Fragen zu
stellen. "Wissen eigentlich eure Eltern, was ihr hier treibt?" Richard
schüttelte den Kopf. "Nein. Es ist auch besser so. Sie würden
es eh nicht verstehen." Karl hätte gerne noch etwas mehr erfahren,
doch Richard hüllte sich in Schweigen und Efin hatte sich zu ihm zurückfallen
lassen.
Thomas hatte sich an die Spitze der Gruppe
gesetzt. Gemeinsam durchquerten sie den Flur und stiegen die Treppe hinab
in den Keller. Sie liefen einen Gang mit mehreren Türen hinab, und
erreichten nach einer Kurve einen weiteren Gang, an dessen Wand sich die
Heizung des Hauses befand. Dort gab es eine weitere Tür. Als Thomas
diese Tür öffnete, konnte Karl im ersten Moment nur einen kleinen
Raum mit mehreren Regalen entdecken, die mit diversen Gegenständen
gefüllt waren. Karl wunderte sich, was wollten die hier? Unsicher
sah er sich um, konnte aber keinen weiteren Ausgang aus dem Raum erkennen,
außer dem, wo sie eben reingekommen waren. Aus dem Augenwinkel konnte
er sehen, dass Thomas neben dem Lichtschalter die Wand berührte und
etwas mit dem Finger nachfuhr. Karl konnte das ganze nicht richtig verfolgen,
denn er wurde bereits von neuen Ereignissen abgelenkt. Das Regal, das sich
dem Eingang gegenüber befand, sank in einen Schacht im Boden ab, so
dass nur noch die nackte Wand zu sehen war. Kaum hatte sich der Boden wieder
geschlossen, bildete sich ein Riss in der Wand, der rasch größer
wurde, als die Wände nach hinten zurückklappten. Sie gaben nun
den Blick in den Raum dahinter frei.
Es verschlug Karl schier den Atem. So etwas
hatte er noch nie zuvor gesehen. Man konnte den Eindruck erhalten, da hätte
jemand eine Kulisse für einen SF-Film aufgebaut. Doch diese Dinge
sahen eher danach aus, dass sie funktionierten und keine Zierde darstellten.
Irgendwie fühlte er sich an die Räume im Loreley-Felsen erinnert.
Ganz langsam und vorsichtig betrat Karl den Raum. An fast allen Wänden
standen Computer und sonstiges technisches Zubehör. Es gab nur zwei
Türen, die von dem Raum wegführten. In der Mitte des Raumes befand
sich eine Art goldener Ring, in dessen Mitte es bläulich schimmerte.
Karl hätte schwören können, je länger er das blau ansah,
desto intensiver wurde es. Bevor er sich aber in dem Farbenspiel verlieren
konnte, wurde er abgelenkt. Zwei junge Männer hatten den Raum durch
eine der Türen betreten und steuerten die Gruppe an. Karl musste sich
eingestehen, dass sie gar nicht mal so schlecht aussahen, verdrängte
diese Gedanken jedoch rasch wieder. "Da seid ihr ja endlich, wir dachten
schon, ihr kommt gar nicht mehr." - "Darf ich vorstellen, das sind Hugo
und Herbert und das ist Karl, mein Partner." Efin machte eine kurze Vorstellung,
ehe er fortfuhr: "Entschuldigt, es hat etwas länger gedauert," meinte
er an Hugo gewandt. Karl gefiel der Ton, mit dem Efin da sprach, nicht
sonderlich. "Wir haben schon alles vorbereitet. Wenn ihr wollt, könnt
ihr gleich los." Hugo drückte Karl ein kleines Kästchen in die
Hand. "Nur für den Notfall." Karl bemerkte die angenehme Wärme,
die von Hugos Händen ausging und errötete leicht. Hastig wendete
er seinen Blick ab und versuchte den Zweck und die Funktionsweise dieses
Kästchens zu ergründen. Jedoch ziemlich ergebnislos. "Es ist
nur eine Vorsichtsmaßnahme. Sollte dir etwas passieren, dann drücke
hier drauf." Hugo war wieder zu Herbert zurückgekehrt, Efin war neben
Karl getreten und zeigte auf eine bestimmte Stelle des Kästchens.
Jetzt konnte Karl auch die kleine unscheinbare Vertiefung im Kästchen
sehen. "Und was passiert dann?" Karl sah Efin fragend an. Doch dieser und
die anderen zuckten nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Bis heute hat
es noch niemand benutzt. 'Wie beruhigend,' dachte Karl, steckte es aber
ein. Hugo und Herbert verschwanden wieder durch die linke Tür, sie
flüsterten sich etwas zu, was Karl jedoch mitbekam. "Schließlich
war außer ihm noch kein 'Normaler' drüben." Beide grinsten unter
vorgehaltener Hand, dann waren sie durch die Tür verschwunden. "Es
ist Zeit. Holt eure Sachen und eure Begleiter." Ute und Ben verschwanden
durch die andere Tür, während Anke mit Karl und Efin im Haupt-Raum
zurückblieb.
Kurze Zeit später kehrten Ute und Ben
wieder zurück. Ute trug nun eine leichte Rüstung und hatte auf
den Rücken einen Zweihänder geschnallt. Auf einer Schulter saß
ein Falke. Ben trug nun über der Kutte einen weiten Umhang. Ein Florett
hing an der Seite und in der Hand hielt sie einen Stab. Karl musste schwer
schlucken, als er sah, dass Ben ebenfalls einen Begleiter auf der Schulter
sitzen hatte. Er wurde bleich, aber auch Efin schluckte heftig. Vor seinem
geistigen Auge sah Karl noch einmal die Situation auf dem Windrad vorbeiziehen
und wie knapp er damals nur einem unliebsamen Kontakt entkommen war. "Ist
was?" Ben hatte den Gesichtsfarbenwechsel von Karl mitbekommen und war
nähergetreten, was Karl nicht sonderlich behagte. Unangenehmerweise
schien Bens Partner ihn jetzt auch noch aufmerksam zu mustern. Karl vermutete
in den kleinen Augen etwas von Intelligenz zu erkennen, was ihm nicht sonderlich
behagte und beruhigte.
Auch Ute und Anke waren nähergetreten,
in ihren Augen stand fragende Sorge. "Was ist los?" wand sich Ute an Efin.
"Ich glaube es ist besser wenn deine Freundin etwas zurücktreten würde."
- "Warum?" Ben hatte das Gespräch mitbekommen und drehte sich zu den
beiden um. "Es geht um deinen Partner." Efin sah den kleinen Drachen auf
Bens Schulter an. "Ach ihr meint David." Ben ließ ihren Partner auf
ihre Hand steigen und hielt diese in Richtung Karl und Efin. "Ihr braucht
keine Angst vor ihm zu haben. Er ist zahm." '...Zumindest solange man ihn
nicht ärgert.' fügte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht
aus. Karl versuchte daraufhin noch etwas mehr Abstand zwischen sich und
Ben zu bringen. "Wir hatten vor einiger Zeit einen Vorfall mit einem größeren
Exemplar, dabei wurde Karl beinahe übel mitgespielt." - "Oh," meinte
Ben und zog die Hand wieder zurück, so dass David wieder auf ihre
Schulter klettern konnte. "Das wusste ich nicht. Tut mir leid." Ben sah
Karl aufmunternd an. Sie legte ihren Kopf leicht schräg als sie fortfuhr:
"Du solltest dir aber bewusst sein, dass es dort, wo ihr gleich hingehen
werdet, noch mehr Drachen in den unterschiedlichtsten Größen
und Unterarten gibt. Hast du ihm das nicht erzählt, Efin?" Während
Ben dies sagte, fiel Efin auf, dass der kleine Drache auf ihrer Schulter
den Kopf genauso schräg gelegt hatte. Unbewusst musste Efin über
das Bild, was ihm da geboten wurde, grinsen. Dann bemerkte er erst, dass
er angesprochen worden war. "Äh, ich hatte es vor, wollte aber dafür
auf eine günstige Gelegenheit warten." - "Etwa wenn ihr schon drüben
seid und er einen vor sich stehen hat?" witzelte Anke. Efin sah sie mit
strafendem Blick an.
Diese Worte schienen auf Karl eine interessante
Wirkung zu haben. Zögernd trat er näher an Ben heran und streckte
vorsichtig die Hand aus. Er schluckte heftig und man konnte sehen, wie
seine Hand leicht zitterte. Ben stand abwartend da. David ergriff die Initiative
und sprang von Bens auf Karls Schulter. Dieser zuckte ziemlich zusammen,
hielt aber still. "Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm," meinte Efin.
Karl hatte gar nicht gemerkt, dass er neben ihn getreten war. "Schaut mal,
wie weiß der ist, der kippt gleich um." Anke konnte es einfach nicht
lassen.
"Wird das heute noch etwas oder sollen wir
Bescheid sagen, dass ihr doch nicht kommt, und dass sie die Maschinen abschalten
können?" Herberts Stimme wurde aus einem verstecken Lautsprecher an
der Wand wiedergegeben. "Nein, nicht doch, wir sind fertig," rief Efin
durch den Raum: "Von mir aus kann es losgehen." David kehrte auf die Schulter
von Ben zurück. "OK. Tschö ihr beiden und noch viel Spaß."
Anke, Ben und Ute traten in den Transferbereich des Ringes und verschwanden.
Als Karl das so sah, wurde ihm etwas mulmig zumute. "Wollen wir?" Efin
sah Karl herausfordernd an. Karl nickte und schluckte leicht. Eher unbewusst
griff er nach Efins Hand, als sie ebenfalls in den Transferbereich traten.
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Im ersten Moment meinte Karl, dass sich nichts
verändert hatte. War der Transfer etwa nicht durchgeführt worden?
Unsicher sah er sich um, und erst auf den zweiten Blick konnte er in dem
Raum einige kleine Unterschiede erkennen, teilweise waren es nur Computer,
die anders positioniert waren. Dann stellte er fest, dass sie nicht mehr
allein waren. Zwei Personen standen im Raum. Eine ältere Frau mit
etwas rundlichen Ansätzen, und langsam ergrauenden Haaren, die sie
zu einem Zopf geflochten hatte, und ein hochgewachsener schlanker Mann,
der ebenfalls schon in die Jahre gekommen war und kaum noch Haare auf dem
Kopf trug.
Aufmerksam musterten diese die beiden Neuankömmlinge.
Plötzlich machte die Frau einen Schritt vor. "Willkommen daheim, Efin."
Ehe Karl die Situation voll erfasst hatte, war die Frau vollends vorgetreten
und umarmte Efin herzlichst. Diesem schien die Situation doch etwas peinlich
zu sein, denn er versuchte sich sanft aus dem Griff zu befreien. "Bitte
nicht jetzt und hier, Mutter." - "Aber warum denn, mein Sohn. Wir haben
uns so lange nicht gesehen." - "Ich weiß, trotzdem... Darf ich dir
meinen Kollege Karl Beiling vorstellen?" Efins Mutter drehte sich um und
musterte Karl von oben bis unten. "Ein bisschen dürr. Er könnte
etwas mehr auf den Knochen gebrauchen." - "Mutter!" - "Schon gut. Ich meinte
ja nur." Karl spürte, dass er vor Verlegenheit rot wurde. "Gerda,
lass doch ab. Merkst du nicht, wie du den jungen Mann verlegen machst?"
Der Mann war neben Efins Mutter getreten. Er reichte Karl die Hand. "Willkommen
in unserer Heimat. Sie können mich Paul Haber nennen, wenn sie wollen.
Unsere richtigen Namen wären für sie nicht aussprechbar." Efins
Vater hatte einen überraschend festen Händedruck. "Entschuldigen
sie, dass wir hier unterbrechen müssen, aber ihr Sohn und sein Begleiter
werden von dem Obersten erwartete." Zwei Männer, sie sahen Hugo und
Herbert ziemlich ähnlich, hatten den Raum betreten. Sie trugen etwas,
was Karl an eine zeremonielle Rüstung aus den Geschichtsbüchern
erinnerte, so um das Spät-Mittelalter herum.
Nur widerwillig löste sich Frau Haber
von ihrem Sohn. "Mach mir keine Schande," flüsterte sie Efin ins Ohr.
Karl fragte sich unterdessen, wer dieser 'Oberste' war. Er wollte schon
eine entsprechende Frage an Efin stellen kam aber nicht dazu, denn in dem
Moment rief Efins Mutter: "Und wenn du zurückkommst lernst du deine
zukünftige Frau kennen. Die Hochzeitsvorbereitungen sind schon fast
abgeschlossen." Da blieb Karl erst mal jedes Wort im Halse stecken, aber
auch Efin erbleichte sichtlich. Ehe Efin jedoch etwas entgegnen konnte,
wurden sie von den beiden Männern aus dem Raum eskortiert. "Egal was
gleich passiert, sie geben kein Kommentar ab," schärfte ihnen einer
der beiden ein. Zuerst fragte sich Karl, was diese Äußerung
sollte, doch als sie das Transfer-Haus verließen, erhielt er die
Antwort.
Reporter waren doch überall gleich. Wo
sie eine Story vermuteten waren sie nicht mehr zu bändigen. Tausende
von Fragen stürzten auf Karl und Efin ein, während sie sich einen
Weg durch die Menge von Journalisten bahnten. Diese Leute trugen ebenfalls
normale Kleidung, sie wie Karl sie zumindest von zuhause aus gewohnt war.
Die meisten von ihnen hatten am linken Arm Armbinden, die mit einer Schrift
bedruckt waren, die Karl absolut nicht lesen konnte.
Einige Männer, in ähnlichen Uniformen,
wie diejenigen, die Karl und Efin eskortierten, versuchten zwar die Sensationssuchenden
zurückzudrängen, jedoch hatten sie dabei nur mäßigen
Erfolg. Immer wieder wurden Karl und Efin Abarten von Kameras und Mikrophonen
unter die Nase gehalten. Karl vermutete zumindest, dass es sich bei den
fliegenden Dingern um Kameras und den schwammartigen Teilen am Stiel um
Mikrophone handelte.
Bei dem Gedränge mussten alle Beteiligten
einige blaue Flecken einstecken. Doch dann riss das Gedränge ab und
Karl bemerkte rasch, was der Grund dafür war. Sie hatten einen großen
Platz erreicht, der von Sicherheitskräften abgeriegelt wurde. Überall
säumten Schaulustige die Straßen. Karl kam sich vor wie ein
Star, was ihm aber nicht sonderlich behagte. Ihm wäre weniger Aufsehen
viel lieber. Irgendwie war es ja fast wie daheim, zumindest verhielten
die Leute sich hier genauso. Jetzt konnte Karl auch endlich mal die Umgebung
anschauen.
Hohe Häuser grenzten den Platz ab. Sie
stiegen unterschiedlich hoch in den Himmel und es schien bei dem ein oder
anderen so, als habe der Architekt bei ihrer Erbauung einen zuviel über
den Durst getrunken. Seltsame Auswüchse und Anbauten waren fast an
jedem der Gebäude zu finden. Einige von ihnen wurden durch Brücken
miteinander verbunden, die sich so zwischen den Gebäuden spannten,
dass der Platz trotzdem frei blieb. Obwohl die Brücken sehr weit oben
waren, vermutete Karl, dass sich da sicher auch noch Schaulustige aufhielten.
"Was für ein Rummel," meinte er leise zu Efin. Doch dieser hörte
ihn nicht. Er schaute konzentriert nach vorne und fragte sich, wie er Karl
das nächste, was jetzt gleich kommen würde, schonend beibringen
konnte. Noch war der Platz vor ihnen leer, doch das würde sicher nicht
mehr lange so bleiben.
Er versuchte etwas näher an Karl heranzukommen.
"Du, Karl, ich muss dir etwas dringendes sagen." Karl dreht seinen Kopf
zu Efin um. "Hat das nicht noch etwas Zeit?" - "Nein, es ist wichtig."
- "OK. Schieß los." Efin schluckte leicht. "Es gibt da etwas, was
du wissen solltest..." Efin wurde unterbrochen, als ein Raunen durch die
Menge lief. Die Köpfe der Anwesenden wandten sich nach oben. 'Nicht
jetzt, bitte noch nicht jetzt,' dachte Efin, doch vergebens. Auch Karl
blickte nun nach oben und Efin konnte sehen, wie sich sein Gesichtsausdruck
versteinerte.
Drei große Schatten verdunkelten kurzzeitig
den Himmel, ehe sie immer tiefer sanken und die Umrisse schärfer wurden.
Als sie landeten, hörte Efin Karl aufstöhnen. "Das ist doch nicht
euer Ernst, oder?" Karl sah Efin mit einem Blick an, so als wolle er das
Gesehene nicht wahr haben. Doch Efin nickte nur. Er war bekümmert,
er hätte Karl vorher darauf vorbereiten sollen. Jetzt war es natürlich
zu spät.
Auf dem Platz waren drei Reitdrachen gelandet.
Sie waren ziemlich groß, so dass sie mehreren Personen Platz boten.
Karl sollte mit Efin auf den ersten Drachen aufsteigen. Mit einem Seufzen
fügte sich Karl seinem Schicksal, vorher warf er aber Efin noch einen
bösen Blick zu.
Umständlich und mit vielen Hilfestellungen
gelang es ihm auf den Drachenrücken zu steigen und sich auf dem Sattel
niederzulassen. Efin und der 'Pilot' des Drachen banden ihn am Sattel fest,
damit er nicht runterfiel, wie es hieß. Karl wurde extrem mulmig,
doch er beruhigte sich etwas, als er bemerkte, dass Efin hinter ihm Platz
nahm. "Es gibt noch etwas, was du wissen solltest..." Efin wurde erneut
unterbrochen, als die Drachen abhoben und sie durch ihr eigenes Gewicht
in die Sättel gepresst wurden. "Noch mehr Überraschungen?!" Karl
vermied es den Kopf zu drehen, denn er fand, dass sie sich nach seiner
Ansicht viel zu hoch über dem Boden befanden. Sehr, sehr viel zu hoch.
Efin konnte Karl keine Antwort geben, da der Flugwind ihm jedes Wort von
den Lippen riss, bevor es Karl erreichte.
Ein scharfer Wind pfiff ihnen durchs Gesicht
und trieb die Tränen in die Augen. Efin spürte, wie Karl völlig
verkrampft in dem Sattel saß, doch er konnte seinem Partner keine
beruhigenden Worte zukommen lassen. So begnügte er sich damit seine
Hände um Karls Oberkörper zu legen. Er spürte, wie Karl
sich langsam unter seiner Umarmung entspannte. Ein zufriedenes Lächeln
legte sich auf sein Gesicht.
Der Flug dauerte einige Zeit an. Jetzt, da
sie die Stadt verlassen hatten und die hohen Häuser mit ihren seltsamen
Anbauten und Auswüchsen hinter ihnen zurückgeblieben waren, wurde
Karl sich zum ersten mal bewusst, dass es hier nicht nur eine Sonne gab.
Zwischen den Häusern hatte er immer nur die große gesehen. Die
beiden standen sehr weit auseinander. Die, die am weitesten am Himmel stand,
war heller, als die andere, die grade am auf- oder untergehen war, und
eher Ähnlichkeiten mit einem blauen Zwergstern hatte. Der Himmel war
hier nicht gänzlich blau, sondern hatte einen stärkeren Grünstich.
Auch die Landschaft unter ihnen hatte sich verändert. Weite Ebenen
zogen sich dahin, Wälder, Wiesen und einige Hügellandschaften
wechselten einander ab. Auch konnte Karl einen Fluss erkennen, und etwas,
was nach einer Straße aussah, und schnurgerade am Horizont verschwand.
Einzelne Bauernhöfe und Felder durchbrachen in Abständen das
grüne Feld der Bäume und Wiesen.
Nach einiger Zeit konnte Efin das Ziel ihrer
Reise in der Ferne ausmachen. Der Fluss war inzwischen in ein Meer gemündet,
das sich nun lang und grün-gelb unter ihnen dahinzog. Noch war es
erst ein einzelner Turm, dessen Spitze sichtbar wurde, aber Efin wusste,
dass da in ein paar Minuten noch viel mehr zu sehen sein würde. Er
tippte auf Karls Schulter und deutete in die entsprechende Richtung. "Unser
Ziel!" brüllte er. Karl nickte. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte
er den Turm anzuvisieren und abzuschätzen, wie lange sich noch unterwegs
waren. Karl sagte es Efin nicht, aber ihm wurde langsam übel. Diese
Art der Fliegerei war wirklich nichts für ihn.
-
Die Drachen setzten Karl und Efin in der Nähe
von Efins Zuhause ab. Karl war froh, endlich wieder festen Boden unter
den Füßen zu haben. Ihm war immer noch etwas schlecht. Er war
erleichtert darüber, dass sie endlich dieses ganze Zeremoniell beim
Obersten hinter sich gebracht hatten. Der hatte vielleicht eine komische
Art gehabt. So ganz wohl hatte sich Karl nicht gefühlt, ihm war die
ganze Sache fast wie bei einem Verhör vorgekommen. Wenn das jedem
Besucher so wiederfuhr, der hier vorbeischaute, wurde ihm langsam klar,
warum er der erste war, der seit langem mal vorbeischaute.
Karl bemerkte, dass Efin, je näher sie
dessen Elternhaus kamen, immer langsamer ging. Ihm fiel wieder ein, dass
Frau Haber von einer Hochzeit geredet hatte und er wendete sich Efin zu.
"Was hat deine Mutter eigentlich mit der Hochzeit gemeint?" Efin wirkte
verlegen als er antwortete: "Hier ist es so, dass Kinder verschiedener
Familien kurz nach ihrer Geburt verlobt werden. Sie sehen sich bis zu ihrer
Hochzeit dann nicht mehr." - "Du hast eine Verlobte?" Efin ließ den
Kopf hängen. "Ja." - "Hast du nicht versucht, diese Verlobung rückgängig
zu machen?" Efin schüttelte traurig den Kopf. "Selbst wenn ich zu
dem Zeitpunkt gewollt hätte, wäre es unmöglich gewesen.
Es wäre gegen die Tradition." - "Und was passierte dann?" Efin sah
Karl traurig an. "Ich bemerkte, dass mir etwas fehlte und ich wusste nicht
was. Um meiner Hochzeit zu entgehen meldete ich mich zum Forschungsteam."
- "So kamst du also auf unsere Welt." - "Ja, und dort habe ich dich dann
kennen gelernt und plötzlich wusste ich, was mir gefehlt hatte, und
ich wusste, dass ich nicht mehr nach Hause zurückkehren konnte. Denn
es wäre einem Traditionsbruch gleichgekommen." "Aber du bist doch
hier." - " Ja, und ich befürchte, dass es ein großer Fehler
war." - "Warum hast du deinen Eltern nicht von unserer Beziehung erzählt?"
Efin ließ den Kopf hängen. "Ich wollte meine Mutter nicht enttäuschen...
denke ich zumindest." - "Ich finde, du solltest es jetzt richtig stellen,
bevor die mit den Hochzeitsvorbereitungen fertig sind." - "Meinst du wirklich?"
Mit Hoffen und Bangen sah Efin Karl an. Dieser grinste. "Klar doch, und
ich werde dir dabei helfen." Karl fasste Efin an der Hand. "Los jetzt.
Es bringt nichts noch länger zu warten." Karl nickte Efin aufmunternd
zu. "Wir packen das schon."
Vor Efins Haus hatten sich ein paar Leute
eingefunden, die auf Efins Rückkehr ganz offensichtlich gewartet hatten,
denn sie bereiteten den beiden einen feuchtfröhlichen Empfang. Karl
spürte, dass Efins Unsicherheit wieder wuchs und drückte aufmunternd
seine Hand. Dankbar sah Efin ihn an.
Dann kamen sie an die entscheidende Stelle.
Efin verharrte vor dem Eingang, in der einen Hand den Türgriff und
mit der anderen klammerte er sich schon fast an Karl. Er musste sich selbst
zwingen einzutreten. Von innen konnte er Stimmen hören. Es waren drei,
was ihn erneut kurz zögern ließ. Doch dann öffnete Efin
die Tür und trat mit Karl ein. Augenblicklich verstummten alle Gespräche
im Raum und mehrere Augenpaare richteten sich auf die Neuankömmlinge.
Irgendwie war Karl bei der ganzen Sache doch Unwohl, doch jetzt konnten
sie eh nicht mehr zurück. "So früh schon zurück? Ich dachte..."
- "Bitte, Mutter, setz dich. " - "Efin mein Kleiner, was ist denn, du bist
ja ganz blass. Du wirst dir doch keine Erkältung geholt haben?" -
"Mutter, hör mir nur bitte einen Moment zu..." - "Eine Erkältung
so kurz vor der Hochzeit, was wird nur deine Braut dazu sagen?" - "Wegen
meiner Hochzeit möchte ich ja grade mit dir reden." - "Du brauchst
keine Angst davor zu haben, dein Vater, deine Schwester und ich haben dafür
gesorgt, dass es euch an nichts fehlen wird. Dein Kollege ist übrigens
auch recht herzlich eingeladen." Über Karls Rücken verlief eine
Gänsehaut. "Mutter," Efin schluckte sichtlich: "Ich möchte diese
Heirat nicht, denn ich bin schon mit Karl zusammen." Jetzt war es raus
und mit einem Mal herrschte Totenstille im Raum. "Er ist doch dein Arbeitskollege,
oder?" kam die vorsichtige Frage von Frau Haber. "Er ist mehr als das,
er ist derjenige, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will."
Karl sah, wie Efins Mutter Tränen ins Gesicht stiegen und sie tat
ihm auf einmal leid. Was für ein Schock Efins Offenbarung wohl für
sie gewesen sein musste.
"Hast du dir diesen Schritt auch wirklich
gut überlegt?" mischte sich jetzt auch sein Vater ein, während
er näher trat und seiner Frau tröstend die Hände auf die
Schultern legte. Seine Schwester stand stumm in der dunkelsten Ecke des
Raumes, in die sie sich nach Efins Worten begeben hatte. Karl meinte ein
leises Schluchzen von dort zu hören. Efin nickte nur. Er war nicht
mehr in der Lage noch ein Wort zu sagen. "Dann lasst uns jetzt bitte einen
Moment allein. Wir haben etwas zu bereden." So wurden Karl und Efin erst
mal vor die Tür gesetzt. Überraschenderweise hatte sich der Pulk
von Leuten, die ihnen eben noch einen freundlichen Empfang beschert hatten,
zerstreut. Draußen wirke Efin ziemlich erleichtert, obgleich sich
in seinen Augen noch so etwas wie Unsicherheit und Schuldbewusstsein widerspiegelte.
"Was ist denn los?" fragte Karl Efin, als er sich dessen Blick bewusst
wurde. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee gewesen ist. Mutter
musste in letzter Zeit ziemlich viel aushalten und jetzt weiß ich
nicht, ob sie mein Geständnis verkraftet." - "Nach meinem ersten Eindruck
ist deine Mutter eine sehr willensstarke Person. Wenn wir ihr etwas Zeit
geben, wird sie sicher damit zurechtkommen." Karl merkte wie seine Worte
Efin wieder etwas beruhigten. Als nächstes wurde er sich einer Bewegung
bei seiner rechten Hand bewusst. Als er herabblickte sah er Efins Hand.
Er ergriff sie, dann schwiegen beide und warteten.
Die Sonne war bereits untergegangen, als die
Tür zu Efins Haus wieder geöffnet wurde. Die beiden sahen zur
Tür. Dort stand Efins Schwester. Sie hatte leicht gerötete Augen
und wechselte nun mit einigen anderen Leuten Worte um sie dann fortzuschicken.
"Ihr sollt wieder reinkommen," meinte sie nur knapp und verschwand wieder
im Inneren des Hauses. Karl und Efin folgten ihr durch die offene Tür.
Drinnen herrschte diesige Dunkelheit. Jemand
hatte alle Fenster verhangen. Nur noch der brennende Kamin und Kerzen,
die im Raum verteilt waren, spendeten Licht. Karl merkte wie sich Efin
neben ihm verkrampfte. Was hatte das zu bedeuten? Unsicher ließ er
seinen Blick zu Efin schweifen. Dessen Gesicht hatte jegliche Farbe verloren
und sein Atem ging schwer. Karl war entsetzt, denn er konnte sich keinen
Reim auf die Dinge machen, die da grade passierten. Eine innere Stimme
riet ihm diesen Raum umgehend zu verlassen, doch Efins Hände klammerten
sich an seiner rechten Hand so fest, dass es schon wieder weh tat. "Was
ist los," wollte Karl von Efin erfahren, doch er wurde unterbrochen. "Schweig
still und unterbrich die Zeremonie nicht!" - 'Was für eine Zeremonie?'
fragte sich Karl in Gedanken, blieb aber stumm. Leises Singsang erfüllte
den Raum. Karl hatte ein äußerst ungutes Gefühl bei der
Sache.
Er wusste nicht wann, aber irgendwann musste
er das Bewusstsein verloren haben, denn als er erwachte, fand er sich in
einem fremden Bett, in einem fremden Zimmer wieder. Verwirrt richtete er
sich auf. Als im Effekt daraus die Decke verrutschte und kühle Luft
an seiner Brust vorbeiwehte, bemerkte er erst, dass er vollkommen nackt
war. In Panik sah er sich im Raum um, konnte seine Kleidung jedoch nirgendwo
ausmachen. Ausgerechnet klopfte jetzt auch noch einer an die Tür und
trat dann ohne zu zögern ein. Hastig zog Karl die Decke bis zum Kinn
hoch, als er Efins Schwester erkannte. Diese sah ihn ziemlich belustigt
an. Karl errötete leicht. Ihm war die Sache doch etwas peinlich. "Auch
schon wach? Zieh dir was an, du wirst bereits erwartet." Sie warf Karl
seine Sachen aufs Bett und verschwand wieder. Zu seiner Überraschung
musste er feststellen, das diese Sachen seine eigenen waren. Sie waren
gewaschen und gebügelt worden. Hastig zog er sich an. Was war letzte
Nacht nur passiert? Ihm fehlte jegliche Erinnerung. Zögernd öffnete
er die Tür. Dahinter erstreckte sich ein langer Gang, der in einer
Treppe endete. Von unten her konnte Karl Stimmen hören, was ihn im
ersten Moment innehalten ließ. Langsam, darauf bedacht so wenig Lärm
wie möglich zu machen, stieg er die Stufen hinab. Die Stimmen waren
hitzig am diskutieren, doch dann verstummten sie und die Tür wurde
geöffnet. Karl wich einige Stufen nach oben zurück. Efin trat
aus der Tür. Er hatte Karl wohl nicht bemerkt, denn er wandte sich
Richtung Tür und schickte sich an das Haus zu verlassen. Er wirkte
auf Karl unnatürlich blass und sein Gang war schwankend. Hastig überwand
er die restlichen Stufen und schloss zu Efin auf. Als er seinem Partner
die Hand auf die Schulter legte, bemerkte er erst, dass diese bebte. Mit
sanfter Gewalt drehte er Efin zu sich um. Der Anblick schockierte ihn.
Tränen liefen über das Gesicht seines Partners. "Was ist passiert",
wollte Karl von ihm wissen, doch Efin schüttelte nur den Kopf und
blieb stumm. "Bitte lass mir etwas Zeit." Efin entwand sich aus Karls Griff,
schlüpfte durch die Tür und schloss sie hinter sich. Karl wollte
hinterher, doch die Stimme von Herrn Haber ließ ihn innehalten. "Wie
ich sehe, sind sie endlich aufgewacht." Karl drehte sich um. "Dürfte
ich sie zu uns bitten, sie haben doch sicher Hunger."
Als Karl durch die Tür trat, bemerkte
er, dass sich scheinbar alle anderen Mitglieder der Familie in der kleinen
Küche versammelt hatten. Sie saßen am Küchentisch, auf
dem ein reichhaltiges Frühstück stand. Karl wurde zu einem freien
Stuhl gelotst und setzte sich nieder. Die Tochter bot ihm Brot an, und
es endete damit, dass er von allen Seiten bemuttert wurde. Sie drängten
ihm das Essen zwar nicht auf, aber sie achteten schon darauf, was Karl
so aß. Irgendwie fühlte sich Karl bei der ganzen Sache äußerst
unwohl und beobachtet und er war froh als er das Frühstück beendet
hatte und sich mit einigen Worten des Dankes verabschieden konnte. Er kehrte
nicht in das Zimmer zurück, sondern verließ das Haus. Zu seiner
Enttäuschung musste er feststellen, dass Efin nicht vor dem Haus war.
Karl folgte dem Weg, bis er auf ein großes Plateau trat. In drei
Richtungen fielen die Felsenwände nach unten ab und Karl fand keine
Möglichkeit hinabzusteigen. Als sie am Vortag mit dem Drachen hier
angekommen waren, hatte er zu sehr mit seiner Übelkeit zu kämpfen
gehabt, als dass er bemerkt hatte, dass man diesen Ort nicht zu Fuß
verlassen konnte. Etwas verstimmt wegen dieser Erkenntnis ließ er
sich auf einem Stein nieder, der etwas abseits stand. Von dort aus hatte
man einen guten Ausblick auf die weitere Umgebung. Unter ihm, in den Tälern,
zog fädriger Nebel dahin. Wege, Bäume, Äcker und kleine
Gehöfte bestimmten das Landschaftsbild. In der Ferne meinte Karl einen
kleine See zu erkennen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Karl zwinkerte,
hatte er was im Auge, oder warum sah er zwei Sonnen. Gestern war ihm das
überhaupt nicht aufgefallen.
Karl rutschte den Stein hinab, und nutzte
ihn als Rückenlehne. Er schloss die Augen. Irgendwie war das ganze
doch etwas zuviel für ihn. Obwohl er es nicht öffentlich eingestehen
würde, aber er sehnte sich plötzlich danach im Büro zu sitzen
und einfach nur seinen Job zu machen.
Karl erwachte, als ein Schatten über
sein Gesicht fiel. Langsam öffnete er die Augen. "Efin?" Der Schatten,
der über ihm hing, fing an zu lachen. "Nicht ganz." Karl kniff die
Augen zusammen um gegen das Sonnenlicht besser sehen zu können, es
war Efins Schwester. "Wo ist er?" - "Er wird wiederkommen, wenn die Zeit
gekommen ist." - "Was meinst du damit?" - "Du wirst es begreifen, wenn
die Zeit gekommen ist." - "Was soll das heißen?" - "Du wirst es erfahre,
wenn..." - "Lass mich raten, wenn die Zeit gekommen ist." Efins Schwester
nickte. Karl stöhnte. Das hatte ihm jetzt noch gefehlt. Rätselspiele.
Sein Gesichtsausdruck brachte Efins Schwester zum Lachen. "Ich heiße
übrigens Chiriko. Nenn mich ruhig Chi." - "Ein exotischer Name." Chi
zuckte mit den Schultern. "Ich habe ihn gehört, und er hat mir gefallen.
Da hab ich ihn angenommen." Karl verstand nicht und Chi fing wieder an
leicht zu lachen. "Ich sehe schon, Efin hat dir nicht sonderlich viel von
uns erzählt. Nun ich glaube, das kann man ändern." Chi half Karl
auf die Beine. "Am besten fangen wir damit an, dass ich dir mal unser Land
zeige." Karl sah sie fragend an. "Efin hat mir erzählt, dass du nicht
fliegen kannst und da dir offensichtlich der Ritt auf einem Drachen nicht
so recht bekommt..." Karl wurde schon flau im Magen, wenn er nur an den
gestrigen Tag dachte. "...ist das wohl die beste Alternative." Chi ging
zu der einzigen Felswand, die auf dem Weg zum Haus bestand. Was sie genau
dort tat, konnte Karl von seiner Position aus nicht sehen. "Du kannst den
Aufzug nehmen." - 'Welcher Aufzug?' Karl trat zu Chi. Ein Stück der
Wand war zur Seite geglitten und enthüllte einen Schacht, der senkrecht
nach unten führte. Wo war die Kabine? "Einfach nur reingehen." Chi
gab Karl einen Schubs, dass dieser in den Schacht stolperte. Er hatte sich
schon darauf vorbereitet hinab zu stürzen, doch zu seiner Verwunderung
verharrte er in der Luft. Er war froh, dass Chi sein Gesicht jetzt nicht
sehen konnte. Eher unbewusst riskierte er einen Blick nach unten und bereute
es sofort. Er stand im Nichts und der Boden des Schachtes war nicht zu
sehen. Chi war unbemerkt neben ihn getreten und grinste leicht. "Wir benutzen
den Aufzug nur selten", meinte sie salopp und im nächsten Moment glaubte
Karl zu wissen warum. Er konnte sich einen Schrei nicht unterdrücken,
als er den Schacht, nach seinem Empfinden ungebremst hinabstürzte.
'Wollen die mich umbringen?' dachte er nur, als der Boden in einem Affenzahn
auf ihn zukam. Doch da bemerkte er, dass sein Fall stetig langsamer wurde,
bis er schließlich langsam mit seinen Füßen auf dem Boden
aufsetzte. Doch so recht wollte sein Stehvermögen nicht mehr. Seine
Beine schienen aus Gummi zu bestehen, so dass er sich an der Wand festhalten
musste. "Was war denn das?" Karl gelang es nicht das Zittern aus seiner
Stimme zu verbannen. "Nur unser Lift, den wir dann benutzen, wenn einer
von uns verletzt ist." - "Du wirst mir sicher nicht verraten, wie er funktioniert?"
- "Das wäre zu kompliziert." - "Dachte ich mir schon." Karl war nicht
sehr begeistert über diese Antwort. Wenigstens fühlte er sich
in soweit besser, dass er wieder normal stehen konnte. Trotzdem verließ
er diesen 'Lift' nur mit langsamen Schritten.
Ein längerer Gang führte sie in
eine Stallung. Wenigstens sahen die Tiere, die da in den Boxen standen,
wie Pferde aus. "Ich hoffe du kannst wenigstens reiten." Chi ging zu der
hinteren Wand und nahm zwei Sättel von den Haken. Einen drückte
sie Karl in die Hand,und zeigte zu einem der Boxen. "Nimm am besten Wirbelwind.
Er ist der zahmste von allen." Karl stöhnte leicht. Das hatte ihm
grade noch gefehlt. Er war ja schon froh gewesen bei der Ausbildung im
Polizeidienst nicht bei der Reiterstaffel zur Probe gelandet zu sein und
außerdem hatte er noch nie zuvor auf einem Pferd gesessen. Irgendwie
wurde ihm wieder flau im Magen.
So stand er immer noch vor der Box, als Chi
mit ihrem Pferd aus einer anderen heraustrat. Sie grinste leicht, drückte
ihm die Zügel ihres Pferdes in die Hand und nahm ihm den Sattel ab.
"Halt mal Tsunami. Ich mache Wirbelwind für dich fertig." Chi verschwand
in der Box und trat einige Minuten später mit dem gesattelten Pferd
heraus. Sie nahm Karl die Zügel von Tsunami aus der Hand und sah ihn
herausfordernd an. "Na dann sitz mal auf." Karl sah sie entgeistert an,
so dass Chi erneut grinste. "Wohl auch noch nie auf einem Pferd gesessen,
oder?" Langsam wurde es Karl doch etwas zuviel. Er schlidderte hier von
einer Peinlichkeit in die Nächste. "Versuchs mal da drüben."
Chi deutete auf eine kleine Erhöhung im Boden. "Ich warte mit Tsunami
draußen." Sie führte Tsunami zum Tor und öffnete es. Dann
angelte sie nach dem Steigbügel und schwang sich elegant in den Sattel.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Karl
den Stall verließ. Er saß ziemlich wacklig im Sattel, versuchte
dieses aber zu verbergen. Warum gab es hier eigentlich keine Autos, dachte
er bei sich. Chi war mit Tsunami auf dem Pfad, der von dem Stall wegführte,
schon etwas vorgeritten, und kehrte nun zu Karl zurück. Sie zog Karl
nicht damit auf, dass er völlig falsch im Sattel saß. Manchmal
war ausprobieren die beste Möglichkeit etwas zu lernen. Er würde
es schon merken, was er falsch machte. Chi ritt erst etwas voraus und ließ
sich dann zu Karl zurückfallen. "Wenn es dir nichts ausmacht, wüsste
ich gerne mal, was Efin dir über uns erzählt hat." Karl zuckte
mit den Schultern. "Eigentlich gar nichts." Chi verdrehte die Augen. "Das
sieht ihm mal wieder ähnlich. Große Geheimnisse um alles machen
müssen. Na, wie wär´s? Ist das Interesse da, etwas mehr
über uns zu erfahren?" Natürlich wollte Karl mehr wissen und
so fing Chi an zu erzählen, während sie weiter dahinritten. "Zum
besseren Verständnis fange ich wohl in der Geschichte an. Ich habe
gehört, dass du inzwischen weißt, dass Efin Flügel hat."
Chi blickte Karl an, der leicht nickte. "Gut. Nun solltest du vielleicht
wissen, dass das nicht bei jedem von uns der Fall ist." Chi erntete damit
einen unverständlichen Blick von Karl. Sie fuhr fort, ohne darauf
zu achten. "Es gibt drei große Gruppen in unserer Zivilisation. Ursprünglich
waren sie voneinander getrennt, und entwickelten sich deshalb auch völlig
unterschiedlich. Nur um es einmal grob zu umreißen," Chi hob die
linke Hand, "da gibt es die, ihr würdet sie wohl Aquaner nennen, sie
leben in den Ozeanen. Sie sind, was das Technische betrifft, das wohl am
weitesten fortgeschrittene Volk. Die Botanen, sie versorgen uns mit Erzen
und betreiben die Land- und Viehwirtschaft, haben aber mit der Technik
nicht sonderlich viel am Hut. Außer wenn es darum geht Anbaumaßnahmen
und Erwirtschaftung zu maximieren, da sind sie absolute Meister. Und dann
gibt es da noch die Skyner. Das ist die Gruppe, zu der wir gehören.
Wir sind die Flieger und haben die Lufthoheit. Wir stellen den Transport
von Gütern und den anderen Gruppenmitgliedern sicher. Früher
hatten wir auch noch andere Aufgaben, die weitaus weniger angenehm waren
und ich bin froh, dass diese nicht mehr existieren." – "Was denn?" Karl
blickte Chi an. Diese hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen.
Sie dachte wohl nicht sehr gerne daran. Er hätte sich am liebsten
auf die Zunge gebissen, das hatte er mit seiner Frage nicht erreichen wollen.
"Vor dem großen Knall haben unsere Gruppen gegeneinander einen Krieg
nach dem nächsten geführt. Viele von uns wurden getötet
und mehr als einmal stand eine Gruppe kurz vor ihrer Auslöschung.
Doch dann kam der große Knall. Wir wissen nicht was es war, doch
sehr viele von uns starben. Die wenigen Überlebenden der einzelnen
Gruppen unterzeichneten einen Friedensvertrag, in dem sie ihre Fähigkeiten
und Techniken den anderen zum Wiederaufbau zur Verfügung stellten
um ein geeintes Volk entstehen zu lassen. Einzelne kleine Sachen, wie zum
Beispiel Bräuche oder so blieben erhalten, doch sie wurden so angepasst,
das keiner der anderen Gruppen sich in irgend einer Weise dadurch provoziert
fühlen konnte. Seitdem herrscht Frieden auf dieser Welt." - "Ihr habt
keine Kriege mehr?" Karl konnte das ganze nicht so recht glauben. "Ja.
Seit nunmehr 200 Jahren hat es nicht ein Kriegsopfer gegeben." - "Wirklich
unglaublich." Karl schüttelte den Kopf.
Schweigend ritten sie einige Zeit nebeneinander
her. "Dann ist dieser Lift also von den Aquanern?" Chi grinste. "Nicht
nur der, auch die Transportstation und noch diverse andere Dinge."
Karl war froh, als er wieder vom Pferd herunterkonnte.
Es war mehr ein abrutschen, als ein absteigen. Jeder Knochen im Leib schien
ihm wehzutun. Mit Neid sah er, wie sich Chi von ihrem Pferd schwang. Nachdem
sie die Pferde abgetrocknet und getränkt hatten, führten sie
diese in ihre Boxen zurück. Steifbeinig wankte Karl hinter Chi her,
als sie zum Aufzug ging. Unsicher sah er Chi an, als sie wieder auf dem
Grund des Schachtes standen. "Aufwärts", sagte sie nur, und im nächsten
Moment landete Karl auf dem Hosenboden während er mit einem Affenzahn
nach oben sauste. "Entschuldige. Ich hätte dich vor der Beschleunigung
warnen sollen." Chi half Karl auf, der sich den jetzt noch mehr schmerzenden
Hintern rieb.
Als sie in das Esszimmer des Hauses betraten,
musste Karl zu seinem Bedauern feststellen, dass Efin nicht anwesend war.
Als er nach ihm fragte, teilte man ihm mit, dass er zu einer dringenden
Sache ins Nachbardorf gerufen worden war. Er würde aber wohl aller
Voraussicht nach am späten Abend zurückkehren. Karl begnügte
sich mit dieser Antwort und aß mit den Habers zu Abend.
Karl kehrte in das Zimmer zurück, in
dem er am Morgen genächtigt hatte. Paul hatte ihm erklärt, dass
er auch weiterhin im Gästezimmer schlafen konnte. Karl wollte nicht
unverschämt erscheinen und Efins Mutter noch etwas Zeit geben. Darum
verzichtete er darauf zu fragen, ob er ab heute zusammen mit Efin ein Zimmer
teilen könne. Auf dem Bett lag ein Schlafanzug und ein Bademantel.
Die Dinge passten wie angegossen und sie rochen nach Efin.
Karl hatte sich grade ins Bett gelegt, als
es an der Tür klopfte. "Herein." Zu Karls Enttäuschung war es
nicht Efin, sondern Chi. Sie schaute nur kurz hinein. "Ich soll nur ausrichten,
dass Efin heute Abend nicht mehr zurückkehren kann. Trotzdem noch
eine gute Nacht." Bevor Karl ihr ebenfalls eine gute Nacht wünschen
konnte, hatte sie die Tür wieder geschlossen. Karl ließ seinen
Kopf auf das Kissen zurücksinken. Er starrte an die Decke.
Karl hatte schlecht geschlafen. Zum einen,
weil er sich in einer völlig fremden Umgebung befand und zum anderen,
weil Efin nicht bei ihm geschlafen hatte. Irgend jemand war heute oder
gestern wo er wohl etwas geschlafen hatte im Zimmer gewesen. Neue Sachen
lagen auf dem Zimmerstuhl beim Bett. Sie schienen ebenfalls von Efin zu
stammen.
Am Frühstückstisch erwartete ihn
eine neue, doch etwas unangenehme, Überraschung auf ihn. Niemand außer
Chi war anwesend. Die Familie sei einkaufen, unterrichtete sie ihn. Sie
hätten den ganzen Vormittag Zeit. Chi fragte, ob Karl noch einmal
Lust auf einen Ausritt hatte, doch dieser lehnte möglichst taktvoll
ab und versuchte das Thema zu wechseln. Er hatte noch genügend Muskelkater
von gestern. Das schien Chi zu bemerken und obwohl Karl ihr diese Sache
nicht zeigen wollte, fand er sich wenig später und ohne so recht sein
Einverständnis gegeben zu haben, auf einer Bank wieder und Chi verpasste
ihm eine Massage. Am Anfang versuchte Karl sich noch zu wehren, doch sein
Widerstand nahm rapide ab, als er spürte wie gut sie ihm doch tat.
Irgendwann schlief er dann ein und erwachte, als ihm ein verführerischer
Duft in die Nase stieg. Jemand hatte ihm eine Decke übergelegt. Hastig
zog Karl sein Hemd wieder an und schlenderte zur Küche hinüber.
Als er von dort Stimmen von mehreren Leuten
hörte beschleunigte er seine Schritte. Offensichtlich waren die anderen
vom Einkaufen zurück. Voller Vorfreude, Efin wiederzusehen, öffnete
Karl schwungvoll die Tür, nur um sich enttäuscht umzusehen. In
der Tat waren die anderen vom Einkaufen zurück. Aber Efin war nicht
bei ihnen. Enttäuscht wollte Karl sich abwenden, aber Chi hatte ihn
gesehen. Sie rief Karl zu, dass er draußen auf sie warten sollte.
Dieser wollte nicht unhöflich sein und folgte der Aufforderung.
Etwa fünf Minuten später, grade
als Karl wieder gehen wollte, kam sie aus der Küche. Sie gab ihm einen
Wink ihr zu folgen. Karl war überrascht, als er Chis Zimmer zum ersten
Mal betrat. Eigentlich hätte er einen solchen Anblick als normal empfinden
müssen, das brachte sein Job so mit sich, doch dieses Zimmer war auf
seine eigene Art anders. Doch Chi ließ ihm keine Zeit den Grund dafür
zu finden. Sie verschloss die Tür hinter ihnen, und irgendwie weckte
dies ein mulmiges Gefühl in Karl. Offenbar sah man es ihm an, denn
Chi begann zu lachen. "Es ist nicht so wie du denkst," brachte sie zwischen
zwei Schnaufern hervor: "Ich bin es nur langsam etwas Leid, immer nur dein
betrübtes Gesicht zu sehen, wenn du feststellst, dass Efin nicht bei
uns ist. Er hat einen Grund." Ihr Lachen war mittlerweile verstummt, und
sie sah ihn mit ernstem Blick an. "Dann erzähl ihn mir bitte." Karls
Stimme klang schon fast flehend, als Chi keine Anstalten machte weiterzuerzählen.
"Nur keine Panik. Setz dich erst mal." Chi zeigte auf den Stuhl, der in
ihrem Zimmer stand. Langsam ließ Karl sich darauf nieder. Chi lehnte
sich gegen eine Wand und sah ihn herausfordernd an. "Ich muss dich bitten,
dass du das, was ich dir jetzt gleich erzählen werde, nicht nach draußen
weitergibst. Ich würde ziemlichen Ärger bekommen und auch für
euch hätte es Konsequenzen." Karl nickte nur. Er wollte nun endlich
wissen, was da mit seinem Partner passierte. "Efin wird geprüft."
Chi wirkte jetzt ganz ernst. "Er muss sich einer Reihe von Prüfungen
unterziehen, die er ganz alleine durchstehen muss. Deshalb kannst und darfst
du ihn im Moment nicht sehen." - "Warum wird er geprüft? Und wie lange
soll das ganze noch dauern?" - "Den Grund darf ich dir im Moment noch nicht
nennen, aber warte noch zwei Tage. Dann wird sich entscheiden, was mit
euch geschehen wird." Karl fröstelte bei diesen Worten. "Was wäre,
wenn Efin die Tests nicht besteht?" - "Nun, in diesem Falle müsste
er hier bleiben und dürfte nie mehr in eure Welt zurückkehren."
Das war hart und verschlug Karl für den Moment die Sprache.
Als er kurz darauf Chis Zimmer wieder verließ
war er sehr schweigsam geworden. Er sagte auch nichts, als Efins Eltern
zum Mittagessen riefen. Stattdessen verbarrikadierte er sich für den
Rest des Tages in seinem Zimmer. Er musste nachdenken, dafür brauchte
er Ruhe.
Natürlich fiel Karls Schweigsamkeit auf
und so sprach Frau Haber ihn beim Abendessen darauf an. Karl entschuldigte
sich damit, dass er sich nicht gut fühle und gleich schlafen gehen
wolle. Sie sah ihn besorgt an.
Karl verließ die Küche und kehrte
auf sein Zimmer zurück. Er ließ sich auf das Bett fallen und
starrte die Decke an. Gerade als er die Augen geschlossen hatte, wurde
zaghaft an die Tür geklopft. Karl richtete sich wieder auf. "Herein."
Es war Frau Haber. Sie balancierte ein Tablett auf dem Arm. Hastig stand
Karl auf, um ihr das schwankende Ding abzunehmen. "Danke," meinte sie,
und ließ sich auf einem Stuhl nieder, während Karl erneut auf
dem Bett Platz nahm. Sie ergriff eine der beiden Tassen, die zusammen mit
einer Kanne auf dem Tablett gestanden hatte. Karl stellte das Tablett auf
den Boden bevor auch er nach der anderen Tasse griff. Ein würziger
Geruch stieg ihm entgegen. "Trink ruhig. Der Tee wird dir gut tun." Karl
nahm einen vorsichtigen Schluck. Der Tee schmeckte wirklich gut. "Geht
es dir auch wirklich gut?" Karl nickte. Er wollte Frau Haber nicht unnötig
beunruhigen. Sie musterte ihn kritisch und Karl fühlte sich unter
ihrem Blick leicht unwohl. "Ich meine es wirklich. Ich gehe heute einfach
mal etwas früher schlafen. Dann geht es mir morgen sicher wieder besser."
Karl versuchte ein Lächeln auf sein Gesicht zu legen und war froh
als dies die erhoffte Wirkung zu haben schien. Sie beruhigte sich etwas
und Karl gelang es sogar das Thema zu wechseln. So redeten sie noch einige
Zeit, bis Frau Haber beschloss selbst schlafen zu gehen. Karl hatte nun
auch wieder etwas mehr über Efins Heimat erfahren können. Die
Aquaner hatten ohne es zu ahnen, bei ihrem Forscherdrang vor Jahren ein
Tor erschaffen, was in eine andere Welt führte. Am Anfang hatten sie
nicht so recht gewusst, ob sie es erhalten oder zerstören sollten.
Nachdem man ein Treffen der Gruppen einberufen hatte, wurde beschlossen,
die Welt, die da hinter dem Tor lag, zu erkunden. Hierzu wurde eine Gruppe
von Freiwilligen hinübergeschickt, die eine Rückhol-Station erbauen
sollten, da der Weg im Moment nur in eine Richtung führte. Zuerst
wurde nach einem idealen Ort und dann nach Freiwilligen auf beiden Welten
gesucht. Eigentlich war es Efins Mutter unbegreiflich, wie sich ihr Sohn
für solch eine gefährliche Sache hatte melden können. Doch
sie war nun erleichtert, dass es ihm dabei so gut ging.
Karl hatte lange geschlafen. Er war erwacht,
als die große Sonne schon hoch am Himmel stand. Karl fühlte
sich ausgeruht und fast beschlich ihn der Eindruck, dass da vielleicht
etwas im Tee gewesen war.
Nachdem er sich angezogen hatte, ging er langsam
die Treppe zum Erdgeschoss hinab. In der Küche war niemand, ebenso
wenig im Wohnzimmer. Als Karl zögerlich gegen Chis Zimmertür
klopfte erfolgte ebenfalls keine Reaktion. Karl war offensichtlich wieder
allein. Etwas unschlüssig verharrte er im Flur und überlegte.
Dann ging er zur Tür und verließ das Haus. Mit schnellen Schritten
kehrte er zu dem Plateau zurück. Er ließ sich wieder am gleichen
Stein nieder und ließ seine Blicke über die Landschaft gleiten.
Obwohl Karl es öffentlich sicher nicht gesagt hätte, doch er
langweilte sich schier zu Tode. Viel lieber würde er jetzt etwas mit
Efin unternehmen. Er seufze und stand wieder auf. Karl hatte beschlossen,
jetzt mal auf eigene Faust los zu ziehen. Er tastete die Wand ab. Dieser
Öffnungsmechanismus für den Lift müsste doch zu finden sein.
Er brauchte trotzdem fast eine halbe Stunde,
bis er ihn fand. Was danach kam, war dann relativ simpel. Karl schwor sich
nur, dass er sich an das kontrollierte Fallen nie gewöhnen werden
würde. Er hatte jetzt die Möglichkeit zu reiten, entschied sich
aber mit einem schmerzhaften Gedanken an sein Hinterteil recht schnell
dagegen. Ein ordentlicher Spaziergang war ja auch nicht zu verachten. So
zog Karl einfach mal drauflos.
Am Anfang war das Gelände eben, doch
es bekam nach einiger Zeit einen sanften Anstieg. Auf dem Rücken der
Pferde hatte Karl das gar nicht so recht mitbekommen. Zu Fuß machte
es sich jedoch nach einiger Zeit bemerkbar. 'Du bist ganz schön aus
der Übung,' dachte Karl bei sich, als er nach einiger Zeit kurz innehalten
musste, um sich den Schweiß aus der Stirn zu wischen. Vor ihm gabelte
sich der Weg. Der linke führte an dem Wald entlang, während der
rechte Weg im Wald verschwand. Karl blieb einen Moment stehen, und überlegte,
wohin er sich wenden sollte. Sie waren mit den Pferden am Wald entlang
geritten, und so beschloss Karl nun den Wald zu Fuß zu erkunden.
Der Weg wurde immer schmaler, verzweigte sich
immer wieder und wurde schließlich zu einem besseren Trampelpfad,
der nach einiger Zeit in einer Wiese endete. Diese verbreiterte sich nach
einiger Zeit zu einer Lichtung, durch die ein Bach floss, der sich in der
Mitte zu einem kleinen See staute, bevor er seinen Weg fortsetzte. Bei
dem See blühten Blumen und Schmetterlinge flogen über die Wasseroberfläche.
Langsam ging Karl auf diese idyllische Landschaft zu. Er bemerkte den großen
Schatten erst im letzten Moment und warf sich in das Unterholz des nahen
Waldes. Dass seine Sachen dabei Schaden erlitten, war Karl in diesem Moment
egal. Er war von dem Anblick, der sich ihm auf der Lichtung bot, gefesselt.
Ein Drache und sein Reiter waren dort gelandet. Während der Drache
im See seinen Durst stillte, stieg der Reiter ab und gab einige Pfiffe
von sich. Dann ließ er sich auf dem Boden nieder und lehnte sich
gegen seinen Drachen. Karl hatte den Eindruck, dass er auf etwas oder jemanden
wartete.
Nach einiger Zeit kam jemand angeflogen, und
Karl musste sich ungeheuer beherrschen um nicht zurück auf die Lichtung
zu stürmen. Er hatte den Neuankömmling erkannt, doch ihm fielen
die Worte von Chi wieder ein. Ein Ast knackte unter seinen Füßen.
Sofort ruckte der Kopf des Drachen nach oben und sah in seine Richtung.
Auch der Reiter und der andere sahen zu Karl, der Hals über Kopf den
Rückzug in den Wald antrat.
Karl rannte blind durch die Gegend, bis er
auf eine kleinere Lichtung stieß. Dort ließ er sich ins Gras
fallen und starrte in den Himmel. Die Baumwipfel und die Wolken verschwammen
in Karls Blick.
Ein bohrendes Hungergefühl weckte Karl
aus seinem Schlaf. Als er die Augen aufschlug, sah er im ersten Moment
anstelle eines Bettes nur Gras. Karl richtete sich auf und sah sich um.
Er erschrak. Wie lange hatte er geschlafen? Die Vorboten der nahenden Dämmerung
zogen bereits über den Himmel. Karl sah sich um und fluchte. Er hatte
keine Ahnung von wo er gekommen war und wohin er sich wenden musste um
wieder aus dem Wald zu kommen. Die Schneise, durch die er vorher gekommen
war, war mittlerweile natürlich durch das wieder aufgerichtete Gras
verschwunden. Ziellos suchte er die Ränder der Lichtung nach irgend
einem Hinweis ab. Die Dämmerung schritt unterdes fort und bald sah
Karl nicht mehr genug um eine Suche weiter durchzuführen. Wenigstens
hatte er einige Büsche mit Beeren gefunden, die essbar waren, zumindest
bei Karl daheim.
Ein Schatten streifte über die Baumwipfel,
und als Karl nach oben sah vergas er alles und rief: "Efin! Ich bin hier."
Der Gerufene sah herab, machte aber keine Anstalten zu landen. Stattdessen
pfiff er durch die Zähne und verschwand dann aus Karls Blickfeld.
Im ersten Moment sah Karl ratlos in den Himmel und im nächsten Moment
wünschte er sich an einen ganz anderen Ort. Er wich bis an die Baumgrenze
zurück. Ungläubig blickte er nach oben, die hatten doch nicht
wirklich vor hier zu landen. Selbst Karl musste eingestehen, dass der Drache
auf dieser Lichtung nie und nimmer landen konnte. Die Lichtung war viel
zu klein. Dann geschah etwas, was Karl für sein Leben wohl nie wieder
vergessen würde.
Sie landeten wirklich nicht. Stattdessen griff
der Drache mit einer seiner Klauen nach Karl. Obwohl er dabei überaus
behutsam vorging war das Ganze schon ein Schock für Karl. So war er
überaus dankbar, als Efin plötzlich neben ihm auftauchte. "Mach
dir keine Sorgen. Sie bringen dich nach hause. Dir wird nichts passieren."
Bevor Karl etwas sagen konnte, war Efin schon wieder verschwunden. Hilflos
musste er mit ansehen, wie er wieder zu Efins Zuhause getragen wurde. Dort
war man in heller Aufregung. Alle Lichter im Haus brannten und man hatte
eiligst das Plateau beleuchtet, so dass der Drache auch richtig landen
konnte. Vorher setzte er aber Karl noch ab, der sofort von Chi in Empfang
genommen wurde. Sie musste ihn stützen, da seine Beine nur aus Pudding
zu bestehen schienen. Chi brachte ihn in sein Zimmer, während sich
Efins Eltern bei dem Reiter bedankten.
Schwer ließ sich Karl auf sein Bett
fallen, jetzt nachdem der erste Schreck verflogen war, bereute er sein
eigenmächtiges Tun. "Das war gefährlich. Der Wald ist nicht ohne
und dann noch allein... Sogar die Botanen meiden ihn." Chi sah Karl mit
strafendem Blick an. Karl sah zu Chi und überlegte, ob es nicht besser
sei nach Hause zurück zu kehren und erst zu Ende der Prüfung
wieder hier aufzutauchen. Er unterbreitete Chi den Vorschlag etwas ausgeschmückter,
doch diese blickte ihn nur entsetzt an. "Wenn du das tust, werdet ihr euch
nie wieder sehen. Denk doch mal nach!" Wütend verließ sie das
Zimmer und warf die Tür lautstark ins Schloss. Karl schaute betrübt
zu Boden. Irgendwie lief heute einfach alles schief. Er hatte Chi überhaupt
nicht verärgern wollen. Vielleicht sollte er hinuntergehen und sich
entschuldigen. Karl erhob sich und schritt zur Tür.
Er hörte Stimmen aus der Küche,
die sich stritten. Sie ließen Karl innehalten, die Hand zum Türgriff
ausgestreckt. Mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen und Chi stürmte
hinaus. Sie beachtete Karl überhaupt nicht und verschwand laut in
ihrem Zimmer. Kurz hinter ihr folgte die Mutter. Diese hielt jedoch inne,
als sie Karl sah. Ihr Gesichtsausdruck wechselte blitzschnell. Dann gab
sie ihm zu verstehen mit in die Küche zu kommen. Dort saß noch
Herr Haber, der mit ernster Miene vor sich hinblickte. Während Frau
Haber sich wieder an den Tisch setze, blieb Efin stehen. Er verschränkte
seine schwitzenden Finger hinter dem Rücken. Er wollte etwas sagen,
aber seine Stimme versagte. Karl räusperte sich. "Es tut mir leid..."
Schon wieder versagte Karls Stimme. Er verfluchte sich innerlich dafür.
Sonst fiel ihm das Reden doch nie so schwer. Es dauerte noch einige Zeit,
bis Karl wieder die Küche verließ. Er hatte sich mit den Eltern
ausgesprochen und hoffte, dass sie seine Entschuldigung akzeptierten. Als
er an Chis Tür klopfte erfolgte keine Reaktion, weshalb er beschloss
sie am nächsten Tag aufzusuchen.
Karl erwachte bei Sonnenaufgang. Er hatte in
der letzten Nacht schlecht geschlafen. Als er hörte, dass unten wohl
schon jemand auf war, zog er sich an und verließ das Zimmer.
In der Küche war Chi am Herd zugange.
Sie war allein. Karl klopfte gegen die Küchentür bevor er eintrat.
Chis Kopf ruckte beim Klopfzeichen herum, sie zeigte relativ wenig Begeisterung
als sie ihn sah. "Guten Morgen." Sie brummte etwas unverständliches
vor sich hin und griff nach einem Holzbrett. Als sie es wieder in Karls
Blickfeld schob lagen zwei Spiegeleier auf einem Brot darauf. Sie wies
Karl an Platz zu nehmen und stellte das Brettchen vor ihm ab. Dabei sagte
sie die ganze Zeit kein Wort. Das Frühstück verlief ebenso schweigend.
Chi saß einfach nur auf dem Stuhl und sah ihn die ganze Zeit an.
Karl schmeckte das Frühstück überhaupt
nicht, doch er hütete sich noch etwas zu sagen, was wohlmöglich
falsch verstanden werden konnte. Er war froh, als er fertig war und das
Messer weglegen konnte. Doch grade als er sich erheben wollte, brach Chi
endlich ihr Schweigen. "Was sollte diese Aktion gestern. Hatte ich nicht
gesagt, dass der Wald unberechenbare Gefahren beherbergt? Wenn etwas passiert
wäre, Efin hätte mir nie verziehen..." So ging das noch einige
Zeit weiter.
Chi machte Karl schwere Vorwürfe. Dieser
saß nur schweigend da und wartete auf eine Gelegenheit sich zu rechtfertigen.
Er fühlte sich so fehl am Platze und sehnte sich nach seinem Zuhause.
Doch die Prüfungen banden ihn an diesen Ort. Jetzt glaubte er auch
zu verstehen, warum bisher noch nie jemand aus seiner Welt hierüber
gekommen war.
Chis Predigt dauerte noch eine ganze Weile
an, und Karl musste hoch und heilig schwören so etwas nicht noch einmal
allein zu unternehmen. Dann schien jedoch das Thema für sie erledigt
zu sein. Sie ging sogar soweit, dass sie Karl zu einem Stadtbummel in die
nächste Stadt einladen wollte. Als Karl wissen wollte wie sie dorthin
gelangen sollten, grinste Chi ihn böse an. "Also wir hätten zur
Auswahl: Pferde..." Karl verzog das Gesicht. Chi grinste noch mehr. "...Drachen..."
Karl wurde kreideweiß, und Chi gelang es nicht ganz sich ein Lachen
zu verbeißen. "...oder..." Chi hielt inne. "Was?" Karl sah sie mit
einem Blick an, der schon fast an verzweifelte Hoffnung grenzte. "Wir nehmen
das Familienauto." Karl fiel fast die Kinnlade herunter. Die hatten auch
so etwas ganz normales wie ein Auto? Und niemand erzählte ihm davon!
Chi amüsierte sich scheinbar königlich und versuchte dies zu
verbergen indem sie hastig die Sachen von Karl abräumte.
Etwa eine halbe Stunde später saßen
sie im Auto. Karl hätte es sich auch denken können. Es war kein
Auto wie er es kannte. Die Fahrerkabine ließ es zwar aussehen wie
eines, aber es hatte keine Räder und bewegte sich auf einem Magnetfeld
davon. Angetrieben wurde es scheinbar mit Strom oder etwas ähnlichem,
jedenfalls konnte Karl keine Motorgeräusche hören. "Lass mich
raten, Aquaner-Technologie." Chi nickte. Nach dem Trampelpfad erreichten
sie eine Straße, auf der sie stark beschleunigten. Das Umland huschte
bald nur noch schemenhaft an ihnen vorbei und Karl wunderte sich schon,
wie Chi es schaffte bei dem Tempo überhaupt auf der Straße zu
bleiben, bis er sah, dass sie wohl eine Art Autopilot zugeschaltet hatte,
der das Fahren für sie übernahm, denn obwohl ihre Hände
auf dem Steuer ruhten, hatte sie ihre Augen geschlossen und döste
vor sich hin.
Die Stadt, in die sie fuhren war eigentlich
nur ein größeres Dorf. Auch hier wiesen die Häuser einen
ganz eigenen Baustil auf, auch wenn er nicht ganz so schlimm war, wie in
der Stadt, wo sie angekommen waren. Was wohl auch daran liegen konnte,
dass die Häuser nicht allzu hoch waren. Einige von ihnen wirkten sogar
recht altmodisch und die Häuser am Rand des Dorfes hatten sogar Ähnlichkeiten
mit alten Villen oder Gutshöfen. Obwohl es nur klein war, gab es eine
Einkaufsmeile und Karl merkte recht schnell warum Chi ihn zu diesem Trip
eingeladen hatte. Er durfte die Tüten halten, während sie shoppen
ging.
Das Mittagessen nahmen sie in einem Fast-Foot-Restaurant
ein. Karl stellte fest, dass diese sich scheinbar überhaupt nicht
von denen unterschied, die er von daheim kannte. Chi klärte ihn auf,
dass die auch tatsächlich erst entstanden waren, als man die ersten
Besuche auf Karls Welt gemacht hatte. Mittlerweile gab es auch hier ganze
Fast-Foot-Ketten. Karl verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen.
Ausgerechnet so etwas nahm sich Efins Volk von seinem zum Vorbild und eiferte
es nach. Scheinbar zufällig berührte Chi Karls Hand, der dadurch
aus seinen Gedanken gerissen wurde. Peinlich berührt zog Karl seine
vom Tisch herab. Irrte Chi sich oder wurde er kurzzeitig leicht rot im
Gesicht.
Sie beendeten ihr Essen schweigend. Auch während
der Rückfahrt wurde kaum gesprochen. Karl starrte aus dem Fenster
und sah der vorbeihuschenden Landschaft zu. Er half Chi noch beim Ausladen
des Autos.
Die Sachen verstaute sie in den Schränken,
während Karl wieder auf sein Zimmer zurückkehrte. Er zog sich
um und verließ das Haus erneut. Mit dem Aufzug fuhr er wieder hinab
ins Tal. Dort machte er sich wieder auf den Weg und lief etwas durch die
Gegend. Diesmal achtete er jedoch darauf sich nicht zu weit zu entfernen,
um die Habers nicht unnötig zu beunruhigen. Irgendwie musste er noch
diesen Tag durchstehen. Er freute sich auf heute Abend. Da sollte Efin
ja zurückkehren. Dann würde Chi vielleicht auch endlich aufhören
ihm die ganze Zeit schöne Augen zu machen. Irgendwie hatte er Skrupel
Chi direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte. Das
lag unter anderem halt auch daran, dass es Efins Schwester war. Karl seufzte.
Er blickte in den Himmel. Die zwei Sonnen ließen nur eine ungefähre
Einschätzung der Zeit zu. Er bereute es seine Uhr daheim gelassen
zu haben.
Ein Blitzen von der Spitze des Berges, wo
das Haus stand, ließ Karl den Blick nach oben heben. Jemand stand
auf dem Plateau. Wegen der Entfernung konnte Karl nicht genau erkennen,
um wen es sich handelte, doch als er winkte, erwiderte die Person die Handbewegung.
Karl setzte seinen Weg fort. In der Nähe des Berges befand sich ein
kleiner Bach, der sich durch die Wiese schlängelte. Da es immer noch
ziemlich warm war, suchte sich Karl erneut einen Stein und setzt sich damit
ans Ufer des Baches. Er starrte auf das fließende Wasser und bekam
nicht mit, wie er Gesellschaft erhielt. Erst als er leicht berührt
wurde, zuckte er zusammen und drehte seinen Kopf herum. Innerlich stöhnte
er leicht auf. Es war Chi. Sie hatte sich ebenfalls umgezogen, und die
neuen Klamotten waren luftiger, als die vom Vormittag. Merkte sie nicht,
dass Karl nichts mit ihr anfangen wollte? Chi ließ sich neben Karl
ins Gras fallen und griff wie durch Zufall nach Karls Hand. Dieser zog
sie zurück. Karl stand auf. Chi sah überrascht zu ihm hoch. "Warum
willst du schon wieder gehen. Es ist doch so schön hier." - "Schön
ja, aber mir ist etwas kühl, ich gehe mir lieber vorsorglich einen
Pullover holen." - "Warte, ich komme mit." Chi stand auf und trat neben
Karl, dem das ganze überhaut nicht recht war. Aber er ließ sich
nichts anmerken. Gemeinsam mit Chi kehrte er zum Haus zurück.
Er war sich der Blicke von Efins Eltern durchaus
bewusst, die sie entdeckten als sie aus dem Lift traten. Sofort versuchte
sich Chi bei ihm einzuhaken, was Karl mit einem geschickten Manöver
schon im Ansatz vereitelte. Das fehlte jetzt noch. Karl war froh als sie
das Haus erreichten und er sich in sein Zimmer verziehen konnte. Dort überlegte
er, wie er den Rest des Tages verbringen konnte, ohne Chi noch einmal über
den Weg zu laufen. Irgendwie war sie ihm auf einmal viel zu aufdringlich.
Da musste doch was dahinter stecken.
Während Karl auf seinem Bett saß
und nachdachte, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen.
Warum hatte er nicht schon früher daran gedacht. Was wäre, wenn
nicht nur Efin geprüft würde, sondern auch er. Warum hatte er
diese Option überhaupt nicht in Betracht gezogen? Karl fluchte lautlos.
Wie viel musste er in den letzten Tagen falsch gemacht haben? Es konnte
doch gut möglich sein, dass Chis derzeitiges Verhalten auch ein Test
darstellte. Karl stand auf und fing eine unruhige Wanderung durch das Zimmer
an. Er musste schleunigst einen Weg finden, wie er eventuelle Fehler ausbügeln
konnte und bei den Habers ein besseres Bild von sich hinterließ.
Karl setzte seine unruhige Wanderung fort, bis jemand an die Tür klopfte.
Im ersten Moment hörte er es nicht, zu tief war er noch in den eigenen
Gedanken versunken. Doch als die Tür geöffnet wurde hielt er
abrupt in seinem Lauf inne. Er sah zur Tür, in dessen Rahmen Chi stand.
Karl zuckte leicht zusammen. Er hatte wahrlich keine Lust auf eine weitere
Anmache. Zumal er ihr hier nicht entkommen konnte, außer er hatte
vor aus dem Fenster zu springen.
Doch zu Karls Überraschung machte Chi
gar keine Anstalten ihm näher zu kommen. Hatte sie es etwa endlich
gemerkt, dass Karl nichts mit ihr wollte? "Du sollst runterkommen." Ihre
Stimme klang kühl, aber nicht unfreundlich. Sie drehte sich um, und
ging die Treppe hinab. Die Tür hatte sie offen stehen lassen. Karl
trat langsam aus dem Zimmer heraus und stieg die Treppen ins Erdgeschoss
hinab. Er sah auf die Uhr, die im Flur stand. Es war doch schon kurz vor
18 Uhr. Karl hatte gar nicht mitbekommen, wie schnell der Nachmittag vorüber
gegangen war. Die Tür zur Küche war ebenfalls offen, und als
Karl hineinsah saßen dort die ganze Familie Haber außer Efin
am Tisch.
Herr Haber sah auf, als Karl in die Höhe
der Tür trat. Er winkte ihn ins Zimmer hinein. Karl sollte sich auf
dem Platz von Efin hinsetzen und schweigen. So saßen sie etwa eine
halbe Stunde da, bis Frau Haber sich erhob, den Kühlschrank öffnete
und das Abendessen auf den Tisch stellte. Auch während des Essens
wurde geschwiegen. Karl verstand nicht ganz, was das ganze sollte. Doch
er berief sich darauf, dass er immer noch nicht alle Riten und Sitten von
Efins Volk kannte.
Als sie fertig gegessen hatten, wollte Karl
Frau Haber beim Abräumen des Tisches helfen, doch sie deutete ihm
an sitzen zu bleiben. Als sie den Tisch geräumt hatte, nahm sie erneut
platz. Wieder warteten sie schweigend.
Plötzlich klopfte es an die Außentür.
Frau Haber stand auf und verließ die Küche. Kurz darauf kehrte
sie mit einer Person zurück. Karl konnte nicht erkennen, um wen es
sich handelte, da die Person einen langen schwarzen Mantel trug und die
Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Person blieb am Eingang der
Küche stehen während Frau Haber wieder am Tisch platz nahm. Immer
noch sprach niemand ein Wort.
Chi stand auf und gab Karl ein Zeichen ihr
zu folgen. Sie verließen die Küche. Die Person trat zur Seite
und hielt den Kopf gesenkt. Trotz der Nähe konnte Karl das Gesicht
unter der Kapuze nicht sehen, doch er roch etwas sehr Vertrautes. Wenn
Efin sein Rasierwasser nicht gewechselt hatte stand er nun vor ihm. Aber
warum trug er diesen Kapuzenmantel? Karl schreckte zusammen. Eine schreckliche
Ahnung beschlich ihn. War er oder Efin etwa bei den Prüfungen durchgefallen?
Ein Kloß bildete sich in Karls Hals und er musste heftig schlucken.
Unbewusst senkte er seinen Kopf und schlich hinter Chi her, direkt in ihr
Zimmer.
"Hier, zieh das an." Chi warf Karl etwas zu.
Er war so überrascht, dass er im ersten Moment nicht reagierte und
das Geworfene zu Boden fiel. Karl bückte sich und hob es auf. Es war
ein Bündel aus Stoff. Als Karl es auseinander faltete kam ein weiterer
Kapuzenmantel zutage. Er war ebenfalls in Schwarz gehalten. Verwirrt blickte
Karl Chi an. Doch diese hielt sich nur warnend den Finger and den Mund.
"Keinen Ton. Zieh es einfach an und dann folge mir." Chi wartete noch,
bis Karl den Mantel übergestreift hatte, dann verließ sie ihr
Zimmer wieder. Sie wartete jedoch draußen und als Karl ebenfalls
auf den Flur trat, griff sie nach der Kapuze und zog sie ihm über
den Kopf. Sofort wurde es dunkel um Karl, nur ein kleiner Spalt vom Fußboden
war noch sichtbar. Chi ergriff ihn am Arm und führte ihn zurück.
"Erst wieder runternehmen, wenn wir es sagen," raunte sie ihm dabei ins
Ohr. Sie führte ihn zurück zur Küche, doch jetzt durfte
er sie nicht mehr betreten. Chi verweigerte ihm mit erhobenem Arm den Zutritt.
So musste er so wie Efin vor der Tür stehen bleiben. Durch die tief
ins Gesicht gezogene Kapuze konnte Karl nicht genau sehen, was da in der
Küche vor sich ging. Nach dem Geräuschpegel zu urteilen musste
aber einiges im Inneren des Raumes passieren.
Nachdem die Geräusche verstummt waren,
wurde Karl in die Küche geführt. Sie war abgedunkelt. Jemand
stimmte einen Singsang an und kurz darauf fielen Efins Eltern und Chi in
den Gesang mit ein. Karl wurde etwas schwummrig, doch das Gefühl verschwand
fast genauso schnell wieder, wie es gekommen war. Jemand zog Karl endlich
die Kapuze vom Gesicht. Der Raum wurde wieder schummrig von Kerzenlicht
erleuchtet. Er stand neben Efin, der nun auch von Chi die Kapuze zurückgezogen
bekam. Der Tisch war verrückt worden und grenzte nun die Eltern von
Karl und Efin ab. Eine dritte Person stand noch zwischen den beiden Habers.
Es war eine Frau und als Karl noch einmal seinen Blick zu Efin wand, sah
er wie sich dessen Gesichtsausdruck verhärtet hatte. Er kannte diese
Frau.
Der Singsang brach ab und Karl sah wieder
zu Efins Eltern hinüber. Sie waren etwas zur Seite getreten, so dass
die Frau an ihnen vorbei gehen konnte. Sie ging um den Tisch herum und
baute sich vor Efin auf. In ihren Augen lag etwas Undefinierbares, als
sie eine Hand hob und damit Efin sanft durchs Gesicht fuhr, dann zog sie
ihn blitzschnell zu sich heran und küsste ihn auf die Lippen. Karl
wollte zu Efin treten, doch eine Hand, die sich feste auf seine Schulter
legte, ließ ihn innehalten. Chi war unbemerkt hinter ihn getreten
und hielt ihn zurück. Sie ging sogar soweit, dass sie ihn etwas zurückzog.
Karl war erschreckt. War dies etwa ein Zeichen, dass er Efin verloren hatte?
Karl stemmte sich gegen Chis Griff. Er würde Efin nicht aufgeben.
Doch Chi legte eine erstaunliche Kraft an den Tag, gegen die Karl nicht
so recht ankam. Schließlich gab er es auf und blieb stehen. Sofort
verlor Chis Griff an Feste.
Unterdessen hatte die Frau sich wieder von
Efin gelöst, zu Karls Erleichterung, und war sogar etwas zurückgetreten.
Efin schien entsetzt und er trat ebenfalls etwas zurück. Die Hände
hatte er leicht erhoben, so als wolle er verhindern, dass die Frau ihm
noch einmal zu nahe kam. Doch sie schien mit dem, was sie eben getan hatte,
erst einmal zufrieden zu sein. Sie kehrte lächelnd zu Efins Eltern
zurück.
"So sei es. So und nicht anders. Heute Abend
sollen die Anwesenden bezeugen, was nun geschieht. Die Zeit der Prüfungen
ist vorbei. Die Entscheidung ist gefallen. Ein altes Bündnis zerfällt.
Ein neues wird geknüpft." Efins Vater hielt in seiner Ansprache inne.
Er drehte seinen Kopf langsam, so dass sein Blick über alle Anwesenden
schweifen konnte. Irrte Karl sich, oder hielt er bei der Frau und ihm besonders
lange inne? Dann sah er wieder seine Frau und dann seinen Sohn an. Er sprach
weiter: "Unsere Entscheidung wird nun verkündet. Sie wird endgültig
sein. Seit euch dessen bewusst, dass es kein Zurück mehr geben wird."
Er schwieg erneut. "Efin, trete vor." Der Angesprochene tat wie ihm befohlen,
und ging bis zum Tisch. Dort blieb er wieder stehen. Sein Vater trat auf
der anderen Seite erst zum Tisch und umrundete diesen dann, so dass er
nun seitlich zu seinem Sohn stand. Er drehte ihn zu sich um, so dass er
nun von Karl abgewandt stand. Chi drehte nun auch Karl von Efin weg. Dieser
verstand immer noch überhaupt nicht, was das ganze sollte. Mit leichtem
Unbehagen registrierte er, wie die Frau wieder um den Tisch herum kam und
sich nun zwischen ihn und Efin stellte. Dann begann sie zu sprechen. "Jahre
habe ich auf diesen Moment gewartet. Nun ist es also soweit." Sie machte
eine Pause. Karl lief es heiß und kalt den Rücken herunter.
Warum konnten sie nicht endlich ihre Entscheidung bekannt geben. Er hasste
diese Anspannung und die Ungewissheit. "Ich zolle deiner Entscheidung Respekt
und werde sie akzeptieren. Es ist dein Wille, du musst auch die Konsequenzen
tragen. Es ist ein gewagter Schritt, doch ich möchte euch nicht im
Weg stehen. Gehabt euch wohl, und werdet glücklich." Sie lächelte
flüchtig. Dann verließ sie die Küche. Hastig entfernten
sich Schritte und die Haustür fiel ins Schloss. Karl stockte der Atem.
Er hatte seine Augen weit aufgerissen. Das eben gehörte musste er
erst mal verdauen, und Karl hoffte, dass er sich da eben nicht verhört
hatte. "So sei es nun." Karl wurde schwungvoll einmal um die eigene Achse
gedreht. Auge in Auge sah er sich nun Efin gegenüber. Dieser schien
die Entwicklung auch noch nicht so richtig verdaut zu haben. Offenbar hatte
er mit einem anderen Ergebnis gerechnet. Doch als sich langsam die Erkenntnis
durchsetzte, hielt es keinen von ihnen. Sie fielen sich lachend in die
Arme. Karl registrierte nicht, wie Tränen seine Wangen hinabliefen.
Er war erleichtert. Karl hatte eigentlich schon gar nicht mehr so recht
mit einem Happy-End gerechnet. Er bemerkte es nicht, wie die anderen den
Raum verließen.
Als Karl am nächsten Tag erwachte, fand
er sich im Bett wieder. Im ersten Moment dachte er, er hätte alles
nur geträumt, doch als er den Kopf leicht drehte sah er Efin neben
sich liegen. Er schlief noch. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem
Gesicht. Karl sah an die Decke. Ihm war zum Jubeln zumute, doch er beherrschte
sich.
Karl verbrachte noch ein paar Tage bei Efins
Eltern bevor sie nach Trier zurückkehrten. Allein auf dem Rückweg
hatte Efin wieder richtig Spaß, wobei Karl auch nach der Ankunft
bei den Brauns noch leicht wacklige Knie besaß. Karl war froh, wenn
er diese Möglichkeit des Transportes nicht mehr so schnell in Anspruch
nehmen musste. Mit dem Auto kehrten sie nach Trier zurück. Der Alltag
wartete schon auf sie.
© Pai
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