Schattenkrähen von Andreas Widenka

Er hasste Nachtwachen. Immer nur rum zu stehen und durch die finstere Nacht zu starren. Na ja, aber wenigstens war er jetzt Unterkommandant der Königlichen Armee. Und darauf konnte er schon ein wenig stolz sein. Aber seltsamerweise trauten sie ihm anscheinend noch nicht so viel zu. Sie hatten ihn hier her nach Kleinvardel geschickt, in die Stadt, in der früher der "Zirkel" seinen Sitz hatte, bis sich herausstellte, dass der Zirkel aus lauter Werwölfen bestand. Also wurde die königliche Armee ausgeschickt, um für ein bisschen Ruhe zu sorgen und die Werwölfe aus dem Turm und aus der Stadt zu vertreiben. Und das war vor zwei Nächten gewesen. Und jetzt sollte er nur aufpassen, dass die Werwölfe nicht zurückkamen. Warum sollten sie zurückkommen? Ein großer Teil der königlichen Armee wartete hier auf sie. Trotzdem hatte die Kommandantin ihm noch einen richtigen Kommandanten zur Seite gestellt. Ferl war sein Name. Lard schüttelte den Kopf. Warum vertrauten sie ihm nicht? Glaubten sie etwa, dass er so ein kleines Dorf nicht alleine verteidigen konnte? Na ja, es war nicht zu ändern und jetzt musste er also die Wachen für die Nacht aufstellen. "Seine erste Prüfung" hatte Ferl das genannt und Lard hätte am liebsten auf seine Schuhe gespuckt. Der Spott in seiner Stimme war kaum zu überhören gewesen. Lard machte den Wachen deutlich, dass sie sich auf der Ostseite des Dorfes stellen sollten, da sie da bessere Sicht über das Land haben. Denn auf der Westseite war nur ein riesiger Wald.
Es wurde immer dunkler und bald konnte Lard kaum noch die Hand vor Augen sehen. Seufzend machte er sich auf in Richtung Tor. Nachdem er über einen Ziegelstein stolperte, der lose im Weg herumlag, nahm er sich eine der Fackeln von der Mauer und machte sich weiter auf den Weg. Am Tor angekommen lehnte er sich gegen den Torbogen und starrte hinaus in die Nacht. Ferl hatte er das letzte Mal gesehen, als dieser ihm den Auftrag zur Nachtwache erteilt hatte. Doch nun glaubte er, die Silhouette von Ferl auf der Mauer zu sehen. Er starrte wieder in die Nacht und sah aus der Ferne die Lichter von Rondrana blitzen und blinken. Und dieser Anblick machte ihn ziemlich dösig...

Lard schreckte hoch, als er einen Schrei vernahm. Ein paar Sekunden später fiel neben ihm ein Soldat von der Mauer zu Boden. Ein riesiger Speer ragte aus seiner Brust. Und plötzlich hörte er auch Ferl rufen: "Verdammt, sie kommen vom Wald her!"
Lard schreckte auf. Wald? Aber da hatte er keine Wachen postiert. Wie konnte er nur so blöd sein! Schnell sprang er auf und hastete auf die Westmauer. Tatsächlich, da kamen sie, aber es waren nicht nur Werwölfe.
"Was sind das für Menschen?" fragte Ferl neben ihm. Ja, es waren tatsächlich Menschen, die mit Fackeln, Speeren, Schwertern und Bögen auf sie zugerannt kamen, gleich neben den Werwölfen. "Scheint so, als hätten sich die Werwölfe Freunde gesucht..." sagte Ferl mit einem Unterton, der nichts Gutes verhieß. "Das wird ein harter Kampf. Wo waren die Wachen, die hier sein sollten?" fragte Ferl, blickte aber weiter den Feinden entgegen.
Lard wurde rot und sein Gewissen machte ihn verrückt. "Sie... sind anscheinend nicht auf ihren Posten. Ich werde sie sofort holen!", und die Lüge versetzte seinem Gewissen noch einen Stich. Schnell rannte er nach Osten und rief: "Alle Wachen auf die Westmauer! Wir werden angegriffen!"
Schnell wurde es laut in Kleinvardel. Von überall hörte Lard Soldaten, die schnellen Schrittes kamen und er hörte Schwerter, die blank gezogen wurden. Da fiel ihm plötzlich etwas ein. Dieser Soldat, der von einem Speer getroffen wurde... Der Werfer musste schon in der Nähe der Stadt sein. Schnell rannte Lard zurück und reif Ferl zu: "Einer von denen muss schon in der Nähe sein, sei vorsichtig!"
Ferl winkte nur verächtlich mit der Hand ab und deutete auf die Leiche eines Mannes, die in dem Dorf neben der Mauer lag. Lard ging etwas näher ran und erkannte, dass der Mann hauptsächlich schwarze Kleidung trug und sich ein schwarzes Halstuch um den Hals geschnürt hatte. Auf diesem war ein Vogel zu sehen, der sich nur schwer von dem Tuch abhob, da auch er hauptsächlich schwarz war. Nur die Augen leuchteten rot.
Lange hatte er nicht Zeit dieses Tuch zu bewundern, da schon bald ein Ruf von Ferl von der Mauer ertönte: "Verdammt, wir haben vergessen das Tor zu schließen!"
Schnell rannte Lard zu dem Tor hin, in der Hoffnung vielleicht doch noch seinen Fehler mit den Wachen gut zu machen. Zwei Soldaten folgten ihm und mit ihrer Hilfe warf er das Tor zu und hob einen Balken in die Vorrichtungen vor das Tor. Und das Tor schloss sich in allerletzter Sekunde. Nur wenige Augenblicke später, krachte etwas mit voller Wucht gegen das dicke Holztor.
"Die Werwölfe springen gegen das Tor!" rief Ferl ihnen von der Mauer zu und schon flogen die ersten Pfeile der Soldaten auf die Werwölfe nieder. "Ducken!" rief Ferl, und grade noch rechtzeitig, denn ein Pfeilhagel flog über die Mauer und blieb in den Häusern und im Boden stecken.
Und noch einmal sandten die Soldaten einen Pfeilhagel hinunter. Lard rannte zur Mauer hinauf und duckte sich gleich wieder, als ein weiterer Pfeilhagel über sie hinweg flog.
"Sag mal, was ist eigentlich mit der Ostseite?" fragte Ferl, kurz bevor ein Pfeil aus dem dichte Gedränge von Häusern hervor geschossen kam und seine Brust durchbohrte.

Lard war wie gelähmt, als er sah wie Ferls lebloser Körper zusammensank und von der Mauer fiel. Plötzlich kamen viele Pfeile von den Häusern geflogen und viele Soldaten wurden von hinten durchbohrt. Und Lard hatte Angst. Er hatte riesige Angst. Schnell rannte er die Treppe herunter und versteckte sich zwischen den Häusern. Und dann rannte er weiter. Er wollte hier weg. Bald kam er an der Ostmauer an. Vier Leitern waren an die Mauer angelehnt und schnell stieg Lard die Leiter herunter. Und er machte sich schnellen Schrittes auf den Weg nach Rondrana, um der Kommandantin Dalis Bericht über dieses grausige Ereignis zu erstatten.

Lard rannte. Er musste sich beeilen. Die Kommandantin musste es erfahren. Er rannte die Gassen der Stadt entlang, bog um eine Ecke und wäre fast mit einer Frau zusammengeprallt. "Verzeiht, im Dienste des Königs!", sagte er nur schnell zu der erschrockenen Frau und rannte bereits weiter. Da! Endlich kam die Kaserne in Sicht. Er legte einen kleinen Endspurt hin und blieb kurz vor der Tür stehen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und öffnete die Tür. Es war bereits helllichter Tag gewesen als er endlich in Rondrana angekommen war. Langsam ging er den großen Platz entlang und steuerte direkt das Haus von Kommandantin Dalis an.
Überall auf dem Platz sah man Soldaten trainieren. Bogenschützen schossen auf Zielscheiben und der ein und andere Schuss flog auch mal gegen die Mauer. Lard hatte die Tür der Kommandantin erreicht.
Er klopfte zweimal und aus dem Raum sprach eine Stimme: "Wer da?"
"Hier ist Unterkommandant Lard, Kommandantin!"
Kurz herrschte Stille hinter der Tür, dann rief die Stimme: "Ah ja, kommt nur herein!"
Lard öffnete die Tür und ging in das Büro von der Kommandantin. Er setzte sich ihr gegenüber.
"Nun Lard, was habt ihr zu berichten, solltet ihr nicht eigentlich die Stellung halten in dem Dorf nahe dem Waldrand?" Die Kommandantin schaute ihn fragend an.
"Ja, ihr habt völlig Recht, eigentlich sollte ich Stellung halten in Kleinvardel. Nach der Sache mit dem Zirkel und den Werwölfen kam es zu ziemlichen Turbulenzen in der Stadt. Allerdings haben wir es geschafft, den "Zirkel" aus der Stadt zu treiben!" Kurz erinnerte er sich noch mal an den großen Kampf gegen die Werwölfe...
"Ja, aber das weiß ich doch schon! Wieso habt ihr eure Stellung verlassen?"
Lard wurde nervös. Es war ihm schon immer peinlich gewesen eine Niederlage einzugestehen. Um ein bisschen Zeit aufzuschieben, tat er so als müsste er sich noch mal sammeln.
"Nun?", fragte die Kommandantin mit einem Unterton, der Lard die Zunge löste.
"Wir haben Kleinvardel verloren. Die Werwölfe kamen zurück! Normalerweise hätten wir sie zwar schlagen können, doch sie hatten... nun... Verstärkung!"
Die Kommandantin sah ihn streng an. "Ihr habt das Dorf verloren? Ihr habt es nicht geschafft, dieses Dorf gegen ein paar Tiere zu verteidigen?"
Lard wich dem Blick der Kommandantin aus und schaute auf seine Füße.
"Wo ist Ferl?" fragte die Kommandantin nun.
Lard schämte sich dafür, dass Ferl gestorben war und er überlebt hatte. Und das nur, weil er einen Auftrag nicht richtig ausgeführt hatte. "Ferl ist in der Schlacht gefallen! Er wurde von einem Pfeil aus dem Hinterhalt niedergestreckt."
"Wie kommt es, dass einer meiner besten Kommandanten in der Schlacht fällt und ihr überlebt habt? Am besten, ihr erzählt mir die Geschichte von Anfang an. Ihr erwähntet Verstärkung für die Werwölfe. Aber fasst euch kurz. Wenn Kleinvardel nun wieder in der Hand der Werwölfe ist, werden sie sicher durch ihre Magie bald den König unter Kontrolle haben. Also, Unterkommandant, redet!"
Und Lard begann zu schildern, was in eben jener Nacht passiert war...

Nachdem er geendet hatte, schwiegen er und die Kommandantin lange. Schließlich sprach sie. "Der Verlust von Ferl ist ein schwerer Schlag gegen uns. Nun haben wir eine große Lücke in unseren Reihen. Und bald wird auch der König wieder in der Gewalt der Werwölfe stehen.
Und genau das müssen wir verhindern! Wir müssen Kleinvardel zurückerobern und endlich diesen vermaledeiten Turm zerstören! Aber vorher müssen wir mehr über diese "Verbündeten" der Werwölfe herausfinden. Konntet ihr einen von ihnen aus der Nähe betrachten?"
Lard schilderte ihr das Aussehen dieser einen Person, die er von nahem betrachten konnte.
"Hmm schwarze Kleidung... und dieses Halstuch... Das erinnert mich an etwas. Und es scheinen gerissene, hinterhältige Schurken zu sein. Wenn sie es sogar schaffen Ferl zu töten...
Lard blickte wieder zu Boden.
"Du wirst zu einem Mann hier in der Stadt gehen!", sagte Kommandantin Dalis langsam und nachdenklich. "Sag ihm, er soll dir alles über die Schattenkrähen sagen! Er heißt Derel Schorlan. Und nun geh!" befahl sie Lard und beugte sich wieder über eine Karte des Landes.
Lard blieb noch ein paar wenige Sekunden sitzen, dann erhob er sich und ging wieder hinaus in das sonnige Wetter. Er überquerte den Trainingsplatz und ging in Richtung Stadtverwaltung. Auf dem Weg dorthin dachte er über seine jetzige Aufgabe nach. Schattenkrähen? Was sollte das sein? War das der Name dieser Bande, die sich dort mit den Werwölfen verbündet hatte? Und warum hatte sie dies getan?
All diese Fragen stellte er sich auf dem Weg und als er angekommen war, wusste er noch keine Antwort auf sie. Er fragte nach der Adresse dieses Derel Schorlan. Ihm wurde gesagt, dass er gleich neben der Kirche wohne, in der Gerberstraße. Lard stöhnte. Die Gerberstraße war den ganzen Tag durchzogen von den ekligsten Gerüchen, da die Gerber nichts anderes machten, als gerben und das den lieben, langen Tag. Aber er wollte nicht noch mehr Ärger bekommen und daher machte er sich auf den Weg und als er angekommen war, hielt er einfach so lange er konnte die Luft an oder hielt sich die Nase zu.
Als er das Haus gefunden hatte, ein schäbiges, kleines Haus mit Strohdach, klopfte er an und rief: "Hier ist Unterkommandant Lard! Öffnet! Im Namen der Königlichen Armee!"
Er hörte Schritte hinter der Tür und sie wurde geöffnet. Ein Mann stand dort, zwar älter als Lard aber trotzdem noch recht jung, um die dreißig vielleicht. "Ja bitte? Was soll ich angestellt haben in dieser vermaledeiten Stadt?", fragt er griesgrämig und blickte Lard mit einem verächtlichen Blick an. "Neu in der Armee, was?", fragte er, bevor Lard überhaupt sein Anliegen vorbringen konnte.
"Nun, ja...", sagte er ein wenig leiser, doch schließlich fasste er Selbstvertrauen und sagte mit Kräftiger Stimme: "Ich komme im Auftrag von Kommandantin Dalis! Ich habe den Befehl, von ihnen alles über die "Schattenkrähen" herauszufinden!"
In Derels Gesicht regte sich kurz etwas und sein Blick wurde finster. "Hab ich es doch gewusst, dass mich meine Vergangenheit irgendwann einholen wird. Nun gut, kommt rein. Ich hab keine Lust, das zu besprechen, während die Gerbergerüche mir den Sinn vergiften." Er öffnete die Tür weit und Lard trat in das sehr spärlich eingerichtete Haus. Es war nicht viel in dieser Hütte, außer ein paar sehr stark duftende Blumen. "Die sind gegen den Gestank!", erklärte Derel, als er Lards Blick folgte. "Also, warum wollt ihr etwas über die Schattenkrähen wissen?"
"Sie arbeiten mit Werwölfen zusammen, außerdem haben sie einen der besten Kommandanten der Königlichen Armee getötet!" Lard setzte sich auf einen Stuhl und Derel tat es ihm gleich.
"Ja... das sieht ihnen ähnlich... Lass mich raten: sie haben aus dem Hinterhalt angegriffen und trugen schwarze Tücher um den Hals, hab ich recht?"
"Ja, völlig richtig!"
Plötzlich sagte Derel etwas, das Lard nicht erwartet hatte: "Kennst du eigentlich deine Eltern?"
Lard schaute verdutzt in das Gesicht dieses Mannes. Seine Eltern?
"Nun, nein, ich habe sie nie kennen gelernt, sie sollen beide bei einem Angriff auf ein Dorf gestorben sein, als ich noch sehr klein war. Was hat das damit zu tun?" fragte er und setzte hinzu: "Eigentlich geht euch dies gar nichts an!" Ein wenig ärgerlich schaute er Derel an, der völlig gelassen, ja sogar ein wenig gelangweilt aussah.
"Es geht mich sehr wohl was an!", sagte er. "Denn ich kenne die Wahrheit!"
Lard sprang auf. "Was meint ihr damit? Das IST die Wahrheit!"
Vergnügt lächelte Derel ein bisschen, wahrscheinlich amüsierte ihn der zornige Ausbruch des Soldaten. "Nun... ist es nicht... Aber da du wahrscheinlich gar nicht daran interessiert bist, zu erfahren, was wirklich geschah, werde ich dir einfach nur alles über die Schattenkrähen sagen, was ich weiß!"
Lard beruhigte sich wieder. Die Wahrheit? Hieß das, dass man ihn jahrelang angelogen hatte? Das konnte nicht sein! "Doch, erzählt mir das, was ihr für die Wahrheit haltet!" Er setzte sich wieder hin, schaute sein Gegenüber auffordernd an.
Der lehnte sich in seinem Stuhl zurück, fasste in eine leere Blumenvase auf dem Tisch und zog eine Pfeife aus ihr hervor. Dieser Mann ist wunderlicher als ich dachte, überlegte sich Lard. Dann zog Derel aus seiner Tasche ein bisschen Tabak hervor, stopfte es in die Pfeife und nahm einen tiefen Zug. Dann pustete er ein paar Rauchkringel in die Luft. Lard wurde langsam ungeduldig, als Derel immer noch keine Anstalten machte, irgendetwas zu erzählen.
"Nun erzählt schon!" sagte er nun ungeduldig zu Derel.
"Hmm, ist das Interesse jetzt schon richtig stark geworden, hmm? Nun gut, dann werde ich dir mal erzählen, was ich weiß. Erstmal das eine vorneweg: Deine Eltern sind nicht gestorben weil ihr Dorf angegriffen wurde. Eigentlich eher das Gegenteil. Was meinst du, warum wurdest du so schnell befördert? Wie lange warst du in der Armee? Ein, zwei Monate würde ich sagen, oder?"
Lard wurde ein bisschen nervös. "Nun ja, das stimmt, aber die Kommandanten waren einfach von meinen Fähigkeiten überrascht!"
Derel lachte schallend auf. "Ja natürlich, sicher... Das glaubst du doch wohl selber nicht, oder? Soll ich dir den wahren Grund verraten? Damit du nicht auf die... nun ja... "schiefe Bahn" gerätst wie sie es nennen. Nicht so wie deine Eltern!"
Stille breitete sich in dem Raum aus und nur der Lärm von der Straße drang durch die morschen Holzwände des Hauses.
Lard schaute Derel verwirrt an. "Auf die schiefe Bahn? Was meint ihr damit? Mein Vater war ein stolzer Soldat der königlichen Armee und meine Mutter war eine Heilerin des Dorfes!"
Derel massierte seine Schläfen. "Oh, mein Gott, man wird mir wahrscheinlich den Kopf abschlagen, dafür, dass ich dir das hier erzähle! Aber ich finde, du hast ein Recht darauf, zu erfahren, wer deine Eltern wirklich waren!" Derel machte eine kurze Pause, als ob er sich erstmal darauf vorbereiten musste, was er gleich sagen wollte. "Deine Eltern waren Schattenkrähen!"
Als es heraus war blieb lange ein erdrückendes Schwiegen über den beiden Männern in dem kleinen Raum.
Doch schließlich sprang Lard auf, zog sein Schwert und hielt es Derel vor die Kehle, der nicht schell genug reagieren konnte. "Du verdammter kleiner Lügner! Wie kannst du es wagen, so von meinen Eltern zu reden? Das wirst du noch bereuen!" Er nahm das Schwert zurück und schritt mit schweren Schritten auf die Tür zu und riss sie mit einen harten Ruck auf und der Geruch von den Gerbern strömte ihm entgegen.
Hinter ihm erhob sich Derel. "Du bist schon jetzt ein Spielball der Königlichen Armee. Du siehst nur zwei Meter weit, dich und deinen Ruhm, aber was dahinter ist, willst und kannst du einfach nicht sehen! Die Absichten des Königs und seiner Armee sind nicht ganz so ehrenhaft wie du denkst..."
Lard hielt inne. Was sagte er da? Beschuldigte dieser Mann den König? Ungeheuerlich! Doch irgendwo sagte eine Stimme in Lards Kopf: Glaubst du etwa, er würde all dies ohne Grund sagen? Und mal ganz ehrlich... SO gut war er im Kampf auch nicht gewesen, dass man ihn sofort befördern würde... Er drehte sich um. "Wenn ich euch zuhören würde, würdet ihr nun endlich alles erzählen und nicht gleich mit dem unglaubwürdigsten anfangen..."
Derel schüttelte nur den Kopf. "Wenn ihr das schon für unglaubwürdig haltet, dann geht zu euren Herrschern und klagt mich sofort an. Denn das, was ich euch danach erzählen würde, wäre für euch wahrscheinlich noch unglaubwürdiger als alles, was ihr je gehört habt und doch ist es wahr...."
Lard rang ein wenig mit sich selbst, doch schließlich siegte seine Neugier. Er schloss die Tür und drehte sich wieder zu Derel um. "Nun gut, ich werde euch anhören. Doch ich kann euch nicht versprechen, dass ich euch glauben werde!"
Er ging zurück zu dem Tisch und setzte sich wieder auf den Stuhl. Derel setzte sich wieder ihm gegenüber und nahm wieder die Pfeife in die Hand, die er vorher auf den Tisch gelegt hatte, doch er nahm sie nicht in den Mund. Er machte sie aus und legte sie wieder behutsam in die Vase. Dann fing er wieder an zu erzählen:
"Gut, dass du mich anhörst! Ich bin sehr froh, dass für dich noch Hoffnung besteht, nicht gleich dem König zu verfallen und ihn anzuhimmeln! Nun, wie du vielleicht weißt, betreibt der König angeblich Tabakhandel mit den umliegenden Ländern. Doch das ist falsch. In Wahrheit betreibt er Sklavenhandel, die er dann für sich verwendet. Ganz genau, aus den Steuern, die sein Volk ihm jährlich zahlt, kauft er sich Sklaven! Nun gab es Einige in der königlichen Armee, die das nicht als gut empfunden. Der König erzählte dies sicherlich nur den höherrangigen Offizieren, die meisten Kommandanten, so auch deine Kommandantin Dalis, wissen wahrscheinlich nichts davon. Aber nun waren dein Vater und viele seiner Freunde auch höherrangig. Ja, dein Vater war lange Zeit wirklich Soldat bei der Armee. Doch ihm missfiel die Art, wie der König die Steuern nutzte. Schließlich hatte er sogar vor, es allen Bürgern des Reiches zu erzählen. Um dies zu verhindern, warf der König ihn aus der Armee und machte ihn und deine Familie zu Vogelfreien. Du warst damals sicherlich erst ein oder zwei Jahre. Doch es gab viele, die so dachten, wie dein Vater. Mit diesen traf er sich heimlich draußen vor der Stadt, da er sich in der Stadt nicht mehr blicken lassen konnte. Und so gründeten sie die Bande der Schattenkrähen. Von nun an suchten sie immer weiter Mitglieder, heimlich, und versuchten, es dem König so richtig schwer zu machen. Es gab viele Angriffe auf Dörfer, und dabei verschwanden immer wieder Leute. Lange Zeit waren der König und seine Armee ratlos, bis einmal ein Angriff schief ging und mehrere Schattenkrähen gefasst wurden. Diese wurden auf die schlimmste Weise gefoltert, doch sie verrieten nichts über den Standort des Hauptquartiers oder über ihre Mitglieder. Schließlich wurden sie gehängt und im ganze Land wurde die Nachricht verbreitet, dass die Schattenkrähen schlimme Banditen seien und Leute entführten. Dabei schlugen sich die Leute, die verschwanden, auf ihre Seite.
Nun wurden lange Zeit keine Angriffe mehr ausgeübt, um keine weiteren Mitglieder zu gefährden. Sie wollten ein wenig warten. Doch es gab einen Verräter. Der Kopf der Bande verriet seine Schattenkrähen für viel Gold an den König. Manche Schattenkrähen konnten entkommen, als ihr Lager ausgehoben wurde, doch deine Eltern und du, der du erst zwei Jahre oder so warst, ihr wurdet gefasst. Deine Eltern wurden getötet, doch in dich legte man große Hoffnungen, dass gerade du der Armee beitreten würdest, und ihr helfen würdest, die Schattenkrähen für immer zu vernichten. Doch die Angriffe blieben weiterhin aus und so kümmerte sich der König nicht mehr um die Schattenkrähen. Sie gerieten schnell in Vergessenheit, darum hast du wahrscheinlich nichts von ihnen gehört. Doch es gibt sie immer noch. Doch schwer dezimiert, durch den Verrat des Kopfes der Bande. Wegen diesem Verräter wurden deine Eltern getötet!" Derel machte eine Pause, damit Lard erstmal all diese Neuigkeiten verarbeiten konnte.
Schließlich hob Lard den Kopf. "Woher weißt du das denn alles?"
Derel grinste und kratzte sich am Kinn. "Da ich hoffe dir vertrauen zu können: Ich bin ein Spion der Schattenkrähen. Ich arbeite angeblich für den König als Informant über die Banden dieses Landes... Aber er hat keine Ahnung..." Derel grinste, doch  schnell verflüchtigte sein Grinsen sich wieder. "Seit dem Verrat konnten wir wieder viele Mitglieder auf unsere Seite ziehen. Doch wir wurden durch den Verrat des Anführers sehr geschwächt."
Lard senkte den Kopf. Er glaubte Derel. Er glaubte all das, was er erzählte.
Doch dann sprach Derel wieder: "Sagt dir vielleicht der Name 'Faft' etwas?" 
Lard schüttelte nachdenklich den Kopf, ohne zu seinem Gegenüber aufzusehen. 
"Er war mal der Kopf der Bande." 
"War?" Lards Interesse wurde damit schlagartig wieder geweckt. 
"Ja, man sagt, er sei vor einigen Jahren ums Leben gekommen." 
"Wie ist das passiert?" 
"Frag lieber: ist das wirklich passiert!"
Lard wunderte sich über diese seltsame Antwort, also frage er: "Was meint ihr damit?"
"Nun, offiziell sagt der König, er sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ein Baum soll auf ihn gestürzt sein. Völlig lächerlich, aber egal. Wir Schattenkrähen wissen, dass er noch lebt und versucht möglichst viel über uns herauszufinden. Daher nehmen wir nicht mehr jeden in unseren Bund auf. Doch dich wird man sicherlich einlassen! Wenn du willst..."
Nun schwieg Derel nur noch. Um Lard entscheiden zu lassen. Dieser überlegte lange, ob er es wagen könne, ob es richtig sei und doch dachte er, seine Eltern konnten nicht so unrecht gehabt haben.
Schließlich hob er den Kopf und sagte zu Derel: "Ja, ich denke, ich will euch beitreten! Aber hauptsächlich, um diesen Faft zu finden und ihm persönlich die Kehle durchzuschneiden."
Glücklich stand Derel auf und sagte feierlich zu Lard: "Damit willkommen bei den Schattenkrähen!" Er verneigte sich und sagte zu ihm: "Geh zu deiner Kommandantin und sag ihr, dass ich gesagt hätte, dass die Bande der Schattenkrähen nicht mehr existiert und dass du dich getäuscht haben musst. Danach triff mich draußen vor der Stadt. Ich will dich den anderen vorstellen" Er zwinkerte ihm zu und öffnete die Tür für ihn.
Lard trat hinaus auf die Gerberstraße und als die Tür zufiel, wusste er, dass nun ein völlig neuer Abschnitt seines Lebens beginnen würde. Nun würde er endlich mehr über seine Familie herausfinden. Und er konnte sie rächen. Endlich.
 

© Andreas Widenka
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