Vor langer, langer Zeit, als die Wälder
noch so große Flächen bedeckten, dass man auf einem guten Pferd
viele Tage brauchte, um sie zu durchqueren, reiste ein Trupp von Rittern
durch das Siebengebirge. Bereits auf den ersten Blick konnte man sehen,
dass die Ritter einen bunt zusammengewürfelten Haufen bildeten. Denn
einige waren zu Fuß, andere zu Pferd, und teilweise trugen sie verschiedene
Wappen mit sich. Die stärkste Gruppe bildeten die Ritter vom Drachenwappen.
Sie waren auch alle beritten. Die Mitglieder der Wolfsbande mühten
sich zu Fuß ab, mit dem Rest Schritt zu halten. Den Abschluss des
Zuges bildeten zwei Karren, von denen der eine in einem geschlossenen Holzaufbau
einen leibhaftigen Drachen beherbergte, der stumpf und teilnahmslos dreinblickte.
Die Gruppe hatte einen langen Weg hinter sich.
Alle, auch die Pferde, waren müde. Doch trotz ihrer Erschöpfung
blickten die Männer aufmerksam in das Dickicht, das ihren Pfad säumte,
denn in der damaligen Zeit war man vor Übergriffen nie sicher, selbst
wenn man, wie hier, in einer größeren Gruppe reiste und gut
bewaffnet war. Gerade die dunklen Wälder des Siebengebirges waren
sagenumwoben und steckten voller Geheimnisse. Zu Beginn ihrer Reise waren
die Männer noch sorglos drauflosgezogen, hatten aber schon bald erfahren,
dass in diesen Wäldern Sorglosigkeit nicht angebracht war. Denn schon
am ersten Tag war ein riesiger Troll aus einem Gebüsch gestürzt,
hatte sich einen aus der Gruppe geschnappt und war spurlos verschwunden.
Seitdem waren alle auf der Hut. Niemand wollte gerne im Kochtopf eines
Trolls landen.
Die Ritter hatten es eilig! Der Winter stand
kurz vor der Tür und sie hatten kein Dach über dem Kopf. Ziel
ihrer Reise war eine Burg, die sich auf einem Berg inmitten der Wälder
erheben sollte. Angeblich, so hatten sie gehört, war diese herrenlos.
Allerdings sollte es in ihr spuken. Doch Spuk und Geister störten
die Ritter nicht. Sie alle waren hartgesotten und fürchteten weder
Tod noch Teufel.
Ein Triumphruf ihres Anführers ließ
die Reisenden die müden Köpfe heben. Vor ihnen reckte sich ein
Turm aus der grünen Dunkelheit: Die Burg war in Sicht. Erleichtert
mobilisierten sie ihre letzten Kräfte. Doch es dauerte immerhin noch
drei Stunden, bis sie am Fuße der Feste angekommen waren.
Das Gebäude war eine sehr prachtvolle
Burg, Die Herzen der Ankömmlinge schlugen höher: Sie besaß
ein großes Eingangstor als Vorder- und eine Zugbrücke als zusätzlichen
Nebeneingang. Die vier Ecken waren durch dicke Wachttürme gesichert.
Nachdem sie die Pferde ausgespannt hatten,
ließen sich die Ritter sogleich auf einer vorgelagerten Wiese nieder,
um zu rasten. Ihr Anführer aber, ein Drachenritter, den man seiner
Härte und Unnachgiebigkeit wegen Eisenfaust nannte, wollte nicht ruhen.
Zwar gönnte er seinem wertvollen Schlachtross seine Ruhe und ließ
es grasen, ging aber selbst gleich auf das große Haupttor zu, um
einen Weg in die Burg zu finden. Die schweren Holztore ließen sich
mit einiger Mühe öffnen. Dahinter aber fand er ein dickes ehernes
Fallgitter, das allen Öffnungsversuchen widerstand. Schließlich
umkreisten alle das Gemäuer, um einen versteckten Eingang zu finden.
Aber es war vergebens. Es gab keinen Weg hinein!
Niedergeschlagen blickten die Männer in
das Tal hinab, das sich am Fuß des Burgberges erstreckte. Fruchtbare
Felder, grüne Wiesen so weit das Auge blickte. Schmucke Bauernhöfe
rundeten das friedliche Bild ab.
Schließlich kam dem Anführer ein
Gedanke.
"Ist es nicht möglich, dass die Bauersleute
dort unten einen Weg in die Burg kennen?" fragte er seine Leute.
Sie antworteten, dass das durchaus möglich
sei, aber ob die Bauern einem dahergelaufenen Haufen Rittern helfen würden,
sei eine ganz andere Frage.
Eisenfaust dachte sich, dass er auch mit diesem
Problem fertig werden würde. Er schwang sich auf sein Pferd, rief
Zweien seiner Leute zu, sie möchten ihm folgen und machte sich an
den Abstieg ins Tal. Die anderen ließen sich wieder aufs Gras fallen,
erleichtert darüber, dass die Wahl nicht auf sie gefallen war.
***
Die Bauern des Tals waren stolze Leute, die
seit vielen Jahren ihre Felder bearbeiteten. Sie hatten es Dank ihres Fleißes
und des guten Bodens zu einigem Wohlstand gebracht. Mit Argwohn betrachteten
sie darum die sich nähernden drei Reiter: Fremde konnten nichts Gutes
bedeuten. Sie sollten sich dahin zurückscheren, wo sie hergekommen
waren. Am besten zum Teufel.
"Was können wir für euch tun, Fremdlinge?"
empfing sie der Dorfälteste kühl.
"Wir sind fahrende Ritter, die des Herumreisens
müde geworden sind. Wir wollen uns in der Burg dort droben niederlassen,
können aber keinen Eingang finden. Weißt du einen?"
Der Angesprochene war nicht erbaut von dem
Plan der Ritter, sich dort oben einzuquartieren. Der alte Burgherr war
vor einigen Jahren gestorben, ohne Nachkommen zu hinterlassen. Seitdem
war das Gemäuer verwaist. Es gab niemanden mehr, der ihnen Vorschriften
machte oder gar Steuern eintrieb. Den Bauern gefiel dieser Zustand sehr.
Sie hatten darum auch kein Interesse daran, jemandem zu helfen, der an
dieser Sachlage rütteln konnte. Neue Burgherren zu haben verhieß
nur die Aussicht auf Vorschriften und Ärger.
"Nein, auch wir kennen keinen Eingang. Zieht
am besten weiter und überlasst die Burg sich selbst. Die Mauern sind
mit einem Zauber belegt, der sie uneinnehmbar macht. Ohne den rechten Eingang
zu finden, werdet Ihr also nicht hineinkommen," antwortete der Bauer darum.
Die Drachenritter aber waren harte Burschen,
die schon so manchen Strauß ausgefochten hatten. Sie ließen
sich darum nicht so leicht von einem Bauern von ihrem Vorhaben abbringen.
"Ich glaube dir nicht, Bauer!" antwortete
Eisenfaust also. "Ihr lebt schon seit vielen Jahren in dieser Gegend. Du
kannst mir nicht erzählen, dass ihr nicht das ein oder andere wisst!"
Mit diesen Worten zog er ein Schwert und setzte
dessen Spitze an die Kehle des anderen. Doch der Dorfälteste blieb
stur. Lieber würde er sterben, als auch nur einen Schritt nachzugeben.
In diesem Moment schritt der Sohn des Mannes ein. Er drückte die Schwertspitze
zur Seite und stellte sich zwischen seinen Vater und den Ritter.
"Haltet ein!" rief er laut. "Wir wissen wirklich
keinen Weg in die Burg. Es gibt aber einen Zauberer, der euch sicher helfen
kann."
"Wo ist dieser Zauberer?" fragte der Drachenritter.
"Du wirst uns hinführen. Es wird dein Schaden nicht sein."
Doch der junge Mann schüttelte den Kopf.
"Ich kann euch nicht hinführen. Niemand
kann das, denn wer mit dem Zauberer sprechen will, muss zuerst seinen Mut
beweisen. Dazu gehört, dass er allein und ohne Waffen zu ihm kommt."
"Der Zauberer scheint mir ein rechter Feigling
zu sein, wenn er seine Besucher nur einzeln und waffenlos empfängt,"
lachte der Ritter. "Doch das soll mich nicht stören. Weise mir den
Weg, damit ich diesen seltsamen Heiligen finde!"
Der Bauernsohn, Richard mit Namen, beschrieb
den Weg so gut er konnte.
"Ihr müsst tief in den Wald hineingehen.
Gerade dort hinein, wo die Bäume am dichtesten stehen. Wenn der Wald
so dicht geworden ist, dass das Licht der Sonne nicht mehr auf den Boden
fällt und nur noch schwarze Nacht um euch herum ist, habt Ihr die
Wohnstatt des Magiers gefunden."
Eisenfaust nickte mit dem Kopf, dann steckte
er sein Schwert ein und zog mit seinen Männern von dannen. Er würde
diesen Zauberer schon finden.
"Wehe dir, wenn du mich belogen hast! Drachenfeuer
wird über dich kommen, so wahr ich der Anführer der Drachen-
und Wolfsritter bin!" rief er noch. Dann waren er und seine Männer
verschwunden.
***
Gleich am nächsten Tag drang Eisenfaust
in die Wald ein. Dort lenkte er sein Pferd weisungsgemäß immer
in die Richtung, in der die Bäume gerade am dichtesten standen. Als
die Nacht hereinbrach, musste er das Tier zurücklassen. Zu eng war
der Platz zwischen den Bäumen. Schließlich war der Weg so schmal
und dunkel, dass es selbst ihm unheimlich wurde. Schwarz und drohend schienen
ihm die dicken Bäume des Waldes zu raten, von seinem Vorhaben abzulassen.
Doch er gab nicht auf. Nach viel Mühen kam er an eine Lichtung, in
deren Mitte sich ein kleines Haus erhob. Aus einem der Fenster scholl eine
kräftige Stimme: "Siehe da! Nach vielen Jahren wieder ein Besucher!
Dein Anliegen scheint wirklich wichtig zu sein. Sonst hättest du dir
die Mühe des Weges bestimmt erspart."
Nach diesen Worten teilte sich das Haus in
der Mitte und klappte auseinander. Heraus trat ein kleiner verschrumpelter
Wicht mit einem hohen, spitz zulaufenden Hut und einem langen, weißen
Rauschebart.
"Willkommen!" grüßte er freundlich.
"Ich bin der Zauberer Merling! Was kann ich für Euch tun?"
Der Zauberer schien ein Mann der Tat zu sein,
was dem Ritter sehr gefiel. Kurz trug er seine Bitte vor. Der Magier strich
sich über den Bart und dachte nach. Schließlich sagte er: "Ich
kenne einen Weg in die Burg. Aber zuerst muss ich wissen, ob Ihr bereit
seid, den Preis für meine Hilfe zu zahlen."
Nun, Zauberer wollen natürlich auch für
ihre Arbeit bezahlt werden. Darum kamen die Worte Merlings für Eisenfaust
nicht unerwartet. Er machte mit seiner Hand eine wegwerfende Bewegung:
"Nur zu! Was ist deine Bedingung, Zauberer?"
"Nichts Großartiges," gab dieser zurück.
"Wenn Ihr in die Burg kommt, werdet Ihr sie erst einmal gründlich
durchsuchen, schätze ich. Ihr werdet viele Schätze entdecken,
denn der vorherige Burgherr war sehr reich. Ich möchte nur eines von
euch: Bringt mir das Erste das Ihr findet, das weiß ist. So bin ich
schon zufrieden!"
Der Ritter war nur zu gerne bereit, dieser
Bitte entgegenzukommen. Der Magier war scheinbar ein rechter Sonderling,
denn die Schätze schlug er aus: Gold war bekanntlich gelb und Diamanten
auf keinen Fall weiß. Was mochte das schon besonderes sein, was er
wollte?
"Wenn Ihr auf die Nordseite der Burg geht,
werdet Ihr an einer Stelle einen verzauberten Dornbusch finden. Wartet
bis zur nächsten Neumondnacht. Begebt Euch dann zu dem Strauch und
zwängt Euch hindurch. So werdet Ihr an einen Teil der Burgmauer kommen,
den noch nie ein Sonnenstrahl berührt hat. Klopft dreimal gegen den
hellsten Stein, den Ihr finden könnt, so wird sich die Mauer öffnen
und euch einlassen."
Nun gab es für den Drachenritter kein
Halten mehr. Er bedankte sich flüchtig und verließ den Alten.
Seine ganzen Gedanken waren nur noch auf die Burg gerichtet. Der Magier
aber sah dem Davonschreitenden mit einem leichten Lächeln nach. Dann
schloss sich das Haus wieder und der Zauberer verschwand als hätte
es ihn nie gegeben.
***
An der Burg wurde Eisenfaust von seinen Leuten
zurückhaltend begrüßt.
"Warum kommst du denn schon zurück? Hattest
du etwa Angst?" fragten sie ihn.
"Ich und Angst?" fragte er verwundert. "Wie
kommt ihr darauf? Schließlich war ich fünf Tage fort. Ich habe
den Zauberer gefunden und auch einen Weg in die Burg. Was wollt ihr also?"
Da erklärten ihm seine Männer, dass
seit seinem Aufbruch erst ein paar Minuten vergangen waren. Wie er in dieser
kurzen Zeit denn den Magier hätte finden können, wollten sie
wissen.
Da war es an der Reihe des Ritters, sich zu
wundern und seine Achtung vor Merling stieg gewaltig. Natürlich kam
es den Männern nicht in den Sinn, bis auf die nächste Neumondnacht
zu warten, denn draußen war es schon sehr kalt, und sie wollten so
schnell als möglich ein warmes Dach über dem Kopf haben. Schnurstracks
begaben sie sich zur Nordseite der Burg, wo sie auch sofort den Dornbusch
fanden.
Da er recht harmlos aussah, fand sich auch sofort jemand, der sich bereit
erklärte, durch ihn hindurchzugehen. Doch kaum hatte er den ersten
Zweig berührt, reckte sich ihm auch schon der ganze Busch entgegen.
Gesicht und Arme wurden ihm so fürchterlich zerkratzt, dass er schreiend
davonlief. Der Nächste, nicht dumm, schlüpfte in seine Rüstung.
"Durch Eisen kommt auch dieser biestige Dornbusch
nicht durch!" dachte er bei sich. Doch wie groß war sein Erstaunen,
als er die Stiche des Strauchs auch durch seine Schutzkleidung hindurch
verspürte. Fragend blickte Eisenfaust die Leute der Wolfsbande an.
Doch diese winkten dankend ab.
"Wir haben genug gesehen!" riefen sie. "Der
Busch ist verhext. Wir warten lieber ab!"
Auf den Neumond mussten sie eine Woche warten.
Aber dann war es so weit.
Es kam genau so, wie der Zauberer es vorausgesagt
hatte: Der Dornbusch ließ einen der Ritter hindurch und auf dreimaliges
Klopfen gab die Burgmauer einen Weg ins Innere preis. Innerhalb kurzer
Zeit war die Burg im Besitz der Ritter, welche sich auch sogleich gemütlich
einrichteten. Die Pferde fanden bequeme Stallungen und die Ritter gemütliche
Zimmer, in denen zwar der Staub hoch lag, was sie aber nicht weiter störte.
Das Burgverließ hatte nur einen einzigen Insassen vorzuweisen: Das
weiße Skelett eines vergessenen Gefangenen, der hier verschmachtet
war. Die Ritter vergaßen die Überreste des Unglücklichen
auch sofort wieder. Für das Verließ hatten sie keine Verwendung.
Noch nicht!
Einige Zeit genossen sie ihr neues Heim. Doch
dann gingen ihnen die Vorräte aus und sie erinnerten sich wieder an
die Bauern in ihrem fruchtbaren Tal.
"Wir sind die Burgherren," stellte Eisenfaust
fest. "Also müssen uns die Bauern selbstverständlich Tribut entrichten.
Dafür schützen wir sie wiederum vor ihren Feinden! So wäscht
die eine Hand die andere!"
Begeistert stimmten ihm seine Kumpane zu.
Dass die Bauern überhaupt keine Feinde hatten, vor denen man sie beschützen
musste, störte sie dabei gar nicht. Kurz entschlossen sattelten drei
der Drachenritter ihre Rösser und machten sich auf den Weg ins Tal,
um die Landleute mit der guten Botschaft zu überraschen.
Doch diese wollten von Tributzahlungen nichts
wissen.
"Wir sind freie Bauern!" antwortete der Dorfälteste,
der den Rittern ja bereits wegen seiner Starrköpfigkeit bekannt war.
Die anderen Dorfbewohner standen beifällig nickend dabei. "Wenn ihr
etwas braucht, so könnt ihr es haben, wenn ihr dafür bezahlt.
Gold genug habt ihr ja wohl!"
Die Ritter wurden blass vor Wut über die
Unverschämtheit dieser Forderung. Sie sollten bezahlen? Freie Bauern?
Eisenfaust beugte sich vom Pferd herab.
"Hör mir gut zu, Dorfschulte!" grollte
er. "Ich gebe euch zwei Tage Zeit. Wenn ihr uns bis dahin nicht alles gebracht
habt, was wir wollen, dann wird ein großes Unglück über
euch kommen. so wahr ich ein Drachenritter bin!"
Dann zogen die Ritter ab.
Die Bauern dachten selbstverständlich
nicht daran, die Forderung der Ritter zu erfüllen. Unbekümmert
gingen sie ihren Beschäftigungen nach.
Am Morgen des dritten Tages aber erhob sich
ein fürchterliches Sausen und Brausen in der Luft. Von den Zinnen
der Burg stieß ein großer Drache in das friedliche Tal herab.
Er verwüstete die Felder mit seinem giftigen Atem, tötete das
Vieh auf den Weiden und entzündete die Häuser mit seinem glühend
heißen Drachenfeuer. Drei Tage wütete das Ungeheuer. Dann zog
es sich wieder auf die Burg zurück.
Die Bauern aber blieben hart. Sie richteten
ihr Hab und Gut wieder her, so gut es eben ging, mühten sich, den
Drachen zu vergessen und lebten weiter wie bisher.
Als wiederum zwei Tage vergangen waren, erhob
sich abermals ein fürchterliches Sausen und Brausen in der Luft. Der
Drache erschien aufs Neue, verwüstete die Felder mit seinem giftigen
Atem, tötete das Vieh auf den Weiden und entzündete die Häuser.
Da wurde es dem Dorfältesten zu bunt.
Er rief seinen Sohn Richard zu sich und sprach:
"Mein Sohn, den Drachen haben uns mit Sicherheit
die Ritter auf den Hals gehetzt. Er wird uns so lange peinigen, bis wir
unsere Abgaben entrichtet oder all unsere Habe verloren haben. Wir sind
aber freie Bauern. Niemand hat ein Recht, uns zu seinen Sklaven zu machen.
Wir müssen einen Weg finden, uns den schrecklichen Drachen vom Halse
zu halten. Ich bitte dich, gehe zum Magier Merling und frage ihn um Rat."
Der Bauernsohn war ein tapferer junger Mann.
Obwohl sein Herz seinem Hosenboden näher stand als seiner Brust, folgte
er der Bitte seines Vaters und machte sich auf den Weg in den Wald des
Zauberers.
***
Er marschiert sieben Tage und Nächte,
bis er dahin kam, wo der Wald am finstersten war und die Bäume so
dicht standen, dass es kein Weiterkommen mehr gab. Da fand er die Lichtung
mit dem Haus des Zauberers.
"Oha! Wieder ein Besucher!" erscholl die Stimme
des Magiers. "Hier ist in letzter Zeit aber viel los."
Das Haus teilte sich und Merling erschien
auf der Lichtung.
Richard beeilte sich, seine Bitte vorzutragen.
Merling hörte ihm zuerst ruhig zu. Als aber der Drache erwähnt
wurde, stand er auf und ging auf und ab. Ab und zu unterbrach er die Ausführungen
Richards mit Fragen wie: "War der Drache wirklich so groß?" oder
"Waren seine Schuppen grün oder schwarz?", fragte nach der Farbe seiner
Augen (Gelb oder Rot) und so weiter. Schließlich schwirrte Richard
der Kopf. Der Magier aber war plötzlich lebhaft wie ein Fohlen. Er
hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere und lief schließlich
in sein Haus, um endlich mit einem dicken Buch, das er kaum zu tragen vermochte,
wiederzukommen.
"Da habe ich doch kürzlich erst von einem
großen Drachen gelesen," murmelte er. "Große Drachen sind nämlich
inzwischen sehr selten geworden, musst du wissen, Richard. Seit die Menschen
immer weniger an die Macht der Magie glauben, verflüchtigt sie sich
mehr und mehr. Drachen sind magische Wesen. Verliert sich die Magie, verschwinden
auch die Drachen. Aber dieser hier scheint ein Königsexemplar zu sein.
Aha! Da ist er ja!" Triumphierend drehte er das Buch so, dass auch Richard
einen Blick hineinwerfen konnte. Seine Augen richteten sich auf das Bild
eines großen grünen Drachens.
"Das ist Quatzkotl, der letzte König der
Drachen!" erklärte Merling. "Sein Vater, Pergotzkatl, soll angeblich
vor mehreren hundert Jahren von einem schusseligen Ritter auf hinterlistige
Weise getötet worden sein!" Bedauernd wiegte Merling seinen Kopf.
"Wie kann man nur ein derart edles Wesen töten!"
"So weit her ist es mit dem Adel eines Drachens
wohl nicht!" widersprach Richard dem Magier. "Wenn er so weiter macht wie
bisher, dann nagen wir bald alle am Hungertuch!"
"Dieses Verhalten paßt nicht zu einem
Drachen wie Quatzkotl!" gab der Merling barsch zurück. "Und jetzt
sei still! Ich muss nachdenken!"
Er drehte sich um und verschwand mit seinem
Buch in der Hütte. Mehrere Stunden später kam er wieder zurück.
"Pass auf, sagte er. Ich möchte, dass
du in die Burg gehst und mir das Erste bringst, das du siehst, das weiß
ist. Eil dich! Wir haben keine Zeit zu verlieren!"
"Aber wie komme ich hinein?" wollte Richard
wissen. "Wenn die Ritter mich sehen, sperren sie mich sofort ein."
"Ich glaube, ich werde alt," seufzte Merling.
Er zog ein kleines Fläschchen mit einer blauen Flüssigkeit aus
seinem Wams.
"Nimm dies!" befahl er und erklärte ihm
den Weg über den Dornbusch in die Burg. "Wenn du den Inhalt dieser
Flasche über den Busch schüttest und sagst: ’Trolle, Hölle,
Drachenblut, lässt du mich durch, geht es dir gut’, dann lässt
er dich sofort ein. Sonst müsstest du auf die nächste Neumondnacht
warten. Jetzt aber los! Und vergiss nicht: Bringe mir das Erste, das weiß
ist!"
Als Richard sich auf den Rückweg machen
wollte, hielt ihn Merling zurück.
"Warte," forderte er den jungen Mann auf.
"Ich werde dir einen Führer mitgeben, damit du schneller bei der Burg
ankommst - und vor allem, damit die Ritter dich nicht sehen!"
Er stieß einen grellen Pfiff aus. Als
sich nichts tat, stampfte er wütend mit seinem rechten Fuß auf.
"Verflixt und zugenäht!" schimpfte er.
"Schläft der faule Kerl etwa wieder?"
Er schlich sich hinter seine Hütte. Richard
hörte ein lautes Klatschen, gefolgt von lautem Wehgeschrei, das von
einer Schimpfkanonade des kleinen Magiers begleitet wurde. Schließlich
tauchte Merling wieder auf. Hinter sich zog er - Richard blieb das Herz
stehen - einen halbwüchsigen Troll her.
"Das ist Knurps, der Troll!" erklärte
Merling. "Er kennt die Gegend ganz ausgezeichnet und wird dich zur Burg
bringen."
Richard hatte noch nie einen leibhaftigen
Troll zu Gesicht bekommen und hatte auch nicht vor, die Bekanntschaft zu
vertiefen, denn obwohl Knurps noch nicht ausgewachsen war, sah er schon
wie ein rechter Troll aus:
Bereits jetzt war er schon größer
als Richard, der mit seinen 18 Jahren fast erwachsen war und, durch die
harte Feldarbeit gestählt, seinen Mann stand. Knurps überragte
ihn jedoch um Haupteslänge. Seine muskelbepackten, behaarten Arme
schleiften fast auf dem Boden. In dem viereckigen, mit struppigem Haar
bedeckten Schädel, glitzerten pechschwarze kleine Augen. Die platte
Nase und der breite Mund mit stumpfen, gelben Zähnen rundeten das
Bild eines Halbungeheuers ab. In der Tat sah der Troll mehr wie ein Tier
denn wie ein Mensch aus.
"Ich, äh, komme ganz gut allein zurecht!"
stotterte Richard darum auch ängstlich.
"Papperlapapp!" gab der Magier grob zurück.
"Knurps ist vollkommen ungefährlich. Seinen Appetit auf Menschenfleisch
wird er erst als Erwachsener entwickeln. Und davon ist er noch ein paar
Jahre entfernt. Nicht war, mein kleiner Liebling?"
Knurps fühlte sich angesprochen und grinste
ein Faules-Zahn-Grinsen, das Richard das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Doch er ergab sich in sein Schicksal. Brav
verabschiedete er sich von Merling, der sich ein Grinsen nicht verkneifen
konnte. Dann schlich er dem Troll hinterher, der sich polternd durch das
Unterholz schob.
***
Hatte die Anreise noch sieben Tage und Nächte
gedauert, so war die Rückkehr im Handumdrehen erledigt. Knurps erwies
sich als geschickter Führer, der Richard im Nu zur Burg brachte. Dort
verabschiedete er sich mit einem Grinsen, das wohl freundlich sein sollte,
Richard jedoch die Beine weich werden ließ. Dann war der Troll wieder
in den Tiefen des Waldes verschwunden.
Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu.
Die Sonne schickte sich an, unterzugehen und die Zinnen der Burg reckten
sich jäh in den dunkler werdenden Himmel. Richard nahm sich keine
Zeit zur Rast, sondern schlich sich zur Nordmauer, um den Dornenstrauch
noch im letzten Licht der Dämmerung zu finden. Er entkorkte die Flasche,
besprühte den Strauch kurz und flüsterte: "Hölle, Trolle.
Drachenblut, lässt du mich durch, geht es dir gut!"
Der Strauch reagierte sofort. Seine Zweige
teilten sich und gaben die Wand frei. Richard schlich hin, berührte
den weißen Stein - und war schon im Inneren der Burgmauern.
Die Ritter hatten bereits einige Fackeln entfacht,
die den Burghof notdürftig erhellten. Inmitten des Platzes stand ein
großer vierrädriger Holzkarren, in dem sich etwas Großes,
Schuppiges rührte. Richard nahm sich vor, einen großen Bogen
um das Gefährt zu machen, denn nicht zu Unrecht vermutete er, dass
vielleicht ein gewisser großer Drache drinnen sein könnte. Vorsichtig
streifte er durch die Burg, wobei er immer wieder umhergehenden Rittern
ausweichen musste, die sich in dem Gemäuer inzwischen wie zu Hause
fühlten. Gerade als er durch ein eisernes Gitter schlüpfen wollte,
das den Weg ins Verließ markierte, kam ihm ein Wolfsritter entgegen.
Entsetzt schaute Richard sich um. Wohin? Wo sich verstecken? Wenn der Ritter
ihn erwischte, war ihm der Tod gewiss!
"Nach rechts!" wisperte ihm da eine kaum hörbare
Stimmte zu.
Richard überlegte nicht lange, sondern
tat, wie ihm sein unsichtbarer Retter geraten hatte: Er sprang nach rechts
in eine winzige Nische, die er vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Der
Wolfsritter ging vorbei, ohne ihn zu sehen.
"Puhh!" sagte die Stimme von eben. "Das war
knapp!"
"Wer bist du?" fragte Richard und sah sich
um, ohne seinen Retter sehen zu können.
"Ich bin George!" antwortete die Stimme. "Ich
bin das Gespenst dieser Burg."
Neben Richard entstand ein weißes Schemen,
das ihn etwas an ein gut gewaschenes Bettlaken seiner Mutter erinnerte.
Nur, dass es menschenähnlich geformt war und Augenhöhlen besaß.
Normalerweise fürchtete sich Richard vor Gespenstern, aber dieses
hier hatte ihm ja geholfen. Für Angst gab es also keinen Grund.
"Warum hast du mir geholfen, George?" wollte
Richard wissen.
"Ach weißt du, ich mag die Ritter nicht
besonders," gab George zurück. "Als Gespenst ist es meine Aufgabe,
nachts herumzuspuken, um die Leute zu erschrecken. Die Ritter aber fürchten
sich nicht vor mir. Kein Bisschen! Du kannst dir nicht vorstellen, wie
schrecklich das für mich ist. Mein ganzes Selbstbewusstsein ist dahin!"
Georges Stimme wurde bei diesen Worten so
traurig, dass Richards mitleidiges Herz sich regte.
"Also, auf mich machst du einen fürchterlich
gespenstischen Eindruck, George!" bekräftige er. "Wenn ich dir unverhofft
begegnet wäre, wäre ich sicherlich vor Angst gestorben."
George tat dieses Lob gut. Das fahle Leuchten
des Geistes wurde heller.
"Vielen Dank, Richard!" antwortete er darum
auch. "Zum Dank für deine Freundlichkeit, zeige ich dir auch, wo du
das finden kannst, wonach du suchst."
"Woher weißt du, dass ich etwas suche?"
fragte Richard erstaunt.
"Wir Geister wissen alles!" gab George stolz
zurück und führte seinen neuen Freund ins Verließ zu dem
weißen Gerippe des letzten Gefangenen der Burg.
"Bringe das hier dem Magier Merling!" sagte
er und verblasste.
Richard war froh, am Ziel zu sein, raffte die
klappernden Teile des Knochenmannes zusammen und machte sich daran, die
Burg zu verlassen. Im Hof jedoch erwartete ihn eine unangenehme Überraschung.
Die Ritter hatten sich in einem Kreis zusammengesetzt und ließen
die Weinkrüge kreisen. Der Ausgang durch den Dornbusch lag genau gegenüber.
Richard musste also mitten durch die Ritterrunde durch! Wie sollte er das
schaffen? Unschlüssig trat er einige Schritte zurück, um sich
möglichst weit aus dem Sichtfeld der Trinkenden zu bringen. Dabei
stieß er mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Verwirrt drehte
er sich herum, um zu sehen, was ihn da behinderte. Er blickte in das gelbe
Auge des Drachen. Himmel war der Drache groß! Entsetzt öffnete
Richard den Mund, um seinem Schrecken durch einen lauten Hilfeschrei Luft
zu machen.
"Halt’ besser den Mund! Sonst geht es dir an
den Kragen!" brummte der Drache. "Mit den Rittern ist nicht zu spaßen.
Ich hab’ da so meine Erfahrungen!"
Richard klappte den Mund unverrichteter Dinge
wieder zu.
"Du kannst sprechen?" fragte er atemlos.
"Natürlich!" gab der Drache zurück.
"Du doch auch oder etwa nicht?"
"Ja, sicher," antwortete Richard. "Aber immerhin
bin ich ja auch ein Mensch!"
"Und ich nur ein Drache, nicht wahr? Ein dummes
Tier, das keinen Verstand hat?"
Richard zögerte. Der Drache hatte genau
das ausgesprochen, was Richard dachte. Ein Drache war ein Tier. Und Tiere
konnten weder denken noch sprechen.
Allerdings wollte dieser Drache überhaupt
nicht in das "Dumme-Tier-Schema" passen. Seine Augen blickten ihn intelligent
an - außerdem vermochte er nicht nur zu sprechen, sondern auch überaus
klug zu argumentieren. Richard, der alles andere als ein Dummkopf war,
beschloss die Dinge so zu nehmen, wie sie waren und sich keine weiteren
unnützen Gedanken zu machen.
"Lass uns dieses Thema bei einer anderen Gelegenheit
weiter verfolgen," schlug er vor. "Du bist doch der Drache, der unsere
Felder verwüstet und unser Vieh tötet. Wenn du wirklich kein
dummes Tier bist, musst du für deine Taten einen vernünftigen
Grund haben. Was ist das also für ein Grund?"
Der Drache schlug bekümmert seine Augen
nieder.
"Zahnschmerzen!" flüsterte er kaum hörbar.
"Zahnschmerzen?" echote Richard erstaunt.
"Jawohl. Ich muss zugeben, dass ich grässliche
Zahnschmerzen habe, weil sich einer meiner Zähne entzündet hat.
Möchtest du ihn sehen?" fragte der Drache hoffnungsvoll.
"Nur das nicht!" wehrte Richard entschieden
ab. Diese Nacht war für ihn ereignisreich genug gewesen und der Drache
riesig groß. Ihm stand der Sinn nicht auch noch nach großen,
spitzen Drachenzähnen.
"Was haben denn die Ritter mit deinen Schmerzen
zu tun?" wollte er wissen.
"Sie geben mir eine Medizin, die die Schmerzen
lindert. Sie verlangen dafür von mir, dass ich in diesem Käfig
bleibe, bis sie mich wieder herauslassen."
"Und wenn sie das tun, musst du machen, was
sie von dir verlangen zu tun?"
Niedergeschlagen nickte der Drache mit dem
Kopf.
"Und das mir, Quatzkotl, dem König der
Drachen! Es ist nicht auszuhalten!"
Richard schaute ihn strafend an: "Ich habe
aber den Eindruck, dass dir die Ausübung deiner Untaten direkt Spaß
machen; denn du gehst sehr gründlich bei der Zerstörung unserer
Felder vor!"
"Ich gebe es ja zu!" antwortete Quatzkotl
bedrückt. "Aber stecke du mal den lieben langen Tag in diesem engen
Käfig. Wenn sie mich rauslassen, habe ich das dringende Bedürfnis,
mich auszutoben - und Drachen sind nun mal keine Schoßhündchen!"
Nach einer Pause fügte er hinzu: "Außerdem
muss ich fürchten, dass die Ritter mir die Medizin verweigern, wenn
ich nicht richtig loslege."
Richard schnüffelte. Der Drache schien
erst vor kurzem eine Dosis der Medizin genossen zu haben. Der Duft, der
ihm in die Nase stieg, kam ihm bekannt vor. Sein Vater nahm eine ähnliche
Medizin zu sich: Wein. Die prachtvolle Fahne war unverkennbar! Die Ritter
schienen enorme Mengen des Getränks bei sich haben, denn es musste
für sie selbst reichen und zusätzlich noch für den Drachen,
der wahrscheinlich eine gehörige Portion eingetrichtert bekommen musste,
um den Zahnschmerz betäuben zu können.
Diese Kunde musste sofort dem Magier überbracht
werden. Vielleicht konnte er Quatzkotl helfen, und dann wäre das Problem
der Bauern gelöst. Ohne den schmerzenden Zahn würden die Ritter
keine Gewalt mehr über den Drachen haben.
"Wie komme ich hier wieder heraus?" fragte
Richard.
"Das ist kein Problem," antwortete George,
das Gespenst, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. "Das Besäufnis
der Ritter hat seinen Höhepunkt bereits überschritten. Sie werden
gleich völlig benebelt umfallen und bis zum nächsten Mittag schlafen.
Das machen sie immer. In der Zwischenzeit kannst du die Festung gefahrlos
verlassen."
***
Es geschah genauso, wie George vorhergesagt
hatte: Die Ritter tranken bis zum Umfallen und Richard konnte die Burg
verlassen. Schnell schlug er sich in die Wälder, wo er bald Knurps
in die Arme lief. Der Troll hatte ihn bereits erwartet. Unter seiner Führung
gelangte Richard in Windeseile zum Magier.
"Ah!" rief dieser erfreut. "Wie ich sehe, hast
du an das Skelett Georges gedacht! Gut! Sehr gut! Jetzt kann ich endlich
das Drachenzahnschmerzpulver machen!"
"Wie, du wusstest, dass Quatzkotl Zahnschmerzen
hat?" fragte Richard erstaunt.
"Nein! Ich wusste, dass der Drache, den die
Ritter in ihrer Gewalt haben, Zahnschmerzen hat. Ich wusste aber nicht,
dass es Quatzkotl ist, bevor du ihn mir beschrieben hattest."
"So was Blödes!" knurrte Richard. "Da
schleiche ich wie ein Dieb mit vor Angst feuchten Händen und bebendem
Herzen in der Burg herum, um stundenlang nach etwas zu suchen, das weiß
ist und du hättest mir nur zu sagen brauchen, dass du die sterblichen
Überreste Georges haben wolltest. Ich hätte geradewegs in den
Kerker gehen können, anstatt lange zu suchen."
Der Magier grinste Richard ungeniert an.
"Wir Magier sind eben so, mein guter Richard.
Man darf über die Ingredienzen eines Zaubertrankes nicht zu offen
sprechen. Sonst verliert er seine Kraft. Wie ich aber sehe, lebst du noch
und da nur deine Hände, aber nicht dein Hosenboden feucht geworden
sind, kann es nicht zu schlimm gewesen sein."
Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt
auf seine Hütte zu. Unter großem Ächzen und Stöhnen
zog er aus einer finsteren Ecke einen riesigen, fürchterlich schmutzigen
Kochtopf hervor.
Richard verzog angewidert das Gesicht.
"Und wenn mir einer deiner Zaubertränke
das Leben retten könnte: Wenn er aus diesem Topf kommen sollte, würde
ich ihn nicht trinken!" bekräftige Richard.
Der Magier linste ihn listig an: "Ich gebe
zu, dieser Topf ist der Schrecken aller braven Hausfrauen. Aber bei den
magischen Tränken ist es so, dass sie besser wirken, wenn sie in ungereinigten
Töpfen gebraut werden. Das ist Teil ihrer Magie!"
Zerstreut gebot der Magier Richard nun, still
zu sein und begann mit seiner Arbeit. Richard sah ihm dabei fasziniert
über die Schultern.
Der Magier warf zunächst das Skelett Georges
in den Topf. Es bekam Gesellschaft in Gestalt zweier getrockneter Fledermausflügel,
einem geraspelten Hexenzahn und mehreren anderen Dingen, die Richard nicht
eindeutig identifizieren konnte. Genau genommen wollte er es auch gar nicht
wissen.
"Ah, der gelierte Krötendarm, eine Faust
Trollhaare. Hmm, eine Küchenschabe kann auch nicht schaden." Der Magier
warf in den Topf, was ihm in die Quere kam. Richard wandte sich schließlich
ab. Grün im Gesicht ging er ein Stück weg.
Merling seinerseits ging ungerührt seiner
Arbeit nach. Er entfachte ein gewaltiges Feuer unter dem Kessel. Bald brodelte
der seltsame Inhalt wie ein dicker, zäher Sumpfbrei vor sich hin.
Nach zwei Stunden gab es eine dumpfe Explosion,
in deren Folge sich der Inhalt des Topfes gleichmäßig über
die Umgebung verteilte.
"Juchhu!" grölte der Zauberer. "Geschafft.
Jetzt ist das Werk getan!"
Mit einem riesigen Schöpflöffel
trat er an den Kessel und füllte eine kleine Flasche mit einer glasklaren
Flüssigkeit.
"Das ist es!" verkündete er stolz und
reichte Richard das Gefäß. "Nimm es und gib es Quatzkotl, wenn
er euch wieder heimsucht. Danach wird er wieder Herr seiner selbst sein!
Anschließend schicke ihn zu mir. Ich werde ihm dann endgültig
helfen."
Richard bedankte sich artig bei Merling und
machte sich wieder auf den Heimweg - natürlich begleitet von Knurps,
dem der Menschenjunge offenbar gefiel. Am Rande des Waldes blieb er jedoch
zurück. Trolle scheuen das helle Licht des Tages. Die Dämmerung
der Nacht oder der Waldes ist ihnen lieber. Grelles Sonnenlicht verwandelt
sie sofort zu Stein. Wenn man aufmerksam genug durch die Natur geht, kann
man auch heute noch alte verwitterte Felsen entdecken, die früher
einmal lebendige Trolle gewesen sind. Im Laufe der Jahrhunderte aber sind
die Steine so verwittert, dass man sie inzwischen kaum noch als Trollsteine
erkennen kann. Der Kundige aber erkennt sie noch!
***
Im Dorf bereitete man Richard einen freudigen
Empfang. Selbst sein starrköpfiger Vater drückte ihn an sich.
Richards Bericht jedoch rief einige Unmutsfalten auf dessen Stirn hervor.
"Ein Drache mit Zahnschmerzen?" fragte er
argwöhnisch. "Mein Sohn, ich hoffe, dass du dir keinen Bären
hast aufbinden lassen!"
"Warten wir’s ab, Vater!" gab Richard zuversichtlich
zurück, und das ganze Dorf machte sich daran, auf den nächsten
Angriff des Drachen zu warten.
Wenige Tage später war es so weit. Von
den Zinnen der Burg stieß Quatzkotl, der König der Drachen,
wie ein riesiger Adler herab auf das Dorf. Ein mächtiges Sausen und
Brausen erhob sich in der Luft, als das Ungeheuer getragen von gewaltigen
Schwingen durch die Luft glitt. Die Herzen schlugen den Bauersleuten bis
zum Halse, denn der Anblick eines großen Flugdrachens ist beängstigend.
Richard jedoch nahm all seinen Mut zusammen
und trat mit dem Fläschchen des Magiers in der Hand dem Drachen entgegen.
"Sei gegrüßt, großer Quatzkotl!"
rief er dem Drachen entgegen. "Ich habe hier eine Medizin, die der große
Magier Merling für dich gemacht hat. Sie wird dir helfen, deinen Schmerz
zu überwinden."
Quatzkotl blickte Richard wild an und antwortete:
"Wer denkst du, wer du bist, dass du dich traust, mir entgegenzutreten?"
Richard ließ den Mut nicht sinken.
"Erkennst du mich denn nicht? Ich bin Richard,
der dich noch vor kurzem in der Burg besucht und mit dir gesprochen hat.
Ich weiß von deinen Schmerzen und deinem Wunsch nach Freiheit. Bitte
lass dir von mir helfen!"
Der Drache reckte seinen Hals und blickte Richard
an: "Fürwahr, Zwerg, ich erkenne dich jetzt wieder. Lass sehen, was
du in Händen hältst!"
Richard hielt die Flasche hoch. Die helle
Flüssigkeit glänzte in der Sonne.
"Merling sagst du? Er ist unter den Magiern
nicht gerade der Größten einer. Aber in meiner jetzigen Lage
darf ich nicht wählerisch sein. Ich muss das Joch des Schmerzes abwerfen.
Gib her!"
Quatzkotl schnappte nach der Flasche, zerbiss
sie und schluckte ihren Inhalt hinunter.
"Aahh!" stöhnt er, "Das brennt wie Feuer.
Herrlich! Merling muss einen geraspelten Hexenzahn hineingetan haben!"
Quatzkotl verdrehte genussvoll die Augen und
stieß einen flammenden Feuerstrahl gen Himmel.
"Ist der Schmerz weg?" fragte Richard.
"Vollkommen!" freute sich der Drache.
"Du musst jetzt sofort zu Merling!" empfahl
Richard. "Nur er kann dir den Schmerz für immer nehmen."
"Schon kapiert, Richard," brummte Quatzkotl,
der nachdem ihn der Schmerz verlassen hatte, wieder umgänglich war.
"Willst du mit mir fliegen?"
Richard stimmte freudig zu. Der Gedanke, auf
dem Rücken des Drachens sitzend durch die Luft zu reisen, entzückte
ihn. Schnell krabbelte er Quatzkotl auf den Buckel. Dieser schwang sich
mit Macht in den blauen Himmel und ab ging‘s mit Gesaus zu Merling dem
Magier.
"Hallo, ihr zwei, wie ich sehe, seid ihr ja
schon Freunde geworden!" begrüßte dieser die Ankömmlinge.
"Klar doch!" antwortete Quatzkotl als er landete.
"Immerhin hat er mir meine Freiheit und meine Lebensfreude wiedergegeben."
Richard stieg schwindlig vom rasenden Flug
vom Rücken des Drachen herunter. Er musste sich erst einmal setzen.
Es tat gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben!
Während Merling und Quatzkotl sich zurückzogen,
um ein Pläuschchen miteinander zu halten, gesellte sich Knurps zu
Richard. Fast sah es so aus, als sei er auf Quatzkotl ein wenig eifersüchtig.
Nach geraumer Zeit kamen Magier und Drache
wieder zurück. Beide waren bester Stimmung.
"Jetzt kommt das Größte!" grinste
Quatzkotl.
Richard schaute ihn fragend an.
"Nun, die Ritter müssen doch noch ihr
Fett wegbekommen!" erklärte Merling. "Glaubst du etwa, dass sich ein
Drache wie Quatzkotl diese Behandlung gefallen lässt?"
"Darf ich mit?" fragte Richard. "Immerhin
habe ich ja auch mit den Leuten ein Hühnchen zu rupfen!"
Knurps stand auf und schlug sich mit den schmutzigen
Fäusten gegen die Brust, dass es dröhnte.
Drache, Magier und Mensch lachten. Da wollte
offenbar noch jemand mit.
***
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt:
Wie ein Sturmwind brauste der Drache mit Richard
und Knurps durch die Lüfte zur Burg. Als die Ritter bemerkten, was
da auf sie zukam, rollten sie gar fürchterlich mit den Augen, rauften
sich die Haare und griffen mutig und zu allem entschlossen zu ihren Schwertern.
Doch gegen den wieder gesundeten Quatzkotl und den riesigen Troll hatten
sie trotz ihrer ganzen Kampferfahrung keine Chance. Richard hielt sich
im Hintergrund, um das Geschehen ungefährdet beobachten zu können.
Knurps bewegte seine Arme wie Windmühlenflügel. Voller Freude,
seine Bärenkräfte einmal ganz herauslassen zu dürfen, drosch
er wonnevoll auf jedes Mitglied der Wolfbande ein, das ihm vor die Augen
kam. Quatzkotl wiederum zeigte den Drachenrittern, dass niemand einen Drachen
ungestraft einsperren und demütigen darf: Er spie Feuer, brühend
heißen Dampf oder giftigen Rauch, wobei er sich ganz auf die eisernen
Hosenböden der ritterlichen Rüstungen konzentrierte. Schließlich
ergriffen sie alle die Flucht. Mit ihren verbrühten oder angerösteten
hinteren Körperteilen war allerdings ein Reiten nicht mehr möglich.
Zu Fuß und benebelt vom giftigen Drachenodem schlichen sie wie geprügelte
Hunde von dannen, das Lachen ihrer Gegner in den Ohren.
Richard umarmte Quatzkotl und sogar den unheimlichen
Knurps.
"Wir sollten diese Burg abreißen, damit
sich nie wieder fremde Raubritter hier niederlassen können, um uns
das Leben schwer zu machen!" schlug er vor.
"Um Himmels Willen, das geht nicht!" rief
George. "Als Gespenst bin ich an diese Burg gebunden. Du vernichtest meine
Existenz, wenn du das tust."
Richard beeilte sich, zu versichern, dass
er unter diesen Umständen nicht daran denke, der Burg Schaden zuzufügen.
"Ich weiß etwas Besseres," meldete sich
Quatzkotl zu Wort. "Du, Richard, hast gezeigt, dass du in der Lage bist,
in schwierigen Zeiten deinen Mann zu stehen. Du hast Mut und bist tapfer.
Du bist klug und tolerant auch Andersartigen gegenüber. Immerhin hast
du jetzt einen Troll und einen Drachen zum Freund. Was hältst du davon,
wenn Merling, Knurps und ich dafür eintreten, dass du der neue König
in dieser Festung wirst?"
Und so geschah es auch. Die Bauern das Tales
waren mit dem Vorschlag einverstanden, da sie sich dachten, dass Richard
immerhin einer der ihren war und sie es mit einem fremden König sicherlich
schlechter treffen könnten. Der Dorfschulte fühlte sich darüber
hinaus geschmeichelt, dass seinem Sohn diese hohe Ehre zuteil wurde und
so waren letztendlich alle zufrieden.
Als diese Dinge geregelt waren, verabschiedete
sich Quatzkotl von seinen neuen Freunden.
"Wo gehst du hin, Quatzkotl?" wollte Richard
wissen.
"Ach weißt du, Richard," gab Quatzkotl
gedehnt zurück. "Wir befinden uns hier am Rande der alten Zeit. Ich
gehe wieder zurück in die Tiefe der Wildnis, wo die Magie noch mächtig
ist und alle Zauber stark sind. Dahin, wo die Menschen noch Respekt vor
uns Drachen haben, wo es noch echte Prinzessinnen gibt, die schön
sind wie der helle Tag. Wo sich Hexen, Kobolde und Elfen ein Stelldichein
geben, der Nöck noch seinen Flöte spielt. Vielleicht finde ich
dort sogar eine feurige Drachendame, die zu mir paßt!"
Richard ließ traurig den Kopf hängen.
"Werde ich dich nie wieder sehen?"
"Wenn du einmal Sorgen haben solltest und
wenn die Not am größten ist, werde ich zur rechten Zeit da sein,
um dir zu helfen. Glaube mir, Richard, du bist mein Freund und ein Drache
lässt seine Freunde nie im Stich!"
Nach diesem Versprechen breitete Quatzkotl
die Flügel aus und schwang sich in das Licht der untergehenden Sonne.
Wie ein riesiger Vogel verschwand er in der Dämmerung.
Richard aber wurde zu König Richard.
Die Burg wurde zu Schloss Drachenburg, in der George, das Gespenst, nach
Herzenslust herumspuken konnte. Selbstverständlich fürchteten
sich alle pflichtschuldigst vor ihm, wie es sich gehörte.
Der Berg aber, auf dem die Burg erbaut worden
war, wurde fortan der Drachenfels genannt. Zu Ehren Quatzkotls, des Königs
der Drachen.
© W. H.
Asmek
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