Der Dieb von Renon |
Der Schein seiner Fackel erleuchtete den Gang nur schwach. Er war immer noch von Dunkelheit umgeben. Aber das änderte sich ein paar Schritte später. Der schwache Schimmer von Feuer kennzeichnete das Ende des Ganges. Auch die Hitze schlug ihm immer mehr entgegen. Der Schweiss stand Ramon auf der Stirn. Da unten musste eine gewaltige Hitze herrschen. Vielleicht stimmten die Legenden vom Feuersee tatsächlich. Hoffendlich auch die vom Schatz, der dort unten gehortet wurde. "Meinst du, er ist wirklich da unten?" "Wir haben den Eingang umstellt. Selbst wenn er nicht in der Höhle ist..." "...entkommen kann er uns nicht." "Ich wette, er schafts nicht." "Immerhin hat er die Herausforderung angenommen..." "Haha. Als ob er eine grosse Wahl gehabt hätte." "Ich nehme jedenfalls an. Ein Goldstück, dass er es schafft." "Akzeptiert." Ramon stand am Ende des Tunnels. Vor ihm erstreckte sich ein riesiger See aus flüssigem Gestein. Immer wieder bildeten sich Blasen auf der Oberfläche und setzten beim Platzen Stichflammen frei. Am anderen Ende schien der Glanz von Gold zu ihm herüber. Davor zeichnete sich deutlich die Silhouette eines schlafenden Drachen ab. "Scheisse!" dachte sich Ramon. "Warum müssen die Legenden vom Drachen auch stimmen?" Andererseits wäre er auch wohl kaum hier, wenn es den Drachen nicht geben würde. Er war sogar wichtiger, als der Schatz, den er bewachte. Die beiden Ufer des Sees wurden durch einen schmalen Pfad verbunden, der von merkwürdigen Statuen gesäumt wurde. Ramon betrat ihn. "Ich glaube, er ist schon tot." "Woher willst du das wissen?" "Worauf wartest du denn? Darauf, dass er brennend rausgerannt kommt oder dass der Drache seine Reste vor der Höhle ausspuckt. Du weisst doch, dass niemand die Höhle verlassen hat, weder tot noch lebendig. "Und warum stehen wir dann hier rum? Weil es möglich ist, dass er doch überlebt." "Ich erhöhe auf zwei Goldstücke." "..." "Was ist?" "O.k. ich geh mit." Die "Statuen" am Rande des Weges waren Trophäen. Zeugnisse seiner Vorgänger. Mahnmahle für weitere Diebe und Möchtegern-Drachentöter. Die Leichen derer, die versagt hatten, waren an Pfählen angebunden worden. Ramon wurde etwas flau im Magen, als er sich vorstellte, bald selbst Teil dieser Sammlung zu werden. Die Toten trugen noch immer Waffen und Rüstungen bei sich, die auf ihre Stärke schliessen liessen. Alles was Rophus trug, waren ein Leinenhemd, eine Flachshose, sowie ein Paar getragener Lederstiefel, die er mal vor einer Haustür fand. Er hatte bisher all seinen Besitz nur "gefunden", als Gold und Schmuck noch andere Eigentümer hatten. Sein Taschendiebstahl war nicht das grosse Erfolgsgeschäft, aber es hielt ihn über Wasser. Ramon näherte sich dem Schatz und damit auch dem Drachen Schritt für Schritt. Es würde sein gefährlichster Raubzug werden. Dagegen war die königliche Schatzkammer harmlos. "Wie lange braucht der denn?" "Geh doch rein und guck nach." "Mach doch selber." "Warum sollte ich? Ich gewinne mein Gold auch, wenn er nicht wieder rauskommt." Nach Möglichkeit wollte er den Drachen schlafen lassen. Aber das war eben nicht garantiert. Ramon griff nach einem Schwert, das an einen toten Ritter gelehnt war. Er würde wohl sowieso keine Chance haben, falls es zum Kampf kommen würde. Aber es war besser so, als gar nichts in der Hand. Als er das Schwert zu sich zog, hörte er ein vertrautes Geräusch, das Klimpern von Goldmünzen. Er sah zur Rüstung hinüber und erkannte einen kleinen Goldbeutel, der an die Hüfte gebunden war. Er hatte ihn angestossen, als er das Schwert nehmen wollte. Vorsichtig öffnete er ihn. "Also entweder holt der jedes Gramm Gold einzeln raus..." "...oder ich habe meine Wette gewonnen." "Mir ist langweilig." "Für Spannung kann ich sorgen. Drei Goldstücke." "Vergiss die Wette. Ich will nach Hause." "Du passt also?" "Nein, ich werde nur langsam nervös." Eine seiner leichtsten Übungen: geräuschlos
Gold entwenden. Zwei Münzen hielt er in der Hand, noch etwa fünf
oder sechs waren im Beutel. Einfach lachhaft. Etwas bedrückt sah er
zum Drachen hinüber. Dieser war immer noch ruhig, lag aber unweigerlich
dem Schatz im Weg. Er blickte wieder auf seine Handfläche mit den
zwei Münzen darin. Natürlich! Das war es doch. Er sollte den
Drachen bestehlen, nicht ausrauben. Wenn er noch ein paar Münzen bei
anderen Leichen finden würde, hätte er sein Ziel erreicht. Auf
den Schatz und den Drachen konnte er verzichten. Er riss den Beutel ab
und lehnte das Schwert wieder gegen seinen Besitzer. Gerade, als er einen
Schritt zurück tat, begann es, abzurutschen und schlug klingend auf
dem steinigen Weg auf. Ramon hielt für einen Moment die Luft an und
drehte sich dem Drachen zu, um zu sehen, ob dieser geweckt worden war.
Zwei gelbe Augen starrten zurück.
"Er kommt." "Dann hätte ich gerne meine zwei Goldstücke" "Darüber reden wir später." "Einen Dreck werden wir." "Das ist nicht der richtige Moment, um zu streiten." "Es wäre ein besserer Moment, zu zahlen." "Ich habe kein Gold bei mir." "Waaas???" "Es liegt in meinem Quartier." "Ich werde dich dort hinschleifen, du..." "Seid ihr jetzt fertig?" Ramon blickte ungläubig auf die beiden Wächter, von denen einer dem anderen an den Kragen ging. Sofort nahmen die beiden Haltung an und versuchten souverän zu wirken - vergebens. Nach dem Stress tat etwas Unterhaltung richtig gut und er hätte sie gerne ausgelacht. Allein die Tatsache, dass die beiden bestimmt nicht alleine hier waren, hielt ihn davon ab, es zu tun. Sir Georg war ein Spieler, aber kein Narr. Zehn Mann geleiteten Ramon zu einer Lichtung,
auf der Sir Georg wartete.
© Renon
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