Der Jäger verharrte schon seit Stunden hinter dem gleichem
Baum, der gleichen Esche, und beobachtete die Höhle in der Flanke
des Berges und hatte seinen Bogen neben sich liegen. Er lag vielleicht
hundert Meter von der Höhle entfernt, in der seine Beute lag. Doch
die wollte sich einfach nicht zeigen und er hatte nicht den Mumm dazu sein
Versteck zu verlassen.
Der Wald grenzte an die Berge, die sich bis in die Wolken erhoben
und sich hundert Meilen von Nordosten nach Südwesten hinzogen. Durch
den Ostwind blieben die Wolken an den Bergen hängen und darum regnete
es hier am nördlichen Ende der Berge ziemlich oft. Deshalb war es
auch nicht das beste Jagdwetter. Am Morgen hatte es zu regnen begonnen
und jetzt strömte es aus den Wolken. Es war dunkel und man hatte das
Gefühl, es würde Nacht werden, dabei war es gerade mal Mittag.
Aber das alles brachte den Jäger nicht aus der Konzentration.
Denn er verfolgte seine Beute schon seit Wochen und war fest entschlossen
sie zu erlegen. Dafür wandere er auch Wochen lang durch das Land.
Schließlich gab es auch nicht mehr viele dieser Art und das Volk
des Jägers war Experte im Erlegen solcher Wesen, daher wäre es
eine Schande, ohne den Kopf des Wesens zurückzukehren. Mit leeren
Händen von der Jagd nach Hause zu kommen war für einen Alb unüblich,
denn ein Alb zu sein heißt, der geborene Jäger zu sein. Da konnte
man keine Beute entkommen lassen, oder man war bei allen unten durch.
Also vergaß er den Regen und ließ die Höhle nicht
aus den Augen.
Vielleicht merkte er dann irgendwann mal, dass ich ihn ebenfalls
schon seit Stunden beobachtete und einfach nur zum Zeitvertreib zu schlafen
versuchte. Vielleicht schwirrte er dann nach einer Woche ab. Ich konnte
warten, schließlich hatte ich gestern einen ganzen Hirsch verdrückt.*1
Also war ich für ein paar Tage satt. Das Problem war nur, der Typ
im Wald anscheinend auch! Seit Stunden bewegte er sich nicht! Das war doch
nicht normal! Aber es kann auch an dem Paar spitzer Ohren liegen, das ich
gesehen habe. Denn dann hätte ich ein Problem. Eigentlich sind die
Menschen nicht so dumm und legen sich mit einem Prachtkerl von Drachen
wir mir an, aber die Alben sind es.*2
Und die haben den tödlichen Vorteil, dass das Drachentöten ihnen
im Blut liegt. Obwohl, eigentlich auch das Elbentöten. Aber Drachenköpfe
sind mehr wert als die Köpfe ihrer spitzohrigen Brüder. Eigentlich
sollte man das denen unter die Nase reiben, dass wir mehr wert sind bei
Händlern als sie, aber die sind wie gesagt wahrscheinlich so schwer
zu finden wie wir. Aber ich wurde zu leicht gefunden, vielleicht wegen
dem Schafdiebstahl vor zwei Monaten, als ich hier eingezogen bin, oder
der Feuerfontäne von vor drei Wochen, als ich Schnupfen hatte. Wie
dem auch sei, der Alb hatte mich gestern in meiner Höhle gefunden
und konnte warten bis ich wieder was essen muss, er musste nichts essen.
Alben brauchen, wenn sie satt sind, einen Monat nichts zu essen. Kein Wunder,
dass die so spargeldünn sind. Und in dieser kahlen Höhle gab
es gar nichts zu essen, noch nicht mal etwas zum Anzünden! Und ohne
meine Drachenaugen könnte ich gar nichts sehen, aber durch sie wurde
die Nacht zum Tag und in der Höhle erkannte ich jeden Kiesel. Aber
auch der Alb hatte so gute Augen, deshalb war ich sicher, er könnte
mich noch in der Nacht ausgezeichnet sehen.
Er bräuchte nur zwei Schüsse, um mich zu erledigen: Einen
durch mein Auge, damit ich mich aufrichte und vor Schmerzen brülle,
und dann einen durch mein Herz, um mich auf einen Schlag zu töten.
Aber er griff nicht an. Dabei war ich erst 16!*3
Obwohl ich trotzdem nicht wehrlos gewesen wäre! Aber der Kerl da draußen
war etwa 100, was für Alben auch noch blutjung ist. Entweder es lag
an seiner Jugend, dass er mich nicht gleich abmurkste, oder an seiner Dummheit,
dass er vielleicht nicht wusste, wie alt ich war.
Wahrscheinlich daran.
Ich hatte mir jedenfalls vorgenommen, nicht gegen einen Anfänger-Drachenjäger
zu verlieren und mein Herz durchstechen lassen. Also überlegte ich
mir, wie ich da am besten rauskam. Die Höhle konnte ich ruhig zurücklassen,
sie war sowieso nur ein großes Loch in einem Berg. Wahrscheinlich
hatte ein anderer Drache mit größerer Macht als ich sie geschaffen,
der offensichtlich keinen Geschmack hatte. Und keine Nerven! Denn es war
hier furchtbar ungemütlich, aber sie ging weit genug in den Berg,
um vor Regen und neugierigen Augen zu schützen.
Und das war die Lösung! Er konnte mich nicht sehen, auch wenn
er schon seit Stunden versuchte mich zu sehen, obwohl eigentlich nur ich
ihn sehen konnte. Also überlegte ich mir was...
Das würde diesem Anfänger das Fürchten lehren!
dachte und hoffte ich...
Also, diese Höhle sollte den gewünschten Überraschungseffekt
hervorzaubern können.
Ich richtete mich in der großen Höhle auf und spie mit
aller Kraft, die ich in diesem verschlafenen Zustand hatte, einen goldenen
Feuerstrahl nach draußen. Die Höhle wurde kurz in gold-rotes
Licht getaucht und dann entflogen die Flammen nach draußen und trafen
den Baum, an dem der Alb lehnte.*4
Knackend und knisternd fraß das Drachenfeuer den Baum von
der Krone bis zu den Wurzeln auf; in Sekundenschnelle. Drachefeuer ist
nicht zu löschen, weder von Wasser, noch von sonst was. Es verbrennt
das, was es berührt, bis es aufgezehrt ist, wie diesen Baum. Das Gute
ist, nur Feuer direkt aus dem Rachen eines Drachen hat diese Eigenschaft,
die Funken, die überspringen, sind so harmlos wie normales
Feuer. Man stelle sich vor, was für eine zerstörerische Macht
man hätte, wenn man dieses Feuer einfing! Aber wie gesagt, nur aus
dem Rachen direkt brennt es so heftig und nur an dem Stoff, den es getroffen
hat. Wird das Feuer auf einen anderen Gegenstand übertragen, ist es
normal.
Der Alb erschreckte sich etwas weniger als erhofft, schaute auf
die Baumkrone der mächtigen Esche, nahm seinen Langbogen und rannte
hinter den nächsten Baum, bevor das Feuer ihn erreichte.
Wie konnte man nur so blöd sein und sich noch mal einer solchen
Gefahr aussetzen! Aber so viel Dummheit verdient Achtung, deshalb sollte
ich ihm die Ehre erweisen und mit ihm reden. Verdeckt natürlich!
Die Höhle konnte meine Stimme bestimmt auch vertiefen, vervielfachen
und sie klingen lassen, als ob ich steinalt wäre. »Wer bist
du, dass du es wagst, mich zu stören?!«, raunte ich mit tiefer
und rauer Stimme nach draußen. Coole Stimme...^^
Aber es funktionierte! Der Alb wirkte tatsächlich eingeschüchtert
durch die vorgegaukelte Stimme. Ich erlaubte mir ein kleines Eigenlob.
Vor Schreck über die plötzliche Stimme meinerseits gelähmt
brachte der Alb kein Wort heraus. Der Regen strömte noch immer heftig
und es begann zu donnern und zu blitzen. Sein rabenschwarzes, schulterlanges
Haar klebte in seinem Gesicht. Seine Spitzohren stachen wie Haiflossen
aus tiefem Wasser heraus.
Er wusste nicht, was er machen sollte, ich hatte ihn überrascht.
Anscheinend war sein Plan gewesen mir aufzulauern und mich aus dem Hinterhalt
zu erschießen. Das konnte er vergessen, weshalb er sich einen neuen
Plan ausdachte. Angesichts der Tatsache (oder besser der Annahme), dass
er hier einem ausgewachsenen Drachen, der (wahrscheinlich) alle Tricks
drauf hatte, konnte er nicht mehr auf einen Hinterhalt hoffen. Seine einzigen
Optionen waren ein Frontalangriff auf die Höhle, der wahrscheinlich
ein Flammeninferno zur Folge hatte, oder abzuziehen. Ich hoffte inständig,
dass er den zweiten Vorschlag nahm.
Was er natürlich nicht tat.
Der Alb konnte nicht hoffen, ein Duell mit einem ausgewachsenen
Drachen zu gewinnen, aber in einem Duell gegen einen Halbwüchsigen...
Ich rechnete mir kaum Chancen aus.
Jetzt galt es schnell zu handeln und gleichzeitig nachzudenken.
Der Alb nahm all seinen Mut zusammen, legte zwei pechschwarze Pfeile gleichzeitig
auf seinen Bogen und begann auf die Höhle zuzugehen.
Der war mutig, das musste ich ihm lassen. Aber ich hatte eine Idee.
Zugegeben nicht die beste, aber ich hatte auch nicht so lange Zeit zum
Nachdenken.
Der Alb stand auf der Schwelle. Seine schwarzen Kleider trieften
vor Regen und erneut grollte der Donner. Diesmal näher als vorher.
Er betrat die Höhle und blickte hinein. Dann sah er mich.
Und wusste sofort, wen er vor sich hatte: Einen halbwüchsigen
Drachen.
Und ich auch: Der Kerl war auch ein Anfänger, also hatte ich
wieder eine Chance.
Ich spuckte erneut Feuer, diesmal direkt auf den Alb. Noch irritiert
von meinem Anblick war er so überrascht über meinen Angriff,
dass er die zwei Pfeile verschoss, die von den Flammen erfasst und verzehrt
wurden. Er tauchte unter dem Feuerstrahl hinweg, aber es musste fürchterlich
heiß gewesen sein. So wurde wenigstens seine Kleidung trocken. Wer
wollte schon, dass ein Fremder einem die Wohnung nass macht! Ich machte
einen Satz nach vorne, schlug mit dem Kopf dabei an die niedrige Höhlendecke
und fluchte auf Dracisch.*5
Der Alb richtete sich ziemlich schnell wieder auf, aber diesmal setzte
ich ihn endgültig außer Gefecht, indem ich ihn mit einem Rückhandschlag
meiner Klauen gegen die Höhlenwand schlug, bevor er merkte, dass ich
vor ihm stand. Ich zerschnitt schnell seinen Bogen mit meinen fünf
Krallen, als wäre er aus Butter. Ich wollte dem Alb nicht wehtun (ich
hatte es zwar schon, aber er sollte nicht noch mehr leiden), deshalb nahm
ich ihm den Bogen, das Markenzeichen eines jeden Alben, bis auf die langen,
rabenschwarzen, glatten Haare und die stechenden, tückischen Augen.
Tja, nun war es Zeit, die Höhle zurückzulassen und mal wieder
weiterzuziehen.
Ich war zwar erst 16, war aber schon viel in diesem Land herumgekommen.
Darum hatte ich schon so viel gesehen, genug um zu wissen, dass es nicht
mehr sicher war für magische Wesen wie Drachen. Eigentlich mochte
ich andere Drachen nicht, aber unser Schicksal und das der anderen Wesen
war schrecklich.
Meistens allerdings interessieren andere mich nicht, denn die meisten
Personen, die ich kenne, sind mir etwas zu arrogant und eitel*6.
Schließlich waren bestimmt nicht alle so wie ich. Zugegeben, ich
hatte noch nie andere Drachen gesehen, was mir aber nichts ausmachte. Ich
wusste, wie ich aussah (glänzende, schwarz-goldene Schuppen mit langen,
majestätischen Flügeln auf dem Rücken und einem unverschämt
gutaussehenden Kopf!), ich wusste, wie ich heiße (nämlich Mardic,
damit ihr's wisst!), ich wusste, wie ich war (wie gesagt, ETWAS arrogant
und eitel, vielleicht auch eingebildet und sarkastisch...) und ich wusste,
dass ich seit ich fünf war ganz gut alleine zurechtkam. Damals wurden
meine Eltern von Jägern ermordet und ich versteckte mich in Wäldern
und Höhlen vor anderen Jägern. Bis jetzt hat es immer wieder
funktioniert, ich war den Jägern entkommen. Allerdings waren das auch
Menschen und keine Alben gewesen. Und so kam er langsam wieder zu sich
als ich so vor mich hin überlegte, was ich machen sollte. Wie ihr
seht, ist überschwängliches Reden manchmal ablenkend.
Jetzt gab's sowieso nur noch eins: Verschwinden.
Ich gab mir einen Schubs und flog davon. Die Höhle blieb weit
zurück und nun wollte ich endlich raus aus dem Menschenkönigreich
Ghaidhad.
Früher war das Reich noch etwas netter zu uns magischen Wesen
gewesen, aber seit dem Putsch des Verräters Noglin vor 20 Jahren,
der der engste Berater des alten Königs war, wurden sie gejagt. Es
war Noglins Idee, aus den erlegten oder gefangenen Tieren Geld zu machen.
Es gab in Ghaidhad viele Leute, die für solche Dinge Millionen Goldstücke
hinblättern würden.
Einfache Frage: Wer würde dem Kerl nicht den Kopf abreißen?
Also ich schon!!!
Das Problem war nur, dass Garen, die Hauptstadt Ghaidhads, etwa
so gut bewacht war wie Grenzen. Schließlich herrschte noch immer
Bürgerkrieg, wenn auch ein stiller mit dem Reich Angarin, welches
hinter den östlichen Bergen lag und sich vor 16 Jahren von Ghaidhad
abgespalten hat. Damals war es nur eine Provinz.
Also war die Devise: So weit wie möglich von der Hauptstadt
fernhalten! Am Besten sich von Ghaidhad fernhalten.
Doch zuerst mal musste ich mir ein anderes Versteck suchen, denn
leider war ich hier an den westlichen Bergen von Ghaidhad, und die Grenze
nach Osten war noch einige hundert Meilen weit entfernt, schätzte
ich. Im Süden war die Grenze noch geschützter. Ein Ausbruchversuch
wäre im Süden reiner Selbstmord gewesen.
Am Besten suchte ich einen weiten Wald, in dem man lange suchen
konnte, ohne mich jemals zu finden.
Und in dem keine Alben, Elben, Menschen oder sonst so was lebte.
Natürlich gibt es einen solchen Wald nicht, aber zumindest sollte
es ein ruhiger sein.
Ich folgte am besten der Hügelkette, die am nördlichen
Ende der westlichen Berge, also da wo ich war, begann, bis ich etwas fand.
Ich will hier ja nicht ausführlich meine Reise dokumentieren,
also hier die Kurzfassung:
Die folgte den Hügeln zwei Tage lang, bis sie endeten. Dann
überquerte ich einen breiten Fluss, der im Noren ins Meer mündete.
Einige Meile dahinter fand ich endlich einen Wald, der, soweit meine Augen
sehen konnten, bis zur östlichen Grenze reichte. Perfekt!!
Ich musste während dem Flug einigen Städten ausweichen,
aber in der Nähe des Waldes gab es nur ein kleines Dorf, aber auch
das umflog ich.
Nun hoffte ich, dass ich durch den Wald direkt nach Angarin und
natürlich ohne Schwierigkeiten kam. Doch eigentlich war ich mir sehr
sicher und die Intuition eines Drachen lügt (fast) nie!
Ende des ersten Kapitels *7
Das erste Kapitel widme ich meinem engsten Freundeskreis, auch
wenn sie manchmal nervig sind.
Fußnoten:
(Der kleine blaue Pfeil ( )
führt jeweils in die Zeile zurück, von wo aus auf die jeweilige
Fußnote verwiesen wurde.)
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1: |
Versucht nie, das Geweih zu essen, das ist gewissermaßen
ekelhaft!!  |
2: |
Vorsicht! Erzähler neigt manchmal zur Eitelkeit!
;-) Dass der Kerl hinter der Esche da ein Alb war, erkannte man daran,
dass kein Elb so dumm gewesen wäre und mich gejagt hätte... Und
daran, dass es in diesem Land kaum noch freie Elben mehr gab.  |
3: |
Nach Menschenjahren. Nach Drachenjahren war ich erst
sechs!  |
4: |
Da kann man mal sehen, wie gut Drachenaugen wirklich
sind! Manche munkelten früher, dass die Augen ein eingebautes Fadenkreuz
hatten... Schwachsinn! Oder vielleicht nicht...? :-)
Den Alb zu treffen, wäre nicht nett gewesen.  |
5: |
Die Drachensprache. Nur Drachen können sie sprechen,
für alle andren hört es sich wie das Zischen einer Schlange an.  |
6: |
Das kenn ich von irgendjemandem her... mir fällt
nur nicht ein, von wem...  |
7: |
Das war natürlich erst der Anfang!!!
Kleine Bitte: (Nicht, dass ich unbedingt will, dass
ihr die Story lest, aber): Lest doch Kapitel 2! |
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© Salyan
Silberklinge
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