Am nächsten morgen gingen Mardic und Narian, der kaum geschlafen
hatte, zum Südtor. Nachdem sie die Brücke überquert hatten
(Mardic lief lieber, um nicht allzu aufzufallen)*1
versuchten sie in einem möglichst großen Abstand zur Stadtmauer
zum Tor zu gelangen. Zwar hatte Darion die Stadtwachen von Mardic in Kenntnis
gesetzt, was man daran erkannte, dass niemand in Alarmbereitschaft war,
aber sicher war sicher. Als sie das Tor zwischen der Mauer entdeckten und
darauf zuhielten, sahen sie Darion, der auf einem braunen Pferd saß,
mit leichter Rüstung. Die Rüstung bestand aus silbernen Arm-
und Beinschützern und einem dünnen Brustpanzer, auf dem ein Silberschmied
einige Zeichnungen eingearbeitet hatte. So zum Beispiel an der Seite waren
von oben nach unten dünne Pflanzen, welche sich umschlungen hatten,
die Mitte war blank. Einen Helm trug er nicht.
An seiner Seite hatte er ein schwarzes herrenloses Pferd mit Sattel
und Geschirr.
»Sag nicht, dass ich reiten soll.« Narian stöhnte
beim Anblick der Pferde auf. »Ich kann das nicht.«
»Komm schon«, meinte Darion. »So schwer ist das
nicht. Außerdem kannst du entweder mit dem Pferd oder Mardic reisen.
Ich für meinen Teil muss heute noch in Méarlice ankommen und
das möglichst früh.«
Narian schaute Mardic an und versuchte so flehend wie möglich
dreinzublicken, etwa so wie Hunde, aber Mardic schüttelte den Kopf.
»Deine Flehnummer zieht bei mir nicht.«
Also stieg Narian widerwillig auf das Pferd. So schlecht stellte
er sich gar nicht an.
Darion führte sie die Straße nach Südosten, den Fluss
entlang, der den Namen Luménar trug. Die Straße nach Méarlice
war weit besser zu nutzen als die, die nach Ghaidhad führte. Viele
Meilen westlich lag das Gebirge. Die Menschen Angarins, so erklärte
Darion, nannten es das Wolkengebirge. Narian und Mardic wussten warum.
Die Gipfel der Berge waren über den Wolken und durchstachen diese
wie Nadeln. Der Fuß des Gebirges reichte fast bis an den Fluss, erst
dahinter wurde das Land flacher. Schließlich überquerten die
Drei eine Steinbrücke und der Fluss bog weiter nach Südosten
ab. Die Straße ebenso, auch wenn sie einen größeren Bogen
beschrieb. Nach wenigen Meilen ging es fast nur noch östlich. Viele
Getreidefelder waren hier angelegt worden und hin und wieder trafen sie
auf kleinere Gehöfte. Schnell jedoch wurden aus den einzelnen Gehöften
kleinere Dörfer, die in raschen Abständen aufeinander folgten.
Als die Menschen die drei erblickten, schreckten sie erst vor Mardic etwas
zurück, doch rasch wurde aus dem Schrecken Neugierde ein solches Tier
zu sehen*2 und als sie
Darion und seine Rüstung sahen, wurde aus Neugier Freude.*3
Da Darion und Narian keine Drachenaugen besaßen, war Mardic,
der im Gleitflug wenige Meter über den Pferden flog, die in seiner
Gegenwart überraschend ruhig blieben, der einzige, der mehr von der
Landschaft als die Felder und die Dörfer sah. Links lag der Fluss,
rechts das Gebirge und die Hügellandschaft vor den eigentlichen Bergen
(was die anderen beiden natürlich unschwer übersehen konnten)
und weiter südlich ein Wald. Der Rand des Waldes erstreckte sich vom
Gebirge soweit nach Osten, dass nicht mal Mardic sein Ende sehen konnte.
Östlich von ihnen lag eine Hügelkette, die aus dem Wald nach
Norden verlief und auf die sie zuhielten. Sie war nicht besonders hoch
oder weitreichend und von der Form erinnerte sie eher an eine längliche
Sichel. Doch eben in dieser Sichelmulde lag eine Ansammlung von Gebäuden,
eine Stadt. Und Mardic verschlug es die Sprache. Er vergaß sogar
kurzzeitig das Fliegen und sank etwas ab, bis er fast Darions Kopf berührte.
»Ich...dahinten ist...«, stammelte er.
»Ich kann mir vorstellen, dass du gerade die Stadt der Zauberer
gesehen hast«, gab Darion belustigt zurück.
»Das ist Méarlice? Ich habe versucht mir immer,
wenn ich diesen Namen in Ghaidhad gehört habe, die Stadt vorzustellen,
aber das da ist... unbeschreiblich.« Mardic konnte nur schwer Worte
finden.
»So reagieren neunzig Prozent derer, die zum ersten Mal hierher
kommen«, sagte Darion.
»Verdammt, ich will auch was sehen!« Narian konnte sich
vor Aufregung kaum mehr im Sattel halten. Alles, was er bis jetzt sah,
war die sich nach Osten schlängelnde Straße und die kleinen
Dörfer, sie sogar kleiner waren als sein Zuhause.
»Keine Sorge, in etwa einer Stunde stehst du vor dem
Stadttor«, beruhigte Darion ihn.
Und er trieb sein Pferd etwas mehr an.
Mit Pferden hatten sie etwa vier Stunden von Aënna nach Méarlice
gebraucht und schließlich standen sie vor den Toren. Und Narian bekam
den Mund nicht mehr zu.
Nach dem letzten Dorf ritten sie auf einer gepflasterten Steinstraße
nach Méarlice, das nun in aller Pracht und Größe vor
Narian lag. Garen, Ghaidhads Hauptstadt, war ein Kaff gegen die tausend
Gebäude, die hier standen. Vor Méarlice verlief ein kleiner
Flussarm, der im Norden in den Luménar mündete. Der Flussarm
bildete die westliche Stadtgrenze und war nur über drei Brücken
zu überqueren. Die größte war die, auf der Narian und Darion
standen. Dieser hatte Mardic an die südöstlichen Hügel geschickt,
hinter denen der Wald Linaen, das Elbenkönigreich, begann. Er durfte
die Stadt ruhig überfliegen, sollte aber dort auf sie warten, wenn
es auch den ganzen Tag dauerte, bis sie zu ihm kommen konnten.
Auf der Seite des Flusses, auf der die Stadt begann, war noch eine
offene grüne Fläche. Diese kleine Pufferzone zwischen Wasser
und Stadt zog sich vom Zusammenschluss der beiden Flüsse im Norden
bis nach Süden, wo der Fluss auf den Stadtrand traf. Hunderte große
Laubbäume standen verstreut auf dem Boden, und in unregelmäßigen
großen Abständen befanden sich riesige Verteidigungstürme
aus Stein. Hinter diesem Park, wie Darion ihn nannte, begann nach einer
Straße die Stadt mit dreistöckigen Häusern, die denen in
Aënna ähnlich sahen. Doch hier war noch mehr mit Stein gebaut
worden. Nachdem sich das mit Ornamenten verzierte Tor wie durch Zauberhand
von selbst geöffnet hatte, folgte Narian Darion mit seinem Pferd.
Rechts und links standen kniehohe Zäune mit kleinen Türen, die
in den Park einluden, und schließlich ritten sie in die Stadt hinein.
Während sie an den Häusern vorbeikamen, erklärte Darion
Narian den Aufbau der Stadt der Zauberer:
»In Méarlice gibt es alles. Und damit meine ich alles.
Geschäfte, Banken, Werkstätten, Ämter, Wohnhäuser,
Gasthäuser, Bibliotheken, Theater, Markplätze, Restaurants, offene
Straßencafés und noch mehr. Verbunden ist die Stadt, die durch
die verzweigten Hauptstraßen in Stadtteile aufgeteilt ist, durch
unzählige kleinere und größere Gässchen und Straßen.
Hin und wieder trifft man auf offene Plätze wie auf den Park am Stadtrand
oder auf Märkte. Die Stadt wird geteilt in Osten und Westen durch
den Fluss Luménar. Dieser wird in der Mitte durch eine Insel geteilt,
die im Zentrum von Méarlice steht. Diese Insel ist ein riesiger
Felsbrocken, auf dem ein Schloss aus weißem Marmor steht. Das ist
der Sitz des Stadtherren Nerel und gleichzeitig ein Touristenzentrum und
Attraktion für Touristen, die es im Méarlice wie Sand am Meer
gibt, sowie die Schule der Stadt. An den Hängen dieser Insel stehen
fünf- bis sechsstöckige oder noch größere Häuser
und zu erreichen ist das Schloss nur durch eine Serpentinenstraße.
Über die Insel führen zwei Straßen. Wie gesagt die Serpentinenstraße
und eine am nördlichen Ende der Insel, welches als Erholungsort dient.
In den Häusern auf der Insel leben die reichsten Kaufleute und Händler
sowie ein Großteil der Bediensteten von Nerels Schloss in extra für
sie gebauten Gebäuden. Der Westteil der Stadt, durch den wir gerade
reiten, ist der Handelsteil der Stadt. Hier stehen die meisten Geschäfte
und in den oberen Stockwerken befinden sich entweder die Wohnungen der
Besitzer oder Mietwohnungen für Besucher. Es gibt hier wirklich fast
alles zu kaufen: Magische Utensilien, von großen bis zu den kleinen
Zauberstäben, Mixturen der Alchemisten, magische und nichtmagische
Tiere, die man kaufen kann, Getränke, die ihr in Ghaidhad nicht habt
in allen Geschmacksrichtungen und allen möglichen Krimskrams. Du wirst
nie müde dich hier umzusehen.
Der Westteil wird zudem noch durch einen künstlichen Wasserkanal
durchzogen. Nach innen wird es immer bunter und verwinkelter bis man auf
die Westseite den Luménars trifft. Auch hier gibt es einen solchen
Park wie am Stadtrand und den Fluss kann man nur über Brücken
überqueren, auf denen ebenfalls Häuser stehen. Vor allem die
Goldschmiede und Schmuckhändler sitzen auf den Brücken. In der
Mitte des Flusses steht, wie erwähnt, die Insel mit dem Schloss. Im
Osten der Stadt liegen die meisten Wohnungen und Werkstätten. In vielen
Häusern leben mehrere Zauberer auf einmal und fast jedes Haus hat
seinen eigenen kleinen Garten. Hier gibt es auch noch ziemlich große
und viele Parks und das nicht nur am Flussufer. Von den Hügeln im
Osten, den Luménaras, fließt noch ein kleiner Bach durch die
Stadt. Du hast sicher schon bemerkt, wie viel Natur die Zauberer in diese
Stadt gesteckt haben. Andererseits leben nirgendwo auf der Welt mehr Menschen
als hier. Zumindest kennen wir keinen Ort, an dem mehr leben. Die gesamte
Stadt allerdings wird nur von den Zauberern bewohnt, da es anderen Wesen
verboten ist hier zu leben oder die Stadt zu betreten. Abgesehen von Wochenenden
und Feiertagen der Zauberer und Menschen Angarins. Wovon es reichlich gibt.
Wir dürfen auch nur hier sein, weil Samstag ist. Da ich mir bei Mardic
nicht sicher war, wollte ich ihn außerhalb der Stadt warten lassen.
Die Menschen, die in den Vororten leben, durch die wir gekommen sind, können
natürlich ihren Bedarf an Nahrungsmitteln und anderem nicht alleine
decken und daher haben die Zauberer jedem Dorf einen verzauberten Wagen
geschenkt. Die Dorfbewohner schreiben auf, was sie brauchen, und legen
die Zettel und die Bezahlung in den Wagen hinein und er fährt dann
nach Méarlice. Und zwar von selbst, er wird von keinem Tier gezogen.
Was das Zahlen angeht: Die Produkte von Méarlice sind billig, um
für jeden käuflich zu sein, und die Vororte sind gar nicht so
arm wie es aussieht. Dank den Touristen. Schließlich kommt der Wagen
einige Stunden später zurück und ist beladen mit allem, was aufgeschrieben
und bezahlt wurde. Der Wagen ist abgedeckt und ist innen zehnmal so groß
wie er von außen aussieht, um den Waren Platz zu schaffen.«
Sie hatten nun einen großen Marktplatz überquert und standen
nur vor einer Brücke, auf der tatsächlich Häuser standen.
Vor den Geschäften im Erdgeschoss und dem oberen Stockwerk hingen
goldene Schilder mit geschwungenen Aufschriften darauf. Goldschmiede. Wie
Darion gesagt hatte. Die Brücke führte sie über den linken
Arm des Luménar auf die Insel. Sie war fast hundert Meter hoch und
an den Steilhängen standen die größten Gebäude der
Stadt. Alle Häuser, die Narian gesehen hatte, hatten ihn überwältig,
aber diese waren riesig. Doch alle standen sie im Schatten des weißen
Schlosses auf dem kleinen Plateau der Insel. Es hatte mindestens fünf
große Zinnentürme und viele weitere kleine. Narian wollte schon
anfangen die Fenster aus Glas zu zählen, aber er ließ davon
ab als er sah, wie unendlich viele es gab. Das ganze Gebilde bestand aus
mehreren Einzelteilen und Gebäuden und hatte sicherlich Jahre zu Fertigstellung
gebraucht.
Unzählige Gässchen verbanden die Häuser der Reichen
miteinander und eine kleine, etwas breitere Straße führte nach
links und rechts. Sie gingen nach links und bald darauf bog eine Straße
mit sieben Serpentinen nach oben auf das Plateau ab. An jeder Kurve stand
ein ovaler Stein, auf dem Dinge geschrieben waren in einer Sprache, die
Narian nicht kannte.
Vor dem Plateau war noch ein Tor, durch das sie gelassen wurden
(es war nicht mehr als eine Art Schranke), und dann standen sie auf dem
Vorhof. Auf ihm waren viele kleine Gärten und in der Mitte war ein
kleiner Springbrunnen angebracht worden. Durch die Gärten führten
viele kleine Schotterwege und es sah aus wie ein Irrgarten, denn Narian
konnte kein Muster der Gärten und der Wege erkennen. Rechts von ihnen
lag das Schloss. Das ganze Plateau war mit einer kleinen Mauer, über
die man leicht blicken konnte, umgeben und das Tor des Schlosses konnte
man nur über zwei Treppen erreichen. Auch sie bestanden auf weißem
Marmor und hatten ein silbernes Metallgeländer.
Die zwei Wächter, die an dem 'Tor' gestanden hatten, nahmen
ihnen die Pferde ab und brachten sie in einen Nebeneingang des Schlosses
direkt am Hang.
Darion führte Narian über eine der beiden Treppen zum
Tor und es öffnete sich. Und schon wieder blieb Narian die Luft weg.
.
Mardic flog gemächlich über die Stadt.*4
Ich flog gemächlich über die Stadt und machte extra ein
paar Schlangenlinien, um mehr sehen zu können. Es war tatsächlich
atemberaubend. Darion meinte, ich müsse mich nicht vor Angriffen von
verängstigten Stadtbewohnern fürchten, da sie keine magischen
Wesen angreifen würden. Wie mich also.
Er hatte mir auch einen Platz gezeigt, an dem ich vorerst mal bleiben
sollte, bis Darion wusste, ob ich die Stadt betreten durfte. Also suchte
ich mir eine dieser Erhebungen im Südosten der Stadt, wo der Wald
begann und landete am Rand. Die Erhebung war nicht besonders hoch, zumindest
nicht so hoch wie die Hügelkette zu der sie gehörte, sie war
grün und man hatte einen guten Blick auf Méarlice.
Einen Blick in den Wald wagte ich auch. Allerdings steckte ich nur
den Kopf hinein und sah, dass es ein stinknormaler Mischwald war, wie man
in überall finden konnte.
Ich wollte mich grade hinlegen an einen Baum, da hörte ich
im Wald ein Rascheln und Stimmen.*5
Ich blieb liegen, hörte aber genau hin.
»...ist ganz sicher einer!! Wenn du’s mir nicht glauben willst,
frag ihn doch selbst!« sagte einer. Es war unverkennbar eine männliche
Stimme, allerdings war sie nicht sehr rau sondern... weich? Es war undefinierbar.
»Klar! Was gibst du mir dafür?« wollte ein weiterer
wissen.
»Eine Goldmünze!« sagte der erste.
»Gut.«
»Ihr seid echt bescheuert! Was ist, wenn das Ding gar nicht
so friedlich ist, wie es aussieht?« wollte eine weibliche Stimme
wissen.
»Hoffentlich frisst es euch auf!« sagte eine weitere
weibliche Stimme.
»Und euch beide gleich mit«, sagte noch eine männliche
Stimme.
Das 'Ding' war höchstwahrscheinlich ich. Es waren also fünf
Leute, zwei Mädchen und drei Jungen. Den Schritten und der Nähe
der Stimmen nach zu urteilen standen sie etwa drei Meter hinter mir. Die
werd ich erschrecken, wenn sie zu nah kommen!
»Also, eine Goldmünze!« sagte einer.
Er ging los, kam näher und umrundete mich bis er kurz vor mir
stand. Da schlug ich zu...
Mit einem Ruck meiner Flügel, die sich blitzschnell ausbreiteten,
kam ich auf die Beine und schleuderte Feuer in die Luft.
Der Kerl fiel auf den Boden und rannte zurück zu den anderen.
»Schuldest du mir jetzt eine Goldmünze?« wollte
der wissen, der gewettet hatte. »Du hast ihn nicht gefragt, ob er
ein Drache ist!«
Die Gruppe versteckte sich hinter den Bäumen.
»Was glaubt ihr denn? Sehe ich so aus wie ein Vogel?«
fragte ich. »Wenn ihr genug Mumm habt, kommt raus!«
Und sie kamen.
Wie gesagt, fünf an der Zahl. Alle nicht älter als 25.
Drei Jungs und zwei Mädchen. Eigentlich ja drei Männer und zwei
Frauen, denn sie waren ja schon erwachsen.
»Wer seid ihr und wie kommt ihr auf die Idee mich um meinen
durchaus verdienten Schlaf zu bringen?« fragte ich gereizt, denn
ich war wirklich müde.
Eine aus der Gruppe trat vor und sagte: »Wie wollten nur wissen,
was das für ein Ding war, das über Méarlice flog, und
Arvias hier meinte, es sei ein Drache.« Sie zeigte auf den einen,
der um die Goldmünze gewettet hatte.
»Und jetzt? Lasst ihr mich schlafen?« wollte ich wissen.
»Eigentlich hätten wir gerne gewusst, was du hier willst.
Aber die anderen haben zu viel Respekt, um dich das zu fragen«, meinte
sie.
»Respekt oder Angst?«
»50:50.«
»Ich weiß ja nicht mal, wer ihr seid.«
»Das Problem lässt sich leicht beheben. Wenn ich uns
vorstellen darf: Das ist Arvias«, sie zeigte auf den einen, der gewettet
hatte, »und das ist Milenir.« Das war der eine, der vor mir
weggerannt ist.
Die anderen beiden waren Meriël, das andere Mädchen, und
Elaril, der dritte Junge. Sie selbst hieß Fiyana. Erst jetzt fiel
mir etwas auf: Die fünf waren Elben! Ihre spitzen Ohren waren nicht
bei jedem so gut zu sehen, da nicht alle glatte Haare hatten, durch die
die Spitzohren hätten durchstechen können.
»Seid ihr so was wie ne Clique?« wollte ich wissen.
»Ja, aber nicht vollständig«, sagte Fiyana. »
Elarils Freundin ist gerade in Méarlice mit ihrem Onkel.«
»Aha. Und was genau wollt ihr jetzt von mir?« fragte
ich.
»Wissen, warum du hier bist.«
»Die Frage stell ich mir auch.«
»Du weißt nicht, warum du hier bist?«
»Nein.«
Sie schauten verdutzt.
»Wie kommt das?« fragte Meriël.
»Ich bin eigentlich nicht hier, um Geschichten zu erzählen,
aber ihr werdet mich nicht eher in Ruhe lassen, bis ich es gesagt habe,
oder?«
Alle schüttelten den Kopf.
»Na schön«, sagte ich müde und legte mich
wieder hin.
»Ich bin ein Flüchtling, wenn man das so nennen kann,
aus Ghaidhad und eigentlich bin ich nur hier weil mir jemand gesagt hat,
dass ich mitgehen soll.«
»Und wer?« fragte Elaril.
»So ein Soldat namens Darion.«
»Darion? Du kennst Darion?« sagte Arvias erstaunt.
»Ja, wieso?«
»Darion ist der Heermeister und der oberste General des Königs
von Angarin. Wo hast du ihn getroffen?« fragte Fiyana.
»In so einer Stadt an der Grenze.«
»Aënna. Hat er etwas gesagt, weshalb er schon so früh
wieder zurück ist?«
»Wieso zurück? Nein, nichts. Außer, dass wir lieber
mitkommen sollten, denn es soll da bald ungemütlich werden.«
»Klingt gar nicht gut«, meinte Milenir.
»Wenn Darion schon so früh wieder zurück ist, muss
etwas passiert sein«, warf Meriël ein.
»Glaubt ihr, Noglin macht ernst?« wollte Elaril wissen.
»Wenn ja, ist klar, warum Darion so früh zurück
ist«, sagte Fiyana.
»Ich unterbreche eure kleine Diskussionsrunde nur ungern,
aber ich will meine Ruhe haben. Euer Gerede ist für mich gerade uninteressant,
denn die Neugier eines Drachen wird vom Schlaf immer wieder verdrängt.
Also verschwindet.«
»Hey, zufälligerweise ist das unser Wald, klar?!«
meinte Fiyana.
»Na und?« sagte ich. »Ich liege außerhalb
des Waldes, von daher darf ich euch wegschicken.«
»Wie gehen aber nicht«, konterte sie. »Verschwinde
doch du!«
»Ich kenn mich hier nicht aus und Darion meinte, ich soll
hier warten.«
Dieses Hin und Her wurde ihr anscheinend zu blöd und sie drehte
sich um.
»Was machen wir jetzt?« fragte Meriël.
»Hier warten?« schlug Arvias vor.
»Auf wen?« wollte Milenir wissen.
»Auf Nadië«, sagte Elaril.
»Na schön, bleiben wir hier. Sie wird bestimmt gegen
Abend da sein.« Fiyana drehte sich wieder zu Mardic um.
»Bis sie da ist. Leisten wir dir etwas Gesellschaft.«
Sie grinste und ließ sich in den Boden fallen. Die anderen
setzten sich auch hin und ich hatte das Gefühl, dass ich kein Mittagsschläfchen
halten konnte.
.
Die Halle des Schlosses war gewaltig, mindestens so hoch wie das
größte Haus, das Narian in Méarlice bis jetzt gesehen
hatte. Die weißen Wände wurden getragen von riesigen roten Steinsäulen
an der Wand und die freien Plätze zwischen den Säulen nahmen
Wandteppichen in den verschiedensten Formen und Farben ein, sowie Bilder
aus Glas, Stein und Metall. Die Decke war von riesigen und unregelmäßigen
Ornamenten überzogen und es führten viele Treppen, Tore und Türen
nach links und rechts, sicherlich in andere Abschnitte des Schlosses. Auf
der anderen Seite der Halle wartete ein beeindruckendes Metalltor auf sie,
das mit einem Flügel geöffnet war. Dahinter sah Narian einen
Hof.
Darion führte ihn über einen roten Teppich, durch den
goldene und silberne Fäden gezogen worden waren, durch die durchaus
kurze Halle und sie schritten durch das Tor.
Der Hof dahinter war zwar nicht so groß wie der Vorhof des
Schlosses, doch er war etwa gleich angelegt. Mit dem Unterschied, dass
sich hinter dem Brunnen, den es auch hier gab, ein kleiner Teich befand.
In ihm schwammen neben Seerosen und anderen Wasserpflanzen kleine und große
Goldfische. Die großen hatten nicht immer eine bestimmte Farbe, sondern
waren oft sehr bunt.
Die beiden gingen auf die andere Seite des Hofes, wo ebenfalls wie
schon am Haupttor zwei Treppen warteten. Sie führten zu einem weiteren
Tor, das nicht aus Metall sondern aus Holz bestand. Das verzierte und geschlossene
Tor öffnete sich einen Spalt breit und sie gingen hindurch. Sie standen
in einer Art Abzweigung. Rechts führte eine Treppe geradewegs nach
oben, links ebenso. Geradeaus verliefen die Treppen wie Serpentinen und
bei jedem Mal, an dem sie sich wanden, war eine Tür in der Wand, doch
Darion führte Narian alle Treppenserpentinen nach oben.
Als sie schließlich oben ankamen (es war das höchste
Stockwerk, weiter ging es nicht), führte ein breiter Gang auf eine
Metalltüre zu. Der Gang war auch hier mit diesem roten Teppich ausgelegt
und rechts und links waren Fensterfassaden. Das Glas der Fenster war aus
vielen Flachglasstücken zusammengesetzt und eine Fassung aus Metall
hielt die Fenster in der Steinwand. Es waren ausgesprochen viele Fenster
und so wurde der Gang mit vielen verschiedenen Farbtönen erleuchtet.
Die Fenster waren wie Bilder, jedes zeigte eine andere Geschichte. Zumindest
kam Narian es so vor.
Die Decke lief hier oben zusammen, doch es gab keine Anzeichen von
stützenden Balken.
Vor einem der Fenster stand eine Gruppe von Mädchen. Es waren
drei und die redeten heftig miteinander. Als sie die Schritte von Darion
und Narian hörten, die man auch auf dem Teppich gut vernehmen konnte,
hörten sie schlagartig auf, drehten sich zu ihnen um und grinsten.
»Hey Darion!« rief das vorderste. »Schon wieder
zurück?« Sie klang überrascht und aufgeregt.
»Ja, anscheinend. Allerdings wusste ich nicht, dass auch Schülerinnen
schon hier oben sein dürfen, Calymere.«
»Nenn mich gefälligst nicht so, du weißt, ich mag
das nicht!« sagte sie. »Außerdem haben wir hier oben
doch sicherlich mehr verloren als du! Und dieser... wer ist denn das?«
Sie zeigte auf Narian.
»Das ist Narian«, sagte Darion gelassen. »Und
in dem Falle hat er mehr hier oben verloren als ihr.«
Narian hatte nur mit einem Ohr hingehört. Und gar nicht hingesehen.
Seine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem auf sich gezogen. Nämlich
von dem Mädchen, das hinter den anderen beiden stand.
Narian schätzte sie nicht viel älter als ihn, wahrscheinlich
sogar waren sie gleich alt. Sie hatte dunkelblondes Haar, es ging schon
ins Braune und hie und da hatte sie hellblonde Strähnchen. Sie hatte
eine seltsame Frisur, so eine hatte Narian noch nie gesehen. Die Haare
gingen bis zum Ellenbogen und von vorne nach hinten waren sie etwas nach
oben abgeschrägt. Über der Stirn hingen einige einzelne Strähnchen
und Haare, die sie seitlich gelegt hatte. Das ganze betonte ihr flach-ovales
Gesicht. Narian konnte nicht aufhören sie anzustarren. Blaue Augen,
Stupsnase, dünner Mund... Er brannte sich ihr Gesicht in sein Gedächtnis.
Und auch sie starrte in seine Augen. Dann schaute sie verlegen auf den
Boden und ihre Wangen wurden etwas rot.
Aber vielleicht lag es auch an den roten Glasstücken in den
Fenstern.
Darion war das nicht verborgen geblieben. Ob die anderen beiden
Mädchen wussten, was Narian gemacht hatte, sah man ihnen nicht an.
Darion aber wollte die Sache lieber entspannen.
»Wie gesagt. Schülerinnen haben hier oben nichts verloren,
auch wenn sie Nerels Privatschülerinnen sind. Heermeister und ihr
Gefolge allerdings schon. Verschwindet, los!« Es war eher halbherzig
und mit einem heiteren Unterton in der Stimme, aber die Mädchen gingen.
Narian schaute ihnen nach und auch das Mädchen dreht sich noch mal
um, bis die Treppe sie verschluckt hatte.
»Ich kenne mich in Herzensangelegenheiten aus, auch wenn ich
noch ziemlich jung bin«, sagte Darion unvermittelt. »Und ich
glaube, dass da gerade was passiert ist.« Er drehte sich um und ging
auf die Metalltüre zu.
»Was soll denn das heißen?« fragte Narian. Auch
er drehte sich um und folgte ihm.
»Ich erklär’s dir mal, wenn wir mehr Zeit haben. Aber
jetzt...«, sagte er und öffnete die Türe.
.
Tatsächlich ließen sie mich nicht schlafen, sondern verwickelten
mich in ein Gespräch, da sie nach etwa drei Stunden kaum noch was
zu reden hatten.*6
»Und was hast du jetzt vor?« fragte mich Meriël.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Zuerst
mal warten bis mein Begleiter und Darion wieder aufkreuzen.«
Ich hatte ihnen die Geschichte von Narian auch erzählt.
»Bleib doch hier in Méarlice«, schlug Milenir
vor.
»Zu Langweilig«, meinte ich nur. »Ich bin zwar
oft müde und will meine Ruhe, aber auf Dauer ist es hier wahrscheinlich
für einen Drachen zu langweilig.«
»Kann gut sein...«, sagte Fiyana. »Gibt es überhaupt
noch mehr Drachen jenseits des Gebirges?«
»Nein«, entgegnete ich.
»Weißt du, was mit ihnen geschehen ist?« fragte
Elaril.
»Ich wüsste es gerne, aber soweit ich weiß, haben
die Alben sie bis zur Ausrottung gejagt. Viele waren es wohl nicht mehr.«
»Willst du damit sagen, du bist der letzte?« Arvias
und die anderen waren gespannt.
»Ja, ich fürchte schon.«
»Das tut mir Leid für dich«, versuchte Meriël
mich zu trösten. Wie nett... Es schien ihr wirklich Leid zu tun.
»Was ist mit den Ost-Drachen?« warf Elaril ein.
»Den was?« fragte ich. Ost-Drachen?
»Den Drachen, die im Osten leben«, erklärte Fiyana.
»Dass ich an die nicht früher gedacht habe!«
Sie hatten meine Neugier geweckt, die den Schlafzwang nun wieder
verdrängte.
»Was sind die Ost-Drachen?« fragte ich.
Arvias begann jetzt zu erzählen: »'Vor 6000 Jahren begann
die große Zeit der Drachen. Das herrschende Volk der Geister wurde
von den Feuern der Drachen hinweggefegt und ebnete den Weg zur Herrschaft
des Feuers. Die früheren Drachen waren grausam, brutal und böse.
Sie hatten sich unter einem König vereint, der sein Volk an die Spitze
führen wollte. Doch der König starb im letzten Kampf gegen die
Geister. Die Avatare, die zwölf mächtigsten der Geister, hatten
ihre Macht schon davor verloren, weshalb es für die Drachen ein leichtes
war zu siegen. Als der König starb und das Volk der Drachen führerlos
war, teilte sich das Volk in zwei Gruppen: Westen und Osten. Der Westen
zog nach Norden und Westen und nach einer langen Zeit als Einzelgänger
fanden sich die Drachen dort wieder zusammen. Viele von ihnen hatten Freunde
gefunden, doch nicht im gleichen Volk, sondern im jungen Volk der Elben,
das im Westen zusammen mit den Drachen und vielen weiteren aufsteigenden
Völkern lebte. Es war die lange Zeit des Alleinseins und die Freundschaft
der Elben, die dazu führte, dass der Westen geläutert von dunklen
Gedanken war. Vorerst.
Doch der Osten vereinte sich unter einem weiteren König und
zog nach Osten, um neues Land zu suchen. Viel von den Drachen im Osten
ist nicht überliefert. Wer sie sah und zurückkam, berichtete
von riesigen Schlangen mit Flügeln und Feueratem, die Menschen fraßen,
welche von anderen Menschen geopfert wurden, denn die Drachen werden von
den Menschen des Ostens als Götter verehrt. Ob es sie noch gibt, wo
sie leben, weiß niemand genau.'
Falls noch Drachen existieren, dann im Osten meine ich auch.«
Die anderen Elben schauten ihn verwundert an.
»Ich wusste ja gar nicht, dass du solche Geschichten kennst.
Du hast in der Schule ja richtig aufgepasst!« merkte Fiyana an.
»Tja, da siehst mal!« gab Arvias zurück.
»Ihr meint also, es gibt noch lebende Drachen?« unterbrach
ich die beiden.
»Ja«, sagte Arvias. »Und das mit der Boshaftigkeit
halte ich für übertrieben. Sie waren eben wilder als die Westlichen
Drachen, schließlich glaube ich kaum, dass die im Osten solche Freunde
hatten wie die Elben.«
»Sehe ich genauso«, meinte Meriël.
Mein Verstand brütete eine Idee aus. Oder zumindest hatte ich
nun eine verschwommene Vorstellung von dem, was ich nun machen sollte:
Die Ost-Drachen suchen.
Schließlich hatte ich mein Leben lang keine anderen Drachen
gesehen, obwohl ich überall gesucht hatte. Ich kannte nicht einmal
meine eigene Familie. Und jetzt hatte ich eine neue Chance mein Volk kennenzulernen.
»Wie weit glaubt ihr sind diese Drachen entfernt von hier?«
wollte ich gleich darauf wissen.
»Wie weit?« sagte Milenir. »Zu weit. Selbst nach
der Überquerung des Sonnengebirges im Osten von Angarin dauert es
Wochen und Monate um sie zu finden. Es sei denn, man kann fliegen.«
»Kann ich«, meinte ich und zeigte ihm meine Flügel.
»Und dein Begleiter?«
»Was sagt dir, dass er mitkommt?«
»Ich dachte, ihr seid so was wie Freunde.«
»Freunde?«
Einen kurzen Augenblick musste ich überlegen.
Waren Narian und ich Freunde oder nur Gefährten?
Eigentlich...
.
Darion drückte die eiserne Klinke nach unten, schob die Türe
nach innen und trat ein.
Sie betraten einen großen runden Saal. Der Boden war aus Marmor,
blauem, rotem, grünem, gelbem und weißem Gestein. Er war glatt
poliert und die einzelnen bunten Stücke bildeten einen unregelmäßigen
Stern mit unzähligen Zacken. Die Mitte dieses Sterns, der den ganzen
Boden überzog, bildete ein großer und weitreichender runder
Tisch. Er war aus grauem Marmor und hatte kleine schwarze Sprenkelungen.
Narian fragte sich, wie sie den in diesen Raum gebracht hatten.
Um den Tisch standen sieben gepolsterte Holzstühle, einer war
frei.
Auf diesen ging Darion zu und setzte sich.
»Tut mir Leid, euch zu unterbrechen, ehrenwerter Rat, doch
es ist dringend.«
Ein älterer Mann, Anfang 50, stand auf. Sein Gesicht hatte
einige Furchen, und er sah jünger aus als er war. In sein kurzes,
braunes Haar mischte sich etwas Grau, und er trug einen Drei-Tage-Bart.
Dazu trug er einen rot-schwarzen Umhang und darunter eine Art Lederwams,
bestickt und ebenfalls rot-schwarz.
»Heermeister Darion, was gibt es so wichtiges uns in dieser
Besprechung zu stören?«
»Ehrenwerter Stadtherr Nerel, ich habe schlechte Nachrichten,
die sich an euch alle wenden«, sagte Darion.
Narian sah sich die Beisitzer an. Er machte neben Darion einen weiteren
Menschen aus, welcher eine silberne Krone in Form eines Stirnbandes mit
kleinen Zacken nach oben und eine leichte Silberrüstung mit Verzierungen
trug. Der Stadtherr war zu 100% ein Zauberer, dachte sich Narian. Und sein
rechter Nebensitzer auch, denn er trug dieselbe Kleidung, abgesehen von
dem Umhang. Doch er war jünger; Narian schätzte Ende 30.
Dazu machte er drei Elben aus. Eine sehr junge und zerbrechlich
wirkende Frau und zwei Männer. Der eine hatte eine gewaltige Narbe,
die ihn von der Stirn, über das linke Auge, die linke Wange und den
Mund bis auf das Kinn zeichnete.
Die Ohren der drei verrieten sie, denn das glatte Haar ließ
sich von ihnen durchstechen.
»Und die wären, Darion?« fragte der Mann mit der
Krone.
Darion ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Noglin hat uns den offenen Krieg erklärt.«
»Er hat WAS?« rief der mit der Krone laut und sprang
auf.
Die anderen begannen zu reden, doch Nerel versuchte zu beschwichtigen.
»Beruhigt euch, Ansaltar«, sagte Nerel.
»Genauer gesagt hat er schätzungsweise 20.000 Soldaten
nach Angarin geschickt, mein König«, sagte Darion. »Sie
werden auf dem direkten Weg nach Méarlice kommen, so habe ich von
den Spionen in Ghaidhad erfahren.«
»20.000? Na Klasse!«, rief Ansaltar aus.
»Das ist durchaus eine Überraschung«, meinte der
andere Zauberer.
»Müssen wir uns jetzt auf eine Belagerung einstellen?«
fragte der Elb ohne Narbe.
»Ja. Danach sieht es aus«, sagte Nerel. »Wir sollten
sofort mit dem Planen beginnen: Ansaltar, wie viele Soldaten sind in der
Garnison nördlich von Méarlice stationiert?«
»5.000.«
»Gut, für die Belagerung wird das ausreichen müssen.
Werden die Elben uns unterstützen, Vanadin?« fragte Nerel.
»Wenn ich noch heute nach Linaen abreise, kann ich mindesten
genauso viele Elben finden wie Menschen da sind«, sagte der Elb mit
der Narbe.
»Dann solltet ihr gehen«, so Nerel. »Galdere,
informiert die Bürger und die Außenbezirke, wir müssen
sie evakuieren und jeder, der die Kraft hat, soll die Barriere um die Stadt
stärken mit ihren Zaubern.«
Der andere Zauberer nickte, stand auf und huschte davon.
»Darion, wann werden sie hier sein?« fragte Ansaltar.
»Frühestens in zwei Tagen.«
»Dann habe wir bis dahin Zeit alle Vorbereitungen zu treffen.«
Ansaltar und Nerel sprachen kurz miteinander, die beiden Elbenmänner
ebenfalls, nur Darion und die junge Frau, die eher noch ein Mädchen
war, saßen da ohne zu reden.
»Es gibt noch etwas, weswegen ich hier bin«, sagte Darion
unvermittelt.
»Und das wäre?« meinte Nerel verdutzt.
»Und zwar geht es um Sinarien«, sagte Darion.
»Sinarien?« fragte Ansaltar.
Auch die anderen schauten Darion an.
»Sie haben uns einen Brief geschickt, adressiert von König
Erestar von Sinarien aus dem Hause der Iarin an König Ansaltar von
Angarin.«
Darion holte den Brief unter seiner leichten Rüstung hervor
und gab ihn Ansaltar.
Er nahm den weißen Umschlag, riss das Wachssiegel auf und
holte ein Pergament heraus.
'König Ansaltar,
in unserer schwersten Stunde senden wir euch diese Botschaft in
der Hoffnung erhört zu werden.
50 Jahre lang herrschte ein Frieden in unseren Gefilden, die Ruhe
vor dem Sturm. Denn nun hat sich das Auge des Südens auf uns gerichtet
und blickt nach Sinaron. Der Schatten sammelt seine Armeen, Menschen, Söldner,
Geister und andere Kreaturen. Wir haben nicht die Macht einem Direktschlag
standzuhalten, daher ersuchen wir eure Hilfe. Wir wissen um die Situation
und den Bürgerkrieg, in dem ihr steckt, doch sollte der Süden
uns vernichten, steht das Tor nach Westen wie offen. Euer Untergang wäre
damit auch besiegelt.
Wir erwarten in euch in zwei Monaten, Anfang Dezember, falls ihr
euch entschließt zu kommen. Denn früher, so haben uns unsere
Späher und Spione unter Lebensgefahr versichert, wird kein Angriff
erfolgen.
Bitte helft uns, in aller Freundschaft unserer Länder.
König Erestar aus dem Hause der Iarin.'
»Klingt nach noch mehr Problemen«, merkte Vanadin an.
»Das ist gar nicht gut«, sagte Darion. »Wisst
ihr schon, was wir tun werden?«
»Ich würde sagen, ihnen helfen«, meinte Nerel.
»Eine Streitmacht steht vor unseren Türen und ihr wollt
nach Sinarien?« sagte Ansaltar.
»Erestar hat Recht. Wenn Sangarion sie überrennt, werden
Ghaidhad und danach wir seine nächsten Opfer.«
Narian, der die Gespräche angelehnt an der Türe verfolgt
hatte, fiel plötzlich etwas ein.
Hatte Mardic nicht etwas Ähnliches erwähnt, als sie bei
den Alben in Ghaidhad waren und er bewusstlos war?
»Darf ich mal etwas sagen?« sagte er laut.
Alle schauten ihn an.
»Sicher, Narian, nur zu«, sagte Darion.
»Und wer ist dein Begleiter, Darion?« fragte Nerel.
»Ich habe leider vergessen ihn vorzustellen. Meine Herren
und meine Dame: Das ist Narian. Er kommt aus Ghaidhad.«
»Wirklich? Und was hat er zu sagen?« fragte Ansaltar.
»Es geht um diesen Schatten oder wie er heißt«,
sagte Narian geradeheraus. »In Ghaidhad habe ich von einem Alb gehört,
dass die Grenztruppen Ghaidhads die Nachricht an ihn weitergaben. Er sagte,
er wolle es irgendjemandem weitersagen und dass dieser wohl interessiert
wäre.«
»Ein Alb?« sagte Vanadin erstaunt. »Wie kommst
du zu einem Alb?«
»Seine Geschichte wäre interessant für euch«,
meinte Darion. »Erzähle sie uns, Narian. Am besten so, wie du
sie mir erzählt hast.«
Also erzählte Narian die Geschichte und ließ dabei nichts
aus. Sogar Mardics Erklärung von den Ereignissen ließ er mit
einfließen. Er hatte das Gefühl, er werde doch noch wichtig
werden in diesem Gespräch.
Die Ratmitglieder unterbrachen ihn nicht, nur ihre Augen zeigten
das Erstaunen.
Als er fertig war, rief Nerel:
»Ein Drache! Hier! Das ändert einiges!«
»Wir sollten ihm einen Besuch abstatten, oder?« meinte
Ansaltar.
»Gewiss, jedoch nicht heute. Es gibt noch viel zu tun«,
sagte Vanadin.
»Du hast Recht. Darion, bring den Jungen bitte in ein Quartier,
wir werden uns noch einiges überlegen für die Belagerung und
die Sache mit Sangarion im Süden«, sagte Nerel.
Darion stand auf, verbeugte sich kurz und ging mit Narian wieder
hinaus.
»Wer ist Sangarion?« wollte Narian wissen.
»Erklär ich dir irgendwann mal.«
Er brachte Narian wieder die Serpentinentreppen hinunter und unten
bogen sie nach rechts oben über eine weitere Treppe ab und dann, nach
gefühlten 500 Stufen, ging es nach links. Dieser Gang war schmal und
nicht geschmückt. Rechts waren normale, durchsichtige Fenster angebracht,
links in der Wand waren Türen.
»Das sind die Gästezimmer. Eigentlich sind hier hohe
Persönlichkeiten untergebracht, die nach Méarlice kommen und
im Schloss übernachten.«
»Und was mache ich hier?«
»Auf den nächsten Morgen warten. Deiner Uhr nach ist
es 14.00 Uhr bereits. Falls du lesen willst, es sind eine Menge Bücher
da. Du kannst auch was schreiben, malen, sonst was machen. Tut mir Leid,
aber du musst eben hier warten. Morgen früh wird dich jemand wecken
und über alles aufklären, falls du vorhin nicht mitgekommen bist.
Wir sehen uns«, sagte Darion, öffnete die Holztüre und
ließ Narian hinein.
»Bis dann.«
Narian schaute sich um und suchte das Bett. Als er es gefunden hatte
ließ er sich darauf fallen, Augen für etwas anderes hatte er
nicht.
Es war groß und weich, aber Narian interessierte nur eines:
Schlafen. Er hatte in den letzten Tagen kaum geschlafen, er hatte einiges
nachzuholen.
Und damit fing er gleich an.
.
»Klar sind wir Freunde«, sagte ich. »Aber um das
klarzustellen: Ich kann genauso schnell fliegen wie normal, auch wenn er
auf meinem Rücken sitzt. Aber das wird er nicht.«
»Und warum?« fragte Elaril.
»Weil keiner das darf, klar soweit?«
»Zu stolz, oder?« sagte Fiyana.
»Ja.«
Wir unterhielten uns noch etwas (mehr oder weniger) und schließlich
war es 14.00 Uhr, wie meine innere Uhr mir meldete, als ein Reiter die
Anhöhe hinauf ritt.
»Wer von euch ist Mardic?« fragte der Mann.
»Wie viele Drachen gibt es wohl hier?«
Ich liebe es solche Antworten zu geben!
»Einen«, bemerkte er richtig. »Das ist für
dich.«
Er hielt ein Blatt Papier in der Hand und gab es Fiyana.
Schließlich konnte ich es nicht halten.
Der Reiter drehte um und ritt zurück in die Stadt.
»Eine Botschaft?« wollte ich wissen.
»Eher eine Anweisung«, sagte Fiyana.
»'Ehrenwerter Drache Mardic, ihr werdet gebeten außerhalb
der Stadt zu bleiben und gegebenenfalls bis zum nächsten Morgen zu
warten. Spätestens dann werdet ihr vom hohen Rat besucht werden.'
Die Unterschrift ist von Nerel.«
»Wem?« fragte ich.
»Dem Stadtherren«, sagte Arvias.
»Der Hohe Rat? Was will der von dir?« kam es von Meriël.
»Ich weiß ja nicht mal, wer das ist.«
»Das wirst du anscheinend morgen erfahren.«
»Heißt das, ich hab den ganzen Tag frei und muss nicht
mehr auf meinen Freund warten?«
»Genau«, sagte Milenir.
»Gut. Dann schlaf ich jetzt.«
»Bis morgen früh?« fragte er ungläubig.
»Drachen können beeinflussen wie lange sie schlafen wollen.«
»Wirklich? Wie praktisch...«
»Na ja, dann schlaf eben. Wir werden trotzdem hier bleiben,
weil wir noch auf jemanden warten«, sagte Fiyana.
»Meinetwegen.«
Endlich ließen sie mich schlafen.
Ich frage mich, wie lange...
Ende des fünften Kapitels
Das 5. Kapitel widme ich niemandem, außer den Lesern.
Ohne sie wäre eine Geschichte nur halb so spannend, da sie
die Bilder der Welt in ihren Köpfen erst zum Leben erwecken.
Fußnoten:
(Der kleine blaue Pfeil ( )
führt jeweils in die Zeile zurück, von wo aus auf die jeweilige
Fußnote verwiesen wurde.)
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1: |
Ja klar, als ob ich nicht schon so auffallen würde.
Wer erzählt denn bitteschön diese dämliche Perspektive??  |
2: |
Kann ich nur allzu gut verstehen... ^^ |
3: |
Warum sie ihm zujubeln, versteh ich allerdings nicht. |
4: |
HALT! Falsche Perspektive... Jetzt bin ich wieder
dran!! |
5: |
Habt ihr auch manchmal ein solches Déjà-vu? |
6: |
Bei Fiyana war ich mir nicht so sicher... Meriël
hatte mir erklärt, dass Fiyana auf Elbisch 'loses Mundwerk' bedeutet.
Bezogen auf einer Person würde Fiyana also einfach 'Die Redselige'
heißen. |
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© Salyan
Silberklinge
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