Schattenläufer von V.Geist
Kapitel 1 (2): Shade (2)

"Du, Shade?"
"Ja?"
Die zwei gingen nebeneinander den Weg entlang. Schon eine Stunde war vergangen. Der Pass führte sie über das Gebirge und zwischen hohen Felswänden entlang. Seit einer Weile ging es etwas bergab. Das war ein gutes Zeichen dafür, dass sie den richtigen Weg gefunden hatten, denn schließlich wollte Shade ja in die Täler des westlichen Reiches.
"Wo genau gehen wir eigentlich hin?"
"In den Westen!"
"Ja, das hab ich doch schon gemerkt. Aber welche Stadt?"
Was solls. Sie würde es eh merken, wenn sie ankommen. Schließlich musste er sie mitnehmen. Hier lassen konnte er sie nicht.
"Nefarat!"
Das Mädchen blieb stehen. Mit großen Augen sah sie Shade hinterher. Er drehte sich nicht um, denn mit so einer Reaktion hatte er gerechnet.
"Du willst wirklich nach Nefarat? Aber wieso das denn?"
Shade antwortete nicht.
Rio ging wieder weiter. Sie legte einen Schritt zu, um ihren Gefährten einzuholen.
"Weißt du eigentlich, dass es dort von Gesetzeshütern nur so wimmelt? Was willst du denn da, zwischen all den reichen Leuten und den Fürsten? Das ist doch gar nicht unsere Welt, Shade! Nefarat ist der schlechteste Ort dieses Landes, um sich nieder zu lassen. Echt!"
Niederlassen. Der Gedanke war verlockend. Doch weit entfernt. Er ging nicht dort hin, um sich niederzulassen. Ganz bestimmt nicht.
Fast hatte Rio ihren Freund wieder eingeholt, da blieb dieser stehen. Vor ihnen ging der Weg bergab, etwas steiler, als bis jetzt, aber es ging. Weiter unten schien der Weg wieder gerade zu verlaufen und weit im Westen führte der dünner werdende Strich wieder über ein paar Hügel, und dann wieder bergab. Was dahinter lag, konnte man von hier aus nicht erkennen. 
Aber das interessierte Shade im Moment wenig. Sein Blick wanderte den Weg entlang und dort unten, nur ein oder zwei Meilen vor ihnen, traf er auf die Gruppe der nordischen Reisenden.
Sie wirkten klein und waren nur schwierig zu erkennen. Rio sah sie erst gar nicht.
"Hast du mir überhaupt zugehört?"
"Sieh dir das an!"
Shade deutete mit dem Finger auf die Stelle, an der er die Gruppe entdeckt hatte.
Rio sah genauer hin. Jetzt erkannte auch sie den Fleck in der Landschaft.
"Da stimmt was nicht bei denen."
"Ja."
Rio kniff die Augen zusammen. 
"Die haben es plötzlich ganz schön eilig."
"Egal. Lass uns weiter gehen."

Sie gingen die Anhöhe ein Stück herab. Shade konnte den Blick nicht von der nordischen Gruppe abwenden. Was taten sie? Es schien, als würden sie immer schneller. Als jagten sie. 
Plötzlich schnitt etwas großes, weißes hinter der Gruppe den dunklen Strich, den der Weg durch das Schneefeld zog. Nur kurz. Als wäre eine Menge Schnee von der rechten Seite des Weges auf die linke übergesprungen. Erst jetzt bemerkte Shade die Schatten auf dem Schnee. 
Sie jagten nichts. Sie wurden gejagt.

Die Kutsche holperte über die unebene Straße. Sie hatte die Spitze des Zuges übernommen, da die Lasttiere langsamer liefen. Die Krieger waren auf die Tiere aufgesprungen. Pfeile zischten durch die Luft und weit oben über dem Boden, da kreisten sie. Die Angreifer.
Mit einem lauten, markerschütterndem Schrei stürzte sich eine der Kreaturen herab. Die Krallen der Hinterläufe bohrten sich in das Fleisch eines der Lasttiere. Die Vorderläufe schlugen das Tier zu Boden und noch bevor es mit dem Schädel im Matsch der Straße landete verschwand dessen Reiter mit einem lauten, von Angst erfülltem Schrei im Maul des Ungeheuers und es hob wieder ab. Mit einem starken Ruck, der das Tier, in dessen Fleisch es zuvor noch seine Krallen gegraben hatte, brutal zu Boden donnerte und ein paar heftigen Flügelschlägen war die Kreatur schnell wieder hoch in der Luft. Der Krieger vorne auf der Kutsche hatte all dies beobachtet. Nur wenige Sekunden hatte es gedauert und einer seiner Kameraden war für immer verloren. Aber er nicht. Ihm sollte das nicht passieren. Er drehte sich um zum Kutscher.
"Schneller. Fahrt schneller."
"Würd ich ja gerne..."
Ein Pfeil. Er griff hinter sich und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Schnell war der Bogen gespannt.
"Komm schon!"
Eines der Tiere schnellte herab und glitt auf das Heck der Kutsche zu. Ein Stoß brachte sie fast aus der Bahn, doch gerade noch ließ sie sich halten. Holz brach und splitterte. Die krallen des Tiers zerrissen das Dach bei dem Versuch, sich fest zu halten. Der Schütze war kurz aus der Balance gekommen, doch nun zielte er wieder. Gerade als das große Maul sich auftat und  der Kopf des Untiers auf den Soldaten zu schnellte, ließ er den Pfeil los und nur einen Augenblick später schrie das Ungetüm auf und ließ die Kutsche los. Ein Treffer direkt ins Maul. Der Körper verschwand hinter dem Heck des Gefährts. Der Kutscher schrie:
"Habt ihr ihn erwischt?"
Tief atmete der Bogenschütze durch.
"Ja. Sieht so aus."
Doch da glitt das Wesen auch schon wieder hinter dem Wagen empor und stieg wieder in die Lüfte auf. Tot war es nicht...

"Werden die angegriffen?"
"Ja."
Rio und Shade standen immer noch auf der Anhöhe. Die Felswände rechts und links warfen ihre Schatten auf die Beiden herab, so dass sie gut getarnt aus großer Entfernung das Geschehen beobachten konnten.
Doch plötzlich bewegte sich ein Schatten über den Schnee in ihre Richtung zu. Ein bedrohlicher, großer, schwarzer Umriss, dessen Quelle weit über dem Boben schwebte.
Noch war er unbemerkt. Shade war zu sehr auf die Kutsche konzentriert.
Die fliegenden Wesen waren von hier kaum zu erkennen. Ihre weißen Schuppen verschmolzen geradezu mit dem Hintergrund. Ein leises Krachen in der Ferne.

Die Kutsche war umgekippt. Durch die Geschwindigkeit ist sie aus der Kurve geflogen und mit voller Wucht in das Schneefeld geschleudert worden. Die Tiere, die das Gefährt zogen, lagen etwas weiter weg. Sie schienen bewusstlos zu sein, vielleicht sogar tot. Der Kutscher rappelte sich auf. Er war gut 20 Meter durch die Luft geflogen. Hektisch sah er sich um. Zu seiner Rechten lag, in etwa 10 Meter Entfernung, der Bogenschütze. Er schien unverletzt, doch etwas benommen. Der Krieger stützte sich vorsichtig auf seine Ellenbogen und versuchte aufzustehen. Der Kutscher war schon auf den Beinen. Er rannte los, auf seinen Kameraden zu.
Der Bogenschütze blickte in seine Richtung und kniff die Augen gegen das grelle Licht der Sonne zusammen. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wurde ernst und ängstlich zugleich. Der Krieger wollte dem Mann, der auf ihn zu rannte, eine Warnung zurufen, brachte aber nur ein dumpfes Röcheln hervor...
Zu Spät. In dem Moment, als der Kutscher sich umdrehte, um zu sehen, was sein Freund meinte, hatte ihn eines der Tiere schon gepackt und riss ihn mit in die Höhe.
"Nein!!!"
Die Kehle war wieder frei. Zu spät.
Nun musste er sich zusammenreißen. Der Bogenschütze versuchte aufzustehen. Es funktionierte. Auf wackligen und zitternden Beinen stehend sah er rüber zu der Kutsche. Andere Soldaten des Zuges hatten um sie herum Stellung genommen, doch es waren nur noch wenige von ihnen übrig.
Der Schütze tat ein paar Schritte, doch dann klappte er wieder zusammen, schlug seine Fäuste in den Schnee, um nicht wieder mit dem Gesicht auf den Boden zu schlagen. Und im selben Moment spuckte er tief aus seinem Inneren kommend einen Schwall von Blut auf den weißen Untergrund, der das Rot sofort in sich aufsog.

"Willst du ihnen helfen?"
"Wieso fragst du das?"
Rio sah auf den Boden. Sie spürte, dass Shade den Drang in sich hatte, den Leuten zu helfen. Auch, wenn er ihnen nicht helfen wollte, auf jeden Fall würde er gegen diese Monster ankämpfen wollen. Sie kannte Shades Abneigung gegen Drachen nur all zu gut.
"Ich dachte nur. Du hilfst doch gerne Menschen, oder?"
"Nicht, wenn ich dabei in zu große Gefahr gerate."
Das war gelogen. Rio wusste, wie sehr Shade das Leben anderer achtete, und bemüht war es zu beschützen. Er sah sich nur selber nicht gerne als den großen Helden. Auch das hatte Shade ihr nie bestätigt, aber sie konnte es sich denken.
"Mist!"
Rio blickte auf.
"Was ist denn?"
"Lauf Rio! Lauf den Weg zurück!!!"
Sie wusste nicht was los war, sah sich nur hektisch und verwirrt um. Dann sah sie es. Das große weiße Wesen, das direkt auf die beiden zu flog.
"Lauf schon!"
Fell fiel zu Boden. Eine Klinge blitzte auf.
"Komm schon her, Bastard!"
Das Tier schlug fest mit den mächtigen Schwingen und gewann an Höhe. Es war nun etwa 40 Meter hoch in der Luft über Shade.
"Komm schon!!!"
Ein Sturzflug. Der Drache stürzte senkrecht auf sein Opfer zu.
Shade machte einen Satz nach hinten und als das Tier kurz über ihm seinen mächtigen Körper hoch zog, um nicht den Boden zu rammen, sprang er wieder  nach vorne, riss die Klinge in die Höhe und stach sie dem Biest in den Bauch. Dunkelbaues, stinkendes Blut strömte hervor. Das Tier stieß einen grausamen Schrei aus. Es flog noch etwas höher, doch seine Wunde war zu tief. Eine letzte Wende, der Versuch, zum Rudel zurück zu kommen. Doch dann erschlafften all seine Glieder und es fiel wie ein Stein vom Himmel.
Shade ging langsam auf den Kadaver seines Feindes zu. Das lange Schwert in der rechten Hand war blutüberströmt.
Er erreichte das Tier, das immer noch zuckte und leise Geräusche von sich gab.
Es war wirklich ein Monster. Das Maul glich von der Form her einem langen Schnabel, wie der einer Krähe, nur etwas länger und natürlich viel größer. Diese Form war allerdings von Schuppen überzogen, genau wie der Rest des Körpers. Deshalb war schwer zu sagen, ob es nicht wirklich ein Schnabel war. Die Augen zogen sich wie Schlitze jeweils rechts und links am Kopf entlang. Sie waren von tiefstem Rot, doch nun als das Tier im sterben lag, begannen viele schwarze Fäden sich langsam ihren Weg durch das Rot der Augen zu bahnen.
Der Körper des Tieres war wie der eines Menschen. Die Beine waren kürzer, die Arme dafür länger, denn an ihnen wuchsen die Flügel heraus. Im Vergleich zu den mächtigen Krallen an den Beinen wirkten die Krallen an den Schwingen, die als Hände funktionierten klein und verkümmert.
Shade stand nun bei ihm und lauschte den letzten Geräuschen, die das Tier von sich gab.
"Damit hast du nicht gerechnet, hm?"
Die Klinge erhob sich in den Himmel. Sekunden später ließ Shade sie zu Boden schnellen und bereitete dem Leiden der Bestie ein Ende.

Unglaublich, dachte Rio. Das Schwert. Er hat es noch. Und wie er nun damit umgehen kann. Einfach unglaublich.
Sie war bei dem Angriff weggerannt und hatte sich hinter einem Felsen verkrochen. Jetzt schien die Luft wieder rein zu sein und sie kam hervor.
"Shade!"
Sie rannte auf ihren Freund zu. Kurz vor ihm hielt sie.
"Wie hast du das gemacht?" 
Der Mann drehte sich um und sah zu ihr herab.
"So schwer ist das nicht gewesen... Die scheinen nicht besonders intelligent zu sein."
Schreie waren zu vernehmen. Die Leute an der Kutsche hatten keine Chance gegen die Biester.
"Shade. Du musst ihnen helfen!"

Der Speer steckte dem Tier in der Kehle. Das sollte es erst mal ruhig stellen. Doch nun hatte der Kämpfer keine Waffe mehr. Womit sollte er sich nun verteidigen? Er sah über die Schulter zu der Kutsche rüber, die etliche Meter hinter ihm und seinem Schutz, einem toten Reittier, im Schnee lag. In der Kutsche sollten Waffen genug sein. Doch wie kam er dahin, ohne von diesem Monster gepackt zu werden? Er musste schnell sein. Sehr schnell.
Also drehte er sich um, machte einen Satz über den Kadaver des Reittiers hinweg und rannte. Das versuchte er, doch schon nach ein paar Schritten schlug vor ihm eine riesige Kralle in den Schnee, und mit einem lauten, schlagenden Geräusch erreichte auch der Rest des massigen Körpers den Erdboden. Der Drache versperrte ihm den Weg. Sofort geriet der Krieger in Panik und drehte um. Er rannte zurück und sprang hinter den kleinen Schutz zurück. Sein Herz schlug wie wild, als er da saß. Die Schritte des Tiers im Ohr, wurde ihm bewusst, dass es kein Entrinnen mehr gab. Eine Kralle bohrte sich in das Fleisch des Kadavers neben ihm und einen Augenblick später sank der mächtige Kopf nieder und blickte den Mann starr an. Es war für ihn wie eine Fratze des Todes. Das letzte, was er in seinem Leben sehen sollte. Das Tier schnaubte und Riss das Maul auf.
Blut spritzte. Der Schnee färbte sich schlagartig und der Kopf des riesigen Tiers knallte in den Schnee, während der Rest des Körpers zur Seite umkippte.
Bibbernd vor Angst öffnete der Krieger die Augen wieder, und sah gerade noch, wie eine dunkle Gestalt über das tote Lasttier hinweg davon huschte. Schon war wieder ein Aufschrei zu hören. Allerdings nicht menschlicher Natur.
Der Krieger richtete sich auf, und sah zur Kutsche rüber. Ein weiteres der Tiere lag schon zappelnd und blutend im Schnee.

Shade rannte auf die Kutsche zu. Er sprang auf, ließ das Schwert einmal in der Hand durch die Finger kreisen und rammte es dann nach vorne, dem Tier in den Leib, das sich gerade an der Kutsche zu schaffen machen wollte. Er und das Tier fielen in den Schnee nieder und das Ungetüm rutschte noch eine Weile über den weißen Untergrund. Es hinterließ eine lange Spur aus dunkelblauem Blut im Schnee. Shade war schon abgesprungen und rannte auf sein nächstes Ziel zu. Die Drachen kamen nun alle zu ihm. Als wollten sie Rache für ihre gefallenen Kameraden. Er brauchte sich nicht mehr anstrengen, sie zu erreichen.
Der erste stürzte auf ihn herab. Das Schwert zischte noch während sein Träger rannte in die Höhe und erwischte sein Ziel. Das Tier war schwer getroffen, aber nicht tot. Ein weiteres landete vor Shade im Schnee und schlug mit den Krallen nach vorne. Flink wich der Kämpfer aus, sprang auf einen der Arme und rammte dem Drachen seine Klinge von der Seite durch den Schädel. Das erste Tier war wieder hinter ihm, doch das hatte er längst bemerkt. Noch bevor es angreifen konnte, machte Shade eine Drehung mit ausgestrecktem Arm und zog die Klinge quer durch den Schädel des Angreifers, der sofort zu Boden ging. Noch ein Tier war übrig. Es kreiste erst hoch oben über dem Boden, als überlege es noch, ob es eingreifen sollte oder nicht. Dann fiel es tiefer und glitt mit dem Wind davon in Richtung Gebirge.
Shade sah ihm noch nach, dann wandte er sich den Männern zu.

Zwischen der Kutsche und den Kadavern der Drachen saßen zusammengekauert wenige Leute in halbzerfetzten Rüstungen, allesamt sahen sie verletzt aus. Sie mussten schwer verletzt sein, sonst würden sie sich nicht so dort verstecken. Nicht die Nordmenschen.
"Wer seid ihr?"
Eine klare und durchdringende Stimme war zu vernehmen. Shade sah über die Schulter. Die letzten Krieger, die noch lebten, sammelten sich hinter ihm. Die meisten hielten Abstand. Vielleicht aus Angst, dachte Shade. Der Eine, der an ihn herangetreten war, sah sehr stark aus. Ein wenig größer als Shade, aber trotzdem schien er größten Respekt vor ihm zu haben.
"Mein Name ist Shade. Ich bin hier um zu helfen. Ihr braucht euch nicht zu fürchten."
"Wir haben nichts anderes erwartet, nur verwirrt uns eure Schwertführung."
Sie verwirrte sie?
Shade drehte sich komplett um und sah sich den Soldaten genau an. Schien ein Hauptmann zu sein.
"Wer seid ihr?"
Der Soldat blickte ihn an. Dann schüttelte er kurz den Kopf.
"Mein Name ist Nesgard. General der Kriegergilde des Nordens."
"Ist mir eine Ehre, General."
Shade reichte dem Mann die Hand. Er schien nicht besonders beeindruckt von dem Dienstgrad des Offiziers den er vor sich hatte. Im Gegenteil. Er verabscheute diese Kriegergilden und ihre Mitglieder. Besonders die, die einen hohen Rang hatten.
Der General dagegen schien umso beeindruckter. Als der Händedruck zur Begrüßung vorüber war, sah der General an Shade herunter und sein Blick blieb an dem Schwert haften, das er immer noch in der Hand hielt.
"Sagt, was ist das für ein Schwert, das ihr da bei euch tragt?"
Shade zog das Schwert etwas hinter die Beine, um es zu verdecken. Es könnte Probleme geben, wenn einer der Anwesenden es erkennen würde.
"Es ist das Schwert meines Vaters. Er hat damit um Esgalia gekämpft und war siegreich. Nach seinem Tod ging es in der Tradition der Dunkelelfen an mich über."
Shade wollte nicht mit diesem Mann reden, demnach war seine Aussage über die Herkunft seines Schwertes eben so gelogen! Er mochte ihn nicht. Absolut nicht. Trotz allem bemühte er sich, nicht feindselig zu wirken, was seine Stimme etwas freundlicher wirken ließ. Dennoch blieb ein undeutlicher, aber nicht zu überhörender, scharfer Unterton in seinen Worten.
"Verstehe. Nun, Shade. Wir sind auf dem Weg in den Westen. Ich nehme an, das ist auch euer Ziel."
"Ja."
"Dann sollten wir vielleicht gemeinsam weiter reisen, bis wir aus dem Gebirge heraus sind. Es ist sicherer."
Shade sah den Pfad zurück. Rio kam den Weg entlang auf ihn zu gelaufen. Kurz überlegte er, dann nickte er leicht.
"In Ordnung."
Kurze Zeit später zog die Gruppe schon weiter. Shade und Rio gingen voraus. Die anderen folgten ihnen. Sie gingen etwa 20 Meter hinter den beiden.

"Sollen wir sie angreifen?"
"Nein."
Zwei Gestalten standen auf einer schneebedeckten Anhöhe und sahen von weitem dem Zug auf den Pass zu. Große, hellhäutige Wesen mit langen weißen Haaren und von oben bis unten mit Muskeln bepackt. Kleider aus dicken weißen Tierfellen bedeckten ihre Körper. Weißhäute.
"Aber Häuptling, sie sind nun schon so geschwächt. So hilflos. Wir könnten..."
Eine tiefe, strenge, für die Orks typische Stimme antwortete ihm.
"Nein, wir warten ab. Der eine scheint der zu sein, den wir suchen."
Er überlegte kurz.
"Gehe zu Gurlta. Er soll Kontakt mit Nerophan aufnehmen. Erzähle ihm, was hier geschieht!"
"Ja."
Mit einer unterwürfigen Geste machte sich der Ork auf den Weg. Ein Dritter trat heran. Er war ganz in schwarzes Fell gehüllt und eine große Kapuze warf ihren Schatten auf sein Gesicht. Im Vergleich zu dem Ork neben ihm war er relativ klein und zierlich.
"Gibt es ein Problem?"
Die Stimme der Gestalt klang nicht so rau. Eher sanft, hatte aber gleichzeitig eine gewisse Stärke. Der Häuptling kniff die Augen zusammen. Die Arme waren vor der Brust verschränkt. Ohne den Mann neben sich anzusehen, antwortete er.
"Nein. Alles in Ordnung."

Das Schwert war wieder gesäubert. In die Felle gewickelt und gut verschnürt hing es nun wieder auf Shades Rücken. Gut, dass der General es nicht erkannt hatte. Das hätte in einem Blutbad geendet, da war Shade sich sicher. Dieses Schwert war schon sehr alt. Seit Generationen galt es in der Geschichte der Dunkelelfen als Legende und viele sind bei dem Versuch, es sich zu eigen zu machen, gestorben. Nun, da es bei Shade angelangt war, hatte es seine Bestimmung erfüllt.
Es war eine schöne Klinge. Gut verarbeitet mit Gravuren auf der ganzen Oberfläche verteilt. Der Griff war aus Gold, und schwarzes Leder sorgte dafür, dass man es optimal greifen konnte, um es perfekt zu führen. Vom Knauf hing eine Kette herab, an der das Wappen der Schmiede hing, in der man es angefertigt hatte. Es gab diesen Ort schon lange nicht mehr und viele Leute behaupteten, es sei auch besser so. Das besondere an diesem Schwert waren die Schneiden. Nur der Kern der zweischneidigen Klinge war aus Stahl. Die Schneiden waren aus einem Material, das wie Kristall aussah. Es war halb durchsichtig und tief rot. Schwarze Linien zogen sich wie ein Muster aus Adern durch das Material. Es war ein Schwert aus Blutjade. Diese Klinge war niemals durch Schläge klein zu kriegen. Nach all den Jahren würde man es noch nicht mal schmelzen können, zumal Blutjade sowieso kaum zu schmelzen war, hatte man es einmal aushärten lassen.
Die eindeutigen Merkmale machten es leicht, eine solche Waffe zu erkennen. Sie waren in der ganzen Welt bekannt. Und verhasst.
"Shade?"
"Ja?"
"Wer sind denn die jetzt? Ich hab das immer noch nicht mitbekommen?"
Shade sah nachdenklich nach vorn.
"Ich weiß es ja selbst nicht. Frage mich nur, was in dieser Kutsche drin ist..."
Rio warf einen kurzen Blick nach hinten. Die Männer hatten die Kutsche nicht wieder repariert bekommen. Sie hatten sie auf Kufen gelegt, die sie auf die schnelle aus abgebrochenen Holzleisten vom Dach des Gefährts zusammengezimmert hatten und ließen sie so vom letzten überlebenden Lasttier des Zuges ziehen. Ein paar der Männer schoben streckenweise den großen Holzkasten, der nun all seine Pracht verloren hatte, an.
"Meinst du, sie transportieren Waffen oder so was in der Art?"
Er schüttelte den Kopf.
"Kann sein, aber ich weiß es nicht."
Er machte eine kurze Pause.
"Noch nicht..."
 

© V.Geist
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Und schon geht es weiter zum 1. Teil des 2. Kapitels...

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