Wo ein Schuh zur Plage wurde von den Twin-Sisters
Kapitel 7: Der Abgrund

Dethonas starrte wie gebannt auf das Display seines Handys. Er hatte den Sturz überlebt, o ja. Er hatte gewusst, dass ein Meter Stoff die Fallgeschwindigkeit um 20% zu verringern vermochte und sein schwarzer Ledermantel bot von diesem mehr als genug. Doch das war Dethonas momentan gleichgültig, geradezu unwichtig und irrelevant.
Allein die Worte der SMS fraßen sich in sein Abae-Gehirn: "Lieber Dethonas, ich habe genug. Es ist aus. Ein Alb kann eine Elbin nicht lieben. Zumindest nicht auf solche Weise, wie es ein anderer ihrer Art zustande brächte. Borlando hat mir das klar gemacht. Er ist auch auf Mallorca. Es ist traumhaft. Obwohl ich dich und deinen Körper nie vergessen werde, Dethonas, habe ich endlich erkannt, dass wir nicht füreinander geschaffen sind. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du eines Tages ein hübsches Albae-Mädchen von meinem Kaliber findest, die du lieben und mit der du alt werden kannst. Ich liebe dich trotz alledem immer noch unendlich, deine Vaelyinia."
Dethonas seufzte. Warum? War er ihr nicht gut genug? Hatte sie sich in den zweifelhaften Starsänger Borlando verguckt? Ein verlaustes Elbenschwein war er, nichts anderes. Braune Locken, dunkle Augen. Vielleicht wirkte es auf Frauen anziehend, einen berühmten Mann zum Freund zu haben, selbst wenn er so hässliche Songs wie "Oomi hat eu - euch lieb!" komponierte? Dethonas ballte die Fäuste, so sehr, dass die Knochen weiß aus dem Fleisch heraus zu erkennen waren. Ein Elb würde ihn niemals ersetzen können. Er hasste Vaelyinia, weil sie eine Elbin war, doch gleichzeitig liebte er sie in solch unerschöpflicher Unendlichkeit, so wie er sich selbst oft hasste und liebte. Vaelyinia würde es merken, und dann würde sie ihn vermissen und zu ihm zurückkehren wollen. Der Alb hielt seine Tränen nicht länger zurück. Er war sowieso allein. Große heiße salzige Tropfen rannen ihm über die rissig wirkenden Wangen (der einzige Makel im sonst so feinzügigen Gesicht eines Albs). Allein... und er würde es wahrscheinlich nun für immer sein. Ein kehliges Schluchzen entwich seinen tränenüberlaufenen Lippen. Das Salz machte sie spröde.
"Wieso... WIESO TUST DU MIR DAS AN!!!" Seine Stimme stieg zu einer bedrohlichen Lautstärke an, verwandelte sich aber plötzlich zu einem kaum hörbaren Wimmern.
"Warum... Vaelyinia... Vaelyinia... Geliebte... ooooohh! Wieso, wieso, wieso?"
Er verstummte und starrte trübselig auf sein Spiegelbild im Display. War er vielleicht zu hässlich? Zu eigensinnig? Möglicherweise zu egoistisch? Er wusste es nicht und konnte sich auch keine Begründung vorstellen. Die Trauer zermürbte ihn, ein unbändiger Hass stieg auf. Die Tränen wichen einer wutverzerrten Fratze. Dethonas warf den Kopf in den Nacken und stieß einen langen, schrillen und durchdringenden Verzweiflungsschrei aus. Einem Zuhörer wäre es durch Mark und Bein gefahren. Die schiere Verzweiflung, die den Alb gepackt hatte, fraß sich tiefer in ihn hinein. Dethonas sank zu Boden, verschränkte die Arme über den Knien und vergrub seinen Kopf in der Kuhle. Ein klägliches Weinen drang aus dem Vorhang heraus. Vaelyinia, sie würde ein tiefes Loch in ihm bilden, einen großen unüberwindlichen Graben, einen tiefen Abgrund. So tief, dass man sein Ende mit bloßem Auge nicht zu erkennen vermochte. Er fühlte sich verbittert, leer, ausgemergelt und verlassen, so als sei ihm ein Stück seiner selbst entwendet worden. Auf immer und ewig. Sie war die einzige Elbin gewesen, die er in seiner unmittelbaren Nähe akzeptiert und geliebt hatte. Sie hatten sich umarmt, geliebt, geküsst, waren in den Träumen des anderen versunken, hatten aufeinander geschworen und waren zu einem Leib und einer Seele verschmolzen, eine Einheit, zwischen zwei sich hassenden Völkern. Alles vorbei? Ein Traum? Ein Wahn? Ja!
'Ja!', machte sich Dethonas nochmals schweigend klar.
Um ihn herum befand sich nichts als eintönige grüne Hügellandschaft, unkultiviertes Wiesenland. Die Tränen mehrten sich wieder. Sein Auftrag schien weit entfernt zu sein. Huildo Gorn existierte in seinen Gedanken nicht, es drehte sich alles um den Verlust eines Stücks Fleisch, das er vor vielen Jahren für sich gewonnen, gehegt und gepflegt hatte, für das er bis an sein Äußerstes gegangen war, und darüber hinaus, um es nun grausam entrissen zu bekommen. Der Tod seiner Freundin hätte keinen schlimmeren Schmerz in seinem Herzen hinterlassen können, als zu wissen, dass sie lebte und liebte, ihn aber nicht mehr haben, für sich besitzen wollte. In Dethonas stieg wieder dieser unbändige Hass gegenüber dem Elben auf, der sie ihm vermeintlich ausgespannt hatte. Ein Alb könnte eine Elbin niemals lieben! Pah! Als ob er Vaelyinia zu irgendeinem anderen Zweck benutzt hätte, als sie ihretwillen zu lieben, sie an vorderster Stelle stehen zu lassen, dem eigenen Vorteil entsagend, ihr Platz und Vorteil zu schaffen. Er hatte sie geliebt, er liebte sie noch immer! Um dem Nachdruck zu verleihen, hatte er sie täglich mit Rosen überhäuft, sie mit Schmuck überschüttet, war immer für sie da gewesen - würde es auch immerfort sein, wenn sie sich nicht von ihm abgewandt hätte. Er kannte viele Frauen - viele schöner und unterhaltender - aber Vaelyinia war anders. Sie war sein Sinn, seine Leidenschaft, sein Leben, seine Hoffnung, sein Getriebe, seine Hingabe, seine Vernunft, seine Erweckung, Zufriedenheit, Glück, Freude, Emotion, sein Gewissen und seine Lebensausrichtung. Nichts und niemanden hatte er jemals so geliebt und aus dem tiefsten Grunde seines Herzens geachtet und verehrt. Er hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, ihn erfüllt, bevor sie daran gedacht hatte. Dethonas wusste, dass das nicht übertrieben war. Was hatte sie ihm gegeben? Allein sie zu sehen, ihre Stimme zu vernehmen, ihre warme samtig weiche Haut zu spüren, waren Dinge, die ihm Nichts auf der Welt ersetzen konnte. War ihr all das nichts mehr wert? Hatte es denn überhaupt keine Bedeutung für sie gehabt? Mitnichten, denn sie hatte ja geschrieben, dass sie ihn immer noch liebte. Wie sehr? Warum? Wieso zog sie trotz alledem diesen Elben ihm vor? Dethonas verstand es nicht. Er wollte es nicht verstehen, konnte es nicht. Das Tränenwasser vermischte sich mit dem roten Lebenssaft. Sein Aufprall war nicht völlig ohne Folgen geblieben.
"Oh Vaelyinia", seufzte er weinerlich, die leeren Augenhöhlen zur Sonne gerichtet.
 
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Von dem seltsamen Land "Schuh" gibt es nun auch eine Karte (neues Fenster).


Und schon geht es weiter zum 8. Kapitel: "Bodyguard"

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