Diese Geschichte ist ab 2006 am Drachentaler Wettbewerb leider nicht mehr teilnahmeberechtigt,
da sie in den vorherigen Jahren zu wenig Punkte erhalten hat.
 
Drachenerwachen von Shivaree

Die Erinnerungen sind wie Strahlen in allen Regenbogenfarben, die ihre glühenden Energien auf die Berge und Täler, Flüsse und Seen, Länder und Meere fallen lassen. Rein, leuchtend und dennoch unerreichbar wie Sternschnuppen vor dem geschmeidigen Samt des Firmaments.
Diese Regenbogenstrahlen kitzeln den müden, längst resignierten silberschwarzen Drachen, der in seiner trüben Dunkelheit träge mit den großen Augen blinzelt. Verblüfft und vorsichtig interessiert bläht er die zitternden Nüstern, als er die Witterung der Energie aufnimmt.
Lebensenergie!
Doch er ist auf der Hut!
Schon zu oft gab es ähnliche Erscheinungen, die sich bloß als Illusionen entpuppt haben und die Kräfte des Drachen sinnlos verbraucht haben.
Der Drache erhebt sich langsam von seiner Ruhestätte und einzelne Strahlen gleiten zärtlich über seine geschmeidige Schuppenhaut, unter der das schwarz-blaue Blut schneller zu fließen beginnt - ist doch die Energie der Farben reiner und intensiver als bisher.
Seine mit Edelsteinen besetzten Klauen schaben über den schwarzen Granit, sein langer, mit schwarzen, glitzernden Zacken bewaffneter Schwanz schlägt nervös von einer zur anderen Seite. Begierig saugt er die energiegeladene Luft in seine gewaltigen Lungen, als das Loch, durch welches die Strahlen fallen, aufreißt und den Blick freigibt auf den kristallinen Ursprung der Strahlung. Leben pulst durch seine Adern. Er löst die todbringenden Krallen und dreht seinen stolzen, mit seidigen Federn verzierten Kopf in die Richtung des Lochs. Die sich verkleinernden Pupillen gewähren den Blick auf leuchtend blaue Augäpfel, in denen silberne Lichtreflexe tanzen. Seine seit langen Zeiten ruhenden Muskeln bewegen sich und die riesigen, seine Körpergröße bei weitem übertreffenden Schwingen entfalten sich mit kurzen, kraftvollen Bewegungen. Das ausgeprägte violett-schwarze Adernetz, das die transparenten, zarten Häute zwischen den biegsamen Knochen seidig schimmern lässt, füllt sich mit peripherem Blut. Ebenso graziös und elegant, wie gefährlich, bewegen sich die sehnigen Schwingen und die scharfen, geschliffenen Kanten erbeben unter einer neuerlichen Liebkosung durch die irisierenden Strahlen.
Der Drache ist noch immer vorsichtig, doch seine Sehnsucht nach dieser Energie, diesem kristallinen Ursprung ist zu groß.
Die probeweisen Flügelschläge werden schneller, kraftvoller und endlich erhebt sich sein fester, schöner Leib in die Luft. Kopf und Hals grazil vorgestreckt, die Vorderklauen eng an den Oberkörper geschmiegt, die Hinterklauen gerade ausgestreckt und den langen Schwanz als Seiten- und Höhenruder benutzend, schraubt er sich in leichten eleganten Drehungen auf das verlockende Loch zu. Ein triumphierender, heiserer Schrei entweicht seiner Kehle, als er das Loch verlassen hat, das sein Kerker hatte sein sollen, und seine ganze Schönheit und Animalität erstrahlt in der reinen Energie.
Er vergisst die lange Dunkelheit, Einsamkeit und Kälte, als er den weichen, warmen Energiestrahlen auf Gedankenebene begegnet.
Doch welch' einen Schreck versetzt es ihm, als er bemerkt, dass der kristalline Ursprung nicht direkt nach dem Drachen gesucht hat, sondern vielmehr einfach nur vorhanden ist.
Doch der Drache gibt nicht auf!
Er reist gedanklich weiter auf den Strahlen und als er feststellt, dass sich weder der kristalline Ursprung, noch die Strahlen und die Energieabgabe sich ändern, beschließt er, nicht wieder in seine Höhle zurück zu kehren.
Der Drache absorbiert die Strahlen und die Energie mit jeder Faser seines lebenden - wieder lebenden - Körpers, doch währenddessen erkennt er auch die gräulichen Schatten, die wie ein kranker Belag auf dem kristallinen Ursprung haften. 
Der Drache schließt seine Augen und lässt sich auf den Luftströmungen treiben. Zugleich erweitert der Drache sein Denken und versucht damit die Schatten aus diesem Farben- und Lichtermeer zu vertreiben.
Doch die Bemühungen scheinen vergebens. Die Schatten setzen sich erbittert zur Wehr.
Der Drache zuckt, angesichts dieser Vehemenz, zusammen.
Es scheint, als müsse er seine Strategie ändern, und während er dies realisiert, weiß er, dass jede Investition von seiner Seite aus es wert ist, denn dieser kristalline Ursprung ist echt und verdient es, dass er darum kämpft, denn dieser Ursprung ist alles, was der Drache will, denn er hat ihn aus der Dunkelheit, der Einsamkeit und der Leere geholt, wenn auch unbeabsichtigt.
Der Drache nimmt das Leben mit all seinen Sinnen wahr und er genießt es und freut sich auf jede Konsequenz, die dieses neue Leben nach sich zieht. Es ist egal... vollkommen egal! Alles ist in Ordnung, solange der Drache nur nicht wieder zurück muss...!
 
© Shivaree
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