Riyonn ließ seinen glasigen Blick über
Teras Andum schweifen. Bald würden die Lichter der majestätischen
Stadt erlöschen, wie jede Nacht. Der sternenklare Himmel schien sich
bedrohlich über Teras Andum zu erheben, so als würde er es mit
kräftigen Armen umklammern, um es vor dem drohenden Überfall
der Diebesgilde zu beschützen.
Die waldkahle Ebene, die ihr Aussehen durch
frühere Rodungen und das Bebauen von Getreidefeldern, oder das Nutzen
der Wiesen für das Vieh der Städter erlangte, verstärkte
diesen Effekt nur noch umso mehr.
Trotzdem verspürte Riyonn nicht das geringste
Anzeichen von Furcht. Es waren reine Aufregung und Neugier, die ihm die
Nervosität durch den Körper trieben.
Zuvor hatte der Dieb die größeren
Raubüberfälle auf Teras Andum oder das kleinere Vyacess Grao
nur aus der Ferne bewundern können. Damals waren seine Fähigkeiten
noch weniger ausgeprägt und vielseitig gewesen, wie an jenem Tag.
Dieses Mal würden er und Imogen dabei sein, wenn es ans Beuteeintreiben
ging.
Wie bereits geplant, hatten sich er und Imogen
mit dem weniger kampferprobten Teil der Gilde, die größtenteils
aus jüngeren und unerfahreneren Leuten bestand und damit auch den
kleineren Teil der Verbrecherorganisation ausmachte, auf die Lauer gelegt.
Sie würden das Lichtzeichen des sich momentan an die westlichen Stadttore
anpirschenden größeren Teils abwarten, um dann als eigentliche
Räuber durch die Abwasserkanäle des östlichen Stadtteils
und somit am anderen Ende Teras Andums hineinzugelangen und dort zuzuschlagen,
während zur gleichen Zeit am Westtor die restlichen Diebe den direkten
Überfall markieren werden. Das wiederum würde in ein Massaker
mit den Stadtwachen, den Andumir, ausarten, die die meisten ihrer Leute
deshalb wahrscheinlich dorthin schicken würden. Doch war selbstverständlich
nicht zu erwarten, dass sie ausschließlich alle Stadtwachen zu den
Westtoren sendeten. Einige würden garantiert auf ihren Posten bleiben,
sodass die kleinere Gruppe Diebe nicht einfach ungehindert in der Stadt
umher tanzen könnte und dort ihre Beute - Gold, Silber, Nahrung und
Kunstgegenstände - nur noch einsammeln bräuchte. Zwar würden
diese wenigen Posten den Dieben das Stehlen um einiges erschweren, denn
die Stadtwachen Teras Andums waren sehr effektive Kämpfer.
Doch dafür war vorgesorgt. Riyonn, Imogen
und der Rest der kleineren Gruppe waren mit Weidenbogen und mörderischen
Lyk-tai Kampfsäbeln ausgerüstet. Außerdem führten
sie, aufgrund der immensen Kosten ziemlich wenig, Sprengstoff mit sich,
in nässedichten Holzkästchen verwahrt.
Zusätzlich trugen die Diebe eiserne Kampfmonturen,
die sie schützen sollten – leider nicht undurchdringbar, aber sehr
robust gegenüber Schwertern und anderen Nahkampfwaffen, wohingegen
es für mit Distanzwaffen abgefeuerte Pfeile und Bolzen fast ein Leichtes
war, das Eisen zu durchdringen.
Doch was war dieses kleine Risiko des Todes
gegen die unermessliche Anzahl Beutestücke, die dieser Zug der Gilde
einheimsen würde? So jedenfalls hatten es auch alle anderen Mitglieder
der Gilde identifiziert.
Ausgeklügelt und erstellt wurde der Plan
zu diesem Überfall von Taron, Taron Greyhand, jener Gründer der
Gilde und ihr Führer.
Keiner aus der Gilde wusste, seit wie vielen
Jahrhunderten der spinnenbeinige Elfen-Mutant schon lebte, seine Umwelt
mit seinem urtümlichen Atem verpestete.
Allenfalls war dieser Plan, den Taron entwickelt
hatte, viel komplizierter und schlauer bedacht, vor allen Dingen aber größer
angelegt als die vorigen. Bisher brüsteten sich die Diebe der Gilde
lediglich mit Überfällen auf Handelskarawanen, Wanderer, Bauern
rund um Teras Andum oder Vyacess Grao, Botschafter, Steuereintreiber oder
einfache Leute, die sich aus den sicheren Mauern der Stadt herausgewagt
hatten.
Doch waren Tarons Pläne immer unzweifelhaft
perfekt ausgearbeitet worden, wenn ein Fehler geschah, so lag das an denen,
die ihn durchführten. Riyonn wiegte dieses Wissen in einer gewissen
Sicherheit. Seine schwarzen Haare wurden von einem sanften Wind durchsäuselt.
* * *
"Was meinst du, was die anderen dort drüben
noch so lange treiben?" Imogen zupfte ungeduldig am Ärmel ihres Ziehvaters
Zoran. Unsicher sah sie in den emotionslosen Blick seiner blassgrünen
Augen.
"Es wird sicher nicht mehr lange dauern. Sieh,
die ersten von uns beginnen schon nach dem vereinbarten Lichtzeichen Ausschau
zu halten. Mach dir keine Gedanken darüber, wann es losgeht... du
wirst bald merken, dass es hier mit stehlen allein nicht getan ist. Bald
wird dein Säbel das erste Blut seiner Feinde schmecken. Auch du selbst
wirst den Geschmack des Blutes auf deiner Zunge kleben haben. Du wirst
eins werden mit deiner Waffe und wie ein Hammer einschlagen. Doch du wirst
auch spüren, was ein solcher Angriff alles mit sich bringt. Unheil,
Schmerzen... Tod. Die Nacht ist das Leichentuch."
Imogen unterdrückte die Übelkeit,
die mit der widerlichen Beschreibung ihres Ziehvaters in ihr aufkam. "Aber
ich dachte, die anderen halten uns die Andumir vom Leib?"
Zoran seufzte. "Sicher, aber doch nicht alle.
Und die Bewohner der Häuser, die wir berauben, werden auch nicht einfach
zusehen, wie ihnen ihr Besitz gestohlen wird. Du kannst dich nicht davor
drücken zu töten, Imogen", erklärte Zoran geduldig. "Wahrscheinlich
hast du bei der Besprechung wieder nicht aufgepasst."
Imogen zog die Augenbrauen herunter. "Es war
langweilig..."
Ihr Vater tat die Entschuldigung mit einem
Handzeichen ab. "Jaja. Aber wenn du keinen Gefallen an dem blutigen Kampf
findest, stehen deine Überlebenschancen niedriger. Ekel und Angst
helfen da nicht weiter. Diejenigen, die mit vollem Kampfgeist und Emotionen
dabei sind, führen den Kampf. Sei wie sie und du beendest ihn, lass
dich nicht irreführen vom Wehgeschrei Fallender. Hier sind Unbarmherzigkeit
und keine Gnade angesagt. Zeige alles, was du in all den Jahren deiner
Ausbildung gelernt hast, aber lass dich nicht zu irgendwelchen Kunststückchen
hinreißen... die Nacht ist das Leichentuch..." Zoran brach plötzlich
ab und starrte zu Boden.
"Du sprichst in letzter Zeit viel vom Tod,
Vater. Hat das etwas mit dem Brief von deinem alten Freund Gerjyho-Zura,
diesem verkorksten Magier, zu tun?"
Er seufzte. "Zum ersten ist er nicht verkorkst,
und zum zweiten ...man ...er ...hat sich umgebracht."
Imogen erschrak. "Umgebracht? Aber wie..."
"Konnte er mir dann diesen Brief schreiben?
Ganz einfach. Er tat es in der Nacht nachdem er den Brief losschickte und
das ist fast zwei Monde her." Beide schwiegen.
Auf einmal trat Riyonn von hinten an sie heran.
"Was denn? Schon wieder einer? Diese Magier
müssen einen gewissen Hang zum Selbstmord haben..."
"Das hat überhaupt nichts miteinander
zu tun, Riyonn!", entgegnete Zoran leicht gereizt. "Dieser reisende Magier
mit seinem Schutztrupp, den wir letzten Mond überfallen haben und
der sich selbst in sein Schwert gestürzt hat, hat nicht im Entferntesten
aus demselben Grund gehandelt, wie Gerjyho-Zura!"
"Ach ja? Mit was hatte dieser Magier denn
zu tun?"
"Sonderbeauftragter Steuernlieferant von den
Hafenstädten im Norden. Wäre er ohne Geld in Kouwah aufgetaucht,
wäre er ohnehin so sehr in seiner Ehre verletzt gewesen, dass er sowieso
Harakiri begangen hätte."
Riyonn zog unschlüssig die Brauen hoch.
"Magier...", murmelte er kopfschüttelnd. "Und dein Magierfreund? Was
war mit ihm?"
"Ich... das geht euch Kinder nichts an!",
wehrte Zoran forsch ab.
"Ich wollte dir nicht zu nahe treten... Darf
ich dich trotzdem sanft darauf hinweisen, dass du es bei mir nicht mit
einem Kind, sondern einem erwachsenen Mann zu tun hast, Vater?"
"Sechzehn?"
"Ist doch so!"
"Riyonn!"
"Was?"
"...ach... vergiss es. Komm nur bitte nicht
wieder auf Gerjyho-Zura zu sprechen... es schlägt mir noch zu sehr
aufs Gemüt, die Sache mit seinem Ableben..."
Riyonn zog es vor, seinem Vater den Gefallen
zu tun. Der alte Mann wirkte in letzter Zeit sehr traurig und auf irgendeine
Weise sonderbar ... alt.
Vor Zorans innerem Auge sah er seine Kinder
- Imogen: ein hübsches junges Mädchen, sechzehn Jahre alt, die
für ihr Alter schon regelrecht ausgewachsen aussah, rotbraune glatte
Haare hatte, die ihr im Zopf noch auf die Schulterblätter fielen,
ein charakteristisch unschuldiges Gesicht aufwies, verstärkt von rotbraunen
großen ausdrucksvollen Augen umrandet von dichten dunklen Wimpern,
die sie nur ein wenig auf und zuschlagen brauchte und vor ihr knieten reihenweise
Männer um Zuneigung winselnd. Außerdem besaß ihr sanft
braun gebranntes Gesicht schön geschwungene Augenbrauen, volle dunkle
Lippen, meist zu einem Lächeln geformt und eine schlanke kleine Nase.
Und Riyonn: der ebenfalls sechzehn-jährige junge Mann mit grauen schmalen
Augen, die weitsichtig und übermenschlich durch sämtliche Dinge
hindurch zu sehen schienen, unter dem linken Auge prangten zwei auffällige
Leberflecke, mit einer schmalen Nase, schwarzen Augenbrauen, einem schlanken
Gesicht und rabenschwarzen Haaren, die meist ungekämmt auf seine Schultern
hingen und lediglich mit ein paar Federn und Lederbändchen aus dem
Gesicht gezwirbelt wurden.
Es machte Zoran immer wieder traurig die beiden
zu sehen, und doch im tiefsten Inneren zu wissen, dass es nicht seine eigenen,
leiblichen Kinder waren, die er aufgezogen hatte, nachdem sie die Diebesgilde
an zwei verschiedenen Stellen im Sichelwald, der das Lager der Diebe vor
den Blicken Neugieriger schützte, gefunden hatte. Damals waren sie
noch keinen Mond alt gewesen.
Imogen hatte ihren Blick auf die Stadt gerichtet.
"Vater!", rief Imogen plötzlich aufgeregt
und piekte Zoran unsanft in den Oberarm. Der alte Mann fuhr aus den Gedanken.
Zoran erspähte das heiß ersehnte Signal zum Start des Überfalls
aufleuchten, das Licht einer Fackel, ungefähr fünfzig Schritte
vom Stadttor entfernt. Die so genannte "Raubflamme", die einem Winkel zur
Stadt vollführt wurde, in dem sie von den Stadtwachen unbemerkt blieb.
Imogen trat mit einem flauen Gefühl im
Magen, und doch einer freudigen Geste im Gesicht, von einem Bein auf das
andere. Riyonn seufzte leise.
"Der Raubüberfall beginnt." Imogen warf
ihm einen strengen Blick zu.
"Du klingst ja gerade so, als wenn sie schon
jemanden beerdigt hätten, dabei ist noch nicht einmal jemand verletzt
worden." Daraufhin wies Riyonn kopfschüttelnd Richtung Stadttor. Imogen
erkannte einen gewaltigen Pfeilhagel auf die Stadtmauer prasseln, jedoch
auch die Stadtwachen ließen das Feuern von Bolzen mit ihren Armbrüsten
nicht aus. Die wenigen Schildträger der Diebe schienen es nicht zu
schaffen, alle ihre Mitstreiter vor einfallenden Geschossen zu beschirmen.
Bevor Imogen noch irgendetwas dazu sagen konnte, rissen die älteren
Diebe sie mit sich zu den Kanalgängen.
"Tarons Plan ist strategisch gut, aber moralisch
doch völlig unzulässig...", grummelte Riyonn. "Man opfert nicht
den besten Teil einer Garnison für einen kläglichen Raubüberfall..."
Die strengen Mienen der Älteren entmutigten
Imogen dazu, Riyonn einen Kommentar zuzuflüstern. Sogar das vorher
noch bestandene Wispern war verstummt. Es war nahezu unheimlich, wie genau
es die Älteren mit der Lautlosigkeit nahmen. Selbst zu lautes Auftreten
auf den Boden wurde mit grimmigen Gesten bestraft. Auch dem sonst ziemlich
wortkargen Riyonn missfiel diese absolute Stille zutiefst.
Bald hatten sich die Diebe den Hügel
hinunter über die heranreifenden Weizen- und Gerstenfelder zum Eingang
der Kanalisation vorgearbeitet, um dort hinein zu kriechen, allen abstoßenden
Gerüchen zum Trotz. Bei dem abartigen Gestank, der in den Kanalgängen
haftete, drehte es manchen Dieben schier den Magen um. Den Ratten und dem
Geruch entgegen kämpften sie sich durch.
Schließlich hatten sie es durch das
ekelhafte Abwasser geschafft und traten am anderen Ende aus den engen Gängen
in den fahlen Lichtschein des Sichelmonds, dabei genüsslich die frische
Luft einatmend. Wenige Worte miteinander im Flüsterton wechselnd,
stahlen sich die ausgebildeten Diebe durch die winkligen Gassen von Teras
Andum.
Während sie sich an den Wachtürmen
der Stadt vorbeischlängelten, montierten sie die Sprengkästchen
daran, und verbanden sie gleichzeitig mit einer Spur Pulver. Erstaunlich,
dass Taron an dieses Zeug herankommt, obwohl es so teuer und selten zu
haben ist, dachte Riyonn anerkennend.
Die Pulverspur hinter sich her ziehend, verschwanden
die Diebe rasch im Stadtinneren, damit sie die Explosionen nicht aus nächster
Nähe miterlebten. Imogen hielt sich eng an Zoran, während hingegen
Riyonn, wie ein aufgehetzter Hund, aufgeregt umher lief, um auch nichts
zu verpassen. Seine Neigung, das Verhalten aufgescheuchter Tiere von oben
herab mit einem Kopfschütteln zu betrachten, schien er in diesem Augenblick
wohl vergessen zu haben.
Als seine anfängliche Aufregung abschwächte,
mischte er sich vorwitzig unter die Älteren und Veteranen. Doch das
ließ ihm nicht einen Grund nehmen, sich doch wie ein unerfahrener
Wolfswelpe zu benehmen, so wie die anderen, die zum ersten Mal einem großen
Überfall beiwohnen durften. Der Mond verschwand für einen Moment
hinter einer dichten Wolkenfront, die scheinbar urplötzlich aufgezogen
war.
Freygos Lei, der das Installieren der mit
Sprengstoff gefüllten Kästchen geleitet hatte, zückte zwei
Feuersteine und entzündete mit einem Funken die Spur aus dem Salpeter-Schwefel-Kohlestaub-Gemisch.
Zischend sauste das Feuer diese entlang. Gleich darauf ertönte lautstark
eine Reihe erster Explosionen. Die Fachwerke sämtlicher in der Nähe
der Türme stehender Häuser fingen Feuer. Bald erhob sich eine
mächtige grellrote Feuerfront von den Wachtürmen her, lose Steine,
Balken und Menschen flogen durch die Luft.
Mit teils belustigten, teils entsetzten Gesichtern
beobachteten die Diebe das Schauspiel.
Plötzlich erschien ein Mann in Rüstung
auf der Straße, mit auf die Diebe gerichtetem Zeigefinger.
"Die waren es, die Räuber des Teufels
sind in unserer Stadt. Wachen zu mir!" Zoran gab Imogen einen Schubs in
die Seite.
"Schluss mit lustig, Kleines." Ganze Häuser
standen nun in Flammen und Geschrei erfüllte die Nacht. "Jetzt, Imogen,
siehst du die Andumir", flüsterte Zoran lächelnd. Imogen starrte
gebannt auf die schwarzen Gestalten, die sich zügig näherten.
"Veteranen an die Front, die anderen schnappen,
was sie kriegen, so viel sie schleppen können und machen sich dann
sofort aus dem Staub!", brüllte der Befehlshaber der Diebe laut. Zoran
zog den Kampfsäbel und stellte sich, zusammen mit den anderen Veteranen
den Angreifern. Imogen verlor noch einen Blick an den alten Mann, dessen
Bewegungen immer noch stark und gleichzeitig flink verlaufend die Waffe
in die Körper der Feinde bohrte. Kraftvoll schwang er sie gegen die
Brustpanzer der Andumir und wich den Gegenschlägen behände aus.
Dann leistete auch sie dem Befehl des Anführers Folge und lief hinter
den anderen her in die Häuser.
* * *
Riyonn hetzte durch die brennenden Räume
eines der Häuser, auf der Suche nach irgendetwas Wertvollem. Der Qualm
kratzte in seiner Kehle und erschwerte ihm das Atmen. Keuchend bahnte er
sich zu den Schränken und wühlte, entgegen der immer knapper
werdenden Luft, nur noch langsamer und intensiver in den Schubladen. Nicht
allein die Anstrengung trieb ihm bald den Schweiß auf die Stirn.
"Verflixt!"
Abermals stolperte er fast über die weibliche
Leiche, die auf dem Fußboden des eigenen Hauses das zeitliche gesegnet
hatte, von einem Balken erschlagen, mit in Flammen stehenden Kleidern.
Schon war Riyonn überzeugt davon, dass
es hier nichts zu holen geben konnte.
"Es ist aber auch..." Plötzlich fuhr
er aus den Gedanken. Hastig wischte er sich die feuchten schwarzen Haarsträhnen
aus der schweißklebenden Stirn. Ihm war unheimlich. Irgendetwas war
da gewesen. Ein unbestimmtes Gefühl, fremd und kalt. Er glaubte eine
Bewegung in einer spärlich erhellten Ecke des Raums auszumachen und
fuhr herum, war wie unter Hochspannung.
Womöglich eine Kanalratte, die sich hierher
verirrt hatte, wollte es ihm durch den Kopf sausen, aber er hielt mit den
Gedanken inne. Ein dröhnender Schmerz, ein Ton hoch und laut, jagte
durch seinen Kopf. Stillschweigend stand er im Raum. Die Flammen loderten
rings um ihn, doch er spürte sie nicht mehr. Es war, als wenn sein
Gefühl den Körper verlassen hätte. Er fühlte weder
die Hitze, noch die Hast mehr. Er blieb einfach ruhig stehen. Seine grauen
Augen schienen mit ihrem Blick über die Stadt hinauszuwachsen. Weit
über Valyar, in dem er sich eben noch gesehen hatte. Er fuhr hinauf
zu den Sternen, doch selbst bei ihnen wollte sein Weg nicht enden. Erst
als alle Sterne längst seinem Blickfeld entschwunden waren, stoppte
der Flug. Es war aber nicht dunkel um ihn herum, sondern farblos... nichts...
Leere...
"Aaaaah!" Der Schmerz durch ihm zu nahe gekommenen
Flammen hatte Riyonn wieder zurück gerissen. Noch völlig perplex
fasste er sich an den schmerzenden Kopf. Die Luft im Raum wurde knapp.
Um Atem ringend spürte er Panik in sich aufsteigen. Er fragte sich
nicht, was geschehen war, sondern versuchte aus dem wütenden Flammenmeer
einen Fluchtweg nach draußen zu finden.
Da gab der Boden nach. Von oben prasselten
Funken wie ein Regen auf ihn herunter. Manche Balken trotzten der Übermacht
des Feuers nicht länger und kippten krachend um, brachen ein, stürzten
von der Decke und verschwanden knarrend in den hohen fresslustigen Flammen
und verbrannten.
Geschwind klammerte Riyonn sich am Fensterrahmen
fest, um nicht in die Tiefe zu fallen. Reaktionsschnell schwang er sich
hindurch, hinaus ins Freie. Dort schlug er auf der harten Erde auf. Schnell
fasste er sich wieder von dem Schrecken und watete unbeirrt durch die auf
einer zu einem Garten gehörenden Wiese kniehoch stehenden Flammen.
Ein rotes Meer des Todes.
Um rasch von der brennenden Wiese herunterzukommen,
schwang er sich erneut durch ein Fenster, das zu einem schon eingestürzten
Haus gehörte, von dem nur noch diese eine Seitenwand stand, und landete
schmerzhaft wieder im Feuer. Seine Schmerzen trieben ihn fast zur Raserei.
Von dieser qualvollen Pein getrieben, rannte er wild und verzweifelt um
sich schlagend durch die Flammen. Seine Kräfte schwanden, machtlos
ließ sich Riyonn zu Boden sinken. Bald erhob sich das Feuer über
ihn, wollte ihn einschließen, ihm die Luft zum Leben rauben.
Trotz der Schmerzen rann ihm keine einzige
Träne über die blutüberlaufenen glühenden Wangen. Selbst
in dieser Verzweiflung brachte ihn nichts dazu, das Gesicht vor sich zu
verlieren. Er geriet von einer Panik in die nächste, krümmte
sich bloß noch zusammen und erwartete mit zugekniffenen Augen seinen
Tod.
Doch seiner Aufgabe entgegen, stand er wieder
auf, mit letzter Kraft. Ausweglos irrte er durch das Feuer, das sich in
seine Haut und durch seine Kleidung fraß, fiel wieder auf die Knie,
begann zu krabbeln. Sein Leben hing davon ab, ob er die Kanäle rechtzeitig
fand oder nicht.
"Hi... Hilfe!", presste er tonlos über
die feuergefangenen Lippen. Da kniete er wieder auf den Boden, bohrte seinen
Kopf in die verschränkten Arme. Seine Verzweiflung wurde zu kalter
Wut. Wut auf sich selbst. Die Unterdrückung der Tränen erschwerte
ihm das Loslassen umso mehr. Er richtete seinen Blick auf zu den Sternen
und wandte sich mit schwerem Herzen dem Tod zu, der ihn nur langsam zu
ereilen schien. Als er an Imogen und Zoran, seine Familie, dachte, schob
sich ihm eine Frage ins Bewusstsein, die er sich, seit er denken konnte,
stellte. "Wer bin ich?" Wie auf eine Antwort hin, beschlich ihn das seltsame
Gefühl von vorhin, als er noch in dem brennenden Haus gewesen war.
Riyonn wusste nicht, ob es ein Zeichen für sein Sterben war oder etwas
völlig anderes. Die Schmerzen verflogen und seine Augen wanderten
wieder über die Sterne hinweg, zu der Stelle der Leere, in der nur
diese eine Leere herrschte. Die Geräusche, Gerüche und Gefühle
um ihn herum waren verschwunden hinter einer unsichtbaren Mauer und ließen
ihn alleine. Plötzlich wandelte sich die Farblosigkeit um zu einer
undurchdringbaren Finsternis. Doch er war allein und doch nicht allein,
denn er fühlte sich beobachtet. Als er seine wild umher kreisenden
Gedanken endlich wieder sammeln konnte, richtete er seinen Blick hinein
in die Schwärze um sich und entdeckte eine Stelle, die sich durch
ihre noch düstere Dunkelheit etwas hervorhob. Er spürte den Geruch
von Verwesung und Tod in seine Nase steigen. Der Gestank brannte scharf
in Riyonns Kopf. Auf einmal sah er zwei die Finsternis durchbrechende Lichter
auf sich zu bewegen. Der Geruch wurde immer stärker und schärfer,
bald schmerzte sein Kopf davon.
"Halt!", hörte Riyonn sich mit einem
Male selbst aufschreien. "Aufhören!" Tatsächlich kam der Geruch
nicht näher. Riyonn bemerkte einen großen Schatten direkt vor
sich.
"Du willst mich anhalten? Mich, deinen Freund?"
Die Stimme, die Riyonn dem Schatten mit den sich als Augen entpuppende
Lichter zuordnete, klang heiser, rau und kratzend, war aber dennoch hallend
und laut, als fiele das Echo bedrohlich von jedem Punkt der Schwärze
zurück.
"Du bist nicht mein Freund!", bemerkte Riyonn
kühl. "Du hättest mich beinahe umgebracht."
"Ich?", gab die Stimme mit schallendem Gelächter
zurück. "Ich? Was meinst du, wer dich gerade von diesen lästigen
Schmerzen befreit hat? Du etwa selbst?"
Riyonn sah stumm aber unerschrocken, letzteres
konnte er sich selbst nicht erklären, in die ihn zu durchdringen versuchenden
Augen seines Gegenübers.
"Du hast versucht mich aus dem Jetzt zu holen,
während einer gefährlichen Situation. Ich wäre gar nicht
erst in diese blöde Lage geraten, ohne dein Eingreifen. Und jetzt,
wo ich inmitten dieser Flammen zu sterben versuchte, trittst du schon wieder
mit mir in Verbindung und nennst dich meinen Freund. Da stellt sich mir
doch die Frage, was das für ein kreutzdämlicher Typ ist. Aber
eines kann ich ausschließen: er ist nicht mein Freund. Wer bist du
und was willst du von mir?"
Riyonn merkte, wie ihm das Blut in den Kopf
stieg. Es hatte ihn viel Mut gekostet, so spitzzüngig mit diesem Fremden
zu reden, doch was ihn erstaunte, war, dass ihm die Worte vielmehr aus
dem Mund gefallen waren, als dass er vorher überlegen gemusst hatte,
was er sagen wollte. Sich einem kaum sichtbaren Wesen in tiefschwarzer
Dunkelheit entgegenzustellen, irgendwo im Nirgendwo, von dem er nicht im
Entferntesten ahnen konnte wo es war, ging an die Grenze seiner Fassungskraft.
Es war, als wenn sich die Zeit für ihn stoppte, während er sich
einer raum- und zeitlosen Area in Gegenwart eines Unbekannten befand, sich
aber der Erdball unaufhörlich weiter um seine eigene Achse drehte.
"Wer ich bin?" Die Stimme und der Verwesungsgeruch
rissen Riyonn wieder aus seinen Gedanken zurück.
"Als ob ich dir das erklären müsste,
junger Dieb."
"Dein Name, Wesen!", entgegnete Riyonn aufgebracht.
"Pah! Wenn dir meine Gegenwart allein nichts
sagt, bringt dir mein Name überhaupt nichts. Außerdem sind Namen
Schall und Rauch. Sie kommen mit der Zeit und gehen mit der Zeit... und
wir befinden uns außerhalb der irdischen Zeit! Was also erhoffst
du dir davon meinen Namen zu erfahren, Dieb?"
Riyonn verdrehte die Augen. Eine unbändige
Wut stieg in ihm hoch.
"Was kann so weit von der Zeit entfernt sein,
dass einen Namen nicht mehr interessieren sollten?" Das Wesen lachte heiser.
"Du hast es wirklich nicht begriffen, Dieb.
Ich bin in dir. In deinem Inneren, dort wo du denkst." Riyonn machte verwirrt
zwei Schritte zurück. Die rotleuchtenden pupillenlosen Augen des Wesens
flackerten kurz auf, und gaben einen Blick auf die weißblitzenden
raubtiergebissähnlichen spitzen Zähne des Wesens frei, an denen
gelbschaumiger Speichel und Geifer herabtropften. Es schien zu grinsen,
was Riyonn aus der Stellung der Zähne zu schlussfolgern versuchte.
"Du fürchtest dich vor mir, oder
nicht? Ein gelehriger Schüler, wirklich." Riyonn unterdrückte
seine Wut und verzog sein Gesicht zu einem emotionslosen eiskalten durchdringenden
Blick. Er wollte auf keinen Fall dieses Wesen in seiner absurden Vermutung
bestätigen, dem er so viel Vertrauen entgegenbrachte, wie einem speichelleckenden
tollwütigen Warg, der aussah als hätte er seit drei Monden nichts
gefressen.
"Schmier dein hohles Gerede doch einem Wolf
ins Fell, aber lass mich damit in Ruhe!", sagte er entschlossen.
"Hrmpf", das Wesen verfiel wieder in schallendes
Gelächter. "So gelehrig war er dann doch nicht, mein kleiner Dieb.
Was soll’s."
Sein Grinsen verbreiterte sich, dass man meinen
könnte, es gelte einen Zähnebleck-Wettbewerb zu gewinnen.
"Nun gut, mein Dieb. Oder soll ich Ihr
sagen?"
Riyonn runzelte die Stirn. "Was? Wieso..."
"Ihr wollt wissen wer ich bin."
Riyonn meinte darauf ziemlich verunsichert:
"Das Du ist ... wäre mir lieber. Ich bin kein Halter von Formalitäten."
Der Schatten, der das Wesen von der Dunkelheit abhob, kam Riyonn ein wenig
näher.
"So?" Der Unbekannte sprach mit bedrohlichem
Unterton in seiner dunklen hallenden Stimme. "Dabei erschien mir das Ihr
fast für angebrachter." Er lachte. "Aber es ist schließlich
Eur... äh... deine Entscheidung, Dieb. Da du mich ja trotz allem nicht
als deinen Freund bezeichnen willst... wäre ich lieber beim Höflichen
geblieben." Riyonn bemerkte, wie der Unbekannte versuchte, ein weiteres
Lachen zu unterdrücken.
"Höflich? Wa...", begann Riyonn ihm zu
entgegnen, aber das Wesen fiel ihm ins Wort.
"Schweig, Dieb! Es ist nicht gerade dein Talent,
andere aussprechen zu lassen." Deines aber auch nicht, dachte Riyonn
leise seufzend.
"Meinen Namen wolltest du wissen, Dieb", griff
das Wesen das Gespräch wieder auf. "Ich glaube wirklich nicht, dass
er dir etwas sagt. Hm. Außerdem bin ich nicht überzeugt davon,
dass meine Meister es genehmigen würden, wenn ich dir meinen wahren
Namen nennen würde. Aber im Grunde bliebe mir nichts anderes übrig."
Wieder setzte der Unbekannte ein breites Grinsen auf, sodass Speichel und
Geifer aus seinem Mund heraustropften. "Es scheint so, als könnte
ich dir nur meinen wirklichen Namen offenbaren."
"Und der wäre?"
"Unterbrich mich nicht ständig, Dieb."
Riyonn war nahe daran dem Unbekannten an die Gurgel zu springen, um ihm
den Hals umzudrehen. Was bildet der sich eigentlich ein? Bringt mich
an irgendeinen Ort, unabhängig von Zeit und Raum, und hält mich
mit irgendeinem Schrott unnütz lange auf! Und was soll das eigentlich,
dass er mich ständig mit Dieb anredet?, erregte Riyonn
sich innerlich.
"Nenn du mich erst nicht nochmals Dieb. Das
klingt so... so..."
"So was? Ich nenne dich doch nur nach dem
was du bist, Dieb. Ist es dir etwa unangenehm? Klingt das Wort Dieb vielleicht
zu sehr nach Stehlen oder Klauen, für dich? Du bist nun einmalein
Dieb und wenn ich es mir recht überlege sogar ein ziemlich schlechter.
Schließlich war deine Beute nicht sonderlich ertragsreich. Doch falls
du immer noch Interesse daran hast, wie der Name deines Gegenübers
lautet, so rate ich dir dringenddavon ab, mich weiterhin zu unterbrechen,
sondern einfach den Mund zuzulassen, Dieb."
Wutentbrannt wandte Riyonn sein Gesicht von
dem Unbekannten ab und starrte in die finstere Leere hinter sich.
"Schwätzer", murmelte er kaum hörbar.
"Hast du was gesagt?", zischte dieser darauf.
"Aber nicht doch", meinte Riyonn schnell, "Edles Wesen, dessen Haut die
Farbe der Nacht trägt" Er zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.
Was
soll dieses Spiel eigentlich? Daraufhin weitete der Unbekannte überrascht
die Augen.
"Komisch. Ich dachte ich hätte etwas
anderes gehört. Du musst wissen, mein Gehör ist weit ausgeprägter
als das der Menschen. Es wäre allerdings das erste Mal, dass ich mich
geirrt hätte." Drohend blickte er Riyonn tief in die grauen Augen.
"Es gibt immer ein erstes Mal", wollte sich
Riyonn aus der Sache herausreden, doch das Wesen ging nicht darauf ein.
"Wag es noch einmal, und an deiner statt liegt
ein Häufchen Asche. Übrigens... mit dem Wesen, dessen Haut die
Farbe der Nacht trägt, lagst du gar nicht so weit daneben. Tatsächlich
bedeutet mein Name, plus des Namens meiner Rasse, schwarzer Dä...
äh... schwarzes Wesen... Gebieter der ewigen Flammen des Bösen."
"Was wiederum ganz deutlich ausschließt,
dass du mein Freund bist. Ich gehöre nicht zum Bösen." Der Unbekannte
vermittelte Riyonn plötzlich aufschnaubend, dass er da anderer Meinung
war. Sofort schloss Riyonn den Mund.
"Gut für dich, dass du still bist, Dieb.
Ich will dir doch nichtjetzt schon meine Macht demonstrieren. Du verstehst,
ich bin eher der zurückhaltende Typ, gebe nicht so mit dem an, was
ich kann. Es wäre auch viel zu zeitaufwendig dir das alles zu zeigen."
Dem Wesen huschte ein argwöhnisches Grinsen übers Gesicht, bevor
sich sein Blick verfinsterte. Riyonn erwiderte das Grinsen mit einem großen
Drang in sich, dem Wesen seine unverschämte Arroganz vorzuhalten,
unterließ es lieber und nickte, kaum merklich,zustimmend mit dem
Kopf. Nur zu gut meinte er das hinterlistige Wesen zu durchschauen. Blödmann!
Will mir noch nicht seine ganze Macht demonstrieren... Was will der überhaupt,
außer mir hier meine kostbare Zeit, na schön, die jetzt weniger,
jedenfalls Energie zu stehlen und meine Nerven unnötig zu strapazieren!
Ich frage mich was das soll? Der macht mich verrückt! Sucht der nur
irgendeinen Grund um mich anzufallen, oder was? Der Verwesungsgeruch,
der von dem Unbekannten ausging, stieg augenblicklich an. Angewidert rümpfte
Riyonn die Nase.
"Gut das du das auch so siehst, Dieb. Ich
wusste, was für ein kluger Dieb du bist, Dieb. Ist auch nur zu deinem
Besten, wenn du dieselbe Meinung vertrittst wie ich", meinte das Wesen
höhnisch auflachend. Gespannt blickte Riyonn in die rot glühenden
Augen. Er meinte, es wäre nun der Augenblick gekommen, in dem der
Unbekannte endlich das Geheimnis um seinen Namen lüften werde.
"Nenn mich vorerst Bahamut." Das Wesen
bleckte seine Speichel umschäumtenZähne. Riyonns Miene verfinsterte
sich.
"Wenn du schon zu feige bist, mir deinen
richtigen Namen zu offenbaren, lass mich wenigstens wissen auf wessen Seite
du stehst. Oder sagt die Bedeutung deines Namens allein schon alles aus?"
Kurz schien Bahamuts Köper in einem trübrötlichen Licht
aufzuflackern. Er ähnelte einer zehnfach geflügelten Echse, seine
Proportionen glichen aber größtenteils denen der Menschen.
"Meine Gesinnung?" Bahamut war wieder von
der Düsternis um Riyonn nicht zu unterscheiden. "Ich stehe auf deiner
Seite, Dieb, schließlich bin ich dein Freund."
Riyonn stöhnte laut auf. Allmählich
wurde er richtig verärgert über den sturen Unbekannten. Raaah!
Was soll das?
"Als wenn wir dieses Thema nicht schon ausgehandelt
hätten. Deine Gesinnung, Bahamut!"
Da legte Bahamut ein spöttisches Grinsen
auf. Seine Stimme wirkte noch hallender und dunkler als vorher.
"Mir scheint wir haben uns doch nicht ganz
verstanden, Dieb."
Nein! Wirklich, ich verstehe hier so gut
wie gar nichts..., seufzte Riyonn innerlich auf.
Plötzlich stieg Bahamuts Stimme zu einer
bedrohlichen Lautstärke an. "Vielleicht sollte ich dich doch in das
Ausmaß meine Macht einweihen."
Riyonn beobachtete, wie Bahamut sich mit seinen
Flügeln in die Luft erhob, dort verharrte und angestrengt über
Riyonn hinweg in die schwarze Ferne starrte. Kaum einen Augenblick später
löste sich von dem roten Glühen, dass Bahamuts Augen umgab, ein
roter Feuerstrahl, der sich blitzschnell in die Richtung bewegte, in die
Bahamut starrte. Dort verglühte der Feuerstrahl und die Finsternis
blieb zurück. Als Bahamut wieder zu Riyonn herab geflogen kam, verschmolz
Bahamuts Körperfarbe wieder mit dem einheitlichen Schwarz. Daraus
schloss Riyonn, dass Bahamut aus derselben Dunkelheit bestehen musste,
wie die, die sie umgab. Sein Gewebe musste mit der Schwärze verfließen,
aus demselben Stoff, war hervorgerufen worden aus ihr. Riyonn zuckte zusammen.
Dass er solch einem finstren Wesen gegenüberstand, hatte er nicht
ahnen können. Derweil hatte Bahamut wieder vor Riyonn Stellung bezogen.
Er war nicht sonderlich außer Atem von seiner Demonstration.
"Was sagst du, Dieb?" Riyonn schwieg. "Hat
es dir die Sprache verschlagen, wie?"
"Keineswegs, Bahamut", gab Riyonn kühl
zurück. "Ich meine dich sogar überschätzt zu haben, was
deine magischen Künste angeht."
Bahamut knirschte wütend mit den Zähnen.
"Überschätzt?"Er verengte die Augen zu schlitzen. Riyonn grinste
verschlagen. "Halte mich nicht zum Narren, Dieb. Ich habe doch gesehen,
wie du vor meinem gewaltigen Antlitz gezittert hast wie Espenlaub. Mach
mir nichts vor. Du sagst überschätzt?"
Riyonn lachte in sich hinein. "Warum fragst
du so oft nach? Mangelt es dir an Gehör? Außerdem musst du dir
selbst zugestehen, dass dein Körper nichts ausdrückt, vor dem
man erzittern müsste. Verrate mir doch, zu welcher Art Tier ich dich
einstufen soll? Echse?" Riyonn wagte ein weiteres Grinsen. Innerlich aber
pochte sein Herz bis zum Hals. Er wusste nicht, wie Bahamut auf das reagieren
werde. Trotz dem, dass er viel Mut hatte aufbringen müssen, um Bahamut
so zu reizen, verspürte er nicht wirklich Angst. Es war die Neugierde,
die ihn dazu brachte so über sich hinauszuwachsen. Er hatte sich wohl
an seinem Gegner erschreckt. Doch gerade das durfte Riyonn in seiner jetzigen
Situation keinesfalls zeigen. Der eigentliche Sinn bestand daraus, herauszufinden,
wer Bahamut wirklich war. Denn vielleicht wüsste sich Riyonn dann,
falls es zu einem Kampf kommen sollte, besser zu wehren.
"Du beleidigst mich, Dieb. Aber glaube nicht,
dass ich dich nicht durchschaut habe. Deine Gedanken sind ein offenes Buch
für mich. Zu primitiv und einfach. Niemals kämest du zu meiner
ausgeprägten, komplexen Denkweise. Dazu reichte dir dein kleiner Menschenverstand
nicht aus. Wenn es dir solch eine Freude bereitet, zu wissen wer ich bin,
bitte. Ich bin ein Dagora, einer der zehn höchsten Dämonen, und
mein Name ist Don Diaven."
Riyonn erstarrte. Entsetzt öffnete er
den Mund, ohne dabei ein Wort zu sprechen. Er hätte sich niemals vorstellen
können, dass er einen Dämonen vor sich hatte, noch dazu einen
der zehn höchsten Dämonen. Jedoch konnte Riyonn daraus schlussfolgern,
dass Don Diaven als ein Dämon automatisch dem Bösen angehörte,
womit die Frage um seine Gesinnung geklärt war. Don Diaven rieb sich,
teuflisch dabei lachend, seine Klauenbestickten Hände.
"Ich stehe im Dienste der Lich, Dieb. Das
sind Untote." Er lachte durchdringend. Riyonn verzog keine Miene. Starr
blickte er in Don Diavens rote Augen. In seinem Kopf drehte sich alles.
Ein Dämon, er stand vor einem Dämonen. Aber was konnte der von
ihm wollen? Er war doch nur ein Dieb, ein harmloser einfacher Dieb. Noch
dazu hatte er sich nie mit den Fronten Gut und Böse konfrontiert.
Sich selbst hatte er selbstverständlich nie zu den Bösen gezählt,
doch war ihm absolut klar, dass er sich schlecht als einen Guten bezeichnen
konnte, schließlich galt er als Dieb nicht als beste Sorte Mensch.
Vor allem nicht unter den bestohlen wordenen. Als er den Dämonen nach
seiner Gesinnung gefragt hatte, dann nur mit dem Gedanken, ob für
oder gegen die Diebe. Weiter hatte er nicht gedacht gehabt.
"Ich... ich habe noch nie von Untoten gehört,
geschweige denn von Lich. Ich bin ein normaler Dieb, ich bekomme vom Geschehen
von außerhalb nichts mit. Sind die Lich diese komischen Meister,
die du vorher erwähnt hattest, Don Diaven?" Don Diaven bleckte verwundert
seine Zähne.
"Du sprichst ebenso meinen Namen, wie den
meiner Meister so respektlos und unhuldvoll aus. Du weißt nicht einmal
die Bedeutung und den Sinn der Worte die du so unachtsam um dich schleuderst.
Wag es nicht noch einmal meine Meister als komisch zu bezeichnen. Sie werden
durch dich nicht noch ein weiteres Mal umkommen, das schwöre ich bei
meinem Dienste an ihnen."
Riyonn, der Tatsache unbewusst wen er vor
sich hatte, funkelte erbost in Don Diavens Richtung.
"Du meinst wohl ehemaligen Dienst. Wenn deine
Meister tot sind, kannst du ihnen ja nicht mehr dienen. Ich habe außerdem
noch kein Wesen gekannt, das zweimal sterben konnte."
"Es deprimiert mich, dass du trotz meiner
Erklärungen immer noch nichts kapiert hast, Dieb. Das von dir zu hören,
der du doch eigentlich schon längst darüber aufgeklärt sein
müsstest... von ihm. Und was das mit dem einstigen Dienste
angeht, kann ich dir ohne Umschweife und Komplikationen mitteilen, dass
ich heute ebenso wie vor mehreren tausend Jahren immer noch
im Dienste der Lich stehe."
Die Stimme des Dämons wuchs zu einem
bedrohlichen lauten Klang an.
"Die Zeit in der die Lich mitsamt ihrer Untoten
wiederkehren werden ist nur noch Augenblicke vom Jetzt entfernt. Sie werden
aus ihren Gräbern auferstehen und wieder die Herrschaft von Valyar
an sich reißen. Mein Auftrag ist es den Weg der Lich zu bereiten.
Die einzigen die je in die Lage kommen könnten meine Meister endgültig
zu vernichten, sind sieben Auserwählte, aus jedem der Reiche eine
Person. Doch eines verspreche ich dir: soweit wirst du nicht kommen.
Das werde ich selbst verhindern. Glaube nicht, dass du aus dieser Situation
lebend herauskommst."
Zornig richtete sich Don Diaven vor Riyonn
in seiner vollen Größe auf. Die Finsternis wirkte plötzlich
enger und bedrückender auf Riyonn, auch der Verwesungsgestank roch
noch übler und schärfer. Er keuchte, der Gestank drehte ihm schier
seinen Atem ab. Diebisch grinsend schwang sich Don Diaven mit zwei seiner
Flügel in die Luft. Ein leuchtendroter Energieschweif floss durch
seine gespannten Arme in die Pranken, zum Magieangriff bereit. Riyonns
Hände griffen impulsiv nach dem Kampfsäbel. Erschrocken musste
Riyonn feststellen, dass er verschwunden war. Ohne lange zu überlegen
nahm er sich stattdessen seinen Dolch. Langsam und ohne Hast zog er die
Klinge, die sich mit einem metallischen Reiben von ihrer Schutzhülle
löste, aus der Scheide und strich vorsichtig mit dem Finger über
die scharfe Schneide. Schließlich erhob er die kleine Waffe und blieb
in unbeweglicher Kampfhaltung stehen.
Sie standen sich gegenüber, Dieb und
Dagora. Zwei schon allein von ihrem Rang her völlig unterschiedliche
Gestalten. Don Diaven – ein Wesen, das die gewaltige Macht der Lich hinter
sich hatte, gegen einen einfachen menschlichen Dieb, der von allem Weltgeschehen
nicht die leiseste Ahnung hatte, es sei denn es handelte sich um ertragsreiche
Beute. Dass Riyonn nicht vor Schrecken und Angst vor Don Diaven gelähmt
verstarrte, konnte er sich selbst nicht erklären. Ihm war, als würde
eine unbekannte Kraft seinen Körper und seine Gedanken stabilisieren.
Ein glühender warmer Strom schien jede seiner Zellen zu durchziehen.
Als wenn sich ein verloren gewesener, bei ihm in Vergessenheit geratener
Teil seiner selbst sich wieder in sich einzubauen versuchte. Don Diaven
wunderte sich über die emotionslose Gelassenheit im Gesicht des Diebes.
Riyonn hatte noch nie getötet. Obwohl
er dem Tod, die damit zusammenhängenden Schmerzen außer Acht
gelassen, souverän und unbeeindruckt ins Auge blicken konnte, ohne
die Besinnung zu verlieren und auszurasten, gerann ihm das Blut in den
Adern bei dem Gedanken, selbst wenn es sein größter Feind war,
jemanden kaltblütig, wie ein Killer, abzuschlachten, frohgemut in
der roten Blutlache zu stolzieren und, ohne dabei mit der Wimper zu zucken,
den Tod als seinen größten Verbündeten zu bezeichnen. Der
Tod war sein größter Feind.
© Itariss
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
|