Es war so gegen 8 Uhr, als Simon mit seinem
Auto vor dem Parkplatz des Krankenhauses vorfuhr. Die Schranken waren schon
herabgelassen. Er suchte sich einen Stellplatz etwas abseits des Einganges.
Simon sah sich um. Niemand war zu sehen. Trotzdem ging er noch einmal
auf Nummer sicher und blickte auf den Rücksitz. Sie hatten eine Decke
über Tannin ausgebreitet, so dass man ihn von außen nicht sehen
konnte. "Bleib unten. Ich werde mir erst mal einen Überblick verschaffen."
Simon verließ das Auto und schlenderte in Richtung Krankenhaus. Es
waren trotz der frühen Abendstunden kaum Leute unterwegs. Simon passierte
die Fußgänger-Pforte vor dem Krankenhaus ohne Probleme. Sie
war überhaupt nicht besetzt. An die Pforte schloss sich ein Weg an,
der durch einen kleinen Garten zum Eingang des Krankenhauses führte.
Die Sträucher, Büsche und kleinen Bäume standen relativ
dicht beieinander. Vor dem Eingang zum Krankenhaus war jedoch ein großer
gepflasterter Platz. Dort gab es keine Deckungsmöglichkeit für
Tannin.
Simon wollte sich schon umdrehen, und zum
Auto zurückgehen, als er sich einer Bewegung im Gebüsch gewahr
wurde. Tannin hatte doch wohl hoffentlich nicht das Auto verlassen! Natürlich
nicht. Ich habe dir doch versprochen zu warten. Fast zeitgleich mit
Tannins gedanklicher Antwort teilten sich die Büsche vor Simon. Es
war Marco, der in einem Bademantel, und mit Hausschuhen bekleidet auf den
Platz trat. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. "Ich wusste doch,
dass ihr mich nicht hängen lassen würdet." Suchend blickte Marco
sich um. "Wo ist Tannin?" - "Er wartet im Auto." - "Er soll kommen. Lange
können wir die Schwester nicht mehr ablenken." Simon blickte Marco
mit ernster Miene an. "Sei mir bitte nicht böse, aber wir werden nicht
mit hinein kommen." Verunsichert sah Marco ihn an. "Was soll das heißen?"
Simon wollte grade etwas sagen, als Tannin sich erneut meldete. Jemand
steht am Auto und schaut herein. - 'Verhalte dich ruhig. Der geht bestimmt
gleich wieder.' - Marco sagt mir grade, dass du nicht willst, dass ich
ihn besuche. Warum nicht? Simon warf Marco einen bösen Blick zu,
der ihn ganz unschuldig anlächelte. Der Fremde versucht sich Zugang
zum Auto zu verschaffen. Soll ich ihn aufhalten? "Was?!" Ohne auf Marco
zu achten, wirbelte Simon herum und rannte in Richtung seines Autos davon.
Marco, der den Austausch nicht mitbekommen hatte, war über Simons
Reaktion verwirrt, folgte ihm dann aber. Seine Neugier war stärker
als die Vernunft.
Obwohl Simon die Strecke in einer seines Empfindens
nach rekordverdächtigen Geschwindigkeit zurücklegte, war er nicht
schnell genug. Der Schrei des Fremden war weithin hörbar. Als Simon
dann das Krankenhausgelände endlich hinter sich gebracht hatte und
sein Auto erblicken konnte, sah er nur noch eine schwarze Gestalt, die
schreiend flüchtete. Die Fahrertür war weit geöffnet, und
als Simon näher kam, konnte er sehen, dass die Gestalt ihr gesamtes
Diebeswerkzeug über den Bürgersteig verstreut hatte. Zu allem
Überfluss streckte Tannin dann auch noch seinen Kopf heraus und sah
Simon mit unschuldigen Augen an. Ich hab nichts gemacht, auch als er
die Decke weggezogen hat. "Schon gut. Jetzt aber wieder rein mit dir,
bevor dich noch jemand sieht." Simon scheuchte Tannin in das Innere des
Vans zurück. Dann sah er sich den Schaden an, den der Dieb an seinem
Auto angerichtet hatte. Es war wohl ein Anfänger gewesen. Das Türschloss
war komplett zerstört, und der Lack drum herum zerkratzt.
Schnaufend kam Marco am Auto an. Er war außer
Atem, da das Laufen in diesen Schuhen äußerst schwer war. "Was
ist denn hier passiert?" - "So wies aussieht, wolle jemand mein Auto klauen."
Marco drängte sich an Simon vorbei, um einen Blick ins Innere zu erhaschen.
Dann fing er erfreut an zu grinsen. "Tannin. Hier steckst du also." Simon
wollte etwas sagen, doch dann wurde er sich des flackernden blauen Lichtes
bewusst, das mit Sirene immer näher kam. Offenbar hatte wohl jemand
die Polizei gerufen. Simon wurde es heiß und kalt zugleich. Tannin
konnte nicht hier bleiben, aber wohin sollte er. Simon sah sich nach einem
Versteck um. "Lass mich das machen. Ich verstecke Tannin, bis sie wieder
weg sind." Marco sah Simon an. Dieser nickte. Ihm blieb im Moment keine
andere Wahl. Zusammen mit Tannin verschwand Marco in Richtung Krankenhaus.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis die
Polizisten den Hergang des versuchten Diebstahls aufgenommen und teilweise
rekonstruiert hatten. Sie schrieben die Personalien auf und versuchten,
ein Phantombild von dem Täter zu erstellen, doch es war ziemlich vergebens,
da Simon die Person nie von vorne gesehen hatte. Nur konnten sie sich nicht
erklären, warum der Dieb den Tatort so plötzlich verlassen hatte.
Sie schoben es schließlich drauf, dass Simon wohl zu früh aufgetaucht
war und der Dieb deshalb in Panik geriet, schrie und flüchtete. Simon
wollte sie auch nicht vom Gegenteil überzeugen.
Als die Polizisten das gesamte Werkzeug eingesammelt
hatten und weggefahren waren, sah Simon sich um. Weit und breit war keine
Spur von Tannin und Marco. Doch Simon konnte sich schon denken, wo er sie
finden würde. Sonderlich begeistert war er bei diesem Gedanken allerdings
nicht. So kehrte Simon wieder zum Eingang des Krankenhauses zurück.
Jetzt wurde er aber bereits am Pförtnerhaus aufgehalten. Dieses war
nun besetzt. Der Pförtner, ein Jungspund, wohl grade frisch aus der
Ausbildung, wollte wissen, warum Simon noch zu solch später Stunde
ins Krankenhaus musste. Simon überlegte fieberhaft, was er sagen sollte.
Einfach zu sagen, dass er einen Besuch machen wollte, schied von vorne
herein aus, da die Besuchszeiten ja bereits vorbei waren. "Ich habe einen
Anruf erhalten, dass ich hier etwas abholen soll." Der junge Pförtner
musterte ihn abschätzend, ließ ihn dann aber mit einem Wink
passieren. Das nächste Hindernis war der Eingang des Krankenhauses.
Die diensthabende Nachtschwester wollte mehr wissen als der Pförtner
und gab sich mit Andeutungen nicht zufrieden. So musste Simon sich rasch
etwas einfallen lassen. Doch er nutzte die Gunst, dass er ja eben fast
beklaut worden war, und gab an, dass er sich bei dem Vorfall wohl verletzt
hatte. So kam er auch an der Schwester vorbei.
Allerdings musste er eine Untersuchung von
einem Arzt über sich ergehen lassen. Der Arzt fand natürlich
nichts, bandagierte aber vorsichtshalber Simons rechten Knöchel und
wies ihn an, am nächsten Tag den Hausarzt zur Kontrolle aufzusuchen.
Dann stand Simon allein im Krankenhausflur. Jetzt war er zwar drinnen,
hatte aber keine Ahnung, wo Marco in diesem Haus lag. Zweite Etage,
der rechte Gang hinter den Aufzügen. 'Hey, lungerst du schon wieder
in meinen Gedanken herum?' Nur Schweigen antwortete Simon, doch er war
nicht beunruhigt, denn er vertraut Tannin in dieser Sache. Simon zuckte
mit den Schultern und wandte sich in Richtung der Aufzüge.
Er hörte Marco schon von weitem und wunderte
sich, dass er nicht grade leise war. War diese Stationsschwester etwa taub?
Als Simon das Zimmer erreichte, aus dem Marcos Stimme kam, stockte ihm
der Atem. Das hatte er sich unter 'verstecken' wahrlich nicht vorgestellt,
aber er hätte es sich bei Marco denken können. Simon sah Tannin,
der seelenruhig mitten im Raum saß, und etwa sieben Kinder, die ihn
entweder einfach nur anschauten oder um ihn herumsprangen. Zwei Jungs in
Rollstühlen und ein Mädchen auf Krücken standen etwas abseits.
Sie schienen sich nicht so recht zu den anderen zu trauen. Marco stand
neben Tannin und schien stolz wie Oskar. Als er dann auch noch Simon erblickte,
grinste er breit. "Ein anderes Versteck ließ sich auf die Schnelle
nicht auftreiben," meinte er mit scheinbar reumütiger Miene. Die anderen
Kinder hatten ihre Blicke nun ebenfalls zu Simon gewandt und sahen ihn
mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken an.
Simon seufzte, sah noch einmal kurz die Gänge
herunter und trat dann ins Zimmer, um hinter sich die Tür zu schließen.
Kaum war die Tür zu, wurde er auch schon von den Kindern umringt.
Dass er eigentlich ein Fremder für sie war, schien sie nicht sonderlich
zu stören. Marco hatte ihnen offenbar schon erzählt, dass er
und Tannin zusammengehörten. Die Kinder stellten Simon alle möglichen
Fragen, die meisten bezogen sich natürlich auf Tannin. Soweit Simon
konnte gab er bereitwillig Auskunft. So bemerkte er auch gar nicht, wie
die Zeit verging. Die drei, die zuvor noch abseits gestanden hatten, verloren
nach und nach ihre Scheu und gesellten sich nach und nach zu den anderen,
die ihnen auch bereitwillig Platz machten. Marco saß auf seinem Bett,
das er mit einem anderen zusammengezogen hatte, damit für Tannin und
ihn genügend Platz vorhanden war. Tannin lag quer über beide
Betten. Er schien zu schlafen. Auch die Kinder wurden nach und nach immer
müder, so dass sich die aufmerksame Gruppe der Zuhörer immer
mehr reduzierte. Es gelang ihm sogar, einige Worte mit Marco zu wechseln,
doch als er ihn über die Geschehnisse im Wald befragte, schwieg dieser
beharrlich und versuchte das Thema zu wechseln. Schließlich nickte
sogar Simon im Sitzen ein.
Ein dumpfer Schmerz, der wohl auch daher rührte,
dass Simons Kopf unsanft auf die Tischplatte gesunken war, weckte ihn.
Er fühlte sich völlig zerschlagen. Im ersten Moment wusste er
nicht, wo er sich befand, doch dann kamen die Erinnerungen wieder, und
als Simon auf seine Uhr blickte erschrak er. Es war kurz vor 6 Uhr am Morgen,
und zu allem Überfluss hatte draußen schon die Dämmerung
eingesetzt. "Tannin! Wach auf! Wir müssen hier verschwinden," zischte
Simon. Tannin schien sofort hellwach zu sein. Er verließ Marcos Bett
zwar vorsichtig, trotzdem schreckte dieser aus seinem Schlaf auf. Ganz
benommen rieb sich Marco die Augen. "Ihr gehr schon?" murmelte er. Simon
nickte nur. Er ging zur Tür und schaute heraus. Es befand sich niemand
im Gang.
Es begann für Simon und Tannin ein Spießrutenlauf.
Immer wieder mussten sie zurückweichen oder sich andere Wege suchen.
Irgendwie gelangten sie auch an den Haupteingang. Dort stand Simon aber
vor einem neuen Problem. Wie bekam er Tannin an der Nachtschwester vorbei.
Er blickte kurz um die Ecke, wo er mit Tannin stand. Zu seinem Leidwesen
schien die Nachtschwester kein bisschen müde zu sein. Sie blätterte
in einer Illustrierten, sah aber immer sofort auf, wenn sie meinte, ein
Geräusch gehört zu haben. Simon zog den Kopf wieder zurück.
Einen anderen Ausgang aus diesem Krankenhaus gab es nur noch über
die Notaufnahme, und in der war bestimmt viel mehr los, und eine Entdeckung
wohl noch unvermeidlicher.
"Lass die unser Problem sein." Simon blickte
sich überrascht um. Hinter ihm hatte sich unbemerkt Marco angeschlichen,
und er war nicht allein. Offenbar hatte er die Zeit genutzt, um die anderen
Kinder zu wecken. Die meisten von ihnen waren noch verschlafen, doch es
stand etwas in ihren Augen, was man durchaus als Entschlossenheit deuten
konnte.
Bevor Simon noch etwas sagen konnte, fingen
sie auch schon an, sich quer durch den Eingangsbereich zu verteilen. Nach
der Art und Weise, wie sie dabei vorgingen, entstand bei Simon der Verdacht,
dass sie es nicht zum ersten mal taten. Schließlich schienen alle
ihre Positionen eingenommen zu haben. Nur die beiden Jungs im Rollstuhl
befanden sich noch bei Simon, Tannin und Marco. Sie warfen sich immer wieder
vielsagende Blicke zu und grinsten dabei. Jemand schien ihnen ein Signal
gegeben zu haben, denn sie bogen zusammen mit Marco um die Ecke und steuerten
zielstrebig das Räumchen der Nachtschwester an. Dabei sahen sie immer
wieder um sich, so als ob sie etwas am Suchen seien. Schnell verschwanden
sie aus Simons Blickfeld. Doch kaum waren sie verschwunden, tauchte das
Mädchen mit den Krücken auf. Sie war eben nicht bei den anderen
gewesen. Sie winkte Simon und Tannin zu, ihr zu folgen, und führte
die beiden wieder ein Stück ins Krankenhaus hinein. "Ich bin nicht
schnell genug. Marco bat mich deshalb, euch ein Versteck zu zeigen, bis
die anderen für genügend Ablenkung gesorgt haben." Sie grinste
leicht. "Macht ihr das etwa öfter?" Ihr Grinsen wurde breiter, allerdings
schwieg sie. "Jetzt sag mir bloß nicht, dass das ganze auch noch
auf Marcos Mist gewachsen ist." Das Mädchen schüttelte den Kopf.
"Wir sind da." Sie blieb vor einer Tür stehen und drückte die
Klinke herunter. Der Raum dahinter war dunkel, da er keine Fenster hatte,
und erst als sie das Licht anmachte, konnte Simon sehen, dass es sich um
eine leere Abstellkammer handelte. Obwohl sie leer war, roch sie muffig
und nach Desinfektionsmitteln, so dass Simon die Nase rümpfte. Auch
Tannin schien nicht sonderlich angetan. Muss ich da wirklich rein?
"Los jetzt. Rein da. Sie kommen sicher gleich." Das Mädchen drängte
die beiden zur Eile, und kaum hatte sie die Tür von innen ins Schloss
gezogen, als sie draußen schon hastige Schritte vernahmen. "Warum
müssen diese Bälger eigentlich immer nur in meiner Schicht Ärger
machen," fluchte derjenige, der die Tür passierte, ohne in den Raum
dahinter zu blicken. "Wartet hier drin. Ich geh mal nachschauen und komme
euch holen, wenn vorne alles frei ist." Das Mädchen verschwand aus
dem Zimmer und schloss die Tür wieder hinter sich. 'Na super, wo bin
ich hier bloß gelandet?' Ich denke, in einem Krankenhaus, oder?
Simon grinste. "So langsam zweifle ich daran." Die Tür wurde ohne
Vorwarnung geöffnet und Simon bereitete sich schon darauf vor, entdeckt
zu sein, und sich rechtfertigen zu müssen, doch es war das Mädchen.
"Schnell. Ihr müsst laufen. Sie sind abgelenkt, aber können sie
nicht lange beschäftigen." - "Danke." Simon tat wie ihm geheißen,
und gemeinsam mit Tannin gelang es ihm so das Krankenhaus zu verlassen
ohne gesehen zu werden.
Fast war Simon schon etwas überrascht,
sein Auto in vollständigem Zustand aufzufinden. Jemand hatte zwar
die Tür erneut geöffnet oder sie war einfach nur aufgegangen,
da nun das Schloss ja nicht mehr griff, aber nichts war aus dem Innenraum
entfernt worden. Tannin verkroch sich wieder auf den Rücksitz, während
Simon die Decke zurechtzog und dann vorne Platz nahm. Sie fuhren nach Hause
zurück. Die Tür wurde von einem Gurt am Aufgehen gehindert. Simon
wurmte es etwas, dass er Marco nicht noch einmal gesehen hatte. Er hätte
ihn gerne zur Rede gestellt. Er konnte zwar verstehen, dass Marco Tannin
gerne der Welt zeigen würde, aber er schien sich des Risikos, dessen
er Tannin damit aussetzte, nicht bewusst zu sein. Wenn die Regierung oder
irgendwelche Wissenschaftler von ihm Wind bekämen... Simon wagte es
gar nicht, diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Doch dann dachte er daran,
wie er sich im Dorf verhalten hatte, und immerhin waren es die anderen
gewesen, die ihn nicht ans Messer lieferten, obwohl sie es hätten
tun können. Er musste trotzdem unbedingt noch einmal zurückkehren
und die Kinder bitten, nichts und niemandem von Tannin zu erzählen.
Marco meint, dass sie schweigen werden. Du brauchst dir keine Sorgen
zu machen. Ich vertraue ihnen. 'Deinen Optimismus hätte ich auch
gerne.' Für die restliche Fahrt sprachen sie nicht mehr miteinander,
was auch daran lag, dass der zunehmende Verkehr Simons ganze Aufmerksamkeit
erforderte.
Zuhause angekommen merkte Simon erst, wie
müde er eigentlich war. Seine vormals leichten Kopfschmerzen hatten
sich mittlerweile zu einem beharrlichen, unangenehmen Dauerschmerz weiterentwickelt.
So ging er erst in die Küche, nahm eine Kopfschmerztablette und setzte
dann seinen Weg ins Schlafzimmer fort. Seine Sachen ließ er achtlos
zu Boden fallen und verkroch sich dann im Bett.
Der Tag war schon fortgeschritten, als Simon
wieder erwachte. Die Kopfschmerzen waren zwar nicht ganz verschwunden,
aber auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Als er die
Treppe herunterkam, konnte er sehen, dass Tannin wieder vor dem Kamin lag.
Er schien noch zu schlafen. Simon trat in die Küche, machte sich etwas
zu essen und nahm noch mal eine leichte Tablette. Um Tannin nicht zu wecken,
nahm er am Küchentisch platz. Irgendwie wollte ihm sein Essen nicht
so recht schmecken, und so kaute er lustlos auf einem Stück Brot herum.
Als Simon die Küche wieder verließ
schlief Tannin immer noch. Mehr durch Zufall fiel sein Blick auf die Kommode
im Flur. Dort lag immer noch der Brief. Simon nahm ihn auf und riss den
Umschlag auseinander. Ein einzelner, gefalteter Zettel lag darin. Simon
zog ihn hervor und faltete ihn auseinander. Kurz überflog er den Text,
nur um ihn noch einmal viel langsamer zu lesen. Simon wusste nicht, ob
er das glauben konnte, was er da las. Es war schon fast irreal.
Dieser Brief kam aus seinem Heimatdorf. Sie
boten ihm darin an, dass er zurückkehren konnte, und sie schienen
sogar darauf zu bestehen, dass Tannin mitkam. Das war etwas, was Simon
sich erst mal setzen lassen musste. Irgendwie konnte er es nicht so recht
glauben, hatten die ihn doch erst vor kurzem aus dem Dorf vertrieben. Simon
ging in das Wohnzimmer und legte den Zettel auf den großen Tisch.
Er ließ sich in seinen Sessel fallen und blickte nachdenklich den
immer noch schlafenden Tannin an. Wie sollte er sich entscheiden? Fast
so, als würde er Simons Blicke spüren, regte sich Tannin und
erwachte aus seinem Schlaf. "Habe ich dich etwa geweckt?" Simon blickt
Tannin entschuldigend an. Kein Problem. Ich wollte eh gleich aufstehen.
Tannin erhob sich und trottete zur Balkontür. Diesmal sah Simon genau
zu, wie sich der Türgriff von ganz alleine drehte und die Tür
dann aufsprang. Seelenruhig verließ Tannin das Wohnzimmer. Ich
bin was essen. Bis gleich. Jetzt war Simon allein.
Grade war Simon dabei, seine Wäsche im
Garten aufzuhängen, als Tannin ganz unvermittelt zurückkam. Simon
war überrascht, so früh hatte er nicht mit ihm gerechnet. "Warum
bist du schon wieder zurück? Ist etwas nicht in Ordnung?" Irgendwie
machte Tannin einen verschlossenen Eindruck auf Simon, und als er nicht
sofort antwortete, hakte er nach. "Ist dir nicht gut?" Doch, doch, alles
bestens. Tannin verschwand im Inneren des Hauses. Simon ließ
sich allerdings mit dieser Antwort nicht abspeisen. Er konnte förmlich
spüren, dass etwas nicht stimmte. So betrat er hinter Tannin die Wohnung,
und verschloss die Balkontür. "Mach mir doch nichts vor. Du verschweigst
mir doch etwas."
Tannin hatte sich wieder auf dem Boden niedergelassen
und mied Simons Blick, indem er in den kalten Kamin starrte. So stand Simon
schweigend einige Zeit an der Tür, bevor er sich wieder in seinen
Sessel setzte. "Ich habe Zeit." Schweigend musterte Simon Tannin. Er hatte
ein schlechtes Gefühl. Tannin versuchte ihm etwas zu verschweigen,
und das enttäuschte Simon etwas.
Schließlich brach Tannin das Schweigen.
Ich bin erwischt worden. Im ersten Moment war Simon sprachlos. Dann
fing er sich wieder. "Weißt du, wer dich gesehen hat?" Ich bin
mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es war der Förster. Ich habe
erst zu spät bemerkt, dass sich jemand im Hochsitz aufhielt. 'Na
großartig.' Simon fluchte innerlich. Jetzt galt es zu retten, was
noch zu retten war. Er musste herausfinden, ob der Förster Tannin
bemerkt hatte. "Kannst du mir sagen, wo sich dieser Hochsitz befindet?"
Simon stand wieder auf, nahm die Karte aus dem Regal, die sie schon bei
der Suche nach Marco benutzt hatten, und breitete sie auf dem Boden aus.
Jetzt drehte Tannin seinen Kopf zu Simon und sah die Karte an. Die eingezeichneten
Suchgebiete waren noch deutlich sichtbar. Langsam ließ Tannin seinen
Blick über die Gebiete schweifen. Diese Art der Ansicht war für
ihn etwas ungewohnt und so brauchte er etwas, bis er den Ort wiederfand,
wo der Hochsitz aufgestellt war.
Simon machte sich eine Notiz und ging dann
in den Flur, griff nach seiner Jacke und sah noch mal zu Tannin zurück.
"Ich glaube, es ist besser, wenn du für heute nicht mehr vor die Tür
gehst." Simon wartete Tannins Antwort nicht ab. Er verließ das Haus
und bestieg den Van. Er musste unbedingt daran denken, das Ding möglichst
bald zur Reparatur zu bringen.
Simon brauchte etwa eine halbe Stunde bis er
den Waldweg erreichte, der zum Hochstand führte. Schon aus der Entfernung
konnte er erkennen, dass die Schranke offen war.
Simon stellte das Auto etwas abseits ab und
stieg aus. Er zog seine Jacke an und schlenderte den Weg entlang tiefer
in den Wald hinein. Nach wenigen Metern stieß er auf das Auto des
Försters. Es stand neben dem Waldweg im Unterholz. Tannin hatte also
mit seiner Vermutung recht gehabt. Simon hielt die Hand über die Motorhaube.
Das Auto war schon seit geraumer Zeit nicht mehr bewegt worden. Das bedeutete
also, dass sich der Förster noch irgendwo im Wald befand. Simon musste
ihn nur finden. So ging er langsam weiter. Immer wieder sah er sich um,
doch konnte er den Förster auf dem Weg und in der näheren Umgebung
nicht ausmachen.
Schließlich hatte er den Hochsitz erreicht.
Soweit er es von hier unten sehen konnte, schien dieser nicht besetzt zu
sein. Simon ließ seinen Blick erneut schweifen. Er konnte den Förster
aber auch in der Nähe nicht sehen. So beschloss er nach oben zu steigen.
Vielleicht war es ihm von dort möglich, den Förster zu finden.
Langsam stieg Simon die Holzleiter nach oben.
Sie war alt und zeigte an einigen Stellen schon erste Spuren stärkerer
Verwitterung, weshalb er immer langsamer wurde und die einzelnen Stufen
immer erst testete, bevor er sie voll belastete. Simon fragte sich, wie
man auf so etwas Altes noch hinaufklettern konnte, und warum man es nicht
schon längst abgerissen und durch ein neues ersetzt hatte. Das Ding
war doch lebensgefährlich.
Endlich hatte er den Eingang des Hochsitzes
erreicht. Im Inneren des Sitzes erlebte er eine Überraschung. Der
Förster, der schon ordentlich in die Jahre gekommen zu sein schien,
war zwar körperlich anwesend, aber er lag schlafend auf dem Boden.
Seine Flinte lehnte an der Wand. Neben ihm lag ein Flachmann, der ihm offenbar
irgendwann aus der Hand gerutscht war. Im Schlaf brabbelte der Förster
etwas vor sich hin, was Simon auf die Entfernung nicht verstehen konnte.
Erst als er sich vorsichtig weiter hineinschob konnte er einzelne Worte
verstehen. Allerdings hatte dieser Förster doch schon einen etwas
strengeren Atem. "Tiere... Kontrolle... zählen..." Die Bewegungen
des Försters wurden etwas unruhig, weshalb Simon sich wieder etwas
zurückzog. Doch seine Stimme war nun lauter. "Glaubt mir keiner...
fliegender Drache... die halten mich doch für verrückt..." Simon
hatte genug gehört. Ihm kam eine fixe Idee. Vorsichtig angelte Simon
nach dem Flachmann. Der Flachmann war nach Gefühl noch etwa halb voll.
Er löste den Verschluss nur leicht, und stellte ihn so hin, dass er
bei der nächsten Bewegung umfallen und sich der Inhalt über die
Kleidung des Försters ergießen würde. Das war zwar sonst
nicht Simons Art, aber er hoffte, die Glaubhaftigkeit des Försters
dadurch reduzieren zu können. Etwas anderes blieb ihm im Moment eh
nicht mehr übrig.
Langsam und versucht, so wenig Lärm wie
möglich zu machen, kletterte Simon wieder die Leiter herunter. Dann
schlich er zum Waldweg zurück. Als er hoffte, genug Abstand zwischen
sich und den Hochsitz gebracht zu haben, lief er schnell zu seinem Auto
zurück. Erst als er im Inneren saß, atmete er auf. Er war geschafft.
Jetzt hieß es also abwarten und hoffen. Simon startete den Motor
und fuhr nach Hause zurück.
Er wurde bereits von Tannin erwartet. Simon
sah ihn mit gemischten Gefühlen an. "Wir müssen abwarten." Simon
ließ sich schwer in den Sessel fallen und schloss die Augen. Warum
kehren wir dann nicht einfach zurück? Fragend blickte Simon Tannin
an. "Was meinst du?" Tannin deutete mit seinem Kopf in die Richtung des
großen Tisches. Jetzt fiel Simon ein, dass er den Brief dort liegengelassen
hatte. Trotzdem sah Simon Tannin überrascht an, und er konnte sich
die Frage nicht verkneifen: "Du kannst lesen?" Tannin schien zu grinsen
als er nickte. "Wann hast du es gelernt?" Ich kann es einfach. Simon
sah Tannin mit skeptischem Blick an. "Du willst wirklich dorthin zurück.
Überleg nur, wie sie dich behandelt haben." Warum bist du so negativ?
Ich bin mir sicher, dass sie mich schon akzeptieren werden, wenn wir ihnen
nur genügend Zeit geben. 'Dein Wort in Gottes Ohr.' Der Ausdruck
in Tannins Augen war fragend. Was meinst du damit? "Vergiss es.
Es ist nur so eine Redewendung. Aber jetzt noch mal zu heute morgen." Simon
merkte sofort, dass Tannin dieses Thema äußerst unangenehm war.
Trotzdem sprach er weiter. "Warum hast du mir nicht sofort erzählt,
was dir für ein Missgeschick unterlaufen ist? War es dir etwa peinlich?"
Es war seltsam. Normalerweise spüre ich die Leute schon, bevor
ich sie sehen kann, doch irgendwie war das heute morgen bei dem Förster
anders. Als ich ihn bemerkte, war ich bereits mehr oder weniger neben dem
Hochsitz. Simon grübelte vor sich hin. Er wusste von Tannins Talent,
Leute zu bemerken, noch bevor sie näher kamen. Konnte diese Wahrnehmung
vielleicht gestört werden, wenn der Mensch in der Nähe Alkohol
konsumiert hatte? Tannin hatte keine Ahnung, ob das so stimmen könnte,
doch er konnte es auch nicht ausschließen. Er meinte aber auch, dass
derjenige wohl schon einiges Intus gehabt haben musste. Denn wenn Simon
oder jemand anderes aus dem Dorf mal einen über den Durst getrunken
hatte, waren sie für Tannin immer spürbar geblieben.
Ein paar Tage nach dem Vorfall hatte einer
von Simons Arbeitskollegen Geburtstag. Zur Feier des Tages lud er alle
in eine Gaststätte zu einem Gläschen ein, die sich etwa auf halber
Strecke zwischen Simons Arbeitsplatz und Haus befand.
Marco war inzwischen wieder aus dem Krankenhaus
entlassen worden und war ins Dorf zurückgekehrt, so dass Simon eigentlich
keinen Grund sah, an der Feier nicht teil zu nehmen.
Die Zeit war schon fortgeschritten und der
Höhepunkt der Feier längst vorbei, als Simon Zeuge eines Gespräches
wurde, das ihn aufhorchen ließ. Zwei ältere Männer, nach
der Kluft zu schließen, waren sie aus einem Schützenverein,
saßen schon seit geraumer Zeit an einem Tisch unweit von Simon. Sie
hatten jeweils einen Humpen Bier vor sich stehen. Nicht die ersten an diesem
Abend. Sie waren in ein Gespräch vertieft, das sie ziemlich zu erheitern
schien. "...und der alte Klaus meint wirklich, dass wir ihm diese Story
glauben." Die beiden Männer fingen an zu lachen. "Drachen in unserem
Wald. Wer`s glaubt." - "Hast du die Fahne gerochen. Klaus hat doch schon
wieder vor und während seiner Wacht einen über den Durst getrunken.
Als nächstes erzählt er uns, dass Dinosaurier in der Schlucht
hausen." Die beiden Männer lachten erneut.
Simon wollte sich schon zurücklehnen,
als das Gespräch weiterging. "Nur dumm, dass der Klaus als Stadtförster
so gut mit unserem Vorsitzenden kann." Der andere grunzte zustimmend und
gemeinsam griffen sie nach ihren Bieren. "Der hat ihn solange zugeredet,
bis der Vorsitzende doch tatsächlich für am Wochenende eine 'Drachenjagd'
angesetzt hat." Die beiden Männer verdrehten die Augen und leerten
ihre Bierhumpen in einem Zug. "Das wird eine schöne Blamage für
diesen Klaus und ein Spaß für den Verein. Nur dumm, dass uns
dadurch ein freies Wochenende verloren geht." - "Ein bisschen Verlust ist
halt immer. Dieser Klaus wird sich vor dem ganzen Verein furchtbar blamieren.
Vielleicht werden wir ihn dann endlich los. Der geht mir ehrlich gesagt
schon seit längerem auf die Nerven." Wieder lachten sie und bestellten
sich Biernachschub. Simon lauschte noch etwas, aber die Männer sprachen
nur noch über Vereinsdinge, die nicht mehr Tannin betrafen. Die Feier
klang aus, und Simon fuhr nach hause, wo er von Tannin bereits erwartet
wurde.
Die Woche war für Simons Begriffe diesmal
viel zu schnell vorbei. Das Wochenende kam, und mit ihm der Schützenverein.
Simon war grade auf dem Weg zum Einkaufen, als ihm ein langer Tross Autos
entgegenkam, die alle den gleichen Aufkleber an der Heckscheibe trugen,
die die Besitzer als Mitglieder des Schützenvereins auswies. Sie fuhren
in den Wald, und als Simon vom Einkaufen zurückkehrte, standen sie
für seinen Geschmack viel zu nah an seinem Haus. Außerdem schienen
die hiesigen Medien von der Aktion Wind bekommen zu haben, denn es standen
auch ein paar Wagen von Pressevertretern am Waldrand. Das schmeckte Simon
noch weniger und er hoffte im Stillen, dass diese die jetzige Aktion nicht
durch Recherchen in Zusammenhang mit der Suchaktion nach Marco in Verbindung
brachten.
Er lud die Einkäufe aus dem Wagen und
betrat das Haus. Dort erwartete ihn eine weitere unangenehme Überraschung.
Tannin war nicht da und die Balkontür war offen. Simon fielen fast
die Einkäufe aus der Hand. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Sachen
abzustellen, ohne dass sie dabei Schaden nahmen. Dann rannte er in den
Garten und rief Tannins Namen. Doch von diesem war weit und breit nichts
zu sehen. Simon durchquerte den Garten und näherte sich dem Wald.
Immer wieder blickte er suchend zum Himmel und in den Wald, doch konnte
er Tannin nicht entdecken.
Er irrte einige Zeit herum, bis er plötzlich
auf zwei Schützenbrüder und einen Reporter traf, die ihn etwas
verwirrt ansahen. Als sich die Schützen von ihrem ersten Schreck erholt
hatten, wollten sie wissen, was er hier zu suchen habe. Heute sei große
Jagd, da sei es Leuten verboten in den Wald zu gehen, zu ihrer eigenen
Sicherheit. Dies sei durch die Presse doch schon vor Tagen bekannt gegeben
worden. Der Vertreter der Presse, ein blondhaariger, schmächtiger
Typ mit blauen Augen und Brille sah Simon und die anderen bei den Worten
gelangweilt an. Offenbar hatte er sich etwas mehr von der ganzen Sache
versprochen und machte keinen Hehl daraus, seine Enttäuschung ganz
offen zu zeigen. Die Schützen baten Simon, den Wald umgehend zu verlassen.
So musste Simon wohl oder übel kehrt machen und zurück zum Haus
gehen. Er bemerkte nicht, wie der Reporter ihm nachsah.
Als er wieder den Garten betrat, kam ihm ein
verschlafen dreinblickender Marco in einem seiner Schlafanzüge, der
natürlich um einiges zu groß war, entgegen. "Morgen," gähnte
er. Simon konnte sich gar nicht daran erinnern, Marco gestern Abend gesehen
zu haben. Er blieb ebenso wie Marco stehen. "Morgen, wie kommst DU denn
hier her?" Trotz seiner Müdigkeit grinste Marco schelmisch. "Na mit
dem ersten Bus, der hier in die Gegend fuhr, und den Rest zu Fuß.
Tannin war dann so nett, mich reinzulassen." - "Du weißt also, wo
sich Tannin befindet?" - "Klar doch. Bei mir. Oben auf dem Dachboden. Im
Gästezimmer." Simon atmete erleichtert auf. "Ihr wisst ja gar nicht,
was ihr mir für einen Schrecken eingejagt habt, und lass mich raten,
dein Vater weiß schon wieder nicht, wo du steckst." Marco schien
die Unschuld in Person, als er erwiderte: "Doch, diesmal schon. Ich hab
ihm `nen Zettel auf den Tisch gelegt." - "Aha. Nun aber rein mit dir. Du
kannst mir grade beim Einräumen der Einkäufe helfen." Marco verzog
das Gesicht, so als habe er Schmerzen und fügte sich schließlich
seinem Schicksal. Doch sie blieben bei ihrer Ausladeaktion nicht lange
allein. Tannin kam die Treppe herab. Er schien nicht sonderlich besorgt
zu sein. Guten Morgen. Er wanderte an Simon und Marco vorbei und
ließ sich wieder im Wohnzimmer nieder. Was meint ihr, werden sie
etwas finden? Tannin schien erneut zu grinsen. Simon beschloss innerlich,
dass Tannin zuviel Zeit mit Marco verbrachte. Der setzte ihm wohlmöglich
noch irgendwelche Flausen in den Kopf.
Sie waren grade beim zweiten Frühstück,
als es an der Tür klingelte. Marco blieb mit Tannin in der Küche
zurück, während Simon langsam zur Haustür schritt. Bevor
er diese öffnete versicherte er sich noch einmal, dass die Küchentür
fest geschlossen war, erst danach machte er dem Wartenden auf.
Vor der Tür stand Marcos Vater. Er sah
Simon etwas unsicher an. "Morgen," murmelte er vor sich hin: "Ich habe
gelesen, dass ich meinen Sohn hier finden kann." Irgendwie war Simon die
ganze Sache peinlich. Um es aber zu überspielen, bat er Marcos Vater
erst mal herein. "Wo ist er?" - "In der Küche." Zügig schritt
Georg zur Küchentür. Simon schloss die Haustür, nachdem
er einen kurzen Blick nach draußen riskiert hatte. Noch bevor Simon
ihm sagen konnte, dass sich Tannin ebenfalls in der Küche befand,
hatte er die Tür geöffnet und verharrte nun auf der Schwelle.
Sein Gesichtsausdruck wurde leicht blass und er schluckte. Doch dann schien
es, als habe er sich wieder gefangen. Georg machte einen Schritt in den
Raum hinein. Simon folgte dichtauf. Zu Simons und auch Marcos Überraschung
ging Georg sogar in Tannins Richtung und blieb etwa zwei Schritt vor ihm
stehen. Er fuhr sich kurz über seine Lippen, so als müsste er
sie befeuchten. "Ich... Ich möchte mich bei dir bedanken, dass du
Marco gerettet hast." Im nächsten Moment blicke Marcos Vater ziemlich
überrascht kurzzeitig ins Leere. Dann griff er nach dem nächsten
Stuhl und ließ sich darauf nieder. Marco konnte sich nur mit Mühe
ein Lachen verkneifen. Simon wüsste nur zu gern, ob Marco sich grade
wieder mit Tannin ausgetauscht hatte. Doch keiner von beiden klärte
ihn auf. So begnügte er sich erst mal damit, eine Tasse aus dem Schrank
zu nehmen, sie mit Kaffee zu füllen und diese dann Georg anzubieten,
der sie dankbar annahm. Er war noch immer sprachlos. Erst einige Schlucke
aus der Tasse lösten seine Zunge wieder. Er wirkte leicht irritiert.
"Was... war denn das?" - "Keine Sorge, Papa. Du gewöhnst dich recht
schnell daran, und dann macht es irgendwann keinen Unterschied mehr." Das
war das erste Mal, dass Simon hörte, dass Marco seinen Vater so nannte.
Das passte irgendwie überhaupt nicht in das Bild, was er von Marco
hatte. Innerlich begann er zu grinsen. Dann ging er noch mal zu den Küchenschränken
herüber und holte ein weiteres Gedeck daraus hervor. Sicherlich hatte
Georg nichts gegen ein Frühstück einzuwenden.
Nachdem sie gegessen und Marcos Vater sich
nach und nach an die Anwesenheit von Tannin gewöhnt hatte, fingen
sie an, Informationen über das, was nach der Rettungsaktion im Dorf
geschehen war, auszutauschen. Für Simon stellte sich die Situation
nun so dar, dass die Gruppe von Dorfbewohnern, die schon früher dafür
gewesen waren, dass Simon mit Tannin im Dorf hätten bleiben sollen,
nach der Rettungsaktion starken Zulauf erhalten hatten. Deswegen wohl auch
der Brief. Einerseits freute es Simon, aber er hatte nie vorgehabt, die
Dorfgemeinschaft zu spalten. Grade dies hatte er mit seinem Auszug vermeiden
wollen.
Je länger Simon mit Georg sprach, umso
mehr bemerkte er, wie dieser sich entspannte und sogar nach und nach mit
Tannin einige Worte wechselte.
Schließlich traten Simon und Georg in
den Garten und sahen zum Wald hinüber. Sie konnten immer noch ab und
zu Schützen zwischen den Bäumen ausmachen. "Was ist denn da drüben
los? Soweit ich weiß, ist die eigentliche Jagdsaison noch gar nicht
eröffnet." Simon sah etwas zerknirrscht drein. "Ich fürchte,
das ist unsere Schuld." Georg sah Simon überrascht an. "Wieso?" Simon
blickte sich vorsichtig um. "Am besten gehen wir rein. Da kann ich dir
alles erzählen." Sie sahen noch einmal zum Wald und kehrten dann ins
Wohnzimmer zurück. Grade, als Simon und Georg sich abwandten, trat
der Reporter zwischen den Bäumen hervor und sah zum Haus, eh er den
Schützen folgte. Er überlegte, irgendwie hatte er das Gefühl,
diese Gesichter zu kennen.
Simon hatte die Tür geschlossen und die
Vorhänge vorgezogen, so dass Marco mit Tannin ins Wohnzimmer kommen
konnten. Obwohl es Tannin immer noch sichtlich peinlich war, übernahm
er, nachdem Simon ihm ermutigend zunickte, den ersten Part der Erzählung.
Simon fügte hinzu, was nach der Entdeckung passiert und wie er versucht
hatte, die ganze Sache zu vertuschen. Marco hatte bei seiner geistigen
Vorstellung sichtlich sehr viel Spaß. Sein Vater grübelte indes
vor sich hin. "Das ganze sieht gar nicht so gut für euch aus. Wenn
ihr Glück habt, werden sie nichts finden, doch sie sind nun sicherlich
misstrauisch und werden die Augen offen halten." Georg sah Simon mit teilweise
mitfühlendem Blick an. "Wenn sich diese ganze Sache noch weiter verbreitet,
wie du sagtest sind die Pressefritzen da, die werden schon dafür sorgen,
werden sicher Schaulustige und Pseudoforscher anreisen. Damit dürften
für Tannin die Ausflüge in den Wald gelaufen sein. Eine Entdeckung
ist dann viel zu wahrscheinlich, und du kannst dir dann sicher vorstellen,
was dann hier erst passieren wird." Simon musste Georg recht geben, er
hatte sich selbst Gedanken gemacht und war zu dem gleichen Ergebnis gelangt.
Selbst wenn er es nicht gewollt hätte, zu Tannins Sicherheit war er
nun erneut gezwungen, seinen Aufenthaltsort zu ändern. Hier würden
sie wohl keine Ruhe mehr finden.
Mit einem Seufzen ließ er sich auf seinem
Sessel zurücksinken. Irgendwie war alles so viel komplizierter geworden.
"Was ist denn das hier?" Simon drehte seinen Kopf träge zu Marco.
Dieser hatte sich den Brief geschnappt, den Simon nicht weggeräumt
hatte, und las ihn durch. "Schon mal was von Briefgeheimnis gehört.
Leg das wieder hin." Georg musterte seinen Sohn mit strengem Blick. Doch
dieser ließ sich davon nicht einschüchtern und starrte auf die
Buchstaben. Dann hielt er ihm seinen Vater hin. "Hier, lies mal." Georg
protestierte. "Ich lese doch nicht Simons Post." - "Ist schon gut. Bei
dem Brief ist das kein Problem für mich." Simon winkte ab. Er wusste
ja schließlich schon, was drinstand. Georg sog hörbar die Luft
ein, als er die Zeilen hinablas. "Donnerwetter, ich wusste gar nicht, dass
sogar der Bürgermeister zu den Befürwortern steht. Das sollte
die Sache für dich doch viel einfacher machen, und bei DEM Angebot.
Also ich an deiner Stelle würde nicht zögern." Simon sah Georg
nachdenklich an. Er konnte sich noch zu gut an die Zeit erinnern, wo dieser
ihn aus dem Dorf vertrieben hatte. Einerseits aus Angst um die Kinder,
andererseits aber auch aus der eigener Angst vor dem Unbekannten. Und jetzt,
einige Monate später, saß dieser Mann und Vater bei ihm daheim
und unterhielt sich mit Tannin. Simon seufzte. Wenn doch nur die anderen
Dorfbewohner auch so zu überzeugen wären. Noch immer zögerte
er, das Angebot anzunehmen, auch aus Angst davor, von denjenigen die Tannin
immer noch ablehnten, negatives zu spüren zu bekommen.
Georg und Marco sahen, wie Simon mit sich
am kämpfen war, und sahen sich an. "Hätte nie daran gedacht,
dass ich das mal tun würde," murmelte Georg leise vor sich hin. "Das
mit den Andern lass mal meine Sorge sein. Schau du lieber, wie du dich
hier unauffällig und möglichst schnell aus der Gegend verabschieden
kannst." Georg sah Simon auffordernd an. "Und für dich Bürschchen
gibt es heute noch genug daheim zu tun, und so weit ich weiß, schreibt
ihr übermorgen eine Klassenarbeit." Marco stöhnte bei dem Gedanken.
Georg erhob sich und blickte seinen Sohn herausfordernd
an, der natürlich überhaupt nicht vor hatte, Tannin und Simon
so früh schon wieder zu verlassen, und erst recht nicht für Schulaufgaben,
doch alles protestieren half nichts. So war Simon recht schnell wieder
allein. Draußen liefen die Schützen und Reporter immer noch
durch den Wald, bis ein plötzlich einsetzender Regen die meisten von
ihnen vertrieb.
Simon wartete etwa eine Woche ab. Weder in
der Zeitung, noch in den Nachrichten wurde etwas von der 'Drachenjagd'
erwähnt. Eine Randnotiz wies auf eine verstärkte Bejagung von
Wildschweinen im nahen Wald hin. Somit konnte Tannin nicht mehr nach draußen,
und seine Stimmung sank mit den Tagen, die er im Haus verbringen musste.
Auch Simon konnte ihn nicht so recht aufheitern. Marco kam am nächsten
Wochenende und rettete die Stimmung wenigstens die nächsten zwei Tage
lang. Er brachte auch aufmunternde Nachrichten aus dem Dorf mit.
Sein Vater hatte doch tatsächlich eine Dorfversammlung einberufen
und eine Diskussion darüber gestartet, was die anderen davon hielten,
wenn Simon und Tannin ins Dorf zurückkehren würden. Natürlich
war die Idee zuerst auf heftigen Widerstand getroffen, doch dann hatte
man sich auf einen Kompromiss einigen können. Etwas außerhalb
des Dorfes gab es einen alten Bauernhof, dessen Besitzer vor etwa zwei
Monaten gestorben war. Man hatte noch keinen Nachfolger gefunden. Wenn
Simon bereit war, dort einzuziehen, waren die meisten damit einverstanden,
dass er ins Dorf zurückkehren konnte. Er konnte auch seine alte Stelle
in der Bücherei zurückhaben, aber die Auflage hier bestand darin,
das Tannin nicht zur Arbeit mitkommen durfte. Eigentlich waren das mehr
Zugeständnisse, als Simon sich vorgestellt und erhofft hatte. Er fand
es nur bedauerlich, dass es noch ein gutes Stück bis zum nächsten
Wald war, die einzige größere Ansammlung von Bäumen existierte
nur beim Stadion, ansonsten gab es im Umkreis des Dorfes nur Wiesen und
Felder. Das macht mir nichts aus. Nachdenklich sah Simon Tannin
an. Er war zwar sonst nicht so nachtragend, doch es kostete ihn eine Menge
Überwindung, bis er sich zu einer entgültigen Entscheidung durchgerungen
hatte. Er sag zu Georg. "Bitte richte dem Bürgermeister aus, dass
ich mich für sein Angebot bedanke." Als Simon pausierte sah Marco
ihn mit hoffnungsvollem und schon fast verzweifeltem Blick an. "Ich glaube,
dass ich das Angebot wohl annehmen werde..." Weiter kam Simon nicht mehr,
denn im nächsten Moment war der Ein-Mann-Teufel los. Marco fegte jubelnd
durch das Zimmer und ließ sich überhaupt nicht mehr bändigen.
Weder Simon noch Georg konnten ihn zum Aufhören bringen.
Schließlich schien Marcos Rumgehhopse
sogar Tannin zuviel zu werden, denn er verzog sich aus dem Zimmer. 'Vielen
Dank für deine Hilfe', dachte Simon trocken, während er versuchte,
Marco daran zu hindern, ihn zu erdrosseln, da dieser plötzlich schwer
um seinen Hals hing. Warum sollte ich ihm seine Freude trüben?
'Weil er mich hier grade vor Freude erwürgt.' Endlich ließ Marco
von ihm ab, und als Simon seinen Kopf drehte, sah er auch den Grund. Während
er noch nach Luft schnappte, hatte sich Marco ein neues 'Opfer' auserkoren,
doch Tannin, der wieder hereingekommen war, schien das nicht sonderlich
viel auszumachen. Georg gelang es nicht ganz zu verbergen, dass er trotz
der vergangenen Stunden Tannin noch nicht vollkommen vertraute. Doch er
hielt es zurück, und wartete ab, bis sich sein Sohn wieder so weit
beruhigt hatte, dass ein normales Gespräch wieder möglich war.
Trotzdem war er für die nächste Zeit nicht mehr richtig zu besänftigen.
Als Marcos Vater bemerkte, dass er seinen Sohn heute bestimmt nicht mehr
zum lernen bewegen konnte, seufzte er resignierend. Trotzdem ließ
er sich nicht davon abbringen, dass es Zeit sei zu gehen, sehr zu Marcos
Leidwesen.
Simon brauchte etwa zwei Monate, bis alles
in so weit geklärt war, dass er diese Gegend wieder verlassen konnte.
Sonderlich unglücklich war er nicht, als er den Möbelpackern
kurzzeitig beim Verladen seiner Wohnungseinrichtung zusah, ehe er wieder
mit anpackte. Tannin war ein wenig zappelig. Es passte ihm nicht so ganz,
jetzt schon seit Stunden in ein und derselben Position eingepfercht auf
dem Rücksitz des Vans ausharren zu müssen, mit der Decke über
dem Kopf, unter der es immer wärmer wurde. Doch Simon konnte ihm keine
Linderung verschaffen, da er mit den Formalitäten für den Verkauf
des Hauses und der Sortierung seiner Möbel total eingebunden war.
Außerdem wuselten überall Menschen herum, eine Entdeckung wäre
somit unvermeidlich. So musste sich Simon darauf beschränken, Tannin
zum Durchhalten zu ermuntern, was dieser nur als sehr, sehr schwacher Trost
empfand.
So vergingen noch drei weitere Stunden, bevor
sich der Umzugswagen und Simons Van in Bewegung setzten. Aus der näheren
Nachbarschaft war niemand zu Simons Auszug erschienen, nur die Kollegen
aus der Bibliothek, in der Simon mittlerweile gekündigt hatte, waren
kurz mal vorbeigekommen, bevor sie wieder zur Arbeit mussten.
Simon überholte den Umzugswagen auf halber
Strecke und fuhr sich bis zu seinem neuen Wohnheim einen Vorsprung heraus.
Als er sich sicher war allein zu sein, entließ er Tannin endlich
aus dem Van.
Dieser verschwand erleichtert in der alten
Scheune und verbarg sich im dort gelagerten Stroh. Von dort aus konnte
er alles weitere mit ansehen, ohne entdeckt zu werden.
War zum Auszug damals fast jedermann erschienen,
herrschte heute eine fast gespenstische Leere. Niemand war erschienen,
um Simon und Tannin zu begrüßen oder, zu Simons Erleichterung
auch, sie zu verteufeln.
Erst als die Möbelpacker mit ihrem LKW
schon längst wieder vom Hof verschwunden waren, tauchten die ersten
Personen auf. Simon war nicht sonderlich überrascht, als er Marco
erblickte. Dieser führte einen Tross Kinder an, die stellenweise verstohlen
umblickten, so als täten sie etwas Unerlaubtes. "Hallo, wie ich sehe,
hast du keine Zeit verloren," begrüßte Simon Marco, der ihn
breit angrinste. "Ich wollte doch nur dass ihr euch am ersten Tag nicht
gleich so einsam fühlt. Außerdem hatte ich den anderen versprochen,
Bescheid zu sagen, wenn ihr wiederkommt. Stellenweise haben sie euch ziemlich
vermisst." Marco verzog das Gesicht. Dann senkte er seine Stimme, so dass
nur noch Simon ihn hören konnte. "Du hättest sie erst mal erleben
sollen, als sie von meiner Schwester erfahren haben, dass ich euch in eurer
neuen Wohnung ab und zu besucht habe." Er verdrehte die Augen. "Der Besuch
des Präsidenten ist gar nichts dagegen. Die haben mir ja schon fast
aufgelauert, nur um was neues zu erfahren. Da soll man dann verhindern,
dass die Erwachsenen was spitz kriegen..."
Als Simon von Marco aufschaute, musste er
feststellen, dass die anderen Kinder alle verschwunden waren.
Er blickte sich suchend um. Marco hatte ebenfalls
nun bemerkt, dass die anderen weg waren und schien selbst etwas überrascht
darüber. Doch dann vernahmen sie Stimmen aus der Scheune. Gemeinsam
liefen sie hinüber.
Jemand hatte das große Tor geschlossen,
und Simon musste sich anstrengen, um es wieder zu öffnen. Das war
sicher Tannins Werk, für Kinder war die Tür zu schwer. Als sie
ins Innere traten, konnten sie trotz der Stimmen niemanden sehen. Ein großer
Berg an Stroh war aufgeschichtet worden, und als Simon und Marco seitlich
daran herum gingen, entdeckten sie die gesuchten Kinder und Tannin. Die
Kinder waren dabei fieberhaft den Strohberg zu erhöhen. "Was soll
das denn werden wenn's fertig ist?" Simon baute sich vor den Kindern auf,
die bei den Worten in ihrer Arbeit innehielten. Sie wollen mir eine
Höhle bauen. Simon warf Tannin einen Blick zu und sah dann wieder
zu den Kindern. "Wollt ihr es mir nicht sagen?" Die Kleineren schauten
etwas bedripst zu Boden, bis eine der Älteren schließlich sprach:
"Als wir das viele Stroh gesehen haben, dachten wir, dass wir es etwas
bequemer für Tannin machen könnten, und deshalb..." Simon winkte
ab. "Wenn es euch Spaß macht." Die Kinder jubelten und setzten ihre
Arbeit noch eifriger fort, dass soviel Strohstaub durch die Luft flog,
dass alle anfingen zu niesen. Doch das schien die Kinder nicht zu stören.
Simon flüchtete aus der Scheune. Marco blieb bei den anderen.
Etwas später kehrte Simon mit einigen
Gläsern, die er hastig aus den Umzugskartons gegraben hatte, und einer
großen Wasserkaraffe in die Scheune zurück. Dort war inzwischen
in Sachen Stroh-Umschichten Ruhe eingekehrt. Ein sehr großer Berg
war entstanden. In der Mitte gab es eine große Kuhle, die man nur
von der Rückseite der Scheune erreichen konnte. Dort befanden sich
jetzt alle, die kräftig gebaut hatten und natürlich Tannin. Als
die Kinder sahen, was Simon dabei hatte, wurde er mit großer Freude
empfangen. Sie hatten mehrmals versucht eine Höhle zu graben, doch
die Decke war immer wieder eingebrochen. Deshalb hatten sie sich auf diesen
Bau geeinigt.
Einige der Kinder hatten wieder Süßigkeiten
dabei, die untereinander aufgeteilt wurden. Den Löwenanteil erhielt
natürlich Tannin, der sich sichtlich darüber freute. So wie Marco
Simon bereits gewarnt hatte, fingen die Kinder an, sie auszufragen, wie
die Zeit außerhalb des Dorfes gewesen war. Simon beantwortete die
Fragen so gut er konnte. Doch dann wollten sie wissen, warum Simon überhaupt
das Dorf verlassen hatte. Simon war verwirrt. Er blickte zu Marco, doch
der schien selbst überrascht. Hatten ihre Eltern ihnen denn nichts
erzählt? Doch Simon wollte nicht so Taktlos erscheinen und sagen,
dass er von denen doch rausgeschmissen worden war, stattdessen meinte er
nur: "Wir haben mal eine kurzzeitige Luftveränderung gebraucht." Weiter
ging er auf das Thema nicht mehr ein. Stattdessen half er ihnen bei der
Vernichtung der Süßigkeiten. So gelang es Simon auch, sich einen
Eindruck zu verschaffen, was in den letzten Monaten so alles im Dorf
passiert war. Sonderlich viel war es jedoch nicht. Nur schien die Bücherei
nach seiner Abwesenheit an extremem Lesermangel zu leiden. Aber das würde
sich ja jetzt recht schnell wieder ändern, beschloss Simon für
sich. Er hatte da nämlich so eine Idee...
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© Pai
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