Die Wahrheit! von Der Sumpfdrache
Über das unerklärliche Verschwinden von 300 Jahren unserer Zivilisationsgeschichte

Seit einiger Zeit gibt es Menschen, die behaupten, in unserer derzeitigen Zeitrechnung würden uns an die dreihundert Jahre fehlen, weil diese schlicht und einfach reine Erfindung wären.
Seit einer etwas längeren Zeit schon gibt es ebenso Menschen, die steif und fest der Überzeugung sind, die Erde wäre nicht rund, sondern eine Scheibe.
Genauso gibt es Menschen, die einen Zusammenhang zwischen der Zunahme ausländischer Einwanderer und der Abnahme inländischer Arbeitsplätze sehen wollen, oder welche, die davon ausgehen, dass ein gewisser linearer Zusammenhang zwischen der Länge der Nase eines Mannes und dessen großem Zeh bestünde (oder war das etwas anderes... hmm).

Im Gegensatz zu den ersten beiden Aussagen handelt es sich bei den letzen beiden um solche, die besonders gerne an örtlich begrenzten und vor allem zu anderen Zwecken vorgesehenen Orten zur Sprache kommen. 
Mit anderen Worte, sie treten meist erst dann in Erscheinung, wenn die Teilnehmer des traditionellen Männerstammtisches den ersten Frust in Hochprozentigem ertränkt haben und langsam aber sicher kreative Energien schöpfen (Meist hat der Brunnen dieser Kreativität die Form einer Flasche und das Schöpfzeug ist jahrelang aufgestaute Unwissenheit, die allerdings stolz mit den Worten "Lebenserfahrung" wie ein Rammbock gegen alle Neuerungen ins Feld geführt wird).
Die erstgenannten Hypothesen stammen allerdings aus ganz anderen, wesentlich verlässlicheren Quellen und auch ihre enorme Unsinnigkeit lässt auf einen potentiell höheren Wahrheitsgehalt schließen.
Denn mit Aussagen, von denen jedes Kind weiß, dass sie unsinnig sind, kann man an einem Männerstammtisch bestimmt keine Mitstreiter gewinnen.

Die These, die Welt sei eine Scheibe, möchte ich hier lieber Außen vor lassen, da ich nicht gewillt bin, meinem Leben durch einen Becher Schirlingssaft ein Ende zu setzen.
Ausserdem gibt es zu diesem Thema wesentlich tiefergehende Literatur als ich sie je verfassen könnte (Die Scheibenwelt...)
Doch zu den angeblich erlogenen 300 Jahren Zivilisationsgeschichte kann ich einiges mehr sagen.
Dazu muss ich allerdings etwas weiter ausholen...

Vor einer kleinen Ewigkeit (ja, es gibt kleine Ewigkeiten, oder wie meinen sie entstehen große? Die werden auch nicht vom Storche gebracht) in einem ebenso kleinen und verschlafenen Dorf namens 'Allgegenwärtig' (im Folgenden nur noch kurz 'All' genannt, Anm. d. Autors) kam es eines Nachmittags zu einem denkwürdigen Ereignis.
Drei Damen trafen sich zu einem Kaffeekränzchen.
Die Gastgeberin, eine gewisse Frau Prof. Dr. E. Volution, hatte zwei alte Schulfreundinnen zu einem persönlichen Klassenftreffen zu sich nach Hause eingeladen.
Nach mehrmaligem verschieben (und vor allem dem Fehlen an weiteren schlüssigen Gründen für eine Absage) kam dieses Treffen auch tatsächlich zu Stande.
Die Damen Christine Haos und Nicole Ichts saßen mehr oder minder glücklich am Tisch und lauschten den Ausführungen von Frau Dr. Volution. 
Da Frau Dr. Volution eine führende Mikrobiologin und zudem noch eine sehr experimentierfreudige Wissenschaftlerin war, drehten sich ihre Vorträge meist um ihre neuesten Kreationen, deren Vorteile und vor allem deren Überlebensfähigkeit.
So auch diesmal.
Nachdem sie fast drei Tassen ökologisch angebauten Kaffee getrunken und sehr interessiert zwei Stunden lang den neuesten Erkenntnissen der Einzellforschung gelauscht hatte, beschloss Frau Ichts, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und sagte: "Habt ihr zufällig schon mal etwas von dieser neuen ganzheitlichen Lehre gehört? Fengsch Ui oder wie sie es nennen? Soll eine sehr interessante Sache sein. Es geht dabei um irgendwelche Energieströme, die entweder richtig oder falsch laufen können..." (aus Rücksicht auf die Geduld des Lesers blenden wir hier kurz aus und genehmigen uns eine Tasse Kaffee...

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Keine Angst, wir werden uns schon zur richtigen Zeit wieder einblenden... 

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...so, jetzt!) 

"...und deshalb ist es wichtig, dass die Energien immer richtig fließen!"

Dieser ebenso interessante Vortrag von Frau Ichts wurde von den beiden anderen Damen mit sehr aufmerksamem Zuhören belohnt. Vor allem Frau Dr. Volution, die neuen Ideen gegenüber immer besonders aufgeschlossen war (genau genommen dachte sie sich dabei "Versuchen wir´s, werden ja sehen, wie es sich entwickelt"), fand Gefallen an dieser ganzheitlichen Energiestromphilosophie und trachtete nach einigen Sekunden intensiven Nachdenkens danach, die beiden anderen möglichst schnell loszuwerden und ihr Labor aufzusuchen.

Mit ein paar gut gewählten Worten zur neuen Pariser Mode schaffte sie es sowohl C. Haos als auch N. Ichts zum gehen zu überreden und machte sich sogleich an die Arbeit im Labor.
Schon während den Ausführungen von Madame Ichts war ihr eine ganz neue und hochinteressante Idee gekommen.
Sie dachte: "Es wäre nicht schlecht, die Energiestörme der langweiligen Einzeller durch etwas anders angebrachte Gene in die richtigen Bahnen zu lenken."
Genau das tat sie dann auch und machte sich daran, der Entwicklung ihrer neuen Idee aufmerksam zu folgen.
Da sie allerdings eine recht "klassische" Wissenschaftlerin war, dachte sie natürlich auch daran, eine Kontrollgruppe einzurichten, das heißt eine Gruppe von Lebewesen, die sich gänzlich abgeschottet von der neuen Idee entwickeln sollten und somit zum Vergleich der Ergebnisse von unschätzbarem Wert war. Dafür, so hatte sie sich vorgenommen, wollte sie die Dinosaurier benutzen, eine frühere Forschungsarbeit, auf die sie einmal sehr stolz gewesen war bis sich herausstellte, dass diese Lebewesen ein recht langweiliges und eintöniges Leben zwischen fressen und gefressen werden führten.
Die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Kontrollgruppe war allerdings, dass diese völlig unabhängig von der anderen experimentelleren Lebensform existieren konnte.
Wer schon einmal dazu gezwungen war, ein Klavier in einer Ein-Zimmer-Wohnung zu verstecken, dem wird klar sein, dass die Größe der Dinosaurier dieser Voraussetzung klar engegenstand.
Deshalb beschloss die Doktorin auch einige unbedeutende Änderungen an ihnen vorzunehmen. Zuerst einmal reduzierte sie deren Zahl auf das absolut notwendige Minimum. Danach machte sie sich daran, die Größenverhältnisse zu ändern. Sie ließ die übriggebliebenen Tiere in der Körpergröße schrumpfen, während sie die Füße und Schnauzen aus welchen Gründen auch immer überproportional groß ließ. Auch impfte sie den (mittlerweile) Tierchen (wahrscheinlich auf sozio-kulturellem Wege) ein, dass sie fortan im Sumpf leben und dort bleiben sollten, damit sie so schnell keiner zu Gesicht bekäme.
Damit war die notwendige Kontrollgruppe geschaffen und sie konnte sich an ihr eigentliches Experiment wagen.
Sie gab einem kleinen Einzeller den genetischen Befehl, die Fähigkeit zur Zellteilung zu entwickeln, worauf aus dem Einzeller schon mal ein Zweizeller wurde.
Da dieser auch den Befehl zur Teilung in sich trug, gab es nach kurzer Zeit schon einen Vierzeller. Irgendwann (nach ca. einer halben Stunde 'All'-Zeit) hatten sich so viele Zellen entwickelt, dass ihre Gesamtheit dazu in der Lage war, die bisherige Nähratmosphäre zu verlassen. Nach einem weiteren bisschen Zeit (eine weitere halte Stunde) hatte die Gesamtheit an Zellen Arme und Beine, und zehn Minuten später gründete sie überlebensfördernde Sozialverbände.
Von dieser ganzen Entwicklung war E. Volution sehr fasziniert.
Sie sah aufmerksam zu und notierte sich immer wieder die auffallendsten Neuerungen, auf die ihr Experiment ganz von selbst zu kommen schien. Die Entdeckung des Feuers war ihr einen Eintrag in ihren Forschungsbericht wert.
Ebenso das Rad, die Nadel und auch die ersten Kleidungsstücke.
Am wichtigsten und am folgenreichsten (wohl auch am charakteristischsten) hatte sie jedoch eine ganz andere Entwicklung eingestuft, nämlich die Tatsache, dass ihre neue Kreation schon vor der Entdeckung des Feuers herausfand, was sich mit einem dicken Knüppel anfangen ließ...

Die Kontrollgruppe blieb von dieser ganzen Entwicklung ganz nach ihrer Bestimmung vollkommen unberührt.
Sie entwickelte sich zwar weiter, aber auf eine gänzlich andere Art und Weise. Und vor allem wesentlich schneller.
Dies dürfte vor allem am folgenden Beispiel deutlich werden.
Während das Experiment dabei war, die Nadel zu erfinden, arbeitete die Kontrollgruppe schon am Serienmodell der "Spinning Jenny" (die erste Spinnmaschine, Anm. d. Autors).
Frau Dr. Volution bemerkte diesen Unterschied und führte ihn in einem ihrer Berichte darauf zurück, dass diese Kontrollgruppe nur aus einem einzigen Individum bestand, das relativ wenig Zeit dafür verschwendete, anderen die Köpfe einzuschlagen...

Hmm, ich glaube, da habe ich doch etwas zu weit vorgegriffen... 
Nun also zu den Ereignissen, die zum Wegfall der 300 Jahre Experimental... äh... ich meine Zivilisationsgeschichte führten.

Nach ungefähr fünf Tagen 'All'-Zeit (was bedeutete im Jahre des Herrn 600 n. Chr) kam es zu dem eigentlich ausgeschlossenen Zusammentreffen von Kontrollgruppe und Experiment.
In einem Moment der Unachtsamkeit (Frau Dr. Volutions Katze hatte eine Vase umgeworfen) gelang es tatsächlich einem Stoßtrupp des Experiments in genau den Sumpf vorzudringen, in dem die Kontrollgruppe bzw. das Kontrollindividum zwischenzeitlich in allen Annehmlichkeiten der "Moderne" lebte. Es war ihm gelungen, aus dem Saft angepflanzter Getreidesorten eine Art Gel herzustellen, das als Brennstoff, Nahrung und Verpackungsmittel gleichzeitig verwendet werden konnte. Dazu kamen einige Geistesblitze im Bereich der Mechanik, wie zum Beispiel die vollautomatische Kartoffelschälmaschine (wer sich damit beschäftigt, wird wissen, dass so etwas noch nicht einmal uns in unserem heutigen Zeitalter gelungen ist! Anm. d. Autors) und auch vielversprechende Ansätze in Philosophie und die Fähigkeiten zu schreiben, zu rechnen und Kreuzworträtsel mit verbundenen Augen zu lösen.
Kurz und gut, das Kontrollindividum hatte sich zu einer hochentwickelten Lebensform entwickelt.
Aber diese Lebensform kannte für genau ein Problem noch keinerlei Lösungen, nämlich für das Problem der "Gesellschaft".
Und genau dieses Problem stellte sich nun.
Erschwerend hinzu kam noch, dass es sich bei dieser plötzlichen Gesellschaft um eine handelte, die bisher nur eine einzige Sache zur Perfektion entwickelt hatte: das nicht-friedliche Zusammenleben!
Es kam also wie es kommen musste und beide Gruppen waren enorm überfordert mit der Situation, der sie sich nun gegenüber sahen.
Doch die beiden bisher vollkommen verschiedenen Gruppierungen lernten schnell voneinander.
Das Experiment perfektionierte mit den technischen Entwicklungen der Kontrollgruppe ihre Waffensysteme, während die Kontrollgruppe bzw. das Kontrollindividuum fortan damit beschäftigt war, seine Kreativität und geistige Spannkraft auf die Steigerung der bei einer Explosion anfallenden Toten zu konzentrieren.
Frau Dr. Volution rannte zu dieser Zeit immer noch hinter ihrer Katze her und das Kontrollindividuum arbeitete langsam aber zielstrebig auf den "idealen Vernichtungswirkungsgrad" hin (was so viel bedeutet wie "Alles hin/ nichts was stehen bleibt" = 1).

Genau eine 'All'-Zeit-Sekunde bevor es zu dem Supergau mit Wirkungsgrad 1 kommen konnte, steckte allerdings Frau Ichts den Kopf zur Türe hinein, da sie ihre Handtasche liegen gelassen hatte (sie hat ab und zu einfach nichts im Kopf...). 
Ihr fiel die sich zuspitzende Situation sofort auf und sie beschloss deshalb erst einmal, die letzen zehn Minuten zu löschen (300 Jahre) und danach Frau Dr. Volution bescheid zu sagen, damit diese ihr Experiment entweder unter Kontrolle oder zur Auflösung bringe...

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Und die Moral von der Geschicht:
Glaubt es oder glaubt es nicht...
 

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