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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur besten Fantasy-Story 2003 im Drachental gewählt!

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Einfach Kind sein von Takina dem Gobbo

Laß mich doch einfach Kind sein.
Ich bin noch nicht bereit...

Die Kleidung des Knaben ist zerschunden. Das Hemd ist ein einziger Fetzen und taugt weder zum wärmen, noch um den mageren Körper zu bedecken. Die Hose ist von Löchern übersäht und das rechte Hosenbein hängt nur noch an wenigen Fäden. Das Haar ist lang und verfilzt. Strähnig hängt es Ihm ins Gesicht, dessen Züge hart und entschlossen drein blicken. Dies ist nicht mehr das Gesicht eines Kindes. Es ist das eines Mannes in Seinen Augen funkelt der Fanatismus der Erwachsenen. Von ihnen hat Er gelernt so zu sein. Blind zu folgen.
Barfuß steht Er dort auf dem Feld. Neben Ihm die anderen. Männer allesamt. Auch wenn viele von ihnen, wie Er selbst, noch Kinder sind. Jeder von ihnen hat ein Schwert. Auch Er.
Seine kleinen Hände kaum in der Lage den Schaft zu umschließen. Seine dünnen Arme kaum in der Lage das Gewicht zu heben. Doch es klebt bereits Blut daran. Wie auch an Seinen Händen.
Vor ihnen geht ein großer Mann auf und ab. Er spricht zu ihnen. Macht ihnen Mut und stachelt sie an. Er ist ein großer Krieger und ein großer Führer. Er spricht von Dingen wie Freiheit, Ehre und Ruhm. Weiß er, was sie bedeuten ?
Sie alle jubeln ihrem Führer zu und letztendlich dringt nur noch ein Wort aus ihren Kehlen. Sein Name. Auch der Knabe schreit. Seine Augen glänzen und als die Armee auf den Feind zustürmt, läuft auch Er los und schwingt Sein Schwert.

Noch nicht bereit mich aufzugeben.
Zu leben wie du.

Die Kammer ist klein und eng. Der wenige Platz, den sie bietet, wird von Büchern und Schriftrollen eingenommen. Erleuchtet wird der Raum von einer rußenden Kerze. Ein Fenster hat er nicht. Dort im Halbdunkel sitzt eine Gestalt. Sie ist zusammengesunken und hat die geröteten Augen mit eisernem Willen auf eine dicke Schrift mit winzigen Buchstaben gerichtet. Kaum in der Lage, die Lider geöffnet zu halten. Selbst für ihr alter und die mageren Zeiten ist die Gestalt viel zu dünn. Ihre Haut ist bleich. Schon seit Monaten hat sie die Sonne nicht mehr gesehen. Seit Monaten nichts anderes getan, als zu lesen. Seit Monaten keine frische Luft mehr geatmet. Ein rasselndes Husten erschüttert den zerbrechlich wirkenden Körper und unterbricht die drückende Stille.
Für eine Weile erscheint es, als würde die Gestalt ersticken. Immer wieder saugt sie die ungesunde, rußgeschwängerte Luft in ihre Lungen. Doch das bringt keine Linderung. Macht den Husten nur noch schlimmer.
Irgendwann ist es vorbei. Schwer atmend sitzt sie zusammengesunken über dem Buch und stützt die Stirn auf ihre Hände. Ihr Kopf schmerzt. Ebenso und vielleicht sogar noch mehr, schmerzen ihre Augen. In ihren Lungen brennt es wie Feuer. Ihr Mund ist Trocken.
Jetzt erst fällt ihr auf, daß sie schon seit dem Morgen keinen Schluck getrunken hat. Mühsam steht die Gestalt auf und schiebt den schweren Stuhl zurück. Das gehen fällt ihr schwer. Doch schafft sie es, sich bis zu dem Faß in der Ecke zu schleppen und die Kelle in das abgestandene Wasser zu tauchen.
In diesem Moment öffnet sich die Tür und ein großer Mann betritt den Raum. Mißbilligend sieht er auf das kleine Mädchen herab.
"Habe ich dir erlaubt, deine Studien zu unterbrechen ?"
"Nein, Vater.", antwortet sie und senkt ihren Blick.
"Dann setz dich wieder an deinen Platz und lies weiter."
Resignierend hängt sie die Kelle wieder am Rand des Fasses ein und folgt der Aufforderung des Mannes, sich wieder hinzusetzen. Ein flüchtiger Blick an ihm vorbei, zur Tür hinaus sagt ihr, daß es bereits Nacht ist.
"Du weißt genau, daß du viel lernen mußt um später an der Universität studieren zu können. Ich möchte keinen Dummkopf aufgezogen haben. Also mach dich wieder an deine Studien. In einer Stunde werden ich wiederkommen und dich abfragen. Wenn du deine Lektion gut gelernt hast, dann kannst du schlafen gehen."
Dann geht er wieder und schließt die Tür hinter sich. Sehnsüchtig wandern die Augen des Mädchens noch einmal hinüber zum Wasserfaß. Doch sie weiß, daß ihr Vater Recht hat. Sie muß sich in Selbstbeherrschung üben und weiter lernen. Nur so kann mal ein wertvoller Mensch aus ihr werden.

Nur für die Arbeit.
Nur für die Anderen.

Ein leises Stöhnen dringt aus seiner Kehle als er das Gestell anhebt. Seine Schultern schmerzen und ein scharfes Stechen durchschießt seinen Rücken. Doch seine kräftigen Muskeln schaffen es auch dieses Mal wieder, die Last anzuheben. Rechts und links hängen große, mit Wasser gefüllte Krüge an der stabilen Holzstange. Das Holz drückt sich schmerzhaft in seine Schultern, doch er wird auch dies ertragen. Er ertrug es immer.
"Bring das Wasser in Stollen sechzehn.", blafft ihn die grobe Stimme des kräftigen Mannes an. "Und beeil dich. Anschließend hilfst du den anderen beim Beladen der Loren."
Ohne ein Wort zu sagen dreht er sich um und macht sich mit seiner schweren Last auf den Weg. Niemals hätte er es gewagt, auf die Anweisungen des Mannes zu antworten, oder ihnen sogar zu widersprechen. Es war ihn streng untersagt zu reden.
Stollen sechzehn war drei Meilen entfernt. Drei Meilen unterirdischer Stollen und Gänge. Drei Meilen,, die er diese Last schleppen mußte. Drei Meilen, auf denen er keine Pause einlegen durfte. Als er sein Ziel endlich erreicht hatte wurde er bereits von einer weiteren, unfreundlichen Stimme empfangen.
"Wo hast du so lange gesteckt ? Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf das Wasser. Stell die Krüge dort ab und dann sieh zu, daß du wieder an deine Arbeit kommst."
Gehorsam schreitet der Knabe an dem Mann vorbei, um die Krüge abzustellen. Doch der Boden ist uneben und von Geröll bedeckt. Plötzlich verliert er das Gleichgewicht und stürzt. Verzweifelt versucht er sich mit einem Arm abzufangen. Doch die Last der Krüge drückt ihn unerbittlich zu Boden. Er spürt, wie sich ein spitzer Stein in seine Handfläche bohrt. Dann zerbricht sein Arm unter dem Gewicht wie ein dünner Zweig unter einem Stiefel. Sein vom Schmerz betäubter Geist nimmt noch wahr, wie die Krüge zerbrechen. Das kalte Wasser ergießt sich über den Boden und durchtränkt auch ihn. Doch das nimmt er nur am Rande wahr. Viel deutlicher ist die wütend schreiende Stimme des Wärters und seine Peitschenhiebe.
"Steh auf, du Tölpel !", brüllt er und schlägt immer wieder auf das Kind ein. Doch der Knabe steht nicht auf. Er liegt nur da und starrt auf die anderen Sklaven, die sich einfach abwenden und ihre Arbeit machen, als wäre nichts geschehen. Und in seinen Gedanken ist nur noch für eine Sache Platz. Schlafen. Nur noch schlafen.

Nicht mehr sein, wie ich bin...
Nur noch sein, wie sie mich haben wollen
Laß mich doch einfach nur ein Kind sein...

Er sitzt auf der gleichen Bank wie jeden Tag und blinzelt in die Sonne. Er mag die Sonne. Sie ist freundlich und spendet ihm Wärme. Langsam streckt er die Hand empor, als wolle er sie greifen. Er weiß, daß er es nicht kann. Trotzdem versucht er es. Fasziniert beobachtet er die Strahlen die sich bilden, wenn er die Sonne fast völlig mit der Hand verdeckt und nur noch ein kleines Stück der grellen Scheibe zu sehen ist. Eine Weile sitzt er einfach nur so da und starrt hinauf und dreht hin und wieder die Hand ein wenig. Doch dann wird ihm der Arm schwer und er muß ihn wieder senken.
Lächelnd nimmt er die Schale, die neben ihm steht und ergreift den Griff, der aus ihr herausragt. An dem Griff ist ein Ring befestigt, den er selbst aus Draht gebogen hat. Er ist stolz auf seine Arbeit. Sie ist nicht perfekt und der Ring ist auch nicht absolut rund. Doch er hat ihn selbst gemacht. Und das macht ihn zu etwas besonderem. Langsam taucht er den Ring wieder in die Schale und rührt ein paar mal darin herum. Dann zieht er ihn wieder heraus. Zufrieden stellt er fest, daß die Lauge gut gemischt ist. In dem Ring hat sich eine in allen Regenbogenfarben schillernde Fläche gebildet, die sanft im Wind vibriert. Vorsichtig bläst er durch den Ring und die schillernde Fläche wölbt sich, bis sie plötzlich abreißt und sich zu einer Blase schließt. Langsam schwebt die Seifenblase davon und funkelt in der Sommersonne wie ein schwereloses Juwel. Er lacht und freut sich über ihre Schönheit.
In diesem Moment kommen zwei junge Frauen vorbei. Sie lachen und zeigen mit dem Finger auf ihn.
"Sieh dir den an !", ruft eine von ihnen viel zu laut, um nur zu ihrer Freundin zu sprechen.
"Der hat sie nicht mehr alle !", sagt die andere nicht leiser.
"Wie ein kleines Kind !"
Dann lachen sie wieder und verspotten ihn noch eine Weile, bis es ihnen zu langweilig wird und sie endlich weitergehen.
'Lacht ihr nur.', denkt sich der Alte und taucht den Ring mit zittriger Hand wieder in die Lauge.
'Was wißt ihr denn schon...'
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Laß mich doch einfach Kind sein.
Ich bin noch nicht bereit...
Noch nicht bereit mich aufzugeben.
Zu leben wie du.
Nur für die Arbeit.
Nur für die Anderen.
Nicht mehr sein, wie ich bin...
Nur noch sein, wie sie mich haben wollen
Laß mich doch einfach nur ein Kind sein...
 

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