Manchmal, wenn man mit offenem Geist und wachen
Sinnen morgens aus dem Fenster blickt, fühlt man förmlich, wie
schön dieser neue Tag wird. Jeder Laut der jubilierenden Vögel,
jeder Sonnenstrahl, der sich in den Blättern der Bäume verfängt,
scheint einem wie eine kleine Liebkosung durch die Natur.
So war es auch an jenem Morgen.
Die letzten Nachtwachen fielen just ins Bett,
als die ersten glutroten Sonnenstrahlen am Horizont über die nur zögerlich
weichen wollende Dunkelheit der Nacht krochen und sanft aber unbarmherzig
Sterne und Mond zurückschoben, Platz machten für das neue Leben.
Kaum erwärmte sich die Luft in dem noch
ruhig daliegenden Gebäude, öffnete die auf der Pritsche zusammengerollte
Frau die Augen und setzte sich auf.
Leise gähnend streckte und dehnte sie
ihre Muskulatur, bevor sie sich erhob. Sie warf einen kurzen Blick aus
dem kleinen Fenster ihrer Wohnzelle und lächelte zufrieden, als sie
im Innenhof den morgendlichen Gesang der Novizinnen vernahm.
Rasch schlüpfte sie aus dem langen Nachthemd
und huschte in den an das Zimmer angrenzenden Baderaum.
Sie unterdrückte ein albernes Quieken,
als sie den kalten Strahl des Wassers aus der Waschzelle auf ihrer makellosen
Haut spürte und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, während
sie sich vorstellte, unter einem Wasserfall zu stehen.
Nach der erfrischenden Dusche verließ
sie schnell das Bad, griff nach dem Handtuch, welches Ihna, eine der neuen
Novizinnen, am Abend zuvor über den Stuhl gehängt hatte, trocknete
sich sorgfältig ab und schlüpfte in ihre Kleidung.
Sorgfältig und mit der ihr typischen Ruhe
legte sie die in allen Farben schimmernden Schleier an und drapierte besonders
jene Lagen, welche Haar und Antlitz verdeckten, sorgsam.
Kurz darauf verließ die Frau ihre Räumlichkeiten
und eilte den Gang zu den Hallen des Schweigens entlang, diese alsbald
betretend.
K’haVeSha war eine der wenigen im Tempel, die
selbst als sie längst von den Pflichten als Novizin entbunden wurde,
noch immer jeden Morgen den Zeremonien der Priester und Priesterinnen vom
nachbarlichen Tempel lauschte.
Die Messen boten ihr für einige Minuten
zumindest eine kleine Möglichkeit, um in sich zu gehen, aber auch
um sich auf die darauf folgende Zeit in der Bucht der Schwäne einzustimmen.
Als betreuende Priesterin in einem Kampf zwischen
Dunkelelfen und einem alten Lichtelfen-Clan hatte sie während des
letzten halben Jahres viel Leid, Not und Elend mit ansehen und auch selbst
ertragen müssen. Um diese Geschehnisse zu verarbeiten hatte sie sich
nun dazu verpflichtet in ihrem Tempel den neu aufgenommenen Novizinnen
und Novizen einige Grundkenntnisse der pflanzlichen Betäubungsmöglichkeiten
näher zu bringen.
Sie selbst griff längst auf "andere" Möglichkeiten
zurück, doch auch sie könnte in die Situation kommen, auf diese
Kenntnisse zurückgreifen zu müssen.
Darum war sie innerlich froh, in der Bibliothek
des Tempels ihre Studien wieder aufnehmen zu können und auch weitergeben
zu dürfen.
Lautlos erhob sie sich, als die Sonne über
den Dächern der Wohnhäuser der Eremiten stand und die Priester
ihre morgendlichen Zeremonien beendet hatten, und eilte mit dem typisch
geschmeidigen Gang der Priester den Flur lautlos entlang, um sich auf den
Weg zur Bucht zu machen.
Leises Gelächter, danach immer wieder
anerkennende Laute, durchdrangen die ansonsten still daliegende Bucht,
die ihrem Namen wirklich alle Ehre machte.
Die Schwäne boten immer wieder einen
majestätischen Anblick, während diese stolzen Tiere in harmonischer
Eintracht pärchenweise über den ruhig daliegenden See glitten.
Nur hin und wieder durchbrach der Gesang von sich balzenden Schwänen
die Stille.
K’haVeSha’s Stimme klang ruhig, während
sie sachlich zwar, aber doch mit ihrem unterschwelligen Humor den um sie
herum versammelten, im Gras sitzenden Novizen und Novizinnen die Pflanzen
und deren Wirkungen verdeutlichte.
Nur ab und zu kamen fast zögerliche Fragen
und Zwischenbemerkungen, welche sie jedoch mit einem erfreuten Nicken aufnahm
und geduldig zu erklären wusste.
Die Zeit ging diesen wohl viel zu schnell
um, denn K’haVeSha war ihres Zeichens eine weitbekannte und vor allem sehr
beliebte Mentorin unter den Schülern, was ihr selbst nicht wirklich
bewusst war.
Jeder wusste, dass sie auch über den
Unterricht hinaus jederzeit bereit war, für Fragen und Sorgen zur
Verfügung zu stehen.
Bedauern darum schien von den Novizen auszugehen,
als K’haVeSha den Unterricht für diesen Tag als beendet erklärte.
"Ihr Lieben, probiert aus, was ich Euch heute
gezeigt habe. Wenn ihr mögt, können wir das nächste Mal
tief in den Wald beim Köhler vorbei gehen, denn dort auf der Lichtung
sind sehr viele interessante Kräuter." Begeisterte Ausrufe waren deutlich
die Zustimmung.
K’haVeSha schmunzelte ob der Reaktion. Den
Unterricht nun offiziell beendend, neigte sie leicht das Haupt.
"Dî K’haVeSha?" Die Angesprochene wendete
ihre Aufmerksamkeit dem jungen Drow zu, welcher sich erhob und sie fragend
anblickte. Er war vor einer Woche erst in den Tempel gekommen. "Ja bitte?"
Seine blauen Augen flackerten unsicher.
"Verzeiht meine Aufdringlichkeit, aber stimmt
es, was erzählt wird an den Feuern?" Unter den in allen Farben schimmernden
Gesichtsschleiern zog sich fragend eine Augenbraue hoch und noch immer
lächelnd fragte sie zurück: "Was erzählt man sich?" Der
junge Drow schluckte, er war sich nicht sicher, ob er mit seiner Frage
nicht zu weit gehen würde.
"Man sagt, Ihr nutzt nicht nur die Sternenmagie,
Dî K’haVeSha." Angespannt hielten die anderen noch anwesenden Schüler
die Luft an.
Welch Dreistigkeit. Sicher würde sie
nun wütend werden.
Dem war jedoch nicht so. Ganz im Gegenteil.
Schmunzelnd antwortete sie nach einer kurzen Weile, langsam dabei eine
Hand hebend.
"Und, mein junger Freund,was meinst Du? Hörst
Du auf das Geplapper trunkener Männer am Feuer, oder bildest du dir
dein eigenes Urteil?" Der Drow kratzte sich nachdenklich hinter einem Ohr,
nickte schließlich, froh darüber, nicht gemaßregelt worden
zu sein: "Geschwätz wie von alten Marktfrauen und das Gerede Trunkener
interessiert mich nicht, doch ist meist etwas Wahres daran." K’haVeSha
tat ein paar Schritte auf den Novizen zu, wie so meist sah sie auch ihn
nicht direkt an, sondern an ihm vorbei.
"Nun, dieses Mal hast Du kein Gewäsch
vernommen." Die Schüler schauten sich untereinander stumm an, das
versprach noch spannend zu werden!
Die Mentorin schloss ihre Augen halb, sprach
dann noch leiser als gewöhnlich weiter:
"Die Magie hat viele Seiten. Glaubt nicht,
sie öffnet sich euch. Umgekehrt. Ihr werdet lernen müssen, Euch
zu öffnen. Doch dies ist ein Thema für einen geeigneteren Zeitpunkt
und einen anderen Mentoren."
Mit einer nun eindeutigen Geste entließ
K’haVeSha die Schüler.
Diese erhoben sich fast einheitlich von ihren
sonnigen Plätzen an der Bucht und taten etwas, was die Magierin für
einen Moment sprachlos werden ließ:
Nacheinander führten alle, egal welchen
Ranges und welcher Rasse sie entstammten, vor der Priesterin eine Geste
der absoluten Ehrerbietung aus. Verwirrt verfolgte die Mentorin dieses
Tun, dabei wie abwehrend eine Hand hebend. Sie konnte nicht die stumme
Geste des Mannes und der anderen hinter ihr sehen, welche dem Unterricht
beigewohnt hatten, ohne sich in irgendeiner Weise bemerkbar zu machen.
Gerade, als sie ansetzte, etwas zu sagen,
trat zwischen dem Gebüsch hinter ihr eine kleine Prozession hervor.
Nun restlos sprachlos wandte sie sich von den Schülern ab und den
Priestern zu.
"Der innere Zirkel ruft Euch, Nestraden Dî
K’haVeSha. Bitte folgt uns." K’haVeSha schüttelte verwirrt den Kopf.
Wieso wurde sie, als bekannte Schwarzmagierin, noch dazu eine ehemalige
Kriegerin, gerade als Heilerin betitelt?
Unter dem leisen Bekundungsgemurmel der Novizen
folgte sie den Priestern, noch immer der Meinung, einer Verwechslung erlegen
zu sein.
~ Berufung~
Das Licht der Fackeln flackerte unruhig, als
die Geheimtür aufschwang.
Innerlich nun doch etwas nervös, betrat
die ehemalige Amazone hinter den drei Priestern den Raum.
Ihr Blick glitt über die mit Symbolen
und Runen verzierte Wand, dann, noch einmal tief durchatmend, zog sie irgendwelche
imaginären Falten ihrer Robe glatt, ging dann langsam, sofort dabei
den lange einstudierten Bewegungsablauf der Priester wieder ausführend,
lautlos die Reihen des großen Tempels entlang, um, den Altar passierend,
rechts davon niederzuknien und dabei das Haupt zu senken.
Eine Eigenart aus ihrer Heimat, welche ihre
Mentoren in diesem Tempel ihr nie haben abgewöhnen können.
Eine Hand senkte sich langsam, blieb auf ihrer
linken Schulter liegen.
Sanft tönte die Stimme ihres Mentors
zu ihr: "DorSha, blick mich bitte an. Es gibt keinen Grund, den Blick zu
senken." Die Angesprochene zuckte kaum merklich zusammen, denn noch immer
war es für sie ungewohnt, so zu handeln. Dennoch, sie gehorchte der
Aufforderung, obgleich sie bewusst an ihrem Mentor vorbei blickte. Er wusste
jedoch, dass dies eine reine Schutzmaßnahme von ihr war, um ihn nicht
versehentlich zu gefährden.
Der Hohepriester, seines Zeichens höchstes
Mitglied des inneren Zirkels, hob erneut leise zu reden an, seine Stimme
schwang in dem eigentümlichen Singsang des rituellen Status. K’haVeSha’s
Augen weiteten sich in Erstaunen, als sie die Bedeutung der Worte im stillen
übersetzte, kurz fuhr ihr sichtlich ungläubiger Blick durch die
geschmückte Kapelle, erst jetzt realisierte sie, dass diese wohl für
sie so hergerichtet worden war. Nun endgültig nervös werdend,
fiel ihr auf, während sie weiter durch die Kapelle blickte, dass sämtliche
Mentoren, Priester und Priesterinnen, sowie auch die Novizen sich schweigend
hinter ihr zu sammeln begannen und der Tempel sich nach und nach zu füllen
begann. Alle Anwesenden waren in den Roben und Kutten gekleidet, welche
für die feierlichen Messen und Riten vorbehalten waren.
Sie schluckte kurz und gerade noch rechtzeitig
konzentrierte sie sich wieder auf den Hohepriester vor sich und nickte
auf seine Frage, während er sie gütig, aber dennoch mit dem Ernst
und der Ruhe des Abtes wartend ansah.
Zum Zeichen der Zustimmung, dass sie wusste,
was von ihr erwartet wurde, erhob sie sich von dem kalten Marmorboden und
ließ den Schleier, der ihre Schultern und das Haar verdeckte, zu
Boden gleiten. Leuchtendes, blondes, in leichte Locken bis zum Gesäß
reichendes Haar floss sofort über die türkisfarbene Robe, kaum
dass der Schleier fiel.
Der Blick großer, grüngoldener
Augen ruhte in größter Konzentration und Ergebenheit auf dem
glühenden Becken hinter dem Hohepriester.
Nur kurz flackerte ihr Blick, als ihr bedeutet
wurde, zu dem Becken zu treten und dort wieder niederzuknien, während
die Anwesenden hinter ihr damit begannen, den alten heiligen Kanon der
Hohepriesterinnen zu intonieren.
Hell und klar schwangen sich die Stimmen in
die Höhe, klangen an den Wänden des mit Mosaiken bestückten
Tempels wieder und hallten leise nach als K’haVeSha sich auf ein weiteres
Zeichen hin hinkniete und die Robe dabei öffnete, so dass diese über
ihre Schultern herabrutschte.
Während sie dies tat, traten die Priesterinnen
hinter sie, verdeckten so die Sicht auf ihren nun entblößten
Leib und das was folgte.
Noch einmal richtete Bal, ihr Mentor, seine
Stimme und Frage an die kniende Priesterin: "K’haVeSha! Durch Deinen Einsatz,
Deine sichtliche Liebe und Fürsorge Deinen Nächsten gegenüber,
dem Bestreben, immer dem Wesen und Sein Deiner Lehren zu folgen, hat sich
der innere Zirkel einstimmig entschlossen, dir bereits jetzt schon die
letzte Weihe für das reinigende Feuer zu gestatten." Er schwieg kurz,
während die Priesterinnen weiter intonierten, fuhr dann fort:
"So frage ich dich, DorSha K’haVeSha, bist
Du willens, Dein Leben, Dein Sein ab jetzt und über dieses Leben hinaus
bis in alle Zeit für immer dem Licht und einzig allein dem Licht zu
weihen? Bist Du bereit, für jene, die deiner Kraft und Hilfe, deinem
Rat und Deiner Unterstützung bedürfen, alles hinter dir zu lassen,
Grenzen und Wege zu überschreiten, die anderen verschlossen sind,
koste es was es wolle?" Der Priester blickte DorSha ruhig, aber erwartungsvoll
an.
Die Gefragte kniete vor ihm, noch immer durcheinander,
aber nach außen hin ruhig und neigte nach einer kleinen Pause langsam
das Haupt.
Auf ihre Geste und Zustimmung hin zog der
Priester einen glühenden metallenen Stab und mehrere kleine weitere
Stäbe aus dem Kohlebecken.
Als DorSha schließlich leise, aber mit
fester Stimme die Worte des Rituals sprach, senkte sich der längliche
Stab langsam auf ihren entblößten Rücken und das heilige
Zeichen wurde zwischen ihren Schulterblättern eintätowiert.
Obgleich der Schmerzen blieb die Stimme der
neuen Hohepriesterin gleichmäßig. Außer dem Schweißfilm,
welcher sich auf ihrer Stirn zu bilden begann, war ihr nichts anzumerken.
Kurz blitzte es in ihren Augen auf, doch als
würden die Anwesenden dies spüren, intonierten sie gemeinsam
mit ihr am Altar, traten zu ihr und berührten sie sacht an der Schulter.
~*-*~
Der frühe Abend brach an, als die Türen
des Tempels sich endlich wieder öffneten und jedem zugänglich
gemacht wurden.
In einer gleichmäßigen Prozession
verließen die Hohepriester, gefolgt von den Priesterinnen und Mentoren,
abschließend die Novizen die heilige Stätte.
In deren Mitte verließ eine nun gänzlich
in Schleier gehüllte Priesterin ebenfalls den Tempel. Selbst die Sicht
auf das Antlitz wurde zusätzlich zu der Kapuze der weißen Robe
mit einem in Regenbogenfarben schimmernden Schleier verhüllt.
Jeder, der den Weg der Prozession gewahr wurde,
beugte unweigerlich das Haupt.
Priester solch hohen Ranges sah man doch nur
zu wichtigen Anlässen in der Öffentlichkeit und das war selten
genug.
Die verschleierte Frau schlug jedoch nicht
den Weg der Prozession ein.
Vor der Weggabelung zu den Wohnhäusern
blieb die Frau stehen, als eine dunkle Sänfte, getragen von hünenhaften
Echsenkriegern, auf sie zuhielt.
DorSha K’haVeSha stieg ein, als ihr die Tür
der Sänfte von einem der Träger aufgehalten wurde. Mit ihr stieg
eine der Priesterinnen, unzweifelhaft ebenfalls aus der Reihe der Echsenwesen
entstammend, ein.
Lautlos bewegte sich die von den Kriegern
getragene Sänfte aus dem Tempel, dem Sonnenuntergang entgegen.
© TaShiRa
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