Es waren nun bald drei Wochen vergangen, seit
Windfeger Sturmbluts Clan verließ. Jeden Morgen stand Sturmblut am
Gebirgspaß und hoffte auf ihre Rückkehr. Immer wieder kreisten
Schleichers Worte in seinem Kopf herum, daß er sich keine Sorgen
um Windfeger machen sollte, da sie sicherlich schon von ganz alleine wieder
nach Hause kommen würde. Doch das große Alpha-Männchen
wußte genau, wie stur seine Schwester sein konnte, wenn sie sich
mal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Sie war noch niemals allein von zu
Hause fort und jetzt waren schon beinahe drei Wochen um, seit Sturmblut
sie zum letzten Mal gesehen hatte. Wo mochte sie nur sein? Ging es ihr
gut, oder war sie überhaupt noch am leben?
Schließlich beauftragte er voller Sorge
seinen Freund ´Schlitzer´ und zwei weitere Raptoren sie zu
finden. Doch ihre tagelange Suche blieb erfolglos und so allmählich
verloren Schlitzers Begleiter die Lust, weiter nach dem ausgerissenen Raptormädchen
zu suchen.
"Mann! Was gäbe ich jetzt dafür,
mich zu Hause von meiner Partnerin verwöhnen zu lassen. Wie vermisse
ich ihre zarten Hände auf meinem Rücken." grummelte ´Zerhacker´,
der etwas jüngere Raptor fast verträumt.
"Das ist doch hier alles Zeitverschwendung",
schnaubte ´Narbengesicht´, ein großer Raptor mit einer
riesigen Narbe über seinem linken Auge. "Wieso hat uns Sturmblut überhaupt
auf diese sinnlose Suche geschickt? Windfeger ist doch mit größter
Wahrscheinlichkeit schon längst tot."
"Das denke ich auch! Sie ist fast noch ein
Kind und so ein junges Ding kann hier im Tal allerhöchstens nur einen
Tag lang überleben, wenn überhaupt", meinte Zerhacker. "Ich finde
wir sollten die Suche abbrechen und nach Hause zurückkehren."
"Sturmblut wünscht, daß wir seine
Schwester finden", antwortete Schlitzer. "Und selbst, wenn es nur ihre
Leiche ist."
"Nun, aber was ist, wenn sie von einem Spitzzahn
oder einem anderen Fleischfresser erwischt wurde?" fragte Zerhacker. "Verrate
mir doch, wie du da ihren toten Leib finden willst? Oder sollen wir vielleicht
anfangen, jeden Fleischfresser im Tal einzeln zu töten um nachzuschauen
was er wohl in seinem Magen hat?"
"Und wieso macht sich der Herr denn nicht
selber auf die Suche nach seinem kleinen Liebling?" fragte Narbengesicht.
Schlitzer seufzte und sprach: "Hast du schon
vergessen, daß er ein Alpha ist? Natürlich würde er selber
nach Windfeger suchen, wenn er könnte. Aber was glaubst du wohl, was
dann für ein Chaos herrschen wird, wenn er den Clan für ein paar
Tage unbekümmert alleine lassen würde?"
"Wenn doch bloß die verdammte Hitze
nicht noch wäre", stöhnte Zerhacker und blickte zum wolkenlosen
Himmel. Nach einer Weile machten sie am Ufer des Weststroms rast. Narbengesicht
hatte in der Zwischenzeit einen kleinen Pflanzenfresser erbeutet und war
gerade dabei ihn zu vertilgen. Eine kleine Gruppe Troodon machte sich verschreckt
über die drei Raptoren blitzschnell aus dem Staub.
Als die Sonne schließlich langsam zwischen
den schroffen Kratern des imposanten Vulkangebirges unter ging, tauchte
sie die Felsen in ein helles Rot, während hoch oben am Himmel einige
riesige Pteranodon auf den warmen Luftströmen lautlos durch die Lüfte
glitten und ihre Bahnen zogen. Es herrschte eine friedliche Stille in dieser
wunderschönen Gegend, doch trotzdem fühlte sich Zerhacker sehr
unwohl und war nervös.
"Ist euch eigentlich klar, daß wir uns
im Revier der Rotschuppen aufhalten?" flüsterte er. "Wir dürften
überhaupt nicht hier sein."
"Natürlich weiß ich, wo wir hier
sind, und ich habe auch nicht vor, allzu lange hier zu bleiben", antwortete
Schlitzer. "Wir ruhen uns hier nur ein wenig aus und marschieren dann weiter."
"Nachdem was ich schon alles über die
Rotschuppen gehört habe, würde ich mich sogar noch im Gebiet
eines Spitzzahns sicherer fühlen, als hier", murmelte Zerhacker.
"Wenn wir ihnen wie bisher aus dem Weg gehen,
wird es auch keine Zwischenfälle geben", sagte Schlitzer, aber dann
blickte er zu Narbengesicht hinüber. "Ich hoffe aber nur, daß
sie nicht bemerkt haben, daß ein Jäger in ihrem Gebiet Beute
geschlagen hat. Denn dann könnten wir wirklich Schwierigkeiten bekommen."
Doch Narbengesicht schnaubte nur desinteressiert
und nagte weiter an dem mageren Pflanzenfresser herum.
"Ich glaube kaum, daß die sich wegen
so einem kleinen Hämpfling beschweren werden! Die Beutetiere sind
hier unten im Tal auch nicht mehr das, was sie einmal waren."
"Aber was sollen wir machen, wenn Rotschuppen
hier aufkreuzen?" fragte Zerhacker.
"Vergiß doch mal deine dämlichen
Rotschuppen und leg dich schlafen", sagte Narbengesicht und mußte
gähnen.
"Auf gar keinen Fall werde ich HIER schlafen!!"
"Wie auch immer! Nacht, Zerhacker" grummelte
Narbengesicht und legte sich auf die Seite.
Es war ein sonniger und milder Tag im Tal,
als zwei junge Raptoren über das üppige Grasland rasten. Eins
von ihnen war ein noch sehr junges Weibchen, im Alter von etwa vier Monaten.
Doch trotz ihres noch sehr zarten Alters, war sie bereits schon erstaunlich
flink auf den Beinen und jagte einem halbwüchsigen Männchen hinterher.
Raptoren entwickelten sich äußerst
schnell. Bereits nach dem schlüpfen, konnten junge Raptoren innerhalb
kürzester Zeit auf zwei Beinen laufen. Doch dieses junge Weibchen
hatte eine Geschwindigkeit drauf, die für ihr Alter ganz außergewöhnlich
war. Selbst die erwachsenen Raptoren ihres Clans konnten über ihre
hohe Ausdauer nur staunen und starrten mit offenen Mäulern den beiden
Jungspunden hinterher.
Der junge halbwüchsige Raptor lief ebenfalls
sehr schnell, doch das kleinere Weibchen konnte mühelos mit seinem
Tempo Schritt halten.
"Ich kriege dich!" rief ihre quietschende
Stimme, als sie merkte, daß der Halbwüchsige immer mehr an Tempo
verlor. Sie rannten schon eine ganze Weile und langsam machten sich bei
ihm erste Erschöpfungserscheinungen bemerkbar.
"Gibst du auf?"
"Nein!" knurrte der Halbwüchsige und
wollte es noch einmal wissen. Auf gar keinen Fall wollte er verlieren und
mobilisierte nochmal seine letzten Kraftreserven. Es war für einen
männlichen Raptor ja schon beschämend genug, überhaupt von
einem Weibchen geschlagen zu werden, aber von einem kleinen Kind – das
wäre äußerst peinlich! Was würden bloß nur die
anderen Jungsaurier in seinem Alter über ihn denken, wenn der bislang
schnellste Läufer des Jägerclans gegen ein Kind verliert? Doch
es brachte alles nichts. Er wurde von mal zu mal langsamer, bis er schließlich
aufgab und sich völlig erschöpft auf die Knie fallen ließ.
"Hi, hi! Ich bin schneller als du", lachte
sie und sprang auf seinen Rücken, um ihn zu necken. "Du hast viel
längere Beine als ich, gibst aber so schnell auf?"
"I...ich glaube es nicht", japste er ausser
Atem und war völlig am Ende. Er konnte nicht fassen, daß er
verloren hatte. "Wie machst du das nur? Ich war sonst immer der schnellste
Jäger im Clan! Du bist sehr viel schneller als alle anderen in deinem
Alter."
"Und ich bin noch schneller als der Wind",
sprach sie voller Stolz.
"Nach diesem Rennen glaube ich es dir sogar
aufs Wort", lächelte der Halbwüchsige und leckte ihr übers
Gesicht. "Aus dir wird bestimmt nochmal ein großartiger Jäger
werden, Windfeger."
Doch sie lachte nur und fing an ihn zu kitzeln.
"Nicht!!!!! ...ha, ha, ha... Friede!!!! ...ha,
ha... ich geb´ mich geschlagen!!!"
Schließlich lag sie todmüde in
seinen Armen und gähnte.
"Ich hab dich lieb, Sturmblut" sagte sie und
schlief in seinen Armen ein.
"Ich dich auch, kleines Schwesterchen" seufzte
er und lächelte.
Plötzlich schreckte Sturmblut hoch und
fand sich in mitten der dunklen Höhle wieder.
"Ein Traum!" Er stand auf und blickte traurig
aus der Höhle. Plötzlich rann ihm eine Träne übers
Gesicht. "Oh, Windfeger! Was habe ich dir nur angetan."
Am Flußufer waren alle drei Raptoren
inzwischen eingeschlafen. Selbst Zerhacker konnte nicht gegen seine Müdigkeit
ankämpfen und schnarchte. Doch dann wurde er plötzlich von einem
Geräusch geweckt.
"Oh, verdammt! Ich wollte doch wach bleiben."
Er trat zum Fluß, um ein Schluck Wasser
zu trinken, aber dann hörte er einen merkwürdigen Laut und schaute
sich um. Auch wenn es tiefste Nacht war, konnte er in der Dunkelheit ausgezeichnet
sehen. Plötzlich sah er in einiger Entfernung die Silhouette eines
großen Raptors. Er stand bewegungslos auf einem hügeligen Felsen
und blickte starr geradeaus. Zerhacker wußte sofort, daß dieser
seltsame Raptor kein Jäger war und stieß Narbengesicht an.
"Hey, warum weckst du mich" gähnte er.
"Ssst! Keinen Ton!" flüsterte er. "Drehe
deinen Kopf mal langsam nach rechts."
Narbengesicht war zunächst irritiert,
blickte dann aber in die Richtung, in die Zerhacker wies. "Wieso? Was gibt
es denn da zu seh..."
"Siehst du ihn?"
"Verdammt, eine Rotschuppe!" fluchte Narbengesicht.
"Wie es aussieht, scheint er uns aber noch
nicht bemerkt zu haben", sagte Zerhacker.
"Weck Schlitzer auf! Wir müssen sofort
hier weg", flüsterte Narbengesicht und fing augenblicklich an zu graben.
"Was tust du?"
"Das siehst du doch! Ich lasse den Kadaver
verschwinden", knurrte Narbengesicht leise.
Vorsichtig schlich Zerhacker zu Schlitzer
hinüber, um ihn aufzuwecken. Noch immer stand der große Deinonychus
angewurzelt da, wie eine Steinfigur. Nur sein langer Schwanz bewegte sich
ein wenig auf und ab.
"Schlitzer, wach auf", sprach Zerhacker leise.
"Was ist denn?" fragte er.
"Da vorne ist eine Rotschuppe."
Sofort stand Schlitzer auf und blickte zu
dem Felsen.
"Das ist ein Kundschafter", sagte er. "Dann
wissen sie also auch, daß wir hier sind."
"Bist du sicher?" fragte Zerhacker. "Er blickt
doch gar nicht in unsere Richtung."
"Schnell, verschwinden wir!" flüsterte
Narbengesicht, nachdem er die Überreste des Pflanzenfressers vergraben
hatte.
Als die Drei sich gerade in Bewegung setzen
wollten, sahen sie sich plötzlich von einer Horde rotschuppiger Deinonychus
umzingelt. Sie waren sehr viel größer als die Velociraptoren,
doch seltsamerweise stießen sie keinerlei aggressive Töne aus
und machten auch keine Anstalten anzugreifen.
"Scheiße!" fluchte Zerhacker. "Und was
jetzt?"
"Kann einer von euch deren Sprache?" fragte
Schlitzer.
Zerhacker schüttelte den Kopf.
"Ich verstehe höchstens nur ein paar
Brocken", sagte Narbengesicht.
Plötzlich trat ein riesiges Deinonychus
Männchen hervor.
"Willkommen, Jäger" begrüßte
er die Drei in perfekter Velociraptor-Sprache. "Ich bin Bone Crusher, vom
Bone Crusher-Clan Was führt euch zu uns."
"Bone Crusher?" zischte Narbengesicht. "Der
Name sagt mir etwas..."
"Sei gegrüßt" sagte Schlitzer und
nickte leicht. "Ich bin Schlitzer, vom Sturmblut-Clan. Verzeih uns, wenn
wir in eurem Revier eingedrungen sind, aber wir sind auf der Suche nach
einem jungen Jägerweibchen. Sie ist von zu Hause ausgerissen. Habt
ihr sie vielleicht in eurem Gebiet gesehen?"
"Hm... Nein, ich fürchte nicht. In unserem
Revier hat sich kein weiterer Jäger aufgehalten", antwortete Bone
Crusher. "Aber, wenn ihr wollt, können wir euch gerne bei der Suche
helfen."
"Danke, sehr nett! Aber das ist nicht nötig",
sagte Schlitzer.
"Oh, doch! Wir bestehen darauf" lächelte
Bone Crusher. "Ich finde, daß unsere Clans schon viel zu lange miteinander
verfeindet sind. Dabei sind wir Rotschuppen doch eigentlich mit euch verwandt.
Wir sollten... ähm... wie heißt es noch gleich bei euch... ZUSAMMENARBEITEN!
Genau! Nach dem Wort habe ich gesucht."
"Das kapiere ich nicht", flüsterte Zerhacker.
"Wieso ist der so freundlich zu uns?"
"Verstehe ich auch nicht", knurrte Narbengesicht.
"Verdammt! Ich kenne den Namen Bone Crusher von irgendwoher..."
"Ihr wollt uns also tatsächlich helfen?"
fragte Schlitzer zögernd. "Oder ist das ein Trick?"
"Das ist kein Trick", antwortete Bone Crusher.
"Wir meinen es ehrlich."
"Na schön", sagte Schlitzer, "wenn ihr
unbedingt wollt."
"Ihr werdet es bestimmt nicht bereuen", lächelte
er aufgeregt. "Entschuldigt mich aber mal ganz kurz, ich muß dringend
etwas besprechen."
"Bist du denn total verrückt geworden?"
zischte Narbengesicht. "Du läßt dich mit Rotschuppen ein."
"Ich finde den Kerl extrem aufdringlich",
sagte Zerhacker. "Rotschuppen würden doch sonst niemals Fremden helfen."
"Das weiß ich auch", sagte Schlitzer.
"Darum will ich ja auch wissen, was die vorhaben."
Bone Crusher redete mit einem etwas kleineren
Männchen zu seiner linken in der Deinonychus-Sprache. Angestrengt
versuchte Narbengesicht etwas von ihnen aufzuschnappen.
"Und was sagen sie" fragte Zerhacker.
"Wenn du mal still bist, dann könnte
ich vielleicht sogar ein paar Wörter verstehen", grunzte Narbengesicht.
'Was hältst du von ihnen?'
fragte Bone Crusher.
'Sie sehen alle drei wohl genährt aus!'
antwortete der andere. 'Ist für den ganzen
Clan natürlich etwas wenig Fleisch, aber als Appetitanreger währen
sie ideal!'
Bone Crusher nickte und blickte freundlich
lächelnd in die Richtung der drei Raptoren.
"APPETITANREGER?!?!?! WIR?!?!?!?!" Narbengesicht
sprang auf, als er das hörte.
"RENNT!!!" rief Schlitzer.
Das ließen sich Narbengesicht und Zerhacker
nicht zweimal sagen und sprinteten los.
'Unser Essen läuft weg! Laßt
sie nicht entkommen!' grollte Bone Crusher.
Kreischend jagte die wilde Deinonychus-Horde
ihren kleineren Vettern hinterher.
"Ich wußte doch, daß ich von Bone
Crusher´s Clan schon mal etwas gehört habe" schnaubte Narbengesicht.
"Das sind Kannibalen."
"Nett, daß dir das jetzt erst einfällt,
Spinner" fauchte Zerhacker.
"Halt die Schnauze und lauf!"
Auf der anderen Seite des Tals kehrte gegen
morgen die Tyrannosaurus Mutter von einer erfolglosen Jagd zurück.
Seitdem die großen Pflanzenfresser- Herden vor der unerträglichen
Hitze in den Norden flüchteten, gab es für die Tyrannosaurus
Mutter und ihre hungrigen Jungen immer weniger zu fressen. Für die
ganzen Fleischfresser im Tal bedeutete das unerwartete Aufbrechen der Pflanzenfresser
eine Katastrophe. Es brachen schwere Zeiten an und Kannibalismus machte
sich wieder unter den Arten breit. Ebenso wie die drei Velociraptoren,
mußte selbst die riesige T-Rex Mutter vorsichtig sein, um nicht einer
Horde hungriger Kanivoren zum Opfer zu fallen.
Kurz als sie glaubte, wieder ohne Beute zum
Nest zurückzukehren, entdeckte sie einen toten Albertosaurus. Auch
er wurde von Fleischfressern gerissen und war furchtbar zugerichtet.
"Dich hat es jetzt also auch erwischt!" Sie
seufzte tief, da sie diesen alten Fleischfresser sehr gut kannte. Schweren
Herzens beschloß sie den Kadaver zu ihrem Nest zu schleppen, da an
ihm noch recht viel Fleisch war. "Bitte vergib mir, mein alter Freund,
aber ich muß es tun, meine Kinder hungern."
"Mutter!!" riefen Talon und Khara im Duett,
als ihre Mutter mit dem toten Albertosaurus im Maul, endlich das Nest erreichte.
"Hast du etwas zu essen mitgebracht?"
Sie nickte und legte den großen Saurier
vor ihnen ab. Freudig stützten sie sich auf das Fleisch und begannen
zu fressen. Doch Mutter T-Rex konnte sofort am Gesichtsausdruck ihrer Kinder
erkennen, daß ihnen das Fleisch nicht besonders schmeckte. Tyrannosaurier
waren schließlich weder Aasfresser, noch gehörten ihre nahen
Verwanden zu ihrer bevorzugten Beute. Plötzlich spuckte Khara das
Fleisch wieder aus und hustete. Auch ihr Bruder würgte das zähe
Fleisch nur widerwillig hinunter.
"Mutter," fragte er schließlich, "warum
gibt es denn nicht mehr dieses leckere Fleisch, das du uns sonst immer
gebracht hast?"
"Es tut mir leid, Kinder", seufzte sie. "Unsere
Beutetiere werden immer weniger."
"Aber warum?" fragte Talon.
"Es liegt an der Sonne."
"Wieso liegt es an der Sonne, daß es
weniger zu essen gibt?" wollte Khara wissen.
"Nun, das ist ganz einfach. Die große
Hitze kommt von der Sonne", erklärte sie. "Sie trocknet die Seen und
Flüsse aus und tötet dadurch auch die Pflanzen, von denen die
Blattfresser leben. Und sobald die Herden der Blattfresser keine Pflanzen
mehr finden können, verlassen sie das Tal."
"Aha?! Wenn das ganze grüne Zeug also
weg ist, heißt es, daß es auch keine Blattfresser mehr gibt?"
fragte Talon.
"Das ist richtig", antwortete sie. "Und wir
Spitzzähne essen die Blattfresser."
"Das ist gemein von der Sonne", schimpfte
Khara.
Mutter T-Rex lächelte und sprach: "Ja,
das ist es. Aber jetzt müßt ihr essen. Ich weiß, wie scheußlich
verrottetes Fleisch schmeckt, aber wenigstens werden wir fürs erste
davon satt."
"Sind wir ihnen jetzt entkommen, oder nicht?"
fragte Zerhacker´s nervöse Stimme. "Sieh doch mal nach, ob die
Luft rein ist, Schlitzer."
Ganz vorsichtig trat Schlitzer aus dem vertrockneten
Gebüsch hervor und prüfte die Umgebung. Schlitzer schnupperte
und sog die Luft tief in seine Nüstern ein. Glücklicherweise
jedoch war der verdächtige Deinonychus-Geruch verschwunden.
"Sie sind weg! Ihr könnt beide raus kommen."
"Bist du sicher?" flüsterte Zerhacker
leise. "Am Weststrom haben wir auch keine Rotschuppen gerochen, obwohl
sie da waren."
"Nun kommt schon raus! Ich bin mir ziemlich
sicher, daß sie fort sind."
"*Keuch!* Sollte Sturmblut beim nächsten
Mal wieder eine Suchaktion planen, dann verspreche ich euch, werde ich
mich in die hintersten und dunkelsten Winkel der Höhle zurückziehen,
wo man mich nicht mehr sieht."
"Soll ich dir mal was sagen, Zerhacker?" grunzte
Narbengesicht und trat mit ihm zusammen aus dem Versteck. "Wir werden Windfeger
niemals finden. Eher werden wir von einer Meute Fleischfresser umgebracht."
"Was denkt sich der Kerl nur dabei, uns auf
diese idiotische Suche zu schicken. Wir wären beinahe draufgegangen
und wofür!? Nur damit wir für ihn seine kleine dumme Schwester
finden", schimpfte Zerhacker. "Wird er jetzt allmählich sentimental?
Er hatte sich doch sonst nicht um sie geschert."
"Es hat vielleicht nie danach ausgesehen,
aber in Wahrheit liebt er Windfeger über alles und sorgt sich sehr
um sie", sagte Schlitzer. "Wie ihr ja wisst, habe ich auch eine kleine
Tochter und kann mir daher sehr gut vorstellen, was in Sturmblut vorgeht.
Glaubt mir mal, ihr würdet ganz anders über diese Sache nachdenken,
wenn ihr selber eigene Kinder hättet."
"Trotzdem sehe ich nicht ein, warum wir für
ein ausgebüxtes Mädchen noch weiter unser Leben aufs Spiel setzen
sollten, nur weil es Sturmblut´s kleine Schwester ist. Er war doch
selber dran Schuld, daß sie ausgerissen ist! Also soll er sie dann
auch selber suchen", knurrte Zerhacker.
Narbengesicht nickte zustimmend. "Zerhacker
hat völlig recht! Wir haben keine Lust mehr! Wenn du noch weiter nach
Windfeger suchen willst, dann tu dir bitte keinen Zwang an! Zerhacker und
ich jedenfalls gehen jetzt nach Hause."
"Was soll das? Wollt ihr euch beide etwa über
Sturmbluts Anweisungen hinwegsetzen?" fragte Schlitzer. "Soll ich euch
nochmal daran erinnern, was Sturmblut alles für uns getan hat? Er
hat dafür gesorgt, daß aus unserer wilden Meute erstmal ein
richtiger Clan wird. Ohne ihn wären wir genauso geworden wie die Gelbschauzen.
In diesem Clan wäscht eine Klaue die andere und darum helfe ich Sturmblut
auch bei der Suche."
"Sturmblut! Immer wieder Sturmblut! Wenn du
meine Meinung über ihn wissen willst, ich halte überhaupt nichts
von seinen Methoden, wie er den Clan führt", sagte Narbengesicht.
"Wie etwa diese Sache mit dem Teilen! Er bevorzugt stets die Alten und
Schwachen des Clans. Das Recht des Stärkeren müßte herrschen,
so wie es früher gewesen ist."
"Das alte Recht des Stärkeren ist schon
längst überholt", sagte Schlitzer. "Ich finde, es ist eine gute
Sache und sehr mutig von ihm, daß er sich so für die älteren
und schwächeren Jäger einsetzt. Das hatte es vorher in dieser
Art noch nie gegeben. Er führt den Clan sehr intelligent."
"Aber so sollte es nicht sein", grunzte Narbengesicht.
"Es ist nicht richtig."
"Also willst du damit sagen, daß du
Sturmblut´s Führungsqualitäten anzweifelst?"
"Damit will ich sagen, daß Sturmblut
den Clan zu lasch führt! Wir brauchen einen besseren und vor allem
härteren Anführer, als Sturmblut," grollte der große Raptor.
"Wenn du dich dafür hältst, dann
fordere ihn doch zum Zweikampf heraus", sagte Schlitzer. "Allerdings denke
ich nicht, daß du gegen Sturmblut auch nur den Hauch einer Chance
hast."
"Ich?! Nein, ich habe kein Interesse daran,
den Clan anzuführen. Aber ein anderer wird die Führung des Clans
übernehmen und das wird auch schon sehr bald geschehen."
"Was soll das heißen?" fragte Schlitzer.
"Ein Jäger allein kommt gegen Sturmblut
nicht an, dafür ist er viel zu stark. Aber eine Gruppe von Jägern
könnte was gegen ihn ausrichten." Narbengesicht´s Blick verfinsterte
sich.
"Das ist Rebellion", knurrte Schlitzer.
"Wenn du es so nennst", grinste Narbengesicht.
"Damit werdet ihr niemals durchkommen! Ich
werde Sturmblut davon in Kenntnis setzen", grollte Schlitzer.
Mit einer schnellen kurzen Bewegung warf Narbengesicht
den unvorbereiteten Raubsaurier zu Boden und preßte seinen Fuß
auf Schlitzers Hals, so daß es ihm beinahe die Luft zum Atmen raubte.
"Solltest du Sturmblut auch nur ein Wort verraten,
mach ich dich alle", knurrte Narbengesicht und plazierte drohend seine
Raubkralle auf Schlitzers Kehle.
"Tu es doch", grunzte Schlitzer. "Ich fürchte
mich nicht vor dem Tod."
Als Narbengesicht merkte, daß er mit
dieser Tour nichts bei Schlitzer ausrichten konnte, überlegte er sich
etwas anderes. "Wie mutig von dir! Bist du denn auch noch genau so mutig,
wenn ich mir noch anschließend deine Familie vorknöpfe?"
"Du Bastard!!" knurrte Schlitzer.
"Narbengesicht, gehen wir da nicht langsam
zu weit?" meinte Zerhacker. "Mir gefällt das nicht! Es war doch niemals
die Rede von einer Rebellion und auch nicht davon, daß Unbeteiligte
verletzt werden sollten! Da mache ich nicht mit."
"Kriegst du langsam ein schlechtes Gewissen?
Außerdem, mein Bester, steckst du bereits mitten drin! Was denkst
du wohl, was Sturmblut mit dir machen würde, wenn er herausbekommt,
daß einige seiner Clanmitglieder gegen ihn arbeiten!"
Zerhacker dachte kurz darüber nach, was
Sturmblut mit dem letzten Raptor angestellt hatte, der ihn hintergehen
wollte.
"Also?" grunzte Narbengesicht.
Zerhacker nickte nervös und sprach: "Na
schön! Ich bin mit dabei."
"Ich wußte doch, daß du vernünftig
bist", sagte Narbengesicht und wandte sich wieder an Schlitzer. "Und du,
mein Freund, solltest schleunigst vergessen, was heute hier vorgefallen
ist, ansonsten wird es dir und deiner Familie sehr schlecht ergehen."
© T-Bone
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