Etwas bewegte sich schleifend und schlurfend über einen
schmalen Gang entlang und schien dabei die ganze Zeit mit etwas Spitzem
an der Wand herum zu kratzen. Bei jedem anderen Lebewesen, hätte dieses
Geräusch sicherlich eine sofortige Lähmung verursacht, aber anscheinend
nicht bei diesen Arten.
Die Gänge waren erstaunlich hoch, obwohl sie mehrere Hundert
Meter unter Erde lagen. Dieses Wesen ging einige grob in den Fels gehauene
Stufen hinab und betrat eine große Halle. Im Gegensatz zu den Gängen
und Räumen, schien dieser viel bedeutender und gepflegter. Die Decke
wurde von gewaltigen Steinsäulen getragen und verlor sich irgendwo
im Dunkeln. Alles schien grob und kantig und doch war nichts natürlichen
Ursprungs. Das schlurfende Geräusch war hier nicht mehr ganz so deutlich
zu vernehmen, da es hier an Geröll und anderem Dreck fehlte. Der Verursacher
bewegte sich weiter auf die Mitte des Raumes zu, bis er schließlich
stehen blieb und mit gesengtem Kopf seine Stimme ertönen ließ.
"Meister! Meister!" Ein Grunzen hallte durch den Raum.
Vorsichtig hob es den Kopf. Tekino trat aus einem der Schatten
hervor und ließ sich auf einer Art Thron nieder.
"Was ist so wichtig, dass du es wagst, mich zu stören und
dein Leben dabei riskierst?"
Er bewegte kurz seine Hand, und an den Säulen erschienen
kleine bläuliche Flammen, die den Raum erhellten. Erst jetzt sah man
die anderen Gestalten, welche einen hohen Stand und somit ein gewisses
Wohlwollen genossen.
Sie verharrten regungslos neben den pechschwarzen Säulen
und den unverzierten Wänden um ihre Befehle entgegenzunehmen.
"Es gibt da ein kleines Problem, nun wie soll ich sagen..."
"Sprich endlich, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!"
"Der Elementar ist entkommen. Der Diener hat versagt und so konnte
er fliehen."
"ER IST ENTKOMMEN!?! UND DA WAGST DU ES NOCH, HIER VOR MICH HER
ZU TRETTEN?"
"Es wird nie wieder vorkommen, dafür garantiere ich mit
meinem Leben. Nächstes mal werde ich vorsichtiger sein."
"Das ist auch das einzig,e was du mir als Pfand für dein
Versagen bieten kannst. Es darf auf keinen Fall geschehen, dass der Wächter
erwacht und uns erneut in die Knie zwingt. Vernichte ihn und seine Helfer,
bevor er uns schaden kann!"
Seine geballte Faust schlug auf die Armlehne und ließ diese
erzittern.
Erst bei genauerem hinsehen fiel einem auf, dass sie nicht aus
behauenen Stein sonders aus Knochen bestand! Dabei war es noch nicht einmal
möglich zu sagen, ob es menschliche Knochen waren. Über die Knochen
zog sich eine rot schwarze Flüssigkeit, die den Thron zusammen hielten
und anscheinend das Blut der Gefallenen war. Seit dieser Thron stand mußten
sie noch immer leiden; waren unfähig, die Welten zu wechseln.
Das Wesen verschwand wieder in einem der Gänge. Jeder hier
in diesen uralten Gemäuern kannte die alte Geschichte und die Prophezeiung,
die ihr aller Untergang voraussagte.
Ein Schatten trat aus dem Dunkel der Säule hervor. Im Licht
der bläulichen Flammen stand nun ein Mulo. Seine Kleidung ähnelte
der eines Hirten längst vergangener Tage.
"Herr, erlaubt mir, mich auf die Suche nach den Statuen der Drachen
zu machen." Seine Stimme klang kränklich und etwas verzerrt.
"Nein, noch gibt es Wichtigeres zu erledigen. Der Wasserelementar
hat sich gezeigt und uns bleibt nur noch wenig Zeit. Verhindert, dass die
anderen aus ihrem Schlaf gerissen werden!"
"Ich kann meine Diener damit beauftragen. Ich lasse Wachen um
sie aufstellen und sobald sich etwas tut, können wir zuschlagen."
"Gut, dann geh und sucht die Statuen."
Der Schatten verschwand wieder und auch Tekino verließ
den Thronsaal.
Eine kleine Gruppe etwa mannshoher Wesen verließ den Saal,
um sich auf dem Weg in die Stadt zu machen, ihre Aufgabe bestand nun darin,
den Elementar aus der Reserve zu locken. Am Ende blieb nur noch der Mulo
und ein paar Schatten zurück.
Es hatte wieder zu regnen angefangen und ich wollte gerade die Gartentür
öffnen als mich Takashi daran hinderte. Er zog mich vom Eingang zurück
hinter den Mauervorsprung und deutete auf die Mauer.
"Ich halte es für unklug, den direkten Weg zu wählen,
man könnte uns verfolgen und ich möchte nicht, dass deine Familie
damit hinein gezogen wird."
"Das möchte ich doch auch nicht, ich will mir um sie keine
Sorgen machen müssen, aber wenn du es so siehst, gehöre ich schließlich
auch zu dieser Familie und ich stecke bereits mit drin!"
Ich war noch immer ziemlich benommen und es fiel mir schwer einen
klaren Gedanken zufassen. Alles hatte sich so schlagartig verändert.
Takashi näherte sich mir von hinten und nahm mich in die Arme.
"Tut mir leid, dass ich es nicht verhindern konnte, dabei hatte
ich es dir doch versprochen. Bitte verzeih mir, dass ich es nicht halten
konnte."
Und wieder stieg diese vertraute Wärme in mir hoch. Ich fühlte
mich unglaublich gut und auch meine Wunden waren fast wieder verschwunden.
Nur noch an vereinzelten Stellen waren ein paar dunkle Flecken statt der
Blasen zu sehen.
Schließlich nahm ich seine Hand und führte ihn nach Drinnen.
Eilig zog ich ihn an der Küche vorbei hinauf in mein Zimmer.
Ich wollte endlich eine Erklärung für alles haben. Gleich nachdem
ich die Tür hinter mir geschlossen hatte sah ich ihn energisch an
und sagte: "Erkläre mir jetzt bitte, was hier eigentlich los ist!"
Er wirkte etwas betrübt, dann sagte er: "Das kann ich nicht,
denn wenn ich es dir jetzt sage, ist die einzige Chance, dich aus allem
heraus zu halten, verloren. Also bitte stell mir keine Fragen; es schmerzt
zu sehr."
"Wie kannst du nur so etwas sagen, ich bin schon längst mit
hineingezogen worden! Also antworte mir gefälligst, oder glaubst du,
dass du das Recht hast, es mir zu verschweigen?" Ich hielt einen Moment
inne, so erstaunt war ich über meine eigene Lautstärke. Mein
Herz pochte und ich hoffte, dass es meine Mutter nicht gehört hatte.
Als ich mir sicher sein konnte, dass sie nichts gehört hatte, wandte
ich mich wieder Takashi zu. Er lachte betrübt, setzte aber schließlich
doch zu der von mir geforderten Antwort an.
"Es tut mir leid, ich hatte immer gehofft, dass es nie wieder dazu
kommen würde, aber ich habe versagt. Mit jeder Minute, die verstreicht,
können wir unserem Schicksal immer weniger entfliehen." Er seufzte
und fügte dann hinzu: "Ich beobachte dich schon eine ganze Weile und
nie habe ich mir etwas sehnlicher gewünscht, als dass du deinen Weg
auch weiterhin gehen kannst. Mein Herz schmerzt; jetzt, wo es kein Zurück
mehr geben wird."
Ich erschrak. "Was willst du damit sagen?"
"Ich meine, dass du bereits die ersten Schritte getan hast. Du hast
es sicher nicht bemerkt, aber als du von deinem Vater die Statue des Drachen
bekommen hast, und nachdem du dich im Park verwandelt hast, hast
du dich verändert. Du gleichst dich deinem alten Ich immer mehr an,
und ich kann nichts dagegen machen."
"Mein altes Ich? Aber ich dachte, daß das Ich aus der Vergangenheit
dem Ich der Gegenwart entspricht."
"Das kann man unterschiedlich sehen. Fakt ist, dass ich nicht will,
daß das jemals eintritt."
Stille trat ein und keiner von uns wollte das Schweigen wieder brechen.
Schließlich ging ich zu der alten Holzschatulle hinüber
und öffnete sie. Vorsichtig hob ich die Statue heraus und trug sie
zu Takashi hinüber.
Ich hielt sie ihm hin und sah ihn fragend an. "Ist sie das? Ist
das die Statue, die du gemeint hast?"
Ein Hauch von Traurigkeit legte sich wie ein Schleier auf sein Gesicht
und dann fügte er leise hinzu: "Ja, das ist sie."
"Und was soll an ihr so besonderes sein, davon mal abgesehen, dass
sie sehr alt zu sein scheint?"
"Sieh doch mal genauer ihn." Mit diesen Worten nahm er die Staue
in die Hand und trat hinter mich. Erst glaubte ich, er würde mich
wieder in den Arm nehmen, und wenn ich ehrlich war, freute ich mich auch
darauf, aber dem war nicht so. Statt dessen hielt er sie vor mir gegen
das Licht und wartete.
"Worauf wartest du? Da ist doch nichts."
"Doch, es ist da, du mußt nur genau hinsehen. Sieh mit deinem
Herz."
Und für einen kurzen Augenblick, schien es als würde sich
der Kopf des Drachen zu mir herüber drehen, kurz lachen und dann wieder
in seine Ausgangslage zurück kehren. Ich war verwirrt.
"Was war das?"
"Das ist dein Schützling, dein Schlüssel zur Macht."
"Schlüssel zur Macht? Aber welche Macht sollte ich schon haben?"
"Es ist nicht mehr aufzuhalten, du wirst wieder eine von uns. Eines
Tages wirst du wieder den Thron dieser Welt besteigen und mit deinen Dienern
herrschen. Seit jeher seid ihr Wächter über Zeit und Raum und
bestimmt mit euren Taten und Gefühlen das Schicksal der Welt."
"Wie sollte ich über die Welt herrschen können, ich bin
doch erst 16!"
"Alles wird sich mit der Zeit geben. Achte du nur gut auf diese
Statue, denn eines Tages wird sie dich beschützen und dir beistehen."
Ich wurde traurig. Warum nur machten mich seine Worte so unendlich traurig?
Vorsichtig setze er die Statue wieder auf den Tisch.
"Ich muß nun wieder gehen."
"Darf ich wissen , wohin?"
"Nach Hause, wir haben zu morgen schließlich Schulaufgaben
auf."
Er lachte. Es schien, als wäre das alles nie geschehen.
"Keiko, bist du da?" Ich öffnete die Zimmertür.
"Ja, was gibt es denn?" Sie lachte. Noch nie hatte ich sie so lachen
sehen.
Und durch ihr glückliches Lachen, wurde mein Schmerz nur noch
deutlicher sichtbar.
"Ich bringe dir und deinem Besuch ein paar Kekse und Tee vorbei.
Laßt es euch schmecken."
"Machen sie sich bitte keine Umstände. Ich wollte sowieso gleich
wieder gehen."
"Was denn, schon jetzt? Dabei wurde ich diesem netten jungen Mann
noch nicht einmal vorgestellt." Ich bemerkte erst als das Schweigen eintrat,
dass diese Frage an mich gerichtet war.
"Ja, wir haben zu morgen noch Schulaufgaben auf. Ich stelle ihn
dir ein anderes mal näher vor, ok?"
"In Ordnung, Schule geht schließlich vor, aber nicht, dass
du mir deshalb etwas anbrennen läßt." Sie lachte. Ich mochte
diese Verkuppelungen seitens meiner Eltern nicht. Würde der richtige
kommen, würde ich es ihnen schon sagen; oder auch nicht. Und schon
schob sich Takashi auch schon an meiner Mutter vorbei und hinaus zur Tür.
"Warte, ich bringe dich bis zur Tür."
"Nein, das ist nicht nötig, ich finde den Weg schon." Und bei
diesen Worten wußte ich, dass er schon immer seinen richtigen Weg
gefunden hatte.
Mutter verließ kurz nach ihm auch das Zimmer, ließ mir
aber die Kekse und den Tee da. Meine Haut juckte noch etwas an den Stellen,
wo sich noch bis vor kurzem Bläschen befunden hatten. Um den Juckreiz
zu überspielen machte ich mich genüßlich an dem Tee und
den Keksen zu schaffen. Den Rest des Nachmittages verbrachte ich damit,
über alles nachzudenken. So vieles war passiert, das mein Leben verändert
hatte. Nie wieder würde es wie früher sein und wieder war ich
traurig. Und obwohl Schokoladenkekse ein vortreffliches Gegenmittel waren,
blieb das Gefühl von Trauer und Schmerz die ganze Zeit über da
und wich nicht von meiner Seite. An diesem abend ging ich eher zu Bett
als gewohnt. Ich ließ mir noch ein warmes Bad ein, in der Hoffnung
alles davon spülen zu können; den Abfluß hinunter und somit
weit hinter mir.
Pflege- und Entspannungsshampoo vermischte sich langsam mit dem
lauwarmen Wasser, begann kleine Schaumkronen zu bilden.
Es dauerte länger als erwartet bis mich endlich die Dämpfe
soweit umnebelt hatten, dass ich entspannt zurück glitt und nur noch
die Wärme genoß. Irgendwann begann ich einzuschlafen und zu
träumen. Ich befand mich in einem grün schimmernden Wald und
wanderte einen Waldweg entlang. Der schmale Waldweg war gesäumt von
uralten, von Moosen bedeckten Laubbäumen und das Sonnenlicht durchdrang
nur mit Mühe die hohen Baumwipfel und bildeten mit den Blättern
ein Spiel des Lichtes. Wenn man zum Himmel hinauf sah, wurde man immer
wieder von dem plötzlich erscheinendem Licht geblendet.
Ich wanderte unter den Baumriesen entlang bis sich der Wald
teilte und ich von einem Felsvorsprung aus auf ein mit Bäumen bedecktes
Tal blicken konnte.
Es war das erste Mal, dass ich ein so unberührtes und friedliches
Gebiet zu sehen bekam. Weit unter mir waren weit und breit nur Bäume
und bildeten gemeinsam einen großen schillernden grünen Teppich.
Ab und zu fuhr der Wind durch die alten Riesen und spielte sein Lied und
auffliegende Vögel sangen zu diesem eine süße Melodie.
Und es klang, als hätten sie noch nie etwas anderes gesungen.
Vor mir ragte aus dem Wald heraus ein steinernes Podest; eine Art
Säule aus braunen übereinander gestapelten Felsplatten,
welche sich oben weitete und so eine Plattform bildeten.
Eine Gestalt kniete auf ihr. Ich ging bis an den Rand meines
Felsvorsprungs, um so die Silhouette besser betrachten zu können.
Meine Augen konnte ihn nicht festhalten, immer, wenn ich versuchte, Details
zu sehen, entschwanden sie meinem Blick, als würden sie mit dem Wind
wandern. Bis jetzt hatte er sich nicht gerührt, doch als ich nur noch
Millimeter vom Abgrund getrennt war, drehte er seinen Kopf in meine Richtung
und starrte mich mit seinen braunen Augen an.
"Wer bist du?" Ich hatte eine Weile gebraucht, um mich von seinen
Augen loszureißen.
Er erhob sich geräuschlos. Der Windgesang erklang heller als
zuvor.
"Ich kenne dich..." Ich deutete mit dem Finger auf ihn.
Er reagiert noch immer nicht. Das alles kam mir so bekannt vor.
Der Wind spielte mit seinen Haaren und für einen Sekundenbruchteil
erschien die Silhouette von Takashi neben ihm. Ich verlor das Gleichgewicht
und fiel. Aber anstatt am Boden weiter in die Tiefe zu stürzen,
schwebte ich kopfüber hängend über dem Abgrund. Ich wurde
wieder hinauf gezogen, ohne dass mein Gegenüber sich rührte.
Als ich wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, fiel mein
Blick auf meinen Fuß. Viele kleine Pflanzen hatten sich um ihn geschlungen
und somit ein Rettungsseil aus Gräsern, kleinen Bäumchen und
Blumen gebildet. Gerade als ich die Hand nach ihnen ausstrecken wollte,
sprangen sie auf und verschwanden im Grün des Waldes. Staunend blieb
ich allein zurück. Dann wandte ich mich wieder meinem Gegenüber
zu. Er trug keine Waffen und auch sonst bot sein Gewand keinen Hinweis
darauf, dass es welche gab. Er trug keine sichtbare Rüstung, nur ein
langes grün gelbes Gewand, das von einem Gürtel an der Hüfte
zusammen gehalten wurde.
Seine lange Hose ging unmerklich in sein mit kurzen Ärmeln
versehenes Hemd über und es erweckte durch den Gürtel den Eindruck,
als sei es nur ein einziges Kleidungsstück.
Der Himmel verdüsterte sich und er hob erschrocken seinen Kopf.
Die Schatten unter den Bäumen waren dunkler und bedrohlicher und auch
die fast mütterliche Wärme, die dieser Wald ausstrahlte, verflüchtigte
sich. Um sein Podest wanden sich dornige Ranken hinauf; auch einige Bäume
waren bereits von ihnen eingenommen. Die Ranken hatten den Elementar beinahe
erreicht, als dieser die Arme von sich streckte und sich rückwärts
vom Podest stürzte. Mein Herz schrie vor Schmerz auf und ich sprang.
Und wieder fielen Federn vom Himmel herab und ich glitt sicher, von weißen
Schwingen getragen, hinterher.
Als ich den Boden wieder berührte begannen die Dornenranken
auch auf mich zu zu kriechen. Aber gegen jede Erwartung blieben sie in
einem gewissen Abstand von mir entfernt; wie auch hätte ich wissen
sollen, dass der Flügel eines Engels und der eines Dämons mich
durch einen Bannkreis schützten. Ich blickte mich um, aber von dem
Erdelementar fehlte jede Spur.
Irgendwo am Horizont zuckten grelle Lichtblitze und Donner über
das Firmament. Er bahnte sich bereits mit gewaltiger Erdmagie einen Weg
durch die Finsternis. Ich folgte ihm. Ich folgte ihm quer durch den Wald.
Immer wieder mußte ich neuen Widersachern ausweichen. Dabei stolperte
ich immer wieder über plötzlich auftauchende Wurzeln während
mir entgegen kommende Äste das Gesicht verschrammten und mir die Sicht
nahmen.
Schließlich fiel ich der Länge nach in den Schlamm, das
Gesicht vorneweg. Als ich mich aufrichtete, befanden wir uns auf einer
erneuten Lichtung.
Er wartete bereits auf mich.
Es verschlug mir den Atem. Vor mir befand sich auf der Lichtung
ein erneuter Tempel, und wieder schien er mir vertraut zu sein. Er war
so schön, es war schwierig zu sagen, wo der Wald begann und wo er
endete.
Der teils eingestürzte Säulengang, der den Besucher zum
Eingang geleiten sollte, war gigantisch und unbeschreiblich schön.
In den ganzen Jahren hatten sich unzählige Moosarten auf den Steinen
angesiedelt und hüllten nun die stillen steinernen Giganten in einen
grün schimmernden Mantel.
Mein Gegenüber sah mich vom Eingang aus schweigend an. Er wartete
noch immer. Ich wollte auf ihn zu gehen, aber etwas hinderte mich daran.
Mich hatte eine Ranke am Fußgelenk gepackt und zog mich nun in die
Dunkelheit zurück.
Ich wurde zu Boden gerissen. Ich krallte meine Finger in den Boden,
um so irgendwie Halt zu finden, doch dieser gab einfach nach. Ich schrie
den Elementar an, er möge mir doch helfen, aber er blieb wie eine
Statue unberührt an seinem Platz stehen. Das letzte, was ich von ihm
sah, war ein liebevolles Lächeln, bevor mich die Dunkelheit verschlang.
Ich wollte mich wieder aufrichten, aber es ging nicht. Verstört
blickte ich nach oben, da wo ich den Himmel vermutete. Die Dunkelheit wich
aus meinen Augen und ich starrte wieder an die weiße Decke über
der Badewanne.
Schlaftrunken strich ihm über den Kopf und lehnte mich wieder
zurück an den Wannenrand. Das Wasser war bereits kalt. Ich verließ
müde das Bad und legte mich schlafen. Als ich die Augen wieder aufschlug
war es bereits früh am Morgen, bald würde ich wieder aufstehen
müssen. Ich seufzte und drehte mich wieder um, um mich noch einmal
in mein Bett zu kuscheln und noch ein wenig zu schlafen. Aber ich konnte
nicht. Ich fühlte mich erschöpft und irgendwie krank. Draußen
war es kalt und regnerisch und ich hatte gar keine Lust in die Schule zu
gehen. Ich hielt es aber nicht lange im Bett aus; ich fühlte mich
zu schlecht, als dass ich so den Tag verbringen könnte. Ich quälte
mich aus dem Bett und ging zur Schule. Ich rannte den größten
Teil des Weges; es regnete und der Schirm war noch dazu kaputt und schützte
mich nicht sonderlich gut vor den Wolkenbrüchen.
Der Mulo stand noch immer an einer Säule gelehnt in dem Thronsaal.
"Wie lange willst du hier noch herum stehen?"
" Wer hat es dir gestattet, im Spott über mich zu reden?"
Er klang verärgert.
"Ich bin mir nicht sicher, ob Spott das richtige Wort dafür
ist. Ich würde es eher als Ermahnung betrachten."
"Was willst du von mir?"
Eine ganz in Schwarz gehüllte Gestalt trat unmerklich aus
dem Schatten einer Säule neben den Mulo. Er erschrak, da er seinen
Gesprächspartner auf der gegenüberliegenden Seite vermutet hatte.
"Nichts besonderes. Alles, was ich will, ist, meinem Herrn und
Meister zu dienen."
"Das wollen wir alle. Und du als seine rechte Hand bist berechtigt
zu tun, was du für angebracht hältst."
"Das tue ich immer. Aber es wäre doch schade, wenn wir beide
uns nicht verstehen würden. Schließlich bist du sein höchster
Offizier, und selbst wenn du dir diesen Platz hart erarbeitet hast, will
ich nicht, dass durch jemandem wie dich alles zerstört wird."
Mit diesen Worten verschwand die kaum erkennbare Gestalt wieder
im Dunkel und der Mulo blieb knurrend allein zurück.
Endlich war die Geschichtsstunde vorbei. Nicht, dass ich Geschichte
nicht mag, aber es nervte mich heute einfach. Alles nervte mich. Ich wunderte
mich nur, warum Reika so ruhig gewesen war. Sie hatte bis jetzt nicht einmal
zu mir herüber geschaut. Sie wich mir aus nur wußte ich nicht
warum. Mir konnte ihr verhalten nur Recht sein, deshalb kümmerte ich
mich auch nicht weiter darum.
Der Regen hatte etwas nachgelassen, aber nach draußen konnte
man noch immer nicht. Mir fiel das schreiben noch immer schwer, da die
Schnittwunden der Ketten noch immer sichtbar waren. Ich war froh, dass
ich vor weiteren Kämpfen verschont geblieben war, auch wenn ich wußte,
dass dies nicht mehr lange so bleiben würde. Es würde schlimmer
werden und ich würde nicht einmal fliehen können. Vielleicht
würde ich schon morgen sterben. Auch verwirrte mich mein Traum, wenn
es überhaupt einer war, schließlich hatte ich eine Wunde an
meinem Fußgelenk. Nein, das konnte kein Traum sein; Träume sind
nicht so real. In der Pause befanden sich die meisten Schüler auf
dem Flur, bei ihren Freunden, um die neusten Gerüchte auszutauschen.
Die Pause ging vorbei und ich begab mich zum Sportunterricht. Bei dem Wetter
würden wir sicher Drinnen spielen und die verschiedenen Techniken
üben und verbessern. Da die Jungs nicht auf den Sportplatz konnten,
spielten sie in verschieden Mannschaften gegen uns, um zu testen, wie viel
des Gelernten wir auch umsetzen können. Ich fand es unfair, dass sie
verlangten, dass wir gegen die Jungs spielten. Ihre Technik war ausgereifter
und ihre Schlagkraft der unseren weit überlegen. Wenn einige Jungs
den Ball über das Netz spielten, nahm ihn keiner an, weil man sich
durch die Wucht des Schlages die Arme brechen würde. Es war also nicht
schwer zu erraten, wer gewinnen würde.
Man hätte gar nicht erst spielen brauchen, wir hätten
so oder so verloren. Am Ende dieser sinnlosen Tat stand die Schande, 2:15
verloren zu haben. Und selbst diese zwei Punkte hatten wir nur ergattern
können, weil der Ball knapp übers Netz gekullert war. Letztendlich
war die Stimmung eher niedergeschlagen und gereizt als wir das Spielfeld
verließen um uns der Umkleidekabiene zu zuwenden. Ich zog mich aus
und ging zur Dusche. Es tat unglaublich gut, das warme Wasser den Körper
hinunter gleiten zu spüren. O.K., die Dusche war nicht gerade die
ansprechendste, aber mit etwas wohlriechendem Duschgel fühlte man
sich schon fast wie zu Hause. Nach etwa 10 Minuten schnappte ich mir ein
Handtuch und ging zurück zu meinem Spint. Als ich ihn öffnete,
um meine Kleidung heraus zu holen, traf mich der Schlag.
Meine Sachen waren verschwunden. Ich durchsuchte jeden Winkel; vergebens.
Jemand hatte meine Sachen geklaut! Ich war niedergeschlagen und am verzweifeln.
Ich konnte unmöglich nur mit einem Handtuch bekleidet nach Hause laufen.
Ich fragte bei allen nach, aber keiner wußte wo meine Sachen sein
konnten. Asuka war schon Voraus gegangen und so blieb ich allein zurück.
Ich geriet in Panik. Die Anspannung der letzten zeit machte sich
jetzt bemerkbar und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Ich beschloß oben auf den Schränken zu suchen, was sich aber
schwierig war, da die Bänke eher wacklig waren und ich ja auch irgendwie
das Handtuch oben halten mußte. Die Bänke konnte man leider
nicht verschieben, da sie am Boden festgeschraubt waren, so blieb mir nichts
anderes übrig, als mich auf sie zu stellen und vorsichtig nach dem
Rand der Schränke zu angeln. Und es passierte was passieren mußte.
Durch mein, durch die wacklige Bank, verstörtes Gleichgewicht verlor
ich den Halt und rutschte ab. Vor Schreck schreiend fiel ich zu Boden.
Wimmernd und mit letzter Kraft die Tränen vollends zurück haltend,
saß ich auf den kalten Fließen und rührte mich nicht.
Mein Handgelenk und mein Fuß taten entsetzlich weh.
Ich hörte wie jemand über die Fliesen rannte. Als ich
aufsah erblickte ich das besorgte Gesicht eines in schwarz gekleideten
Jungen, der im selben Augenblick um die Ecke gebogen kam.
"Ist dir was passiert?!"
"Nein.", antwortete ich beschämt. Was suchte ein Junge in der
Mädchenumkleide? Anscheinend hatte er vor nichts mehr Respekt. Er
half mir aufzustehen und blickte sich dann suchend um. Schließlich
bog er um eine Ecke und kam mit meinen Sachen wieder zurück. Er legte
sie schweigend auf die Bank und ging wieder. Verstört zog ich meine
Sachen an und verließ die Sporthalle. Mir war jetzt gar nicht nach
Schule zumute, aber ich ging trotzdem hin. Ich trotte zurück zum Schulgebäude
und betrat das Klassenzimmer mit dem Klingelzeichen. Reika lachte nur.
Mitten in der Stunde wurde der Unterricht unterbrochen. Der Schuldirektor
hatte veranlaßt, dass man uns für den restlichen Tag frei gab:
Es war Jahrmarkt. Ich hatte ganz vergessen, dass es heute war...
© Teufelchen
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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